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„Ich stieg barfuß und fast nackt<br />
auf einen verschneiten Berg...“<br />
Beginnen wir mit einer Floskel: Wardruna sind mehr als eine Band. Klar,<br />
das sagt jeder halbwegs talentierte Haufen von Kellermusikern, im Falle der<br />
Norweger hat es aber endlich mal seine Berechtigung. 2009 begeisterten<br />
sie mit ihrem Debut gap var Ginnunga. Eher folkloristisches Ritual als<br />
Musik, eher spirituelle Klangmeditation als irgendwas, das sich ins Genre<br />
„Folk“ pressen lässt. Gegründet zu Ehren der nordischen Runenreihe<br />
Futhark, webt Einar Selvik alias Kvitrafn mit historischen Sprachen, auf<br />
altertümlichen Instrumenten und an besonderen Orten einen Zauber in<br />
die Welt, dessen bedeutungsvolle Dichte nur wenige übertreffen. „Musik<br />
ist lediglich eine der Zutaten für meine Vision von Wardruna“, eröffnet<br />
er das Gespräch. „Dieses Projekt ist eine Lebensweise, die mittlerweile zur<br />
Kunstform geworden ist.“ Eben eindeutig mehr als eine Band. Das zeigen<br />
auch die aufwändigen Live-Performances, welche Wardruna schon vor der<br />
Kulisse alter Wikingerschiffe darboten. „Die Kompositionen kommen<br />
direkt aus meinem Herzen, was unsere Auftritte sehr kraftvoll, aber auch<br />
sehr kräftezehrend gestaltet. So etwas geht nicht jede Woche.“ Längst ist<br />
Kvitrafn eins mit der Welt von Wardruna, lebt und atmet die Musik und<br />
ihre mythologischen Hintergründe. Ein Ewiggestriger ist er indes nicht.<br />
„Natürlich fühle ich mich durch meine Beschäftigung mit unserer Kultur<br />
unseren Ahnen näher, doch das Hauptaugenmerk von Wardruna liegt im<br />
Hier und Jetzt. Ich will frische Saat pflanzen und alte Wurzeln stärken.“<br />
Für ihn kann Neues bloß dann gedeihen, wenn man eher nach vorn schaut,<br />
anstatt dauernd zurückzublicken.<br />
In jene Symbolik des Pflanzens und Wachsens passt der jüngste Albumtitel.<br />
Die Weltenesche Yggdrasil repräsentiert das Werden sowohl der Welt als<br />
auch dieses Projekts. Wieder geht es um Runen, jedes der Stücke trägt den<br />
Namen eines Buchstabens. „Die Runenkunde war einst die angesehenste<br />
aller Künste und nur überaus mühsam zu erlernen. Heutzutage bilden<br />
sich viele Leute tatsächlich ein, sie könnten deren Geheimnisse lüften,<br />
indem sie ein Buch lesen. Ein Buch!“ Ganz klar: Hokuspokus sucht man<br />
auf dem neuen Werk vergeblich, vielmehr wertet Kvitrafn die nordische<br />
Mythologie als gutes Exempel, „wie der Mensch mit der Natur und seiner<br />
eigenen Göttlichkeit umgehen sollte“. Ein Prediger ist er jedoch nicht.<br />
„Dein Glaube sollte durch deine eigenen Erfahrungen bestimmt werden.<br />
So verkörpert Odin für mich zum Beispiel etwas, das ich in meinem Leben<br />
hoch schätze.“<br />
Oft schreibt der Künstler seine Musik in Einsamkeit, für Yggdrasil arbeitete<br />
er allerdings enger denn je mit Gaahl (Ex-Gorgoroth) und Lindy Fay Hella<br />
zusammen, die wieder absolut umwerfende und archaische Vokalparts<br />
beisteuern. Zumeist jedoch ist Kvitrafn allein in seinem Studio – oder in<br />
der Wildnis. „Das kreative Konzept von Wardruna sieht vor, dass gewisse<br />
alte Instrumente, Sounds oder Aufnahmebedingungen die Aussage eines<br />
Stückes verstärken sollen“, gibt er Einblick. „Wenn wir also über Birken<br />
singen, spielen wir auch auf Birkenholz.“ Am Exempel des Liedes NaudiR<br />
(„Not“) erläutert der Norweger den besonderen Prozess in freier Natur:<br />
„Dieses Stück beschreibt all das, wofür Not steht, bezieht aber auch das<br />
Feuer mit ein, das sich in deiner größten Not entzündet. Den Gesang nahm<br />
ich teilweise draußen auf. Ich fastete zwei Tage, stieg barfuß und fast nackt<br />
auf einen verschneiten Berg und versuchte, das Feuer der Not mit meinem<br />
Gesang einzufangen.“ Wir wiederholen uns gern... mehr als eine Band.<br />
www.wardruna.com<br />
Björn Springorum<br />
Discographie (Alben):<br />
Runaljod – gap var Ginnunga (2009)<br />
Runaljod – Yggdrasil (2013)<br />
Line-Up:<br />
Einar Selvik alias Kvitrafn – Gesang, Instrumente<br />
Lindy Fay Hella – Gesang<br />
Gaahl – Gesang<br />
78 - <strong>Orkus</strong>!