Dekodierung moderner Mythen: von Star Wars zur Popkultur
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Thomas Walden<br />
<strong>Dekodierung</strong> <strong>moderner</strong> <strong>Mythen</strong>:<br />
<strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> <strong>zur</strong> <strong>Popkultur</strong>
Inhaltsverzeichnis:<br />
Einleitung………………………………………………………………………………...........<br />
1 <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> ein (<strong>moderner</strong>) Mythos?.........................................................................<br />
1.1 Der klassische Mythos …………………………………………………………………..<br />
1.2 <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Episode IV – Die Heldenfahrten des Luke Skywalker……………………<br />
1.2.1 Das Setting – Exposition…………………………………………………………….<br />
1.2.2 Die Berufung………………………………………………………………………….<br />
1.2.3 Der Mentor und der metaphysische Überbau………………………………………<br />
1.2.4 Die Schwelle………………………………………………………………………………<br />
1.2.5 Die Flucht……………………………………………………………………………….<br />
1.2.6 Die finale Schlacht…………………………………………………………………….<br />
1.2.7 Die Rückkehr über die Schwelle………………………………………………………..<br />
1.2.1 Zusammenfassung…………………………………………………………………..<br />
S. 4<br />
S. 6<br />
S. 6<br />
S. 10<br />
S. 10<br />
S. 12<br />
S. 13<br />
S. 15<br />
S. 22<br />
S. 24<br />
S. 25<br />
S. 26<br />
2 Die Folgen <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> …………………………………………………………………. S. 29<br />
2.1 Strategien des Blockbusterkinos……………………………………………………………. S. 35<br />
3 Eine kurze Geschichte des Pop………………………………………………………………….. S. 46<br />
4 Hermeneutische Analyse der <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Narration ……………………………………. S. 55<br />
4.1 Interaktivität – Erzählperspektive, Entfaltung, Identifikation und Kameraführung…. S. 66<br />
4.2 Die substantialistische Gesellschaftsform – Authentizität……………………………. S. 67<br />
4.3 Verwiesenheit auf und Organisation der Gesellschaft – Patchwork-Gesellschaft……….. S. 67<br />
4.4 Perspektive Zukunft…………………………………………………………………………. S. 68<br />
4.5 Aufbruch durch Technik – Nutzung der Technik ………………………………………….. S. 69<br />
4.6 Held der Familie – Idealismus……………………………………………………………….. S. 69<br />
4.7 Mentor - Lernen – funktionaler Individualismus………………………………………….. S. 70<br />
4.8 Team – Community………………………………………………………………………. S. 71<br />
4.9 Wo was ‘los’ ist - Spaß …………………………………………………………………… S. 72<br />
4.10 Die Macht – Kultur der <strong>Popkultur</strong>………………………………………………………. S. 74<br />
4.11 Warencharakter – struktureller Wandel………………………………………………. S. 76
5 <strong>Popkultur</strong>……………………………………………………………………………………….<br />
5.1 Interaktivität………………………………………………………………………………….<br />
5.2 Authentizität………………………………………………………………………………….<br />
5.3 Patchwork-Gesellschaft…………………………………………………………………..<br />
5.4 Perspektive Zukunft………………………………………………………………………..<br />
5.5 Technik………………………………………………………………………………………<br />
5.6 Idealismus………………………………………………………………………………………..<br />
5.7 Funktionaler Individualismus………………………………………………………………….<br />
5.8 Team oder Community?..............................................................................................<br />
5.9 Eudaimonia (Spaß)……………………………………………………………………………<br />
5.10 Kultur der <strong>Popkultur</strong>………………………………………………………………………….<br />
5.11 Warencharakter und struktureller Wandel ……………………………………………<br />
S. 78<br />
S. 78<br />
S. 79<br />
S. 80<br />
S. 82<br />
S. 84<br />
S. 85<br />
S. 86<br />
S. 87<br />
S. 89<br />
S. 90<br />
S. 92<br />
6 Quo Vadis, <strong>Popkultur</strong>?....................................................................................................<br />
S. 95<br />
Literaturverzeichnis…………………………………………………………………………………… S. 97
Einleitung<br />
<strong>Popkultur</strong> ist ein schillernder Begriff. Ein Begriff der heute aus unserem alltäglichen Leben<br />
kaum mehr wegzudenken ist. In den westlichen, postindustriellen Gesellschaften erweist es<br />
sich durchaus als schwierig einen Tag zu erleben, ohne ein Popprodukt wahrzunehmen. Pop<br />
ist quasi allgegenwärtig: Fernsehen, Internet, Kino, Radio, Zeitschriften, Zeitungen,<br />
Litfasssäulen, Werbebanner, Werbeplakate, Kleidung, Autos, Einkaufszentren usw. Alles ist<br />
durch Pop infiziert. Aber was ist und woher kommt Pop? Lebt Pop den amerikanischen<br />
Traum vom bösen Stiefkind zum heiß begehrten Liebling? Ist Pop nur der uramerikanische<br />
Weg des Lebens? Wieso funktioniert Pop dann global und vereint die Menschen<br />
unterschiedlichster Kulturkreise unter sich? Ist Pop überhaupt real oder ist es nur ein<br />
Mythos?<br />
Wie kann es sein, dass etwas, dass noch vor wenigen Jahren als Kultur des Proletariats,<br />
also als so genannte ‚Lo-Culture’ gehandelt wurde, so viel positive Dynamik entwickelt, dass<br />
es sich quasi zu einer eigenständigen Kulturform zu entwickeln vermochte? Hat da jemand<br />
nicht aufgepasst? Woher stammt die <strong>Popkultur</strong> und wie weit ist sie vorangeschritten? Hat<br />
<strong>Popkultur</strong> das Potential zu einer Art globaler Leitkultur oder ist die <strong>Popkultur</strong> möglicherweise<br />
bereits die globale Leitkultur?<br />
Fragen wie diese stellen sich unweigerlich, wenn man die Phänomene Pop und <strong>Popkultur</strong><br />
betrachtet. Antworten, die <strong>zur</strong> vollsten Zufriedenheit führen, sucht man vergebens. Sie<br />
werden auch nicht in dieser Arbeit zu finden sein. Für finale Antworten ist die <strong>Popkultur</strong> viel<br />
zu unstet. Zu schnell der Wandel der Mode, der Trends, der Stimmung, als das empirisch<br />
abgesicherte Schlüsse aus den zuweilen sehr kurzlebigen Phänomenen der <strong>Popkultur</strong><br />
gezogen werden könnten. Dennoch versuche ich mit dieser Arbeit der <strong>Popkultur</strong> eine Kontur<br />
abzugewinnen. Eine weitergehende Betrachtung <strong>von</strong> Popphänomenen zeigt, dass sie<br />
strukturelle Gemeinsamkeiten aufweisen, die scheinbar allen Popphänomenen, auf lokaler,<br />
wie auf globaler Ebene, zueigen sind. Auf lokaler Ebene zeigen sie sich tendenziell mehr<br />
indiviualistisch ausgeprägt, während sie auf globaler Ebene tendenziell gesellschaftlicher<br />
orientiert, bis hin zum Mainstream, sind.<br />
Ausgangspunkt dieser Untersuchung waren mehrere Seminare an der pädagogischen<br />
Fakultät der Universität Bielefeld, in denen moderne <strong>Mythen</strong> mit den Mitteln der strukturalen<br />
Hermeneutik in Verbindung mit komparativen Analysen im Stile der ‚Grounded Theory’<br />
untersucht wurden. Unsere Leitfrage dabei war, wieso moderne <strong>Mythen</strong> in der jüngeren<br />
Vergangenheit eine derartige Konjunktur erfahren konnten. Die These ist, dass moderne<br />
<strong>Mythen</strong> in ihrer Narration ein gesellschaftliches Grundbedürfnis aufgreifen, das <strong>von</strong> der<br />
<strong>Popkultur</strong> eo ipso befriedigt werden kann: die Teilhabe <strong>von</strong> Jedermann an kulturellen<br />
4
Entstehungsprozessen. Als konkrete Grundlage der vorliegenden Untersuchung fungiert der<br />
Film <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Episode IV – Eine neue Hoffnung, der hier im gleichen Stil hermeneutisch<br />
analysiert wurde.<br />
Die Untersuchung beginnt mit einer kurzen Skizze des klassischen Mythos, gefolgt <strong>von</strong><br />
einem Gang durch die Narration des Films, bei der die mythischen Elemente<br />
herausgearbeitet werden. Anschließend werden die Folgen <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> auf das<br />
Hollywoodkino beschrieben. Danach folgt eine kurze Geschichte des Pop, mittels der<br />
grundlegende Elemente <strong>von</strong> Pop beleuchtet werden sollen. Im Anschluss daran wendet sich<br />
die Arbeit erneut der Narration <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> zu, um einen Begriffsapparat zu entwickeln,<br />
der schließlich eine Kontur der <strong>Popkultur</strong> zu zeichnen versucht.<br />
Ohne die vielen inspirierenden Gespräche und Diskussionen in den Seminaren, wäre diese<br />
Untersuchung nicht zustande gekommen. Mein besonderer Dank gilt daher den<br />
Studierenden der Seminare <strong>zur</strong> strukturalen Filmanalyse und der <strong>Dekodierung</strong> <strong>moderner</strong><br />
<strong>Mythen</strong>.<br />
5
1 <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> ein (<strong>moderner</strong>) Mythos?<br />
George Lucas wollte mit <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> „…einen Film machen, der die zeitgenössische<br />
Mythologie fördern und gleichzeitig eine neue Art <strong>von</strong> Moral verkünden sollte.“ 1 Das Zitat<br />
wirft Fragen auf. Was ist ein Mythos? Was ist zeitgenössische Mythologie? Wer braucht im<br />
aufgeklärten Zeitalter der postindustriellen Gesellschaft eine Mythologie? Welche Art <strong>von</strong><br />
Moral will Lucas verkünden? Um diese Fragen näher zu beleuchten werfe ich zunächst einen<br />
Blick auf den klassischen Mythos.<br />
1.1 Der klassische Mythos<br />
<strong>Mythen</strong> sind die ältesten überlieferten ‚Dokumente’ der Menschheitsgeschichte. Sie finden<br />
sich in allen Kulturen der Menschheit wieder. Namen, wie der des sumerischen ‚Gilgamesch’<br />
Mythos, ‚Ilias’ und ‚Odyssee’ aus der griechischen Mythologie, aber auch das ‚Rolandslied’<br />
und ‚Beowulf’, die zu dem nordeuropäischen <strong>Mythen</strong>stamm gerechnet werden, sind uns<br />
mehr oder weniger geläufig. Seit ihrer Entstehung wurden sie immer wieder an nachfolgende<br />
Generationen weitergereicht. Sie bildeten das Fundament der Kultur in deren Entstehungszusammenhang<br />
sie entworfen und verbreitet wurden.<br />
Mythos bedeutet zu deutsch: Wort, Rede, Erzählung. Die Übersetzung deutet damit bereits<br />
darauf hin, dass ein Mythos nicht empirische Tatsachen spiegelt, sondern eher einem<br />
fiktionalen Ursprung zu entstammen scheint. Karen Armstrong definiert Mythologie als eine<br />
„…eine Kunstform, die über die Geschichte hinaus auf das Zeitlose der menschlichen<br />
Existenz verweist und uns hilft, jenseits des chaotischen Flusses zufälliger Ereignisse den<br />
Kern der Wirklichkeit zu erfassen.“ 2<br />
Mit einem Mythos wird die unmittelbare Wirklichkeit<br />
transzendiert und der Blick auf die unabänderlichen allgemeinen Tatsachen des Lebens und<br />
des Todes gerichtet. D.h. ein Mythos dient nicht allein der reinen Unterhaltung, sondern er<br />
erfüllt auch eine bestimmte Funktion. Armstrong hat diese Funktion in fünf Punkte<br />
differenziert:<br />
„Die Gräber der Neandertaler zeigen uns fünf wichtige Dinge über <strong>Mythen</strong>.<br />
Erstens: Sie erwachsen fast immer aus der Erfahrung des Todes und der Angst vor<br />
Auslöschung.<br />
Zweitens: Die Tierknochen lassen darauf schließen, dass eine Beisetzung mit einem Opfer<br />
einherging. Mythologie ist in der Regel untrennbar mit Ritualen verbunden. …<br />
Drittens: … Die stärksten <strong>Mythen</strong> befassen sich mit Extremen, sie zwingen uns, über unsere<br />
Erfahrung hinauszugehen. Es gibt Momente, in denen wir alle auf die eine oder andere<br />
Weise völlig unbekanntes Terrain betreten und etwas tun müssen, was wir noch nie getan<br />
1 Pollock, D., 1983, S. 91<br />
2 Armstrong, K, 2005, S. 13<br />
6
haben. <strong>Mythen</strong> handeln <strong>von</strong> Unbekanntem, <strong>von</strong> Dingen, für die wir anfangs keine Worte<br />
haben. Der Mythos eröffnet also den Zugang in ein großes Schweigen.<br />
Viertens: Ein Mythos ist keine Geschichte, die um ihrer selbst willen erzählt wird. Er zeigt<br />
uns, wie wir uns verhalten sollen. … Richtig verstanden, versetzt uns Mythologie in die<br />
geeignete spirituelle oder psychische Haltung, um in dieser oder der nächsten Welt korrekt<br />
zu handeln.<br />
Fünftens: Jede Mythologie spricht <strong>von</strong> einer anderen Ebene, die neben unserer Welt existiert<br />
und sie in gewisser Weise trägt. Der Glaube an diese unsichtbare, aber mächtigere Realität,<br />
die man zuweilen auch als Welt der Götter bezeichnet, ist ein Grundthema der Mythologie.<br />
… Nach dieser ewigen Philosophie besitzt alles, was in dieser Welt geschieht, alles, was wir<br />
hier auf Erden hören und sehen können, eine Entsprechung im Reich des Göttlichen, das<br />
großartiger, stärker und dauerhafter ist als unseres. Jede irdische Realität ist nur ein blasser<br />
Abglanz ihres Archetyps, eine unvollkommene Kopie des Originals.“ 3 Die Differenzierung <strong>von</strong><br />
Armstrong korrespondiert mit den vier Funktionen, die Joseph Campbell für <strong>Mythen</strong><br />
ausgemacht hat:<br />
1. Die mystische Funktion: „… die Erkenntnis, was für ein Wunder das Weltall ist und was für<br />
ein Wunder man selbst ist, und das Erlebnis der Ehrfurcht vor diesem Geheimnis. " 4<br />
2. Die kosmologische Funktion: „… die Dimension mit der sich die Wissenschaft befasst,<br />
indem sie zeigt, welche Gestalt das Universum hat, aber es so zeigt, dass das Geheimnis<br />
wieder durchscheint.“ 5 <strong>Mythen</strong> zeigen die Gestalt des Universums hingegen so, dass ein<br />
Geheimnis <strong>zur</strong>ückbleibt.<br />
3. Die gesellschaftsbezogene Funktion: „… das Stützen und Bestätigen einer bestimmten<br />
Gesellschaftsordnung. Und in diesem Punkt unterscheiden sich die <strong>Mythen</strong> <strong>von</strong> Ort zu Ort<br />
ganz ungemein. … Es kommt darauf an, wo man lebt.“ 6 Hier übernehmen <strong>Mythen</strong> also eine<br />
ethische Funktion, wobei sie klären, „… wie das Leben in einer guten Gesellschaft sein<br />
sollte.“ 7<br />
4. Die pädagogische Funktion. Mittels dieser Funktion klären <strong>Mythen</strong>, „…wie man unter allen<br />
möglichen Umständen ein menschliches Leben führt.“ 8 Der Mythos übernahm also ganz<br />
allgemein gesprochen, in einer Welt, die keine Wissenschaft, keine empirischen Beweise<br />
und keine (staatliche) Gesetzgebung kannte, eine Orientierungsfunktion für das soziale<br />
Zusammenleben. Transportiert wurden <strong>Mythen</strong> zunächst durch Geschichtenerzähler, die<br />
dem zufälligen Werden und Vergehen im Lauf der Welt Struktur gaben. Etablierte sich ein<br />
Mythos wurde er <strong>zur</strong> Religion. Campbell hat <strong>Mythen</strong> einer vergleichenden Betrachtung<br />
3 Armstrong, K, 2005, S. 9 f.<br />
4 Campbell, J., 1994, S. 42<br />
5 Ebd.<br />
6 Ebd.<br />
7 Ebd.<br />
8 Ebd.<br />
7
unterzogen und gelangte zu dem Ergebnis, dass sämtlichen <strong>Mythen</strong>, ein universales Muster<br />
zugrunde liegt. In diesem Zusammenhang spricht Campbell auch vom Monomythos. „Der<br />
Weg, den die mythische Abenteuerfahrt des Helden normalerweise beschreibt, folgt, in<br />
vergrößertem Maßstab, der Formel, wie die Abfolge der rites de passage sie vorstellt:<br />
Trennung – Initiation – Rückkehr, einer Formel, die der einheitliche Kern des Monomythos<br />
genannt werden kann.“ 9 Campbell sieht die ‚rites de passage’, die Darstellung der Heldenoder<br />
Abenteuerfahrt als zirkulär an, wie das folgende Schaubild verdeutlicht.<br />
Überquerung<br />
der Schwelle<br />
Ruf<br />
Bruderkampf<br />
Elixier<br />
Kampf<br />
Helfer<br />
Mit dem Drachen<br />
Rückkehr<br />
Zerstückelung<br />
Auferstehung<br />
Kreuzigung SCHWELLE Rettung<br />
Entführung<br />
Kampf an der Schwelle<br />
Nacht- und Seefahrt<br />
Wunderfahrt<br />
Prüfungen<br />
Bauch des Walfischs<br />
Flucht<br />
Helfer<br />
1. HEILIGE HOCHZEIT<br />
2. VERSÖHNUNG MIT DEM VATER<br />
3. APOTHEOSE<br />
4. RAUB DES ELIXIERS 10<br />
Der Held erhält im klassischen Mythos zunächst einen Ruf, dem er unweigerlich folgen<br />
muss. Folgt er ihm nicht, käme es <strong>zur</strong> Katastrophe. Sobald der Held sich auf den Weg<br />
macht, begegnet er alsbald einem Helfer oder Mentor, der ihm <strong>zur</strong> Seite steht, seinen<br />
Horizont öffnet und mit einem Talisman versorgt. So gewappnet dringt der Held bis zu einer<br />
Schwelle vor, an der er diverse Kämpfe und Prüfungen zu bestehen hat. Unterwegs trifft er<br />
unter Umständen auf weitere Helfer, bis er <strong>zur</strong> Klimax der Abenteuerfahrt vordringt, die sich<br />
in der heiligen Hochzeit, der Versöhnung mit dem Vater, einer Apotheose oder dem Raub<br />
eines Elixiers ausdrückt. Anschließend erfolgt die Flucht und der Held kehrt über die<br />
Schwelle <strong>zur</strong>ück, an der er wiederum existentielle Kämpfe bestehen muss. Nach seiner<br />
heilen Rückkehr über die Schwelle sieht sich der Held mit der Problematik des Alltagslebens<br />
konfrontiert. „Das erste Problem des heimkehrenden Heros ist es, dass er nach der<br />
Erfahrung der seelenstillenden Vision der Erfüllung die vergänglichen Freunden und Leiden,<br />
9 Campbell, J., 1999, S. 36<br />
10 Vgl. Campbell, J., 1999, S. 237<br />
8
Banalitäten und lärmvollen Gemeinheiten des Lebens wieder als real betrachten soll.“ 11<br />
Nachdem der Held des Mythos alle Schwierigkeiten überwunden hat, kehrt er <strong>zur</strong>ück zu<br />
seinesgleichen. Aber er hat sich verändert. Für Campbell ist es ausgemacht, kein Mensch<br />
könne <strong>von</strong> einer solchen Heldenfahrt <strong>zur</strong>ückkehren und „… sich im Ernst wieder als Mr. Sound-So<br />
aus dieser oder jener Stadt... betrachten. Gesellschaft und Pflichten fallen ab, und<br />
Mr. So-und-So, der den Menschen in sich entdeckt hat, wird in sich gekehrt und entrückt.“ 12<br />
Diesen Status des ‚Entrückt-Seins’ konzediert Campbell als notwendigen Bestandteil der<br />
Heldenfahrt, der aber noch nicht das letzte Ziel der Heldenfahrt ist. „Der Zustand ist der des<br />
Narziß über der Quelle und des sinnenden Buddha unter dem Baum. Das endgültige Ziel ist<br />
nicht diese Erschauung des Wesens, sondern das Innewerden, dass man selber es ist. Dann<br />
ist man frei, als dieses Wesen in die Welt zu gehen. …Wo immer man hingehen, was immer<br />
man tun mag – man bleibt bei sich selbst, wenn das innere Auge <strong>zur</strong> Vollkommenheit<br />
gebildet ist…“ 13 In diesem idealen Höhepunkt der Heldenfahrt findet sich also die letzte<br />
Funktion, die Campbell dem Mythos attestiert. Der Held lebt erleuchtet unter den Menschen,<br />
sofern er nicht erneut ins Abenteuer aufbricht. Und so ist vorstellbar, dass der in sich<br />
ruhende Held seine Geschichte den Menschen weitergibt, zu denen er <strong>zur</strong>ückgekehrt ist. Der<br />
Held selbst wird nun <strong>zur</strong> Erzählerfigur und damit zum Mentor derjenigen, die an seinen<br />
Abenteuern teilhaben. Damit wird die pädagogische Funktion des Mythos in den Mythos<br />
selbst implementiert. In Form einer parasozialen Transaktion wird nun sichtbar, dass der<br />
Rezipient des Mythos so in den Umkreis des Mythos gestellt ist, dass er selbst einer<br />
derjenigen ist, der als normaler Mensch teilnehmender Beobachter der Erzählung des<br />
Helden ist. Das Vorbild des Helden kann er nun übernehmen, sofern er dem Held nacheifert,<br />
indem er sein Leben als Heldenfahrt begreift in dem er schlicht ‚unter allen Umständen<br />
menschlich bleiben’ soll.<br />
Der <strong>von</strong> Campbell gezeichnete Weg des Helden diente Lucas, für die narrative Entwicklung<br />
des <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universums als Grundlage.<br />
11 Campbell, J., 1999, S. 210<br />
12 Ebd., S. 369<br />
13 Ebd.<br />
9
1.2 <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Episode IV – Die Heldenfahrten des Luke Skywalker<br />
1.2.1 Das Setting - Exposition<br />
<strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> besticht in erster Linie durch audiovisuelle Effekte, die das Publikum in den 70er<br />
Jahren aus ihren Kinosesseln direkt in eine andere Galaxis katapultierten. Bereits die<br />
Eröffnungsszene, in der zwei scheinbar endlos lange Raumschiffe über die Leinwand gleiten<br />
sorgt dafür, dass der Zuschauer vom ersten Augenblick an audiovisuell in den Bann des<br />
Films gezogen wird. In der ersten Szene fliegen zwei Raumschiffe über die Leinwand, <strong>von</strong><br />
denen insbesondere das zweite die ganze Leinwand für Augenblicke ausfüllt, während es<br />
am Auge des Beobachters vorbei zieht. „Die wichtigste Szene in Krieg der Sterne war<br />
zweifellos die erste. Der eindrucksvolle Sternenzerstörer würde dem Film entweder zum<br />
Durchbruch verhelfen oder ihn ganz kaputt machen.“ 14 Die Reaktionen auf den Film zeigen,<br />
dass die Szene funktioniert hat. Dean Devlin, Autor <strong>von</strong> ‚Independance Day’ merkte zu<br />
dieser Szene an: „Als es dann vorübergeflogen war, flippte das Publikum aus. Ich flippte aus.<br />
Und ich wusste, was ich für den Rest meines Lebens tun wollte.“ 15 Ähnlich urteilte auch<br />
Schauspieler Robin Williams über die Eröffnungsszene: „Mann, ich weiß noch genau, als<br />
dieses gigantische Raumschiff über die Leinwand donnerte, <strong>von</strong> da an ging es rund –<br />
wroom! Und ich dachte nur: ‚Heiliger Jesus!’“ 16 <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> ist es gelungen die<br />
Glaubwürdigkeit dieser phantastischen Welt über die Länge des Films beizubehalten. Neben<br />
den audiovisuellen Schauwerten trägt die Struktur der Narration entscheidend dazu bei. 17<br />
Darüber hinaus tritt ein einfacher visueller Effekt hinzu, der das <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universum <strong>von</strong><br />
vorn herein glaubhaft erscheinen lässt. <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> spielt in einem ‚schmutzigen’ und<br />
gebrauchten Universum. Auf diese Weise erwecken die unbekannten Welten bei den<br />
Zuschauern einen gewissen Grad an Vertrautheit, dessen Lucas bedurfte um seine Story<br />
ohne große Erklärungen zu erzählen. „Als der Film herauskam, empfanden die Zuschauer<br />
die Handlungsentwicklung <strong>von</strong> Krieg der Sterne als sehr, sehr schnell…erläuterte Lucas<br />
später … Das liegt zum Teil daran, dass man in eine Welt eingeführt wird, die man nie zuvor<br />
gesehen hat. Der Film tut aber so, als ob es sich um eine allseits bekannte Welt handelt, so<br />
dass sich jede weitere Einführung erübrigt und ich nicht erst erklären muss, was ein Droide<br />
und so weiter ist.“ 18<br />
14 Pollock, D., 1983, S. 117<br />
15 Leva, G., 2004, (00:03:09 – 00:03:15)<br />
16 Manthey, D., Altendorf, J., 1997, S. 108<br />
17 „Formal betrachtet wird der Film, …, stärker durch seinen geradlinigen Plot getragen, denn durch<br />
seine grob skizzierten ‚Märchenfiguren’. Mindestens ebenso aber durch die Fülle <strong>von</strong> optischen und<br />
akustischen Tricks, die den Zuschauer an einem bis dato unbekannten Maß kinetischer Bewegungsund<br />
immersiver Geschwindigkeitseffekte teilhaben lassen.“ Blanchet, R., 2003, S. 147<br />
18 Hearn, M., 2005, S. 112<br />
10
Im Anschluss an die explosive Eröffnungsszene entfaltet Lucas eine kurze Exposition mittels<br />
einer Erzähltechnik, die er aus Akiro Kurosawas Film ‚Die verborgene Festung’ entlehnt hat.<br />
Der Film wird vorerst aus der Perspektive zweier Nebenfiguren, der beiden Roboter C3-PO<br />
und R2-D2, erzählt. „Das Zusammenspiel der beiden Androiden orientiert sich an ihren<br />
menschlichen Vorbildern Stan Laurel und Oliver Hardy. Die goldene Lackierung erinnert an<br />
die Maria aus Fritz Langs Metropolis (1926). Doch im Gegensatz zu dieser lasziven<br />
Verführerin verhält sich der ständig nervöse Dolmetscher [C-3PO] wie ein snobistischer<br />
Butler. … R2-D2 hingegen kommuniziert nur über sehr ausdrucksstarke elektronische<br />
Pieptöne und verbirgt in seinem tonnenförmigen Körper mehr Gimmicks als ein Schweizer<br />
Offiziersmesser.“ 19<br />
Nachdem die Raumschiffe in der Eröffnungsszene über die Leinwand gezogen sind, blendet<br />
der Film in das verfolgte Raumschiff, in dem wir den beiden Robotern begegnen. Das<br />
Raumschiff wird <strong>von</strong> den Truppen des Imperiums geentert und die Roboter können in einer<br />
Rettungskapsel fliehen. Kurz vor ihrer Flucht hat R2-D2 <strong>von</strong> Prinzessin Leia einen Auftrag<br />
erhalten, der nicht näher beschrieben wird. Die Rettungskapsel landet schließlich auf dem<br />
öden Wüstenplaneten Tatooine mitten im Nichts. Die beiden Roboter stolpern zankend durch<br />
den Sand des Wüstenplaneten, bis sie auf Luke Skywalker, der späteren Heldenfigur des<br />
Films, treffen.<br />
Skywalker begegnet uns in diesem unbekannten bekannten Universum als knapp zwanzigjähriger,<br />
blonder, blauäugiger, agiler, weißgewandeter Bauernjunge, der mitten im Nichts<br />
wohnt. Sein bloßes äußeres Erscheinungsbild erweckt den Verdacht, dass in ihm ein<br />
zukünftiger Held schlummern könnte: Er strahlt Unschuld, Aufrichtigkeit, Dynamik und Kraft<br />
aus. Bei seinem ersten Auftritt ist er allerdings alles andere als ein Held. Das illustrieren<br />
seine ersten Dialoge nachdrücklich. Skywalker hängt mit dem Kopf in den Wolken, aber<br />
seine Pantoffeln stehen unter dem Tisch des Hausvorstands, seines Onkels Owen Lars.<br />
Dessen Anweisungen hat er sich zu fügen und, wenn auch widerwillig, er fügt sich ihnen. Ein<br />
Held muss Skywalker erst einmal werden. Der Held ist „…der Mensch, ob Mann oder Frau,<br />
der fähig war, sich über seine persönlichen und örtlich-historischen Grenzen<br />
hinauszukämpfen zu den allgemein gültigen, eigentlich menschlichen Formen. Seine<br />
Visionen, Ideen und Eingebungen kommen unverdorben <strong>von</strong> den Urquellen menschlichen<br />
Lebens und Denkens.“ 20 Mit diesem Ausgangsszenario ist das Setting gesetzt, die Exposition<br />
abgeschlossen und die Bühne für die Heldenfahrt bereitet.<br />
19 Koebner, T. (Hg.), 2003, S. 304<br />
20 Campbell, J., 1999, S. 26<br />
11
Für George Lucas ist Luke Skywalker mehr, als nur der Held seiner<br />
Geschichte. Er ist sein Identifikationssubjekt. „…Luke ist sicher der Held, mit<br />
dem ich mich identifiziere.“ 1 Diese Identifikation geht über die Namensgebung<br />
des Helden hinaus. 1 Luke Skywalker Darsteller Mark Hamill hat diese<br />
Ähnlichkeit erkannt und sie sich bei der Darstellung des Luke Skywalker<br />
zunutze gemacht. „Bei den Dreharbeiten in Tunesien ließ Hamill sogar Lucas’<br />
Gestik und Aussprache in seine Auftritte einfließen.“ 1 Im übertragenen Sinn<br />
lässt sich sagen, dass die Heldenfahrt in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong>, die Heldenfahrt des<br />
‚George Lucas Skywalker’ ist.<br />
1.2.2 Die Berufung<br />
Mit dem Auftritt <strong>von</strong> Luke Skywalker nimmt die Story Fahrt auf und der Film wechselt seine<br />
Erzählperspektive <strong>von</strong> den Robotern zu Luke Skywalker. Bei der Reinigung <strong>von</strong> R2-D2 stößt<br />
Skywalker zufällig auf das Bruchstück eines Hilferufs <strong>von</strong> Prinzessin Leia Organa, die der<br />
Roboter per Hologramm abspielt. Skywalker fühlt sich zu der Prinzessin spontan hingezogen<br />
und will mehr erfahren. Mit ihrer Optik und ihrem Hilfegesuch leistet sie alles notwendige, um<br />
den männlichen Beschützerinstinkt in Skywalker zu wecken, der mit all seiner Naivität<br />
überhaupt keine Ahnung da<strong>von</strong> hat, woran er geraten ist.<br />
Die Figur der Prinzessin hat im klassischen Mythos eine bestimmte Funktion. „Sie ist der<br />
Inbegriff aller Schönheit, die Antwort auf alles Begehren, das beseligende Ziel jeder irdischen<br />
und unirdischen Heldenfahrt. Sie ist Mutter, Schwester, Geliebte und Braut. Was immer in<br />
der Welt gelockt, was immer Freude versprochen hat, war ein Hinweis auf ihre Existenz,<br />
sei’s in der Tiefe des Schlafes, sei’s in den Städten und Wäldern der Erde. Denn sie ist die<br />
Inkarnation des Versprechens der Vollkommenheit, die Gewißheit der Seele, dass sie am<br />
Schluß ihres Exils in einer Welt kreatürlicher Unvollkommenheit wieder die verlorene<br />
Seligkeit schmecken wird: die bei der zärtlichen, nährenden, >>guten
Luke Skywalker wendet sich dieser Aufgabe aber erst im weiteren Verlauf der Story zu.<br />
Zunächst ist er daran interessiert seine häuslichen Pflichten zu erfüllen. Er weigert sich lange<br />
dem Ruf hinaus in die Welt zu folgen. Auch dieses Zögern ist nicht ohne Funktion. Mit<br />
diesem Zögern verbindet sich die Loyalität gegenüber seiner Familie und illustriert so<br />
nachdrücklich sein ‚gutes Wesen’. Die Interessen der Familie geraten in Konflikt mit äußeren<br />
Interessen, aber die Loyalität gegenüber der Familie wiegt die Verlockung des Abenteuers<br />
auf. „Die <strong>Mythen</strong> und Sagen der ganzen Welt legen übereinstimmend Zeugnis dafür ab, dass<br />
die Weigerung wesentlich in der Hartnäckigkeit des Individuums besteht, das nicht fahren<br />
lassen will, was es für sein eigenes Interesse hält.“ 23<br />
Mit den beiden Robotern haben die äußeren Interessen aber bereits Einzug gehalten in Luke<br />
Skywalkers beschauliches Leben. R2-D2 ist in einem unbeobachteten Moment geflohen.<br />
3PO berichtet, dass die Hologramm Botschaft für Obi Wan Kenobi bestimmt war und R2-D2<br />
sich auf dem Weg zu Kenobi gemacht hat, um ihm die Botschaft zu übermitteln. Zu Wahrung<br />
des häuslichen Friedens, muss der ‚Held im Wartezustand’ sich auf die Suche nach dem<br />
Roboter machen und folgt damit unbewusst dem Ruf. Als er den Roboter schließlich wieder<br />
findet, trifft er alsbald auch auf Kenobi, seinen späteren Mentor.<br />
1.2.3 Der Mentor und der metaphysische Überbau<br />
„Lucas beschrieb Obi-Wan als bedächtigen, intelligenten Mann mit noblen Absichten,<br />
freundlich und doch mächtig, eine Kreuzung aus Gandalf dem Zauberer in J.R.R. Tolkiens<br />
Herr der Ringe und dem Samuraikämpfer, den Toshiro Mifune häufig spielte. Ben war auch<br />
so eine Art Dr. Doolittle aus einer anderen Welt, er konnte mit Robotern und Wookies<br />
sprechen.“ 24 Obi Wan Kenobi oder auch Ben Kenobi genannt, klärt Luke Skywalker (und<br />
zugleich den Zuschauern) zuerst über dessen Herkunft auf und weist ihn dann, zunächst<br />
theoretisch, in die größeren, metaphysischen Zusammenhänge des <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universums<br />
ein. Kenobi erzählt unvermittelt <strong>von</strong> der Macht, „…eine durchaus religionsähnliche Message,<br />
die allerdings ohne Transzendenz auskommt … und damit in den 80er Jahren des<br />
aufgeklärten 20. Jahrhunderts perfekt goutiert werden kann. Es bedarf zwar eines Erlösers,<br />
aber er ist ganz und gar profan.“ 25 Diese ‚Offenbarung’ religiöser Natur taucht für die<br />
Zuschauer des Films genauso unerwartet und unvermittelt auf, wie für Luke Skywalker. Bis<br />
zu diesem Zeitpunkt sind sie in eine durch und durch technologisierte Umwelt eingetaucht.<br />
Mit der Offenbarung Kenobi’s wird in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> das Tor zu einer weiteren Dimension<br />
geöffnet, die den Film <strong>von</strong> der Masse der Science Fiction Filme, die bis dahin gedreht<br />
wurden, deutlich abhebt. Eine Zukunftsphantasie, der die Religion nicht nur nicht fremd ist,<br />
23 Ebd., S. 64<br />
24 Pollock, D., 1983, S. 99<br />
25 Faulstich, W., 2005, S. 270f.<br />
13
sondern, die, wie sich zeigen wird, im <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universum empirische Beweise ihrer<br />
Existenz und Funktionalität an den Tag legen wird. „Die Macht verbindet die passive<br />
orientalische Philosophie mit der jüdisch-christlichen Lehre <strong>von</strong> Verantwortung und Selbst-<br />
Aufgabe.“ 26 Ein Artefakt dieser Religion der Macht ist auch das Lichtschwert <strong>von</strong> Lukes<br />
Vater, das Kenobi verwahrt hat und Luke nun übergibt. Fortan wird Kenobi <strong>zur</strong> Figur des<br />
Mentors für Skywalker. Er weiht ihn in die Geheimnisse der Macht und wie sie angewendet<br />
werden kann ein. „Nicht selten erscheint der Helfer auch in männlicher Form. Im Märchen ist<br />
es oft ein kleiner Waldbewohner, ein Zauberer, Schäfer oder Schmied, der auftaucht, um<br />
dem Helden Rat oder Amulette für seine Abenteuer zu bringen.“ 27 Das Lichtschwert ist also<br />
das Amulett und Kenobi wird der Mentor. So gerüstet könnte Skywalker nun die Heldenfahrt<br />
antreten.<br />
Zunächst aber spielt Kenobi den Hilferuf der Prinzessin ganz ab, wobei auch ein Stück <strong>von</strong><br />
Kenobis eigener Vergangenheit enthüllt wird. Die Prinzessin bittet Kenobi, der den<br />
Zuschauern nun als Veteran der Klon-Kriege enthüllt wird, die Pläne, die in den Speicher <strong>von</strong><br />
R2-D2 geladen wurden zu ihrem Heimatplaneten zu bringen. Am Ende der Nachricht bittet<br />
Kenobi Skywalker, ihn bei der Mission die Pläne zu überbringen zu begleiten. Er selbst fühle<br />
sich zu alt für derartige Aufgaben. Diese Bitte lehnt Luke Skywalker aber ab, weil sein<br />
Augenmerk immer noch primär auf seinen Aufgaben zu Hause ruht. Trotzdem bietet er<br />
Kenobi Unterstützung an, indem er ihn in die nächste Siedlung bringen will. Der Zuschauer<br />
ahnt bereits, dass Luke Skywalkers Zukunft an diesem Punkt beschlossen ist.<br />
Die folgende Szene unterstützt diese Ahnung. Der Schauplatz wechselt. Im Gegenschnitt<br />
wird gezeigt, welche Kräfte der dunklen Seite der Macht <strong>zur</strong> Verfügung stehen. Die Größe<br />
der Bedrohung durch das galaktische Imperium wird zunächst dadurch angedeutet, dass das<br />
erste Mal der Todesstern gezeigt wird, vor dem die Prinzessin in ihrer Botschaft warnet. Vor<br />
dessen Silhouette erscheint selbst das riesige Raumschiff aus der Eröffnungsszene winzig.<br />
Die Machtfülle des Imperiums rührt aber nicht allein aus der technologischen Überlegenheit.<br />
Mit der Figur des Darth Vader wird das Böse schlechthin personifiziert. Er ist ganz in<br />
schwarz gekleidet, trägt einen Furchterregenden Helm, der sein Gesicht ganz verhüllt und<br />
wirkt vollkommen entmenschlicht. Unterstützt wird dieser Eindruck der Entmenschlichung<br />
durch die Geräusche eines Atemgerätes, das erklingt, sobald Vader im Bild erscheint. Vader<br />
ist ebenfalls dazu in der Lage, die Macht anzuwenden. Im Gegensatz zu Kenobi, der<br />
berichtete, dass Skywalker’s Vater <strong>von</strong> Vader getötet wurde, nutzt Vader die Macht, um<br />
seine Umgebung zu terrorisieren. Er hat sich ‚<strong>von</strong> der dunklen Seite der Macht verführen<br />
lassen’ wie Kenobi ausführte.<br />
26 Pollock, D., 1983, S. 90<br />
27 Campbell, J., 1999, S. 75<br />
14
Zurück auf Tattoine wird die Lage für Skywalker ungemütlicher. Auf dem Weg <strong>zur</strong> nächsten<br />
Siedlung, in die er Kenobi bringen will, bekommt er einen Hinweis, dass sein zu Hause<br />
überfallen wurde. Vor den Trümmern seiner einstigen Wohnstatt findet er die verkohlten<br />
Überreste seiner Stieffamilie. Mit einem Schlag sind seine häuslichen Pflichten vergessen<br />
und er schließt sich Kenobi an und folgt damit dem Ruf der Prinzessin.<br />
Mit Kenobi und den beiden Robotern hat Skywalker die ersten Helfer um sich versammelt,<br />
die ihm bei seiner Aufgabe unterstützend <strong>zur</strong> Seite stehen werden. Nun gilt es die Schwelle<br />
zu überschreiten, hinter der das Unbekannte lauert. Als ersten Schritt begeben sie sich zum<br />
Raumhafen Mos Eisley. Kenobi stellt ihn als den Ort des <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universums vor, der am<br />
meisten Abschaum und Verkommenheit birgt.<br />
1.2.4 Die Schwelle<br />
„Unter dem Schutz der Gestalten, in denen seine Bestimmung sich verkörpert, und mit ihrer<br />
Hilfe gelangt der Held im Verlauf seiner Abenteuer schließlich zu dem Torhüter, der am<br />
Eingang zu der Zone wacht, in der größere Kräfte am Werk sind.“ 28 Mos Eisley eröffnet sich<br />
dem Zuschauer als das postmoderne Spiegelkabinett schlechthin. Eine Westernstadt in der<br />
Wüste, die einen orientalischen Einschlag nicht verleugnen kann. Die Stadt ist bevölkert<br />
Kreaturen <strong>von</strong> tausenden <strong>von</strong> Welten aus dem <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universum und alle hinterlassen<br />
einen verschlagenen, hinterhältigen Eindruck. Zu allem Überfluss patrouillieren in den<br />
Straßen die Sturmtruppen des Imperiums. Bei ihrem Eintreffen in der Stadt kann Kenobi das<br />
erste Mal die Fähigkeiten der Macht unter Beweis stellen, indem er die Sturmtruppen, die<br />
jeden Neuankömmling überprüfen mental so beeinflusst, dass das Heldenquartett<br />
unbehelligt seines Weges ziehen kann. Das Erstaunen Skywalker’s bietet Kenobi erneut die<br />
Gelegenheit einer kurzen Lektion in Sachen Macht. Skywalker lernt auf diese Weise<br />
praktisch, quasi im Feld, und der Zuschauer erhält gleichfalls Einblicke in die Wirksamkeit<br />
der Macht.<br />
Von nun an wiederholt der Film einen bestimmten Erzählrhythmus, der die verschiedenen<br />
Stadien des Abenteuers umfasst und Skywalker’s Entwicklung anzeigt. Immer wieder<br />
geraten die Helden in einen Raum, in dem sie Schwierigkeiten bekommen und Aufgaben<br />
lösen müssen, um wieder herauszukommen. Diese Räume werden <strong>von</strong> Campbell als ‚Bauch<br />
des Walfisches’ klassifiziert. „Die Vorstellung, dass die Überquerung der magischen<br />
Schwelle in eine Sphäre der Wiedergeburt führt, findet in der ganzen Welt ihre Darstellung<br />
im Bild des Walfischbauches, das in der Tat Symbol des Mutterschoßes ist. Anstatt die<br />
28 Campbell, J., 1999, S. 79<br />
15
Mächte der Schwelle zu besiegen oder niederzuschlagen, wird der Held ins Unbekannte<br />
geschlungen und scheint getötet zu sein.“ 29<br />
In der Kantina Bar, die Luke und Obi Wan in Mos Eisley als erstes betreten spielt eine Band<br />
auf absurden Instrumenten eine Mischung aus Swing und Dixi-Land Jazz. Übrigens das<br />
einzige Mal im Film, dass die Musik nicht <strong>von</strong> großer orchestraler Musik unterlegt wird. Das<br />
Ohr der Zuschauer, inzwischen auf den orchestralen Sound eingestielt, wird durch den<br />
Sound der Musik in der Bar irritiert, wodurch Situation in der Kantina noch befremdlicher<br />
wirkt. Luke versucht den selbstsicheren Habitus der Kreaturen vor Ort zu imitieren. Dies<br />
äußert sich jedoch in einer grotesken Mischung aus Coolness, Überheblichkeit und<br />
unfreiwilliger Komik, die Luke in Schwierigkeiten bringt, aus denen ihn Kenobi herausholen<br />
muss. Spätestens an diesem Punkt wird der Lernprozess den Luke Skywalker zu<br />
durchlaufen hat initiiert. Er kann in der ‚großen, weiten Welt’ mit dem Wissen seines<br />
bisherigen Lebens nicht länger überleben. Skywalker muss lernen. Seine Lernerfolge stellen<br />
die einzige Grundlage in der Entwicklung seiner Figur dar. Er durchläuft keine innere<br />
Wandlung seines Charakters, sondern lediglich eine äußere. Skywalker’s grundsätzliche<br />
Charakterzüge, die ihn bereits in seinem ersten Auftritt kennzeichneten bleiben über die<br />
ganze <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Trilogie hinweg vollkommen statisch. Dies betrifft seine Aufrichtigkeit,<br />
Dynamik, Kraft und in gewissem Grade auch seine Unschuldigkeit. Ihm widerfährt sein<br />
Schicksal und er nimmt es nur im Dienst der Sache in die Hand, der er sich verpflichtet fühlt.<br />
In der Kantina Bar stoßen Luke Skywalker und Ben Kenobi auf weitere Helfer: Chewbacca<br />
und Han Solo. Chewbacca ist ein hünenhaftes außerirdisches Wesen <strong>von</strong> zwei Meter<br />
Körpergröße. „Chewbacca war Lucas Phantasie entsprungen, als er eines Tages<br />
zugeschaut hatte, wie Marcia [Lucas’ Ehefrau] und Indiana [Lucas’ Hund] zusammen <strong>von</strong> zu<br />
Hause wegfuhren. Der Hund saß neben Marcia auf dem Vordersitz und wirkte wie eine<br />
riesige behaarte Kreatur aus einer anderen Welt.“ 30 Chewbacca ist eine Mischung aus<br />
Menschenaffen und Hund und er ist der Co-Pilot des ‚Rasenden Falken’, dem Raumschiff<br />
<strong>von</strong> Han Solo. Die Figur des Han Solo stellt den Gegenpart zu Luke Skywalker dar. Während<br />
Luke sich in erster Linie durch seine unerschütterliche Loyalität auszeichnet und damit als<br />
Heldenfigur in den 70er Jahren unzeitgemäß war, verkörpert Han Solo die Figur des<br />
Individualisten. „Han Solo ist ein Abenteurer mit Gefühl, ein Freibeuter, wie wir ihn seit den<br />
Filmtagen Errol Flynns oder den langen Winterabenden mit Robin Hood unter der Bettdecke<br />
nicht mehr erlebt haben. Der sympathische Schmuggler mit seinem Raumschiff, mit dem er<br />
ebenso vertraut ist, wie Lucky Luke mit seinem Pferd Jolly Jumper, sollte <strong>zur</strong> idealen<br />
29 Ebd., S. 91 f.<br />
30 Pollock, D., 1983, S. 102<br />
16
Identifikationsfigur für die Jugendlichen werden, die auch mal Fünfe gerade sein lassen,<br />
dennoch aber das Herz auf dem rechten Fleck haben.“ 31<br />
Kenobi engagiert Han Solo, Chewbacca und dessen Raumschiff für die Passage nach<br />
Alderaan, dem Heimatplaneten der Prinzessin. Auch in dieser Sequenz zeigt Luke Skywalker<br />
seinen jugendlichen Übermut, indem er Solo’s Preiskalkulation für die Reise in Frage stellt<br />
und die Verhandlungen abbrechen will. Kenobi hält ihn aber mit einem sehr bestimmten<br />
Handgriff <strong>zur</strong>ück, bevor die Verhandlungen eskalieren. Damit sind vorläufig alle Helfer<br />
versammelt, die Luke Skywalker auf seiner weiteren Heldenfahrt mehr oder weniger freiwillig<br />
unterstützen. Die Gruppe begibt sich im ‚Rasenden Falken’, immer verfolgt <strong>von</strong> den Truppen<br />
des Imperiums, auf die gefahrvolle Reise nach Alderaan.<br />
Nachdem die Helden vorübergehend in Sicherheit sind wird dem Zuschauer die wachsende<br />
Bedrohung durch das Imperium nachhaltig vor Augen geführt. Tarkin, der Gouverneur des<br />
Todessterns, scheinbar so etwas wie Vaders Vorgesetzter, will <strong>von</strong> der gefangenen<br />
Prinzessin die Lage des geheimen Stützpunktes der Rebellen erpressen. Zu diesem Zweck<br />
droht er ihr mit der Zerstörung ihres Heimatplaneten. Die Prinzessin resigniert und nennt<br />
einen Namen. Wie wir etwas später erfahren, war dieser Name falsch. Dessen ungeachtet<br />
setzt Tarkin die Demonstration der technologischen Machtfülle des Imperiums vor den<br />
Augen der Prinzessin fort, indem er vom Todesstern aus einen Laserstrahl abfeuern lässt,<br />
durch den der Planet Alderaan mit allen Bewohnern vernichtet wird. Auf diese Weise<br />
unterstreicht die Figur Tarkin die Bösartigkeit des Imperiums nachdrücklich. Obwohl er<br />
vermeintlich die Information bekommen hat, die er wollte, ist Tarkin skrupellos und gehässig<br />
genug diesen Genozid genüsslich zu zelebrieren.<br />
Zurück im ‚Rasenden Falken’ findet Kenobi trotz aller äußeren Gefahren Zeit, um Skywalker<br />
weiter in der Anwendung der Macht zu unterrichten. Trotz Solo’s spöttischem Gelächter<br />
erweist sich Luke als gelehriger Schüler. Er kämpft mit seinem Lichtschwert gegen eine frei<br />
im Raum schwebende Kugel, die Laserblitze auf ihn abfeuert. Diese Laserblitze soll<br />
Skywalker mit seinem Lichtschwert abwehren. Erschwert wird ihm diese Aufgabe dadurch,<br />
dass Kenobi ihn auffordert das Schutzvisier herunterzuklappen, so dass er nicht sehen kann.<br />
„Du hast den ersten Schritt in eine größere Welt getan.“ 32 , bemerkt Kenobi wohlwollend,<br />
nachdem Luke die Übung erfolgreich absolviert hat. Kenobi nutzt die Methode der positiven<br />
Verstärkung <strong>zur</strong> Unterweisung seines Schützlings und der Zuschauer erlebt in dieser Szene<br />
das erste Aufflackern der Macht in Luke Skywalker. Sofern die Identifikation mit dem Helden<br />
bis hierher erfolgreich verlaufen ist, kann seitens des Zuschauers sogar <strong>von</strong> einer<br />
31 Schulz, B. u. Loderhose, W., 1989, S. 39<br />
32 Lucas, G., 1977, 1997, 2004, (1:00:08 – 1:00:11)<br />
17
Identifikation mit der Macht in Form einer parasozialen Interaktion 33 gesprochen werden,<br />
durch die die Glaubwürdigkeit der mythischen Welt unterstrichen wird. „Nachdem der Held<br />
einmal die Schwelle überquert hat, bewegt er sich in einem Traumland, erfüllt <strong>von</strong> seltsam<br />
fließenden, mehrdeutigen Formen, wo er eine Reihe <strong>von</strong> Prüfungen zu durchstehen hat.<br />
Diese Phase des Abenteuers gehört zu denen, die die <strong>Mythen</strong>erzählungen besonders<br />
bevorzugen, so dass eine Weltliteratur entstanden ist über ihre Prüfungen und Gottesurteile.<br />
Der Held wird insgeheim gelenkt <strong>von</strong> den Ratschlägen, Amuletten und verborgenen Kräften<br />
des mystischen Helfers, den er vor seinem Eintritt in diesen Bereich getroffen hatte.<br />
Manchmal entdeckt er auch erst hier, dass es eine gnädige Macht gibt, die ihn überall auf<br />
seiner Fahrt ins Außermenschliche stützt.“ 34<br />
Bevor das Heldenensemble voll zum Einsatz kommt, wird noch einmal zum Todesstern<br />
<strong>zur</strong>ückgeblendet, wo Tarkin soeben die Exekution der Prinzessin beschließt, weil sie den<br />
geheimen Stützpunkt der Rebellen nicht verraten hat. Wenn die Rettung der Prinzessin<br />
überhaupt noch gelingen soll, müssen die Helden jetzt an dem Ort des Geschehens<br />
eintreffen. Genau das geschieht. Sie erreichen den Ort, wo kurz zuvor noch der Planet<br />
Alderaan seine Bahnen zog und werden per magnetischen Fangstrahl mitsamt dem<br />
‚Rasenden Falken’ vom Todesstern verschluckt. Imposanter ist bis dahin kaum ein<br />
Walfischbauch in Szene gesetzt worden.<br />
Von nun an überschlagen sich die Ereignisse. In vielen kleinen Episoden, die jeweils ein<br />
kleines Abenteuer für sich sind, wird die Flucht vom Todesstern und die Rettung der<br />
Prinzessin dargestellt. Während Kenobi sich auf den Weg macht, um den Fangstrahl<br />
auszuschalten, der den ‚Rasenden Falken’ am Todesstern fest hält, erfahren die übrigen<br />
Mitglieder des Heldenensembles, dass die Prinzessin im Todesstern gefangen gehalten<br />
wird. Auf Drängen <strong>von</strong> Luke Skywalker beschließen sie die Prinzessin zu befreien. In dieser<br />
Szene wird die Differenz zwischen Luke Skywalker dem vorbehaltlosen Idealisten und Han<br />
Solo dem individualistischen Materialisten deutlich pointiert. 35 Bei aller Gegensätzlichkeit<br />
ihrer Interessen finden die Helden ein gemeinsames Ziel, dass sie im Dialog erarbeiten:<br />
Skywalker will die Prinzessin retten, Solo will Geld verdienen, was er sich durch die<br />
Befreiung der Prinzessin zu verspricht bekommen.<br />
Das Heldentrio Skywalker, Solo und Chewbacca dringt immer weiter in die Bäuche des<br />
Walfisches vor. Zunächst in den Gefängnistrakt, wo sie die Prinzessin aus ihrer Zelle<br />
befreien. Anschließend fliehen sie in den Müllschacht, in den sie sich vor den anstürmenden<br />
33 „Darunter wird eine Beziehung zwischen Zuschauern und Darstellern im Medium verstanden, die<br />
die Illusion einer „face-to-face“-Beziehung erzeugt. Die Zuschauer verhalten sich gegenüber den<br />
Darstellern im Medium, also ob eine reale Beziehung im Alltag vorliegen würde.“ (Mikos, L. u.<br />
Wiedemann, D., 2000, S. 17 f.)<br />
34 Campbell, J., 1999, S. 97<br />
35 Lucas, G., 1977, 1997, 2004, (1:07:45 – 1:09:23)<br />
18
Sturmtruppen retten müssen. In dem Müllschacht, der das Motiv ‚Bauch des Walfischs’ am<br />
deutlichsten illustriert, durchläuft das zum Quartett angewachsene Trio eine Transformation.<br />
„Der Bauch ist der dunkle Ort, an dem die Verdauung geschieht und neue Energie erzeugt<br />
wird. … Es ist ein Abstieg in die Finsternis. Psychologisch verkörpert der Wal die im<br />
Unbewußten eingeschlossene Lebenskraft.“ 36 Im klassischen Mythos durchläuft der Held den<br />
Bauch des Walfisches alleine und wird daraus wiedergeboren. In <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> ist eine<br />
Wiedergeburt an dieser Stelle nicht unmittelbar zu erkennen. Luke Skywalker hat nur<br />
mittelbar zum Entkommen aus der Müllpresse beigetragen. Nur durch die Unterstützung <strong>von</strong><br />
C-3PO und R2-D2, die nach besten Kräften aus dem Hintergrund mittels der Beeinflussung<br />
der gegnerischen Technologie, halfen, konnte die Flucht schließlich gelingen.<br />
Da<strong>von</strong> abgesehen hat sich die Heldengruppe durch den Auftritt der Prinzessin nun<br />
verändert. Die Prinzessin schickt sich an die Führung zu übernehmen, wodurch die Story<br />
weiter angeschoben wird. War die Befreiung der Prinzessin bis hierher turbulent erzählt, wird<br />
sie nun völlig überdreht, nicht zuletzt durch die Prinzessin selbst, die alles andere als die<br />
sanftmütige Adelige ist, die im klassischen Mythos erscheint. „In der Bildersprache der<br />
<strong>Mythen</strong> stellt das Weib den Inbegriff des Wißbaren dar. Der Held ist derjenige, der zum<br />
Wissen gelangt. Wie er in dem langsamen Initiationsprozeß, der das Leben ist, fortschreitet,<br />
erfährt die Göttin für ihn eine Reihe <strong>von</strong> Verwandlungen, sie kann nie größer sein als er<br />
selbst, gleichwohl aber immer mehr versprechen, als er gerade zu fassen imstande ist. Sie<br />
lockt, leitet, und bittet ihn, seine Fesseln zu sprengen. Und wenn er ihrem Drängen<br />
entsprechen kann, können beide, der Wissende und das Gewusste, über alle Grenzen<br />
hinauswachsen.“ 37 Diese Prinzessin entspricht den Erwartungen, den sie bei ihren bisherigen<br />
Auftritten geweckt hat: pragmatisch, entschlussfreudig, solide und keinesfalls schüchtern<br />
oder <strong>zur</strong>ückhaltend. „Lucas ging da<strong>von</strong> aus, dass Leia wie ein Soldat erzogen, in den<br />
Kriegskünsten ausgebildet und <strong>von</strong> den klügsten Köpfen des Alderaan-Systems unterrichtet<br />
worden war. ‚Sie ist überdurchschnittlich klug, gut erzogen und jeder Situation<br />
gewachsen.’“ 38<br />
Trotzdem entspinnt sich im Fortgang der Story ein unschuldiger Flirt zwischen Luke und<br />
Leia, der in einen flüchtigen Kuss mündet. „Etwas Warmes, Weiches berührte Lukes Lippen<br />
und jagte einen Stromstoß durch alle seine Nerven. Er blickte schockiert auf die Prinzessin<br />
hinunter und spürte, wie sein Mund <strong>von</strong> dem Kuß immer noch prickelte.“ 39 Mit dieser Szene<br />
erreicht die Romanze zwischen Luke und Leia aber auch schon ihren Höhepunkt.<br />
36 Campbell, J., 1984, S. 172<br />
37 Campbell, J., 1999, S. 112<br />
38 Pollock, D., 1983, S. 111 f.<br />
39 Lucas, G., 1978, S. 167<br />
19
– Lucas implementierte in sein Plot das für Hollywood klassische Element<br />
der Dreiecks-Liebesgeschichte, wie sie u.a. in ‚Vom Winde verweht’<br />
institutionalisiert wurde. „„Es war das klassische Dreiecks-Plot“, erläutert<br />
Lucas. ‚Der Gute auf der einen und der Böse auf der anderen Seite. Zu<br />
wem wird das Mädchen hingezogen?’“ 1<br />
<strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Kenner wissen, dass nicht Luke Skywalker am Ende <strong>von</strong><br />
Episode VI die Prinzessin nach Hause führt, sondern Han Solo. Dieser<br />
durch und durch irdischen Prinzessin ist Skywalker nicht gewachsen.<br />
Seine Berufung führt ihn zu anderen, gar höheren Weihen, zumal sich die<br />
Prinzessin später als seine Schwester entpuppt und die Saga in den<br />
weiteren Episoden mit dem Stilelement Soap Opera liebäugelt. –<br />
Gegenwärtig verzückt das Quartett die Zuschauer, indem es mit ungestümer Lebensfreude<br />
und mittels burlesker Absurditäten durch den Todesstern tobt und die gegnerischen<br />
Sturmtruppen reihenweise niedermäht. 40<br />
Die Sturmtruppen in ihren weißen Uniformen übernehmen dabei einzig die Funktion <strong>von</strong><br />
Kanonenfutter. Sie sind anonym und uniformiert in weißen ‚Ritterrüstungen’, die den<br />
Eindruck antiseptischer Sterilität vermitteln. Hier findet der Kernkonflikt der <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Saga<br />
seinen Ausdruck. Auf der einen Seite toben sich die relativ individuellen Helden, auf der<br />
anderen Seiten führen die uniformen Vertreter des Totalitären Regimes ihre Befehle aus:<br />
also relativer Individualismus kämpft gegen uniformen Totalitarismus. Die Botschaft ist so<br />
simpel wie eindeutig und findet entsprechenden Anklang in den späten 70er Jahren.<br />
Währenddessen nähert sich der Film unaufhörlich seinem Höhepunkt. Eingeleitet wird die<br />
Klimax durch ruhige Szenen, in denen Kenobi mittels des subtilen Einsatzes der Macht<br />
seinen Auftrag ausführt und den Fangstrahl abschaltet, der den ‚Rasenden Falken’ an den<br />
Todesstern bindet. Diese Szenen sind quer montiert zu den ungestümen Aktionen des<br />
Heldenquartetts. Trotz ihrer Ruhe erhalten sie ihre Spannung dadurch, dass Kenobi bei<br />
seiner Rückkehr zu ihrem Raumschiff beispielsweise zusätzlich mit Vader gegen geschnitten<br />
wird, der wie ein Spinne im Netz lauert. Vader erahnt Kenobis Anwesenheit auf dem<br />
Todesstern und stellt sich ihm schließlich in den Weg. „Ich habe Euch erwartet Obi Wan.<br />
Endlich begegnen wir und wieder. Der Kreis schließt sich. Als ich Euch verließ war ich Euer<br />
Schüler, jetzt bin ich der Meister“, röchelt Vader Kenobi zu. Kenobi weist ihn <strong>zur</strong>echt: „Nur<br />
ein Meister des Bösen, Darth.“ 41 Hier bahnt sich nicht allein das Duell Individualismus gegen<br />
Totalitarismus an, sondern vielmehr das Duell zwischen den Prinzipien des moralisch Guten<br />
40 Lucas, G., 1977, 1997, 2004, (1:23:31 – 1:26:25)<br />
41 Ebd. (1:26:30 – 1:26:52)<br />
20
und denen des verwerflich Bösen. Dieses Duell übersteigt somit den ‚normalen’ <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong><br />
Konflikt <strong>von</strong> Totalitarismus vs. Individualismus, und erinnert <strong>von</strong> Ferne an die<br />
Götterdämmerung, als die Titanen die griechischen Götter angriffen. Kenobi und Vader<br />
kämpfen jedoch im Gegensatz zum klassischen Mythos ganz zivilisiert nach den Regeln des<br />
ritterlichen Duells mit ihren Lichtschwertern gegeneinander. Von den Sturmtruppen bleiben<br />
sie sogar dann noch unbehelligt, als sie kämpfend den Hangar erreichen in dem der<br />
‚Rasende Falke’ auf die Rückkehr der Helden wartet. Die imperialen Sturmtruppen schließen<br />
nun zwar zum Ort des Kampfes auf und geben damit den Weg zum ‚Rasenden Falken’ frei,<br />
sie bleiben aber nur Zaungäste des Titanenkampfes. Scheinbar können, dürfen oder wollen<br />
sie nicht eingreifen.<br />
Der zentrale Held des Films, Luke Skywalker bleibt, wider seiner Bestimmung, äquivalent zu<br />
den Sturmtruppen ebenfalls nur Zaungast des Duells. „Die Aufgabe des Helden ist es, sich,<br />
und damit seine Welt, durch diesen entscheidenden Knoten, der die Fesseln der endlichen<br />
Existenz zusammenhält, zu sprengen oder aufzulösen.“ 42 Aber der Aufgabe sich Darth Vader<br />
zu stellen ist Luke Skywalker noch nicht gewachsen. Seine Initiation ist noch nicht<br />
abgeschlossen und sie ist deshalb nicht abgeschlossen, weil der metaphysische Überbau<br />
der <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Sage noch nicht voll entfaltet ist. Dies wird in den nun folgenden Szenen<br />
nachgeholt.<br />
Das Heldenquartett trifft am gegenüberliegenden Ende des Hangars ein. Aus einer weiteren<br />
Ecke treten die beiden Roboter hervor. Alles ist bereit für die Flucht. Auf dem kurzen Stück<br />
Weg, den sie zum Rasenden Falken <strong>zur</strong>ücklegen müssen, entdeckt Skywalker Kenobi’s<br />
prekäre Lage. Anstatt zu fliehen, eilt er auf seinen Mentor zu, um ihm beiseite zu stehen. Obi<br />
Wan erkennt mit einem Blick die Situation, grüßt mit dem Lichtschwert seinen Gegner und<br />
wird <strong>von</strong> Vader erschlagen. Der zu Boden fallende Umhang ist jedoch leer. Luke schreit<br />
entsetzt auf und feuert auf die Sturmtruppen, während die anderen Helden in den Rasenden<br />
Falken fliehen.<br />
Jetzt wird der metaphysische Überbau der <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Saga vollends entfaltet und<br />
Skywalker’s Initiation findet ihren vorläufigen Abschluss. Aus dem Off erklingt Obi Wan<br />
Kenobis Stimme und fordert Luke auf zu fliehen, der scheinbar besinnungslos immer weiter<br />
auf die Sturmtruppen feuert. Der Stimme aus dem Off folgt er. Unterliegt Luke Skywalker<br />
einer Sinnestäuschung? Nein. Hier wird der Held nicht, wie Campbell schreibt, ‚insgeheim’<br />
<strong>von</strong> den Ratschlägen des mystischen Helfers gelenkt, sondern, auch für den Zuschauer,<br />
ganz offensichtlich. Ben Kenobi hat quasi in einem einzigen Atemzug seinen Tod<br />
überwunden und steht seinem Mentee schützend <strong>zur</strong> Seite. 43<br />
Die Szene lehnt sich<br />
unmittelbar an den christlichen Mythos der Auferstehung und des Pfingstfestes an. Hier<br />
entfaltet die Macht ihre Macht in Gänze. Interessanterweise zeigt sie sich in der Form des<br />
42 Campbell, J., 1999, S. 143<br />
43 Lucas, G., 1977, 1997, 2004, (1:28:30 – 1:29:10)<br />
21
gesprochenen Wortes und erinnert damit an das biblische ‚im Anfang war das Wort’. Und<br />
zumindest das gesprochene Wort zeigt sich bereits hier als unsterblich. Über diesen Umweg<br />
versöhnt der Plot sich auch wieder mit Campbell. „Der Held ist der Günstling nicht der<br />
gewordenen Dinge, sondern der werdenden, weil er selber ist.“ 44 Nicht ohne Grund, wie sich<br />
gleich zeigen wird.<br />
Insbesondere bei Kindern zeigte diese Szene eine ungeheure Wirkung. Sie haben bis<br />
hierher erlebt, wie der Film alle Vorstellungskraft übersteigt indem er sie auf eine Reise quer<br />
durch den Weltraum mitgenommen hat. Die Synthetisierung <strong>von</strong> technologischer Innovation<br />
mit metaphysischen Erscheinungen in dem Film, lässt auch die unglaublichsten<br />
Behauptungen möglich erscheinen. Dieser Plot Point ist darüber hinaus für die<br />
perspektivische Entwicklung der gesamten Saga wesentlich. Denn an diesem Plotpoint findet<br />
Lucas Behauptung, schon immer mehrere <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Episoden entwickeln zu wollen,<br />
reichlich Nahrung. Erst hier beginnt, mit Blick auf die gesamte Saga, Skywalkers eigentliche<br />
Initiation. Er, und mit ihm die Zuschauer, erleben, dass der Tod überwunden wird. Für seine<br />
Heldenfahrt in Episode IV reichte der Ruf der Prinzessin, verstärkt durch Ben Kenobis Bitte<br />
um Unterstützung <strong>von</strong> Luke. Entsprechend viril und voll jugendlichem Sturm und Drang<br />
gestaltet sich auch die gesamte Rettungsaktion. Aber dadurch, dass Skywalker, vermittelt<br />
durch Kenobis Tod und Auferstehung erfährt, das der Tod mittels der Macht überwunden<br />
werden kann, öffnet Lucas zugleich die Pforten für dessen Entwicklung zu der Heldenfigur,<br />
die er später wird. Skywalker könnte schon jetzt erkennen, dass die Worte, die Kenobi<br />
gesprochen hat, wahr sind. Er erkennt es aber noch nicht, denn seine erste Reaktion auf der<br />
Flucht ist nur die Trauer über den Verlust Kenobis.<br />
1.2.5 Die Flucht<br />
<strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> bedeutet Tempo. Insofern finden Lucas Helden für die Verarbeitung <strong>von</strong> Kenobis<br />
Tod, ganz zu schweigen <strong>von</strong> innerpsychologischen Prozessen, keine Zeit. Das wiederum<br />
steht ganz im Sinne klassischer <strong>Mythen</strong>. Die Helden sehen sich bereits neuen Gefahren<br />
gegenüber. Die Sturmtruppen greifen mit kleinen Raumjägern den ‚Rasenden Falken’ an und<br />
die Helden sind gezwungen, sich diesem neuerlichen Abenteuer zu stellen. „Wenn der Held<br />
in seinem Triumph <strong>von</strong> der Göttin oder dem Gott gesegnet wird und dann ausdrücklich den<br />
Auftrag erhält, mit irgendeinem Elixier, an dem die Gesellschaft genesen soll, <strong>zur</strong> Welt<br />
<strong>zur</strong>ückzukehren, so unterstützen alle Kräfte seines himmlischen Schutzherrn ihn bei der<br />
Überwindung der letzten Strecke seiner Fahrt. Wenn aber die Trophäe gegen den<br />
Widerstand ihres Wächters gewonnen wurde oder wenn der Held durch den Wunsch, <strong>zur</strong><br />
44 Campbell, J., 1999, S. 235<br />
22
Welt <strong>zur</strong>ückzukehren, die Götter oder Dämonen erzürnt hat, dann wird diese letzte Strecke<br />
des Zyklus zu einer bewegten, oft komischen Hatz, voll <strong>von</strong> Überraschungen, magischen<br />
Hindernissen und magischem Entkommen.“ 45<br />
Die Flucht gelingt dem Heldenquintett nur, weil Vader einen Funkpeilsender am Rasenden<br />
Falken befestigen ließ, durch den das Raumschiff problemlos überall geortet werden kann.<br />
Der Prinzessin ist dieser Zusammenhang sofort klar und sie weist den Selbstzufriedenen<br />
Solo in seine Schranken. Hieraus entspinnt sich nun die bereits weiter oben angesprochene<br />
Dreiecks-Liebesgeschichte zwischen Skywalker-Organa-Solo. Ein kurzer lockerer Faden,<br />
schnell in einen kurzen Dialog gesponnen, bietet dem Zuschauer eine knappe Pause vor der<br />
letzten Prüfung und erlaubt den Charakteren etwas mehr Profil zu entwickeln.<br />
Die in R2-D2 gespeicherten Daten werden, sobald die Helden den Stützpunkt der Rebellen<br />
erreicht haben, ausgewertet und ein Schlachtplan wird erstellt. Im selben Augenblick ist der<br />
Todesstern bereits im Anflug, um den Stützpunkt und damit die Rebellion zu vernichten.<br />
Während die Rebellen sich auf den Angriff vorbereiten entspinnt sich ein kurzer Disput<br />
zwischen dem Idealisten Skywalker und dem Individualisten Solo. Luke sieht sich fraglos in<br />
der Verantwortung, an dem Angriff auf den Todesstern teilzunehmen. Solo hält den Angriff<br />
dagegen für ein Selbstmordkommando und bietet Skywalker im Gegenzug an, sich ihm<br />
anzuschließen. Sie kommen nicht überein. Bevor sie sich aber im Streit trennen, spricht Solo<br />
die Formel, die für <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Anhänger <strong>zur</strong> Zeit der Erstaufführung in den 70er Jahren<br />
gängige Formel wurde: „Möge die Macht mit Dir sein.“ Diese Aussage hat weit reichende<br />
Konsequenzen. Solo glaubt zwar nicht an die Macht, wie er zuvor deutlich genug betonte,<br />
aber er wünscht Skywalker, dass es sie gibt und, sofern es sie gibt, dass sie dann auch im<br />
Sinne Lukes wirksam wird. Diese Doppelcodierung ermöglicht es den Fans sie zu<br />
übernehmen. Einerseits bestätigen sich die Fans mit diesem Code, wenn sie Kontakt<br />
miteinander aufnehmen, dass sie den Film kennen. 46 Andererseits erlaubt sie den Fans aber<br />
auch die Anwendung im Sinne Han Solos. Sie können sich als moderne aufgeklärte<br />
Menschen wünschen, dass es eine derartige metaphysische Macht gibt, ohne sich der<br />
Lächerlichkeit preiszugeben, weil sie sich im Zweifelsfall auf die Zitation berufen können. 47<br />
Nachdem diese Formel ausgesprochen ist, verwandelt sich Lukes Wut in Traurigkeit, die ihm<br />
wiederum Pluspunkte bei Leia Organa verschafft, als sie ihn verabschiedet. Luke steigt in<br />
seinen kleinen Raumjäger, der an einen Kampfjet erinnert, und der Angriff auf den<br />
Todesstern beginnt.<br />
45 Campbell, J., 1999, S. 190<br />
46 Vgl. Leva, G., 2004, (1:20:00 – 1:20:18)<br />
47 Auf die vielen verschiedenen Blüten, die das Spiel mit der ‚Macht’ treibt, komme ich später zu<br />
sprechen.<br />
23
1.2.6 Die finale Schlacht<br />
Die Raumschlacht über dem Todesstern wird mit, für damalige Verhältnisse,<br />
bahnbrechenden Special Effects und ungeheurer Rasanz inszeniert. Mit dreißig kleinen<br />
Raumjägern greifen die Rebellen den Todesstern an und werden beständig dezimiert, bis<br />
nur noch Luke Skywalker und sein kleines Geschwader, bestehend aus drei Raumjägern,<br />
übrig sind. Als Soldaten scheinen auch sie nur Kanonenfutter zugunsten der Dramaturgie zu<br />
sein. Auffällig ist bei der Schlacht aber, dass die Rebellen gegenüber den meisten imperialen<br />
Streitkräften im ganzen Film, allesamt ein eigenes Gesicht haben. Der Einsatz ihres Lebens<br />
wird <strong>von</strong> der Story legitimiert. Sie müssen kämpfen oder sterben. Freiwillig in den Dienst des<br />
totalitären Imperiums zu treten erscheint nicht als Alternative. Nun lässt sich vermuten, dass<br />
es mit der Freiheit der Rebellen nicht ganz so weit her ist. Aber die These, dass der zentrale<br />
Konflikt in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> derjenige zwischen Totalitarismus und Individualismus ist, kann<br />
Aufrecht erhalten werden, obwohl den Streitkräften der Rebellen weder Uniformierung, noch<br />
Hierarchisierung fremd ist. Die individualistische Haltung, wie sie durch Han Solo Ausdruck<br />
findet wird zwar nicht als erstrebenswert angesehen, aber immerhin als Möglichkeit<br />
anerkannt, wie Leia Organa vor Skywalker’s Abflug erklärt. Die Seite der Rebellen, im<br />
Einklang mit der guten Seite der Macht, gestattet sich also einen gewissen Pluralismus.<br />
Dieser Pluralismus bleibt aber beschränkt, wie der weitere Gang der Story erzählt.<br />
Luke Skywalker fliegt mit seinen beiden Mitstreitern den entscheidenden Angriff. Sein<br />
Geschwader wird ebenfalls <strong>von</strong> Darth Vader dezimiert, bis nur noch Luke übrig ist. Nun fallen<br />
drei Ereignisse zusammen, die den zweiten, dramatischen Höhepunkt in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong><br />
bedeuten. Der Todesstern hat seinen Anflug beendet und der Rebellenstützpunkt kann<br />
vernichtet werden. Luke Skywalker ist im Fadenkreuz <strong>von</strong> Darth Vader eingespannt, so dass<br />
Vader nur abdrücken muss, um Luke zu töten. Im gleichen Augenblick stürzt aber der<br />
Rasende Falke auf Lukes Verfolger herab, feuert und trifft einen, wodurch der zweite ins<br />
Trudeln gerät und Vaders Raumjäger touchiert, der ebenfalls aus der Bahn geworfen wird,<br />
so dass Luke nun ungehindert seinen „Millionentreffer“ landen kann, mit dem der Todesstern<br />
vernichtet wird.<br />
Während seines Anflugs sprach bereits unvermittelt die Stimme Kenobis erneut zu Luke und<br />
forderte ihn auf, auf die Macht zu vertrauen. Daraufhin schaltet Luke seinen Zielcomputer<br />
aus, feuert seine Torpedos ab und zerstört den Todesstern. Diese Wendung erzeugte unter<br />
den Zuschauern des Films im Kino regelmäßig Jubelstürme. Die Botschaft ist so simpel wie<br />
effektiv: Der Geist besiegt die Maschine. Lucas hat sie in seinen weiteren <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Filmen<br />
immer wieder reanimiert. „Er wollte Helden, Bösewichter und andere Märchenfiguren in die<br />
Geschichte einbringen, wollte jedoch deutlich machen, dass die Technologie die Menschheit<br />
24
nicht ersetzen kann – das menschliche Element sollte am Schluß triumphieren.“ 48 Für<br />
Campbell stellt der Film an dieser Stelle die Frage, ob der junge Mensch ein Mensch mit<br />
Herz und Mitgefühl sein will oder ob er einer ‚Willensmacht’ folgen will, die etwas <strong>von</strong> ihm<br />
verlangt. „Krieg der Sterne ist kein simples moralisches Rührstück, es geht darin um Kräfte<br />
des Lebens, wie sie durch das Handeln der Menschen entweder verwirklicht oder verletzt<br />
und unterdrückt werden.“ 49<br />
Diese Kräfte des Lebens scheinen auch bei Han Solos entscheidendem Eingriff in die<br />
Schlacht am Werk gewesen zu sein. Sein ausgeprägter Individualismus konnte den ‚Kräften<br />
des Lebens’ nicht länger widerstehen und er hat sich im letzten Moment doch in den Dienst<br />
der Sache gestellt. Das Zusammenwirken aller Kräfte der Gemeinschaft sichert der guten<br />
Seite den Sieg.<br />
1.2.7 Die Rückkehr über die Schwelle<br />
Nachdem der Todesstern vernichtet ist, finden sich die Helden wieder im Stützpunkt der<br />
Rebellen ein, wo sie frenetisch begrüßt werden. Prinzessin Leia Organa, die während der<br />
Schlacht auf die klassische Frauenrolle der wartenden und duldenden Frau reduziert wurde,<br />
begrüßt Skywalker und Solo als erste. Das abschließende Zeremoniell des Films<br />
„…entspricht den Bildern aus Leni Riefenstahls NS-Parteitagsfilm <strong>von</strong> 1934, TRIUMPH DES<br />
WILLENS: Im Thronsaal des Rebellenstützpunktes nimmt Leia Organa vor versammelter<br />
Mannschaft die Siegerehrung der 3 Musketiere des Weltalls vor: Luke, Han und<br />
Chewbacca.“ 50 Die angetretenen Rebellenstreitkräfte applaudieren, die Helden freuen sich,<br />
sind peinlich berührt und der Film ist aus. Sind die Helden <strong>zur</strong>ückgekehrt über die Schwelle?<br />
Der Film hat ein klassisches Happy End, das im Augenblick des größten Triumphes einfriert.<br />
„Das erste Problem des heimkehrenden Heros ist es, dass er nach der Erfahrung der<br />
seelenstillenden Vision der Erfüllung die vergänglichen Freuden und Leiden, Banalitäten und<br />
lärmvollen Gemeinheiten des Lebens wieder als real betrachten soll. Warum wieder in eine<br />
solche Welt eintreten? Warum versuchen, die Erfahrung jenseitiger Seligkeit plausibel oder<br />
gar interessant zu machen? Wie Träume, die in der Nacht bedeutungsschwer waren, bei<br />
Tageslicht einfach läppisch erscheinen, so können Dichter und Propheten merken, dass sie<br />
vor einem Gremium <strong>von</strong> nüchternen Augen den Narren spielen.“ 51 Über das Leben der<br />
Helden nach der Rückkehr erfahren wir nichts, genauso, wie wir in den meisten Filmen zwar<br />
erleben, dass das Paar sich findet, aber nicht, wie ihr Alltag aussieht. Wenn die Zuschauer<br />
48 Pollock, D., 1983, S. 89<br />
49 Campbell, J., 1994, S. 171<br />
50 Giesen, R., 1984, S. 230<br />
51 Campbell, J., 1999, S. 210<br />
25
den <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Helden in ‚Das Imperium schlägt <strong>zur</strong>ück’ erneut begegnen, brechen sie<br />
bereits auf in das nächste Abenteuer. Für die Zuschauer bleibt ihr Alltag die Heldenfahrt.<br />
An diesem Punkt wendet sich Lucas und übrigens beinahe jede moderne Heldenfahrt, <strong>von</strong><br />
der klassischen Heldenfahrt ab. In der Summe entsteht der Eindruck, als sei die Tragik des<br />
Alltäglichen, der ‚Post-Heldenfahrt’, dem Konzept des modernen Mythos nicht zuträglich. Der<br />
moderne Mythos bedarf des Happy Ends am Ende der Heldenfahrt. Das Abenteuer darf<br />
nicht alltäglich werden. Findet das Abenteuer eine Fortsetzung, dann nur als Abenteuer. Das<br />
Leben wird im modernen Mythos also als permanentes Abenteuer präsentiert.<br />
Möglicherweise findet sich unter anderem darin ein Motor für die ständig postulierte und<br />
durchexerzierte Dynamik der <strong>Popkultur</strong>, die jedes <strong>zur</strong> Ruhe kommen als unverzeihlich<br />
abstraft.<br />
1.2.7 Zusammenfassung<br />
Bereits beim ersten Blick auf <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Episode IV, fällt der idealistische Anspruch des Films<br />
ins Auge. Die Helden sind blond, blauäugig, aufrecht, nur gut und sie gewinnen. Sie<br />
gewinnen nicht zuletzt deshalb, weil sie die metaphysische Ordnung des Universums auf<br />
ihrer Seite wissen. Die Bösen tragen dagegen schwarz oder zeigen zumindest kein Gesicht,<br />
bzw. sind alt, nur böse und verlieren. Sie verfügen zwar auch über die Macht in ihren Reihen,<br />
aber sie ist nur die gute Macht des Universums ins Böse gewendet, bzw. die vom Hellen und<br />
Guten abgefallene Ordnung und entspricht damit nicht der kosmogonischen Ordnung des<br />
<strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universums. Nicht nur wegen dieses Ordnungsprinzips wird <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> immer<br />
wieder in die Nähe des Mythos gerückt, bzw. mit dem Etikett des modernen Mythos behaftet.<br />
Bei der Darstellung und der Analyse der Story <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> habe ich immer wieder die<br />
Nähe <strong>zur</strong> Analyse der Heldenfahrt, wie sie Joseph Campbell darstellt, gesucht. Das rührt<br />
nicht <strong>von</strong> ungefähr. Die Nähe, die <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> <strong>zur</strong> Struktur des klassischen Mythos, wie er <strong>von</strong><br />
Campbell vorgestellt wird, einnimmt, ist erst in der jüngeren Vergangenheit ganz publik<br />
geworden. So weist beispielsweise Marcus Hearn darauf hin, dass Lucas sich bei Campbell<br />
bedient hat: „Campbells Forschung im Bereich Mythologie und vergleichender<br />
Religionswissenschaft hatte schon seit der Zeit am College großen Einfluss auf Lucas<br />
ausgeübt. Unter Bezugnahme auf Campbells Buch sowie zahlreiche weitere Quellen<br />
konstruierte Lucas sein Drehbuch für Krieg der Sterne als filmischen Ausdruck für<br />
mythologische Archetypen, die sich Jahrtausende <strong>zur</strong>ückverfolgen ließen.“ 52 Die hier<br />
vorgenommene Analyse zeigt nun, dass Lucas sich, abgesehen <strong>von</strong> der Differenz beim<br />
Happy End, ganz linear an der Idee der klassischen Heldenfahrt nach Campbell orientiert<br />
hat. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Definition der Macht, die Campbell anbietet. „…, die<br />
52 Hearn, M., 2005, S. 87<br />
26
universale Lehre besagt, dass alle sichtbaren Gestalten der Welt, alle Dinge und Wesen, die<br />
Wirkungen einer allgegenwärtigen Macht sind, aus der sie emporsteigen, die sie während<br />
der Zeitspanne ihrer Manifestation trägt und erfüllt und in die sie sich schließlich wieder<br />
auflösen müssen.“ 53 Die Ähnlichkeit zu dem ‚Energiefeld, dass alle lebenden Wesen<br />
erzeugen’, wie es Ben Kenobi in Episode IV erklärt bedarf keiner näheren Erläuterung. Folgt<br />
man der Struktur dieser Ähnlichkeiten, lässt sich der Zyklus der Heldenfahrt nach Campbell,<br />
grob übertragen auf <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> folgendermaßen darstellen:<br />
Leia’s<br />
Medaillen für<br />
Raumhafen Hilferuf die Helden<br />
Mos Eisley<br />
Kenobi, R2, 3PO<br />
Raumschlacht<br />
Solo, Chewbacca über Yavin 4<br />
Flucht <strong>von</strong><br />
(Rebellenstützpunkt)<br />
Tattoine<br />
Todesstern<br />
Abenteuer<br />
im Todesstern<br />
Flucht vom<br />
Todesstern<br />
Lichtschwertduell zwischen<br />
Ben Kenobi und Darth Vader<br />
Freilich ist die Nähe zum klassischen Mythos keine Neuigkeit im Hollywoodkino. Die<br />
klassischen Genrefilme wiesen in großer Zahl diese Nähe auf, bzw. haben Motive und<br />
Elemente in ihrer Erzählstruktur dem Mythos entlehnt. Als das so genannte New Hollywood<br />
auf den Plan trat, war der Genrefilm in Hollywood bereits Geschichte. „In dem Augenblick,<br />
wo in Hollywood die fabrikmäßige Produktion zum Erliegen kam, weil das Kino in Konkurrenz<br />
zum Fernsehen schrittweise dessen Produktionsweisen sich aneignete (Fabrik Apparat,<br />
Geld Kapital, Firmen Banken, Bosse Verwalter, Verantwortungen Richtlinien,<br />
Produktion für den Markt Produktion per se…), starb auch der gesamte Genrefilm aus, mit<br />
Ausnahmen der populärsten, am billigsten herzustellenden und die stärksten<br />
Gegenwartsbezüge aufweisenden: das heißt Western und ‚Krimi’, letzteres eine zunächst<br />
eher fernsehspezifische, dann auch vom Kino übernommene Mixtur aus Gangsterfilm,<br />
Polizeifilm, Detektivfilm, Spionagefilm usw. Das Musical wurde <strong>zur</strong> ‚live show’, der<br />
53 Campbell, J., 1999, S. 249<br />
27
Historienfilm <strong>zur</strong> ‚Fernsehdokumentation’ usw. Horrorfilm, Vampirfilm, Mantel-und-Degen-<br />
Flim, die Genres, die zum ‚Krimi’ wurden, und vieles andere mehr verschwanden fast<br />
völlig.“ 54 Erst nach <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> kehrte der Genrefilm erfolgreich auf die Kinoleinwände <strong>zur</strong>ück.<br />
Aber hatte sich der Mythos als Erzählform allein durch den Erfolg <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> rehabilitiert?<br />
Oder hat <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> eine latente Stimmung aufgefangen, die nur darauf gewartet hat, ans<br />
Tageslicht zu treten?<br />
Das Erdbeben, das <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> im südlichen Kalifornien, genauer gesagt in Hollywood<br />
auslösen würde, war vor dem <strong>Star</strong>t des Films nicht einmal im Ansatz zu erkennen. Im<br />
Gegenteil, die meisten Prognosen für den Film deuteten auf einen großen Flop hin.<br />
54 Seeslen, G., 1996, S. 108<br />
28
2 Die Folgen <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong><br />
Ohne nun die gesamte Erfolgsstory <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> rekapitulieren zu wollen 55 , sei doch auf<br />
einige außergewöhnliche Eckdaten hingewiesen, die den Erfolg <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> illustrieren.<br />
Die Reihe derjenigen, die dem Film keine Erfolgschancen vor der Veröffentlichung<br />
attestierten war lang. <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> wurde <strong>von</strong> der 20th Century Fox produziert. Chris Kalabokes<br />
war 1975 Finanzberater der Fox. Wenig begeistert vom ersten Exposé verkündete er<br />
lautstark: „Wir sollen zehn Millionen zum Fenster rausschmeißen, um einen Film zu<br />
finanzieren, in dem ein ausgestopftes Affenvieh mitspielt?“ 56 Auch Lucas war <strong>von</strong> dem Erfolg<br />
des Films alles andere als überzeugt. Er meinte retrospektiv: „Der erfolgreichste Sci-Fi-Film<br />
bis zu dem Zeitpunkt war 2001. Dieser Erfolg bedeutete damals, dass er etwa $ 24 Millionen<br />
einspielte. Science-Fiction Klassiker spielten etwa $ 16 Millionen ein so zum Beispiel Planet<br />
der Affen und Filme dieser Art. Aber die meisten Sci-Fi-Filme blieben unter $10 Millionen. Es<br />
gab keinen Grund zu glauben, dass es bei diesem Film anders sein würde.“ 57 Bei dem<br />
Budget, das die 20th Century Fox für den Film bewilligte wäre der Film, nach Lucas<br />
Kalkulation, an der Kinokasse ein Nullsummenspiel geworden. Nach der vierten<br />
Ausarbeitung des Drehbuchs gelang es dem Team um George Lucas die Kosten für <strong>Star</strong><br />
<strong>Wars</strong> „… auf 13 Millionen Dollar zu drücken,… Das Studio bestand allerdings darauf, dass<br />
das Budget unter der Zehn-Millionen-Grenze bleiben musste.“ 58 Lucas ursprüngliche<br />
Schätzungen waren bei ca. $ 15 Millionen angesiedelt. Letztlich beliefen sich die<br />
Produktionskosten <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> auf die ungefähre Summe <strong>von</strong> $ 11 Millionen. 59 Bei den<br />
vorab durchgeführten Test-Screenings waren die Reaktionen gemischt und die Erwartungen<br />
entsprechend gedämpft. „Als Krieg der Sterne in der folgenden Woche auch dem Vorstand<br />
<strong>von</strong> Fox vorgeführt wurde, fand der Film ein deutlich gemischtes Echo. >>Soweit ich mich<br />
erinnern kann, waren sechzehn Vorstandsmitglieder anwesend>Ich weiß noch<br />
genau, dass er drei Personen ausgesprochen gut gefiel; drei waren der Meinung es könnte<br />
was werden, zwei schliefen ein …; und den übrigen Anwesenden gefiel er überhaupt nicht.<br />
Die verstanden ihn gar nicht und waren ebenso verdrossen wie besorgt, dass sie ihr Geld<br />
nicht wieder sehen würden.“ 60 Die für die Aufführung in den Kinos notwendigen<br />
Verhandlungen mit den Kinobetreibern standen ebenfalls unter keinem günstigen Stern.<br />
Um die Problematik zu verdeutlichen, der <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> unterlag, bedarf es eines kurzen<br />
Exkurses zu den Distributionswegen eines Hollywoodfilms. Das System zum Verleih <strong>von</strong><br />
55 Die Erfolgsstory <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> wird u.a. ausführlich dargestellt in: Pollock,1983; Denker, 1997;<br />
Hearn, 2005<br />
56 Pollock, D., 1983, S. 104<br />
57 Leva, G., 2004, (00:11:36 – 00:11:49)<br />
58 Hearn, M, 2005, S. 96<br />
59 Vgl. http://www.filmsite.org/starw.html , 30.01.2007<br />
60 Hearn, M., 2005, S. 110<br />
29
Filmen an die Kinos in den USA ist in die Formen Bidding, Guarantee und Advance<br />
ausdifferenziert. Durch sie soll ein Teil der Entwicklungskosten eines Films vorzeitig<br />
amortisiert werden, damit die Studios mögliche Zinsbelastungen, die es <strong>zur</strong> Realisierung<br />
eines Projektes bedurfte, abfedern kann. Die ältere Form des Bidding bezeichnet dabei eine<br />
Art öffentliche Ausschreibung für die Aufführungsrechte. Die Kinobetreiber geben vor dem<br />
Kinostart des Films ein Gebot ab, durch dass sie die Lizensierung für die Aufführung<br />
erhalten. 61 Im Falle <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> waren die Prognosen der Kinobetreiber und damit die<br />
Erwartungen an den Film äußerst gering. „Krieg der Sterne hatte Garantien im Wert <strong>von</strong> 1,5<br />
Millionen gebracht, aber das waren noch lange nicht die zehn Millionen, die man <strong>von</strong> einem<br />
großen Film erwartet.“ 62 Dies zeigte sich dann auch an der Anzahl der Kinos, die <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong><br />
aufführten. „In den späten Siebzigern erfolgten die großen Kinostarts der großen Studios<br />
üblicherweise in 600 bis 800 Kinos in den ganzen USA. Der Kinostart <strong>von</strong> Krieg der Sterne<br />
fand in gerade mal 32 Kinos statt.“ 63<br />
Die Zurückhaltung der Kinobetreiber hatte wahrscheinlich nur mittelbar mit den Sorgen <strong>von</strong><br />
Lucas zu tun. Sie lässt sich eher durch die schlechten Erfolgsprognosen, die für Science-<br />
Fiction-Filme zu der Zeit allgemein vorlagen, erklären. „<strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> war nämlich schwer in die<br />
Kinos zu bringen. Die Kinobesitzer waren nicht begeistert <strong>von</strong> Science-Fiction-Filmen, und<br />
viele verglichen die Chancen <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> mit dem Flop Silent Running.“ 64<br />
Die schlechten Prognosen für <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> erwiesen sich für die Kinobetreiber aber als<br />
Bumerang. Mit der Uraufführung <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> am 25.05.1977 wurde der Begriff des<br />
‚Blockbusters’ entscheidend geprägt. 65 Lucas erinnert sich an den Tag der Aufführung. Er<br />
war mit der Schnittfassung für die französische, deutsche und spanische Version des Films<br />
beschäftigt und hatte vergessen, dass der Film an dem Tag im Kino startete. „Zum Essen<br />
gingen sie ins Hamburger Hamlet, das zufälligerweise genau gegenüber dem Chinese<br />
Theatre am Hollywood Boulevard lag. Beim Betreten des Lokals hatten sie nichts da<strong>von</strong><br />
wahrgenommen, doch als sie Platz genommen hatten und durchs Fenster schauten,<br />
bemerkten sie einen riesigen Menschenauflauf vor dem Kino. >>Draußen wimmelte es nur<br />
so vor Menschen. Ich schätze, es waren gut tausend Leute. Zwei Fahrspuren der Straße<br />
61 Vgl. Blanchet, R., 2003, S. 98<br />
62 Pollock, D., 1983, S. 124<br />
63 Hearn, M., 2005, S. 110<br />
64 Denker, O., 1997, S. 15<br />
65 Der einzige Film, der mit diesem Titel zuvor etikettiert wurde war Spielberg’s ‚Jaws’ <strong>von</strong> 1975. In<br />
Verbund mit <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> wurde der Begriff etabliert und Hollywoods Wunderkinder der 80er Jahre des<br />
zwanzigsten Jahrhunderts waren entdeckt. „Lucas und Spielberg gehörten … zu den wenigen Regie-<br />
Produzenten Hollywoods, deren Namensnennung allein als werbewirksames Markenzeichen ein<br />
Massenpublikum zu mobilisieren vermag.“ (Blanchet, R., 2003, S. 148)<br />
30
waren abgesperrt, und vor dem Kino parkten etliche Limousinen. Es war ein<br />
Mordsspektakel.
Peter Biskind machte in seinem Buch ‚Easy Riders, Raging Bulls’ Spielberg und ganz<br />
besonders Lucas für den Niedergang des New Hollywood verantwortlich. Robert Blanchet<br />
fasste die Situation objektiver zusammen: „Um Lucas und Spielberg, die mit ihren<br />
Produktionen und Koproduktionen bis Mitte der Achtzigerjahre den Wettbewerb um die<br />
Spitzenplätze der Box-Office-Charts unter sich ausmachen, entsteht im Zuge ihres<br />
unangefochtenen Erfolgszugs ein populärer Autorenbegriff, der sich mittlerweile weniger auf<br />
eine ästhetische Meisterschaft bezieht als auf eine kommerzielle.“ 71 Diese Sichtweise lässt<br />
sich bereits anhand der Kritiken ablesen, die <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> 1977 erntete.<br />
Die Kritiken des Films oszillierten zwischen Geringschätzung, Verhöhnung und offener<br />
Verachtung, bis hin zu höchsten Lobesyhymnen. Beispielsweise „Witzelte DER SPIEGEL<br />
noch, das Lucassche Produkt sei – verglichen mit Stanley Kubricks 2001: Odysee im<br />
Weltraum - >>ein Ramschladen, in dem es Westernsaloons im Orient gibt, die <strong>von</strong><br />
Mickeymäusen, maskierten Rittern und wallend gewandeten Mönchen bevölkert werdenim Namen der – hoffentlich einmal<br />
friedlich werdenden – Menschheit … verbrannt werden
Kabelfernsehen der Studentenprogramme.“ 75 Charles Lippincott, der Marketing Director <strong>von</strong><br />
Lucas eigener Produktionsfirma Lucasfilm Ltd. suchte ebenfalls unbetretene Pfade der<br />
Vermarktung auf. „Als Promoter für STAR WARS trat Lippincott bei zahlreichen Fan<br />
Conventions auf, um den Film ins Gespräch zu bringen.“ 76 Diese auf den ersten Blick<br />
ungewöhnlichen Aktivitäten der Marketing Direktoren, deuten auf nichts anderes hin, als eine<br />
fokussierte und damit zielgruppenorientierte Marketingstrategie, mit der der Film vorab<br />
lanciert wurde. Die Strategie hat sich ausgezahlt, war aber nur der Gipfel des Eisbergs. Ich<br />
hatte oben bereits darauf verwiesen, dass die Mechandisingeinnahmen aus dem Geschäft<br />
mit <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> die Einnahmen an den Kinokassen zwischen 1977 – 1997 noch übertrafen. 77<br />
Darin sind das Merchandising, das mit der Veröffentlichung der ‚Special Edition’ sowie die<br />
Merchandisingeinnahmen der Prequels nicht mit eingerechnet. Abschließend hierzu sei<br />
angemerkt, dass das ‚Forbes Magazine’ <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> mit seinen sechs Episoden unter den<br />
lukrativsten Movie Franchises aller Zeiten im Sommer 2005 auf Platz 1 anführt. 78<br />
Die skizzierte Erfolgsgeschichte <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> soll hier als erster der Indikator für die<br />
kulturelle Transformation fungieren, <strong>von</strong> der in dieser Arbeit die Rede ist. Dabei liegt es mir<br />
fern die These zu unterfüttern werden, dass kulturelle Transformationen monokausal <strong>von</strong><br />
ökonomischen Kennzahlen ausgehen. Sie sind ein Kriterium unter mehreren. Aufgrund des<br />
ökonomischen Erfolges hat das Phänomen <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> wesentlich dazu beigetragen, dass die<br />
die Filmproduktion in Hollywood sich in eine bestimmte Richtung verändert hat. Dabei<br />
spielen die Namen Lucas und Spielberg eine wichtige Rolle, aber nicht die einzige.<br />
Spätestens der Erfolg <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> wies die Studios darauf hin, wie viel Kaufkraft<br />
tatsächlich vorhanden war. Deshalb begannen im Anschluß an <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> die Filmstudios<br />
ihre Produktionsverhältnisse neu zu definieren. Nach 1978 wurde die Produktion in den<br />
Studios zunehmend ökonomischer und systematisierter und eine radikale<br />
Kommerzialisierung des Hollywoodkinos begann sich durchzusetzen. „Krieg der Sterne trug<br />
auch dazu bei, eine sklavische Hingebung an den Blockbuster-Film in Hollywood zu<br />
erzeugen, und macht es auf diese Weise schwieriger, kleinere, weniger kommerzielle Filme<br />
zu produzieren. Die Idee, mit der Lucas seine Laufbahn startete, Filme mit niedrigem Budget<br />
und unbekannten Schauspielern zu drehen, ging mit der Zeit irgendwie verloren.“ 79 Der<br />
Begriff der mit der neuen Produktionsweise in Hollywood einher ging war der des ‚High<br />
Concept’ inklusive all seiner Schattierungen. Spielberg definierte die Idee des ‚High<br />
Concept’: „If a person can tell me, the idea in 25 words or less, it’s going to make a pretty<br />
75 Pollock, D., 1983, S. 124<br />
76 Sansweet, S., 1997, S. 62<br />
77 Sie werden bei mehr als US $ 2 Milliarden angesetzt, vgl. dazu Blanchet, R., 2003, S. 148<br />
78 http://www.forbes.com/2005/06/15/batman-movies-franchises-cx_lh_lr_0615batman_2.html<br />
(01.02.2007)<br />
79 Pollock, D., 1983, S. 175<br />
33
good movie. I like ideas, especially movie ideas, that you can hold in your hand.” 80<br />
Künstlerisch ambitionierte Filme wie sie das New Hollywood zwischen 1967 und 1978<br />
hervorgebracht hatte, waren in der Folge zunächst einmal passé. Das entscheidende<br />
Kriterium für eine Filmproduktion war das in Dollars ausgedrückte Interesse der<br />
Kinobesucher.<br />
Der ökonomische Erfolg <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> ist sicherlich ein wesentlicher Grund dafür, dass <strong>Star</strong><br />
<strong>Wars</strong> als ein Modell oder gar als Prototyp für das Blockbusterkino angesehen wird. Das<br />
bedeutet jedoch nicht, dass die Anwendung des Modells automatisch entsprechenden Erfolg<br />
an den Kinokassen garantiert, wie sich mittlerweile durch eine veritable Zahl <strong>von</strong> Flops<br />
bewiesen hat. 81 Dennoch, die mit dem Phänomen <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> eingeläutete Tendenz hat sich<br />
in Hollywood nachhaltig etabliert. Das <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universum kann heute allein durch seine<br />
Selbstreferenzialität existieren und Lucas gilt als der erfolgreichste unabhängige<br />
Filmemacher der Welt.. Eindeutige Analysen für die Ursache dieses wegweisenden<br />
Erfolgsphänomens liegen bis dato nicht vor. Die Stimmung der Kritiker gegenüber Lucas und<br />
seinen Filmen ist in der jüngeren Vergangenheit zugunsten <strong>von</strong> Lucas umgeschlagen. Wie<br />
ist das zu erklären?<br />
Sollte es möglich sein, dass ein <strong>von</strong> den herrschenden Kulturwächtern, den Kritikern<br />
jeglicher journalistischer Couleur, des Jahres 1977 verspotteter Film, allein aufgrund eines<br />
genialen Marketingprogramms zum bis dato erfolgreichsten Film aller Zeiten wird? Spricht<br />
man den Mitgliedern der Zielgruppe dieses Films somit jegliche ästhetische Empfindung und<br />
jedes kritische Gespür für Geschmack, Vernunft und Sinn ab? Sind Menschen derart leicht<br />
zu manipulieren? Will man wirklich behaupten, die Menschen ließen sich durch eine<br />
Marketingkampagne derart beeinflussen, dass sie den kritischen Kommentaren der Kritiker<br />
nicht länger folgen wollten? Waren die Menschen in den Jahren vor 1977 wirklich um so viel<br />
mehr aufgeklärt und vernünftiger? Oder hat das Mainstreampublikum möglicherweise nie auf<br />
die Kritiker gehört worden? Musste erst <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> über die Leinwände laufen, um zu<br />
demonstrieren, wie viel mehr Geld verdient werden kann, sofern erst der Geschmack des<br />
breiten Mainstreampublikums bedient wird? Oder wendet sich der Mensch automatisch dem<br />
Geschmack der Masse und deshalb dem Geschmack des Erfolges zu?<br />
Will man diesem Mainstreampublikum nun zugestehen, dass es sich aufgrund der<br />
Marketingkampagne <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> dem Film positiv zuwendet, dann spräche man ihm auch<br />
zu, dass es dafür spricht, dass dort, wo solche Ideen entstehen, die Mittel dafür bereit<br />
gestellt werden, dass solche Ideen entstehen können. Das hieße, dass das Massenpublikum<br />
den Produzenten solcher Ideen bereitwillig Teile ihres Einkommens <strong>zur</strong> Verfügung stellt, weil<br />
sie entsprechende Ankündigungen für ihre Produkte betreiben. Nicht die Person wäre der<br />
80 Spielberg, S. zit. in: Blanchet, R., 2003, S. 155<br />
81 z.B. Kevin Costner’s ‘Waterworld’, Wolfgang Petersens ‘Poseidon’, Renny Harlin’s ‘Die<br />
Piratenbraut’, George Lucas’ ‘Howard the Duck’, Steven Spielberg’s ‘Hook’ etc.<br />
34
entscheidende Faktor ihrer Wahl, sondern die Idee, die diese Person, in diesem Fall George<br />
Lucas, realisiert hat. Wenn aber eine Marketingkampagne allein für den Erfolg eines Filmes<br />
verantwortlich zeichnet, dann verfügte Hollywood über eine Rezeptur mit der es nur noch<br />
Blockbuster produzierte, die entsprechende Gewinne realisierten. Die Realität zeigt, dass<br />
das nicht der Fall ist und das Rezept für einen perfekten Blockbuster stellt ein in der<br />
Filmbranche vieldiskutiertes Geheimnis dar.<br />
Im Falle <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> gelang dieses Kunststück trotzdem innerhalb des Zeitraumes <strong>von</strong><br />
weniger als einem Jahr. Möglich wurde der Erfolg unter anderem sicherlich deshalb, weil die<br />
technischen Voraussetzungen gegeben waren. Aber was an der Idee <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> bewegt<br />
die Menschen dazu, sich ausgerechnet <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> zuzuwenden?<br />
Die Antwort auf diese Frage führt zunächst zu einem kurzen Streifzug durch die aktuellen<br />
Erkenntnisse über die Strategien des Blockbuster Kinos. Hiernach erfordert sie eine kurze<br />
Skizze der Geschichte des Pop. Schließlich führt sie noch einmal <strong>zur</strong>ück <strong>zur</strong> Narration <strong>von</strong><br />
<strong>Star</strong> <strong>Wars</strong>. Durch eine leichte Verschiebung der Terminologie des Mythos wird sich dann<br />
zeigen, dass Mythos und Pop artverwandt sind und <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> ein gesellschaftliches und<br />
kulturelles Bedürfnis aufgreifen konnte. Mittels einer komparativen Analyse <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong><br />
und Pop wird die zwar immer noch flatterige Gestalt der <strong>Popkultur</strong> immerhin skizzierbar.<br />
Diese Gestalt wird vorerst genügen, um zu zeigen, was die <strong>Popkultur</strong> unternimmt, damit sie<br />
gesellschaftliche und kulturelle Bedürfnisse einerseits adäquat, d.h. massenkompatibel,<br />
aufgreift und wie sie andererseits gesellschaftliche und kulturelle Prozesse in Gang zu<br />
setzen vermag.<br />
2.1 Strategien des Blockbusterkinos<br />
Robert Blanchet führt in seinem Buch ‚Blockbuster’ eine Reihe <strong>von</strong> Strategien an, die für die<br />
Struktur eines erfolgreichen Blockbusters, bzw. seiner Konzeptualisierung wesentlich sind.<br />
Ich werde diese Strategien hier kurz aufzählen. Dabei wird deutlich werden, dass diese<br />
Strategien entweder bei <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> bereits Anwendung fanden oder aber durch das<br />
Merchandising, bzw. Marketing <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> initiiert wurden.<br />
Zentral wird in diesem Zusammenhang die Idee des ‚High Concept’. Das ‚High Concept’ will<br />
über die Prägnanz, die sich aus der kurzen Summierbarkeit der Story ergibt, mittels des so<br />
genannten Hook „… unmittelbar die Aufmerksamkeit und das Interesse des Empfängers auf<br />
sich…“ 82 ziehen. Hierzu ist z.B. das ‚Fish-out-of-water-Prinzip’ zu rechnen, bei dem zwei<br />
möglichst entgegen gesetzte Milieus miteinander konfrontiert werden (z.B. ‚Beverly Hills Cop’<br />
und ‚Zurück in die Zukunft’). 83 Grundsätzlich gilt dies auch für <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Episode IV. Der<br />
82 Blanchet, R., 2003, S. 155<br />
83 Vgl. Ebd. S. 154 ff.<br />
35
einfache Bauernjunge <strong>von</strong> einem entlegenen Planeten wird zum Dreh- und Angelpunkt eines<br />
interestellaren Konflikts, befreit die Prinzessin und rettet die Galaxis.<br />
Bei der Konzeptionierung <strong>von</strong> Blockbustern wird versucht bekannte Elemente in neuer<br />
Variation zu präsentieren, die im Idealfall bereits Erfolge in der Vergangenheit verbuchen<br />
konnten. „Zu den prominentesten Erscheinungsformen diese Strategems zählen neben den<br />
üblichen <strong>Star</strong>schauspielern und namentlich oder über Filmreferenzen präsentierten<br />
Regisseuren, Produzenten oder Autoren eines Films…, das Sequel respektive Filmfranchise,<br />
der Zyklus, das Remake und die Bestsellerverfilmung, aber auch die jüngeren Formen des<br />
TV-Serien-Remakes oder Spin-offs und der Comic- und Computerspielverfilmung.“ 84<br />
Unter die <strong>Star</strong>schauspieler fallen heute Namen wie George Clooney, Brad Pitt, Harrison<br />
Ford, Mel Gibson, Julia Roberts etc. Das System der <strong>Star</strong>schauspieler ist aber keine<br />
Erfindung des Blockbusterkinos, sondern seit den Tagen des Stummfilms in Hollywood<br />
ständige gängige Praxis, und für große Produktionen quasi ein must. „Die Besetzung, für die<br />
Lucas sich entschieden hatte, war alles andere als bekannt. Im ganzen Studio hatte noch<br />
keiner je <strong>von</strong> ihnen gehört und selbst Coppola war der Ansicht, dass er hier einen Fehler<br />
gemacht hatte, nur unbekannte Gesichter zu engagieren.“ 85 Die Twentieth Century Fox war<br />
mit Lucas Casting der Hauptrollen für <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> so unzufrieden, dass er verpflichtet wurde<br />
zumindest für die Nebenrollen bekannte Gesichter zu verpflichten. Er engagierte Alec<br />
Guiness und Peter Cushing. Guiness war jedoch nicht Lucas erste Wahl, er wollte die Rolle<br />
des Obi Wan Kenobi ursprünglich mit Toshiro Mifune besetzen. Lucas hatte in den durchaus<br />
experimentierfreudigen 70er Jahren zwar Schwierigkeiten sein Cast durchzusetzen, aber<br />
erst nach dem Erfolg <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> wurden fast ausnahmslos bekannte Gesichter als<br />
Darsteller für die Realisierung <strong>von</strong> ‚High-Concept’ Filmen eingesetzt.<br />
Bekannte Produzenten, Autoren oder Regisseure eines Films waren in der Vergangenheit<br />
John Ford, Frank Capra, Anthony Mann usw. Aktuell finden sich in dieser Riege z.B. Lucas,<br />
Spielberg und Bruckheimer. Mit dem sensationellen Erfolg der Low-Budget-Produktion<br />
‚American Graffitti’ hatte Lucas sich als Regisseur und Produzent einen Namen in Hollywood<br />
gemacht. „Seine Kritiker bei Universal verstummten, als ihre Investitionen in Höhe <strong>von</strong><br />
775.000 Dollar in Kinos weltweit einen Umsatz <strong>von</strong> über 118 Millionen Dollar einspielten.“ 86<br />
Das Sequel agiert aus einer Position heraus, bei dem sich bereits die ‚Marke’ etabliert hat.<br />
Daher wird dies auch als brand bezeichnet. Der weiße Hai I – IV, Rocky I – VI etc. sind<br />
Filme, die nach einem erfolgreichen <strong>Star</strong>t eine Reihe <strong>von</strong> Fortsetzungen (sequels) nach sich<br />
84 Ebd. S. 160<br />
85 Pollock, D., 1983, S. 99<br />
86 Hearn, M., 2005, S. 71<br />
36
zogen. Die Episoden I – VI der <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Reihe lassen sich diesen Sequels problemlos<br />
hinzufügen. Ausgenommen Episode IV, die die Realisierung der anderen Filme erst<br />
ermöglichte. Lucas Innovation ist hierbei, dass er über die Länge <strong>von</strong> sechs Spielfilmen<br />
versuchte eine komplexe Geschichte zu erzählen, die sukzessive aufeinander aufbaut.<br />
Bekannte Remakes, teilweise auch klassischer Kinofilme sind beispielsweise King Kong<br />
(zuletzt <strong>von</strong> Peter Jackson in Szene gesetzt), Titanic, Robin Hood, Zorro, Dr. Doolittle usw.<br />
<strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> ist zwar kein Remake in dem Sinne, bedient sich aber ausführlich bei den Mustern<br />
und Strukturen der Genrefilme.<br />
Bei den Bestsellerverfilmungen globaler Bestseller fallen besonders ‚Der Herr der Ringe’ und<br />
die ‚Harry Potter’ Reihe ins Auge. Sie ähneln am ehesten eigenen Zyklen. Aber auch der ‚Da<br />
Vinci Code’, ‚Die Firma’, ‚Jurassic Park’ usw. fallen unter die Rubrik Bestsellerverfilmungen.<br />
Im Falle <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> existierte keine Bestseller Grundlage. Das Buch zum Film war<br />
vielmehr Teil des Marketingkonzepts. Kurz vor der Veröffentlichung <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> erschien<br />
bei Ballantine Books das Buch <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong>. Charles Lippincott, der Marketingdirector <strong>von</strong><br />
Lucasfilm Ltd. überzeugte „… Del Rey das Drehbuch <strong>von</strong> George Lucas in Romanform zu<br />
veröffentlichen und zwar im November 1976. Im Februar 1977 waren eine halbe Million<br />
Kopien absolut ausverkauft.“ 87<br />
In der jüngeren Vergangenheit ergoss sich ein Strom <strong>von</strong> TV-Serien Remakes, auch Spinoffs<br />
genannt, über die Leinwände. Als Beispiele hierfür können ‚Mission Impossible’,<br />
‚Charlies Angels’, ‚<strong>Star</strong>sky and Hutch’ etc. angeführt werden. <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> kann in Hinsicht auf<br />
Remakes <strong>von</strong> TV-Serien eher als Anstoß für den umgekehrten Weg interpretiert werden, ein<br />
filmisches Universum auf die Fernsehschirme zu übertragen. In den 80er Jahren erschien<br />
eine Zeichentrickserie unter dem Namen ‚Droids’, die weitere Abenteuer <strong>von</strong> C3-PO und R2-<br />
D2 zeigte sowie die TV-Serie ‚Die Ewoks’. Zwischen dem Erscheinen <strong>von</strong> Episode II und III<br />
erschien die Zeichentrickserie ‚Clone <strong>Wars</strong>’, in der die Abenteuer <strong>von</strong> Obi Wan Kenobi und<br />
Anakin Skywalker während der Klonkriege gezeigt werden. Nach dem Erscheinen <strong>von</strong><br />
Episode III kursierten bereits erste Gerüchte, dass Lucas sich mit dem Gedanken trägt die<br />
Geschehnisse zwischen Episode III und Episode IV in Form einer realen Fernsehserie zu<br />
verfilmen.<br />
Im Bereich der Comic- und Computerspielverfilmungen erweist sich <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> deutlich als<br />
Stein des Anstoßes, wobei LucasArts eher Filme zu den Filmen <strong>von</strong> Lucasfilm Ltd.<br />
produziert. Als regelrechtes Strategieelement haben sich die Comic- und<br />
87 Leva, G., 2004, (1:13:57 – 1:14:08)<br />
37
Computerspielverfilmungen erst in der jüngeren Vergangenheit etabliert. Hierzu zählen<br />
beispielsweise die Verfilmungen <strong>von</strong> ‚Spider Man’, ‚The incredible Hulk’ und ‚Tomb Raider’.<br />
Allerdings werden Comics seit Ende der siebziger Jahre verfilmt, z.B. die ‚Superman’ Reihe<br />
mit Christopher Reeves und die ‚Batman’ Reihe. Comichelden waren aber auch bereits in<br />
den 50er und 60er Jahren Gegenstand <strong>von</strong> Fernsehserien. <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> generierte eine bis<br />
heute nicht abreißende Flut <strong>von</strong> Comicserien und Computerspielen.<br />
Blanchet führt weiterhin die Neuverfilmung <strong>von</strong> Klassikern als ebenfalls gelungenes<br />
Strategem an. Als Beispiele hierfür können ‚Dracula’, ‚Mask of Zorro’, ‚Godzilla’, ‚Psycho’,<br />
‚Shaft’ und ‚The Mummy’ angeführt werden. Durch die selbstreferentielle Rahmung <strong>von</strong> <strong>Star</strong><br />
<strong>Wars</strong> lässt sich retrospektiv durchaus sagen, dass mit Episode I der Klassiker neu verfilmt<br />
wurde. Die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Episode I und Episode IV, bzw. VI sind<br />
unübersehbar.<br />
Ein wesentliches Merkmal, dass auf dem Konzept des ‚High Concept’ aufsetzt ist das<br />
entsprechende Distributionsschema. Hier differenziert Blanchet zwischen dem ‚Platform<br />
Release’ und dem ‚Saturation Release’. Beim ‚Platform Release’ wird der Film nur in<br />
wenigen zentralen Metropolen Amerikas gestartet. Deshalb lässt sich bei dem Release <strong>von</strong><br />
<strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Episode IV durchaus <strong>von</strong> einem ‚Platform Release’ sprechen, wenn sie auch<br />
nicht, wie oben gezeigt, ganz freiwillig <strong>von</strong>statten ging.<br />
Beim Saturation Release hingegen wird der Film auf einer maximalen Anzahl <strong>von</strong><br />
Leinwänden zugleich gestartet. „Heute geht kaum eine Majorproduktion oder aufwändigerer<br />
Pick-up mit weniger als 2000 Kopien ins Rennen.“ 88 Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden<br />
die ersten globalen ‚Saturation Releases’ gestartet. Hierunter fallen beispielsweise Matrix II,<br />
die ‚Herr der Ringe’ Trilogie, ‚Harry Potter’ etc und selbstverständlich die Episoden I – III <strong>von</strong><br />
<strong>Star</strong> <strong>Wars</strong>. Der Gedanke hinter dem Saturation Release ist der, dass die Idee des ‚High<br />
Concept’ Pre-sold Properties verschafft. Diese Properties sollen, durch die Präsenz der<br />
aktuellen Marketingkampagne, maximalen Ertrag beim Release des Films erwirtschaften.<br />
Flankiert wird der ‚High Concept’-Film durch die den Umsatz befeuernde ‚Crossover<br />
Publicity’, mittels derer ein hoher ‚Wiedererkennungswert’ generiert werden soll.<br />
Das Handwerk des Blockbusterkinos treibt dabei interessante Blüten im Mediendschungel<br />
vor sich her. So wird versucht ‚attraktive Hintergrundstories für Zeitgeistmagazine und<br />
Infotainment’ zu entwickeln. Wird ein Blockbuster nur <strong>von</strong> Ferne angekündigt, erscheinen<br />
alsbald entsprechende Dokumentationen, scheinbar in der gesamten Medienwelt. Dies ist<br />
durch einen Begleitumstand heutiger medialer Exposition zu erklären. Die Querverbindungen<br />
88 Blanchet, R., 2003. S. 167<br />
38
zwischen den Medienkonzernen umfassen inzwischen alle Medienbereiche. Der Name ‚AOL<br />
Time Warner’ mag hier als prominentes Beispiel gelten. Auch das Medienimperium <strong>von</strong><br />
Rupert Murdoch und einige weitere glänzen durch illustre Aktivität. So wird beispielsweise<br />
pseudowissenschaftlicher ‚Content’ erzeugt, insbesondere bei Science Fiction, Abenteuerund<br />
Katastrophenfilmen. Ein Höhepunkt dieser zielorientierten Expansion des Infotainments<br />
wurde beispielsweise während des Release <strong>von</strong> Titanic (1997) erzeugt. Kaum eine<br />
Zeitschrift und noch weniger Fernsehsender, die sich nicht mit dem Untergang der Titanic<br />
auf die ein oder andere Weise auseinandersetzten. Allerdings beschränkt sich das Interesse<br />
nicht auf den Medienkonzern, <strong>von</strong> dem der jeweilige Blockbuster veröffentlicht wird. „Um ihr<br />
Renomee nicht zu sehr zu gefährden, machen gerade branchenfremde Formate in ihren<br />
Beiträgen üblicherweise deutlich, dass sie einen Film lediglich zum Anlasse nehmen, um<br />
quasi unabhängig da<strong>von</strong> über die ‚wahren Begebenheiten und Hintergründe’ des jeweiligen<br />
Kontextes aufzuklären … fördern damit aber natürlich ein Klima, indem der Film rückwirkend<br />
zu einer Art Ersatzanschauungsmaterial und dessen Besuch zu einer fast zwingenden<br />
Begleithandlung für das scheinbar omnipräsente Medienthema wird.“ 89 Für <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> gelten<br />
mit Blick auf dieses Strategem ganz eigene Gesetze, da die Serie aufgrund ihrer<br />
selbstreferentiellen Verwertbarkeit aus sich selbst heraus so viel Aufmerksamkeit auf sich<br />
zieht, dass sie einen eigenen Themenkomplex generiert, der nicht auf die Verknüpfung <strong>von</strong><br />
Crossover Publicity angewiesen ist. <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> ist selbst ein Thema.<br />
Durch derartige Marketingstrategien erfährt das Blockbusterkino eine Steigerung und wächst<br />
sich zum ‚Ereignis- oder Eventkino’ aus. Das Eventkino setzt sich erst gegen Ende der<br />
neunziger Jahre durch. Es umfasst Produktionen, wie den bereits erwähnten ‚Titanic’,<br />
schließt aber auch Produktionen wie ‚Jurassic Parkt’, ‚Herr der Ringe’‚Matrix’ und die<br />
Episoden I – III <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> mit ein.<br />
Der Eventcharakter wird aber nicht allein auf marketingtechnischer Ebene erzeugt, sondern<br />
ist zugleich auf technologische Innovationen der Filmindustrie <strong>zur</strong>ückzuführen. Hierbei sind<br />
insbesondere die Innovationen im Bereich der Visual Effets & CGI (Computer Generated<br />
Images) sowie des digitalen Mehrkanaltons erwähnenswert.<br />
Während in den siebziger und achtziger Jahren noch die Special Effects, kurz FX genannt,<br />
dominierten 90 , gab es bereits erste, sehr limitierte Versuche, CGI Effekte in Filmen<br />
unterzubringen. Der Film ‚Tron’ <strong>von</strong> 1982 und ‚The Last <strong>Star</strong>fighter’ gelten als die<br />
bekannteren, wenn auch nicht erfolgreichen Vertreter dieses frühen Einsatzes <strong>von</strong> CGI<br />
89 Ebd. S. 185<br />
90 Beispielsweise die wegweisende Stop-Motion Technik <strong>von</strong> Ray Harryhausen in ‚Sindbad’, aber auch<br />
die spektakulären Effekte aus Katastrophen Filmen wie ‚Erdbeben’ und sämtliche Explosionen etc.<br />
fallen unter die FX.<br />
39
Effekten. In <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Episode IV waren bereits einige CGI Effekte untergebracht, die aus<br />
heutiger Sicht sehr rudimentär wirken. Dabei handelt es sich um das Display des<br />
Zielcomputers in Luke Skywalkers X-Wing Flügler und um die digitale Darstellung des<br />
geplanten Angriffs auf den Todesstern im Hauptquartier der Rebellen.<br />
Frühe Morphing Szenen waren in dem Fantasyfilm ‚Willow’ zu sehen, der ebenfalls ein<br />
Lucasfilm war. „Den endgültigen Durchbruch erzielen Morphing und 3-D Animationen<br />
schließlich mit dem überwältigenden Erfolg <strong>von</strong> TERMINATOR 2: JUDGMENT DAY…“ 91<br />
Die CGI Technik wurde im Anschluss daran stetig weiter entwickelt. Erfolgreiche Stationen<br />
auf dem weiteren Weg waren ‚The Abyss’, ‚Der Tod steht ihr gut’, ‚Jurassic Park’, und ‚The<br />
Mask’. An allen diesen Filmen war die ‚Industrial Light & Magic’, eine der Hauptabteilungen<br />
<strong>von</strong> ‚Lucasfilm Ltd.’ maßgeblich beteiligt. 92 Schließlich erschien der erste komplett animierte<br />
Film. „Das neue Kinojahrhundert hat in Wahrheit schon 1995 begonnen: mit ‚Toy Story’, dem<br />
ersten vollständig im Computer entstandenen Spielfilm der Firma Pixar…“ 93 Heute kommt<br />
keine Blockbusterproduktion mehr ohne den Einsatz <strong>von</strong> CGI Effekten aus. Die Liste der<br />
Filme, in denen diese Technik verwendet wurde ist in kürzester Zeit äußerst stattlich<br />
geworden und liest sich wie ein ‚who is who’ der erfolgreichsten Filme aller Zeiten: ‚<strong>Star</strong><br />
<strong>Wars</strong>’, ‚Titanic’, ‚Der Herr der Ringe’, ‚Harry Potter’, ‚Jurassic Park’, ‚Spider Man’, ‚Findet<br />
Nemo’, ‚Shrek’ usw.<br />
Die Etablierung der digitalen Technik ist für Lucas ein wesentlicher Bestandteil seines<br />
Schaffens geworden. „Im 20. Jahrhundert war Kino Zelluloid. Kino im 21. Jahrhundert wird<br />
digital sein. … Die Qualität <strong>von</strong> Bild und Ton auf der Leinwand wird sich steigern – erst recht,<br />
wenn die Kinos digital umgerüstet sind.“ 94<br />
Auch im Bereich Sound setzte <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Maßstäbe. Lucas wollte bereits bei der Produktion<br />
<strong>von</strong> Episode IV Sound und Musik in Dolby Stereo. Die Entwicklung steckte Mitte der 70er<br />
noch in den Kinderschuhen. Aber Lucas betonte immer wieder, wie wichtig der Sound und<br />
Musik für einen Film sei. Caroll Ballard, Kameramann bei <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> entsinnt sich<br />
beispielsweise, die Musik „…verlieh den starren Figuren eine ganz neue Dimension. Ohne<br />
die Musik war der Film nichts, man konnte ihn überhaupt nicht ernst nehmen.“ 95 Nach dem<br />
Erfolg <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> setzte ein regelrechter Boom nach der Dolby Ausrüstung in<br />
amerikanischen Kinos ein, „… da das Publikum die Aufwertung des Kinoerlebnisses durch<br />
Sound-Effekte und Musik schnell schätzen lernte.“ 96<br />
91 Ebd., S. 188<br />
92 Vgl. Sansweet, S., 1997, S. 94<br />
93 Kilb, A., 2005 in: ‚Cinema – Europas größte Filmzeitschrift’, S. 36<br />
94 Lucas, G., 1999, S. 46<br />
95 Pollock, D., 1983, S. 121<br />
96 Hearn, M., 2005, S. 112<br />
40
Stationen der Sound Entwicklung waren u.a. der Mehrkanal Stereo Ton in den fünziger und<br />
sechziger Jahren. Universals Sensourround-System setzte sich Anfang der siebziger Jahre<br />
nicht durch. Mit dem Erfolg <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> setzte sich ab Ende der siebziger Jahre Dolby<br />
Stereo durch. Lucas war es auch der 1983 mit <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Episode VI – Die Rückkehr der<br />
Jedi Ritter das THX-Zertifikationsprogramm durchsetzte, das in den Skywalker Soundstudios<br />
entwickelt wurde. „THX ist kein … Tonformat, sondern dient der Kontrolle und Einhaltung<br />
eines vordefinierten Kriterienkatalogs für die Reproduktion <strong>von</strong> Filmen, der sowohl<br />
technische als auch architektonische und audiovisuelle Qualitätsstandards umfasst.“ 97 Zu<br />
Beginn der 90er Jahre wurde ‚Dolby Digital’ aus der Taufe gehoben. Mit DTS (Digital Theatre<br />
System) und SDDS (Sony Dynamic Digital Sound) waren kurz danach zwei weitere<br />
Soundsysteme entwickelt worden. Bei diesen drei Systemen handelt es sich um die heute<br />
koexsitierenden Soundsysteme in den Kinos. 98<br />
Neben diesen technologischen Innovationen führt Blanchet einige weitere Innovationen <strong>zur</strong><br />
Realisierung <strong>von</strong> Blockbustern an, die weniger spektakulär in ihrer Realisierung sind, aber<br />
beim Filmerlebnis neue Maßstäbe setzen. Hierbei handelt es sich um den performativen<br />
Einsatz <strong>von</strong> Schnitt und Kameraführung. Die Schnittgeschwindigkeit dient dabei der<br />
Beschleunigung des Films. 99 Eine deutliche Beschleunigung erfährt der Filmschnitt bereits in<br />
der Zeit des New Hollywood. „Während die meisten Filme der klassischen Studioära mit<br />
DELs <strong>von</strong> 9-10 Sekunden operieren, bilden in den späten Sechziger- und frühen<br />
Siebzigerjahren durchschnittliche Schnittlängen <strong>von</strong> 6 – 7 Sekunden die am häufigsten<br />
vertretene Option.“ 100 <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> hatte bereits eine DEL <strong>von</strong> 3,3 Sekunden. Der Trend <strong>zur</strong><br />
Beschleunigung des Films durch den Schnitt ist im Blockbusterkino ungebrochen.<br />
Beispielsweise verfügt der Film Armageddon über eine DEL <strong>von</strong> 2,2 Sekunden.<br />
Ein weiterer Aspekt der performativen Inszenierung betrifft die dynamische Kameraführung.<br />
Actionszenen werden so choreographiert, dass sie komplexe Situationen ohne Schnitt<br />
wiedergeben können. Hierzu wird meistens eine ‚Steadycam’ eingesetzt.<br />
Insgesamt wird also „…der Rezeptionsprozess über den desorientierenden, dynamischen,<br />
‚hypersensorischen’ und reflexattackierenden Einsatz der verfügbaren Mittel (Schnitt,<br />
Kameraführung, Ton, Bildinhalt und Komposition) selbst zu einer zumindest in der Tendenz<br />
vergleichbar anstrengenden Erfahrung…“ 101 Die Eröffnungssequenz <strong>von</strong> ‚Saving Private<br />
Ryan’ oder viele der Actionszenen des aktuellen James Bond Abenteuers ‚Casino Royale’<br />
97 Blanchet, R., 2003, S. 197<br />
98 Mit Einführung der DVD konnten sich diese Soundsysteme auch im Heimkinobereich seit Ende der<br />
90er Jahre erfolgreich etablieren.<br />
99 Man spricht in diesem Zusammenhang <strong>von</strong> Einstellungen pro Stunde (EPS) bzw. der<br />
durchschnittlichen Einstellungslänge (DEL).<br />
100 Ebd., S. 207<br />
101 Ebd., S. 210<br />
41
dokumentieren diese Aspekte der Performanz, die den Zuschauer auf psychophysiologischer<br />
Ebene in das Filmgeschehen einbinden.<br />
Die <strong>von</strong> Blanchet abschließend angeführten Aspekte Postmoderne, Selbstreferenz und<br />
Doppelcodierung sind bereits in Ansätzen in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Episode IV zu erkennen. Der<br />
postmoderne Künstler wird zum „…rezitierenden Eklektiker, zum Pasticheur der<br />
verschiedenen Stilformen und überlieferten Topoi.“ 102 Die Kantina Szene in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong><br />
Episode IV gibt ein beredtes Beispiel dieser Inszenierungstechnik wider: Die Kantina auf<br />
Tatooine steht in einer orientalisch anmutenden Wüstenszenerie. In ihrem Inneren erinnert<br />
sie aber zugleich an den klassischen Westernsaloon. Zusätzlich finden sich in der Kantina<br />
Wesen aus tausenden <strong>von</strong> Galaxien, die allesamt jeweils aus verschiedenen Bausteinen<br />
irdischer Lebensformen kombiniert sind. Während im Hintergrund die Musik einer<br />
futurustisch getunten Dixiland Jazzband läuft, reguliert Obi Wan Kenobi mit seinem<br />
Lichtschwert Luke Skywalkers Auseinandersetzung mit einem der Gäste, indem er ihm den<br />
Arm abschlägt usw.<br />
Selbstreflexive und ironische Kommentare in der Narration eines Films werden <strong>von</strong> Blanchet<br />
als postmoderne Doppelcodierung bezeichnet. 103 Mittels der postmodernen Doppelcodierung<br />
im Blockbusterkino wird versucht gegenüber der Medienlandschaft „…sowohl eine naiv<br />
affirmative Haltung als auch eine ironisch distanzierte Haltung zu ihren Inhalten<br />
einzuschließen, um sich so der drohenden Missgunst sowohl <strong>von</strong> der einen als auch der<br />
anderen Seite zu entziehen.“ 104 Die narrative Widersprüchlichkeit der Figuren Luke<br />
Skywalker und Han Solo greifen dieses Strategem in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> auf. Während die<br />
Doppelcodierung in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> aber noch auf zwei Figuren verteilt ist, wird sie im späteren<br />
Blockbusterkino optimiert und findet sich in einzelnen Figuren wieder. Beispielsweise<br />
spiegelt sie sich in der Figur des John McClane in ‚Die Hard’ oder Mel Gibson als Martin<br />
Riggs in der ‚Lethal Weapon’ Reihe. Sogar im an und für sich ironiefreien <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong><br />
Universum tauchen in den Episoden II – III ironische und selbstironische Textpassagen auf.<br />
Aber die Doppelcodierung im Blockbusterkino der neunziger Jahre wird umfassender. Die<br />
Selbstreferenzialität Hollywoods wird dabei zu einem wesentlichen Produktionsfaktor.<br />
Parodien wie ‚Hot Shots! I - II’, ‚Die nackte Kanone I - III’, aber auch Komödien wie Mel<br />
Brooks ‚Robin Hood- Helden in Strumpfhosen’ rekurrieren genau auf diesen Punkt.<br />
102 Ebd. S. 227<br />
103 Der Held nennt beispielsweise Namen <strong>von</strong> Schauspielern, die bestimmte archetypische Charaktere<br />
in Filmen spielen, und unterhält sich mit dem Schurken darüber. So die finale Szene in ‚Stirb langsam’.<br />
104 Ebd., S. 229<br />
42
Das mythologische <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universum bietet dem gegenüber, wie bereits oben erwähnt,<br />
einen unendlichen selbstreferentiellen Raum <strong>zur</strong> Entfaltung. Es ist nicht darauf angewiesen<br />
sich selbst parodieren zu müssen, wenngleich <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> <strong>von</strong> Mel Brooks mit ‚Spaceballs’<br />
parodiert wurde. Besonders durch das ‚Expanded Universe’ hat <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> eine erhebliche<br />
Expansion erfahren. „Der Begriff ‚Expanded Universe’, auch bekannt als ‚EU’, ist ein<br />
Oberbegriff für alle offiziell lizenzierten <strong>Star</strong>-<strong>Wars</strong>-Materialien, außerhalb der zwei<br />
Filmtrilogien. Das Expanded Universe beinhaltet Bücher, Comic-Hefte, Spiele und andere<br />
Arten unterschiedlicher Medien. Diese Produkte erweitern die Geschichten, die in den Filmen<br />
erzählt werden.“ 105 Mit <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> hat Lucas das Kunststück bewerkstelligt seinen eigenen<br />
unendlich großen Mikrokosmos geschaffen zu haben, in dem er sich hemmungslos bedienen<br />
kann. Hier schließt sich der Kreis mit dem Lucas seine Arbeit an <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> begann. Für die<br />
Entwicklung <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> hat Lucas sich bei einer unendlichen Anzahl <strong>von</strong> Motiven aus<br />
Film, Buch und Comic bedient. Das beginnt mit der den Film einleitenden Zeile ‚Es war<br />
einmal…’, die genauso dem klassischen Märchen vorangestellt ist, geht weiter mit der<br />
Laufschrift, mit der das Ausgangsszenario jeder <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Episode beschrieben wird, einer<br />
Idee, die Lucas bei den ‚Buck Rogers’ Serien der 30er Jahre entlehnt hat, bis hin zu den<br />
Aufnahmen der finalen Schlacht, bei der Lucas sich <strong>von</strong> Dokumentarfilmen aus dem zweiten<br />
Weltkrieg hat inspirieren lassen und der bereits oben erwähnten Leni Riefenstahl Ästhetik in<br />
der Szene Schlussszene im Thronsaal. Der Film ist <strong>von</strong> vorne bis hinten gespickt mit Zitaten<br />
und Motiven des klassischen Kinos, freilich ohne sie zu parodieren. Sämtliche<br />
Veröffentlichungen zu <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> versuchen regelmäßig den Film mit Einflüssen aus<br />
Ritterfilmen, Western, Fantasy, Märchen, Stan Laurel und Oliver Hardy (3PO und R2-D2)<br />
usw. zu umreißen.<br />
In den Fokus der Distribution <strong>von</strong> Hollywoodproduktionen ist inzwischen die Zweitverwertung<br />
<strong>von</strong> Kinofilmen getreten. Auch hier setzte <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> <strong>von</strong> vornherein Maßstäbe. Dies zeigt<br />
sich nicht allein an der regelmäßigen Wiederveröffentlichung in den 70er und 80er Jahren,<br />
sondern auch an der Veröffentlichung der Special-Edition der Episoden IV – IV, der<br />
umfangreichen Video- und DVD-Auswertung sowie der Buch-, Comic- und Spielereihen, die<br />
mit <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> einhergehen. Dabei stehen die Produkte des <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universums alle in<br />
einem inneren Zusammenhang miteinander, die das <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universum stetig<br />
expandieren. Die Entwicklung <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> folgt damit dem zu beobachtenden Trend<br />
zunehmender Komplexität popkultureller Erzeugnisse. Steven Johnson umreißt dieses<br />
Phänomen mit dem Begriff der Schläferkurve. Die Schläferkurve zeigt z.B. den Anstieg <strong>von</strong><br />
emotionaler Intelligenz bei Rezipienten <strong>von</strong> Filmen an, in denen komplexe soziale Netzwerke<br />
dargestellt werden. Die Rezipienten müssen sich diese Netzwerke erst erschließen, um der<br />
105 http://de.wikipedia.org/wiki/<strong>Star</strong>_<strong>Wars</strong>, (12.02.07)<br />
43
Narration folgen zu können. „Das gesamte Konzept der Schläferkurve basiert auf diesem<br />
Prinzip: Komplexeres Entertainment bringt Gehirne hervor, die bestimmte Problemstellungen<br />
schneller und besser lösen können.“ 106 Johnson behauptet, dass durch die Rezeption der<br />
Inhalte popkultureller Medien die kognitiven Fähigkeiten des Menschen steigen und, dass<br />
das menschliche Gehirn ein quasi autopoeitisches Interesse daran hat. Dies trifft<br />
insbesondere auf folgende Kompetenzen zu: „komplexe soziale Netzwerke zu analysieren,<br />
Ressourcen zu verwalten, verschlungenen Handlungsfäden zu folgen, langfristige Muster zu<br />
erkennen.“ 107 Johnson vergleicht beispielsweise die Anzahl handlungstragender Charaktere<br />
in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> mit der Anzahl der Charaktere in ‚Der Herr der Ringe’. Während er für die <strong>Star</strong><br />
<strong>Wars</strong> Trilogie etwa zehn Charaktere ausmacht, sieht er für ‚Der Herr der Ringe’ etwa dreimal<br />
so viele Charaktere. 108 Obwohl Johnsons Auswahl hier grundsätzlich als<br />
interpretationsabhängig zu bewerten ist, ist die Tendenz, die er beschreibt korrekt. Was er<br />
aber in seiner vergleichenden Studie nicht berücksichtigt hat, ist das stetig expandierende<br />
<strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universum, dass mit der Veröffentlichung der Episoden I – III einen weiteren<br />
Höhepunkt erlebte. <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> unterliegt in sich selbst einer Schläferkurve. 109<br />
Johnson deckt in diesem Zusammenhang die Verbindung <strong>von</strong> zunehmender Komplexität<br />
und Marktwert auf. Die Steigerung kognitiver Fähigkeiten erweist sich als Verkaufsargument<br />
für popkulturelle Erzeugnisse. „Ein grundlegender Faktor der Schläferkurve ist das mächtige<br />
Prinzip der Wiederholung. Im Lauf der letzten zwanzig Jahre fand in der<br />
Unterhaltungsindustrie eine grundlegende Verschiebung statt. Das Ergebnis:<br />
Erstausstrahlungen sind inzwischen weniger lukrativ als die Zweitverwertung.“ 110<br />
Zu berücksichtigen ist aber auch, dass <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> <strong>von</strong> seinen Rezipienten bereits 1977<br />
einiges an komplexen kognitiven Kompetenzen erforderte und den Standard popkultureller<br />
Erzeugnisse, der bis dahin allgemeingültig und konsensfähig war, ausdehnte. Der Film<br />
arbeitete zuweilen mit vier gleichzeitig ablaufenden Plots. Während der Befreiung der<br />
Prinzessin vom Todesstern laufen folgende Plots ab: Luke Skywalker und Han Solo befreien<br />
die Prinzessin; Obi Wan Kenobi löst den Fangstrahl mit dem der Rasende Falke am<br />
Todesstern fest hängt; R2-D2 und C3-PO müssen sich darum kümmern, nicht entdeckt zu<br />
werden; Darth Vader spürt die Präsens <strong>von</strong> Kenobi. Hinzu treten die Auflösung der Einheit<br />
<strong>von</strong> Zeit und Raum in den unwahrscheinlichsten Szenarien, technische nie zuvor gehörte<br />
Spezifikationen und Termini, die religiöse Rahmung und der Widerstandskampf der Rebellen<br />
gegen den Totalitarismus des Imperiums. Kurz: <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> verfügte bereits über eine große<br />
Komplexität und das Massenpublikum war 1977 bereit dafür. Seitdem haben sich die<br />
106 Johnson, S., 2006, S. 194<br />
107 Ebd. S. 199<br />
108 Vgl. ebd. S. 134<br />
109 Möglich wird dies durch die mythologische Ausgangsstruktur des <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universums, das<br />
Raum für Expansionen lässt.<br />
110 Ebd. S. 164<br />
44
Ansprüche des Publikums an Komplexität sicherlich nochmals gesteigert. Die Episoden I – III<br />
zollen dem Tribut, sie sind derart komplex strukturiert, dass der Handlungsfaden zuweilen<br />
verloren zu gehen scheint.<br />
Es lässt sich also bis hierher festhalten, dass <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> auf Seiten der Produktion und<br />
Distribution in Hollywood in außergewöhnlichem Umfang Maßstäbe gesetzt hat. Zuvor<br />
haben wir gesehen, dass die Struktur der Erzählung <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> ganz linear der Struktur<br />
des Monomythos <strong>von</strong> Campbell folgt. <strong>Popkultur</strong>elle Erzeugnisse bedienen sich der<br />
mythischen Struktur. Aber einen neuen Mythos zu kreieren ist die eine Sache, ihn als<br />
solchen massenwirksam zu etablieren die andere. Lucas selbst betont zuweilen, dass es<br />
nicht seine Intention war, einen Mythos zu schaffen. Im Gespräch mit Bill Moyers erklärt<br />
Lucas: „I’m telling an old myth in a new way.“ 111 Mit anderen Worten, es ging ihm darum,<br />
<strong>von</strong> ihm verloren geglaubte Werte, in einer neuen Geschichte zu erzählen. „Er wollte <strong>zur</strong>ück<br />
zu den ursprünglichen Werten, um der entwurzelten Gesellschaft Amerikas einen neuen<br />
Sinn zu geben. Dafür braucht er eine Art zeitloser Fabel, an der die Unterschiede zwischen<br />
richtig und falsch, zwischen gut und böse, zwischen Verantwortung und Blasphemie<br />
aufgezeigt, nicht verherrlicht werden.“ 112<br />
Damit sich jedoch ein Mythos etabliert bedarf es mindestens einer weiteren Voraussetzung:<br />
Er braucht ein Publikum. Mit der Struktur <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> hat Lucas die Weichen für einen<br />
Mythos gestellt. „Jede Geschichte, noch die kunstloseste, wird ein Mythos, wenn sie nur oft<br />
genug erzählt wird. Und das Kino ist ein mächtiger Multiplikator.“ 113 Das heißt, die Story<br />
muss nachgefragt werden. Ohne die Nachfrage seitens eines größeren oder gar<br />
Massenpublikums ist der erzählte Mythos die Sache weniger Insider. Die Reaktionen auf<br />
<strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> zeigen, das sich bei <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> die Nachfrage- und Angebotskurven <strong>von</strong><br />
kulturellem Angebot und kultureller Nachfrage geschnitten haben.<br />
Es geht mir weniger darum, in den affirmativen und selbstreferenziellen Tenor des <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong><br />
Universums und seiner Verantwortlichen einzufallen, als vielmehr darum zu zeigen, dass die<br />
Realisierung <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> an einem Wendpunkt der Wahrnehmung <strong>von</strong> <strong>Popkultur</strong><br />
stattfindet. <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> erweist sich unter den geschilderten Vorzeichen zunächst als<br />
gebündelter Ausdruck der <strong>Popkultur</strong> und nimmt im Weiteren die anschließende Entwicklung<br />
der <strong>Popkultur</strong> vorweg. Nach <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> unterliegt die <strong>Popkultur</strong> einer Transformation, die bis<br />
auf den heutigen Tag nicht abgeschlossen ist und durch die die <strong>Popkultur</strong> mittlerweile bis in<br />
die letzten Ritzen des gesellschaftlichen Lebens Eingang gefunden zu haben scheint. Um<br />
die Dynamik dieses Prozesses zu illustrieren, beleuchte ich im Folgenden zunächst kurz die<br />
Geschichte des Pop.<br />
111 http://www.youtube.com/watch?v=R0OSobD3vdw (00:02:47 – 00:02:48)<br />
112 Pollock, D., 1983, S. 89<br />
113 Glaser, P., 1999, S. 68 f.<br />
45
3 Eine kurze Geschichte des Pop<br />
Für Pop lassen sich zwei verschiedene Ausgangspunkte lokalisieren, die nur scheinbar<br />
diametral zueinander stehen: ein kommerzieller und ein idealistischer Ausgangspunkt. Wicke<br />
markiert den kommerziellen Ausgangspunkt des Pop zum Ausgang des 19. Jahrhunderts.<br />
„Im angelsächsischen Sprachraum findet er sich schon Ende des 19. Jahrhunderts als ein<br />
Kürzel für popular music, die zu dieser Zeit als etwas eigens Fabriziertes der Volksmusik als<br />
einer organisch gewachsenen, mündlich tradierten Form <strong>von</strong> Musik gegenübergestellt war.<br />
Der Begriff markierte damals jenen Punkt in der Entwicklung, an dem sich die populären<br />
Musikformen endgültig <strong>von</strong> ihrer Verankerung in der Volksmusik zu lösen begannen.“ 114 In<br />
diesem Entstehungszusammenhang interpretiert Wicke den Begriff Pop als das ‚Als ob das<br />
Volksmundes’ 115 und koppelt ihn an die Tendenz <strong>zur</strong> Kommerzialisierung, das durch das<br />
Zusammenwachsen <strong>von</strong> „…Musik, Technologie und Industrie…“ 116 realisierbar wurde.<br />
Ursache hierfür ist die mit der Erfindung des Grammophons einher gehende Geburt der<br />
Tonträgerindustrie. Diesem Erklärungsmodell gebricht es jedoch am künstlerischen<br />
Anspruch des Pop und er markiert daher nur eine Seite der ‚Popmedaille’.<br />
Lawrence Alloway identifizierte demgegenüber den idealistischen Ausgangspunkt des Pop in<br />
den 50er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. In Konfrontation mit der etablierten<br />
Hochkultur wird der Begriff Pop bei ihm„… zum offiziellen nom de guerre ... In seinem Artikel:<br />
>>The Arts and the Mass MediaHigh>Low>Hochkunst
Hochkultur zu gelangen, in die Galerien und Museen…“ 119 Pop-‚Art’ bedeutet so verstanden<br />
die Infragestellung des Anspruchs ursprünglicher und ‚Handgemachter’ Originalität des<br />
Kunstwerks. Im Pop hat sich das künstlerische Schaffen nicht überholt, aber es hat „…nicht<br />
mehr mit dem >>Talent des >Handgemachten< zu tun, sondern nur mit der Fähigkeit zu<br />
sehen und zu entscheiden, was sichtbar werden soll. Wie das dann hergestellt wird, hat<br />
nichts mit Kunst oder künstlerischen Fähigkeiten zu tun.
<strong>von</strong> Dada wandte sich laut Huelsenbeck aber zugleich gegen die Kunst selbst und er<br />
forderte folgerichtig, dass Dada als Antikunst zu verstehen sei, durch die das Chaos, u.a.<br />
auch das des ersten Weltkrieges, zu verarbeiten sei. „Hier ist aber der wesentliche Punkt,<br />
Anfang und Ende aller Erklärungen des Dadaismus, nämlich dass die Dadaisten nicht nur<br />
gegen die absoluten Werte eines starren und mörderischen Kollektivs handelten, sondern<br />
dass sie auch durch Leistung und Ausdruck auf vielen Gebieten überzeugend hervortraten<br />
und dem Chaos (es als innere Notwendigkeit akzeptierend) durch ihre Arbeiten, Produkte<br />
und Handlungen einen Sinn gaben.“ 122 Ihre künstlerische Tätigkeit erlebten die Dada<br />
Künstler als Befreiung <strong>von</strong> bürgerlichen und eigenen, individuellen Zwängen. „Wir<br />
verstanden das seelische als eine in der Gegenwart wirkende Kraft, als die aktive<br />
Spiritualität, die nicht nur die Probleme der Kunst löst, sondern mehr als dies, den Menschen<br />
selbst durch Transzendenz über seine Konflikte erhebt.“ 123 Die Idee der Dada Bewegung war<br />
erfolgreich. Sie pflanzte sich zunächst nach Berlin und Hannover fort. In Hannover<br />
übersetzte Kurt Schwitters das Element der Collage auf die künstlerische Gestaltung.<br />
Kurt Schwitters: ‚Labyrinth’, Assemblage ,1931<br />
Anschließend breitete sich Dada über Holland nach Paris aus und mündete schließlich in<br />
New York in die ‚Pop Art’ <strong>von</strong> ManRay, Duchamp, Warhol usw.<br />
Oben habe ich gezeigt, dass es die Intention der ‚Pop-Artisten’ war mit den Motiven des<br />
Massenkonsums Eingang in die Hochkultur zu finden, d.h. Kunst zu kapitalisieren. Trotz<br />
allem antibürgerlichen Idealismus war diese Idee den Dada Künstlern alles andere als fremd:<br />
„Pfeift, schreit, zerschlagt mir die Fresse – und was bleibt dann? Ich werde Euch immer<br />
sagen, dass ihr blöde Hammel seid. In drei Monaten werden wir, meine Freunde und ich,<br />
Euch unsere Bilder für einige Franken verkaufen.“ 124<br />
Das Zusammenführen dieser Aspekte erlaubt, auf der Suche nach den Quellen des Pop, zu<br />
konstatieren, dass im Dada beinahe alle Elemente vorhanden sind, die Pop später<br />
122 Huelsenbeck, R.(Hg.), 1994, S. 14<br />
123 Ebd., S. 17<br />
124 Picabia, F., (1920) in: Huelsenbeck, R., 1994, S. 44<br />
48
auszeichnen: Authentizität, künstlerisches Schaffen, Oberflächenstruktur des Kunstwerks,<br />
Collagentechnik (Patchwork), Widerstand gegen bürgerliche Wertvorstellungen, Interaktivität<br />
(z.B. die unmittelbare Reaktion des Publikums), der ‚Community’ Charakter,<br />
Vergegenständlichung subjektiver emotionaler Erfahrungen, Transzendenzerfahrung,<br />
Warencharakter und Kommerzialisierung. Im Pop werden diese Elemente zuweilen<br />
modifiziert und ausdifferenziert, erfahren aber keine grundlegende weitere Transformation.<br />
Hier zeigt sich auch, weshalb kein Urknall des Pop auszumachen ist. Alloway konnte Pop<br />
insofern nur etikettieren, indem er das Phänomen mit einem Begriff versah, denn Pop war<br />
längst im Schwange, als er/sie/es etikettiert wurde und alldieweil begann die <strong>Popkultur</strong> sich<br />
zu entfalten.<br />
Daher lassen sich Pop und <strong>Popkultur</strong> auch nur über ungefähre Eckdaten erfassen, die sich<br />
mehr als Zeichen einer Transformation gesellschaftlicher Modeerscheinungen interpretieren<br />
lassen. Ausdruck finden sie recht regelmäßig durch einen ikonenhaft verehrten <strong>Star</strong>, einer<br />
Gruppe oder durch bestimmte Bewegungen, die mit der Erscheinung einhergehen, bzw. <strong>von</strong><br />
diesen als Instrument ihrer Performanz aufgegriffen werden (die englische Mod-Bewegung<br />
und The Who). Dabei kann dieser Ausdruck entweder ins gesellschaftliche Bewusstsein<br />
einsinken (z.B. Rock’n Roll mit Elvis Presley) oder wieder verschwinden (sogenannte One-<br />
Hit-Wonder). Dieser Wandel ist durch die ganze Popgeschichte hindurch stetig zu<br />
beobachten. Diedrich Diedrichsen hält dieses Phänomen fest: „>>Pop ist immer<br />
Transformation, im Sinne einer dynamischen Bewegung, bei der kulturelles Material und<br />
seine sozialen Umgebungen sich gegenseitig neu gestalten und bis dahin fixe Grenzen<br />
überschreiten
has got to go.“, postulierte ein Fernsehmoderator zu der Zeit und zerbrach dabei vor<br />
laufender Kamera Rock’n Roll Schallplatten auf seinem Schreibtisch. Bis Elvis in den USA<br />
nationale Bekanntheit erreicht hatte, blieb Europa in einer Art Jungfernschlaf, aber danach<br />
funktionierte der Kulturtransfer aus den USA reibungslos und die europäische Jugend,<br />
inklusive der deutschen wurde kollektiv entfesselt. „>>Was damals entstand, waren die<br />
Anfänge einer Jugendkultur, wie es sie zuvor in Deutschland nie gegeben hatteEine ganze Altersgruppe fühlte sich, über die Grenzen sozialer<br />
Milieus hinweg, verbunden im gemeinsamen Musikgeschmack und Kleidungsstil.
ungeahnten Höhenflügen ansetzte, wobei die Beatles und die Rolling Stones sowohl initiativ<br />
als auch partizipativ daran beteiligt waren.<br />
Während die Hippie Bewegung in der Musikszene für Furore sorgte, wurde auch Hollywood<br />
vom neuen Bewusstsein der Jugendlichen eingeholt. Zunächst allerdings in der Form, dass<br />
sich die Jugendlichen vom Kino abwandten. Nachdem in den 50er Jahren die bereits<br />
erwähnten James Dean und Marlon Brando Symbole den jugendlichen Rebellen auf der<br />
Leinwand darstellten, begannen die 60er Jahre relativ entspannt. Elvis war nach seiner<br />
Militärzeit gemäßigter geworden und drehte platte Komödien in Hollywood, mit denen er zum<br />
zuweilen höchst bezahlten Schauspieler Hollywoods wurde. 133 Hinsichtlich künstlerischer<br />
Ansprüche verfolgten seine Filme allerdings keine höheren Ziele, geschweige denn, dass sie<br />
dem Kino kulturelle Impulse in irgendeiner Form zukommen ließen.<br />
Das Hollywood Kino lag insgesamt zu Beginn der 60er Jahre recht brach da. Hollywoods<br />
Studiosystem war zu dem Zeitpunkt weitgehend zusammen gebrochen. Zunächst beendete<br />
das so genannte ‚Paramount Decree’ Ende der 40er Jahre die oligopolistische Stellung der<br />
größten Unternehmen der Filmbranche im Hinblick auf die Distribution ihrer Filme. „Dieses<br />
Gerichtsurteil zwang die großen Studios dazu, ihre Filmtheater zu verkaufen. Ohne einen<br />
garantierten Absatzmarkt gingen die Studios zunehmend dazu über, einzelne Filme zu<br />
produzieren, statt ein Programm für eine gesamte Saison zu erstellen.“ 134<br />
Der zusätzlichen Konkurrenz durch das Fernsehen war das Hollywoodkino auch mit noch so<br />
spektakulären Filmen und neuen Visualisierungstechniken, wie z.B. ‚Cinemascope’, nicht<br />
gewachsen. Bis 1959 steigt die Zahl der Fernsehgeräte in den privaten Haushalten der USA<br />
auf beinahe 50 Millionen an und die Zahl der Kinobesucher halbiert sich beinahe <strong>von</strong> 1949<br />
bis 1959. 135 Hinzu treten nachhaltige gesellschaftliche und politische Umschichtungen, durch<br />
die sich die Struktur des Mainstream Kinopublikums gewandelt hatte. Einerseits wurde das<br />
Publikum jünger, andererseits hatte es auch in der Regel einen höheren Bildungsgrad. In der<br />
Folge entstand „…der Umschwung <strong>von</strong> den Pflicht- und Akzeptanzwerten (Sauberkeit, Fleiß,<br />
Ordnung, Gehorsam, Enthaltsamkeit usw.) zu den Werten <strong>von</strong> Freiheit und Selbstentfaltung<br />
(Emanzipation, Gleichheit, Genuss, Spontaneität, Kreativität usw.).“ 136 Das alte Hollywood<br />
stand diesem Phänomen zunächst ratlos gegenüber. Dies änderte sich erst, als eine neue<br />
Generation <strong>von</strong> Filmemachern begann sich unter dem später hinzugefügten Siegel des ‚New<br />
Hollywood’ erfolgreich zu etablieren. „Die erste Welle des New Hollywood bestand aus<br />
Weißen, die in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre (mitunter auch früher) geboren wurden.<br />
Zu ihnen zählten Peter Bodganovich, Francis Coppola, Warren Beatty, Stanley Kubrick,<br />
133 Vgl. Poesner, A. u. M., 1993, S. 105<br />
134 Thompson, K., 2006, S. 85<br />
135 Blanchet, R., S. 130<br />
136 Faulstich, W., 2005, S. 171 f.<br />
51
Dennis Hopper…“ 137 Sie realisierten in Hollywood experimentierfreudige Filme, die sich an<br />
den zu der Zeit aktuellen europäischen Kunstfilmen, beispielsweise der ‚Nouvelle Vague’<br />
anschlossen. Beispiele hierfür sind Arthur Penn’s ‚Bonnie and Clyde’ (1967) oder Dennis<br />
Hopper’s ‚Easy Rider’ (1969). Letzterer wurde für weniger als US $ 400.000 gedreht, spielte<br />
aber auf Anhieb über US $ 19 Millionen ein. 138 Die Major Studios witterten Morgenluft und<br />
produzierten Filme, „… die eher <strong>von</strong> Charakteren als <strong>von</strong> der Handlung lebten, sich nicht um<br />
traditionelle Erzählkonventionen scherten, das Gebot der technischen Makellosigkeit<br />
ignorierten, sprachliche Tabus brachen, allgemein anerkannte Verhaltensnormen sprengten<br />
und es wagten auf ein Happy-End zu verzichten. Häufig waren es Filme ohne Helden, ohne<br />
Romantik, ohne Protagonisten, die der Zuschauer … >>anfeuerndie<br />
Daumen drücken
In diesem Klima, in dem künstlerisch anspruchsvolle Filme realisiert wurden, erntete George<br />
Lucas seine ersten Sporen mit ‚American Graffiti’ (1973), dessen Erfolg ihm die erforderliche<br />
Reputation lieferte, um <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> zu realisieren. In <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> transferierte er das Klima der<br />
Gegenkultur des New Hollywood in märchenhafte Gestalt, das in einer fernen Zukunft spielt,<br />
indem die guten Rebellen gegen das böse Imperium kämpfen und ihren Kampf gewinnen.<br />
Freilich, ohne wirklich Gegenkultur zu betreiben. Für seriöse Filmemacher wie Coppola und<br />
Scorsese war der Film ein Affront. Sie verstanden Lucas’ Film als eskapistische<br />
Amalgamierung mit dem System, <strong>von</strong> dem sie sich so mühselig ihre Unabhängigkeit<br />
erkämpft hatten. „Lucas war wenig später in den ‚Krieg der Sterne’ gezogen, der das<br />
anspruchsvolle Kino der siebziger Jahre endgültig in eskapistische Weltflucht umschlagen<br />
ließ – was Coppola seinem einstigen Zögling angeblich nie verziehen hat.“ 142 Ohne gleich<br />
damit etikettiert zu werden, in den selbstreferentiellen und affirmativen Tenor der jüngeren<br />
<strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Literatur unkritisch einzustimmen, sollte die Bemerkung erlaubt sein, dass Lucas<br />
sich mit <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> die Möglichkeit erwirtschaftet hatte dauerhaft so unabhängig Filme zu<br />
produzieren, wie es dem ‚New Hollywood’ ursprünglich vorschwebte. „In seiner<br />
ambitioniertesten Form war das New Hollywood eine Bewegung, die das Kino <strong>von</strong> seinem<br />
bösen Zwilling, dem Kommerz befreien wollte, um es in den Olymp der Kunst aufsteigen zu<br />
lassen.“ 143 Der sagenhafte Erfolg <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> ermöglichte Lucas den umgekehrten Weg.<br />
Er synthetisierte seinen künstlerischen Anspruch mit dem Kommerz und transportierte dies<br />
über eine Neuinterpretation der ältesten aller Erzählformen, dem Mythos. Das <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong><br />
1977 zu diesem sagenhaften Erfolg wurde, mag zunächst wie ein Zufall aussehen.<br />
Retrospektiv erweist sich der Erfolg des Films jedoch als notwendiges Ergebnis kultureller<br />
Umstände. Die <strong>Popkultur</strong> war auf dem besten Wege sich in der Gesellschaft zu etablieren<br />
und <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> lieferte den passenden Mythos dazu.<br />
Den Erfolg <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> allein durch eskapistische Tendenzen der Jugend erklären zu<br />
wollen, bedeutet aus heutiger Perspektive einen ganzen Industriezweig als Hirngespinst zu<br />
diffamieren, in dem jährlich mehrere Milliarden umgesetzt werden und schlichtweg die<br />
Realität einer postindustriellen Informationsgesellschaft zu negieren. Andererseits kann die<br />
<strong>von</strong> Campbell aufgezeigte Struktur der Heldenfahrt auch nicht monokausal als Erfolgsrezept<br />
für einen erfolgreichen Blockbuster betrachtet werden. „Die Reise des Helden ist ein<br />
Drehbuch- kein Inszenierungskonzept. Was das in der Praxis Hollywoods bedeutet, hat<br />
niemand anderes treffender und anschaulicher dargestellt als William Goldmann, einer der<br />
renommiertesten amerikanischen Drehbuchschreiber. In Adventures in the Screen Trade<br />
schildert er am Beispiel der Entstehungsgeschichte seiner Drehbücher, wie massiv <strong>Star</strong>s,<br />
Produzenten und Finanziers Einfluss auf diesen Prozess nehmen.“ 144 – Die strategischen<br />
142 Ebd. S. 123<br />
143 Biskind, P., 1998, S. 14<br />
144 Schreckenberg, E., 2006, S. 83<br />
53
Faktoren, die Herstellung und Distribution eines Blockbusters betreffen, habe ich in Kapitel 2<br />
erläutert.<br />
Ein Blick auf die nicht inflationär bereinigte Liste der erfolgreichsten Blockbuster aller Zeiten<br />
zeigt, dass das Rezept der Heldenfahrt jedoch mindestens für die ersten 20 Plätze immer<br />
wieder, wenn auch begleitet <strong>von</strong> Modifikationen und Ausdifferenzierungen der Thematik,<br />
Erfolge verbuchen kann.<br />
1. Titanic (1997)<br />
2. <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong>: Episode IV - A New Hope (1977)<br />
3. Shrek 2 (2004)<br />
4. E. T. The Extra-Terrestrial (1982)<br />
5. <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong>: Episode I - The Phantom Menace (1999)<br />
6. Pirates of the Caribbean: Dead Man's Chest (2006)<br />
7. Spider-Man (2002)<br />
8. <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong>: Episode III - Revenge of the Sith (2005)<br />
9. The Lord of the Rings: The Return of the King (2003)<br />
10. Spider-Man 2 (2004)<br />
11. The Passion of the Christ (2004)<br />
12. Jurassic Park (1993)<br />
13. The Lord of the Rings: The Two Towers (2002)<br />
14. Finding Nemo (2003)<br />
15. Forrest Gump (1994)<br />
16. The Lion King (1994)<br />
17. Harry Potter and the Sorcerer's Stone (2001)<br />
18. The Lord of the Rings: The Fellowship of the Ring (2001)<br />
19. <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong>: Episode II - Attack of the Clones (2002)<br />
20. <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong>: Episode VI - Return of the Jedi (1983) 145<br />
Abgesehen da<strong>von</strong>, dass fünf der sechs <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Filme in dieser Top 20 auftauchen, findet<br />
sich das Konzept der Heldenfahrt in 17 dieser Blockbuster wieder. Somit drängt sich die<br />
Frage beinahe schon auf, worin das Geheimnis des großen Interesses an der Heldenfahrt<br />
sich begründet. Wenn die Eskapismus Erklärung nicht als ausreichend anzusehen ist und<br />
auch audiovisuelle Aspekte und perfektes Marketing keine hinreichende Begründung liefern,<br />
muss ein anderer Grund für die Beliebtheit dieses Erzählprinzips im Mainstream vorhanden<br />
sein. Daher erscheint es mir lohnenswert noch einmal zu <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> <strong>zur</strong>ückzukehren und<br />
den Film hermeneutisch zu analysieren.<br />
145 http://www.filmsite.org/boxoffice.html, (28.02.2007)<br />
54
4 Hermeneutische Analyse der <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Narration<br />
Dieses Kapitel durchläuft erneut die Umsetzung der einzelnen Schritte des Monomythos in<br />
<strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> und stellt die Ergebnisse einer hermeneutischen Analyse des Films heraus.<br />
Hierbei entwickle ich einen Begriffsapparat <strong>von</strong> elf Begriffen, den ich anschließend auf die<br />
Phänomene der <strong>Popkultur</strong> übertrage.<br />
„Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis…“ 146 Der Nachhall der<br />
Eröffnungsfanfare der 20th Century Fox klingt noch in den Ohren, wenn diese Worte auf der<br />
Leinwand erscheinen. Die Fox-Fanfare lässt den Erwartungspegel steigen. Die<br />
märchengleiche Einleitung zu <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> beflügelt sofort die Fantasie und schickt sie <strong>zur</strong>ück<br />
in die eigene Kindheit, in der die Märchen regelmäßig mit der Formel ‚Es war einmal…’<br />
begannen. Diese Einleitungsformel der Märchen weist auf eine Unzeit hin, eine Periode, die<br />
nicht näher bestimmt werden will, kann oder muss. Sie richtet den Blick des Hörers oder<br />
Lesers automatisch auf einen Ort, an dem alles passieren kann. In <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> wird die<br />
Formel expandiert und weist in Richtung ‚einer weit, weit entfernten Galaxis’. Nicht ein<br />
idyllisches Dorf oder ein kleines Königtum haben wir im Folgenden erwarten, sondern gleich<br />
eine ganze Galaxis. Gleich zu Beginn des Films werden also die Größenverhältnisse <strong>zur</strong>echt<br />
gerückt, auf die wir uns einlassen müssen. Mit dieser Eröffnung wird der Zuschauer gerüstet,<br />
um das Unerwartete zu erwarten. Der Begriff Galaxis richtet die Erwartung des Zuschauers<br />
im selben Moment hinauf zu den Sternen. Nicht unser Sonnensystem ist Ort der Handlung,<br />
nicht die Milchstraße ist Ort dieser Galaxis, sondern eine sehr weit entfernte Galaxis, eine<br />
dieser Sternenwolken, die wir selbst in sternenklarer Nacht nur mit einem Vergrößerungsglas<br />
oder in einer Sternenwarte erkennen können. Also eine Galaxis jenseits der Unsrigen.<br />
Ziehen wir nun die physikalischen Erkenntnisse <strong>zur</strong> Lichtgeschwindigkeit, Raumbrechung<br />
usw. heran, kann das ‚Es war einmal’ zu jeder Zeit spielen, also auch in unserer<br />
Gegenwart. 147 Wo so viel unbestimmter Raum und unbestimmte Zeit <strong>zur</strong> Verfügung steht,<br />
kann alles passieren, auch, dass wir möglicherweise nichts <strong>von</strong> dem verstehen, was folgt.<br />
Der Begriff Galaxis spielt mit der Sehnsucht des Menschen, nach den Sternen zu greifen,<br />
das Unbekannte zu erforschen, neues zu entdecken, Welten die noch nie ein Mensch zuvor<br />
gesehen hat… (Entschuldigung, das war <strong>Star</strong> Trek. Mein Fehler ich habe mich im Universum<br />
vertan). Dieses Intro ohne jegliche Sounduntermalung versetzt den Zuschauer in einen<br />
ambivalenten Zustand zwischen Vertrauen und Sicherheit auf der einen, und Neugier und<br />
Sehnsucht auf der anderen Seite. Wir werden regelrecht in die Welt des Kindes hinein<br />
146 Lucas, G., 1977, 1997, 2004, (00:00:20 – 00:00:25)<br />
147 In der Tat basiert auch der „What if“ TV Spot für <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> genau auf dieser Idee. „Was wäre,<br />
wenn sich all dies jetzt in diesem Moment abspielen würde? Was wäre wenn Luke Skywalker gegen<br />
den Todesstern kämpfen und versuchen würde, eine Prinzessin zu retten? Was wäre, wenn Sie<br />
mitkommen könnten?...“ Lucas Film Ltd, 2004<br />
55
versetzt, dass, bei seinen ersten Auseinandersetzungen mit der Welt, mit diesen Zuständen<br />
jeden Tag in Berührung gerät. Allerdings erleben wir diese Zustände jetzt aus der<br />
komfortablen Position unseres Fernseh- oder Kinosessels. Um dem Film folgen zu können,<br />
müssen wir uns auf einen Gemütszustand einlassen, in dem Märchenfiguren wie Helden,<br />
Prinzessinnen, Elfen, Feen, Zauberer, Ritter, Hexen, Drachen usw. geglaubt werden. Kurz:<br />
wir müssen uns auf eine märchenhafte Welt einlassen.<br />
Wie diese Galaxis beschaffen ist, erfahren wir sofort in der zweiten Einstellung. <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong><br />
oder auch Krieg der Sterne läuft in überdimensionierten Lettern als Rolltext über die<br />
Leinwand und bewegt sich in den dreidimensionalen Raum hinein. Dabei entpuppt sich der<br />
Raum um den Schriftzug herum als Sternenhimmel und der Schriftzug schrumpft immer<br />
mehr, bis er zwischen den Sternen verschwindet. Während der Titel noch verschwindet, rollt<br />
vom unteren Ende der Leinwand ein weiterer Text ins Bild, der ebenfalls nach hinten in den<br />
Weltraum verschwindet. Der Text klärt sofort, in welchem Zustand sich die Galaxis befindet,<br />
die wir vorfinden: Bürgerkrieg. Die Parteien werden vorgestellt. Während die Rebellen <strong>von</strong><br />
geheimen Stützpunkten aus operieren, wird das Imperium als ‚böse’ markiert. Dann werden<br />
wiederum die Größenverhältnisse <strong>zur</strong>echt gerückt, indem die Zerstörungskraft des ‚bösen’<br />
Imperiums beschrieben wird. Schließlich erfahren wir <strong>von</strong> einer Prinzessin, die die<br />
Möglichkeit hat die Galaxis vor der Herrschaft des ‚bösen’ Imperiums zu retten. Allerdings<br />
versucht das ‚böse’ Imperium sie mit allen Mitteln daran zu hindern und hat zu diesem Zweck<br />
die Verfolgung der Prinzessin bereits aufgenommen<br />
Die Exposition in Form des Rolltextes weist den Zuschauer in die ihn erwartenden<br />
herrschenden Verhältnisse ein. Wir wissen nichts genaueres, kennen aber nun grob die<br />
Protagonisten und Antagonisten. Um die Galaxis ist es kurz gesagt, nicht zum Besten<br />
bestellt, aber es gibt Hoffnung. Mit diesem Text wird für den Zuschauer der Hintergrund<br />
eines Konfliktes gezeichnet, bei dem es um Alles oder Nichts geht. Wurde die Erwartung<br />
Eingangs noch auf das Märchen gelenkt, wird sie nun erweitert. Das Märchen wird auf die<br />
gesellschaftliche Ebene angehoben. Dadurch wächst das Märchen zum Mythos an, wie<br />
Campbell anmerkt. „Bezeichnenderweise ist der Triumph des Märchenhelden ein häuslicher,<br />
mikrokosmischer, während der des <strong>Mythen</strong>helden ein weltgeschichtlicher, makrokosmischer<br />
ist.“ 148<br />
Das es sich hier um einen Mythos handelt lässt sich auch aus dem Szenario<br />
schließen. Das Sujet behandelt gleich einen ganzen Bürgerkrieg, der ohne Kompromisse<br />
geführt wird. Wir sehen uns also mit der Situation einer substantialistischen<br />
Gesellschaftsform konfrontiert, deren grundsätzliche Konstitution immer dadurch bestimmt<br />
ist, dass sie keine andere Form der Interaktion kennt, als die des Zusammenstoßes. 149 In<br />
einer solchen Gesellschaft haftet der Einzelne für jede seiner Taten mit der ganzen Person<br />
und wird nur anhand seiner Taten bewertet. Das ist die Welt der <strong>Mythen</strong>.<br />
148 Campbell, J., 1999, S. 42<br />
149 Vgl. Hauck, G., 2006<br />
56
Der Zuschauer scheint nun ausreichend präpariert, um in die beschriebene Welt<br />
einzutauchen, die Story kann beginnen. Nun erst finden wir uns in dem im ersten Kapitel<br />
dieser Arbeit beschriebenen Bild wieder und blicken in den leeren Weltraum. Das<br />
Geschehen auf der Leinwand zeigt tatsächlich eine Galaxis. Wir sind irgendwo im All, nicht<br />
einmal auf einem Planeten. Die Kamera fährt nach unten und die Raumschiffe fliegen<br />
scheinbar endlos durch das Bild. Keine Spur <strong>von</strong> märchenhaften Erscheinungen. Nur kalter<br />
Weltraum, ein paar Planeten im Hintergrund und die Konfrontation zwischen zwei<br />
Raumschiffen.<br />
Lucas wollte seine Geschichte erzählen, ohne die für die Zuschauer fremdartige, irritierende<br />
Umwelt erklären zu müssen. Deshalb ist die Exposition <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> mit der Rollschrift zu<br />
Beginn noch nicht zu Ende. Aber die Galaxis durch die sich der Film bewegt wird quasi in<br />
einem ‚learning-by-watching’ vor dem Zuschauer entfaltet. „Es ist wie bei einem<br />
Anthropologen. Man begibt sich in eine fremde Gesellschaft und beobachtet sie.“ 150<br />
Wir werden Zeuge, wie Soldaten sich ein Gefecht liefern, die Prinzessin <strong>von</strong> dem bösen<br />
Darth Vader gefangen genommen wird. Danach können wir beobachten wie die beiden<br />
Roboter C3-PO und R2-D2 <strong>von</strong> dem Raumschiff der Prinzessin fliehen, in einer Wüste<br />
landen, sich streiten, trennen und in einem riesigen Fahrzeug, dass Ähnlichkeiten mit einer<br />
Planierraupe aufweist, die <strong>von</strong> kleinen Wesen in braunen Kapuzenmänteln betrieben wird,<br />
unfreiwillig und zufällig wieder zusammenkommen.<br />
Dies dient zu großen Teilen mehr der Exposition der fremden Galaxis, als dass es<br />
offensichtlich die Story vorantreibt. Trotzdem erfüllt es seinen Zweck. Denn wenn an diesem<br />
Punkt Luke Skywalker auf den Plan tritt, hat sich der Zuschauer bereits in das fremde<br />
Universum eingesehen. Riesige Raumschiffe, menschelnde Roboter, fremde Welten, Aliens<br />
usw. erscheinen uns bereits viel weniger fremd. Die Bösen sind sehr mächtig und der<br />
Oberböse, Darth Vader, wird dadurch kenntlich gemacht, dass er ganz in schwarz gekleidet<br />
ist und einen Helm trägt, der sich nicht zwischen einem Wehrmachts- und einem<br />
Samuraihelm entscheiden kann. Soldaten sind Befehlsempfänger und opfern sich, die<br />
Außerirdischen sind fahrende Schrotthändler und insbesondere 3PO und R2 mit ihrem an<br />
Laurel und Hardy angelehnten Humor erwärmen den Zuschauer für die eigentlich kalte,<br />
technische Welt.<br />
In dieser 15 Minütigen Eröffnungssequenz wird sogleich eine erste Besonderheit des<br />
modernen Mythos <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> sichtbar. Es heißt zwar eingangs ‚Es war einmal’, aber die<br />
technologische Galaxis, die der Zuschauer präsentiert bekommt ist unserer heutigen Welt<br />
um ein vielfaches voraus. Lucas hat seinen Mythos also in einer Zukunft angesiedelt, in der<br />
der Weltraum bereist wird, und in dem uns trotzdem vieles vertraut erscheint. Das Setting<br />
150 Lucas, G. zit. in: Koebner, T., 2003, S. 302<br />
57
des Mythos in die Zukunft zu verlagern erweist sich als kluger Schachzug, wird hier doch<br />
audiovisualisiert und dabei suggeriert, was dem Menschen noch alles möglich erscheint.<br />
Genau das entspricht auch Lucas Intention: „Ich wollte eine neue Mythologie schaffen.<br />
Deshalb habe ich überhaupt mit dem Filmen angefangen. … Mir war klar, dass ein neuer<br />
Mythos im All spielen musste – der Weltraum ist die neue Grenze, an die wir stoßen.“ 151 Die<br />
menschlichen Möglichkeiten sind zwar weitaus limitierter als der Film, aber knapp zehn<br />
Jahre nach der ersten Mondlandung, erschien das NASA-Programm <strong>zur</strong> Eroberung des<br />
Weltraums immer noch verlockend genug, um die Phantasie zu beflügeln. Mit der nächsten<br />
Szene landen wir allerdings vorerst wieder auf dem Boden der Tatsachen.<br />
Die Wüste ist der Hintergrund <strong>von</strong> dem die Story nun ihren Ausgangspunkt nimmt. Sie steht<br />
für Einsamkeit und Einöde, weit entfernt <strong>von</strong> jeder Zivilisation. Mysteriös, geheimnisvoll,<br />
menschenfeindlich, aber im Mythos auch <strong>von</strong> jeher Ort der inneren Reinigung, denkt man<br />
beispielsweise an die Geschichte der Versuchung Jesu durch den Teufel in der Wüste. Im<br />
mythischen Rahmen produziert die Wüste produziert beinahe zwangsläufig aufrichtige<br />
Menschen, weil die Menschen in dieser lebensfeindlichen Umwelt aufeinander angewiesen<br />
sind. Hier am Rande des Nirgendwo werden die Helden der Gemeinschaft erzogen, bar<br />
jeder zivilisatorischen Entfremdung, frei <strong>von</strong> den Verlockungen und Angeboten großer<br />
Städte.<br />
In <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> bestimmt die Wüste die Richtung, die das Abenteuer nimmt. Wird sie nicht<br />
selbst zum Ort des Abenteuers, ist die Wüste der Ausgangspunkt. Noch weiter hinaus ins<br />
Nichts geht es nicht. Luke Skywalker merkt das auch an: „… wenn das Universum ein helles<br />
Zentrum hast, bist Du auf diesem Planeten am weitesten da<strong>von</strong> weg.“ 152 Die Exposition des<br />
Films gibt also auch die Richtung vor, die die Heldenfahrt nehmen wird. Sie führt aus dem<br />
Nichts heraus auf die Gesellschaft zu und zwar in der Form, dass der Held die Gesellschaft<br />
zu ordnen haben wird. Während der Zuschauer bis hierher noch glauben muss, dass ein<br />
Zufall die Roboter auf dem Planeten hat stranden lassen, kristallisiert sich immer mehr<br />
heraus, dass es alles andere als ein Zufall ist, dass sie hier gelandet sind. In der Story bleibt<br />
der Zufall noch genau so lange als Möglichkeit im Raum stehen, bis 3PO die Behauptung<br />
<strong>von</strong> R2 übersetzt, dass R2 einem Obi Wan Kenobi gehört, der irgendwo in der Wüste wohnt,<br />
und dieser nur wenige Minuten später in Persona auf die Szene tritt. Aber so weit ist es noch<br />
nicht, denn jetzt folgt der Auftritt des späteren Helden, dem Protagonisten dieses Mythos:<br />
Luke Skywalker. Die Notwendigkeiten des Lebens in der Wüste haben ihn definiert. Er ist<br />
jung, agil, kräftig, höflich, versteht sich auf Technik, hat Träume und ihn treibt die Sehnsucht<br />
an, eines Tages hinaus in den Weltraum ziehen zu können. Aber er ist, wenn auch<br />
widerstrebend, folgsam und erledigt die Aufgaben, die er im Dienst der Familie in der Wüste<br />
151 Lucas, G., 21/1999, S. 92<br />
152 Lucas, G., 1977, 1997, 2004, (00:19:24 – 00:19:29)<br />
58
zu erledigen hat. Kurz und im übertragenen Sinne: ein ganz normaler Teenager,<br />
möglicherweise der ideale Schwiegersohn, wie ihn sich alle Großmütter wünschen.<br />
Ein ganz normaler Teenager? Eine ganz normale Familie? Nicht ganz. Skywalker lebt bei<br />
Onkel und Tante und über seine Eltern erfahren wir hier nur ganz beiläufig, dass der Vater<br />
kein Farmer war. Seine Familienverhältnisse sind unklar. Aber selbst darin gleicht er vielen<br />
Teenagern der Moderne, die nicht den Familienverhältnissen einer Normalbiographie mit<br />
Mutter und Vater aufgewachsen sind. Wir wissen zwar nicht genau wo er her kommt, aber<br />
wir wissen, was wir sehen 153 : Keinen strahlenden Helden, der sich gegen jeden Feind<br />
durchsetzt. Einen, der zwar <strong>von</strong> einer anderen Welt gehört hat und vom Unrecht in der<br />
Galaxis, der Pilot werden möchte, aber mehr auch nicht. Darin allerdings gleicht er beinahe<br />
jedem Teenager. Er kennt die Welt vom Hörensagen, nur kann er nicht hinausziehen, wie er<br />
möchte. Um sich mit ihm identifizieren zu können sind diese Informationen ausreichend.<br />
Entscheidend für die Identifikation sind also weniger seine familiäre Herkunft, als vielmehr<br />
seine Träume und Ideale und die Koordinaten seiner ‚biogeographischen’ Herkunft.<br />
‚Biogeograpisch insofern, dass er quasi im Nichts aufgewachsen ist. Dieses Nichts ist die<br />
Metapher für den alltäglichen Wohnsitz der Eltern, das gleichförmige Leben, dass an die<br />
äußeren Bedingungen angepasst ist. In diesem Falle denen des Nichts. Also der Ort an dem<br />
nichts los ist. Das Bild ist klar, das alltägliche Leben der Elterngeneration verspricht nichts.<br />
Hier will man nur weg. Daher weisen auch Skywalker’s Träume und Sehnsüchte einfach<br />
irgendwo in die Ferne, ohne auf einen bestimmten Punkt fixiert zu sein. Sie richten sich<br />
dahin, wo etwas ‚los’ ist. Weil er aber selber diesen Punkt nicht genau kennt und sein Onkel<br />
ihn mitsamt seiner Vorstellungswelt da<strong>von</strong> abhalten will diesen Punkt aufzusuchen, bricht<br />
Skywalker nicht <strong>von</strong> alleine auf. Selbst der Hilferuf der Prinzessin bewegt ihn nicht dazu<br />
aufzubrechen. Das erklärt sich zudem daraus, dass der Hilferuf nicht an ihn adressiert ist.<br />
Aber als der Hilferuf erscheint wird er hellhörig und thematisiert gegenüber Tante und Onkel<br />
sowohl den Hilferuf, als auch seinen Wunsch aufzubrechen. Allein die Tatsache etwas <strong>von</strong><br />
dem Fernen Ort, an dem etwas ‚los’ ist, zu hören genügt, um Skywalker in Schwung zu<br />
bringen, bis er <strong>von</strong> seinem Onkel erneut gebremst wird. Zu wage ist die Nachricht und<br />
Skywalker fügt sich in sein häusliches Schicksal.<br />
Das Schicksal nimmt aber längst seinen Lauf, indem R2, während des Gesprächs zwischen<br />
Luke, Beru und Owen, bereits aufgebrochen ist, um Obi Wan Kenobi zu suchen. Am<br />
nächsten Morgen bricht auch Skywalker auf, aber nicht um sein Abenteuer anzutreten,<br />
sondern um den Roboter <strong>zur</strong>ückzuholen, damit er zu Hause keinen Ärger bekommt. Mit<br />
anderen Worten, die Technik sorgt, bildlich gesprochen, dafür, dass Luke Skywalker<br />
aufbricht. Seine Intention ist allerdings nicht der Aufbruch, sondern das Bewahren der<br />
Besitztümer und der heimischen Ordnung. Und erst dann bricht sich der Zufall, der keiner ist,<br />
153 Also auch in der Exposition der Figur bleibt das Schema beibehalten, dass Dinge durch ‚learningby-watching’<br />
entfaltet werden.<br />
59
Bahn. Dann trifft Luke Skywalker auf Obi Wan Kenobi, seinen späteren Mentor, der<br />
wiederum deutlich macht, wie nah für Skywalker die Möglichkeit liegt, dahin zu gelangen, wo<br />
etwas ‚los’ ist. Kenobi hat gute Argumente, er klärt Skywalker und die Zuschauer über<br />
dessen Herkunft auf. Plötzlich erhalten seine Träume und Sehnsüchte ein Motiv, sie wurden<br />
ihm mit in die Wiege gelegt. Zusätzlich weiht Kenobi ihn und die Zuschauer erstmalig in die<br />
Geheimnisse der Macht ein und öffnet so für Skywalker ein Fenster. Aber obwohl Kenobi ihn<br />
braucht und bittet mit ihm zu gehen sind unserem Helden das immer noch nicht genug<br />
Argumente für den Aufbruch. Skywalker kennt seine Pflichten. So sehr es ihn auch antreibt,<br />
loszuziehen, so sehr er dadurch in Gewissenskonflikte gerät, so sehr weiß er die Familie zu<br />
schätzen, bei der er lebt und die ihm seine bescheidene Existenz ermöglicht hat. Luke<br />
Skywalker kennt seinen Platz und deshalb ist er der Prototyp des Wunschbildes eines<br />
Teenagers. Dieser Held ist als ein Held der Familie, schon Held, bevor er offensichtlich<br />
heldenhafte Abenteuer besteht.<br />
Das Schicksal muss hart zuschlagen, damit Luke schließlich einen Grund findet, um doch<br />
aufzubrechen. Erst als er seine Heimstatt zerstört vorfindet und Onkel und Tate tot sind, gibt<br />
es keinen Grund mehr für ihn länger zu bleiben. Jetzt darf die Verlockung dessen, wo etwas<br />
‚los’ ist, greifen, denn er ist unselbständig genug, um jemanden zu brauchen, dem er sich<br />
anvertrauen und in dessen Obhut er sich begeben kann. Mit Obi Wan Kenobi ist dieser<br />
jemand gegeben. Diese Unselbständigkeit könnte man als Schwäche interpretieren, sie zeigt<br />
aber auch die Selbstbewusstheit Skywalker’s. Er kennt seine Grenzen.<br />
Die Entwicklung der filmischen Narration greift auch die Kameraführung auf. Nachdem Luke<br />
Skywalker als Identifikationsangebot präsentiert wurde, wechselt der Film schrittweise seine<br />
Perspektive. Während zunächst die Perspektive der Roboter eingenommen wurde, verlagert<br />
sie sich in dieser Sequenz und für den Rest des Films auf Luke Skywalker. Der Zuschauer<br />
erlebt den Film fortan mehr oder weniger aus der Perpektive des Helden und wird so<br />
interaktiv in die Handlung eingebunden.<br />
Relativ unauffällig haben sich bei dieser Entwicklung auch die ersten Helfer an seiner Seite<br />
eingefunden. Sie genügen allerdings noch nicht, um über die Schwelle treten zu können,<br />
hinter der das, zumindest für Skywalker, Unbekannte wartet. Kenobi weiß das und Skywalker<br />
muss es lernen. Sie brauchen ein Raumschiff inklusive Piloten für ihre Mission. Mit Han Solo<br />
und seinem Co-Piloten Chewbacca finden sie jemanden. Schrittweise findet so eine Gruppe<br />
zusammen, in der jeder weiß, was er zu tun hat und in der jeder seine Aufgabe kennt und<br />
erledigt. Die Gruppe hat also den Charakter eines Teams. Ausgenommen Luke.<br />
Vordergründig hat er keine Aufgabe, sondern ist nur dabei. Das ist sicherlich nicht ganz<br />
richtig, denn Skywalker hat sehr wohl eine Aufgabe. Seine Aufgabe ist zu lernen und er lernt<br />
60
als ‚Trainee-on-the-job’, sofern Kenobi ihn nicht unmittelbar unterrichtet. Das wird ab diesem<br />
Zeitpunkt des Films noch genau einmal der Fall sein.<br />
An Bord <strong>von</strong> Solo’s Raumschiff, dem ‚Rasenden Falken’ startet die Gruppe Richtung<br />
Alderaan, dem <strong>von</strong> der Prinzessin angegebenen Planeten, an dem sie die in R2-D2<br />
gespeicherten Daten abliefern sollen. Auf dem Flug dorthin trainiert Luke mit dem<br />
Lichtschwert, indem er Strahlenschüsse einer kleinen Schwebekugel abwehrt. Kenobi erteilt<br />
ihm die Aufgabe mit heruntergeklapptem Visier zu kämpfen, so dass er nicht sehen kann.<br />
Dies begleitet er mit den Worten: „Und kümmere Dich jetzt nicht um Dein bewusstes Selbst,<br />
folge Deinen Instinkten. … Die Augen können Dich täuschen, traue ihnen nicht. Lass Dich<br />
<strong>von</strong> Deinen Gefühlen leiten.“ 154 Kenobi fordert <strong>von</strong> Luke nichts weniger, als sein bisheriges<br />
Selbst, also seine bisherige Identität, abzulegen. War bis zu diesem Zeitpunkt seines Lebens<br />
sein Antrieb in erster Linie der, die Erwartungen anderer zu erfüllen, sagt Kenobi ihm nun, er<br />
solle sich nur auf die innere Stimme seiner Gefühle verlassen. Skywalkers Weltbild wird so<br />
fundamental umgekrempelt. Die Lehre ist: An dem Ort, wo etwas ‚los’ ist, muss man seinen<br />
eigenen Instinkten vertrauen. Luke folgt der Anweisung und es gelingt ihm tatsächlich die<br />
Übung zu bewältigen.<br />
Abgesehen <strong>von</strong> dem vertraulichen Lehrer Schüler Verhältnis wird hier in der Zukunft ein<br />
pädagogisches Bild entgegen aller tradierten Vorstellungen gezeigt. Der Held darf auf sich<br />
und seine Gefühle hören, nicht auf Logik und Verstand. Es kommt nur auf ihn an. Die<br />
Botschaft <strong>von</strong> Kenobi’s Lehre kommt einem popkulturellen Manifest gleich: da wo etwas ‚los’<br />
ist, musst Du Du selbst sein, um zu bestehen.<br />
Gleichzeitig ist Skywalker aber auf die Gruppe angewiesen. Ohne sie ist er nichts, nicht<br />
einmal er selbst. Im Film wäre er ohne die Gruppe niemals an den Ort gelangt, an dem er<br />
sich jetzt befindet. Deshalb kann er die Spielregeln seiner Gemeinschaft nur befolgen, bis er<br />
etwas beisteuern kann, dass dazu beiträgt, die Gruppe zu befördern. Die Zeit dafür wird<br />
kommen, aber noch ist Skywalker nicht so weit, weshalb er zunächst weiter lernen muss. In<br />
der Praxis lernt Luke immer wieder <strong>von</strong> jedem Mitglied der Gruppe und seien auch es nur die<br />
verbalen Auseinandersetzungen mit Han Solo oder später der Prinzessin. Unterdessen<br />
erwacht ganz allmählich das Individuum in ihm, dass die Gruppe befördern kann. Als Ben<br />
Kenobi die Gruppe verlässt, um den Traktorstrahl zu lösen, der den Rasenden Falken an<br />
den Todesstern bindet, ist es Skywalker’s erste eigene Aufgabe Han Solo da<strong>von</strong> zu<br />
überzeugen, dass es notwendig und auch für Solo <strong>von</strong> finanziellem Nutzen ist, die Prinzessin<br />
aus dem Gefängnistrakt des Todessterns zu befreien. Der Plan, den Skywalker sich<br />
ausdenkt und den sie anschließend durchführen ist tolldreist, tollkühn und strotzt nur so vor<br />
Übermut und jugendlichem Selbstvertrauen. Skywalker und Solo maskieren sich in der<br />
Uniform der Sturmtruppen und führen Chewbacca als Gefangenen in den Gefängnistrakt.<br />
154 Lucas, G., 1977, 1997, 2004, (00:59:08 – 00:59:48)<br />
61
Der Ort, an dem etwas ‚los’ ist, ist ein gefährlicher Ort. Dort muss man sich maskieren, um<br />
nicht <strong>von</strong> den Interessen der anderen überwältigt werden zu können. Die Maskerade<br />
garantiert vorerst die Unversehrtheit der Person.<br />
Im Gefängnistrakt angekommen fliegt ihr Plan jedoch sofort auf und sie müssen sich den<br />
Weg freischießen, da sie den erforderlichen imperialen Code nicht beherrschen. Einer<br />
direkten Konfrontation ist die Maskerade also nicht gewachsen. Aber wir befinden uns im<br />
Mythos und ‚anything goes’, wenn es dem guten Zweck dient. Hier, wo etwas ‚los’ ist, gilt es<br />
die eigenen Interessen ausdrucksstark, rücksichtslos und mit allen Konsequenzen zu<br />
vertreten. In einer substantialistischen Gesellschaft ist es anders gar nicht denkbar. Man<br />
stelle sich nur einmal vor, Luke Skywalker oder Han Solo fingen mit den Wachen des<br />
Imperiums eine Diskussion darüber an, warum es besser ist die Prinzessin freizugeben.<br />
Oder Möglichkeit b, sie interessieren sich nicht weiter für die Prinzessin und treten gleich in<br />
die Dienste des Imperiums. Solche Vorstellungen sind allein dem modernen Menschen<br />
vorbehalten. Verhielte sich der moderne Mensch allerdings wie die Helden im Film, spräche<br />
man <strong>von</strong> Authentizität. Authentizität steht für den Menschen der substantialistischen<br />
Gesellschaft aber gar nicht <strong>zur</strong> Debatte. Aus diesem Grund müssen die Helden des<br />
modernen Mythos wiederum auch so übermütig durch den Todesstern toben, wie es der Film<br />
zeigt. Sie sind keine Strategen wie Obi Wan Kenobi, sie sind jung, sie sind übermütig und<br />
wenn Lucas ihnen Skateboards ins Drehbuch geschrieben hätte, wären sie sicherlich auf<br />
denen durch den Todesstern geflitzt. Aus dem gleichen Grund kommen sie auch selbst aus<br />
den unmöglichsten Situationen mit den absurdesten Methoden wieder heraus. Sie<br />
unterstreichen damit die Überlegenheit der jugendlichen Spontaneität, die als Ausdruck <strong>von</strong><br />
Authentizität gewertet wird. Damit repräsentieren sie in diesem modernen Mythos eines der<br />
Postulate des Pop in Personae.<br />
Prinzessin Leia Organa differenziert das Team nur um eine weitere Komponente aus. Als<br />
Skywalker ihre Zellentür öffnet ist er hingerissen. Die Prinzessin ergänzt das<br />
Heldenensemble. Skywalker’s Idealismus und Solo’s Individualismus werden um die<br />
Komponenten Emanzipation und Pragmatismus bereichert, und es dauert nicht lange, bis<br />
Organa die Führung in der Gruppe zu übernehmen versucht. Es gelingt ihr nicht. Die Gruppe<br />
bildet ein Team, in dem jeder gleicher unter Gleichen ist. Selbstverständlich repräsentiert die<br />
Prinzessin auch die bis dato fehlende Weiblichkeit in der Gruppe. Aber diese Weiblichkeit<br />
wird reduziert und <strong>von</strong> Sexualität kann gar nicht erst die Rede sein. „Lucas bestand sogar<br />
darauf, dass Carrie ihre Brust mit Hilfe <strong>von</strong> Unmengen dicken Klebebands festklebte. ‚Weder<br />
Wackelbusen im Weltall noch Anmache im Imperium ... Lucas wollte nun mal keine<br />
62
Sexualität in seinem Märchenfilm – bloß keine Gefühlsduseleien.“ 155 Gefühle bleiben im <strong>Star</strong><br />
<strong>Wars</strong> Universum zu diesem Zeitpunkt der Anwendung der Macht vorbehalten. 156<br />
Die Szenerie im Todesstern kann insgesamt als das <strong>von</strong> Campbell beschriebene Bild des<br />
‚Bauch des Walfisches’ interpretiert werden. In der Szene im Gefängnistrakt wird dieses Bild<br />
noch einmal verdichtet, wenn das durch Leia Organa zum Quartett angewachsene Team, in<br />
die Müllpresse fliehen muss. Für Campbell bedeutet der Bauch des Walfischs den<br />
„…Abstieg in die Finsternis. Psychologisch verkörpert der Wal die im Unbewußten<br />
eingeschlossene Lebenskraft. … Die bewusste Persönlichkeit ist hier mit einer Ladung<br />
unbewußter Energie in Berührung gekommen, die es nicht zu bewältigen vermag…“ 157<br />
Entsprechend entkommen die Helden der Müllpresse auch nur mit Hilfe der beiden Roboter,<br />
die sie in der Nähe ihres Raumschiffes <strong>zur</strong>ückgelassen hatten. Technik wird in dieser Szene<br />
erneut zum dem Vehikel, auf dass der Held angewiesen ist. Die Szene unterstreicht, wie<br />
wesentlich das Ineinandergreifen aller Kräfte des Teams ist, um erfolgreich zu sein.<br />
Nachdem sie aus der Müllpresse entkommen sind, gestaltet sich die weitere Flucht vom<br />
Todesstern beinahe als ein Kinderspiel. Die Sturmtruppen des Imperiums sind den Helden<br />
zwar zahlenmäßig weit überlegen und ständig dicht auf den Fersen, aber die Dynamik der<br />
Inszenierung stellt die Flucht der Helden keine Sekunde ernsthaft in Frage. Ihr ungestümes<br />
Temperament wird, wenn überhaupt, nur kurzfristig gebremst und es stellt sich viel eher die<br />
Frage, wie viele Schwierigkeiten sie wie überwinden werden. Der Film hält das Tempo bis zu<br />
dem Zeitpunkt, als sie beim ‚Rasenden Falken’ ankommen und Darth Vader Obi Wan Kenobi<br />
stellt. In dieser Szene wird das Tempo für einen kurzen Moment reduziert, um dem Kampf<br />
der Titanen den notwendigen Raum ein<strong>zur</strong>äumen und deutlich zu machen, dass Luke<br />
Skywalker den Platz seines Mentors einnehmen muss. Die Szene ist <strong>von</strong> tief greifender<br />
Bedeutung für die positive Initiation <strong>von</strong> Luke Skywalker, denn sie zeigt einerseits, dass<br />
Kenobi sich der Wahrheit des Todes stellt und sich freiwillig in das Unabwendbare fügt, um<br />
die Gruppe zu schützen. Andererseits, und das ist ein religiöser Aspekt, bedeutet Kenobis<br />
Tod auch nicht das Ende des Lebens, zumindest nicht im <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universum. Sowohl die<br />
Protagonisten als auch die Zuschauer erleben unmittelbar Kenobi’s Auferstehung. In<br />
brenzligen Situationen ertönt für Luke fortan dessen Stimme aus dem Off in beratender<br />
Funktion. Luke ist immer noch kein vollwertiger Held, aber so lange er sich im Lauf seiner<br />
155 Pollock, D., 1983, S. 112<br />
156 Das ändert sich erst in Episode V – Das Imperium schlägt <strong>zur</strong>ück, mit der Romanze zwischen Han<br />
Solo und Leia Organa. Betrachtet man Leia’s Kostüm in Jabba’s Palast in Episode VI – Die Rückkehr<br />
der Jedi Ritter, lässt sich sogar <strong>von</strong> Sexualität sprechen. Gleichzeitig ist es aber auch das Kostüm,<br />
das eine Sklavin in Jabba’s Palast zu tragen hat, wodurch der sexuelle Aspekt negativ konnotiert wird.<br />
Carrie Fisher über die Figur Leia Organa: „Im Laufe der Folgen gewinnt sie jedoch eine gewisse<br />
Weiblichkeit, die besonders bei der Rückkehr der Jedi-Ritter deutlich wird. Sie verliert etwas <strong>von</strong> ihrer<br />
königlichen Würde … und fast alle ihre Kleider.“ (Fisher, C., 1983, S. 51) In der ‚coming of age’<br />
Geschichte Lucas’scher Prägung bleibt Sexualität eine Randerscheinung.<br />
157 Campbell, J., 1994, S. 172<br />
63
Entwicklung in den Dienst der guten Sache stellt, wird er durch die Macht geschützt. Die<br />
Profanität dieser Heilsbotschaft lässt sie zu einem allgemeinen Identifikationsangebot<br />
anwachsen. 158 Es gibt keinen speziellen Erlöser und jeder kann in ihren Genuss gelangen,<br />
sofern er sich in den Dienst der entsprechenden Sache stellt. Im übertragenen Sinne ist dies<br />
die Botschaft der <strong>Popkultur</strong>, die sich auf den ‚american dream’ bezieht: Jeder kann es vom<br />
Tellerwäscher zum Millionär bringen, sofern er nur an sich glaubt und entsprechend hart an<br />
sich und für die Gemeinschaft arbeitet. Beispiele für dieses Phänomen werden beinahe<br />
gebetsmühlenhaft aufgezählt: Elvis Presley, The Beatles, Bill Gates, Richard Branson, U2,<br />
George Lucas, Arnold Schwarzenegger usw.<br />
Die Rückkehr über die Schwelle vollzieht sich in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> in zwei Schritten, wobei die<br />
Rückkehr hier nicht ein nach Hause komme bedeutet, sondern die Ankunft in der Sicherheit<br />
der guten Gemeinschaft, in diesem Fall dem Stützpunkt der Rebellen. Die Rückkehr in zwei<br />
Schritten dürfte nicht zuletzt der <strong>von</strong> Syd Field entwickelten Form des Drehbuchschreibens<br />
zu<strong>zur</strong>echnen sein. Traditionell beginnt der Hollywood-Film mit der Exposition, bis das erste<br />
erregende Moment auftaucht. Die Handlung steigt in der Folge an, bis sie an den Punkt der<br />
Peripetie oder Klimax angelangt ist. Anschließend fällt die Handlung wieder ab, erhält ein<br />
Retardierendes Moment und gelangt zu einem zweiten Höhepunkt, bevor sie endet. 159<br />
Hoffnung<br />
Die mögliche Wendung zum Guten<br />
Peripetie<br />
Steigende Handlung<br />
Fallende Handlung<br />
Erregendes<br />
Moment<br />
Retardierendes<br />
Moment<br />
I. II. III. IV. V.<br />
Katastrophe<br />
Pessimismus<br />
Die mögliche Wendung zum Schlechten / Bösen<br />
158 Das ändert sich erst mit dem Erscheinen der Episode I, in der Anakin Skywalker als der<br />
Auserwählte bezeichnet wird. In den jüngeren Episoden I – III wird die Macht <strong>von</strong> ihrem<br />
mythologischen Sockel gestoßen indem sie zu einer pseudowissenschaftlichen Sache erklärt wird: Sie<br />
sind Kleinstlebewesen, Midichlorianer genannt, die im Blut der zum Jedi Ritter befähigten in erhöhter<br />
Konzentration auftauchen.<br />
159 http://www.teachsam.de/deutsch/d_literatur/d_gat/d_drama/drama_2_1_4.htm, (05.03.2007)<br />
64
Die Flucht vom Todesstern gelingt den Helden relativ unbeschadet. Aber der Stützpunkt der<br />
Rebellen ist bedroht, denn der Todesstern ist den Flüchtigen dicht auf den Fersen und droht<br />
die Rebellion endgültig zu vernichten. Daher bleibt den Helden nur eine kurze Pause, in der<br />
sie die in R2 gespeicherten Daten des Todessterns für einen Gegenangriff aufbereiten,<br />
bevor der zweite Höhepunkt, die Schlacht um den Todesstern, beginnt.<br />
Nach der Flucht vom Todesstern werden die bisher im Film verwendeten Motive nur mehr<br />
variiert: Die Helden müssen zusammen arbeiten. Da sie im Dienst der guten Sache stehen,<br />
werden sie dabei <strong>von</strong> der Macht unterstützt. Ohne Unterstützung durch die Technik gelingt<br />
es ihnen nicht das Imperium zu besiegen. Erneut ist es R2 der entscheidend zum Gelingen<br />
beiträgt. Die Technik, Dein Freund und Helfer. In dieser finalen Schlacht wird aber auch<br />
Lucas Intention deutlich, dass letztlich der Mensch die Technik beherrschen soll und nicht<br />
umgekehrt. Während Skywalker seinen letzten Angriff auf den Todesstern fliegt, ertönt<br />
Kenobi’s Stimme aus dem Off, die ihn auffordert, sich der Macht und Kenobi anzuvertrauen.<br />
Daraufhin schaltet Luke seinen Zielcomputer aus und feuert seinen letzten Torpedo ‚aus<br />
dem Gefühl heraus’ ab. Kurz zuvor hatten noch Solo und Chewbacca eingegriffen, um Luke<br />
in seiner höchst gefährlichen Lage zu schützen. Solo bringt Vader’s Raumjäger aus dem<br />
Gleichgewicht, der daraufhin gleich in die Tiefen des Raums verschwindet. Leia und 3PO<br />
können dem Geschehen zwar nur vom Stützpunkt der Rebellen aus bangend folgen, aber<br />
sie unternehmen dies in der Kommandozentrale. Somit sind alle Heldenfiguren in diese<br />
letzte Herausforderung eingebunden und vollenden sie gemeinsam.<br />
In der finalen Schlussszene im Thronsaal wird die Kamera ein weiteres Mal zum interaktiven<br />
Anknüpfungspunkt, indem sie bei der Verleihung der Orden, die Perspektive der geehrten<br />
Helden übernimmt, wodurch der Zuschauer quasi gleichfalls den Orden umgehängt<br />
bekommt. Der Zuschauer bleibt durch diese immer wieder im Film auftauchende Form der<br />
Kameraführung nicht nur externer Beobachter der Geschehnisse des Films, sondern er wird<br />
in die Handlung mit einbezogen. <strong>Mythen</strong> bieten für eine interaktive Aktivierung der<br />
Rezipienten besonders viel Anlass, gehört es doch zu ihrem Prinzip, Raum für die<br />
Gestaltung zu eröffnen. „<strong>Mythen</strong> würden sich an zu viel Realismus zerreiben; sie brauchen<br />
die Formbarkeit des Fiktiven, des Konstruierbaren, des Phantasierbaren und müssen sich,<br />
um Kraft zu gewinnen, <strong>von</strong> störender Bodenhaftung frei halten.“ 160 Spätestens an diesem<br />
Punkt trifft der Mythos auf das Lebensgefühl des Pop. Pop bedeutet ebenfalls Formbarkeit<br />
des Fiktiven, des Konstruierbaren und Phantasierbaren und behauptet dabei, dies sei, unter<br />
Einhaltung bestimmter grundlegender Spielregeln für jedermann möglich, um ein Popprodukt<br />
zu erzeugen. Die grundlegenden Spielregeln des, versammeln sich allesamt in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong>.<br />
Um welche Regeln es sich dabei im Einzelnen handelt wird im Folgenden gezeigt.<br />
160 Möller, R. u. Sander, U., 2003, S. 381<br />
65
4.1 Interaktivität – Erzählperspektive, Entfaltung, Identifikation und Kameraführung<br />
Das Moment der Interaktivität wird in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> auf vielen Ebenen erzeugt. Bereits die<br />
Exposition <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> ist durch das Moment der Interaktivität gekennzeichnet. Das<br />
‚learning by watching’ ist ein zentrales Motiv, dass sich durch viele Ebenen der Inszenierung<br />
hindurchzieht. Zu Beginn des Films ist nicht klar, was für eine Story den Rezipienten<br />
erwartet. Märchen, Mythos oder sogar ein Witz? Angesichts der Tatsache, dass der Film mit<br />
den Worten ‚Es war einmal…’ eröffnet wird und er <strong>von</strong> der Presse als Science Fiction Film<br />
gehandelt wurde liegt die Vermutung nicht ganz fern. Somit sieht sich der Rezipient des<br />
Films, bereits vor der ersten Rezeption und dann aufgrund der fremdartigen Umgebung,<br />
dazu gezwungen, die Geschichte zu verorten, ohne genaue Anhaltspunkte zu haben.<br />
Auftauchende Fragen muss er sich selbst, bzw. nach dem Film im Gespräch mit anderen<br />
beantworten. Gleiches gilt für die Entfaltung der Story. Überall klaffen Logiklöcher, die<br />
eigenhändig geschlossen werden müssen. Die Einheit <strong>von</strong> Zeit und Raum wird nicht nur<br />
aufgegeben, sie wird im Grunde vollkommen ad absurdum geführt, wenn beispielsweise Han<br />
Solo an Bord des Rasenden Falken sagt, sie müssten gegen zwei Uhr früh in Alderaan sein.<br />
Nach welcher Zeitrechnung? Bordzeit, Ortszeit, imperiale Standardzeit, Western Pacific Time<br />
oder MEZ?<br />
Auf narrativer Ebene findet gleichfalls ein interaktiver Prozess statt, indem beispielsweise per<br />
Kameraführung die Haupthandlung des Films aus der Perspektive <strong>von</strong> Luke Skywalker<br />
erzählt wird. Der Rezipient des Films lernt so, gemeinsam mit dem Helden, immer mehr<br />
Aspekte des <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universums kennen.<br />
Die Interaktivität, die der Film dem Rezipienten abverlangt hat sich damit noch nicht<br />
erschöpft. Ein weiteres Moment findet sich in mit der rasanten Geschwindigkeit der Special<br />
Effects, die den Rezipienten den Eindruck vermitteln, das sie direkt in den Weltraum<br />
katapultiert wurden. Manche Kamerafahrten, die aus der Egoperspektive des Cockpits<br />
gezeigt werden, veranlassen die Rezipienten dazu, unweigerlich die eine oder andere<br />
Bewegung im Sessel mitzumachen. 161<br />
161 Von dieser medialen Sinnestäuschung lebte beispielsweise das ‚Cinama 2000’ auf der Kirmes. In<br />
einem Kuppelzelt dient eine Hälfte der Kuppel als Leinwand, auf die ein Film projiziert wird. Der Film<br />
zeigte eine rasante Autofahrt über eine Küstenstraße aus der Fahrerperspektive. Bei der finalen<br />
Bremsung, fielen Zuschauer regelmäßig nach vorne. Derartige ‚Fahrgeschäfte’ finden sich auch in<br />
jedem Themenpark weltweit. Seien es die <strong>von</strong> Lucas inspirierten ‚<strong>Star</strong> Tours’ im Disneyland Paris, der<br />
‚Back to the Future Ride’ in den Universal Studios in Los Angeles oder die Flucht aus der Bat-Höhle<br />
im ‚Warner Brothers Movie Park’ in Bottrop.<br />
66
4.2 Die substantialistische Gesellschaftsform - Authentizität<br />
Wie im Mythos üblich, spielt auch <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> in einer substantialistischen Gesellschaftsform.<br />
Sowohl Pro- als auch Antagonisten stehen mit ihrem Leben für ihre Ideen ein. Sie haben<br />
nicht die Wahl. Funktioniert der Aspekt der Identifikation mit der einen (oder anderen<br />
Seite 162 ), kann sich der Rezipient dem in der Folge nicht ohne weiteres entziehen. Er zittert<br />
mit seinen jeweiligen Helden und erhält so eine Ahnung da<strong>von</strong>, wie er sich verhalten muss<br />
und was er alles auf sich nehmen muss, um etwaige Ziele zu erreichen. Hier tritt die<br />
pädagogische Funktion des Mythos deutlich in den Vordergrund. Durch die Reduktion auf ein<br />
bipolares Weltbild und der damit einhergehenden Reduktion der Wahlmöglichkeiten ist z.B.<br />
der Held so in die Ereignisse eingebunden, dass alle seine Handlungen, sogar sein<br />
Nichthandeln, nicht nur Konsequenzen für ihn, sondern für alle an der Entwicklung des<br />
Geschehens Beteiligten hat. Auf diese Weise wird die Authentizität der Figur extrapoliert und<br />
damit die Funktionsweise der Authentizität in der <strong>Popkultur</strong> hervorgehoben: verhalte Dich so,<br />
als sei Dein Handeln für Dich unbedingt verpflichtend.<br />
4.3 Verwiesenheit auf und Organisation der Gesellschaft – Patchwork-Gesellschaft<br />
Die Notwendigkeit <strong>von</strong> Gesellschaft ist ein Gemeinplatz jeder Gesellschaft und so auch des<br />
Mythos. Keine Figur der Weltgeschichte und sei sie noch so heldenhaft, ist je ohne eine<br />
Gesellschaft ausgekommen und kein noch so weit entwickelter Individualismus existiert<br />
überhaupt ohne Beobachtung durch die Gesellschaft. Entsprechend läuft die Handlung <strong>von</strong><br />
<strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> auch aus dem Nichts auf die Gesellschaft zu, wiewohl der Held in einer kleinen<br />
familiären Gesellschaft beginnt. Die ist in Ordnung, während in der Gesellschaft der <strong>Star</strong><br />
<strong>Wars</strong> Galaxis nichts in Ordnung zu sein scheint. In seiner familiären Situation vermag der<br />
Held <strong>zur</strong> Ordnung in der Galaxis zunächst nichts weiter beizutragen, er muss die Aufgaben<br />
erledigen, die ihm durch den Hausvorstand zufallen. Aber sobald der zukünftige Held sich in<br />
Richtung der galaktischen Gesellschaft aufmacht, erhält er mehr und mehr die Möglichkeit<br />
Ordnung zu schaffen, d.h. er gewinnt an Einfluss. Letztlich ist es dem Helden vorbehalten die<br />
Ordnung in der Galaxis herzustellen. Als Identifikationsobjekt vermittelt er aber auch ‚step by<br />
step’, wie man Einfluss auf die Gesellschaft gewinnt.<br />
Zugleich wird die gewünschte Gesellschaft aber auch als eine Gesellschaft der Differenz<br />
markiert. Obwohl jedes Individuum, so auch der Held die Idee der heterogenen Patchwork-<br />
Gesellschaft, bestimmte Interessen verfolgt, sollen seine Interessen für ein positives<br />
162 Die Beliebtheit der Figur ‚Darth Vader’ gibt beredtes Zeugnis dafür ab, dass nicht jeder Rezipient<br />
sich ausschließlich mit Luke Skywalker, bzw. den Rebellen identifiziert. Dem trug Lucas dadurch<br />
Rechnung, dass die Episoden I – III der <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Saga die Geschichte <strong>von</strong> Anakin Skywalker/Darth<br />
Vader erzählt.<br />
67
Gelingen im Einklang mit der Pluralität der Gesellschaft stehen. Die ideale Gesellschaft des<br />
<strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universums generiert ein heterogenes Miteinander. Die heterogene Gesellschaft<br />
wird in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> positiv konnotiert und besiegt die Totalitäre Gesellschaft. Auch wenn die<br />
Allianz der Rebellen militärisch organisiert ist, ist die durch <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> präferierte Form der<br />
Gesellschaft keine uniforme Gesellschaft oder eine Gesellschaft institutionalisierter Autorität,<br />
sondern sie entspricht vielmehr dem Bild einer Patchwork-Gesellschaft. Für die Patchwork-<br />
Gesellschaft ist ein Individualist wie Han Solo nicht unbedingt erstrebenswert, aber sie<br />
toleriert ihn zumindest. Auf narrativer Ebene wird ein solcher Individualist so lange nicht zu<br />
einer fokussierten Heldenfigur, so lange er sich nicht selbstlos in den Dienst der Patchwork-<br />
Gesellschaft stellt. Der zentrale Held stellt sich demgegenüber immer mehr in den Dienst der<br />
Patchwork-Gesellschaft und treibt ihre Idee vorbehaltlos voran.<br />
4.4 Perspektive Zukunft<br />
<strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> verfolgt nicht nur deshalb eine auf die Zukunft ausgerichtete Perspektive, weil der<br />
Film eine Technologie verwendet, die unserer heutigen Technologie weit überlegen ist. Die<br />
Perspektive Zukunft greift noch weiter aus, denn weder die Pro- noch die Antagonisten<br />
reflektieren auch nur einen Augenblick länger als unbedingt notwendig über Dinge, die<br />
bereits geschehen sind. Wenn die nächsten Verwandten des Helden sterben, will er<br />
möglichst schnell den Planeten verlassen. Wenn ein Planet mitsamt all seiner Bewohner<br />
vernichtet wird, ist das kaum mehr als einen Satz Kenobis wert. Wenn die Sturmtruppen<br />
reihenweise niedergemäht werden, spielt das überhaupt keine Rolle und wenn Kenobi stirbt,<br />
bleibt auch nur ein ganz kurzer Moment der Trauer. Wir dürfen nicht vergessen, es handelt<br />
sich bei der Narration um einen Mythos. Die Idee der Realisierung des ‚Guten’ zu verbreiten<br />
ist das einzige was zählt und die Verbreitung einer solchen Idee ist ex ante auf die Zukunft<br />
gerichtet. Darin gleicht <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> dem Wesen aller <strong>Mythen</strong>. Sie sind prinzipiell vorwärts<br />
gewandt und auf die Zukunft ausgerichtet. Wenngleich die Religion der Macht in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong><br />
auch Anleihen bei der buddhistischen Lehre, der Weg ist das Ziel, nimmt, wird das Ziel, eine<br />
universale Patchwork-Gesellschaft zu etablieren, nicht einen Moment aus den Augen<br />
verloren.<br />
Das <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> eine positive Utopie der Zukunft zeichnet kann hier als zusätzlicher<br />
Verstärker einer ausschließlich auf die Zukunft gerichteten Perspektive interpretiert werden.<br />
In Differenz zu klassischen <strong>Mythen</strong> erzählt <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong>, aufgrund des in der Zukunft<br />
angesiedelten Szenarios weniger das, was alles nötig war, um an den Punkt der Zivilisation<br />
zu gelangen, an dem die Gesellschaft ist, sondern das, was die Gesellschaft zukünftig noch<br />
erreichen kann. Hier findet sich wiederum eine pädagogische Funktion, indem vermittelt wird,<br />
68
dass der Blick des Rezipienten auf seine eigene und die Zukunft der Gesellschaft zu richten<br />
ist. Beide Komponenten sind stets miteinander zu koordinieren.<br />
4.5 Aufbruch durch Technik – Nutzung der Technik<br />
Die Technik ist im futuristischen <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universum allgegenwärtig. Ihre Anwendung geht<br />
über die bloße Nutzung als Transportmittel, Kommunikationsmittel, <strong>zur</strong> Sicherung der<br />
Existenzgrundlage usw. hinaus. Sie wird zu einem tragenden Element der Story. Die Technik<br />
hilft beispielsweise dem Helden, wenn auch unfreiwillig, sich aus dem Kokon seines zu<br />
Hause zu befreien, der ihn am Aufbruch hindert. Wenn es gilt schwierige Aufgaben zu<br />
bewältigen, ist die Technik in Form der beiden Roboter C3-PO und R2-D2 <strong>zur</strong> Stelle. Zu<br />
diesem Zweck erhalten sie sogar eine eigene Persönlichkeit. Ihre Persönlichkeit bleibt im<br />
Rahmen der <strong>von</strong> Isaac Asimov 1942 erstmalig beschriebenen ‚Robotergesetze’ 163 eine<br />
dienende. Wesentlich ist dabei für Lucas, dass der Mensch die Technik kontrolliert und nicht<br />
umgekehrt die Technik den Menschen. Dies wird auch in dem Sieg der Rebellenallianz über<br />
das Imperium ausgedrückt. Die imperiale Herrschaft basiert in erster Linie auf einer<br />
Beherrschung durch Technik. Ohne die Lebenserhaltungssysteme seines Anzugs und<br />
seinem Helm mit eingebauter Atemmaske könnte ‚Darth Vader’ nicht leben. Insofern wird<br />
auch er durch die Technik beherrscht. Der Sieg der Rebellen bedeutet demzufolge nicht die<br />
ausschließliche Propagierung einer Technikfeindlichkeit, sondern eine Bejahung der<br />
Technik, sofern sie vom Menschen fruchtbar genutzt wird. Lucas ist <strong>von</strong> jeher da<strong>von</strong><br />
überzeugt, dass der Erfindungs- und Einfallsreichtum des Menschen die Oberhand über jede<br />
Technologie behalten soll und diese Idee wollte er in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> vermitteln: „Ich war fasziniert<br />
<strong>von</strong> der futuristischen Gesellschaft, <strong>von</strong> der Idee, dass man mit Raumschiffen und<br />
Laserstrahlen gegen einen mit einem Knüppel bewaffneten Gegner kämpfen sollte. Wobei<br />
die Schwachen Sieger und die Technologie Verlierer bleiben würde – das gefiel mir.“ 164<br />
4.6 Held der Familie – Idealismus<br />
Die traditionelle Familie ist das Ideal, durch das der <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Held geprägt wird. Er ist<br />
vielleicht nicht mit allem einverstanden, was in der Familie geschieht, aber eigennützige oder<br />
selbstsüchtige Ansprüche stehen grundsätzlich hinter den Ansprüchen der Familie <strong>zur</strong>ück.<br />
Entsprechend wird die Familie auch nicht als ein heile Welt Szenario zelebriert. Damit<br />
berührt Lucas uramerikanische konservative Werte, <strong>von</strong> denen er glaubt, dass sie Ende der<br />
60er und Anfang der 70er Jahre verloren in Amerika gegangen waren. „Mit Krieg der Sterne<br />
brachte Lucas wieder Werte ins Gespräch, die das amerikanische Publikum lange Zeit<br />
163 http://de.wikipedia.org/wiki/Robotergesetze, (23.03.2007)<br />
164 Pollock, D., 1983, S. 89<br />
69
vermisst hatte.“ 165 Lucas’ Idee scheint die zu sein, dass die Aufopferung eigener Ideale für<br />
die Familie die Basis für das Verantwortungsbewusstsein des Helden legt. In dem<br />
‚abgesicherten’ Umfeld der Familie lernt der Held für seine Gemeinschaft einzustehen und<br />
dabei selbstlos zu werden. Lernt der Held das nicht frühzeitig, muss er später die<br />
Konsequenzen dafür tragen, die schlimmer sind, als häusliche Strafen. Die Fährnisse <strong>von</strong><br />
Skywalkers Counterpart Han Solo in ‚Episode V – Das Imperium schlägt <strong>zur</strong>ück’ illustrieren<br />
das ganz deutlich. Der Individualist Han Solo wird gefangen, gefoltert und eingefroren.<br />
Andeutungen dafür finden sich aber auch bereits in Episode IV, wenn Solo beispielsweise<br />
gegenüber der Prinzessin Avancen macht und <strong>von</strong> ihr <strong>zur</strong>ückgewiesen wird.<br />
Skywalker’s unbedingtes Verantwortungsbewusstsein erscheint dem modernen Menschen<br />
hingegen eher befremdlich und wird zuweilen als Unselbständigkeit interpretiert. Sie geht so<br />
weit, dass er trotz aller Wünsche und Sehnsüchte, die er hat, nicht ziel- und richtungslos in<br />
die Welt hinauszieht. Er will an eine Akademie, die nicht näher bestimmt wird und verweist<br />
damit darauf, dass seine auf die Ferne gerichtete Sehnsucht keine ist, die unmittelbar <strong>zur</strong><br />
Selbständigkeit führen soll. Diese Unselbständigkeit <strong>von</strong> Skywalker ist aber die Grundlage<br />
seines späteren Status als Held. Sie prädestiniert ihn nämlich dazu, ein Lernender zu sein.<br />
4.7 Mentor - Lernen – funktionaler Individualismus<br />
Im Gegensatz zu den abgeklärten Helden des New Hollywood, ist der Held in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> ein<br />
junger, unbedarfter, aber auch wissbegieriger Bauernjunge, der auf eine Hand angewiesen<br />
ist, die ihm den Weg weist. Diese Funktion übernehmen zunächst Onkel und Tante und nach<br />
ihrer Ermordung Obi Wan Kenobi. Kenobi erscheint als ein idealer Mentor, der in der Art und<br />
Weise seiner Darstellung direkt dem klassischen Mythos entlehnt ist. Während das familiäre<br />
Verhältnis noch durch Autorität geprägt ist, ist Skywalker’s Verhältnis zu Kenobi, genau wie<br />
später sein Verhältnis <strong>zur</strong> Macht, partnerschaftlich organisiert. Die Autorität des Onkels ist<br />
durch die Struktur der Familie quasi institutionell vorgegeben. Kenobi gewinnt dagegen<br />
Autorität kraft seiner Erfahrung und Kenntnisse über die Galaxis. Er vermittelt seine<br />
Erfahrungen und Kenntnisse in kleinen Dosen und zwingt sie Skywalker nicht auf. Kenobis<br />
‚pädagogische Methode’ erinnert übrigens an die <strong>von</strong> Rousseau im ‚Emile’ vorgestellte<br />
Methode. 166<br />
Diese Methode eröffnet nun Skywalker immer wieder Spielräume, um das<br />
theoretisch gelernte in der Praxis zu begreifen. Erst wenn er eine Lektion in der Praxis<br />
begriffen hat, fährt Kenobi mit seinen Ausführungen fort. Aber aufgrund der Dringlichkeit der<br />
Ereignisse fehlt den Protagonisten die Zeit, um ein klassisches Training in einem schulischen<br />
Szenario zu absolvieren. Nach ihrer Begegnung müssen Lehrer und Schüler sich unmittelbar<br />
auf den Weg machen, um zu vermeiden, dass der Lauf der Ereignisse über sie hinweg rollt.<br />
165 Ebd. S. 127 f.<br />
166 Vgl. Rousseau, J.J., 1998<br />
70
Übersetzt in eine postindustrielle Terminologie kann diese Art des Unterrichtens auch als<br />
‚Trainee on the job’ bezeichnet werden. Anfänglich erweist Skywalker sich genauso gelehrig<br />
wie ungeschickt und bedarf daher auch des Schutzes durch seinen Mentor.<br />
Auffällig ist an dieser Darstellung des Lehr- und Lernprozesses, dass die Persönlichkeit <strong>von</strong><br />
Skywalker, trotz seines Zugewinns an Wissen und Erfahrung, statisch bleibt. Wir werden<br />
nicht Zeuge einer inneren Entwicklung des Helden oder einer Entwicklung seiner<br />
Individualität, sondern erleben nur, wie zusätzliches Wissen und zusätzliche Erfahrung die<br />
Persönlichkeit des Helden erweitern, als seien sie lediglich an ihn angeheftet. Das geschieht<br />
nicht grundlos, denn das zu Lernende steht grundsätzlich im Dienst der Gemeinschaft. Durch<br />
das Erlernte wird der Held für die Gesellschaft funktional. Deshalb führen die Ergebnisse<br />
dieses Lernprozesses zu einem, wie ich es bezeichnen möchte, funktionalen<br />
Individualismus.<br />
4.8 Team – Community<br />
Unter 4.3 habe ich die Notwendigkeit der Gesellschaft kurz skizziert. Ohne die Gesellschaft<br />
existiert weder das Individuum noch der Held. Um aber als Held sichtbar zu werden, muss<br />
der Held die Gesellschaft erst produzieren, die ihn als Helden anerkennt. In <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> wird<br />
der Komplexität <strong>moderner</strong> Gesellschaften Rechnung getragen, indem der Held nicht als<br />
Universalgenie, sondern als Mitglied eines Teams auftritt. Dies hat zwei Gründe: Sein<br />
vordergründiges Ziel ist die Beendigung der totalitären Herrschaft des Imperiums. Unter<br />
diesem vordergründigen Ziel ruht zugleich die Idee eine heterogene Patchwork-Gesellschaft<br />
in der Galaxis zu etablieren. Im Alleingang eine schier unmöglich zu lösende Aufgabe,<br />
angesichts der Machtfülle des Imperiums und der zu leistenden Vermittlungsarbeit (immerhin<br />
will die Individuen einer ganzen Galaxis überzeugen). Der zweite Grund betrifft die<br />
Entwicklung des Helden. Der Held ist ein zu Beginn des Films ein ganzes Stück da<strong>von</strong><br />
entfernt ein Held zu sein und wir verfolgen über die Länge des Films seine Entwicklung zum<br />
Helden. Daher bedarf der Held <strong>zur</strong> Bewältigung seiner Aufgabe eines Teams oder einer<br />
Crew. So zufällig sich dieses Team zusammenfinden mag, so wenig zufällig erweist sich das<br />
Team in seiner Funktionalität. In dem Team verfügt jedes Mitglied über besondere<br />
Fähigkeiten und Fertigkeiten, die es im Sinne der gemeinsamen Idee gewinnbringend <strong>zur</strong><br />
Verfügung stellt und einsetzt. In der substantialistischen Gesellschaft determinieren die<br />
besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten weitgehend die individuelle Persönlichkeit des<br />
jeweiligen Teammitglieds. Der Pilot ist der Pilot, der Techniker der Techniker, der Weise der<br />
Weise usw. Dadurch erfährt das Team einen Pluralismus. Dieser Pluralismus erklärt zugleich<br />
die Notwendigkeit des funktionalen Individualismus. Nur der selbstlose Einsatz der jeweiligen<br />
Fähigkeiten und Fertigkeiten für die gemeinsame Idee führt das Team zum Erfolg.<br />
71
Erschwerend tritt hinzu, dass die Idee der heterogenen Patchwork-Gesellschaft Freiwilligkeit<br />
voraussetzt. Der Held muss also gute Gründe dafür parat haben, um die produktive<br />
Teilnahme in dem Team attraktiv zu gestalten und das erweist sich zuweilen nicht ganz<br />
einfach. Skywalker vermittelt diese Gründe beispielsweise gegenüber Han Solo vor der<br />
Schlacht um den Todesstern nur ungenügend und Solo beschließt vorläufig nicht an der<br />
Schlacht teilzunehmen. Damit sprengt Solo zunächst das Team und die Situation für die<br />
Rebellen wird brenzlig. Schließlich rehabilitiert er das Team aber doch noch durch seine<br />
Schützenhilfe im entscheidenden Augenblick der Schlacht. Der Film betont hier die<br />
Notwendigkeit der Einheit des Teams nachdrücklich.<br />
Der Begriff des Teams ist allerdings nicht ganz zutreffend für das Verhalten der Charaktere<br />
in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong>, auch wenn der Begriff für das Verständnis der Terminologie der<br />
postindustriellen Gesellschaft ideal erscheint. In diesem Verständnis ist der Begriff dem<br />
Sport entlehnt und findet heute überall Anwendung, wo Menschen zusammen arbeiten. Die<br />
Idee, die hinter dem Begriff Teams steckt ist aber nicht gänzlich neu. Sie firmierte zuvor<br />
unter dem Begriff der Community. In den 60er Jahren gewann der Begriff der Community<br />
fundamentale Bedeutung für die Generation, der auch Lucas angehörte. In Differenz zum<br />
Team war die Community dadurch geprägt, dass sie über eine reine Zweckmäßigkeit<br />
hinausging. Ein jeder stand für den anderen unbedingt ein, d.h., dass auch das Privatleben<br />
miteinander organisiert und produziert wurde. Die Charaktere in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> sind in diesem<br />
Sinne miteinander verknüpft, sodass der Begriff Community auf sie mehr zutrifft, als der<br />
Begriff des Teams.<br />
4.9 Wo etwas ‘los’ ist - Spaß<br />
Die Bewegung, die <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> einnimmt weist <strong>von</strong> vornherein aus der menschenleeren<br />
Einöde hinaus, zu einem bestimmten und geographisch zugleich unbestimmten Ort. Dieser<br />
Ort kann überall sein und trägt viele Namen. Es handelt sich um den Punkt an dem viele<br />
Menschen miteinander interagieren, ist der Ort wo etwas ‚los’ ist. In <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> ist es der<br />
Raumhafen Mos Eisley, an dem Kenobi und Skywalker auf Solo und Chewbacca treffen, der<br />
Weltraum, in dem eine Schlacht stattfindet oder der Todesstern. Es zeigt sich, dass an<br />
diesem Ort unterschiedliche Interessen aufeinander treffen, die miteinander synchronisiert<br />
werden müssen. Da es sich bei <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> um einen Mythos handelt, dessen Grundlage, wie<br />
bei allen <strong>Mythen</strong> die substantialistische Gesellschaft bildet, läuft die Interaktion fast immer<br />
auf Konfrontation hinaus. Fast immer. Die Idee der Rebellenallianz ist die Etablierung einer<br />
heterogenen Patchwork-Gesellschaft. Es geht der Allianz also darum, den Zustand<br />
unbedingter Konfrontation, der seinen Ursprung in der totalitären Herrschaft des Imperiums<br />
72
findet, zu überwinden. Dass die Idee der Allianz keine totalitäre Idee sein will, habe ich weiter<br />
oben beschrieben. Die Allianz versucht, wie im Falle Han Solo’s durch Argumente und nicht<br />
mittels Gewalt zu überzeugen. Dessen individueller Eigensinn wird zum Ende des Films<br />
überwunden und er stellt sich in den Dienst der Idee, indem er Skywalker in höchster Not<br />
Schützenhilfe leistet.<br />
Die Szenerie des <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universums signalisiert, dass dieser Ort an dem etwas ‚los’ ist<br />
nicht ganz ungefährlich ist, insbesondere dann, wenn die Interessen diametral<br />
entgegengesetzt zueinander verlaufen. Von daher erscheint eine gewisse Vorsicht geboten.<br />
Trotzdem müssen an dem Ort, an dem etwas ‚los’ ist Entscheidungen gefällt werden, die<br />
Konsequenzen nach sich ziehen werden. Sie müssen schnell getroffen werden, bevor die<br />
Ereignisse über die Helden hinwegrollen. Die Helden können nicht sorgfältig planen, sondern<br />
sind dazu gezwungen Entscheidungen zu treffen, deren Konsequenzen sie nicht absehen<br />
können. Um die volle Wucht möglicher Konsequenzen abzufedern, bietet es sich an so lange<br />
wie möglich, mit nicht ganz offenen Karten zu spielen. Anschaulich wird das im Film, in den<br />
Szenen, die im Todesstern spielen. Die Helden müssen sich mit den Uniformen der<br />
Sturmtruppen maskieren, um nicht sofort aufzufallen. Die Maskerade gewährt ihnen eine<br />
gewisse Sicherheit. Bei der Befreiung der Prinzessin aus dem Gefängnistrakt treiben sie<br />
dieses Maskenspiel auf die Spitze. Skywalker und Solo verkleidet als Sturmtruppen führen<br />
Chewbacca als Gefangenen in den Gefängnistrakt. Sie bleiben so lange unbehelligt, bis sie<br />
konkret angesprochen werden. Als sie aber im Gefängnistrakt angekommen mit den Wachen<br />
kommunizieren müssen, beherrschen sie nicht den erforderlichen Code und fliegen auf. Sie<br />
müssen sich in der Folge den Weg frei schießen. Im Dienst der Idee heißt die Maxime nun<br />
‚anything goes’ und entsprechend rücksichtslos werden die Sturmtruppen <strong>von</strong> den Helden<br />
aus dem Weg geräumt. Die turbulente Leichtigkeit mit der die Befreiung der Prinzessin und<br />
die Flucht vom Todesstern erfolgt, lässt sich treffend mit dem Begriff des Spaßes erfassen.<br />
Die Protagonisten sind zwar völlig ironiefrei in Szene gesetzt und vermitteln somit einen<br />
hohen Grand an Authentizität, aber mit jeder gelungenen Aktion steigt ihr Selbstvertrauen<br />
sowohl in ihre individuellen Fähigkeiten, als auch in die des Teams. Die daraus<br />
erwachsenden Glücksgefühle sind es, die den Spaß ausmachen.<br />
Wenn es auch verwundern mag, in einer Kriegssituation <strong>von</strong> Spaß zu sprechen, bedeutet<br />
Spaß einen wesentlichen Faktor des modernen Mythos. Der Spaß der Protagonisten<br />
überträgt sich auf die Rezipienten, sofern ihr Identifikationsprozess mit den Helden<br />
erfolgreich war. Der Identifikationsprozess erfolgt also durch eine parasoziale Interaktion<br />
mittels der die Rezipienten emotional in das Geschehen eingebunden werden.<br />
73
4.10 Die Macht – Kultur der <strong>Popkultur</strong><br />
Die Macht ist es, auf die das gesamte <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universum aufgebaut ist und auf die hin es<br />
insgesamt ausgerichtet ist. Von der Macht geht alles aus und zu ihr läuft alles wieder hin. Sie<br />
ist ‚das Energiefeld, das alle lebenden Dinge erzeugen und das alle lebenden Dinge<br />
durchdringt’. Die Macht hält die <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Galaxis zusammen. Niemand im <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong><br />
Universum bleibt <strong>von</strong> der Macht unberührt. Sie ist die Quelle allen Lebens. Im Mythos<br />
bezeichnet die weibliche Form das Ziel „… zu dem die Initiation führt. Dieses Ziel aber ist<br />
Nirwana, die Ewigkeit.“ 167 In der buddhistischen Tradition ist das Nirwana der Ort ewiger<br />
Glückseligkeit. Die Macht ist das an die Rezipienten gerichtete Allheilsversprechen ewiger<br />
Glückseligkeit. Wie das?<br />
In ihrer Unendlichkeit existiert die Macht sogar für die Ungläubigen des <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong><br />
Universums. Die Ungläubigen mögen nicht an die Macht glauben, aber sie glauben, dass es<br />
Individuen im <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universum gibt, die an sie glauben und deshalb haben sie Kenntnis<br />
<strong>von</strong> der Existenz der Macht. 168 Da<strong>von</strong> abgesehen ist es für die Bedeutung der Macht<br />
unwesentlich, was einzelne Individuen im Film über sie sagen; viel wesentlicher ist, dass die<br />
Rezipienten die Macht erleben, während sie am Werk ist. Für den Zuschauer wird die Macht<br />
dadurch <strong>zur</strong> Wahrheit des <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universums. In der Story wird sie so ins Werk gesetzt,<br />
dass sie der Urgrund ist, aus dem das Universum hervorgeht. Da<strong>von</strong> bleibt auch die<br />
Spaltung in gut und böse, bzw. helle und dunkle Seite der Macht unbenommen. Gut und<br />
Böse sind nur die ersten Unterkategorien der Macht, womit bereits der Prozess der<br />
Ausdifferenzierung beginnt. Kurz: die Macht ist unbedingte Voraussetzung. Sie ist die einzige<br />
Creatio ex nihilo im <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universum und zugleich Bewegerin allen Geschehens. Ihre<br />
Allgegenwart wiederum bedingt ihre Unverortbarkeit, gleichwohl sie permanent unsichtbar<br />
wirkt. Der Rezipient kann getrost glauben, dass sie wirkt, weil er sieht, dass sie wirkt.<br />
Gleichzeitig ist der Macht auch ein appellativer Charakter eigen, denn storyinhärent streben<br />
alle Charaktere ihr nach und der Rezipient, bei dem der Identifikationsprozess mit der Story<br />
und ihren Implikationen erfolgreich war, strebt ihr ergo gleichsam nach. An diesem Punkt<br />
kann die Macht analog <strong>zur</strong> <strong>Popkultur</strong> gesehen werden, denn genau wie die <strong>Popkultur</strong> wird ihr<br />
Wirken erst durch die aktive Teilnahme wahrnehm- und erfahrbar. 169<br />
In der Unverortbarkeit <strong>von</strong> Macht und der <strong>Popkultur</strong> begründet sich das Geheimnis ihres<br />
Erfolges. Sie geben das Versprechen, dass das Leben gut wird, und können dies, bei aller<br />
167 Campbell, J., 1999, S. 163<br />
168 Han Solo behauptet auf dem Flug nach Alderaan, er sei <strong>von</strong> einem Ende der Galaxis bis zum<br />
anderen geflogen und habe noch nie so etwas wie die Macht gesehen. Das bedeutet im<br />
Umkehrschluss, dass er keinesfalls in Unkenntnis über die Macht ist.<br />
169 Die Macht ist Kern einer nicht transzendenten Religion, der im Diesseits der Charaktere des Films<br />
angesiedelt ist. <strong>Popkultur</strong> erfüllt ähnlich diesseitig quasi religiöse Funktionen: Heilsversprechen,<br />
Erfolgsversprechen, Sicherheitsgefühle in der Gruppe etc.<br />
74
möglichen berechtigten Kritik sogar zuweilen einlösen. Augenscheinlich werden sie allein<br />
durch die Tatsache, dass es gelingen kann, dieses Versprechen einzulösen, zu einem<br />
starken sozialen Magneten. In <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> ist der Erfolg der Rebellenallianz und ihrer Helden<br />
beredtes Zeugnis dafür. In der <strong>Popkultur</strong> äußert sich die Einlösung dieses Versprechens<br />
bereits durch das Gefühl sozialer Anerkennung und Zugehörigkeit, die ein menschliches<br />
Grundbedürfnis darstellen. Jeder Mensch hat diese Erfahrung bereits gemacht, ohne dies<br />
entsprechend reflektieren zu müssen. Es ist die Erfahrung, die das Kleinkind in Gegenwart<br />
der Mutter erlebt, die es versorgt. Die <strong>Popkultur</strong> kann ihr Versprechen einlösen, weil sie<br />
dieses Bedürfnis bereits auf gesellschaftlicher Mikroebene befriedigen kann und, wie<br />
Keupp 170 ausführt, sind Anerkennung und Zugehörigkeit Grundlage eines stabilen<br />
Identitätsgefühls in einer pluralen Gesellschaft. 171<br />
Schließlich wird mit der Macht das Gefühl des kollektiven Bewusstseins transportiert. In den<br />
Lektionen, die Obi Wan Kenobi seinem Schützling auf dem Weg mitgibt erfahren wir, dass<br />
das kollektive Bewusstsein im individuellen Gefühl Ausdruck findet. Um welches individuelle<br />
Gefühl es sich genau handelt erklärt Obi Wan nicht. Der Kontext des Filmes deutet darauf<br />
hin, dass es sich um eine Art Selbstgefühl, ein Sich-Spüren handelt. 172 Da Form, Richtung<br />
und Ausdruck des Gefühls aber nicht näher erläutert werden, bleibt es nebulös und<br />
unkonkret wodurch wiederum Interpretationsspielräume generiert werden. 173<br />
Vorerst muss das Gefühl also nur als das Gefühl benannt werden, d.h. es bedarf nur einer<br />
unbestimmten Form. Jeder kann ganz individuell bestimmen, was dieses Gefühl ausmacht<br />
und somit kann jeder daran teilhaben. Dadurch erhält Jedermann ohne weiteres Zugriff auf<br />
das kollektive Bewusstsein. Auf der Leinwand und davor. An diesem Gedanken rieben sich<br />
die Vertreter der ‚Hi-Culture’, für die ein kollektives Bewusstsein nur im Sinne einer<br />
Hegelschen Dialektik entstehen kann, d.h. mit den Mitteln der Vernunft und der Logik. Das<br />
kollektive Bewusstsein Hegelscher Prägung entstand durch Explikation. Die <strong>Popkultur</strong> stellt<br />
sich diesem Gedanken ausdrücklich entgegen. Das kollektive Bewusstsein der <strong>Popkultur</strong><br />
entfaltet sich für den Rezipienten auf der Ebene des individuellen Gefühls, unabhängig<br />
da<strong>von</strong> ob der Absender etwas ganz anderes oder jemand ganz anderen gemeint hat. Ein<br />
solch emotional begründetes, kollektives Bewusstsein ist entsprechend niederschwellig,<br />
wodurch es ungeheuer attraktiv für eine massenhafte Verbreitung wird. Das kollektive<br />
170 Vgl. Keupp, H., 1999<br />
171 Konzerte in Jugendzentren bieten beispielsweise <strong>zur</strong> Verifizierung dieser These ein breites<br />
empirisches Feld, angesichts der Tatsache das junge Bands für nur sehr wenig oder gar keine Gage<br />
einen zuweilen enormen Aufwand betreiben, um ihr Konzert zu spielen.<br />
172 Entsprechend werden Gefühl auch in anderen Situationen nur kurz angetippt. Beispielsweise Luke<br />
Skywalkers kurze Trauerphase im Rasenden Falken, nachdem Obi Wan <strong>von</strong> Darth Vader getötet<br />
wurde. Vgl. Lucas, G., 1977, 1997, 2004, (01:29:59 – 01:30:10)<br />
173 Interpretationsspielräume sind für die Erzeugung eines Mythos konstitutiv. Vgl. hierzu Möller u.<br />
Sander, 2003.<br />
75
Bewusstsein der <strong>Popkultur</strong> steht unmittelbar <strong>zur</strong> Verfügung. Die Teilnahme muss nicht erst<br />
durch mühsame Bildungsprozesse erarbeitet werden. Der Preis für die Teilnahme am<br />
kollektiven Bewusstsein der <strong>Popkultur</strong> entspricht dem Preis der Eintrittskarte. Mit der<br />
<strong>Popkultur</strong> erleben wir die Kommerzialisierung der Emotion.<br />
4.11 Warencharakter – struktureller Wandel<br />
Wenngleich der Warencharakter popkultureller Produkte in der Story <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> nicht<br />
impliziert ist, so ist er für den Entstehungszusammenhang des Films unabdingbar. Deshalb<br />
schließe ich ihn in diesen Begriffsapparat mit ein. Durch den Warencharakter der<br />
Popprodukte entsteht das Gefühl jederzeitiger Verfügbarkeit über sie. Hieraus entsteht<br />
regelmäßig ein Sättigungsgefühl der Rezipienten, weshalb die <strong>Popkultur</strong> <strong>von</strong> einem steten<br />
struktureller Wandel durchzogen ist.<br />
Im zweiten Kapitel habe ich die Spielregeln des Blockbuster Kinos aufgeführt, die<br />
verdeutlichen sollten, welchen Status die kommerzielle Maschinerie in der <strong>Popkultur</strong><br />
gewonnen hat. Die <strong>Popkultur</strong> hat ästhetischen Anspruch und kommerzielles Interesse<br />
miteinander amalgamiert. Der Warenwert des jeweiligen popkulturellen Produkts bestimmt<br />
sich anhand seiner Nachfrage. „Pop ist nicht die so genannte >>hoheDie Anzahl macht’s!
Prozesse gesellschaftlicher Destruktion und Konstruktion. Die Maxime der <strong>Popkultur</strong> heißt<br />
Ausdifferenzierung. Erfolg wird unter diesen Umständen zu einem Appendix der Zeit: Nur<br />
wer sich langfristig in der <strong>Popkultur</strong> etablieren kann ist auch erfolgreich. Erst ein struktureller<br />
Überblick über die gesamten Bewegungen der <strong>Popkultur</strong> fördert diese steten Prozesse ans<br />
Tageslicht und ermöglicht es, der <strong>Popkultur</strong> entsprechende Konturen abzugewinnen. „Jede<br />
Generation ist durch ihre jugendliche Poperfahrung dem Gesamtsystem der populären Kultur<br />
adaptierbar gemacht, das sich, <strong>von</strong> jeder neuen Popmode weiter genährt, längst<br />
gesamtgesellschafltich kulturweit etabliert hat. … Eine sich ständig verschiebende, immer<br />
neuen Trends folgende Gemengelage dirigiert mit der Musik zusammen Shopping,<br />
Markenkleidung, Körperinszenierung und Design.“ 177<br />
177 Steenblock, V., 2004, S. 90<br />
77
5 <strong>Popkultur</strong><br />
Da die elf angeführten Komponenten Interaktivität, Authentizität, Patchwork-Gesellschaft,<br />
Perspektive Zukunft, Technik, Idealismus, Funktionaler Individualismus, Team und<br />
Community, Spaß, Objektivierung des metaphysischen Überbaus, Warencharakter und<br />
struktureller Wandel den Umriss der angekündigten Kontur der <strong>Popkultur</strong> bilden, werfe ich<br />
abschließend einen gesonderten Blick auf sie, der die Konturen genauer herausarbeiten soll.<br />
Die Verwandtschaft dieser elf Komponenten mit denjenigen, die Dada als Ursprung des Pop<br />
markierten ist frappierend. Zur Erinnerung, bei den Komponenten des Dada handelte es sich<br />
um: Authentizität, künstlerisches Schaffen, Oberflächenstruktur des Kunstwerks,<br />
Collagetechnik (Patchwork), Widerstand gegen bürgerliche Wertvorstellungen, Interaktivität<br />
(z.B. die unmittelbare Reaktion des Publikums), der ‚Community’ Charakter,<br />
Vergegenständlichung subjektiver emotionaler Erfahrungen, Transzendenzerfahrung,<br />
Warencharakter und Kommerzialisierung. In seiner dargebotenen Form schließt <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong><br />
also unmittelbar an die Ursprünge des Pop an, ohne dass dabei eine fundamentale<br />
Ausdifferenzierung der <strong>Popkultur</strong> <strong>von</strong>statten ging. <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> greift also die Ursprünge der<br />
<strong>Popkultur</strong> auf und fasst sie innerhalb <strong>von</strong> zwei Stunden zusammen.<br />
Welche Form nehmen die jeweiligen Komponenten in der <strong>Popkultur</strong> an? Es wird sich zeigen,<br />
dass alle Komponenten immer wieder interdependieren und <strong>Popkultur</strong> als eine sehr<br />
heterogene Kultur erscheint, die aber kaum auf eine der elf Komponenten verzichten kann.<br />
5.1 Interaktivität<br />
In Anerkennung des spätmodernen Bildes gelingender Identität bedeutet Interaktivität eine<br />
unbedingte Voraussetzung popkulturellen Geschehens. „Identität ist ein Projekt, das zum<br />
Ziel hat, ein individuell gewünschtes oder notwendiges >>Gefühl <strong>von</strong> Identität
Zwischenräumen, um die Strukturvorgaben zu dehnen und seine Identitätschancen zu<br />
erweitern. Der Akteur ist draußen und drinnen gleichzeitig – ähnlich einem<br />
Theaterschauspieler, der sowohl einen Charakter darstellt, als auch die Figur selbst ist – also<br />
becoming und being in einem Akt.“ 179 Besonders deutlich zeigt sich dies auch in der Kultur<br />
des Internet. Ohne eigene Aktivität bleibt man im World Wide Web quasi unsichtbar. 180<br />
Mittels des ‚Postulats’ der Interaktivität aktiviert sich <strong>Popkultur</strong> ständig selbst. Das heißt, die<br />
Teilnahme an der <strong>Popkultur</strong> verpflichtet implizit <strong>zur</strong> aktiven Gestaltung. <strong>Popkultur</strong> findet im<br />
aktiven Vollzug statt. Deutlich wird dies beispielsweise in der Hip-Hop Szene. „Die HipHop-<br />
Bühne ist umringt <strong>von</strong> HipHoppern, die auch selbst gelegentlich in den Mittelpunkt treten.<br />
Wiedergespiegelt wird das in dem Credo der HipHopper, jeder einzelne bringe die Kultur<br />
durch seine Aktivitäten weiter.“ 181 In der Hip-Hop Szene ist ‚street credibility’ ein wichtiger<br />
Faktor 182 und ‚Street credibility’ bedeutet nichts anderes als Authentizität.<br />
5.2 Authentizität<br />
Authentizität ist eines der meist diskutierten Kriterien der <strong>Popkultur</strong>. Immer wieder tritt die<br />
Frage auf, ob die Performanz und darüber hinaus der Performer authentisch ist. Authentizität<br />
bildet die Grundlage für Vertrauen ohne konkrete Ursache. Vertrauen ist eine wesentliche<br />
Voraussetzung für parasoziale Beziehungen, da der reale Gehalt aufgrund der Distanz zum<br />
Performer kaum nachzuprüfen ist. Die Performanz muss den Adressaten auf eine Art<br />
berühren, die er als authentisch empfindet oder entsprechend beurteilt, weil sie seine<br />
Gefühle beeinflusst und deshalb nur schwerlich empirisch zu verifizieren ist. Das Gefühl will<br />
dauerhaft erinnert und muss regelmäßig erneuert werden, damit es zu Vertrauen anwachsen<br />
kann. Insofern koppelt sich die Authentizität auch an die Interaktivität an. Der Adressat muss<br />
selbst das Vertrauen aufbringen, um jemanden Authentizität zuzusprechen und dies<br />
wiederum muss er gegenüber seinen Nächsten vertreten können, da er sonst deren soziale<br />
Anerkennung nicht erhält. Auf der anderen Seite ist der Performer genauso gehalten,<br />
Authentizität zu generieren und seine Performanz zu reflektieren. Bono Vox, der Sänger der<br />
Gruppe U2 versteht sein Streben nach Authentizität beinahe als Selbstverstümmelung:<br />
„Weißt du, was mich als Performer ehrlich bleiben lässt? Die scheiß hohen Noten, die ich<br />
singen muss! Denn wenn ich nicht völlig in der Figur aufgehe, kann ich sie eigentlich nicht<br />
179 Menrath, S., 2002, S. 121<br />
180 Als Internetcharakter muss man sich erst generieren, bzw. kann sich auch ganz neu erfinden.<br />
Unternimmt man das im Internet nicht, verbleibt man als ‚blinkender Cursor’. Das so genannte web 2.0<br />
versucht den Aspekt der Interaktivität weiter zu steigern, indem den Usern kostenloser webspace <strong>zur</strong><br />
Verfügung gestellt wird, den sie nach eigenem Ermessen füllen können. Beispiele hierfür sind ‚second<br />
life’, ‚my space’, ‚you tube’ etc.<br />
181 Ebd., S. 128<br />
182 Der amerikanische Rapper ‚50 Cent’ unterstrich zu Beginn seiner Karriere im HipHop seine ‚street<br />
credibility’ dadurch, dass er regelmäßig seine Einschusslöcher vor der Kamera präsentierte, die seine<br />
Gangster Vergangenheit beweisen sollte.<br />
79
singen, weil sie außerhalb meines Stimmumfangs liegen. Dadurch bleibe ich auf der Bühne<br />
ehrlich. Wenn ich es mit einem Tick weniger auch schaffen könnte, ich würde es<br />
wahrscheinlich nicht tun … Man zahlt übrigens einen sehr hohen Preis dafür, jeden Abend in<br />
diese Songs schlüpfen zu müssen!“ 183<br />
Der Zwang <strong>zur</strong> Authentizität begründet sich in dem mit der Postmodernediskussion<br />
einhergehenden Terminus vom Ende der großen Erzählungen 184 . Das Ende der großen<br />
Erzählungen bedeutet zugleich das Ende aller Ideologien, die wiederum die konstitutive<br />
Rahmung für den Anspruch auf Wahrheit bildeten. In der <strong>Popkultur</strong> ist die Wahrheit nur noch<br />
dem eigenen subjektiven Ver- bzw. Misstrauen ausgesetzt, da die subjektive Wahrheit des<br />
Anderen grundsätzlich anerkannt wird. Wahrheit wird weniger ein Faktum der Empirie, als<br />
vielmehr ein Faktum des Sozialen. 185 Wenn ich Deine Wahrheit anerkenne, erkenne ich Dich<br />
an. Hieraus resultiert die Maxime des Verlangens nach Authentizität. Eine der wesentlichen<br />
Aufgaben für die Protagonisten der <strong>Popkultur</strong> ist es, sich selbst so wahrhaftig, wie irgend<br />
möglich zu präsentieren. 186<br />
5.3 Patchwork-Gesellschaft<br />
Die Patchwork-Gesellschaft in der <strong>Popkultur</strong> lässt sich auch mit dem Begriff der<br />
Heterogenität erfassen. Unter Heterogenität wird die Vielfalt einer Kultur verstanden, ihre<br />
verschiedenen individuellen Ausprägungen, die alle gleichwertig nebeneinander koexistieren,<br />
ohne zwangsläufig, wie in der substantialistischen Gesellschaft, miteinander in einen<br />
fundamentalen Konflikt zu geraten. Der Anspruch der Heterogenität gilt bereits auf<br />
183 Assayas, M., 2005, S. 45<br />
184 Vgl. Lyotard, J.-F., 1999<br />
185 Das Gerhard Schröder der Medienkanzler genannt wird, verdankt sich allein seiner Fähigkeit, mit<br />
den Medien umzugehen, indem er sich die Gestalt geben konnte, die ihn als zumindest verbalen,<br />
echten ersten Diener seines Volkes erscheinen ließ. Seine Gestalt hatte immer die eines Menschen,<br />
der Informationen durcharbeitete. Sie gingen durch ihn durch: nur die Nachrichten, die ihn erreichten<br />
konnte er bearbeiten. Die hat er dann, seiner Semantik nach, nach allerbestem Gewissen und<br />
allerbesten Kräften bearbeitet. Diesen Eindruck wollte Schröder beispielsweise post scriptum auch im<br />
Fall Murat Kurnaz hinterlassen. Gelingt Schröder dieses, ist er damit derjenige, der in der derzeitigen<br />
sozialen Verfasstheit der postindustriellen Gesellschaft, einer nach dem sozialen Ideal strebenden<br />
Gesellschaft, dem status quo des Bildungsbürgertums voll entspricht. Das Bildungsbürgertum ist an<br />
den Stationen der Medienvermittlung wahrscheinlich zu 100 % beteiligt und hat also ein aus ihrer Sicht<br />
berechtigtes Eigeninteresse daran, dass dieser Zustand aufrecht erhalten bleibt. Daher wird auf die<br />
gesellschaftliche Semantik in einer Informationsgesellschaft mehr wert gelegt, als auf die tatsächlichen<br />
Ereignisse. Die alltäglichen Probleme, wie unsoziale Ausübung politischer Macht, gehen dabei<br />
beinahe unter, bis die empfindliche Nervendecke empfindsamer Staatsbürger nach vier oder fünf<br />
Jahren so weit gequält ist, dass sie empört <strong>zur</strong> Wahlurne schreiten.<br />
186 Mit der ersten Staffel <strong>von</strong> Big Brother wurde Zlatko aus genau dem Grund ein <strong>Star</strong>, weil er während<br />
seines kurzen Gastspiels im Big Brother Container, trotz der völligen Überwachung durch die Kameras<br />
den Eindruck <strong>von</strong> Authentizität hinterlassen konnte. Ihm wurde geglaubt, dass er die Figur Zlatko nicht<br />
spielt, sondern, dass er genauso ist, wie er vor der Kamera performt. Der Stern etikettierte Zlatko<br />
sogar als ‚Superstar‘ (wenn auch mit dem Zusatz, „Wie konnte das passieren?“) und hob ihn auf die<br />
Titelseite (vgl. ‚Stern‘ Nr. 16, 13.04.2000). Zusätzlich bekam Zlatko eine eigene Fernsehshow und<br />
belegte mit der Single-CD ‚Ich vermiß Dich (wie die Hölle)‘ wochenlang Platz 1 der Hitparaden in<br />
Deutschland.<br />
80
gesellschaftlicher Mikroebene in Ich-Du-Beziehungen. Der Ursprung dieses Anspruchs findet<br />
sich in der europäischen Gesellschaft, die dem Mythos noch am nächsten stand, obwohl sie<br />
bereits eine demokratische Form angenommen hat, nämlich der antiken griechischen<br />
Gesellschaft. Die Einheit der Polis spielt dabei eine wichtige Rolle. „Feindschaft soll nicht<br />
mehr nach Innen, dafür geschlossen nach Außen sein: eine neue Polis-bezogene Scheidung<br />
<strong>von</strong> Freund und Feind soll stattfinden, eine Verlagerung der Freund-Feind-Konstellation.<br />
Darin soll die Polis ihre Einheit gewinnen.“ 187 In der Freund-Feind-Konstellation zeigt sich<br />
auch sogleich die Differenz <strong>zur</strong> Konstellation in der <strong>Popkultur</strong>. Die Protagonisten der<br />
<strong>Popkultur</strong> wollen nicht nur die Einheit in ihrem Inneren, sie wollen auch die Einheit mit ihrem<br />
Äußeren realisieren. Die Potenziale jedes Einzelnen sollen in die <strong>Popkultur</strong> gewinnbringend<br />
eingebracht werden. Realisieren will die <strong>Popkultur</strong> dieses, indem sie jedem Individuum die<br />
Möglichkeit der freien Entfaltung seiner individuellen Persönlichkeit gestattet. Dies impliziert,<br />
dass es beispielsweise mythischen Narrationen vorbehalten bleibt äußere Feindbilder zu<br />
entwickeln. Sie sollen nur in Form der Fiktion oder virtuell ausagiert werden. Die Patchwork-<br />
Gesellschaft will auf diese Weise das substantialistische Apriori überwinden nach dem<br />
soziale Interaktionen ausnahmslos mittels des Zusammenstoßes oder des Konfliktes<br />
reguliert werden können. Die <strong>Popkultur</strong> beginnt damit, auf Mikroebene umfasst aber ihrer<br />
Idee nach die gesamte Gesellschaft. 188 Dabei entwickelt sich die Gesellschaft in einem<br />
dynamischen Prozess, der durch Innovationen in Gang gesetzt wird, der <strong>von</strong> Subkulturen<br />
ausgeht. Die Subkulturen versuchen in diesem Prozess einen Platz gegenüber der<br />
herrschenden Kultur einzunehmen und zu behaupten. „Gegen Ende des dynamischen<br />
Prozesses ändert sich das Verhältnis. Die herrschende Kultur nutzt Neues schließlich mehr<br />
und mehr, während die Subkultur immer stärker auf traditionelle Elemente <strong>zur</strong>ückgreift, um<br />
ihre Existenz zu sichern. Beides, Tradition und Innovation, sind tatsächlich die<br />
grundlegenden antagonistischen Kräfte, die Handlungen zugrunde liegen können, und sie<br />
sind ineinander verschlungen. Nur diejenigen traditionellen Kulturen können eine<br />
Anpassungs- und Modernisierungsvorgang bewerkstelligen, die in sich selbst ausreichend<br />
Anknüpfungspunkte für Kreativität bereitstellen.“ 189 Wenn dieser soziogenetische Prozess<br />
gelingt, kann er sich bis zum Status der Konkreativität steigern, in dem die Entfaltung <strong>von</strong><br />
Individuum und Gesellschaft und <strong>von</strong> Gesellschaft und Gesellschaft gleichermaßen<br />
ineinander fallen. „Das Prinzip der Soziogenese wirkt nicht nur zwischen Individuum und<br />
Gemeinschaft, sondern auch zwischen Gemeinschaft und Gemeinschaft. Eine große<br />
Gemeinschaft ist in kleinere Gemeinschaften geteilt, die wiederum in noch kleinere, und<br />
dann zuletzt in Individuen geteilt sind. Sie sollen aber nicht „geteilt“ sein, sondern jeweils in<br />
187 Meier, C., 1995, S. 209<br />
188 An dieser Stelle wird deutlich, dass in der <strong>Popkultur</strong> doch eine Dialektik vorhanden ist. Die Dialektik<br />
der kollektiven Entwicklung wird durch ein stark ausgeprägtes Kollektivbewusstsein emotional<br />
unterfüttert.<br />
189 Mursic, R., 2002, S. 59<br />
81
der lebendigen Doppelstruktur <strong>von</strong> Ganzem und Teil zusammenschwingen. Überall gilt<br />
dasselbe Prinzip: das Ganze muß sich selbst bestimmen (sich nicht aus Bestimmungen der<br />
Teile „ergeben“), so wie sich die Teile selbstbestimmen müssen (nicht durch das Ganze<br />
bestimmt werden dürfen), und beide Selbstbestimmungen müssen in gegenseitiger<br />
Förderung, konkreativ und in einem Circulus probatus zusammenwirken.“ 190 Der ‚Circulus<br />
probatus’ beschreibt dabei das Gelingen <strong>von</strong> Gesellschaft in einer sich nach oben drehenden<br />
Spirale, die sich immer schneller dreht, je besser die Gesellschaft gelingt. Ein solcher<br />
gesellschaftlicher Prozess kann sicherlich auch zum Stillstand kommen und sich ins<br />
Gegenteil wenden. Die <strong>Popkultur</strong> ist da<strong>von</strong> nicht ausgenommen, nimmt sie sich doch kaum<br />
die Zeit sich selbst zu reflektieren, da ihr Blick stets nach vorn gerichtet ist.<br />
5.4 Perspektive Zukunft<br />
Der klassische Mythos verweist grundsätzlich auf Dinge, die in der Vergangenheit<br />
geschehen sind, ohne sie zu einem genauen Zeitpunkt zu lokalisieren. Das heißt, sie spielen<br />
vor langer in einer, historisch nicht zu verbürgenden Zeit, weshalb das tatsächliche<br />
Geschehen historisch nicht zu verifizieren ist. Armstrong definiert Mythologie als „… eine<br />
Kunstform, die über die Geschichte hinaus auf das Zeitlose der menschlichen Existenz<br />
verweist …“ 191 Aus dieser Perspektive, ahistorisch, aber dennoch in der Vergangenheit<br />
angesiedelt, schickt sich der klassische Mythos an, u.a. eine Form inne zu haben, die<br />
anzeigt, was der Mensch alles auf sich genommen hat, um an den Stand der Zivilisation zu<br />
gelangen, an dem der Mythos erzählt wird. Seine Figuren sind archaischer Natur, durchweg<br />
dem Substantialismus verhaftet. In ihrer zeitlosen Form stehen sie quasi als Prototypen für<br />
einen bestimmten menschlichen Wesenszug da. Sie illustrieren dem Menschen, dem es an<br />
der notwendigen Lebenserfahrung für den konkreten Fall mangeln könnte, ein ‚so-ist-der-<br />
Mensch-auch’.<br />
Der moderne Mythos, z.B. Lucas’scher Prägung, siedelt sich zwar im einleitenden Text auch<br />
in der Vergangenheit an, er spielt aber in einem Szenario, das, vergleicht man unsere<br />
technische Entwicklung mit derjenigen des <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universums, als Metapher zukünftiger<br />
Entwicklung verstanden werden muss. Damit nimmt der moderne Mythos die Perspektive<br />
ein, in der er anzeigt, was vom gegenwärtigen Standpunkt aus betrachtet, dem Menschen<br />
alles möglich sein kann. 192 Die These der Mythos behandle den Kampf Gut gegen Böse<br />
erscheint vor diesem Hintergrund als simplifizierend. Die Pro- und Antagonisten kämpfen<br />
190 Rombach, H., 1994, S. 293<br />
191 Armstrong, K., 2005, S. 13<br />
192 Im Falle Harry Potter’s spiegelt sich das Geschehen beispielsweise in einer gegenwärtigen<br />
Parallelwelt, durch die der Blick auf das gerichtet wird, was unsere Gegenwart im Hier und Jetzt zu<br />
übersteigen vermag. Auch die Übersteigung der Welt bei Harry Potter verweist in der Form strukturell<br />
auf die <strong>Popkultur</strong>.<br />
82
zwar gegeneinander, aber ihr Handeln speist sich aus der Idee, die sie verfolgen, ob freiwillig<br />
oder unfreiwillig. Sie müssen ihr unbedingt folgen, andernfalls gehen sie und ihre Idee<br />
zugrunde. Für Reflexionen ihres Handelns bleibt ihnen keine Zeit, bis die Idee durchgesetzt<br />
ist. Sie streben also permanent ihrem Ziel hinterher, ohne die unmittelbaren Folgen ihres<br />
Handelns zu berücksichtigen. Das lässt sich analog auf die <strong>Popkultur</strong> übertragen. Auch in ihr<br />
herrscht ein Handlungsdruck vor, bei dem es gilt die Idee der eigenen Gruppe, des Teams,<br />
des Milieus, der Subkultur oder der Gesellschaft zu verfolgen, ohne sein Handeln<br />
zwangsläufig unmittelbar reflektieren zu können oder wollen. Hieraus resultiert die oft<br />
gehörte Erfolgsformel: ‚Tue Gutes und rede darüber.’ 193 Diese Formel spiegelt das<br />
Selbstverständnis der <strong>Popkultur</strong>, dass das, was für sie und durch sie unternommen wird,<br />
sowieso gut ist, da sie die Grundlage kulturellen Handelns sein soll. „Mit der Kultur träumen<br />
die Menschen, um es in der Wirklichkeit aushalten zu können. Sie müssen die<br />
Erfahrungsschwere ihrer Deutungen <strong>von</strong> Welt und Selbst überschreiten können in die<br />
Spielräume ihrer Hoffnung und Sehnsucht, um Zukunft zu haben und die normative Richtung<br />
ihren Handelns und der Entwürfe ihrer Selbst im Umgang mit den Anderen bestimmen zu<br />
können.“ 194<br />
Das die <strong>Popkultur</strong> diese Richtung und Form angenommen hat, rührt nicht <strong>von</strong> ungefähr. „Mit<br />
der Neuzeit (ab dem 15. Jahrhundert) sorgen vor allem Kaufleute für einen schnelleren<br />
Transport <strong>von</strong> Gütern und Nachrichten. Es ergibt sich ein Zusammenwirken der<br />
Kulturfaktoren Geld und Zeit im Zeichen eines >>Zeit-Gewinns
neue Käuferschichten zu gewinnen.“ 196 Um in diesem permanenten Wettbewerb zu bestehen<br />
sind alle Hilfsmittel gestattet, sofern sie die gesellschaftliche Grundordnung nicht gefährden.<br />
5.5 Technik<br />
Die Technik darf den Helden unterstützen. Sie darf ihn aber nicht beherrschen. Das ist eine<br />
Grundaussage sowohl klassischer, als auch <strong>moderner</strong> <strong>Mythen</strong>. Theseus bediente sich eines<br />
Fadens um aus dem Labyrinth <strong>von</strong> Knossos zu entkommen und Luke Skywalker erhält<br />
Unterstützung <strong>von</strong> R2-D2, C3-PO und diversen anderen technischen Spielereien. Ihre<br />
Zweckmäßigkeit überwindet im Mythos jede mögliche Kritik. Auch dies spiegelt sich im Pop<br />
und in der <strong>Popkultur</strong> wider. „Die epochale Bedeutung <strong>von</strong> Pop besteht darin, erstmals die<br />
technischen Reproduktionsmedien ebenso dauerhaft wie flexibel in den Kunstbegriff<br />
integriert zu haben.“ 197 Die postindustrielle Gesellschaft ist inzwischen so weit expandiert,<br />
dass die Aufrechterhaltung ihrer Funktionalität nur noch mittels der Technik garantiert<br />
werden kann. Zudem ist sie durch die technische Innovation überhaupt erst möglich<br />
geworden. Gesellschaft und Technologie stehen nach Castells in einem dialektischen<br />
Verhältnis zueinander. „Die Technologie determiniert die Gesellschaft nicht, sie verkörpert<br />
sie. Doch auch die Gesellschaft determiniert nicht die technologische Innovation, sie benutzt<br />
sie.“ 198 Aus unserem alltäglichen Leben ist diese Entwicklung nicht mehr wegzudenken, so<br />
sehr hat sie sich in beinahe jede Ritze unserer Existenz eingeschrieben und dabei eine<br />
zuweilen bedenkliche Entwicklung angenommen. „Die Gesellschaft selbst ist gekennzeichnet<br />
durch die Erweiterung und Verdichtung strukturell-technischer Netzwerke, die seit den<br />
1980er Jahren mittels Satellitentechnik, weltweiter Luftfahrt und digitalisierter Kommunikation<br />
nicht mehr nur Güter und Personen transportieren, sondern auch Ströme <strong>von</strong> Waren, Kapital<br />
und Geld weltweit zirkulieren lassen. Die Dimensionen wirtschaftlicher Globalisierung<br />
erfahren eine immense Zuspitzung, v.a. bezogen auf die Ausdehnung und Intensivierung des<br />
zwischenstaatlichen Handels (Errichten <strong>von</strong> Freihandelszonen), die Liberalisierung <strong>von</strong><br />
Märkten, den wachsenden Einfluss transnational organisierter und operierender<br />
Unternehmen mit weltweiten Produktionsketten und der Zunahme <strong>von</strong> Direktinvestitionen im<br />
Ausland. Damit kommt es zu einer beispiellosen Beschleunigung der Kapitalbewegungen,<br />
die anders als zu den Zeiten einer international organisierten Ökonomie – deren Ziel in der<br />
Nachkriegszeit darin bestand, ein regulierendes System zwischen den nationalen<br />
Ökonomien auszuhandeln – ein in weiten Teilen unreguliertes System hat entstehen<br />
lassen.“ 199<br />
196 Menrath, S., 2002, S. 124<br />
197 Wyss, B., 2004, S. 30 f.<br />
198 Castells, M., 2003, S. 5, Fußnote 3<br />
199 Binsa, S., 2002, S. 69<br />
84
Lucas Vision war ursprünglich noch auf den Weltraum ausgerichtet. „Er hoffte, mit einer<br />
romantischen, überlebensgroßen Story Kinder für die Weltraumfahrt interessieren zu<br />
können.“ 200 Sicherlich spielt diese Blickrichtung aktuell noch eine Rolle. Aber weil auf dem<br />
Feld der Weltraumfahrt fruchtbare Ergebnisse, an denen alle unmittelbar beteiligt sind, auf<br />
sich warten lassen, hat sich zwischenzeitlich ein neuer Raum aufgetan, der beinahe<br />
jedermann zugänglich ist: der virtuelle Raum der Computerwelt inklusive des World Wide<br />
Web. Auf dem Markt der Computerspiele hat sich Lucas’ Softwareschmiede ‚LucasArts’<br />
(gegründet 1982) seit 1984 regelmäßig durch innovative und erfolgreiche Spiele<br />
hervorgehoben. 201<br />
Die Technik ist für die <strong>Popkultur</strong> also <strong>von</strong> substantieller Bedeutung. Ohne sie könnte<br />
<strong>Popkultur</strong> sich nicht vermitteln. Erst die Informationskanäle der Technik garantieren, dass<br />
<strong>Popkultur</strong> überall verbreitet wird, weil durch sie überall die Produkte der <strong>Popkultur</strong><br />
empfangen werden können.<br />
5.6 Idealismus<br />
Der selbstlose Einsatz der Helden für ihre Idee verlangt ein hohes Maß an Idealismus. Sie<br />
wissen nicht ob sie ihre Aufgaben bewältigen werden. Das hindert sie aber nicht daran sich<br />
unter Einsatz ihres Lebens jeder erforderlichen Situation zu stellen. Darin unterscheiden sich<br />
die Helden im klassischen Mythos nicht <strong>von</strong> den Helden des modernen Mythos. Wenn es<br />
einen Unterschied gibt, dann ist er an den Endpunkt der jeweiligen Story gekoppelt. Der<br />
moderne Mythos bedarf des Happy Ends. Auch wenn der Held nicht gewinnt, obsiegt die<br />
Sache für die er einsteht am Ende doch. 202 Sicherlich hat sich diese simple Formel seit 1977<br />
ausdifferenziert, aber ein Film ohne Happy End oder zumindest das Versprechen eines<br />
Happy Ends hat es schwer im Mainstream Kino erfolgreich Fuß zu fassen. Das Prinzip der<br />
Hoffnung scheint eine Grundvoraussetzung für die <strong>Popkultur</strong> zu sein. Die Hoffnung, dass<br />
sich alles zum Guten wendet. Damit sich diese Hoffnung erfüllt, muss aber jeder der in die<br />
<strong>Popkultur</strong> involviert ist selbstlos seinen Einsatz bringen und zugleich den Zustand der<br />
Heterogenität positiv in sein Leben integrieren. „Bei aller Vielfalt seiner Erscheinungsweisen<br />
hat Pop eine Regel, die für alle gilt: Die Gleichheit im Recht, fremd sein zu dürfen; sie kann<br />
nur bestehen, wenn sich alle daran halten. Pop verfolgt eine Utopie des Pragmatismus. Das<br />
Spielfeld <strong>von</strong> Pop ist diese globalisierte Welt, wie sie der Fall ist; diese Wirtschaft, die sich<br />
200 Pollock, D., 1983, S. 89<br />
201 Die ersten LucasArts Spiele waren: ‚Rescue on Fractalus’ und ‚BallBlazer’, beide 1984. Aktuelle<br />
Spiele der LucasArts-Schmiede sorgen bei Erscheinen, aufgrund ihrer Innovationen, immer wieder für<br />
Aufsehen, wie z.B. die Indiana Jones Reihe oder auch die neuen Spiele im <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universum.<br />
202 Anakin Skywalker wird zwar zu Darth Vader am Ende <strong>von</strong> ‚<strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> III – Die Rache der Sith’ und<br />
die alte Republik geht unter, aber Lucas beteuert immer wieder, dass er die beiden Trilogien als<br />
Einheit betrachtet.<br />
85
über Märkte reguliert, überwacht <strong>von</strong> einer Politik, die mehr oder weniger erfolgreich die<br />
Prinzipien der Demokratie und die Postulate der Menschenrechte vertritt. Was gäbe es statt<br />
der <strong>Popkultur</strong>? Ich sehe nur den Rückfall in eine Identität als fundamentalistische<br />
Konstruktion, die mit simplen Mustern <strong>von</strong> Ein- und Ausgrenzung operiert. Leider droht<br />
gerade die politische Führung der USA abzukommen <strong>von</strong> den Idealen der <strong>Popkultur</strong>, die<br />
dieses Land so maßgebend mitgeprägt hatte.“ 203<br />
5.7 Funktionaler Individualismus<br />
Damit der idealistische Anspruch der Protagonisten der <strong>Popkultur</strong> erfüllt werden kann, kann<br />
die Idee des unbedingten Individuums, wie sie in der Renaissance geboren wurde, in der<br />
<strong>Popkultur</strong> nicht weiter verfolgt werden. An die Stelle des Individualismus tritt der funktionale<br />
Individualismus. Worin gründet die Differenz zwischen Individualismus und funktionalem<br />
Individualismus? Grenzt man Shakespeare’s Hamlet als Vertreter des Individuums<br />
gegenüber der Figur des Luke Skywalker als Vertreter des funktionalen Individualismus ab,<br />
wird die Differenz sichtbar.<br />
Die mythische Figur des ‚unbedingten Individuums‘, wie sie Shakespeare mit dem Hamlet<br />
entworfen hat, negiert mit jeder Faser sämtliche Vorstellungen <strong>von</strong> der Macht der Systeme,<br />
und hätte auch die Idee einer <strong>Popkultur</strong> negiert, sofern es sie im viktorianischen Englang<br />
gegeben hätte. Hamlet überwindet im gleichnamigen Stück alle Ordnungen: er bricht mit der<br />
Ordnung der Familie, mit den Etiketten und der Ordnung bei Hofe und stellt schließlich auch<br />
die Ordnung der Kirche und Religion zumindest <strong>zur</strong> Disposition. Letztere bringt er eben<br />
durch die Dispositionierung zugleich unter seine Verfügungsgewalt. Hamlet entscheidet, ob<br />
er auf die Worte der Kirche hört oder nicht. Er ist das Zentrum seines Universums, das<br />
unbedingte Individuum. Nicht nur die Dialoge und Monologe, die Hamlet spricht beziehen<br />
sich auf ihn, nein, auch die Dialoge und Monologe aller anderen Figuren „... sind letztlich um<br />
seinetwillen geschrieben und könnten aus seiner Feder stammen.“ 204<br />
Freilich, Hamlet geht<br />
an seinem Individualismus zu Grunde. Dies geschieht aber erst, nachdem er alle Zweifel um<br />
den Mord an seinem Vater, der Rolle seiner Mutter und nicht zuletzt seine eigene Person vor<br />
den Augen der Öffentlichkeit und im Sinne des Rechts, mittels der Macht seiner<br />
Individualität, aufgeklärt hat. Mit anderen Worten Shakespeare verweist auf die Macht des<br />
Individuums. Shakespeare kennt aber auch zugleich den Preis für die Unbedingtheit der<br />
Individualität. In letzter Konsequenz bedeutet sie den Tod mit allen daran anknüpfenden<br />
Dramen. An diesem Punkt findet sich die Differenz zu modernen <strong>Mythen</strong>.<br />
Im modernen Mythos aktueller Prägung, beispielsweise <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong>, wird Individualität nur<br />
insoweit betrieben, wie sie der Sache des Guten dienlich ist. Folgt man der Sache der guten<br />
203 Wyss, B., 2004, S. 41<br />
204 Bloom, H., 2000, Bd. 2, S. 23<br />
86
Seite, dann wird auch wirklich alles gut und wir erleben als Zuschauer das Happy End ohne<br />
dramatische Anknüpfungspunkte. 205<br />
Der funktionale Individualismus impliziert sehr wohl einen bestimmten Individualismus und<br />
die Figuren der ‚guten Seite‘ sind entsprechend <strong>von</strong>einander differenzierbar. Möglich wird die<br />
Differenzierung dadurch, dass die funktionalen Individuen mit bestimmten individuellen<br />
Merkmalen ausgestattet sind. Jede Figur hat eine Funktion, die sie in den Dienst der<br />
Gemeinschaft einbringen kann. Die Rebellion gewinnt schließlich aufgrund der Tatsache,<br />
dass ihre Protagonisten ihre Kräfte auf ein gemeinsames Ziel hin bündeln: die Herrschaft des<br />
Imperiums zu beenden. Dabei spielt die Individualität der einzelnen Figuren, beispielsweise<br />
ihr inneres Erleben, ihre Gefühle, keine Rolle. Im Mittelpunkt steht die Funktion, die die<br />
jeweilige Figur zu erfüllen hat. Die gesamte Existenz jeder Figur auf der ‚guten Seite der<br />
Macht‘ in den Episoden IV – VI ist also ausschließlich daraufhin ausgerichtet, die ihm<br />
zugewiesene Rolle zu erfüllen.<br />
Auch in der <strong>Popkultur</strong> wird das Individuum dazu angehalten sich entsprechend in den Dienst<br />
seiner Idee zu stellen. Insofern übernimmt die <strong>Popkultur</strong> auch der Idee der arbeitsteiligen<br />
Gesellschaft. Das Individuum muss sich in einer pluralen Gesellschaft spezialisieren und<br />
seine gesamten Kräfte auf einen bestimmten Aspekt konzentrieren. Im Hinblick auf diesen<br />
bestimmten Aspekt darf das Individuum sich dann voll entfalten. Sicherlich ist das funktionale<br />
Individuum nicht permanent auf den einen Aspekt festgelegt, aber wenn es in Berührung mit<br />
einer Gruppe kommt, mit der es längerfristig zusammenarbeiten möchte, dann wird es auf<br />
eine Funktion festgelegt. 206<br />
5.8 Team oder Community?<br />
Wesentliche Grundlage für das Gelingen der Idee oder das Bestehen in der <strong>Popkultur</strong> ist das<br />
Team oder die Community mit der sich das funktionale Individuum umgibt. Für sich allein ist<br />
das funktionale Individuum dem Untergang geweiht. Während im klassischen Mythos der<br />
Held aber zentral in den Mittelpunkt gerückt und das Team um ihn herum gruppiert wurde,<br />
hat sich dieses Verhältnis im modernen Mythos verlagert. Es gibt zwar einen zentralen<br />
Helden, aber sein Team steht eher gleichwertig neben ihm. Im modernen Mythos scheint<br />
zuweilen einzig die Erzählperspektive relevant dafür zu sein, welche Figur vom Rezipienten<br />
als zentraler Held wahrgenommen wird und diese Perspektive kann changieren. Damit will<br />
ich nicht auf die Austauschbarkeit der Individuen abzielen, sondern vielmehr auf ihre<br />
205 Am Ende <strong>von</strong> Episode VI ‚Die Rückkehr der Jedi Ritter‘ ist alles gut, der imperiale Totalitarismus<br />
abgelöst und die heterogene Patchwork-Gesellschaft kann sich entfalten.<br />
206 Der Sänger einer Band, der während der Proben immer wieder <strong>zur</strong> Gitarre greift, obwohl er das<br />
Instrument kaum beherrscht wird seitens seiner Bandmitglieder keine Beifallsstürme ernten. Der<br />
Kameramann einer Filmcrew, der während der Dreharbeiten das Plakat zum Film entwirft, wird seinen<br />
Job kaum erfüllen können usw.<br />
87
gleichberechtigte Stellung nebeneinanderher. Es ist kein Zufall, dass diese Differenz in<br />
modernen <strong>Mythen</strong> jüngeren Datums auftaucht. 207 Diese Differenz ist eine Eigenleistung <strong>von</strong><br />
Pop. Im Pop tauchte in den 60er Jahren die Idee der Community auf. Die Idee der<br />
Community basierte auf der Hipipebewegung der 60er Jahre. „Die Rückbesinnung der<br />
Hippies auf irdische Zwischenmenschlichkeit, die Hoffnung auf himmlische Harmonie und<br />
der Glaube an eine kosmische Wahrheit gedieh als passive Protesthaltung gegen die<br />
unmenschliche Künstlichkeit der >>plastic society
Funktionalität, wie sie in einem Team vorherrscht hinaus. Der Begriff Community impliziert,<br />
über die Zweckmäßigkeit hinaus, dass das funktionale Individuum das Gefühl <strong>von</strong> sozialer<br />
Anerkennung und Zugehörigkeit erhält.<br />
5.9 Eudaimonia (Spaß)<br />
Spaß ist ein unbedingtes Element der <strong>Popkultur</strong>. Die <strong>Popkultur</strong> zwingt niemanden <strong>zur</strong><br />
Teilnahme, sie lockt vielmehr und wird deshalb hoch frequentiert. <strong>Popkultur</strong> muss ergo einen<br />
sehr hohen Attraktivitätswert aufweisen, da so viele Menschen sich ganz bewusst (und<br />
mindestens genauso viele unbewusst) auf sie einlassen. Es scheint also Spaß zu machen,<br />
an der <strong>Popkultur</strong> zu partizipieren. Der Spaß resultiert aus der Begegnung mit den anderen.<br />
Er ist nicht zu verwechseln mit dem selbstzweckhaften Spaß der ‚Spaßgesellschaft’, mit dem<br />
zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine neue deutsche Fröhlichkeit <strong>von</strong> den Vertretern der Hi-<br />
Culture denunziert wurde. „So äußert sich Reinhard Mohr in seinem Beitrag sehr kritisch<br />
gegenüber der neuen gesellschaftlichen Humorisierung: ‚Deutschland ist zum Freizeitpark<br />
mit voll integrierter Spaßzone geworden.’ Kritisiert wird in diesem und anderen Beiträgen die<br />
‚Totalität’ jener neuen Spaßkultur. Über alles werde gelacht, nur eine Spur zu laut, um noch<br />
ein Gespür für Feinheiten zu bewahren.“ 211 Das ist jedoch nicht die Art <strong>von</strong> Spaß, die hier<br />
gemeint ist. Zwar ist der Spaß in <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> durchaus oberflächlicher Natur, aber er weist<br />
vielmehr Tendenzen in Richtung der ethischen Tradition der ‚eudaimonia’ auf. Im Hinblick auf<br />
die ethischen Lehren klassischer Philosophen konstatiert z.B. Erich Fromm: „Das wichtigste<br />
Element ihres Denkens ist die Unterscheidung zwischen solchen Bedürfnissen (Wünschen),<br />
die nur subjektiv wahrgenommen werden und deren Befriedigung zu momentanem<br />
Vergnügen führt, und solchen Bedürfnissen, die in der menschlichen Natur wurzeln und<br />
deren Erfüllung menschliches Wachstum fördert, das heißt Wohl-Sein (eudaimonia)<br />
hervorbringt. Mit anderen Worten, es ging ihnen um die Unterscheidung zwischen rein<br />
subjektiv empfundenen und objektiv gültigen Bedürfnissen - wobei ein Teil der ersteren das<br />
menschliche Wachstum behindert, während letztere in Einklang mit den Erfordernissen der<br />
menschlichen Natur stehen." 212 Der Spaß in der Story <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> ist alles andere als ein<br />
Selbstzweck. Er entsteht hier vielmehr mit dem Gelingen der Rebellion. Auf die <strong>Popkultur</strong><br />
übertragen bedeutet er das Gelingen des Kulturationsprozesses der <strong>Popkultur</strong>. Es geht um<br />
die Bewerkstelligung des Gelingens der Idee einer heterogenen Patchwork-Gesellschaft.<br />
Sofern die Idee gelingt, besitzt der hier gemeinte Spaß zumindest grundsätzlich das<br />
Potenzial <strong>zur</strong> Steigerung des Selbstgefühls. Eine Steigerung des Selbstgefühls entsteht in<br />
diesem Zusammenhang, weil es „…um den sozialgenetischen Prozess, um die Teilnahme<br />
an konkreativen Entwicklungen, die als Hebung der Lebendigkeit, Steigerung des<br />
211 Goldbeck, K. u. Kassel, 2000, S. 237 f.<br />
212 Fromm, E., 1979, S. 16<br />
89
Lebensgefühls, Gewinnung neuer Dimensionen und höherer Bereiche der<br />
‚Selbstverwirklichung’ empfunden werden.“ 213 Die Helden im <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universum erreichen<br />
dieses Status zweifelsohne. Ihr Spaß an der Sache ist konstitutiv für den Spaß der<br />
Rezipienten an der Sache. „Jeder findet die Schauspieler in meinem Film grauenhaft, aber<br />
ich teile diese Auffassung nicht. Ich finde die Schauspieler echt gut, der Erfolg meiner Filme<br />
beweist es. Ich habe nichts unternommen, um die Schauspieler groß rauszubringen, es ist<br />
ihr Verdienst, dass die Story ankommt und der Film so populär ist.“ 214<br />
Der Ort an dem etwas ‚los’ ist, ist auf die <strong>Popkultur</strong> übertragen der Ort, an dem der Spaß <strong>zur</strong><br />
Geltung kommen kann, der Ort wo der Andere getroffen wird, weshalb dies auch kein<br />
bestimmter Ort sein muss. Der Spaß rührt dann aus der Begegnung mit den anderen, dem<br />
Kennenlernen des Unbekannten und dem Erkundschaften des Neuen. Er findet sich also<br />
schon im Umgang mit der eigenen Community, sofern die nicht <strong>zur</strong> Autorität neigt. Die<br />
Community bedeutet sowohl Ausgangs- als auch Zielpunkt allen popkulturellen Geschehens.<br />
Eine Steigerung des Selbstgefühls entsteht durch das, was jedes Mitglied der Community<br />
produktiv in sie einbringt. Hieraus erst kann der Übermut erwachsen, der sich dann als Spaß<br />
präsentiert. Dafür muss die Gruppe sich zwangsläufig als Gruppe an dem Ort einfinden, an<br />
dem etwas ‚los’ ist, also dort wo <strong>Popkultur</strong> stattfindet. Hier werden frei Entscheidungen<br />
getroffen, die zwar die eigene Idee befördern können, aber deren Konsequenzen nicht<br />
unbedingt die eigene Existenz angreifen.<br />
5.10 Kultur der <strong>Popkultur</strong><br />
<strong>Popkultur</strong> bedeutet mehr als die Summe ihrer Teile. Jedes Popprodukt bietet einen Blick auf<br />
das, was <strong>Popkultur</strong> ausmacht, ohne die <strong>Popkultur</strong> in ihrer Gesamtheit erfassen zu können.<br />
Eine gänzliche Objektivierung der <strong>Popkultur</strong> ist ausgeschlossen, da <strong>Popkultur</strong> immer auch<br />
des Vollzugs bedarf. In objektivierter Form bleibt nur ein Sediment <strong>von</strong> <strong>Popkultur</strong> <strong>zur</strong>ück.<br />
Dieses Sediment kann wie ein vertrocknetes Flussbett als Anschauungsobjekt dienen, mit<br />
dem gezeigt werden kann, welchen Weg der Fluss vor seiner Austrocknung nahm. Den<br />
Fluss selber vermag es jedoch nicht zu beschreiben.<br />
Zudem wird <strong>Popkultur</strong> durch das Problem der Auswahl gekennzeichnet. Alles ist unmittelbar<br />
verfügbar, aber wende ich mich einem Popprodukt zu, wende ich mich, zumindest für den<br />
Augenblick, <strong>von</strong> allen anderen Popprodukten ab. Während das eine Popprodukt noch meine<br />
Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hat, werden überall bereits neue Popprodukte produziert<br />
und bei all dem habe ich an der <strong>Popkultur</strong> bislang nur rezeptiv teilgenommen. Mit anderen<br />
Worten, ich kann mit der <strong>Popkultur</strong> nie auf Augenhöhe sein, sie ist mir immer voraus. In<br />
diesem steten Ungleichgewicht zwischen Beobachter und Beobachtetem findet sich der<br />
213 Rombach, H., 1994, S. 158<br />
214 Pollock, D., 1983, S. 111<br />
90
Grund dafür, warum <strong>Popkultur</strong> notwendig in der Form des modernen Mythos präsentiert wird.<br />
Am Beispiel <strong>von</strong> <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> lässt sich die Notwendigkeit der ‚mythologischen Objektivierung’<br />
der <strong>Popkultur</strong> nachvollziehen.<br />
Das <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universum besteht aus einer Vielzahl <strong>von</strong> Galaxien und Universen, mit den<br />
unterschiedlichsten Kreaturen aus tausenden <strong>von</strong> Welten. Und das bereits zu dem Zeitpunkt,<br />
an dem wir den ersten Fuß in dieses fiktive Universum setzen. Je länger wir uns damit<br />
beschäftigen und je mehr Zeit dabei verstreicht, desto mehr gibt das <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Universum<br />
<strong>von</strong> sich preis und desto komplexer wird es. Johnson ermittelte für das ursprüngliche <strong>Star</strong><br />
<strong>Wars</strong> Universum relativ willkürlich zehn Hauptcharaktere. 215 Bis 1997 wuchs diese Zahl aber<br />
durch das ‚Expanded Universe’ auf ca. 101 Charaktere an. 216 Mittlerweile ist die Zahl der<br />
Charaktere und Welten, allein durch die Charaktere, die durch die Prequels hinzugekommen<br />
sind, noch weitaus größer. Um hier Schritt zu halten und sich auszukennen, allen<br />
Biographien zu folgen, alle Spezifika einer Biosphäre zu ermitteln, die die jeweiligen<br />
Kreaturen hervorbringen usw., bedürfte es einer langen Recherche. Die Komplexität des <strong>Star</strong><br />
<strong>Wars</strong> Universums ist so umfassend, dass die Geschichte nur als Mythos erzählt werden<br />
kann, um überhaupt nachvollziehbar zu sein.<br />
Hier spiegelt <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> die <strong>Popkultur</strong> wider. Auch die <strong>Popkultur</strong>, mitsamt ihren<br />
Objektivierungen, ist so vielschichtig und so breit vertreten, dass sie nur als Mythos erzählt<br />
werden kann. Markennamen schießen in den Himmel, immer kleinere Film- oder<br />
Musikproduktionen, Internetplattformen, Blogs, Sender, Videos usw. produzieren Tag für Tag<br />
popkulturelle Erzeugnisse. Ihre jeweilige Herkunft zu erschließen, um sie entsprechend<br />
würdigen oder analysieren zu können, bedürfte einer langen Forschung, zumal weiterhin<br />
permanent ‚Content’ produziert wird. <strong>Popkultur</strong> kann also nur als Mythos erzählt werden, weil<br />
sie auf eine unerschöpfliche Zahl <strong>von</strong> Quellen <strong>zur</strong>ückgreift. Quellen sind Ausgangspunkt <strong>von</strong><br />
Quellen. Aber alle Quellen <strong>von</strong> allen Produzenten <strong>von</strong> ‚Content’ zu erschließen und sei es<br />
auch nur um sie entsprechend zu interpretieren, nicht einmal zu analysieren, ist ein<br />
hoffnungsloses Unterfangen, weshalb man bestenfalls strukturale Elemente ausmachen<br />
kann. „Pop ist immer Transformation, im Sinne einer dynamischen Bewegung, bei der<br />
kulturelles Material und seine sozialen Umgebungen sich gegenseitig neu gestalten und bis<br />
dahin fixe Grenzen überschreiten…“ 217 Pop bedient sich dabei stets bei dem was ist und bei<br />
sich selbst. Aus diesen Versatzstücken werden neue Popprodukte erzeugt. In der Musik<br />
findet diese Technik ihren Ausdruck im Sampling. Der Ursprung dessen findet sich in der<br />
Collagetechnik des Dada. „Ein Arbeiten mit vorgefertigtem Material, das vorgegebene<br />
Bedeutungsstrukturen auflöst, indem es sie wiederholt, in der Wiederholung aber zugleich<br />
215 Johnson, S., 2006, S. 134<br />
216 „Selbst die hard-core <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Fans haben manchmal Schwierigkeiten die 101 wichtigsten<br />
Charaktere, nicht nur der Filme, sondern auch der Romane, Comics, Rollenspiele, Cartoons, TV<br />
Specials und anderer Medien, zu identifizieren.“ Denker, O., 1996, S. 23<br />
217 Schumacher, E., 2002, S. 40 f.<br />
91
auch verschiebt, verändert, resignifiziert.“ Pop bedarf, wie eingangs gezeigt, nicht mehr des<br />
Talentes des Handgemachten, sondern nur der Fähigkeit zu entscheiden, was sichtbar<br />
werden soll. Künstlerische Entfaltung, sei sie noch so banal und klischeehaft, wird somit für<br />
jedermann zugänglich. Durch diesen niederschwelligen Zugang hat Pop sich in jeden Winkel<br />
kulturellen Zusammenlebens in den westlichen Gesellschaften einschreiben können, auf<br />
unterster wie auf höchster Ebene. „Mittlerweile ist in zahlreichen westlichen Staaten, wie<br />
man weiß, die höchste staatliche Repräsentationsebene entscheidend <strong>von</strong> Popeinflüssen<br />
geprägt. Und warum sollte es auch anders sein? Bill Clinton war ein Vorreiter dieses<br />
>>Politik-mit-den-Mitteln-<strong>von</strong>-PopLeben in Pop>New Labour<br />
New Britpop
Popproduktes abhängig ist <strong>von</strong> der Meinung aller an der <strong>Popkultur</strong> beteiligten. Verlagern sich<br />
die Interessen breiter Schichten, verliert das Popprodukt an Wert. Was heute im Pop in aller<br />
Munde ist, kann bereits morgen Popgeschichte sein. Daher befindet sich die <strong>Popkultur</strong> in<br />
ständiger zyklischer Bewegung. „…die Kommerzialisierung hat noch jede der aus der<br />
autochthonen Inszenierungslust des Menschen aufsteigenden, <strong>von</strong> esoterischen<br />
Identifikationskontexten geprägten Jugend-, Sub- und Gegenkulturen erfasst und in einen<br />
Mainstream der Medien gezwungen: in das universale Geschwätz der Sender, in das Reich<br />
des Scheins und das unaufhörliche Zucken der bunten Bilder auf den Bildschirmen, in die<br />
Farb- und Neonannoncierungen im Straßenbild der Städte. Was einerseits – beginnend in<br />
Kleidung und Haartracht – Verweigerung, Subversion und rituelle Selbstbehauptung im<br />
Generationenkonflikt ist, verliert mit der Etablierung als Mode wieder an Glaubwürdigkeit und<br />
wird letztlich zum Machtmedium dessen, wogegen es einst stand.“ 221<br />
Mainstream entwickelt sich in der <strong>Popkultur</strong> scheinbar regelmäßig aus einem ‚Substream’.<br />
Es ist ein gängiger Mythos der <strong>Popkultur</strong> das ein Film, eine Band, eine Mode etc. zunächst<br />
<strong>von</strong> wenigen rezipiert wird, bis sich der Durchbruch einstellt und ein massenhaftes<br />
Phänomen im Mainstream wie aus dem Nichts auftaucht. 222 „Die Industrie beteiligt(e) sich<br />
sehr bewusst an der Kreation und Auswertung (musik-)kulturell differenter Symbolsysteme,<br />
Kodes und Stilistiken. >>Am Ende tauchen die ehemals abweichenden Regelbrecher als<br />
unterhaltsames Schauspiel in der vorherrschenden Mythologie (aus der sie ja zum Teil<br />
hervorkamen) reintegriert wieder auf: … Der Prozess der Wiedereingliederung hat zwei<br />
Formen: erstens die Verwandlung subkultureller Zeichen (Kleidung, Musik etc.) in<br />
massenhaft produzierte Objekte (die Warenform) und zweitens die Etikettierung und<br />
Unterminierung abweichenden Verhaltens durch die herrschenden Gruppen – Polizei,<br />
Medien, Justiz (die ideologische Form).Imagine>Subkultur
Jede Generation ist durch ihre jugendliche Poperfahrung dem Gesamtsystem der populären<br />
Kultur adaptierbar gemacht, das sich, <strong>von</strong> jeder neuen Popmode weiter genährt, längst<br />
gesamtgesellschafltich kulturweit etabliert hat … Eine sich ständig verschiebende, immer<br />
neuen Trends folgende Gemengelage dirigiert mit der Musik zusammen Shopping,<br />
Markenkleidung, Körperinszenierung und Design.“ 224 Insbesondere in dieser Form neigt die<br />
<strong>Popkultur</strong> immer wieder dazu in Richtung Kitsch und Klischee 225 abzugleiten indem sie<br />
Stereotype selbstreferenziell reproduziert und immer wieder auf den Markt wirft. 226<br />
Trotz des grundsätzlichen Warencharakters der Popprodukte darf nicht vergessen werden,<br />
dass <strong>Popkultur</strong> auch bereits in kleinen Communities funktioniert und hier der Idealismus an<br />
oberster Stelle steht. Aber ohne die angeführten Gesetzmäßigkeiten kommt keine noch so<br />
kleine Popproduktion zustande.<br />
224 Steenblock, V., 2004, S. 90 f.<br />
225 „Ein klischeehafter und dadurch kitschiger Wille ist schematisch und in diesem Sinneabstrakt, auch<br />
wenn es der Wille ist, nach Lambarene oder Tahiti zu gehen. Es ist ein Wille, der sich nicht als<br />
Konsequenz aus einer ganz besonderen, unverwechselbaren Innenweltgeschichte ergibt, und deshalb<br />
ist er nicht echt. Es ist ein nachgeahmter Wille, ein Wille aus zweiter Hand, der sich durch eine<br />
sonderbare Art <strong>von</strong> Ungenauigkeit auszeichnet. Nach Lambarene: Aber was ist es eigentlich, was ich<br />
dort will?“ Bieri, P., 2003, S. 427<br />
226 Jede neue Staffel <strong>von</strong> ‚Deutschland sucht den Superstar’, ‚Popstars’, ‚Germany’s next Top Model’<br />
usw. gibt ein beredtes Beispiel dafür ab.<br />
94
6 Quo vadis, <strong>Popkultur</strong>?<br />
Ob die <strong>Popkultur</strong> das Zeug dazu hat, sich dauerhaft als eine Leitkultur zu etablieren, kann zu<br />
diesem Zeitpunkt nicht bestimmt werden. „Für Lucas ist <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Populär-Kunst, ‚das Zeug,<br />
das zum wesentlichen Überbleibsel einer Zivilisation wird’.“ 227<br />
Das Ineinanderfallen <strong>von</strong> kulturellem Angebot und kultureller Nachfrage führte zu einer<br />
Neuorientierung der Industrie, die die kulturelle Produktion und damit beinahe die gesamte<br />
Produktionsweise der westlichen Welt umzustrukturieren begann. Dieser Prozess ging zu<br />
Lasten des Selbstbildes der <strong>Popkultur</strong> <strong>von</strong> sich als Gegenkultur. Das Bild indem Pop gleich<br />
Gegenkultur gesetzt wird, verwandelt sich damit endgültig <strong>zur</strong> reinen Pose. „Rebell zu sein,<br />
das nimmt einem heute niemand mehr ab. Oder vielmehr: es wird viel zu bereitwillig<br />
akzeptiert. Die popkulturellen Forderungen nach Individualität und Abgrenzung sind längst in<br />
bunte Abgrenzungsmoden und Individualitäts-Gadgets übersetzt worden.“ 228 Darüber hinaus<br />
scheint es so, als lasse sich noch das langweiligste und spießigste Produkt besser<br />
verkaufen, wenn es nur popkulturell emotional aufgeladen wird, wodurch eine Übersättigung<br />
an Erzeugnissen, die sich mit dem Etikett Pop schmücken, zu verzeichnen ist und scheinbar<br />
alles zu Pop wird. „Wie eine Seuche scheint Pop alle öffentlichen Kommunikationsformen<br />
infiziert und besetzt zu haben. Pop ist zu einer multimedialen Dauerbelästigung geworden,<br />
seitdem Comic-Charaktere aus Quiz-Sendungen und Talk-Shows als neue Kultfiguren<br />
verehrt werden. Gleichzeitig wird die Symbolkraft <strong>von</strong> Pop genutzt, um neue Automodelle<br />
oder Chips-Sorten zu adeln.“ 229 Unter dem Etikett der Lifestyle Produkte werden mehrere<br />
Branchen am Leben gehalten. Aus Rollschuh fahren wird ‚Inlining’ oder ‚Skating’, ein<br />
pappiges, geschmackloses Brötchen mit einer Frikadelle gefüttert tritt einen globalen<br />
Siegeszug als ‚Hamburger’ an, Olive und Schafskäse werden zum Lifestyle-Fingerfood der<br />
Generation Body Balance, Guido Westerwelle wächst <strong>zur</strong> ästhetischen Stilikone an und der<br />
Papst wird zum modernen Sexsymbol: schöne neue Welt? Die mit der <strong>Popkultur</strong><br />
einhergehende Umstellung des Wirschaftssystems hat Richard Sennett als die ‚Kultur des<br />
neuen Kapitalimus’ etikettiert, die auch ihre Schattenseiten hat. „Dazu gehört das Ende der<br />
lebenslangen Anstellung, die Erosion der Laufbahn innerhalb einer einzelnen Institution<br />
sowie im öffentlichen Bereich die Tatsache, dass die staatlichen Sozialsysteme heute eher<br />
kurzfristig ausgerichtet und kaum noch miteinander verbunden sind.“ 230 Erste Anzeichen<br />
einer solchen Umstellung waren Bemerkenswerterweise bereits beim Zusammenbruch des<br />
Studiosystems in Hollywood in den 60er Jahren zu verzeichnen. Die Hollywood Studios<br />
haben sich <strong>von</strong> dem Schlag mehr als nur erholt, sie stehen heute ökonomisch besser da<br />
227 Pollock, D., 1983, S. 187<br />
228 Holert, T., 2002, S. 34<br />
229 Kemper, P., Langhoff, Th. u. Sonnenschein, U., 2002, S. 9<br />
230 Sennett, R., 2007, S. 25<br />
95
denn je, was nicht zuletzt auf die Erfolge des Blockbusterkinos <strong>zur</strong>ückzuführen ist. Kann aber<br />
Hollywood tatsächlich als zukunfsweisender Modellfall für sämtliche kulturellen Phänomene<br />
gelten? Um welchen Preis?<br />
Seitdem <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> 1977 in die Kinos kam, hat sich die <strong>Popkultur</strong> sehr weit ausdifferenziert,<br />
ohne dabei die in dieser Arbeit beschriebenen grundsätzlichen Mechanismen aufzugeben.<br />
Jede noch so alternative oder widerständige Bewegung bedarf, um Wirkung in der <strong>Popkultur</strong><br />
zu entfalten, der hier beschriebenen 11 Elemente. Auch dann noch, wenn sie sich explizit<br />
<strong>von</strong> Pop abwenden will. Das resultiert daher, dass, unabhängig <strong>von</strong> ihrem Zustandekommen<br />
und ihrer Verfasstheit, die <strong>Popkultur</strong> die unmittelbare Bedürfnislage der Menschen spiegelt.<br />
Trotzdem hat die <strong>Popkultur</strong> einen Januskopf. Sie verfügt einerseits über das Potenzial eine<br />
echt demokratische Gesellschaft hervorzubringen, aber sie verfügt andererseits auch<br />
genauso über das Potenzial zu einem tyrannischen Medusenhaupt zu werden, dass alle<br />
sozialen Gefüge noch mehr verelendet und die Individuen noch mehr fragmentisiert, als es<br />
ohnehin schon der Fall ist. <strong>Popkultur</strong> bedeutet daher einen steten Kampf. Keinen Kampf<br />
gegen den Anderen, sondern einen Kampf mit sich und mit der ständigen Frage, ob man die<br />
Spannung aushält sich und seine Individualität immer wieder in eine funktionale Individualität<br />
umzuwandeln, wobei man sich gefährlich nahe an der reinen Funktionalität bewegt, ohne<br />
mehr als ein Versprechen an der Hand zu haben, dass man Erfolge verbuchen kann. Man ist<br />
darauf angewiesen, seine Freiheit selbst herzustellen, indem man sich immer wieder kritisch<br />
gegen sich und sein Handeln wendet und die Kultur, die einem dies ermöglicht hinterfragt.<br />
Ansonsten verlöre die <strong>Popkultur</strong> stante pede alle Eigenschaften, die Pop überhaupt erst für<br />
jedermann hat zugänglich werden lassen: Individualität, Liebe, Kreativität, Freiheit der<br />
eigenen Entscheidung und das Gefühl der gelingenden Identität, der sozialen Anerkennung,<br />
das Gefühl der Zugehörigkeit und der Steigerung des Gefühls der eigenen Lebendigkeit.<br />
Quo vadis, <strong>Popkultur</strong>? Wirst Du Dich in einer selbstreferentiellen und zusehends stringenter<br />
kommerzialisierten Schleife einschließen oder kannst Du Dich weiter entwickeln und Deine<br />
Versprechungen auf gesellschaftlicher Ebene in der Tat einlösen?<br />
96
Literaturverzeichnis:<br />
Armstrong, K., ‚Eine kurze Geschichte des Mythos’, Berlin Verlag GmbH, Berlin, 2005<br />
Assayas, M., ‚Bono über Bono – Gespräche mit Michka Assayas’, Kiepenheuer & Witsch’,<br />
Köln, 2005<br />
Barner, Detken, Wesche (Hg.), ‚Texte <strong>zur</strong> modernen <strong>Mythen</strong>theorie’, Reclam, 2003<br />
Binas, S., ‚sound-shifts. Kulturelle Durchdringung als Voraussetzung und Resultat der<br />
Schaffung <strong>von</strong> bedeutungsvollen Unterschieden und Differenz’, in: Bonz, J. (Hg.),<br />
‚<strong>Popkultur</strong>theorie’, Ventil Verlag, Mainz 2002<br />
Biskind, P., ‚Easy Riders, Raging Bulls – Wie die Sex Drugs und Rock’n Roll Generation<br />
Hollywood rettete‘, Wilhelm Heyne Verlag, Münschen, 2004<br />
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