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05/14 Made in Europe

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52 RAMBAZAMBA<br />

Es ist sechs Uhr morgens, irgendwann<br />

<strong>in</strong> den frühen 80ern. Dragica<br />

S. ist gerade eben aufgestanden und<br />

macht sich für die Arbeit fertig. Sie ist<br />

Tellerwäscher<strong>in</strong> und Re<strong>in</strong>igungskraft <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Hotel <strong>in</strong> den Salzburger Alpen. Ihr<br />

Mann ist noch nicht aus der Nachtschicht<br />

zurück. Beide wohnen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em w<strong>in</strong>zigen<br />

Kellerzimmer ohne Bad und Küche im<br />

Hotel, <strong>in</strong> dem Dragica arbeitet. Die Frau<br />

we<strong>in</strong>t zu dieser Zeit sehr oft. Sie hat vor<br />

wenigen Monaten e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d bekommen<br />

und es nach nur vier Wochen zu den Verwandten<br />

nach Jugoslawien geschickt. Sie<br />

hätte ihren Job verloren, wenn sie zu Hause<br />

beim K<strong>in</strong>d geblieben wäre. Mit der Arbeit<br />

wäre auch das Visum weg. Es ist ihr<br />

vierzehnter Arbeitstag <strong>in</strong> Folge. „Die Arbeitgeber<br />

haben das mit den freien Tagen<br />

damals nicht so ernst genommen“, erzählt<br />

sie heute.<br />

Dragica S. und ihr Mann gehören zu<br />

den geschätzten 200.000 Gastarbeitern,<br />

die <strong>in</strong> den 60ern bis 80ern nach Österreich<br />

gekommen s<strong>in</strong>d, um hier zu arbeiten.<br />

Offiziell sollen von 1964 bis 1971 40.000<br />

türkische und jugoslawische Arbeiter<br />

über den Amtsweg gekommen se<strong>in</strong>. Noch<br />

mehr fanden aber über Bekannte oder<br />

als Touristen e<strong>in</strong>e Arbeit <strong>in</strong> Österreich.<br />

„Es war nie das Problem, dass zu viele da<br />

waren, man musste sie eher suchen“, sagt<br />

August Gächter vom Zentrum für Soziale<br />

Innovation (ZSI). Heuer feiert Österreich<br />

das 50-jährige Jubiläum zum Anwerbeabkommen<br />

mit der Türkei (siehe Info auf<br />

der nächsten Seite).<br />

Österreichs Wirtschaft litt vor allem<br />

<strong>in</strong> den 60ern unter starkem Arbeitskräftemangel<br />

und brauchte dr<strong>in</strong>gend billige<br />

Arbeitskräfte aus dem Ausland. Die<br />

Baubranche hatte schon 1961 begonnen<br />

Arbeiter im Ausland anzuwerben.<br />

Heimische Betriebe waren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em regelrechten<br />

Konkurrenzkampf um Arbeitskräfte.<br />

H<strong>in</strong>zu kam, dass Österreich<br />

eigentlich ke<strong>in</strong> attraktiver Ort für Gastarbeiter<br />

war. Die meisten wollten nach<br />

Deutschland oder Belgien weiter,<br />

wo die Löhne viel höher<br />

waren, und sahen Österreich<br />

nur als Zwischenstopp. Das<br />

war e<strong>in</strong> großes Problem für<br />

heimische Betriebe, die immer<br />

wieder neue Leute anlernen<br />

mussten. Um ausländische Angestellte im<br />

Unternehmen zu halten, haben manche<br />

Betriebsleiter versucht, bei der Fremdenpolizei<br />

zu <strong>in</strong>tervenieren oder ihre Pässe<br />

e<strong>in</strong>behalten.<br />

MINDESTLOHN UND ÜBERSTUNDEN<br />

„Sie haben dir den Vertrag auf Deutsch<br />

h<strong>in</strong>gehalten und du hast sofort unterschreiben<br />

müssen. Viele haben nicht e<strong>in</strong>mal<br />

gewusst, was da steht“, erzählt Akif G.<br />

(Anm.: Name von der Redaktion geändert).<br />

Er kam 1979 als 18-Jähriger aus Ankara<br />

nach Wien. Damals hat se<strong>in</strong> Onkel<br />

schon als Gastarbeiter hier gearbeitet. Er<br />

hat im Baugewerbe, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fischfabrik<br />

und später <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Industriebetrieb gearbeitet.<br />

„Wir wussten zum Beispiel nicht,<br />

dass wir am Wochenende mehr verdienen<br />

dürfen. Das hat uns ke<strong>in</strong>er gesagt“, sagt er.<br />

Die meisten Gastarbeiter haben nur den<br />

gesetzlichen M<strong>in</strong>destlohn erhalten und<br />

wurden kaum über ihre Rechte aufgeklärt.<br />

„Manche von uns haben 3.000 bis 4.000<br />

Schill<strong>in</strong>g im Monat verdient. Sie haben<br />

uns oft nur e<strong>in</strong> Viertel von dem bezahlt,<br />

was die Österreicher bekommen haben“,<br />

erzählt er. Doch auch jene, die wussten,<br />

was ihnen zusteht, haben sich nicht getraut<br />

aufzubegehren. Das Visum war an<br />

die Beschäftigung gekoppelt, die Arbeitsverträge<br />

waren meist auf e<strong>in</strong> Jahr befristet.<br />

Wer ke<strong>in</strong>en Job hatte, musste das Land<br />

verlassen. „Ganz ehrlich, ich habe das als<br />

Sklavenarbeit empfunden“, sagt Akif G.<br />

heute.<br />

Für Frauen seien die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />

besonders schlimm gewesen, erzählt<br />

Ali Özbaş. Er ist Veranstalter der Ausstellung<br />

„Lebensgeschichten der ersten<br />

GastarbeiterInnen aus der Türkei: E<strong>in</strong>e<br />

„<br />

GANZ EHRLICH,<br />

ICH HABE DAS ALS<br />

SKLAVENARBEIT<br />

EMPFUNDEN<br />

“<br />

SAGT AKIF G. HEUTE.<br />

Ausstellung zu über 50 Jahren<br />

türkische Arbeitsmigration<br />

nach Österreich“, die im Herbst<br />

landesweit startet. Auch wenn<br />

e<strong>in</strong> Großteil der Gastarbeiter<br />

Männer waren, so kamen doch<br />

auch Frauen, die vorwiegend<br />

<strong>in</strong> der Textil<strong>in</strong>dustrie und manchmal im<br />

Gastgewerbe gearbeitet haben. Im Vergleich<br />

zum Baugewerbe oder zur Schwer<strong>in</strong>dustrie<br />

waren die Gehälter <strong>in</strong> diesen<br />

Branchen aber sehr niedrig. Vor allem<br />

am Land gab es kaum K<strong>in</strong>derbetreuungsplätze<br />

und viele Frauen hatten ke<strong>in</strong> Recht<br />

auf Karenz, wenn sie nicht lange genug<br />

im Land waren. „Ich b<strong>in</strong> irgendwie alle<strong>in</strong>e<br />

aufgewachsen“, erzählt Nesim G., die<br />

als Sechsjährige mit ihren Eltern aus der<br />

Türkei nach Österreich gekommen ist.<br />

Viele K<strong>in</strong>der wurden nach der Geburt zu<br />

den Großeltern <strong>in</strong> die Heimat geschickt<br />

oder sogar <strong>in</strong> staatliche Obhut gegeben<br />

(biber hat berichtet).<br />

WOHNEN „WIE IM SCHWEINESTALL“<br />

Am Anfang hat Akif G. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fabrik<br />

gearbeitet und sich mit sieben weiteren<br />

Kollegen e<strong>in</strong> Zimmer geteilt. Es war gerade<br />

e<strong>in</strong>mal groß genug für die vier Stockbetten,<br />

auf denen die Männer geschlafen<br />

haben. „Wir haben wie im Schwe<strong>in</strong>estall<br />

gelebt!“ Bis weit <strong>in</strong> die 1970er mussten<br />

die Firmen theoretisch für die Unterkunft<br />

und die Beschäftigungsbewilligung ihrer<br />

ausländischen Arbeiter aufkommen. In<br />

der Praxis wurde aber vielen e<strong>in</strong> Teil des<br />

Lohns für Logis und für die Gebühren<br />

rund um die Erteilung der Beschäftigung<br />

abgezogen. „Waschmasch<strong>in</strong>e oder Bad<br />

im Zimmer waren Luxus. Jede Woche<br />

war e<strong>in</strong>e lange Schlange vor dem Amalienbad“,<br />

so Akif. In e<strong>in</strong>e eigene Wohnung<br />

umziehen war theoretisch möglich,<br />

aber nicht gern gesehen. „Wer aus den<br />

schäbigen Arbeiterquartieren ausziehen<br />

wollte, dem wurde mit dem Rauswurf gedroht“,<br />

erzählt Gächter vom ZSI.<br />

„Am Anfang waren die Arbeiter mit

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