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54 RAMBAZAMBA<br />

dem zufrieden, was sie bekommen<br />

haben. Niemand hat<br />

gefragt, was ihm zusteht“, sagt<br />

Özbas, der im Rahmen der Ausstellung<br />

zahlreiche Interviews<br />

mit ehemaligen Gastarbeitern<br />

geführt hat. „Aber sobald die<br />

Leute ihren Lebensmittelpunkt hierher<br />

verlagert hatten und ihre K<strong>in</strong>der hier <strong>in</strong><br />

die Schule gegangen s<strong>in</strong>d, haben sie begonnen,<br />

mehr Rechte e<strong>in</strong>zufordern.“ Und<br />

das wurde noch weniger gern gesehen<br />

und folgenschwer bestraft.<br />

VON KAMMERS GNADEN<br />

Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit hat die<br />

Historiker<strong>in</strong> Vida Bakondy untersucht,<br />

wie Gastarbeiter gegen miserable Wohnund<br />

Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen demonstriert<br />

haben und wie heimische Betriebe auf<br />

deren Ungehorsam reagiert haben. Das<br />

Resultat: Aufbegehren wurde <strong>in</strong> manchen<br />

Fällen mit Abschiebung bestraft. Die Beschäftigungsbewilligungen<br />

wurden nicht<br />

verlängert und e<strong>in</strong> Wechsel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere<br />

Firma wurde bewusst erschwert. „Manche<br />

Firmen haben bei der Wirtschaftskammer<br />

<strong>in</strong>terveniert und wollten verh<strong>in</strong>dern,<br />

dass die Arbeiter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anderen Firma<br />

e<strong>in</strong>en Job bekommen“, sagt Bakondy. So<br />

bittet etwa e<strong>in</strong>e Metallerzeugungsfirma<br />

1963 die Wirtschaftskammer im Fall e<strong>in</strong>es<br />

angeworbenen türkischen Arbeiters um<br />

Intervention (siehe Brief). Die Kammer<br />

solle beim damaligen Arbeitsamt <strong>in</strong>tervenieren,<br />

sodass der Arbeiter <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er<br />

anderen Firma e<strong>in</strong>e Arbeit f<strong>in</strong>det und entweder<br />

beim Metallerzeuger bleibt, oder<br />

das Land verlassen muss. In den Archiven<br />

der WKO f<strong>in</strong>den sich auch weiter Briefe<br />

von Firmen mit der Bitte um Intervention.<br />

Der niederösterreichische „Stadtbaumeister<br />

Rudolf Jäger“ beschwert sich 1963<br />

etwa, dass acht türkische Bauarbeiter gekündigt<br />

haben und bittet die WKO, „auch<br />

von Ihrer Seite aus zu versuchen, diese<br />

türkischen Bauhelfer aufzugreifen und<br />

damit zur Rückkehr zu zw<strong>in</strong>gen.“<br />

„<br />

ES GIBT KEINE ZAHLEN<br />

ÜBER DIE ANTRÄGE<br />

SEITENS DER WKO ODER<br />

DES ÖGB UND WIE<br />

DIESE AUSGEGANGEN<br />

SIND. MEIN EINDRUCK<br />

WAR ABER, ES HING<br />

DAVON AB, WIE GUT<br />

DER BETRIEB IN DER<br />

SOZIALPARTNERSCHAFT<br />

VERANKERT WAR<br />

“<br />

Damals hatten Wirtschaftskammer<br />

(WKO) und Gewerkschaftsbund<br />

(ÖGB) tatsächlich<br />

e<strong>in</strong> Mitspracherecht bei der<br />

Erteilung von Arbeitsbewilligungen<br />

und Visa. In welchen<br />

Fällen aber <strong>in</strong>terveniert wurde,<br />

h<strong>in</strong>g oft von der Firma selbst ab. „Es gibt<br />

ke<strong>in</strong>e Zahlen über die Anträge seitens der<br />

WKO oder des ÖGB und wie diese ausgegangen<br />

s<strong>in</strong>d. Me<strong>in</strong> E<strong>in</strong>druck war aber,<br />

es h<strong>in</strong>g davon ab, wie gut der Betrieb <strong>in</strong><br />

der Sozialpartnerschaft verankert war“,<br />

erzählt August Gächter, der im Rahmen<br />

se<strong>in</strong>er Forschungsarbeit die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />

von Gastarbeitern untersucht<br />

hat. Hatte e<strong>in</strong> Betrieb e<strong>in</strong> hohes Stand<strong>in</strong>g<br />

<strong>in</strong> der Kammer oder e<strong>in</strong>en Betriebsrat<br />

beim ÖGB, sei den Forderungen nach<br />

Intervention eher nachgegangen worden<br />

– unabhängig davon, ob es darum g<strong>in</strong>g<br />

e<strong>in</strong>en Arbeiter zu behalten oder abzuwerben,<br />

so Gächter.<br />

Bakondy schildert <strong>in</strong> der Zeitschrift<br />

der Initiative M<strong>in</strong>derheit, „Stimme“, den<br />

Wunsch nach Abschiebung von neun<br />

türkischen Arbeitern, die sich nach Auslaufen<br />

ihres Arbeitsvertrags geweigert<br />

hatten bei derselben Baufirma zu verlängern.<br />

Diesen Vorfall kommentierte das<br />

Arbeitsamt Niederösterreich 1962 so: „…<br />

Da auch weiterh<strong>in</strong> Interesse an ihrer berufsrichtigen<br />

Beschäftigung bestand, sieht<br />

das Landesamt NÖ. <strong>in</strong> dem diszipl<strong>in</strong>losen<br />

und den Arbeitsmarkt störenden Verhalten<br />

dieser Fremdarbeiter e<strong>in</strong>e Gefährdung<br />

der öffentlichen Interessen.“ Die Gastarbeiter<br />

sollten ke<strong>in</strong> Recht bekommen über<br />

die Art ihrer Beschäftigung und ihren Arbeitgeber<br />

selbst zu entscheiden.<br />

„Das Anwerbeabkommen mit der<br />

Türkei wurde vor 50 Jahren abgeschlossen,<br />

die damals für dieses Thema zuständigen<br />

Personen s<strong>in</strong>d schon lange nicht<br />

mehr <strong>in</strong> der WKO tätig. Ich kann sie daher<br />

nicht mehr fragen, wie mit Interventionen<br />

umgegangen wurde. Ich bitte Sie<br />

dah<strong>in</strong>gehend um Verständnis“, sagt Margit<br />

Kreuzhuber von der WKO. Tatsächlich<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den Archiven ke<strong>in</strong>e Aufzeichnungen<br />

darüber, wie die Kammer damals<br />

auf Briefe und Ansuchen geantwortet hat.<br />

KEINE MACHT DEN ARBEITERN<br />

Autonomie und Ungehorsam wurden<br />

vom Arbeitgeber bestraft, den Kammern<br />

und das Arbeitsamt den Rücken gestärkt<br />

haben. Gächter schildert im Rahmen se<strong>in</strong>er<br />

Forschung beispielsweise zwei Streikfälle<br />

von jugoslawischen Gastarbeitern<br />

1965 und 1966 <strong>in</strong> zwei unterschiedlichen<br />

Betrieben, die mit Schubhaft und Abschiebung<br />

niedergeschlagen wurden. Im<br />

ersten Fall haben zehn Arbeiter demonstriert,<br />

weil sie statt der versprochenen 18<br />

Schill<strong>in</strong>g pro Stunde nur 15 bekommen<br />

hatten. Im zweiten Fall hatten Arbeiter<br />

ihre Stimmen erhoben, weil e<strong>in</strong> Kollege<br />

gekündigt worden war, nachdem er sich<br />

über die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen beschwert<br />

hatte. Die Arbeitgeber hatten Angst, dass<br />

auch andere ausländische Arbeiter auf die<br />

Barrikaden steigen und haben jede Form<br />

des Widerstands drakonisch bestraft.<br />

„Streik oder Aufregen waren purer<br />

Luxus!“, erzählt Akif G. Und so haben<br />

viele e<strong>in</strong>fach nur geschwiegen und gearbeitet.<br />

Sie haben alles gespart, was sie<br />

beiseite legen konnten und ihren Familien<br />

geschickt oder für ihre K<strong>in</strong>der hier<br />

auf die Seite gelegt. „Irgendwann wurde<br />

es langsam besser. Zuerst e<strong>in</strong> besserer Job,<br />

dann e<strong>in</strong>e schönere Wohnung…“ Heute<br />

lebt Akif <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geräumigen, schönen<br />

Wohnung <strong>in</strong> Wien. Se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d<br />

erwachsen und haben studiert. „Ich habe<br />

me<strong>in</strong>em Sohn gesagt, ich will dich nicht<br />

im Blaumann sehen!“ Nur se<strong>in</strong> Rücken ist<br />

von der jahrelangen harten Arbeit kaputt.<br />

Auch Dragica hat Schmerzen, wenn sie<br />

sich bücken muss und ihre Enkelk<strong>in</strong>der<br />

auf den Arm nimmt. Und er<strong>in</strong>nern wollen<br />

sie sich nicht so gern, an die ersten Jahre<br />

<strong>in</strong> Österreich, als jeder noch gedacht hat,<br />

sie gehen bald.

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