05/14 Made in Europe
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54 RAMBAZAMBA<br />
dem zufrieden, was sie bekommen<br />
haben. Niemand hat<br />
gefragt, was ihm zusteht“, sagt<br />
Özbas, der im Rahmen der Ausstellung<br />
zahlreiche Interviews<br />
mit ehemaligen Gastarbeitern<br />
geführt hat. „Aber sobald die<br />
Leute ihren Lebensmittelpunkt hierher<br />
verlagert hatten und ihre K<strong>in</strong>der hier <strong>in</strong><br />
die Schule gegangen s<strong>in</strong>d, haben sie begonnen,<br />
mehr Rechte e<strong>in</strong>zufordern.“ Und<br />
das wurde noch weniger gern gesehen<br />
und folgenschwer bestraft.<br />
VON KAMMERS GNADEN<br />
Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit hat die<br />
Historiker<strong>in</strong> Vida Bakondy untersucht,<br />
wie Gastarbeiter gegen miserable Wohnund<br />
Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen demonstriert<br />
haben und wie heimische Betriebe auf<br />
deren Ungehorsam reagiert haben. Das<br />
Resultat: Aufbegehren wurde <strong>in</strong> manchen<br />
Fällen mit Abschiebung bestraft. Die Beschäftigungsbewilligungen<br />
wurden nicht<br />
verlängert und e<strong>in</strong> Wechsel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere<br />
Firma wurde bewusst erschwert. „Manche<br />
Firmen haben bei der Wirtschaftskammer<br />
<strong>in</strong>terveniert und wollten verh<strong>in</strong>dern,<br />
dass die Arbeiter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anderen Firma<br />
e<strong>in</strong>en Job bekommen“, sagt Bakondy. So<br />
bittet etwa e<strong>in</strong>e Metallerzeugungsfirma<br />
1963 die Wirtschaftskammer im Fall e<strong>in</strong>es<br />
angeworbenen türkischen Arbeiters um<br />
Intervention (siehe Brief). Die Kammer<br />
solle beim damaligen Arbeitsamt <strong>in</strong>tervenieren,<br />
sodass der Arbeiter <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er<br />
anderen Firma e<strong>in</strong>e Arbeit f<strong>in</strong>det und entweder<br />
beim Metallerzeuger bleibt, oder<br />
das Land verlassen muss. In den Archiven<br />
der WKO f<strong>in</strong>den sich auch weiter Briefe<br />
von Firmen mit der Bitte um Intervention.<br />
Der niederösterreichische „Stadtbaumeister<br />
Rudolf Jäger“ beschwert sich 1963<br />
etwa, dass acht türkische Bauarbeiter gekündigt<br />
haben und bittet die WKO, „auch<br />
von Ihrer Seite aus zu versuchen, diese<br />
türkischen Bauhelfer aufzugreifen und<br />
damit zur Rückkehr zu zw<strong>in</strong>gen.“<br />
„<br />
ES GIBT KEINE ZAHLEN<br />
ÜBER DIE ANTRÄGE<br />
SEITENS DER WKO ODER<br />
DES ÖGB UND WIE<br />
DIESE AUSGEGANGEN<br />
SIND. MEIN EINDRUCK<br />
WAR ABER, ES HING<br />
DAVON AB, WIE GUT<br />
DER BETRIEB IN DER<br />
SOZIALPARTNERSCHAFT<br />
VERANKERT WAR<br />
“<br />
Damals hatten Wirtschaftskammer<br />
(WKO) und Gewerkschaftsbund<br />
(ÖGB) tatsächlich<br />
e<strong>in</strong> Mitspracherecht bei der<br />
Erteilung von Arbeitsbewilligungen<br />
und Visa. In welchen<br />
Fällen aber <strong>in</strong>terveniert wurde,<br />
h<strong>in</strong>g oft von der Firma selbst ab. „Es gibt<br />
ke<strong>in</strong>e Zahlen über die Anträge seitens der<br />
WKO oder des ÖGB und wie diese ausgegangen<br />
s<strong>in</strong>d. Me<strong>in</strong> E<strong>in</strong>druck war aber,<br />
es h<strong>in</strong>g davon ab, wie gut der Betrieb <strong>in</strong><br />
der Sozialpartnerschaft verankert war“,<br />
erzählt August Gächter, der im Rahmen<br />
se<strong>in</strong>er Forschungsarbeit die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />
von Gastarbeitern untersucht<br />
hat. Hatte e<strong>in</strong> Betrieb e<strong>in</strong> hohes Stand<strong>in</strong>g<br />
<strong>in</strong> der Kammer oder e<strong>in</strong>en Betriebsrat<br />
beim ÖGB, sei den Forderungen nach<br />
Intervention eher nachgegangen worden<br />
– unabhängig davon, ob es darum g<strong>in</strong>g<br />
e<strong>in</strong>en Arbeiter zu behalten oder abzuwerben,<br />
so Gächter.<br />
Bakondy schildert <strong>in</strong> der Zeitschrift<br />
der Initiative M<strong>in</strong>derheit, „Stimme“, den<br />
Wunsch nach Abschiebung von neun<br />
türkischen Arbeitern, die sich nach Auslaufen<br />
ihres Arbeitsvertrags geweigert<br />
hatten bei derselben Baufirma zu verlängern.<br />
Diesen Vorfall kommentierte das<br />
Arbeitsamt Niederösterreich 1962 so: „…<br />
Da auch weiterh<strong>in</strong> Interesse an ihrer berufsrichtigen<br />
Beschäftigung bestand, sieht<br />
das Landesamt NÖ. <strong>in</strong> dem diszipl<strong>in</strong>losen<br />
und den Arbeitsmarkt störenden Verhalten<br />
dieser Fremdarbeiter e<strong>in</strong>e Gefährdung<br />
der öffentlichen Interessen.“ Die Gastarbeiter<br />
sollten ke<strong>in</strong> Recht bekommen über<br />
die Art ihrer Beschäftigung und ihren Arbeitgeber<br />
selbst zu entscheiden.<br />
„Das Anwerbeabkommen mit der<br />
Türkei wurde vor 50 Jahren abgeschlossen,<br />
die damals für dieses Thema zuständigen<br />
Personen s<strong>in</strong>d schon lange nicht<br />
mehr <strong>in</strong> der WKO tätig. Ich kann sie daher<br />
nicht mehr fragen, wie mit Interventionen<br />
umgegangen wurde. Ich bitte Sie<br />
dah<strong>in</strong>gehend um Verständnis“, sagt Margit<br />
Kreuzhuber von der WKO. Tatsächlich<br />
s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den Archiven ke<strong>in</strong>e Aufzeichnungen<br />
darüber, wie die Kammer damals<br />
auf Briefe und Ansuchen geantwortet hat.<br />
KEINE MACHT DEN ARBEITERN<br />
Autonomie und Ungehorsam wurden<br />
vom Arbeitgeber bestraft, den Kammern<br />
und das Arbeitsamt den Rücken gestärkt<br />
haben. Gächter schildert im Rahmen se<strong>in</strong>er<br />
Forschung beispielsweise zwei Streikfälle<br />
von jugoslawischen Gastarbeitern<br />
1965 und 1966 <strong>in</strong> zwei unterschiedlichen<br />
Betrieben, die mit Schubhaft und Abschiebung<br />
niedergeschlagen wurden. Im<br />
ersten Fall haben zehn Arbeiter demonstriert,<br />
weil sie statt der versprochenen 18<br />
Schill<strong>in</strong>g pro Stunde nur 15 bekommen<br />
hatten. Im zweiten Fall hatten Arbeiter<br />
ihre Stimmen erhoben, weil e<strong>in</strong> Kollege<br />
gekündigt worden war, nachdem er sich<br />
über die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen beschwert<br />
hatte. Die Arbeitgeber hatten Angst, dass<br />
auch andere ausländische Arbeiter auf die<br />
Barrikaden steigen und haben jede Form<br />
des Widerstands drakonisch bestraft.<br />
„Streik oder Aufregen waren purer<br />
Luxus!“, erzählt Akif G. Und so haben<br />
viele e<strong>in</strong>fach nur geschwiegen und gearbeitet.<br />
Sie haben alles gespart, was sie<br />
beiseite legen konnten und ihren Familien<br />
geschickt oder für ihre K<strong>in</strong>der hier<br />
auf die Seite gelegt. „Irgendwann wurde<br />
es langsam besser. Zuerst e<strong>in</strong> besserer Job,<br />
dann e<strong>in</strong>e schönere Wohnung…“ Heute<br />
lebt Akif <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geräumigen, schönen<br />
Wohnung <strong>in</strong> Wien. Se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d<br />
erwachsen und haben studiert. „Ich habe<br />
me<strong>in</strong>em Sohn gesagt, ich will dich nicht<br />
im Blaumann sehen!“ Nur se<strong>in</strong> Rücken ist<br />
von der jahrelangen harten Arbeit kaputt.<br />
Auch Dragica hat Schmerzen, wenn sie<br />
sich bücken muss und ihre Enkelk<strong>in</strong>der<br />
auf den Arm nimmt. Und er<strong>in</strong>nern wollen<br />
sie sich nicht so gern, an die ersten Jahre<br />
<strong>in</strong> Österreich, als jeder noch gedacht hat,<br />
sie gehen bald.