Nebelhorn Februar 2009 - Rechtswissenschaftliche Fakultät
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<strong>Nebelhorn</strong> <strong>Februar</strong> <strong>2009</strong><br />
steht, welchem Schutz dient das jetzt eigentlich, welches<br />
Rechtsgut steht dahinter. Diese Überlegungen, die dem Strafrecht<br />
aufgegeben sind, sind meine ich, sehr wichtig. Das Verfassungsgericht<br />
hat diesen Gesichtspunkt vorschnell beiseite<br />
geschoben, meine ich. Es hat gesagt, es gibt über die verfassungsrechtlichen<br />
Grenzen des Grundgesetzes hinaus keine<br />
Grenzen der Gesetzgebung, etwa durch den Rechtsschutzgedanken.<br />
Und das halte ich für einen falschen Ansatz im Urteil.<br />
Jedenfalls kann die Begründung, mit der das beiseite getan<br />
worden ist, mich nicht überzeugen. Ich will das mal an drei<br />
oder vier Punkten versuchen zu verdeutlichen. Die große Strafrechtsreform<br />
1969, die zu einer erheblichen Entkriminalisierung<br />
im Sexualstrafrecht geführt hat - denken Sie an Kuppelei,<br />
denken Sie an Ehebruch, denken Sie an Homosexualität - wäre<br />
ohne den Rekurs auf den Rechtsgutsgedanken sicherlich nicht<br />
durchzusetzen gewesen. Denn, das war damals die Überzeugung,<br />
irgendeine allgemeine Auffassung davon, was sittlich ist<br />
und moralisch in Ordnung und was nicht, das sollte eben für<br />
die Legitimation einer Strafnorm nicht reichen. Das ist der erste<br />
Gesichtspunkt, der sich also geschichtlich schon als sehr<br />
wichtig erwiesen hat. Der zweite Punkt ist der, dass das Bundesverfassungsgericht<br />
sich bei dem Zweck der Norm des § 173<br />
eigentlich nicht festlegt. Da ist das so ein Konglomerat. So ein<br />
bisschen eugenische Gesichtspunkte, ein bisschen Schutz der<br />
Familie, aber auch ein bisschen Schutz dieses Inzesttabus. Also<br />
auch Rücksicht auf verwurzelte öffentliche Moralvorstellungen.<br />
Und da frage ich mich: wie soll man eigentlich eine<br />
Strafnorm unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten überprüfen<br />
- im Hinblick auf Geeignetheit, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit<br />
- wenn noch nicht einmal ganz klar ist, was<br />
sie eigentlich bezwecken soll. Es ist ein Mangel, wenn das Gericht<br />
sagt, es dient vor allem diesem Gesichtspunkt, aber auch<br />
jener Gesichtspunkt ist richtig und noch ein weiterer. Einen<br />
dritten Punkt habe ich schon angedeutet: Ich halte es für einen<br />
gravierenden Mangel, wenn man sich auf kulturhistorische<br />
Überzeugung oder die Verwurzelung eines Tabus in der Gesellschaft<br />
zurückzieht. Da muss man strafrechtstheoretisch und<br />
auch dogmatisch etwas mehr zu bieten haben, um eine Strafnorm<br />
zu legitimieren. Wir könnten ja sonst auf die Idee kommen,<br />
unter Bezugnahme auf öffentliche Vorstellungen von Anstand,<br />
Moral und Sittlichkeit oder ähnliches, auch den Ehebruch<br />
wieder unter Strafe zu stellen. Und ich frage mich, ob in<br />
letzter Konsequenz hinter dieser Einstellung nicht der Gedanke<br />
steht, ich zitiere Karl Binding, Strafrechtslehrer am Anfang des<br />
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