08.06.2014 Aufrufe

AnwBl_2013-04_Umschlag 1..4 - Österreichischer ...

AnwBl_2013-04_Umschlag 1..4 - Österreichischer ...

AnwBl_2013-04_Umschlag 1..4 - Österreichischer ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Strafrechtskommission 2012<br />

Einziehung tritt nun eine vierte. Damit wird das Gegenteil<br />

einer Rechtsangleichung erreicht, nämlich eine<br />

weitere Zersplitterung.<br />

c) Straftaten zum Nachteil der Gemeinschaft<br />

Das Thema Schutz finanzieller Interessen hat den Gesetzgeber<br />

der Union (bzw der Gemeinschaft) in den<br />

90er Jahren des letzten Jahrhunderts stark beschäftigt.<br />

Binnen weniger Jahre wurden in zwei horizontalen<br />

Verordnungen allgemeine Bestimmungen zu den sektorspezifischen<br />

Regelungen (VO 2988/95) 60) und über<br />

Kontrollen und Überprüfungen vor Ort (VO 2185/<br />

96) 61) getroffen; es wurden (durch das Übereinkommen<br />

zum Schutz der finanziellen Interessen 62) und die drei<br />

Protokolle dazu) 63) strafrechtliche Mindeststandards<br />

für Betrugs-, Hinterziehungs-, Bestechungs- und Geldwäschestraftatbestände<br />

sowie für eine Verantwortlichkeit<br />

juristischer Personen geschaffen; 1999 wurde das<br />

Europäische Amt für Betrugsbekämpfung OLAF eingerichtet.<br />

64)<br />

Gewissermaßen als Startschuss zu neuen umfassenden<br />

legislativen Vorschlägen hat die Kommission Mitte<br />

2011 zwei Mitteilungen vorgelegt: Die eine „Schutz der<br />

finanziellen Interessen der EU durch strafrechtliche<br />

Vorschriften und verwaltungsrechtliche Untersuchungen“,<br />

Untertitel „Gesamtkonzept zum Schutz<br />

von Steuergeldern“; 65) die andere die sogenannte Betrugsbekämpfungsstrategie,<br />

66) die eine umfassende<br />

Liste geplanter Maßnahmen 67) enthält.<br />

Im Sommer 2012 hat die Kommission ihren Vorschlag<br />

zu einer RL über die strafrechtliche Bekämpfung<br />

von gegen die finanziellen Interessen der EU gerichteten<br />

Betrug 68) vorgelegt. Was die Straftatbestände anlangt,<br />

entsprechen jene des Betruges, der Bestechlichkeit,<br />

der Bestechung und der Geldwäsche im<br />

Wesentlichen den alten Rechtsakten; neu sind zwei<br />

Straftatbestände, nämlich Umtriebe iZm öffentlicher<br />

Auftragsvergabe und Veruntreuung. Nur der Begründung<br />

des Vorschlags und einem Erwägungsgrund kann<br />

entnommen werden, dass die RL nun auch auf Mehrwertsteuer<br />

anwendbar sein soll.<br />

Vorgeschlagen werden weiters detaillierte Vorgaben<br />

an die MS, was die Strafdrohungen anlangt: Es werden<br />

nicht nur verschiedene Höchststrafen, sondern sogar<br />

auch Strafuntergrenzen vorgesehen. Detaillierte Vorgaben<br />

macht der Vorschlag auch in Bezug auf Verjährungsbestimmungen;<br />

so ist etwa vorgesehen, dass eine<br />

von einer Behörde gesetzte Verfolgungshandlung zu<br />

Unterbrechung und Neubeginn der Verjährungsfrist<br />

führt; eine bloße Hemmung würde dem nicht entsprechen.<br />

Die Kommission hat ihren Vorschlag nicht etwa auf<br />

Art 83 AEUV, sondern auf Art 325 AEUV gestützt.<br />

Die Folgen sind (zwar weniger dramatisch als sie vor<br />

dem VvL gewesen wären, aber immer noch) beträchtlich:<br />

Die Besonderheiten der Rechtsetzung nach Art 83<br />

AEUV (1. Initiativrecht auch der MS; 2. Aussetzung<br />

des Gesetzgebungsverfahrens, wenn ein Mitgliedstaat<br />

grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung berührt<br />

sieht –„Notbremse“ –und sodann Möglichkeit<br />

der Verstärkten Zusammenarbeit; 3. Nur Richtlinien,<br />

4. Sonderstellung Dänemarks, Irlands und des Vereinigten<br />

Königreichs) sind bei Art 325 unanwendbar.<br />

In den bisherigen Beratungen über den Richtlinienvorschlag<br />

hat sich wenig überraschend gezeigt, dass<br />

eine breite Mehrheit der Mitgliedstaaten Art 325<br />

AEUV nicht für die richtige Rechtsgrundlage hält, sondern<br />

Art 83 AEUV, und zwar dessen Abs 2, die sog Annexkompetenz:<br />

Der Gesetzgeber kann für ein bestimmtes<br />

Gebiet der Politik der Union, auf dem Harmonisierungsmaßnahmen<br />

erfolgt sind, eine Angleichung der<br />

strafrechtlichen Rechtsvorschriften der MS vorsehen,<br />

wenn diese zur wirksamen Durchführung dieser Unionspolitik<br />

unerlässlich ist. Eine größere Überraschung<br />

ist es dagegen, dass dieselbe Ansicht auch von einem<br />

der relevanten Ausschüsse des EP vertreten wird, nämlich<br />

dem JURI-Ausschuss. Die Befürworter jeder der<br />

beiden Positionen können einige gute Argumente, aber<br />

auch Gegenargumente zur anderen Position anführen.<br />

69)<br />

Letztlich scheint das folgende Argument zu Gunsten<br />

von Art 325 AEUV auszuschlagen: Betrugsbekämpfung<br />

nach Art 325 AEUV dient dem Schutz der Haushaltsmittel<br />

der Union, zu denen jeder einzelne Mitgliedstaat<br />

beiträgt; der Schutz liegt daher im gemeinsamen<br />

Interesse. Sollten die strafrechtlichen Maßnahmen<br />

aber auf Art 83 AEUV gestützt werden, so bedeutet<br />

dies, dass jedenfalls Dänemark, möglicherweise auch<br />

das Vereinigte Königreich und Irland, nicht beteiligt<br />

sind; dies wäre mit dem Zweck, das gemeinsame Interesse<br />

zu schützen, nicht vereinbar. Ein auf Art 325<br />

AEUV gestützter Rechtsakt sollte aber jene Schranken<br />

respektieren, die Art 83 AEUV mit Blick auf die Besonderheiten<br />

des Strafrechts setzt: Sowohl was die Rechtsform<br />

anlangt, also nur eine RL, als auch in Bezug auf<br />

die Inhalte: Nur Mindestvorschriften zur Festlegung<br />

60) ABl L 1995/312, 1.<br />

61) ABl L 1996/292, 2. Näher Zeder in Mayer, EUV/EGV, Art 280 EGV<br />

Rz 52 ff.<br />

62) ABl C 1995/318, 48.<br />

63) ABl C 1996/313, 1; C 1997/151, 1 und C 1997/221, 11.<br />

64) B der EK ABl L 1999/136, 20; VO 1073 und 1074/99 ABl L 1999/136,<br />

1 und 8; interinstitutionelle Vereinbarung ABl L 1999/136, 15.<br />

65) KOM (2011) 293.<br />

66) KOM (2011) 376; dazu Příborský, The new Commission anti-fraud<br />

strategy: revamped fight against fraud at EU level, ERA Forum<br />

2011, 373.<br />

67) Vgl krit Zeder, Europastrafrecht aktuell, Schutz finanzieller Interessen<br />

der EU reloaded, JSt 2011, 141 (143).<br />

68) COM (2012) 363.<br />

69) Näher Zeder in Mayer/Stöger, EUV/AEUV, Art 325 AEUV Rz 65 ff (in<br />

Druck).<br />

Österreichisches Anwaltsblatt <strong>2013</strong>/<strong>04</strong><br />

Neue Entwicklungen im Europäischen Straf- und Strafprozessrecht<br />

Autor: Hon.-Prof. Dr. Fritz Zeder, D.E.A. Strafrecht (Paris), Wien<br />

199

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!