AnwBl_2013-04_Umschlag 1..4 - Österreichischer ...
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Strafrechtskommission 2012<br />
den, da das Interesse an der materiellen Wahrheitsfindung<br />
im Strafverfahren vorgehen muss. Auch aus diesem<br />
Grund gilt das Zustimmungserfordernis in den gesondert<br />
geregelten Fällen der Videodokumentation der<br />
Zeugenvernehmung, wie zB bei der kontradiktorischen<br />
Vernehmung, nicht. Zieht man im Vergleich dazu den<br />
Vorschlag der BRAK heran, so zeigt sich, dass darin<br />
kein Widerspruchsrecht des Zeugen gegen die Aufzeichnung<br />
selbst verankert ist, sondern zum Schutz<br />
der Persönlichkeitsrechte nur gegen die ansonsten vorgesehene<br />
Ausfolgung der Kopie der Aufzeichnung an<br />
die Parteien. 5) Gerade die Übergabe der Kopie ist aber<br />
nach österreichischem Recht derzeit noch 6) generell<br />
untersagt, insofern ist auch kein weiterer Eingriff in<br />
die Persönlichkeitsrechte möglich. Das in § 97 Abs 1<br />
Satz 2 StPO vorgesehene Zustimmungserfordernis<br />
zur Videoaufzeichnung erscheint daher als verzichtbar.<br />
cc) Beschuldigte<br />
Neben der generellen Regelung des § 97 StPO zur<br />
Aufzeichnung von Vernehmungen findet sich auch in<br />
der konkreten Bestimmung über die Beschuldigtenvernehmung<br />
ein Hinweis auf die Videoaufnahme: Nach<br />
§ 164 Abs 2 letzter Satz StPO ist eine Ton- oder Bildaufnahme<br />
bei Abwesenheit des Verteidigers zu erstellen,<br />
aber – und das ist entscheidend – nur „nach Möglichkeit“.<br />
7)<br />
dd) Protokollersatz<br />
Zudem ist zu überlegen, welche Qualität der nach § 97<br />
Abs 1 StPO erstellten Videoaufnahme der Vernehmung<br />
zukommt. Nach § 97 Abs 2 Satz 1 StPO ersetzt<br />
die Aufzeichnung der Vernehmung auf Video das<br />
schriftliche Protokoll, dh es ist keine Niederschrift<br />
durch den Beamten erforderlich. 8) Vielmehr genügt<br />
eine schriftliche Zusammenfassung des wesentlichen<br />
Inhalts. 9)<br />
ee) Akteneinsicht und Ausfolgung einer Kopie<br />
im EV sowie Vorführung in der HV<br />
Wie bereits erwähnt, steht im Rahmen der Akteneinsicht<br />
zwar die Einsicht in die Videoaufzeichnung offen,<br />
ausdrücklich gesetzlich untersagt ist aber gem § 52<br />
Abs 1 Satz 2 StPO die Möglichkeit, gegen Gebühr eine<br />
Kopie der Aufnahme zu erhalten. Diese starre Regelung,<br />
die keine Abwägung zwischen Verteidigungsinteressen<br />
einerseits und den schutzwürdigen Interessen<br />
des Zeugen andererseits zulässt, ist als dem Grundsatz<br />
des fair trial nach Art 6 EMRK insb der Waffengleichheit<br />
widersprechend zu kritisieren. Ende 2011 hat der<br />
OGH einen einschlägigen Beschluss des OLG Wien<br />
aufgehoben und zur Antragstellung nach Art 89 Abs 2<br />
Satz 2 B-VG beim VfGH an das OLG verwiesen. 10)<br />
Im Dezember 2012 wurde die betreffende Wortfolge,<br />
die die Möglichkeit der Ausfolgung einer Kopie der<br />
Aufnahme bei Ton- oder Bildaufnahmen ausschließt,<br />
in § 52 Abs 1 Satz 2 StPO schließlich vom VfGH mit<br />
Wirkung vom 31. 12. <strong>2013</strong> aufgehoben. 11) An die Stelle<br />
dieser Wortfolge sollte keine neue Regelung treten,<br />
sondern die Möglichkeit der Ausfolgung der Kopie,<br />
gleich wie bei Schriftstücken, an die Zulässigkeit der<br />
Akteneinsicht gebunden bleiben, so wie dies der Text<br />
des § 52 Abs 1 Satz 2 StPO nach der Aufhebung vorsieht.<br />
In diesem Zusammenhang ist zudem auf die Normierung<br />
im Entwurf der BRAK zu verweisen, die die<br />
Ausfolgung der Kopie an die Parteien grundsätzlich<br />
vorsieht, diese aber bei Widerspruch des Vernommenen<br />
aus Gründen der Waffengleichheit auf den Verteidiger<br />
beschränkt. 12)<br />
In der Hauptverhandlung ist die Vorführung der<br />
Aufnahme an die allgemeinen Verlesungsbestimmungen<br />
geknüpft, dh es gilt § 245 StPO in Bezug auf den<br />
Beschuldigten und § 252 StPO in Bezug auf Zeugen.<br />
b) Bewertung der Videoaufzeichnung<br />
einer Vernehmung<br />
Die Darstellung von deutscher Seite hat bereits gezeigt,<br />
dass die elektronische Aufzeichnung der schriftlichen<br />
Protokollierung weit überlegen ist. Als einer der wichtigsten<br />
Punkte ist dabei wohl die einzigartige Möglichkeit<br />
der akkuraten, wortgetreuen Konservierung der<br />
Inhalte der Vernehmung zu nennen. Die „Live“-Aufzeichnung<br />
ohne schriftliches Festhalten bedeutet keine<br />
Umformulierung und kein Schönschreiben der Aussage,<br />
das immer mit der Gefahr der nicht nur redaktionellen<br />
sondern auch inhaltlichen Änderung verbunden<br />
ist. Sie unterbindet jegliche Sortierung, Filterung<br />
wie auch Bewertung des Gesagten durch das Befragungsorgan.<br />
13) Die Aufzeichnung auf Tonband sowie<br />
5) § 58 a Abs 4 des Gesetzesentwurfs.<br />
6) Die Bestimmung wurde mit Wirkung vom 31. 12. <strong>2013</strong> aufgehoben,<br />
dazu unten (ee).<br />
7) Kritisch dazu Murschetz, Das Recht auf Verteidigerbeistand während<br />
der (ersten) Einvernahme, ÖJZ 2010/70.<br />
8) ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 126; Danek, WK-StPO § 97 Rz 4, § 271<br />
Rz 8.<br />
9) Der in § 97 Abs 2 Satz 2 enthaltene Verweis auf § 96 Abs 1 u 3,<br />
§ 271 Abs 6, die die Protokollerstellung verlangen, ist insofern missglückt;<br />
siehe Danek, WK-StPO § 97 Rz 5. Die Videoaufnahme stellt<br />
daher ein Beweismittel dar. Dasselbe gilt für die Videodokumentation<br />
der Tatrekonstruktion nach § 150 Abs 2 StPO sowie der Beschuldigtenvernehmung<br />
ohne Anwesenheit des Verteidigers nach<br />
§ 164 Abs 2 StPO. Die Videoaufnahme bei Augenschein und kontradiktorischer<br />
Vernehmung sind mangels Verweises auf § 97 StPO als<br />
Beweisaufnahmen zusätzlich in einem Protokoll zu dokumentieren,<br />
Danek, WK-StPO § 97 Rz 6 f.<br />
10) EvBl 2012/13, 82 <strong>AnwBl</strong> 2012, 187.<br />
11) E 13. 12. 2012, GZ G137/11.<br />
12) Es gelten die allgemeinen Regeln der Akteneinsicht nach § 147 StPO,<br />
Nack/Brauneisen, NStZ 2011, 310 (312).<br />
13) Artkämper, Wahrheitsfindung im Strafverfahren mit gängigen und<br />
innovativen Methoden, Kriminalistik 6/2009, 348 (423).<br />
218<br />
Videodokumentation – österreichische und internationale Perspektive<br />
Autorin: Univ.-Prof. Dr. Verena Murschetz, LL. M., Innsbruck<br />
Österreichisches Anwaltsblatt <strong>2013</strong>/<strong>04</strong>