AnwBl_2013-04_Umschlag 1..4 - Österreichischer ...
AnwBl_2013-04_Umschlag 1..4 - Österreichischer ...
AnwBl_2013-04_Umschlag 1..4 - Österreichischer ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Strafrechtskommission 2012<br />
5. USA<br />
a) Dokumentation der Beschuldigten- und<br />
Zeugenvernehmung im EV<br />
Da Straf- und Strafprozessrecht in den USA in die<br />
Kompetenz der einzelnen Bundesstaaten fällt, kann<br />
keine allgemein gültige Aussage getroffen werden. Hervorzuheben<br />
ist, dass bereits 1985 die erste gesetzliche<br />
Verankerung der elektronischen Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen<br />
in Alaska erfolgte, und zwar<br />
aufgrund einer Entscheidung des dortigen Supreme<br />
Courts. Inzwischen ist die elektronische Aufnahme<br />
der Vernehmung soweit ersichtlich in 19 Staaten verpflichtend.<br />
25) So gilt zB in Indiana seit 2011, dass nur<br />
auf Video dokumentierte Aussagen verwertbar sind.<br />
Ausnahmen von diesem Verwertungsverbot bestehen<br />
ähnlich wie in NSW, wenn ein technischer Defekt oder<br />
die Verweigerung des Beschuldigten vorliegt, oder aber<br />
die Aussage des Beschuldigten spontan und nicht aufgrund<br />
einer Frage erfolgte. Die Beweislast für das Vorliegen<br />
der Ausnahme trifft den Staatsanwalt. 26) Ähnliche<br />
Ausnahmeregelungen finden sich in allen der 19 Staaten.<br />
27) In allen anderen 32 Staaten der USA führen einzelne<br />
Police Departments die elektronische Aufzeichnung<br />
der Vernehmung freiwillig durch. 28)<br />
b) Dokumentation der HV<br />
In Bezug auf die Protokollierung der HV sieht die generelle<br />
Regelung vor, dass sie verbatim zu erfolgen hat,<br />
und zwar durch Steno, technische Mittel, elektronische<br />
Audioaufzeichnung oder andere entsprechende Methoden,<br />
29) dh es hat jedenfalls ein Inhaltsprotokoll und zwar<br />
Wort für Wort zu erfolgen. Derzeit werden diese Protokolle<br />
mit Stenographie, Tonband oder Video erstellt.<br />
30) Im Jahre 20<strong>04</strong> wurden laut einer Untersuchung<br />
in den Gerichten in zumindest der Hälfte der Staaten<br />
der USA Videoprotokolle der HV erstellt. 31) Zum Teil<br />
werden diesfalls keine schriftliche Protokolle mehr angefertigt,<br />
sondern nur Wiedergaben des Videos ausgehändigt,<br />
zum Teil erfolgt die Wiedergabe in Schriftform<br />
schon automationsunterstützt und wird den Parteien<br />
übermittelt. Hauptargumente für die Einführung<br />
bzw Beibehaltung der Videodokumentation sind einerseits<br />
die Kostenersparnis – insb durch die Überflüssigkeit<br />
der Schriftführer in der HV und die geringen Kosten<br />
der Vervielfältigung von DVDs – und andererseits<br />
die einzigartige Fehlerlosigkeit dieser Protokollierungsart.<br />
Neben der Videoaufzeichnung erfolgt die<br />
Protokollierung hauptsächlich durch „automationsunterstützte“<br />
Stenographie. 32) Dabei werden Steno-Zeichen<br />
in der Form limitiert-alphabetischer Abkürzungen<br />
in den Computer eingegeben und dieser erstellt<br />
das Protokoll daraus in Echt-Zeit. Laut Schrifttum sind<br />
dabei bis zu 300 Wörter pro Minute möglich. 33) Vielfach<br />
ist vorgesehen, dass die Parteien über einen Computer<br />
das Protokoll einsehen, darin blättern, suchen<br />
und einzelne Stellen markieren können.<br />
III. Zusammenfassung<br />
Die Videoaufzeichnung der Vernehmung im Ermittlungsverfahren<br />
sowie der gesamten Hauptverhandlung<br />
ermöglicht als einzige Methode eine authentische Dokumentation,<br />
und nur diese Art der Dokumentation<br />
wird dem zentralsten Anliegen des Strafverfahrens,<br />
der Ermittlung der materiellen Wahrheit, gerecht. Darüber<br />
hinaus sind mit dieser Methode der Protokollierung<br />
nicht nur einzigartige Kontrollmöglichkeiten sondern<br />
auch ein gewisses Einsparungspotenzial verbunden.<br />
Das österreichische Recht sieht die Videodokumentation<br />
zwar grundsätzlich vor und ist insofern<br />
überzeugender als das geltende deutsche Recht. Da es<br />
sich jedoch um Ermessensbestimmungen handelt, fehlt<br />
es an der praktischen Anwendung. Aus diesem Grund<br />
ist jedenfalls in § 164 Abs 2 StPO die Videoaufzeichnung<br />
der Beschuldigtenvernehmung verpflichtend vorzusehen<br />
und in § 271 a StPO dem Angeklagten ein Antragsrecht<br />
in Bezug auf die Videoaufzeichnung der HV<br />
einzuräumen.<br />
25) www.innocenceproject.org/content/false_confessions_recording_<br />
of_custodial_interrogations.php vgl auch Sullivan, 45 American Criminal<br />
Law Review (2008) 1297 (13<strong>04</strong> f).<br />
26) Rule 617 Indiana Rules of Evidence, unter www.in.gov/judiciary/<br />
rules/evidence/index.html#_Toc313012777<br />
27) Sullivan, 45 American Criminal Law Review (2008) 1297 (1327 insb<br />
FN 116).<br />
28) Sullivan 45 American Law Review (2008) 1297 (1313 sowie im<br />
Anh 1337 ff). Die Erfahrungen zeigen, dass bloß schriftlich protokollierte<br />
Aussagen vor Geschworenen viel weniger Beweiswert haben.<br />
Denn es kommt immer wieder vor, dass das Protokoll vom Gericht<br />
als nicht verwertbar qualifiziert wird, oder aber die Geschworenen<br />
darüber belehrt werden, dass die Aussagen mangels Audio- oder Videodokumentation<br />
weniger akkurat und verlässlich sind. Diese Erfahrungen<br />
betreffen Rechtsordnungen, in denen die elektronische<br />
Aufzeichnung nicht verpflichtend ist (Sullivan 1300 [1317 ff]).<br />
29) 28 U.S.C. $ 753(b): “Each session of the court […] shall be recorded<br />
verbatim by shorthand, mechanical means, electronic sound recording,<br />
or any other method, subject to regulations promulgated by<br />
the Judicial Conference and subject to the discretion and approval<br />
of the judge” (Der United States Code ist die Sammlung und Kodifikation<br />
des allgemeinen und permanenten Bundesrechts der<br />
Vereinigten Staaten).<br />
30) Eine andere Form des Steno ist die Steno-mask, ein Diktiergerät mit<br />
einer Maske, die über den Mund sitzt, in die der Schriftführer spricht,<br />
ohne von außen gehört zu werden, und dessen angeschlossener<br />
Computer das Wort in Echtzeit in Schrift umwandelt.<br />
31) Gorgos, Lost in Transcription: Why the Video Record is actually Verbatim<br />
57 Buffalo Law Review 1057 (1074 insb FN 1<strong>04</strong>).<br />
32) In der Form der Computer-aided transcription (CAT) sowie der realtime<br />
Computer-aided transcription (CART).<br />
33) Gorgos 57 Buffalo Law Review 1057 (1086).<br />
222<br />
Videodokumentation – österreichische und internationale Perspektive<br />
Autorin: Univ.-Prof. Dr. Verena Murschetz, LL. M., Innsbruck<br />
Österreichisches Anwaltsblatt <strong>2013</strong>/<strong>04</strong>