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AnwBl_2013-04_Umschlag 1..4 - Österreichischer ...

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Strafrechtskommission 2012<br />

stellen, sodass bei Alltags- oder Bagatelldelikten im<br />

Zweifel von einer Videovernehmung abzusehen ist. 27)<br />

Die Bild-Ton-Aufzeichnung macht die Anfertigung<br />

eines Protokolls nicht entbehrlich. 28) Trotz Existenz<br />

der Videoaufnahme ist also ein schriftliches Protokoll<br />

zu fertigen. Die Videoaufzeichnung kann jedoch als<br />

vorläufige Aufzeichnung dienen und damit verbindliche<br />

Grundlage des Protokolls sein. 29)<br />

Der Hauptverhandlung bietet das Gesetz die Bild-<br />

Ton-Aufzeichnung aus dem Ermittlungsverfahren im<br />

Grundsatz als ein Surrogat der unmittelbaren Aussage<br />

an. Die Vorführung der Aufzeichnung ist unter den<br />

Voraussetzungen möglich, unter denen auch die (ersetzende)<br />

Verlesung einer Vernehmungsniederschrift in<br />

der Hauptverhandlung möglich wäre (§ 255 a StPO).<br />

Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Verfahrensbeteiligten<br />

mit der Vorführung einverstanden sind<br />

oder wenn der Zeuge auf absehbare Zeit nicht vernommen<br />

werden kann (§ 251 Abs 1 StPO). Nur insoweit<br />

besteht im Grundsatz eine Ausnahme vom Unmittelbarkeitsgrundsatz.<br />

30) Die eigentliche Durchbrechung<br />

des Unmittelbarkeitsprinzips hat der deutsche Gesetzgeber<br />

in den Fällen kindlicher oder jugendlicher Opfer<br />

von Sexual- oder Kapitaldelikten vorgenommen. Hier<br />

kann das Gericht in der Hauptverhandlung die nochmalige<br />

Vernehmung des Zeugen durch die Vorführung<br />

der Bild-Ton-Aufzeichnung aus dem Ermittlungsverfahren<br />

vollständig ersetzen, auch wenn nicht alle Verfahrensbeteiligten<br />

zustimmen und obwohl der Zeuge<br />

erreichbar wäre (§ 255 a Abs 2 StPO). 31) In diesem Fall<br />

gibt es also einen echten Transfer, der vom Gericht gegebenenfalls<br />

auch erzwungen werden kann.<br />

3. Fazit zum Rechtszustand de lege lata<br />

Mit dem aufgezeigten Regelungskonzept geht der<br />

deutsche Gesetzgeber bei Weitem nicht so weit wie<br />

das englische Recht. Das Vereinigte Königreich kennt<br />

seit der Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts<br />

weitgehende Rechtsgrundlagen jedenfalls für die Audiodokumentation<br />

von Beschuldigtenvernehmungen.<br />

Der entscheidende Unterschied zum deutschen Recht<br />

besteht darin, dass in Großbritannien für bestimmte<br />

Fallgestaltungen die gesetzliche Pflicht der Polizei<br />

zur Dokumentation der Vernehmung mit Audiotechnik<br />

besteht, während es in Deutschland eine solche<br />

Pflicht iS einer zwingenden gesetzlichen Vorgabe<br />

nicht gibt. 32)<br />

Auch in Österreich geht man zunächst einmal von<br />

der Schriftlichkeit als dem Grundprinzip für die Dokumentation<br />

der wesentlichen Inhalte von Äußerungen<br />

und anderer bedeutsamer Vorgänge im sog „Amtsvermerk“<br />

aus (§ 95 StPO-Ö). Es dürfte aber drei wesentliche<br />

Unterschiede zur deutschen Rechtslage geben:<br />

1. Das österreichische Recht kennt in § 97 StPO-Ö<br />

eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage für die<br />

Bild-Ton-Aufnahme der Vernehmung (auch) des Beschuldigten.<br />

2. Der Zeuge kann der Bild-Ton-Aufzeichnung widersprechen<br />

mit der Folge, dass sie zu unterbleiben<br />

hat (§ 97 Abs 1 Satz 2 StPO-Ö).<br />

3. Wird eine Bild-Ton-Aufnahme gefertigt, kann<br />

von der Erstellung eines umfassenden schriftlichen<br />

Protokolls abgesehen werden. Es genügt eine schriftliche<br />

Zusammenfassung des Inhalts der Vernehmung<br />

(§ 97 Abs 2 Satz 1 StPO-Ö).<br />

Auf der anderen Seite besteht eine wichtige Gemeinsamkeit<br />

mit dem deutschen Recht:<br />

Wie in Deutschland, so hängt es auch in Österreich<br />

letztlich von der freien Entscheidung des Beamten ab,<br />

der die Vernehmung führt, ob und in welchen Fällen<br />

eine Videovernehmung tatsächlich durchgeführt wird.<br />

Soweit ich es sehe, gibt es auch nach österr Strafprozessrecht<br />

keine Fallvariante, in der eine Videodokumentation<br />

der Vernehmung zwingend vorgeschrieben<br />

ist. Nur für den Fall, dass bei einer Beschuldigtenvernehmung<br />

von der Beiziehung eines Verteidigers abgesehen<br />

wird, „um eine Gefahr für die Ermittlungen oder<br />

eine Beeinträchtigung von Beweismitteln abzuwenden“,<br />

enthält das Gesetz die Aufforderung, eine Ton- oder<br />

Bildaufnahme anzufertigen. In § 164 Abs 4 StPO-Ö<br />

heißt es dazu: „In diesem Fall ist nach Möglichkeit eine<br />

Ton- oder Bildaufnahme § 97 anzufertigen.“<br />

IV. Regelungsvorschlag der<br />

Bundesrechtsanwaltskammer<br />

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hält die bestehende<br />

Rechtslage in Übereinstimmung mit dem<br />

Deutschen AnwaltVerein (DAV) seit langem für unbefriedigend.<br />

Sie hat deshalb im Februar 2010 den „Entwurf<br />

eines Gesetzes zur Verbesserung der Wahrheitsfindung<br />

im Strafverfahren durch verstärkten Einsatz von Bild-Ton-<br />

Technik“ vorgelegt, um die rechtspolitische Diskussion<br />

in Deutschland neu anzustoßen. 33)<br />

Der grundlegende Ausgangspunkt des Vorstoßes ist<br />

die Annahme, dass es ein zentrales Anliegen der Strafrechtspflege<br />

sein muss, den wahren Sachverhalt zu ermitteln.<br />

34) Damit verbindet sich die Überzeugung, dass<br />

27) Leitner, 48.<br />

28) Karlsruher Kommentar zur StPO 6 /Senge (2008) § 58 a RN 9; Leitner,<br />

50.<br />

29) Leitner, 50.<br />

30) Leitner, 73.<br />

31) Leitner, 48, 73; BT-Drs 13/7165, 6.<br />

32) Leitner, 96 (97).<br />

33) BRAK-Stellungnahme Nr 1/2010, abrufbar: www.brak.de/w/files/<br />

stellungnahmen/Stn1-2010.pdf; der Entwurf enthält auch einen Vorschlag<br />

zum Videoprotokoll der tatrichterlichen Hauptverhandlung<br />

vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht in Strafsachen,<br />

auf den hier nicht eingegangen werden kann.<br />

34) Leitner, 115.<br />

212<br />

Videodokumentation im Strafverfahren<br />

Autor: Ministerialdirigent Achim Brauneisen, Baden-Württemberg<br />

Österreichisches Anwaltsblatt <strong>2013</strong>/<strong>04</strong>

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