AnwBl_2013-04_Umschlag 1..4 - Österreichischer ...
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Strafrechtskommission 2012<br />
handlungstage allein der Auseinandersetzung zuzuschreiben,<br />
ob Angeklagte und vor allem die Belastungszeugen<br />
ordnungsgemäß vernommen wurden oder ob<br />
ihnen etwas in den Mund gelegt worden ist, was dem<br />
Vernehmungsprotokoll nicht zu entnehmen ist. Ein<br />
Verteidiger kommentiert dies in der Stuttgarter Zeitung<br />
wie folgt: „Ich kann dieses Verfahren kaum noch ertragen“.<br />
54) Ob das Verfahren so gelaufen wäre, wenn<br />
die wesentlichen Vernehmungen auf Video dokumentiert<br />
worden wären, darf bezweifelt werden. Die Verteidiger<br />
hätten sich sehr frühzeitig ein sehr direktes Bild<br />
davon machen können, wie die Hauptbelastungszeugen<br />
einzuschätzen sind. Die Ersparnis an Kosten für Personal<br />
und Verfahrensaufwand wären zweifellos immens<br />
gewesen.<br />
VII. Fazit<br />
Die Einwände, die gegen eine Erweiterung der Videodokumentation<br />
vorgebracht werden, müssen ernst genommen<br />
werden. Der Vorschlag der BRAK nimmt<br />
sie auch ernst. Er begegnet ihnen, indem er den Einsatz<br />
des Instruments der Videodokumentation nicht undifferenziert<br />
fordert, sondern auf die wesentlichen Konstellationen<br />
beschränkt, in denen das Postulat der Suche<br />
nach der Wahrheit in besonderem Maße auf dem Spiel<br />
steht. Ich meine, dass eine Umsetzung des Vorschlags<br />
mehr Transparenz in das Strafverfahren bringen<br />
könnte und alle Verfahrensbeteiligten vor allem der<br />
Wahrheit ein Stück näher bringen würde.<br />
Noch näher erörterungsbedürftig scheint mir allerdings<br />
insb die Frage, wie die Persönlichkeitsrechte<br />
der Menschen dauerhaft hinreichend geschützt werden<br />
können, die sich der Videodokumentation ihrer Aussage<br />
– gegebenenfalls auch zwangsweise – unterziehen<br />
müssen. Ob es richtig sein kann, dass der Verteidiger,<br />
wie im Entwurf vorgesehen, in jedem Fall ein nicht beschränkbares<br />
Recht auf Übergabe einer Kopie der Aufzeichnung<br />
haben muss oder ob nicht Konstellationen<br />
mit hoch sensiblen Bilddaten vorstellbar sind, in denen<br />
ein Schutz der betroffenen Person nur erreicht werden<br />
kann, wenn die Aufnahme die Obhut der staatlichen<br />
Stellen niemals verlässt, bedarf aus meiner Sicht noch<br />
der weiteren Klärung. Eine Korrektur wäre an diesem<br />
Punkt schon deshalb zu erwägen, damit Bedenken ausgeräumt<br />
werden, die nach meiner Einschätzung die Akzeptanz<br />
des Vorhabens in der Rechtspolitik durchaus<br />
schmälern dürften.<br />
Möglicherweise ist es aber nicht das schwierige<br />
Austarieren sensibler Einzelfragen, wie des Schutzes<br />
der Persönlichkeitsrechte, das in Deutschland rechtspolitische<br />
Initiativen, die eine verlässlichere Dokumentation<br />
mit moderner Technik anstreben, nicht<br />
richtig in Gang kommen lässt. Wahrscheinlich ist es<br />
auch nicht wirklich das Aufwands- und Kostenargument,<br />
das immer wieder in den Vordergrund gerückt<br />
wird. Mutmaßlich spielen ganz andere Gründe eine<br />
Rolle, die man im öffentlichen Diskurs eher nicht aussprechen<br />
möchte. Manches spricht dafür, dass es eine<br />
natürliche Scheu der professionellen Verfahrensbeteiligten<br />
gibt, angefangen bei der Polizei, über den<br />
Staatsanwalt bis hin zum Richter, sich stets genau<br />
auf die Finger sehen zu lassen. Für nicht von vornherein<br />
ausgeschlossen halte ich es indessen, dass auch<br />
bei dem einen oder anderen Strafverteidiger ähnlich<br />
gelagerte Formen des inneren Vorbehalts bestehen<br />
könnten. Ein offener Diskurs gerade auch über diese<br />
Frage scheint mir deshalb notwendig – in Deutschland<br />
ebenso wie in Österreich.<br />
54) Stuttgarter Zeitung v 26. 10. 2012.<br />
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Videodokumentation im Strafverfahren<br />
Autor: Ministerialdirigent Achim Brauneisen, Baden-Württemberg<br />
Österreichisches Anwaltsblatt <strong>2013</strong>/<strong>04</strong>