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AnwBl_2013-04_Umschlag 1..4 - Österreichischer ...

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Strafrechtskommission 2012<br />

Tathergang und von der vernommenen Person machen<br />

und deren Aussage entsprechend interpretieren. 8) Besonders<br />

bei verbal schwachen Aussagepersonen kann<br />

es zu Umformulierungen durch den Vernehmenden<br />

kommen, die eine Aussage gegebenenfalls komplett<br />

verfälschen. Klassisches Beispiel für die Umformulierung<br />

einer Aussage in den eigenen Worten des Vernehmungsbeamten<br />

ist die Aussage einer 15-jährigen<br />

Schweinehirtin. Ich will sie nochmals wörtlich zitieren:<br />

„Ich gebe zu, die der Bäuerin gehörigen, bei mir gefundenen<br />

Kleidungsstücke genommen und getragen zu haben. Ich<br />

habe daher einen furtum usus begangen.“ 9)<br />

Man könnte noch weiter fortfahren. Es gibt zahlreiche<br />

weitere Fehlerquellen, die mit der Verschriftung<br />

verbunden sind. Summa summarum hat der folgende<br />

Befund, den Hans-Jörg Albrecht im Jahr 2002 formuliert<br />

hat, nichts von seiner Richtigkeit eingebüßt: 10)<br />

„Man kann unterstellen, dass keine schriftliche oder stenographische<br />

Erfassung einer Vernehmung in ihrer Ausdruckskraft<br />

digitalen Medien gleichkommt, die weit mehr<br />

Einzelheiten und Facetten dokumentieren können.“<br />

Digitale Aufzeichnungen sind hinsichtlich des gesprochenen<br />

Wortes authentisch und unverfälscht, sie<br />

dokumentieren sowohl den sprachlichen Ausdruck<br />

wie auch die Körpersprache. 11) Zudem vermittelt die<br />

Aufzeichnung auch einen Eindruck von der Vernehmungsperson<br />

und der Vernehmungsqualität. Sie bewirkt<br />

insgesamt eine plastischere und anschaulichere<br />

Darstellung von Situation und Inhalt. Audiovisuelle<br />

Aufzeichnungen erfassen zudem das nonverbale Verhalten.<br />

Demgegenüber hält das verschriftete Protokoll<br />

eben nicht die Aussage des Vernommenen fest, sondern<br />

es übermittelt die subjektive Wahrnehmung des Vernehmenden.<br />

12)<br />

III. Status quo in Deutschland –<br />

aktuelle Rechtslage<br />

Die deutsche Rechtslage zur Frage, ob bei Vernehmungen<br />

im Strafverfahren moderne Videotechnik eingesetzt<br />

werden darf, soll oder muss, ist nicht ganz einfach<br />

zu überblicken. Insgesamt kann man aber sagen, dass<br />

das Strafverfahren nach wie vor weitgehend „verschriftet<br />

stattfindet“, wenn man einmal von zeugen- oder opferschützenden<br />

Ausnahmeregelungen absieht.<br />

Unterscheiden muss man zwischen der Vernehmung<br />

von Beschuldigten und von Zeugen, für die in der deutschen<br />

Strafprozessordnung unterschiedliche Regelungen<br />

vorgesehen sind. Ich will mich hier auf Vernehmungen<br />

im Ermittlungsverfahren konzentrieren, weil<br />

die Darstellung ansonsten zu kompliziert würde. 13)<br />

1. Vernehmung von Beschuldigten<br />

Die Vernehmung des Beschuldigten kann von der Polizei,<br />

von der Staatsanwaltschaft oder vom Ermittlungsrichter<br />

durchgeführt werden. Der Beschuldigte hat keinen<br />

Anspruch auf Vernehmung in einer von ihm zu<br />

wählenden Form. Von der Person des Vernehmenden<br />

abhängig gelten unterschiedliche Anforderungen an<br />

die Dokumentation der Vernehmung. 14)<br />

Wird der Beschuldigte vom Richter vernommen, so<br />

sieht die Strafprozessordnung eine Pflicht zur förmlichen<br />

Protokollierung vor (§ 168 Satz 1 StPO). Für<br />

Vernehmungen durch den Staatsanwalt gibt es eine solche<br />

Pflicht nicht. Hier bestimmt das Gesetz nur, dass<br />

das Ergebnis der Vernehmung „aktenkundig“ gemacht<br />

werden muss. Die Aufnahme eines Protokolls ist lediglich<br />

als Sollvorschrift für den Regelfall vorgesehen<br />

(§ 168 b Abs 2 StPO). Bemerkenswert ist, dass es für<br />

die in der Praxis besonders wichtigen polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen<br />

in der deutschen Strafprozessordnung<br />

überhaupt keine gesetzlichen Regelungen<br />

über die Protokollierung gibt. 15) Nach herrschender<br />

Meinung sind die für den Staatsanwalt geltenden Regelungen,<br />

wonach ein Protokoll aufgenommen werden<br />

soll, entsprechend anzuwenden. Ein Abweichen von<br />

der Soll-Vorschrift zugunsten eines bloßen Aktenvermerks<br />

ist im Einzelfall aber zulässig. 16)<br />

Ebenso knapp wie die gesetzlichen Vorgaben über<br />

die Form der Dokumentation einer Beschuldigtenvernehmung<br />

sind die Vorgaben zur Art der Protokollierung.<br />

In dem einschlägigen § 168 a StPO ist lediglich<br />

vorgesehen, dass die äußeren Förmlichkeiten, wie der<br />

Ort und der Tag der Vernehmung sowie die Namen<br />

der mitwirkenden Personen, anzugeben sind. Außerdem<br />

müssen die gesetzlich vorgesehenen Belehrungen<br />

und Hinweise als wesentliche Förmlichkeiten dokumentiert<br />

werden (§ 163 a Abs 4 iVm § 136 Abs 1 Satz 2<br />

bis 4 StPO). 17) Zum Inhalt des Protokolls sagt das Gesetz<br />

dagegen nichts. Es gibt lediglich eine untergesetzliche<br />

Regelung in Nr 45 Abs 2 der Richtlinien für das<br />

Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV),<br />

die als Empfehlung herangezogen werden kann:<br />

„(2) Für bedeutsame Teile der Vernehmung empfiehlt es<br />

sich, die Fragen, Vorhalte und Antworten möglichst wörtlich<br />

in die Niederschrift aufzunehmen. Legt der Beschuldigte ein<br />

Geständnis ab, so sind die Einzelheiten der Tat möglichst mit<br />

seinen eigenen Worten wiederzugeben. Es ist darauf zu achten,<br />

dass besonders solche Umstände aktenkundig gemacht<br />

8) Branscherus, aaO 260.<br />

9) Branscherus, aaO 79 f; Leitner, 103.<br />

10) Albrecht, aaO 480.<br />

11) Scheumer, Videovernehmung kindlicher Zeugen – Zur Praxis des<br />

Zeugenschutzgesetzes (2007) 109.<br />

12) Leitner, 126.<br />

13) Zum Videoprotokoll der Hauptverhandlung vgl Nack/Park/Brauneisen,<br />

NStZ 2011, 310, 313 f.<br />

14) Leitner, 41.<br />

15) Leitner, 41.<br />

16) Meyer-Goßner/Lutz, Strafprozessordnung 54 (2011) § 168 b Rn 2;<br />

Leitner, 412.<br />

17) Leitner, 42.<br />

210<br />

Videodokumentation im Strafverfahren<br />

Autor: Ministerialdirigent Achim Brauneisen, Baden-Württemberg<br />

Österreichisches Anwaltsblatt <strong>2013</strong>/<strong>04</strong>

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