Stephan Peter - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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den Menschen, sondern - als Neuinterpretation - auch als Fürsorge und Verantwortung gegenüber der<br />
Natur und zukünftigen Generationen?<br />
Die Politikkrise, abnehmende Mitgliederzahlen bei den Parteien, das „rigorose Lächeln der Politiker“,<br />
die Sachzwänge für angeblich alternativlose Politik anführen, aber auch gesellschaftliches Engagement<br />
gegen soziale Ungleichheit, zu große Bankenmacht oder Atomkraft, ist keine Demokratiekrise, sondern<br />
eine Krise der repräsentativen Demokratie. Gefragt ist die Wiederentdeckung des „politischen Menschen“<br />
(Oskar Negt), des „citoyen“ oder „citizen“, der sich nicht von einer Scheindemokratie abspeisen lässt, der<br />
sich als eigensinniger und politisch urteilsfähiger Mensch, als Souverän, in die öffentlichen Angelegenheiten<br />
einmischt. Wobei Möglichkeiten der Einmischung, der Freiheit, größer werden, wenn weitreichende<br />
Mit- und Selbstbestimmungsrechte in allen wichtigen Lebensbereichen, gerade auch in wirtschaftlichen<br />
Produktionsprozessen, bestehen. Denn Demokratie als Lebensform lässt sich - strategisch - am besten<br />
im Alltag, in der direkten Umgebung der Menschen einüben. „All politics is local“ hat es der bekannte<br />
amerikanische Politiker Tip O‘Neill einmal auf den Punkt gebracht. Die Erfahrungen am Arbeitsplatz, im<br />
Arbeitsalltag sind hier von zentraler Bedeutung. Darauf aufbauend eröffnet sich dann auch gelebte Beteiligung<br />
in der politischen Demokratie.<br />
Allerdings ist ein Traditionsbegriff wie Wirtschaftsdemokratie heute fast schon eine Leerformel. Es fehlt<br />
eine breite Diskussion zu dem Begriff, es fehlen Werkzeuge und Instrumente zur Umsetzung als auch<br />
konkrete Praxisbeispiele. Damit bleibt der progressive Gegenentwurf zum neoliberalen „Washington<br />
Konsensus“, nämlich „another world is possible“, in Bezug auf Organisation von privatwirtschaftlichen<br />
Unternehmen, Dienstleistern und staatlichen Institutionen merkwürdig abstrakt. Umso mehr lohnt eine<br />
Bestandsaufnahme, ein Überblick zu Ansätzen und Beispielen, welche durch demokratische Strukturen<br />
Wirtschaftsethik und soziale Verantwortung mit herkömmlichen Zielen wie Produktivität und Gewinn<br />
verbinden.<br />
Solche Beispiele gibt es, wenn auch nicht zahlreich, zum Teil seit vielen Jahren auch im Saarland. Sie sind<br />
erfolgreich und doch wenig bekannt. Vor diesem Hintergrund leistet die Studie einen konkreten und praktischen<br />
Beitrag dazu, die Diskussion um Wirtschaftsdemokratie stärker in der Öffentlichkeit zu verankern<br />
und das Selbstvertrauen und -bewusstsein der beteiligten Akteure zu stärken.<br />
Die Studie ist Teil einer verstärkten öffentlichen Diskussion zu Wirtschaftsdemokratie in den letzten Jahren.<br />
2010 organisierte die Partei Die Linke Saar eine große Veranstaltung in Völklingen zum Thema Mitarbeiterbeteiligung.<br />
Die SPD Saar fasste auf ihrem Landesparteitag 2011 den Beschluss, einen Arbeitskreis Wirtschaftsdemokratie<br />
auf Landesebene einzurichten. Der IG Metall Bezirk Niedersachsen und Sachsen-Anhalt<br />
veranstaltete 2010 eine Tagung zu „Wirtschaftsdemokratie im Dialog zwischen Gewerkschaft und Wissenschaft“.<br />
Die <strong>Rosa</strong>-<strong>Luxemburg</strong>-<strong>Stiftung</strong> organisierte im November 2011 eine internationale Konferenz zum<br />
Thema „Belegschaftseigentum, Kooperativen und Genossenschaften“ in Berlin. Der Bundesparteitag der<br />
Linken 2011 sieht in der Wirtschaftsdemokratie „eine tragende Säule des demokratischen Sozialismus“.<br />
Der SPD Bundesparteitag im Dezember 2011 will sich für „einen Ausbau genossenschaftlicher Organisationsformen“<br />
einsetzen. Ähnlich äußern sich die großen Gewerkschaften auf ihren nationalen Kongressen.<br />
Der Gewerkschaftstag der IG Metall 2011 will ein Mehr an „beteiligungsorientierter Betriebspolitik“.<br />
Und Frank Bsirske, ver.di Vorsitzender, verspricht auf dem Bundeskongress 2011: „Die Demokratisierung<br />
der Wirtschaft [wird] für uns ein Thema sein, in den kommenden Jahren mehr noch als bisher.“<br />
Dabei betont er basisdemokratische Beteiligung: „Unter den heutigen Bedingungen kommt den einzelnen<br />
Beschäftigten für die gewerkschaftliche Interessenvertretung eine größere Bedeutung zu als jemals<br />
zuvor.“<br />
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