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SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier

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Deutsche<br />

Forschungsgemeinschaft<br />

<strong>SFB</strong> <strong>600</strong><br />

<strong>Fremdheit</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Armut</strong><br />

Teilprojekt C 7<br />

Formen <strong>und</strong> Funktionsweisen der politischen<br />

Repräsentation von Fremden <strong>und</strong> Armen in der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />

Arbeitspapier 2/06, <strong>Trier</strong> 2006<br />

Rationalität <strong>und</strong> Repräsentation in der<br />

deliberativen Demokratietheorie<br />

von Jürgen Habermas<br />

Winfried Thaa<br />

Kontakt: Prof. Dr. Winfried Thaa, Universität <strong>Trier</strong>, Universitätsring 15, Zi. A 127, 54286 <strong>Trier</strong><br />

Tel.: 0049 – (0)651/201-2135,<br />

E-Mail: thaa@uni-trier.de<br />

Web: www.sfb<strong>600</strong>.uni-trier.de<br />

www.politik.uni-trier.de/mitarbeiter/thaa/index.php


2<br />

Rationalität <strong>und</strong> Repräsentation in der deliberativen Demokratietheorie<br />

von Jürgen Habermas<br />

von Winfried Thaa<br />

1. Selbstverständnis <strong>und</strong> normativer Anspruch der deliberativen<br />

Demokratietheorien<br />

Der Begriff der deliberativen Demokratie ist zwar neu, Deliberation oder öffentliche<br />

Beratung bildete jedoch immer schon ein wichtiges Moment der Demokratie.<br />

Dies gilt bereits für die Versammlungsdemokratie der griechischen Polis, in<br />

der nach Aristoteles der Bürgerstatus durch den Zutritt zur Teilnahme an der<br />

beratenden Staatsgewalt definiert war (Aristoteles 1275b5-20). Es gilt in anderer<br />

Weise aber auch für die Demokratien der Neuzeit, deren Theoretiker das Repräsentationsprinzip,<br />

ihre bedeutendste Innovation gegenüber der Antike, nicht zuletzt<br />

mit der Läuterung <strong>und</strong> Verallgemeinerung der unreflektierten Meinungen<br />

<strong>und</strong> Interessen des Volkes in den Beratungen freier, nicht an Weisungen geb<strong>und</strong>ener<br />

Abgeordneter rechtfertigen. 1 Dennoch bildete sich ein eigenes deliberatives<br />

Verständnis von Demokratie, das seine Vertreter sowohl gegenüber liberalen <strong>und</strong><br />

republikanischen als auch gegenüber elitären <strong>und</strong> direkt-partizipatorischen Demokratiekonzeptionen<br />

abgrenzen, erst vor weniger als zwei Jahrzehnten heraus.<br />

Gemeinsam verstehen die verschiedenen deliberativen Demokratietheorien<br />

unter Deliberation zunächst einmal die öffentliche, möglichst alle Betroffenen<br />

einschließende Beratung über Streitfragen <strong>und</strong> gemeinsame Probleme. 2 In Abgrenzung<br />

zu anderen Demokratietheorien wird der Kern der demokratischen Legitimation<br />

von Entscheidungen nicht in der Aggregation von Interessen oder dem<br />

Willen eines Kollektivsubjektes, sondern in ihrer Rückführung auf eine alle inkludierende,<br />

argumentativ geführte Beratung gesehen. Bernard Manin formuliert<br />

kurz <strong>und</strong> knapp:<br />

1<br />

2<br />

Vgl. etwa Federalist No.10 <strong>und</strong> No. 71, in: Hamilton/Madison/Jay 2000.<br />

Eine einfache Definition findet sich bei Cohen 1989: „By a deliberative democracy I shall<br />

mean, roughly, an association whose affairs are governed by the public deliberation of its<br />

members.” (Cohen 1989: 17).


3<br />

„A legitimate decision does not represent the will of all, but is one<br />

that results from the deliberation of all“ (Manin 1987: 352). 3<br />

Ungeachtet der genaueren Bestimmung des deliberativen Prozesses gilt er zudem<br />

als Alternative zur Übertragung des Marktmodells <strong>und</strong> seiner ökonomischen<br />

Rationalität auf den Bereich demokratischer Politik. An die Stelle der Konkurrenz<br />

unter strategisch handelnden Akteuren soll eine Verständigungspraxis unter<br />

Gleichen treten. Deliberation verlangt von den Teilnehmern nicht nur die argumentative<br />

Begründung der eigenen Position, sondern auch die Berücksichtigung<br />

anderer, ihr entgegenstehender Positionen. Damit enthält sie zumindest die Möglichkeit<br />

einer zwanglosen Verständigung, wie auch immer diese genauer bestimmt<br />

sein mag. Als Konsens oder als ein begründetes Urteil der Mehrheit unterscheidet<br />

sich das Ergebnis der Deliberation gr<strong>und</strong>sätzlich von einem Kompromiss,<br />

der ja nicht auf der Zustimmung zu argumentativen Begründungen basiert,<br />

sondern lediglich einen für die Beteiligten akzeptablen Ausgleich zwischen<br />

gegensätzlich bleibenden Interessen oder Meinungen darstellt.<br />

Wie wir im einzelnen noch sehen werden, sind deliberative Theorien in mehrfacher<br />

Hinsicht normativ. Insbesondere aber enthalten sie zwei Versprechen, mit<br />

denen sie an die Tradition der Aufklärung anschließen:<br />

Zum einen beerben sie den republikanischen Anspruch auf Selbstregierung<br />

unter den spezifisch neuzeitlichen Bedingungen der Säkularisation <strong>und</strong> der politischen<br />

Gleichheit. Im deliberativen Verständnis ist Politik ein Bereich der bewussten<br />

Einwirkung der Gesellschaft auf sich selbst, in dem sich durch die Praxis<br />

öffentlicher Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung die kollektive Autonomie der Bürger<br />

verwirklicht. Unumstritten ist dabei, dass kollektives politisches Handeln ein<br />

Ausdruck von Selbstbestimmung sein kann, umstritten ist allerdings, wie das<br />

Spannungsverhältnis zwischen individueller <strong>und</strong> kollektiver Autonomie gelöst<br />

oder zumindest akzeptabel organisiert werden kann. Dessen ungeachtet verschieben<br />

sich mit der Verortung kollektiver Autonomie in der Praxis öffentlicher Be-<br />

3<br />

Ähnlich James Bohman: „Deliberative democracy, broadly defined, is thus any one of a<br />

family of views according to which the public deliberation of free and equal citizens is the<br />

core of legitimate political decision making and self-government“ (Bohman 1998: 401).<br />

Spezifischer <strong>und</strong> den Vernunftbegriff einschließend definiert Seyla Benhabib Demokratie<br />

„als eine Organisationsform kollektiver <strong>und</strong> öffentlicher Machtausübung in den wichtigsten<br />

Institutionen einer Gesellschaft..., <strong>und</strong> zwar auf der Gr<strong>und</strong>lage des Prinzips, dass Entscheidungen,<br />

die das Wohlergehen einer Gesellschaft betreffen, als das Ergebnis einer freien <strong>und</strong><br />

vernünftigen Abwägung unter Individuen gesehen werden können, die als moralisch <strong>und</strong><br />

politisch Gleiche betrachtet werden“ (Benhabib 1995: 4).


4<br />

ratung die Verwirklichungsbedingungen politischer Gleichheit von der Teilnahme<br />

an Entscheidungen, insbesondere also von Abstimmungen <strong>und</strong> Wahlen nach<br />

dem Prinzip „one man/person - one vote“, auf die Prinzipien <strong>und</strong> Verfahren der<br />

Deliberation, die eine Inklusion aller von einer Entscheidung potentiell Betroffenen<br />

ermöglichen sollen.<br />

Zum zweiten erheben deliberative Demokratietheorien den Anspruch, deliberative<br />

Verfahren produzierten vernünftigere Ergebnisse als eine von marktanalogen<br />

Mechanismen hervorgebrachte Resultante individueller Entscheidungen oder<br />

die politische Dezision der Inhaber von Herrschaftspositionen. Die Inklusion aller<br />

von einer Entscheidung Betroffenen bzw. der von ihnen vertretenen Standpunkte<br />

<strong>und</strong> das Argumentieren als einzig angemessenes Mittel der Auseinandersetzung<br />

sollen die ursprünglich eingebrachten Präferenzen transformieren <strong>und</strong><br />

auf ein höheres Niveau der Verallgemeinerbarkeit heben. Dieser Vorgang lässt<br />

sich auch als „moralisierender Effekt“ der Beratungen verstehen. 4 Selbst wenn<br />

am Ende eines deliberativen Prozesses kein Konsens steht, soll die Mehrheitsentscheidung,<br />

die danach getroffen wird, eher einem begründeten Urteil ähneln als<br />

der Aggregation von Interessen oder einem ausgehandelten Kompromiss.<br />

Als Ergebnis eines deliberativen Prozesses kommt politischen Entscheidungen<br />

demnach demokratische Legitimität <strong>und</strong> Rationalität zugleich zu. Allerdings<br />

unterscheiden sich die deliberativen Demokratietheorien beträchtlich hinsichtlich<br />

des erkenntnistheoretischen <strong>und</strong> moralischen Status, den sie einer derartigen öffentlichen<br />

Beratung zuschreiben. Auf der einen Seite steht etwa Benjamin Barber,<br />

der zwischen kognitiven <strong>und</strong> politischen Urteilen strikt unterscheiden will.<br />

In seinem Modell einer „starken Demokratie“ weist er der Deliberation als gemeinsamem<br />

Sprechen <strong>und</strong> Zuhören zwar die zentrale Funktion zu, ursprünglich<br />

private Präferenzen zu transformieren <strong>und</strong> so erst die Gr<strong>und</strong>lage für ein gemeinsames<br />

politisches Handeln zu schaffen. Er will diese Funktion jedoch dezidiert<br />

nicht erkenntnistheoretisch oder moraltheoretisch verstehen, um die demokratische<br />

Politik nicht einem vorausgehenden „Fo<strong>und</strong>ationalism“ zu unterstellen. 5<br />

Auf der anderen Seite Ende des Spektrums steht in dieser Frage die diskurstheoretische<br />

Begründung deliberativer Demokratie durch Jürgen Habermas. Aus dieser<br />

Perspektive soll die deliberative Neubestimmung der Demokratie ihre Bin-<br />

4<br />

5<br />

Die Erwartung auf eine Rationalisierung individueller Präferenzen im Sinne höherer Verallgemeinerungsfähigkeit<br />

im „Forum“ der Deliberation betont etwa Bernard Manin (1987:<br />

358f.). Von einem ‚moralisierenden Effekt’ öffentlicher Diskussionen spricht David Miller<br />

(Miller 1992: 61f.).<br />

Vgl. dazu Barber 1994 <strong>und</strong> spezifischer 1993. Knapp bringt Barber dies auf die Formel:<br />

„Democratic politics is what men do when metaphysics fail“ (ebd.: 35).


5<br />

dung an eine kollektiv handlungsfähige Bürgerschaft überwinden <strong>und</strong> die Vorstellung<br />

eines sich selbst bestimmenden gesamtgesellschaftlichen Subjekts durch<br />

das Ideal einer prinzipiell unabschließbaren Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung in<br />

einer dezentrierten Gesellschaft ersetzen. 6 Die Volkssouveränität verflüssigt sich<br />

<strong>und</strong> „zieht sich in die gleichsam subjektlosen Kommunikationskreisläufe von<br />

Foren <strong>und</strong> Körperschaften zurück“ (Habermas 1992: 170). Durch die diskurstheoretische<br />

Begründung der Prinzipien <strong>und</strong> Verfahren der Deliberation gewinnen<br />

ihre Ergebnisse im Gegensatz zur ersten Position einen epistemischen Anspruch<br />

analog zu dem auf propositionale Wahrheit <strong>und</strong> normative Richtigkeit.<br />

Im Folgenden werde ich mich mit der diskurstheoretischen Begründung deliberativer<br />

Demokratie durch Jürgen Habermas beschäftigen, <strong>und</strong> zwar nicht nur,<br />

weil sie die internationalen Debatten über eine deliberative Umdeutung der Demokratie<br />

dominiert. Inhaltlich begründet sich diese Konzentration auf Habermas<br />

damit, dass gerade sein kognitivistisches Verständnis von Deliberation, also die<br />

Orientierung politischer Willensbildung am Ideal intersubjektiver wissenschaftlicher<br />

Erkenntnisprozesse, höchste Inklusionsansprüche erhebt. Zugleich löst sie<br />

die Kriterien für die Inklusivität <strong>und</strong> die demokratische Qualität von Beratungen<br />

weitgehend von den konkreten Beziehungen <strong>und</strong> Handlungsstrukturen zwischen<br />

Repräsentanten <strong>und</strong> Repräsentierten <strong>und</strong> verlagert sie auf die Qualität der Beratungen.<br />

Genau in dieser Verlagerung aber liegt ein neuer Exklusionsmechanismus<br />

deliberativer Demokratietheorien.<br />

Um dies zu zeigen werde ich zunächst in groben Zügen auf ihre diskurstheoretische<br />

Begründung eingehen (2.), das Verhältnis von Inklusion <strong>und</strong> Repräsentation<br />

diskutieren (3.) sowie den Wahrheits- <strong>und</strong> Rationalitätsanspruch praktischer<br />

Diskurse darstellen (4.). Im Anschluss daran thematisiere ich dann die Ausdifferenzierung,<br />

<strong>und</strong>, wenn man so will, „Politisierung“ der Diskurstheorie in Habermas’<br />

Theorie des demokratischen Rechtsstaates (5.). Im Mittelpunkt steht dabei<br />

die Frage, ob sein Abrücken von einer unmittelbaren Anwendung der Diskursethik<br />

auf demokratische Politik eine adäquate Konzeptualisierung von Pluralität<br />

<strong>und</strong> Handlungskontingenz ermöglicht. Die negative Antwort auf diese Frage (6.<br />

<strong>und</strong> 7.) wird dann mit Habermas’ Festhalten an einem reflexionsmoralischen Autonomieprinzip<br />

<strong>und</strong> dem damit einhergehenden Verständnis von Repräsentation<br />

als Einheitsrepräsentation erklärt (8.). Schließlich werde ich zeigen, dass der<br />

Versuch, die seit der amerikanischen Verfassungsdiskussion im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

im Mittelpunkt des Selbstverständnisses westlicher Demokratien stehende Pluralisierung<br />

der Volkssouveränität durch ihre Prozeduralisierung im vernünftigen<br />

6<br />

Vgl. dazu etwa Habermas 1992: 361f <strong>und</strong> 1996: 287f.


6<br />

Diskurs zu ersetzen, politische Handlungsmöglichkeiten beschränkt, kontingente<br />

Entscheidungen durch vermeintlich sachliche Problemlösungen ersetzt sowie<br />

Mitgliedschaften <strong>und</strong> die daraus resultierenden Solidaritätsansprüche schwächt<br />

(9.-11.). Zusammenfassend beziehe ich diese Bef<strong>und</strong>e dann auf die Möglichkeiten<br />

der Repräsentation schwacher Interessen (12.).<br />

2. Gr<strong>und</strong>züge eines diskurstheoretischen Verständnisses der Demokratie<br />

Die gr<strong>und</strong>legende Annahme der Diskursethik besagt, dass wir über die Richtigkeit<br />

moralischer Handlungsnormen wie über die Wahrheit propositionaler Aussagen<br />

durch den „zwanglosen Zwang des besseren Argumentes“ (Habermas<br />

1984: 161) ein rational motiviertes Einverständnis erzielen können. 7 Mit dem<br />

Universalisierungsgr<strong>und</strong>satz stehe „eine Argumentationsregel zur Verfügung ...,<br />

die die rationale Entscheidung moralisch-praktischer Fragen ermöglicht“ (Habermas<br />

1992: 193). Diese Annahme folgt aus einer von der pragmatischen<br />

Sprachphilosophie ausgehenden Umformulierung der Begriffe von Wahrheit <strong>und</strong><br />

Rationalität durch Apel <strong>und</strong> Habermas, dem sog. „pragmatic turn in der Kritischen<br />

Theorie“ (Benhabib 1995a: 421). Demzufolge sind sowohl propositionale<br />

Wahrheit als auch normative Richtigkeit nur mehr intersubjektiv, das heißt durch<br />

das argumentative Überprüfen von Geltungsansprüchen, festzustellen. Dazu dient<br />

der Diskurs, der vereinfacht <strong>und</strong> in einer ersten Annäherung als eine durch Argumentation<br />

gekennzeichnete Form der Kommunikation definiert ist, an der<br />

prinzipiell alle Betroffenen teilnehmen <strong>und</strong> problematische Geltungsansprüche<br />

überprüfen können.<br />

Mit seiner diskurstheoretischen Begründung deliberativer Demokratie überträgt<br />

Habermas diese Konsenstheorie der propositionalen Wahrheit <strong>und</strong> der normativen<br />

Richtigkeit, also das Ideal der Argumentationspraxis einer Gelehrtenrepublik,<br />

auf den politischen Prozess. 8 Die Diskursethik wird zu einer Theorie der<br />

politischen Legitimität. Auch wenn Habermas seit den neunziger Jahren zugesteht,<br />

dass die unvermittelte Anwendung der Diskursethik auf den demokratischen<br />

Prozess zu Ungereimtheiten führt (Habermas 1992: 196), misst er ihn doch<br />

weiterhin an der argumentativen Auseinandersetzung über Geltungsansprüche.<br />

Legitimierend ist der demokratische Prozess demnach nicht im Sinne der Selbst-<br />

7<br />

8<br />

Vgl. etwa auch Habermas 1981: 71.<br />

So etwa explizit in Habermas 1992: 30ff., wo Habermas den Anspruch erhebt, das von Charles<br />

Peirce stammende Modell der Argumentationspraxis einer Gelehrtenrepublik ließe sich<br />

über die kooperative Wahrheitssuche von Wissenschaftlern hinaus auch auf die kommunikative<br />

Alltagspraxis beziehen.


7<br />

regierung eines Demos durch Anwendung des Mehrheitsprinzips, sondern als<br />

öffentlicher Vernunftgebrauch. Um demokratische Entscheidungen als Verkörperung<br />

von Vernunft sehen zu können, muss Habermas mit der Vernunftkritik der<br />

früheren Kritischen Theorie brechen. In Abgrenzung zum instrumentell verengten<br />

Rationalitätsbegriff, den Horkheimer <strong>und</strong> Adorno mit Weber teilen, unterstellt<br />

er der Moderne die evolutionäre Entfaltung einer kommunikativen, auf der<br />

freiwilligen Zustimmung zu Geltungsansprüchen basierenden Vernunft. 9 Dies<br />

ermöglicht es ihm, die demokratisch-rechtsstaatlichen Institutionen westlicher<br />

Gesellschaften als Ergebnis einer solchen Evolution zu verstehen <strong>und</strong> ihren Vernunftgehalt<br />

theoretisch zu rekonstruieren. Spezifischer geht es in seinem Verständnis<br />

deliberativer Demokratie darum, die Idee der Volkssouveränität rationalistisch<br />

umzudeuten, so dass an die Stelle eines letztlich willkürlich entscheidenden<br />

gesamtgesellschaftlichen Subjektes „subjektlose Kommunikationsformen“<br />

treten, „die den Fluß der diskursiven Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung so regulieren,<br />

dass ihre falliblen Ergebnisse die Vermutung der Vernünftigkeit für sich haben“<br />

(Habermas 1996: 291).<br />

Habermas begründet diese Neuformulierung des Souveränitätsbegriffes durch<br />

einen intersubjektivistischen Vernunftbegriff, mit dem er bewusstseinsphilosophische<br />

Denkfiguren verabschieden will. Unter den Prämissen der Bewusstseinsphilosophie<br />

ließen sich nämlich Vernunft <strong>und</strong> Wille nur in einem Einzelsubjekt<br />

zusammenführen. Dies habe zur Folge, die Selbstbestimmungspraxis der Bürger<br />

entweder einem übermächtigen gesamtgesellschaftlichen Großsubjekt, dem Volk<br />

oder der Nation zuzuschreiben, oder aber sie in die blinde Resultante der Entscheidungen<br />

konkurrierender Einzelsubjekte aufzulösen. 10 Demgegenüber soll<br />

die „höherstufige Intersubjektivität von Verständigungsprozessen“ in Körperschaften<br />

<strong>und</strong> öffentlichen Foren eine kommunikativ erzeugte Macht hervorbringen,<br />

die durch Gesetzgebung in administrative Macht umgeformt wird. 11 Die<br />

Volkssouveränität verdichte sich „nicht mehr in einem Kollektiv, nicht mehr in<br />

der physisch greifbaren Präsenz der vereinigten Bürger oder ihrer versammelten<br />

Repräsentanten“, sondern sie komme in der „Zirkulation vernünftig strukturierter<br />

Beratungen <strong>und</strong> Entscheidungen“ zur Geltung (Habermas 1992: 170). Habermas<br />

spricht darauf bezogen auch von einem prozeduralistischen, in Abgrenzung zu<br />

einem substantialistischen Verständnis von Volksouveränität. Das zweite beziehe<br />

Freiheit wesentlich auf die „äußere Unabhängigkeit der Existenz eines Volkes“,<br />

9<br />

10<br />

11<br />

Vgl. dazu Habermas 1981, insbes. Band 1.<br />

Vgl. dazu Habermas 1992: 133f <strong>und</strong> 362.<br />

Vgl. dazu Habermas 1992: 362 f.


8<br />

das erste „auf die allen gleichmäßig gewährleistete private <strong>und</strong> öffentliche Autonomie<br />

innerhalb einer Assoziation freier <strong>und</strong> gleicher Rechtsgenossen“ (Habermas<br />

1996: 166f.). Eine prozeduralistisch verstandene Volkssouveränität bringe<br />

sich „in der Macht öffentlicher Diskurse zur Geltung“, sie werde „kommunikativ<br />

verflüssigt“ (Habermas 1992: 228) <strong>und</strong> „verschwindet in den subjektlosen Kommunikationsformen<br />

der diskursiven Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung“ (ebd.: 365).<br />

Ihren institutionellen Ausdruck findet diese kommunikativ verflüssigte<br />

Volkssouveränität nach Habermas in einer zweigleisigen deliberativen Politik,<br />

die einerseits entscheidungsorientierte demokratische Verfahren, insbesondere<br />

die parlamentarischen Beratungen, andererseits die informelle <strong>und</strong> spontane<br />

Meinungsbildung in einer breiten, vielfältig verzweigten autonomen Öffentlichkeit<br />

umfasst. Unter letzterer stellt sich Habermas ein offenes, inklusives Netzwerk<br />

von Teilöffentlichkeiten vor, die, gerade weil sie nicht durch Verfahren reguliert<br />

sind <strong>und</strong> unter keinem Entscheidungszwang stehen, „ein Medium uneingeschränkter<br />

Kommunikation“ bilden sollen, „in dem neue Problemlagen sensitiver<br />

wahrgenommen, Selbstverständigungsdiskurse breiter <strong>und</strong> expressiver geführt,<br />

kollektive Identitäten <strong>und</strong> Bedürfnisinterpretationen ungezwungener artikuliert<br />

werden können als in den verfahrensregulierten Öffentlichkeiten“ (Habermas<br />

1992: 374). In der Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung der autonomen Öffentlichkeit<br />

entsteht die oben bereits erwähnte kommunikative Macht, 12 die dann in<br />

„Beschlüssen demokratisch verfahrender <strong>und</strong> politisch verantwortlicher Gesetzgebungskörperschaften<br />

Gestalt annehmen“ soll (Habermas 1992: 228). Auf diese<br />

Weise kann Habermas die demokratische Gesetzgebung als Ausdruck einer<br />

kommunikativ verflüssigten Volkssouveränität begreifen. Anders noch als in seinem<br />

theoretischen Hauptwerk, der „Theorie des kommunikativen Handelns“,<br />

eröffnet er sich in diesem Modell die Möglichkeit, die institutionalisierte Politik<br />

nicht nur als verselbständigtes mediengesteuertes Teilsystem im Sinne Luhmanns<br />

zu sehen. Die Gegenüberstellung von System <strong>und</strong> Lebenswelt, die in der These<br />

einer „Kolonialisierung“ der Lebenswelt durch das politische Teilsystem zum<br />

Ausdruck kam, wird überw<strong>und</strong>en zugunsten einer Sichtweise, welche die Rechtsetzung<br />

durch den parlamentarischen Gesetzgeber bildhaft als Schleuse beschreibt,<br />

über die Kommunikationsflüsse der Öffentlichkeit in das politische System<br />

eindringen <strong>und</strong> die gesamtgesellschaftlich bindenden Entscheidungen steu-<br />

12<br />

Habermas übernimmt hier den Machtbegriff von Hannah Arendt, interpretiert ihn jedoch im<br />

Sinne seiner kognitiven Diskurstheorie so um, dass kommunikative Macht <strong>und</strong> die begründete<br />

Vermutung rationaler Resultate zusammenfallen (vgl. Habermas 1992: 182ff.).


9<br />

ern. 13 Das Recht ist demnach nicht mehr nur systemisches Steuerungsmedium<br />

der funktionalen Handlungskoordination, sondern zugleich das Medium der Einwirkung<br />

lebensweltlicher Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung auf die gesellschaftlichen<br />

Teilsysteme. 14 Allerdings soll der normale Betrieb im Kernbereich des politischen<br />

Systems nach eingespielten Routinen ablaufen <strong>und</strong> der Druck der öffentlichen<br />

Meinungen nur in krisenhaften oder besonders konfliktreichen Ausnahmesituationen<br />

ausreichen, um über Parlamente <strong>und</strong> Gerichte einen bestimmenden<br />

Einfluss zu nehmen.<br />

Trotz dieser Einschränkungen glaubt Habermas mit seiner diskurstheoretischen<br />

Rekonstruktion demokratischer Entscheidungen als vernünftige, auf zustimmungsfähigen<br />

Gründen basierende Willensbildung über Rechtsnormen das<br />

Spannungsverhältnis zwischen subjektiv-privaten Freiheiten <strong>und</strong> Volkssouveränität,<br />

zwischen privater <strong>und</strong> politischer Autonomie prinzipiell lösen zu können,<br />

indem er rechtliche Handlungsnormen auf einen abstrakten kommunikationstheoretischen<br />

Autonomiebegriff zurückführt. Die Zusammenführung von Vernunft<br />

<strong>und</strong> Willen im Begriff der Autonomie lässt sich nach dieser Verabschiedung der<br />

Bewusstseinsphilosophie nicht mehr nur einem einzelnen Subjekt – sei es das<br />

Großsubjekt einer Nation oder das intelligible Ich Kants – zuschreiben, sondern<br />

ist nun als Ergebnis der diskursiven Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung zu erwarten,<br />

sofern diese Überzeugungen hervorbringt, „in denen alle einzelnen zwanglos ü-<br />

bereinstimmen können“ (Habermas 1992: 134). Der Gedanke der Selbstgesetzgebung,<br />

wonach die Adressaten <strong>und</strong> Urheber des Rechts identisch sind, wird von<br />

der Vorstellung eines Selbst gelöst <strong>und</strong> als „diskursive Ausübung der politischen<br />

Autonomie“ (ebd.: 155) uminterpretiert. So gesehen will Habermas das Projekt<br />

Rousseaus vollenden <strong>und</strong> durch eine Zusammenführung von Vernunft <strong>und</strong> Willen<br />

auf kommunikationstheoretischer Gr<strong>und</strong>lage den Gegensatz zwischen individueller<br />

Autonomie <strong>und</strong> Gesetzesgehorsam aus der Welt schaffen. Wenn das Gesetz<br />

einen Konsens ausdrückt, dem alle zwanglos zustimmen können, dann gehorcht<br />

der gesetzestreue Bürger, wie es Rousseau dem Verhältnis des Einzelnen<br />

zum volonté générale zuschreibt, letztlich sich selbst, er bleibt so frei wie zuvor.<br />

15<br />

13<br />

14<br />

15<br />

Habermas übernimmt dieses Schleusenmodell von Bernhard Peters (vgl. Habermas 1992:<br />

429ff.).<br />

Zu dieser Änderung im Rechtsverständnis von Habermas vgl. auch Howard 2002, Kap. 4.<br />

Bei Rousseau heißt es „Es muß eine Gesellschaftsform gef<strong>und</strong>en werden, die mit der gesamten<br />

gemeinsamen Kraft aller Mitglieder die Person <strong>und</strong> die Habe eines jeden einzelnen<br />

Mitglieds verteidigt <strong>und</strong> beschützt; in der jeder einzelne, mit allen verbündet, nur sich selbst<br />

gehorcht <strong>und</strong> so frei bleibt wie zuvor“ (1977: 73).


10<br />

Die private Autonomie der Bürger braucht dann auch nicht mehr als Naturrecht<br />

oder Moral ihrer politischen Autonomie übergeordnet zu werden, vielmehr<br />

sollen sich private <strong>und</strong> öffentliche Autonomie als „gleich ursprünglich“ erweisen<br />

(ebd.: 135). Habermas fasst diese „Gleichursprünglichkeit“ wie folgt zusammen:<br />

„Der gesuchte interne Zusammenhang zwischen ‚Menschenrechten’ <strong>und</strong><br />

Volkssouveränität besteht mithin darin, dass das Erfordernis der rechtlichen<br />

Institutionalisierung der Selbstgesetzgebung nur mit Hilfe eines Kodes erfüllt<br />

werden kann, der zugleich die Gewährleistung einklagbarer subjektiver<br />

Handlungsfreiheiten impliziert. Umgekehrt kann wiederum die Gleichverteilung<br />

dieser subjektiven Rechte (<strong>und</strong> ihres ‚fairen Werts’) nur durch ein<br />

demokratisches Verfahren befriedigt werden, das die Vermutung auf vernünftige<br />

Ergebnisse der politischen Meinungs- <strong>und</strong> Willenbildung begründet.<br />

Auf diese Weise setzen sich private <strong>und</strong> öffentliche Autonomie gegenseitig<br />

voraus, ohne dass die eine vor der anderen ein Primat beanspruchen<br />

dürfte“ (Habermas 1994: 671). 16<br />

Demzufolge setzen einerseits vernünftige Ergebnisse in der Wahrnehmung öffentlicher<br />

Autonomie die Gewährleistung subjektiver Rechte voraus, andererseits<br />

können diese Ergebnisse, da ihre Vernünftigkeit als Verallgemeinerungsfähigkeit<br />

bestimmt ist, private Autonomie gar nicht verletzen. Der Vernunftstatus von Entscheidungen<br />

hat damit Vorrang vor dem Prinzip der Volkssouveränität, oder, wie<br />

Rainer Schmalz-Bruns formuliert, das Prinzip der Volkssouveränität ist unter<br />

Vorbehalt gestellt <strong>und</strong> kann sich in Gestalt realer Beteiligung nur dort zur Geltung<br />

bringen, wo diese „als eigenständige Quelle der Rationalisierung von Entscheidungen<br />

fungieren kann“ (Schmalz-Bruns 1995: 111).<br />

3. Inklusion <strong>und</strong> Repräsentation in der diskurstheoretisch begründeten<br />

Demokratie<br />

Ein solches, diskurstheoretisch begründetes Konzept deliberativer Demokratie<br />

unterscheidet sich nicht zuletzt durch seine weitergehenden Inklusionsansprüche<br />

von einem pluralistischen, durch politischen Wettbewerb <strong>und</strong> Mehrheitsentscheidungen<br />

charakterisierten Demokratieverständnis. Dies gilt insbesondere für die<br />

16<br />

Zu der komplexen Begründung der “Gleichursprünglichkeit” von privater <strong>und</strong> öffentlicher<br />

Autonomie, von Moral <strong>und</strong> Recht vgl. ausführlicher Habermas 1992, insbes. Kap. III. Kritisch<br />

dazu etwa Blanke 1994, der hinsichtlich der verschlungen Argumentation von Habermas<br />

das Fazit zieht: „Selbst der gutwillige <strong>und</strong> hartnäckige Leser wird hier vor eine Aufgabe<br />

gestellt, von der er nicht sicher ist, wer sie nicht meistert, er oder der Autor“ (Blanke<br />

1994: 456).


11<br />

Inklusion von Minderheiten <strong>und</strong> für die Berücksichtigung von Interessen, die<br />

über vergleichsweise geringe ökonomische <strong>und</strong> politische Ressourcen verfügen.<br />

Während die ersten trotz politischer Gleichheit durch das Mehrheitsprinzip in<br />

Abstimmungen majorisiert <strong>und</strong> die zweiten aufgr<strong>und</strong> fehlender Machtressourcen<br />

in Verhandlungen übergangen werden können, verspricht ein diskurstheoretisch<br />

begründetes Modell deliberativer Demokratie hier Abhilfe: Insofern als deliberative<br />

Theorien das Kriterium demokratischer Legitimität vom Abstimmungsverfahren<br />

auf den Beratungsprozess <strong>und</strong> vom Mehrheitsprinzip auf die Einbeziehung<br />

aller von einer Entscheidung potentiell Betroffenen verschieben, setzen sie<br />

die demokratische Qualität eines Entscheidungsverfahrens mit seiner Inklusivität<br />

gleich <strong>und</strong> zielen darauf, die Subsumtion von Individuen oder Gruppen unter ein<br />

kollektives Großsubjekt zu vermeiden.<br />

„Aus der Sicht Kants <strong>und</strong> eines – recht verstandenen - Rousseau hat demokratische<br />

Selbstbestimmung nicht den kollektivistischen <strong>und</strong> zugleich ausschließenden<br />

Sinn der Behauptung nationaler Unabhängigkeit <strong>und</strong> der Verwirklichung<br />

nationaler Eigenart. Sie hat vielmehr den inklusiven Sinn einer<br />

alle Bürger gleichmäßig einbeziehenden Selbstgesetzgebung. Inklusion<br />

heißt, dass sich eine solche politische Ordnung offen hält für die Gleichstellung<br />

der Diskriminierten <strong>und</strong> die Einbeziehung der Marginalisierten, ohne<br />

diese in die Uniformität einer gleichgearteten Volksgemeinschaft einzuschließen“<br />

(Habermas 1996: 166).<br />

Die diskursive „Verflüssigung“ der Volkssouveränität verspricht jedoch nicht nur<br />

die konsequente Inklusion aller Bürger eines Gemeinwesens, sondern löst darüber<br />

hinaus den Gedanken demokratischer Selbstbestimmung von einem klar<br />

definierten Demos <strong>und</strong> seinen staatlichen Institutionen ab. Demokratie kann dann<br />

über territoriale Grenzen hinaus auf den prinzipiell schrankenlosen Kreis der von<br />

einer Entscheidung Betroffenen erweitert werden. Gerade eine kognitivistische<br />

Variante deliberativer Demokratie bietet die theoretische Gr<strong>und</strong>lage, um zwischenstaatliche<br />

Verhandlungssysteme <strong>und</strong> die transnationale Selbstorganisation<br />

gesellschaftlicher Akteure durch die Qualität der öffentlichen Beratungsprozesse<br />

demokratisch zu legitimieren. Auf diesen Aspekt werde ich weiter unten noch<br />

kurz zurückkommen. 17 Zunächst jedoch möchte ich den Inklusionsanspruch genauer<br />

betrachten <strong>und</strong> dabei mehrere, nicht unproblematische Einzelaspekte diskutieren.<br />

17<br />

Ausführlich dazu etwa Rainer Schmalz-Bruns 1997 <strong>und</strong> 1999. Kritisch dazu Greven 1998<br />

sowie Thaa 1999 <strong>und</strong> 2001.


12<br />

Die diskurstheoretische Begründung deliberativer Demokratiemodelle führt<br />

die demokratische Legitimität <strong>und</strong> die Rationalität von Beratungsergebnissen<br />

zurück auf die allgemeine Akzeptabilität der für sie angeführten Gründe. Daraus<br />

folgt zwar nicht, dass jeder Bürger individuell an den Beratungsprozessen teilnehmen<br />

<strong>und</strong> zu den angeführten Gründen Stellung nehmen müsste. Unabdingbare<br />

Legitimitätsbedingung eines deliberativen demokratischen Prozesses ist jedoch<br />

die Inklusion aller relevanten Interessen, Meinungen <strong>und</strong> Deutungsperspektiven.<br />

18 Habermas unterscheidet den Kreis der zu inkludierenden Interessen<br />

<strong>und</strong> Perspektiven <strong>und</strong> damit den Standard der Verallgemeinerungsfähigkeit<br />

der Entscheidungen je nachdem, ob es um verfahrensregulierte Verhandlungen,<br />

pragmatische, ethisch-politische oder moralische Diskurse geht. 19 Generell jedoch<br />

kann der diskurstheoretische Anspruch einer Einheit von demokratischer<br />

Willensbildung <strong>und</strong> öffentlichem Vernunftgebrauch nur durch die möglichst<br />

breite <strong>und</strong> möglichst gleichmäßige Einbeziehung der Interessen <strong>und</strong> Perspektiven<br />

aller vom jeweiligen Diskurstyp Betroffenen eingelöst werden. Dies gilt insbesondere<br />

für gesellschaftlich marginalisierte Gruppen. Wo die Betroffenen aus<br />

technischen oder Praktikabilitätsgründen nicht selbst teilnehmen können, sollen<br />

Diskurse deshalb repräsentativ oder advokatorisch geführt werden. 20<br />

Die Konzentration der Diskurstheorie auf Argumentationen impliziert dabei<br />

jedoch a) eine inhaltliche Neubestimmung des Repräsentationsprinzips, b) eine<br />

Verschiebung der Legitimitätskriterien demokratischer Entscheidungen sowie c)<br />

eine Abwertung der Handlungs- zugunsten der Erkenntnisdimension demokratischer<br />

Willensbildung.<br />

Ad a) Aufgr<strong>und</strong> des Vernunftanspruches an den demokratischen Prozess verändert<br />

sich der Sinn des Repräsentationsprinzips. Bereits für Verhandlungen,<br />

soweit dabei Argumentationen ins Spiel kommen, erst recht aber für ethischpolitische<br />

<strong>und</strong> moralische Diskurse bezieht Habermas das Repräsentationsprinzip<br />

nicht auf die Delegation der Willensmacht der Repräsentierten an die Repräsentanten,<br />

sondern auf die Argumentationspraxis des Diskurses. Die Auswahl der<br />

18<br />

19<br />

20<br />

Vgl. etwa Habermas 1992: 222-226 oder prägnant zusammengefasst bei Williams: „To sustain<br />

the claim to legitimacy... the processes of deliberative democracy must include all relevant<br />

social and political perspectives“ (Williams 2000: 125).<br />

Vgl. etwa Habermas 1992: 196-207. Dazu ausführlicher hier unter Teil 5.<br />

Ethisch-politische Diskurse werden repräsentativ geführt <strong>und</strong> sollen dabei „durchlässig,<br />

sensibel <strong>und</strong> aufnahmefähig“ gegenüber dem gesamtgesellschaftlichen Kommunikationskreislauf<br />

bleiben. Moralische Diskurse, in denen jeder Teilnehmer die Perspektive aller übrigen<br />

einnehmen muss, werden in der Regel advokatorisch geführt (Vgl. Habermas 1992:<br />

224). Zur Differenzierung zwischen moralischen <strong>und</strong> ethisch- politischen Diskursen s. Teil<br />

5.


13<br />

Teilnehmer soll alle relevanten Deutungsperspektiven <strong>und</strong> die daraus zu entwickelnden<br />

Argumente berücksichtigen. 21 Repräsentiert werden demnach im Idealfall<br />

nicht die empirischen Präferenzen der verschiedenen Bürger <strong>und</strong> ihrer Gruppierungen,<br />

sondern alle denkbaren Argumentationen zu einem Problem oder<br />

Konflikt. Wie weit aus dieser Ablösung des Repräsentationsprinzips vom Willen<br />

der Repräsentierten <strong>und</strong> seiner Berücksichtigung im Handeln der Repräsentanten<br />

eine Einschränkung oder gar eine glatte Verkehrung des Inklusionsanspruches<br />

deliberativer Theorien folgt, 22 wird uns weiter unten noch beschäftigen. Habermas<br />

begegnet dem naheliegenden Einwand, ein Stellvertretermodell zu propagieren,<br />

das die Mehrheit der Bürger zu Mündeln der beratenden Experten <strong>und</strong> Advokatoren<br />

macht, mit der Forderung nach einer Einbettung repräsentativ geführter<br />

Diskurse in den „gesellschaftsweiten Kommunikationskreislauf einer im ganzen<br />

nicht organisierbaren Öffentlichkeit“ (Habermas 1992: 224). Dadurch sollen<br />

repräsentative Diskurse „durchlässig, sensibel <strong>und</strong> aufnahmefähig bleiben für die<br />

Anregungen, die Themen <strong>und</strong> Beiträge, Informationen <strong>und</strong> Gründe, die ihnen aus<br />

einer ihrerseits diskursiv strukturierten, also machtverdünnten, basisnahen, pluralistischen<br />

Öffentlichkeit zufließen“ (ebd.). Der Prozess demokratischer Willensbildung<br />

wird zu einem offenen, stark informelle Züge tragenden Erkenntnisprozess.<br />

Damit treten zugleich die zwei klassischen Dimensionen politischer Repräsentation<br />

in den Hintergr<strong>und</strong>, nämlich die Willensbeziehung zwischen den Repräsentierten<br />

<strong>und</strong> ihren Repräsentanten sowie die Symbolbeziehung, in der die<br />

repräsentativen Institutionen die Einheit, die Ordnungsprinzipien <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Orientierungen der Gesellschaft sichtbar darstellen <strong>und</strong> wirksam werden<br />

lassen sollen. 23<br />

Ad b) Das demokratische Verfahren in diesem informalisierten deliberativen<br />

Sinn bezieht dann „seine legitimierende Kraft nicht mehr nur, <strong>und</strong> nicht einmal in<br />

erster Linie, aus Partizipation <strong>und</strong> Willensäußerung, sondern aus der allgemeinen<br />

Zugänglichkeit eines deliberativen Prozesses, dessen Beschaffenheit die Erwartung<br />

auf rational akzeptable Ergebnisse begründet“ (Habermas 1998: 166). Wenn<br />

Habermas den Begriff der politischen Willensbildung benutzt, so meint er damit<br />

nicht die Summierung der faktischen Willen der Bürger, sondern die Herausbildung<br />

eines „vernünftigen Willens“, aus der Übereinstimmung in den Gründen,<br />

21<br />

22<br />

23<br />

Vgl. etwa Habermas 1992: 225.<br />

So etwa die Kritik von Heidrun Abromeit, die deliberativen Theorien vorwirft, die politischen<br />

Repräsentanten von den Präferenzen der Bürger ablösen <strong>und</strong> auf die Vertretung „guter“,<br />

d.h. allgemein akzeptabler Gründe festlegen zu wollen (vgl. Abromeit 2002: 139).<br />

Zu diesen beiden Dimensionen politischer Repräsentation vgl. Göhler 1992.


14<br />

die der deliberative Prozess hervorbringen soll. 24 Damit verliert sowohl das Handeln<br />

des einzelnen Bürgers, sei es in direkter Partizipation oder in Wahlakten, als<br />

auch das Abstimmungsverhalten der Repräsentanten an legitimatorischer Bedeutung<br />

gegenüber den prozeduralen Anforderungen an die Kommunikation <strong>und</strong><br />

Willensbildung in einer breiteren, informellen Öffentlichkeit. Habermas spricht<br />

zwar vorsichtig von einer Gewichtsverschiebung auf Kosten „der konkreten Verkörperung<br />

des souveränen Willens in Personen <strong>und</strong> Wahlakten, Körperschaften<br />

<strong>und</strong> Voten“ (Habermas 1998: 166). Klar ist damit dennoch, dass eine derartige<br />

deliberative Rekonstruktion der liberalen Demokratie die klassischen Kriterien<br />

politischer Repräsentation wie Autorisierung, Zurechenbarkeit, Responsivität<br />

<strong>und</strong> Kontrolle abwertet. Aufgewertet wird dagegen der Status von Gründen, bzw.<br />

derjenigen, die in der Lage sind, gute Gründe von weniger guten zu unterscheiden.<br />

Damit besteht zumindest die Gefahr, dass eine solche Informalisierung der<br />

Legitimation politischer Entscheidungen die gr<strong>und</strong>sätzliche Voraussetzung der<br />

Demokratie, nämlich die politische Gleichheit der Bürger untergräbt. Ob in der<br />

direkten Demokratie der griechischen Polis oder der modernen repräsentativen<br />

Demokratie, die politische Gleichheit ist stets ein prekäres, gegen die Realität<br />

vielfältiger gesellschaftlicher Ungleichheit zu verteidigendes Konstrukt. 25 Wo die<br />

freie <strong>und</strong> gleiche Wahl der Bürger zwischen sachlichen <strong>und</strong> personellen Alternativen<br />

gegenüber informellen, als Erkenntnisvorgänge gedachten Beratungen an<br />

Boden verliert, tritt auch das Prinzip formaler politischer Gleichheit zurück gegenüber<br />

den vielfältigen gesellschaftlichen Ungleichheiten der Teilnahme- <strong>und</strong><br />

Einflussmöglichkeiten in bezug auf diese Beratung <strong>und</strong> Meinungsbildung.<br />

Kompetenz, Zeitressourcen, Argumentationsmacht u.ä.m. sind auch in der breiteren,<br />

informellen Öffentlichkeit von Foren <strong>und</strong> zivilgesellschaftlichen Assoziationen<br />

keineswegs gleich verteilt.<br />

Ad c) Schließlich lässt die deliberative Neubestimmung politischer Willensbildung<br />

verschiedene Handlungsaspekte demokratischer Politik gegenüber der<br />

Erkenntnisfunktion der öffentlichen Debatte zurücktreten. Wie Michael Walzer<br />

in einem knappen Aufsatz sehr anschaulich herausgearbeitet hat, kann die kognitive<br />

Verengung deliberativer Demokratietheorien eine breite Palette politischer<br />

Aktivitäten nicht berücksichtigen, die gerade für die politische Betätigung von<br />

Normalbürgern erhebliche Bedeutung haben <strong>und</strong> vielfältige Partizipationsmöglichkeiten<br />

bieten. Seine vierzehn Punkte umfassende Liste reicht von der<br />

24<br />

25<br />

Dazu gr<strong>und</strong>sätzlich etwa Habermas 1973: 148f. <strong>und</strong> Habermas 1983: 78-86.<br />

Kritisch zur Ignoranz gegenüber dieser Unterscheidung von politischer Gleichheit <strong>und</strong> gesellschaftlicher<br />

Ungleichheit in den Theorien einer zivilgesellschaftlichen deliberativen<br />

Demokratie vgl. etwa Thaa 1999: 208f. <strong>und</strong> Greven 2005: 266f.


15<br />

Agitation über Organisation, die Mobilisierung von Anhängern, das Demonstrieren<br />

eigener Stärke bis zu Kampagnenführung <strong>und</strong> Geldsammeln. 26<br />

Die Möglichkeit einer Annäherung der politischen Realität an das Ideal deliberativer<br />

Demokratie wird mit Hinweis auf die anspruchsvollen Voraussetzungen<br />

einer nicht vermachteten Öffentlichkeit, einer den Anforderungen rationaler Verständigung<br />

entgegenkommenden politischen Kultur <strong>und</strong> eines offenen politischen<br />

Systems immer wieder bezweifelt. Wie bereits hier klar geworden sein sollte,<br />

stellt sich jedoch gr<strong>und</strong>sätzlicher die Frage, ob ein am Ideal rationaler Erkenntnis<br />

orientierter Deliberationsprozess überhaupt Inklusion <strong>und</strong> Gleichheit ermöglichen<br />

kann, oder ob er sich nicht bereits vor den Problemen seiner institutionellen<br />

Umsetzung als selektiv <strong>und</strong> exkludierend erweist. Dieser Frage soll im Folgenden<br />

genauer nachgegangen werden.<br />

4. Wahrheitsfähigkeit <strong>und</strong> Rationalität praktischer Diskurse<br />

Im Zentrum der diskurstheoretischen Begründung eines deliberativen Demokratiemodells<br />

steht Habermas’ These der Wahrheitsfähigkeit normativ-praktischer<br />

Fragen <strong>und</strong> ihre Ausarbeitung zu einer Theorie der Legitimität politischer Entscheidungen<br />

über allgemeinverbindliche Handlungsnormen.<br />

Habermas wurde immer wieder entgegengehalten, die Begründung demokratischer<br />

Politik durch eine Konsenstheorie der Wahrheit sei ihrem Gegenstand<br />

unangemessen, da sie den für moderne Gesellschaften unaufhebbaren Interessen<strong>und</strong><br />

Wertepluralismus nicht berücksichtigen könne. Darüber hinaus wurde ihm<br />

vorgeworfen, er transportiere ein differenzfeindliches, quasi Rousseauistisches<br />

Identitätsdenken. 27 Eine wichtige Rolle spielt die vermeintliche Differenzfeindlichkeit<br />

der Diskurstheorie auch in der angelsächsischen Debatte zum Multikulturalismus,<br />

in der Habermas geradezu als Kontrastfolie dient, vor der eigene,<br />

auf Diversität <strong>und</strong> Agonalität setzende Demokratietheorien entwickelt werden. 28<br />

Habermas hat nicht zuletzt in Reaktion auf die vielfach vorgetragene Kritik in<br />

den neunziger Jahren eingeräumt, dass sich die Diskursethik nicht unmittelbar<br />

auf den demokratischen Prozess anwenden lasse <strong>und</strong> dementsprechend für den<br />

Bereich der Politik <strong>und</strong> Rechtsetzung eine Differenzierung zwischen verschiedenen<br />

Diskurstypen vorgeschlagen. Ungeachtet dessen hielt er dabei jedoch gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

an der Wahrheitsfähigkeit praktischer Diskurse <strong>und</strong> der epistemischen<br />

26<br />

27<br />

28<br />

Vgl. Walzer 1999.<br />

Zum letzten Vorwurf etwa Vollrath 1987, 1989 <strong>und</strong> 1995. Ähnlich auch Michael Greven<br />

1991.<br />

Vgl. etwa Young 1987, Villa 1992, Mouffe 1999.


16<br />

Funktion demokratischer Willensbildung fest. 29 Um die Angemessenheit einer<br />

diskurstheoretischen Begründung der Demokratie <strong>und</strong> ihre Auswirkungen auf die<br />

politische Repräsentation von Minderheiten <strong>und</strong> schwachen Interessen beurteilen<br />

zu können, ist es erforderlich, zunächst die gr<strong>und</strong>sätzliche These der Wahrheitsfähigkeit<br />

praktischer Diskurse <strong>und</strong> die aus ihr gewonnenen Rationalitätsstandards<br />

der demokratischen Willensbildung zu rekapitulieren.<br />

In seinen früheren Schriften, einschließlich der „Theorie des kommunikativen<br />

Handelns“ von 1982 vertritt Habermas einen engen Diskursbegriff, der Diskurse<br />

auf Fragen propositionaler Wahrheit <strong>und</strong> normativer Richtigkeit begrenzt. 30 Diskurse<br />

sind demnach eine von unmittelbarem Handlungsdruck entlastete Form der<br />

Kommunikation zur Überprüfung der Verallgemeinerungsfähigkeit von Geltungsansprüchen,<br />

in denen Teilnehmer, Themen <strong>und</strong> Beiträge nicht beschränkt<br />

werden, kein Zwang, außer dem des besseren Argumentes, ausgeübt wird <strong>und</strong><br />

alle Motive, außer dem der kooperativen Wahrheitssuche ausgeschlossen sind. 31<br />

Wenn unter solchen Bedingungen argumentativ ein Konsens erzielt wird, „dann<br />

drückt dieser Konsens einen vernünftigen Willen aus“ (Habermas 1973: 148).<br />

Spezifischer nennt Habermas folgende Diskursregeln, die jeder, der in eine Argumentation<br />

eintritt, als hinreichend erfüllt voraussetzen muss. 32<br />

1. „Jedes sprach- <strong>und</strong> handlungsfähige Subjekt darf an Diskursen teilnehmen.“<br />

2 a) „Jeder darf jede Behauptung problematisieren“<br />

2 b) „Jeder darf jede Behauptung in den Diskurs einführen“<br />

2 c) „Jeder darf seine Einstellungen, Wünsche <strong>und</strong> Bedürfnisse äußern.“<br />

3. „Kein Sprecher darf durch innerhalb oder außerhalb des Diskurses<br />

herrschenden Zwang daran gehindert werden, seine in 1) <strong>und</strong> 2) festgelegten<br />

Rechte wahrzunehmen“ (Habermas 1983: 99).<br />

Noch 1983 betont Habermas, das Diskursverfahren könne für die Entscheidung<br />

von Wertfragen nicht gelten, da diese an den lebensweltlichen Horizont einer<br />

bestimmten Kultur geb<strong>und</strong>en seien. Anders als die Wahrheit propositionaler<br />

Aussagen <strong>und</strong> die Richtigkeit moralischer Handlungsnormen implizierten Wert-<br />

29<br />

30<br />

31<br />

32<br />

Vgl. etwa Habermas 1991, S. 100-119 <strong>und</strong> Habermas 1992, S. 196-207.<br />

Zu diesem engen Diskursbegriff <strong>und</strong> seiner späteren Erweiterung vgl. auch Cooke 1997.<br />

Vgl. Habermas 1973: 148.<br />

„Argumentationsteilnehmer können der Voraussetzung nicht ausweichen, dass die Struktur<br />

ihrer Kommunikation, aufgr<strong>und</strong> formal zu beschreibender Merkmale, jeden von außen auf<br />

den Verständigungsprozeß einwirkenden oder aus ihm selbst hervorgehenden Zwang, außer<br />

dem des besseren Argumentes, ausschließt <strong>und</strong> damit auch alle Motive außer dem der kooperativen<br />

Wahrheitssuche neutralisiert“ (Habermas 1983: 99).


17<br />

fragen deshalb keine universalisierbaren Geltungsansprüche, die dem Verallgemeinerungstest<br />

des Diskurses unterzogen werden könnten. 33 Damit lassen sich<br />

die Werte partikularer Gemeinschaften auch nicht wie die auf Konsens gegründeten<br />

moralischen Normen auf die Autonomie der Individuen zurückführen. 34<br />

Der praktische Diskurs wurde von Habermas also zunächst einmal bestimmt als<br />

ein Verfahren zur Prüfung der Gültigkeit vorgeschlagener oder unter Kritik gekommener<br />

moralischer Normen. Durch das Kriterium der Verallgemeinerungsfähigkeit,<br />

d.h. des möglichen Konsenses aller Betroffenen in einer ideal vorgestellten<br />

Sprechsituation, soll der Diskurs „rechtfertigungsfähige Normen von solchen<br />

Normen unterscheiden, die Gewaltverhältnisse stabilisieren“ (Habermas<br />

1973:153). In dieser Formulierung treten sowohl die ideologiekritische Stoßrichtung<br />

der frühen Diskurstheorie wie auch ihre Begründung im Ideal individueller<br />

Autonomie deutlich hervor. Diskurse gehen von einem gestörten normativen<br />

Einverständnis aus, um dann zwischen universalisierbaren, d.h. durch die<br />

Zustimmung jedes Individuums rational gerechtfertigten <strong>und</strong> nicht universalisierbaren,<br />

d.h. nicht allgemein zustimmungsfähigen <strong>und</strong> deshalb irrationalen<br />

Normen zu unterscheiden. Der Universalisierungsgr<strong>und</strong>satz dieses ethischen<br />

Formalismus impliziert die Trennung zwischen einem nur kulturspezifischen E-<br />

thos oder der Sittlichkeit auf der einen <strong>und</strong> einer verallgemeinerungsfähigen Moral<br />

auf der anderen Seite. Er funktioniert “wie ein Messer, das einen Schnitt legt<br />

zwischen das ‚Gute’ <strong>und</strong> das ‚Gerechte’, zwischen evaluative <strong>und</strong> streng normative<br />

Aussagen“ (Habermas 1983: 113).<br />

Nur durch eine derart strikte Trennung ist nach Habermas eine gegenüber bestimmten<br />

Lebensformen neutrale <strong>und</strong> von der Autonomie der Individuen ausgehende<br />

Begründung moralischer Normen möglich. Moralische Fragen sind unter<br />

dem Gesichtspunkt der Verallgemeinerungsfähigkeit rational entscheidbar, Fragen<br />

des guten Lebens sind evaluative Fragen, die „nur innerhalb des unproblematischen<br />

Horizonts einer geschichtlich konkreten Lebensform“ rational erörtert<br />

werden können (Ebd.: 116). Die Abstraktionsleistung, die diese Unterscheidung<br />

erfordert, hält Habermas für eine Errungenschaft der postkonventionellen Stufe<br />

des moralischen Bewusstseins, auf der dieses in der Lage ist, moralische Urteile<br />

von lokalen Übereinkünften <strong>und</strong> historisch geprägten partikularen Lebensformen<br />

zu unterscheiden. Gerechtigkeitsfragen <strong>und</strong> Fragen des „guten Lebens“, Moralität<br />

<strong>und</strong> Sittlichkeit sollen demnach in der rationalisierten Lebensform moderner<br />

Gesellschaften prinzipiell unterscheidbar sein (Habermas 1983: 118).<br />

33<br />

34<br />

Vgl. dazu Habermas 1981 Bd. 1: 71 <strong>und</strong> 1983: 113f.<br />

Vgl. dazu auch Cooke 1997: 273.


18<br />

Habermas legt diese strenge, zunächst auf die Begründung moralischer Normen<br />

gerichtete diskurstheoretische Messlatte an die Legitimität politischer Willensbildung<br />

an. Zumindest auf den ersten Blick handelt es sich dabei um eine<br />

erstaunliche Verengung des Politischen. Denn die politische Qualität kommt<br />

dann der konflikthaften Willensbildung zwischen gesellschaftlichen Gruppen,<br />

Parteien <strong>und</strong> Individuen nicht durch ihre Pluralität, ihre Gewaltfreiheit oder ihre<br />

Kontingenz zu, sondern in dem Maße, wie sie sich den Verfahrensstandards einer<br />

diskursethischen Entscheidung über universalisierbare moralische Normen annähert.<br />

Noch nach der Erweiterung seines Diskursbegriffes hält Habermas daran<br />

fest, dass sich eine Gemeinschaft von Staatsbürgern als politische Gemeinschaft<br />

nicht durch ihren Willen oder ihre partikulare Identität auszeichnet, sondern<br />

durch „allgemeine Prinzipien der Gerechtigkeit, die gleichermaßen für jede Bürgerschaft<br />

konstitutiv sind“ (Habermas 1992: 372). Durch diese Gleichsetzung<br />

von „politisch“ mit allgemeingültigen prozeduralen Prinzipien formuliert Habermas<br />

einen normativen Politikbegriff, dessen Kern der Vernunftanspruch seiner<br />

Diskursethik bildet. Die politische Qualität der Beratung <strong>und</strong> Beschlussfassung<br />

ergibt sich aus der Orientierung an idealen, unparteilichen Verfahren, die,<br />

wie der moralische Diskurs, Ergebnisse hervorbringen, in denen Vernunft <strong>und</strong><br />

Wille zur Deckung gebracht werden.<br />

In unserem Zusammenhang möchte ich vor allem zwei Motive hervorheben,<br />

die Habermas veranlassen, die politische Willensbildung an eine kognitivistische<br />

Theorie der Begründung moralischer Normen anzubinden. Wie bereits erwähnt<br />

will Habermas erstens in scharfer Abgrenzung zu den älteren Vertretern der Kritischen<br />

Theorie die Geschichte der Moderne nicht länger als einen Verhängniszusammenhang<br />

der Totalisierung instrumenteller Vernunft sehen. In der „Theorie<br />

des kommunikativen Handelns“ kritisiert er die Einseitigkeit des Weberschen<br />

Rationalitätsbegriff, der von Lukács bis Adorno die Gesellschaftskritik des westlichen<br />

Marxismus prägte. Als Alternative entwickelt er aus Sprachphilosophie<br />

<strong>und</strong> amerikanischem Pragmatismus einen intersubjektiven Vernunftbegriff, der<br />

es ihm erlaubt, gesellschaftliche Modernisierung auch als Entfaltung kommunikativer<br />

Rationalität zu verstehen. Es ist jedoch eines, einen formalpragmatischen,<br />

aus der Analyse allgemeiner Eigenschaften verständigungsorientierten Handelns<br />

gewonnenen Vernunftbegriff zu entwickeln, ein anderes, die Institutionen <strong>und</strong><br />

Interaktionszusammenhänge des demokratischen Rechtsstaates als Ausdruck des


19<br />

diagnostizierten Vernunftpotentials der Moderne zu rekonstruieren. 35<br />

Mit dieser Gr<strong>und</strong>intention einer Rettung von Aufklärung <strong>und</strong> Moderne ist im<br />

Denken von Habermas ein zweites, spezifischer politisches Motiv eng verb<strong>und</strong>en.<br />

Habermas will - gegen Max Weber <strong>und</strong> Carl Schmitt – einen nichtdezisionistischen<br />

Politikbegriff entwickeln. Trotz des unaufhebbaren Wertepluralismus<br />

in modernen Gesellschaften hält er deshalb an der Wahrheitsfähigkeit <strong>und</strong><br />

dem Vernunftanspruch verbindlicher praktischer Normen fest. Ihre Geltung soll<br />

nicht auf willkürliche Entscheidung <strong>und</strong> Machtverhältnisse zurückgehen, sondern,<br />

wie vermittelt auch immer, als Ergebnis einer kooperativen Wahrheitssuche<br />

verstanden werden können. 36 Etwas polemisch könnte man sagen: die diskurstheoretisch<br />

begründete deliberative Demokratietheorie kommt zur Selbsterkenntnis<br />

der Vernunft im demokratischen Rechtsstaat.<br />

Das politische Alltagsgeschäft weist nun allerdings auf den ersten Blick wenig<br />

Ähnlichkeit mit einer kooperativen Wahrheitssuche auf. Praktisch-politische<br />

Auseinandersetzungen scheinen nahezu allen Bedingungen zu widersprechen, die<br />

einen Diskurs erst konstituieren. Sie sind nicht handlungsentlastet, sondern stehen<br />

unter Zeit- <strong>und</strong> Entscheidungsdruck. Die Teilnahme ist, solange es Staaten<br />

gibt, begrenzt. Die politische Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung ist nicht auf den<br />

Konsens einer idealen Gemeinschaft bezogen, sondern geht aus von den partikularen<br />

Interessen <strong>und</strong> Perspektiven spezifischer Teilnehmer, die sich in aller Regel<br />

schwer tun, zwischen verschiedenen Stufen der Verallgemeinerungsfähigkeit von<br />

Geltungsansprüchen zu unterscheiden <strong>und</strong> dazu noch notorisch die Grenzen zwischen<br />

strategisch kalkulierter Akzeptanz <strong>und</strong> rationaler Zustimmung verwischen.<br />

37 Als politische Theorie scheint die Diskurstheorie damit heillos realitätsfern<br />

zu sein. Die Demokratie ist zwar, wie Höffe mit Durkheim feststellt, die<br />

„Herrschaftsform der Reflexion“, weil sie beständige Kommunikation impliziert,<br />

sie ist aber nicht eine Staatsform des handlungsentlasteten, wahrheitsfähigen<br />

Diskurses. 38<br />

Habermas begegnet dieser Kritik zunächst durch eine Präzisierung <strong>und</strong> Abschwächung<br />

des Wahrheitsanspruches praktischer Diskurse. Gegen die aristoteli-<br />

35<br />

36<br />

37<br />

38<br />

In einem Gespräch zur „Theorie des kommunikativen Handelns“ nennt Habermas 1985 als<br />

nächsten Schritt die Aufgabe, den Begriff kommunikativer Rationalität anwendbar zu machen<br />

<strong>und</strong> ihn auf institutionalisierte Interaktionszusammenhänge zu beziehen (vgl. Habermas<br />

1985: 173). Seine Theorie des demokratischen Rechtsstaates bildet die konsequente<br />

Umsetzung dieses Vorhabens.<br />

Dazu etwa Habermas 1973: 139 <strong>und</strong> Habermas 1996a: 336.<br />

Für eine Zusammenfassung der kritischen Einwände gegen die Übertragung des Diskursmodells<br />

auf den politischen Alltag vgl. etwa Scheidt 1987: 398f <strong>und</strong> Willems 2003: 31f.<br />

Vgl. Höffe 1993: 44.


20<br />

sche Unterscheidung von „phronesis“, der praktischen Klugheit, <strong>und</strong> „episteme“,<br />

der auf das Allgemeine, Notwendige <strong>und</strong> Überzeitliche gerichteten Erkenntnis,<br />

stellt er den falliblen Erkenntnismodus der modernen Wissenschaften. Aufgr<strong>und</strong><br />

der aristotelischen Differenzierung sei die Entscheidung über Handlungsnormen<br />

keine Sache der Erkenntnis im strikten Sinne, sondern der praktischen Klugheit.<br />

Da es der modernen Wissenschaft aber gar nicht mehr um das Erkennen ewiger<br />

Wahrheiten ginge, sondern um jederzeit kritisierbare Erkenntnisansprüche, sei<br />

diese Unterscheidung anachronistisch geworden <strong>und</strong> im übrigen „nicht klar, wie<br />

man von diesem schwachen, nachmetaphysischen Wissen noch nennenswerte<br />

Abstriche machen könnte, ohne den kognitiven Kern selbst zu gefährden“ (Habermas<br />

1991: 121). So gesehen wird die moderne Wissenschaft durch ihren falliblen<br />

Erkenntnismodus nicht nur demokratiefähig, sondern kann in Gestalt eines<br />

an der Argumentationspraxis von Gelehrten gewonnenen Diskursideals selbst das<br />

Modell für die moderne deliberative Demokratie abgeben. 39<br />

Auch wenn wir die Demokratiefähigkeit eines derart reduzierten Wahrheitsanspruches<br />

akzeptierten, bliebe zwischen dem Legitimitätsprinzip des Diskurses<br />

<strong>und</strong> der politischen Wirklichkeit eine Kluft, die erst durch eine genauere Bestimmung<br />

der politischen Willensbildung <strong>und</strong> ihrer institutioneller Formen geschlossen<br />

werden müsste, um aus einer kognitivistischen Moraltheorie eine politische<br />

Theorie zu machen.<br />

Habermas stellt sich dieser Aufgabe mit seiner in den 90er Jahren entwickelten<br />

Diskurstheorie des Rechts <strong>und</strong> des demokratischen Rechtsstaates. Den Ausgangspunkt<br />

dazu bietet das oben schon erwähnte Eingeständnis, dass „eine unvermittelte<br />

Anwendung der Diskursethik oder eines ungeklärten Diskursbegriffs<br />

auf den demokratischen Prozeß ... zu Ungereimtheiten (führt)“ (Habermas 1992:<br />

196). 40 Habermas bezieht sich dabei auf einen Einwand von Kriele, nach dem die<br />

idealisierenden Voraussetzungen von Argumentation in der politischen Praxis<br />

nicht herstellbar sind. 41 Seine Lösungsstrategie besteht dann darin, zwischen<br />

Diskurs- <strong>und</strong> Moralprinzip so zu differenzieren, dass demokratische Politik auch<br />

39<br />

40<br />

41<br />

Vgl. dazu auch Habermas 1992: 31. Konsequenterweise versucht Dryzek dann auch kritischen<br />

Rationalismus <strong>und</strong> Diskurstheorie zusammenzuführen <strong>und</strong> die diskursive Demokratie<br />

als Verfahren rationaler Problemlösung im Sinne Poppers zu bestimmen (vgl. Dryzek<br />

1990).<br />

Ähnlich formuliert Habermas in den „Erläuterungen zur Diskursethik“: „Gewiß konzentriert<br />

sie (die Diskursethik, W. T.) sich mit einem eng gefasst Begriff der Moral auf Fragen der<br />

Gerechtigkeit. ... In dieser Hinsicht mag der Name der Diskursethik ein Missverständnis nahegelegt<br />

haben. Die Diskurstheorie bezieht sich in je anderer Weise auf moralische, ethische<br />

<strong>und</strong> pragmatische Fragen“ (Habermas 1991: 101).<br />

Vgl. Habermas 1992: 195.


21<br />

dort, wo es nicht um verallgemeinerungsfähige moralische Fragen geht, an das<br />

Diskursprinzip zurückgeb<strong>und</strong>en werden kann. Im Ergebnis wird das Diskursprinzip<br />

dabei so ausgeweitet, dass es nicht mehr als Legitimitätstests für gesellschaftliche<br />

Normen im Rahmen einer negativ bleibenden Kritischen Theorie fungiert,<br />

sondern stattdessen zum Baustoff einer affirmativen Rekonstruktion des demokratischen<br />

Rechtsstaates wird.<br />

5. Die verschiedenen Gestalten des Diskursprinzips in der politischen<br />

Willensbildung<br />

In seiner allgemeinen Formulierung bezieht Habermas das Diskursprinzip auf<br />

Handlungsnormen überhaupt. Es lautet dann:<br />

„D: Gültig sind genau die Handlungsnormen, denen alle möglicherweise<br />

Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen könnten“<br />

(Habermas 1992: 138).<br />

Ein solches, von Habermas „sparsam“ genanntes Diskursprinzip soll der Verzweigung<br />

von Handlungsnormen in moralische <strong>und</strong> juridische Regeln vorausgehen<br />

<strong>und</strong> lediglich den Sinn postkonventioneller Begründungsformen ausdrücken<br />

(vgl. ebd.). Wichtig ist dabei zunächst, dass der Formulierung eines allgemeinen<br />

Diskursprinzips, das sowohl auf moralische als auch auf die im demokratischen<br />

Prozess beschlossenen rechtsförmigen Handlungsnormen anwendbar ist, die bereits<br />

oben thematisierte Annahme entspricht, Moral <strong>und</strong> Recht, private <strong>und</strong> öffentliche<br />

Autonomie seien gleichursprünglich. Das in demokratischen Verfahren<br />

beschlossenen positive Recht soll also nicht wie in der Kantischen Rechtslehre<br />

der Moral untergeordnet werden. 42 In beiden Sorten von Handlungsnormen, den<br />

moralischen <strong>und</strong> den rechtlichen, soll der Autonomiebegriff eine jeweils spezifische<br />

Gestalt annehmen: als Moralprinzip <strong>und</strong> als Demokratieprinzip. Nach Habermas<br />

kann zwar eine Rechtsordnung nur legitim sein, wenn sie moralischen<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen nicht widerspricht. Dennoch wäre es falsch, die Moral dem Recht<br />

hierarchisch überzuordnen. Rechtsnormen liegen nicht auf derselben Abstraktionsebene<br />

wie Moralnormen, lassen sich aber auch nicht aus diesen ableiten. Autonome<br />

Moral <strong>und</strong> das auf Begründung angewiesene positive Recht stehen vielmehr<br />

in einem Ergänzungsverhältnis. Ins Recht finden „Ziele <strong>und</strong> Wertorientierungen,<br />

Bedürfnisse <strong>und</strong> Präferenzen Eingang, gegen die sich die Moral sperrt“<br />

42<br />

Vgl. Habermas 1992: 111f.


22<br />

(Habermas 1996a: 352). Wenn Recht nicht in Gerechtigkeit aufgehen kann, weil<br />

Rechtsfragen auch kollektive Ziele <strong>und</strong> Güter berühren sowie Fragen der Lebensform<br />

<strong>und</strong> Identität aufwerfen, entsteht ein über den moralischen Diskurs hinausreichender<br />

Begründungsbedarf.<br />

„Dann muß aber nicht nur geklärt werden, was gut ist für alle, sondern auch:<br />

wer die Beteiligten jeweils sind <strong>und</strong> wie sie leben möchten. Angesichts der<br />

Ziele, die sie im Lichte starker Wertungen wählen, stellt sich ihnen zudem<br />

die Frage, wie sie diese am besten erreichen können. Der Bereich der Gerechtigkeitsfragen<br />

erweitert sich also um Probleme der Selbstverständigung<br />

<strong>und</strong> der rationalen Mittelwahl – <strong>und</strong> natürlich um Probleme des Ausgleichs<br />

zwischen Interessen, die eine Verallgemeinerung nicht zulassen, sondern<br />

Kompromisse nötig machen“ (Habermas 1992: 192).<br />

Über diese Erweiterung hinaus verändert sich jedoch auch das Verhältnis von<br />

Kognition <strong>und</strong> Willensbildung. Da sich in der Rechtsetzung Momente der Verständigung<br />

mit solchen der Zielsetzung <strong>und</strong> Vereinbarung verschränken, „fällt in<br />

Prozessen der Rechtsetzung das volitive Moment der Entscheidung gegenüber<br />

dem kognitiven der Urteils- <strong>und</strong> Meinungsbildung ins Gewicht“ (Habermas<br />

1996a: 352).<br />

Zur Begründung von Handlungsnormen, die in Rechtsform auftreten, ist das<br />

allgemeine Diskursprinzip also zu einem Demokratieprinzip zu spezifizieren, in<br />

dem Handlungsnormen nicht allein aus moralischen, sondern auch aus ethischpolitischen<br />

<strong>und</strong> pragmatischen Gründen entschieden werden können. Mit der<br />

Unanwendbarkeit der Argumentationsregel des Universalisierungsgr<strong>und</strong>satzes<br />

fällt allerdings auch das strenge Rationalitätskriterium des moralischen Diskurses<br />

weg, so dass erst einmal zweifelhaft erscheint, ob Habermas für eine derartige<br />

politische Spezifizierung des Diskursprinzips zum Demokratieprinzip noch den<br />

ursprünglich aus dem moralischen Diskurs stammenden Rationalitätsanspruch<br />

aufrechterhalten kann, <strong>und</strong> wenn ja, welche Konsequenzen dann aus einem solchen<br />

Anspruch für die politische Repräsentation verschiedener Interessen <strong>und</strong><br />

Deutungsperspektiven folgen.<br />

Habermas unterscheidet den Gebrauch praktischer Vernunft zur demokratischen<br />

Bestimmung von Handlungsnormen nach den Aspekten des Zweckmäßigen,<br />

des Guten <strong>und</strong> des Gerechten. Dem entsprechen pragmatische, ethischpolitische<br />

<strong>und</strong> moralische Diskurse, die sich insbesondere in der jeweiligen


23<br />

Konstellation von Vernunft <strong>und</strong> Wille unterscheiden sollen. 43<br />

In pragmatischen Diskursen geht es um praktische Probleme, die Habermas<br />

im Sinne der Weberschen Zweckrationalität bestimmt. Sie ergeben sich aus der<br />

Perspektive eines Handelnden, der für die Realisierung gegebener Zwecke zwischen<br />

verschiedenen Mitteln rational auswählen oder auf der Gr<strong>und</strong>lage feststehender<br />

Werten verschiedene Ziele gegeneinander abwägen muss. Die angestellten<br />

Überlegungen richten sich also auf geeignete Techniken, Strategien oder Programme.<br />

Entsprechend geben in pragmatischen Diskursen „Argumente den Ausschlag,<br />

die empirisches Wissen auf gegebene Präferenzen <strong>und</strong> gesetzte Zwecke<br />

beziehen <strong>und</strong> die Folgen alternativer Entscheidungen nach zugr<strong>und</strong>egelegten<br />

Maximen beurteilen“ (Habermas 1992: 198).<br />

Sofern die zugr<strong>und</strong>eliegenden Werte problematisch werden, können Interessenkonflikte<br />

auch Fragen des kollektiven Selbstverständnisses aufwerfen, die<br />

über den Horizont der Zweckrationalität hinausweisen. Damit betreten wir das<br />

Feld ethisch-politischer Diskurse, in denen es, in der Formulierung von Habermas,<br />

nicht um Fragen der Gerechtigkeit, sondern „um klinische Fragen des guten<br />

Lebens“ geht (Habermas 1991: 103).<br />

„Ethisch-politische Fragen stellen sich aus der Perspektive von Angehörigen,<br />

die sich in lebensweltlichen Fragen darüber klar werden wollen, welche<br />

Lebensform sie teilen, auf welche Ideale hin sie ihr gemeinsames Leben<br />

entwerfen sollten“ (Habermas 1992: 198).<br />

„Klinisch“ nennt Habermas, der eine Schwäche für medizinische Metaphern hat,<br />

diese Fragen <strong>und</strong> die ihnen entsprechenden Diskurse, weil sie sich auf die Rekonstruktion<br />

bewusst gemachter <strong>und</strong> zugleich kritisch angeeigneter Lebensformen<br />

stützen. 44 In ihnen spielen hermeneutische Argumente, die das Selbstverständnis<br />

einer Gemeinschaft auslegen, eine entscheidende Rolle. Diese Argumente<br />

führen zu evaluativen Urteilen über etwas, das aus der Bewertungsperspektive<br />

einer Bezugsgruppe mehr oder weniger gut oder schlecht ist. 45 Die Ergebnisse<br />

von ethisch-politischen Diskursen richten sich an „die Entschlusskraft<br />

43<br />

Vgl. dazu insbesondere Habermas 1991: 100-118 <strong>und</strong> Habermas 1992: 195-207. In einer der<br />

für ihn typischen Selbstkorrekturen kritisiert Habermas den von ihm in „Faktizität <strong>und</strong> Geltung“<br />

unternommenen Versuch, die verschiedenen Arten von Diskursen durch Zuordnung<br />

konkreter Fragen zu exemplifizieren <strong>und</strong> betont, dass es sich hier nur um eine analytische<br />

Trennung handeln kann, da politische Fragen aufgr<strong>und</strong> ihrer Komplexität gleichzeitig unter<br />

pragmatischen, ethischen <strong>und</strong> moralischen Gesichtspunkten behandelt werden müssen (vgl.<br />

dazu Habermas 1994: 667).<br />

44 Vgl. dazu Habermas 1992: 125, 199, 201; 1991: 103.<br />

45<br />

Vgl. dazu Habermas 1991: 168.


24<br />

eines Kollektivs, das sich einer authentischen Lebensweise vergewissern will“<br />

(Habermas 1992: 201). Es sind also Selbstverständigungsdiskurse, die auf Wertorientierungen<br />

einer partikularen Gemeinschaft zurückgreifen, um die Frage<br />

„was wir eigentlich wollen“ (ebd.: 199) zu beantworten. Deshalb sollen sich in<br />

ethischen Diskursen Vernunft <strong>und</strong> Willen gegenseitig bestimmen (ebd.: 202;<br />

1991: 112). Ethisch politische Diskurse werden aus technischen Gründen repräsentativ<br />

geführt, müssen aber „durchlässig, sensibel <strong>und</strong> aufnahmefähig bleiben“<br />

für eine basisnahe, pluralistische Öffentlichkeit (Habermas 1992: 224). Als Beispiele<br />

dieses Diskurstyps nennt Habermas ökologische Fragen, Fragen der Immigrationspolitik,<br />

des Minderheitenschutzes <strong>und</strong> allgemein der politischen Kultur<br />

(Habermas 1992: 204). Eine Abkoppelung vom Verallgemeinerungsgr<strong>und</strong>satz<br />

des Moralprinzip findet in ethisch-politischen Diskursen allerdings nicht statt,<br />

denn ihre Ergebnisse „müssen mit moralischen Gr<strong>und</strong>sätzen wenigstens kompatibel<br />

sein“ (Habermas 1992: 206).<br />

Der moralisch-praktische Diskurs erfordert demgegenüber die Distanzierung<br />

von kollektiven Identitäten sowie kontingent bestehenden normativen Kontexten<br />

<strong>und</strong> das Heraustreten aus jeder partikularen Sittlichkeit. Er bezieht sich auf<br />

Handlungsnormen, die allein unter dem Gesichtspunkt gleichmäßiger Interessenberücksichtigung<br />

gerechtfertigt werden können. In ihm tritt der teleologische<br />

ganz hinter dem normativen Gesichtspunkt zurück. Argumente in moralischen<br />

Diskursen prüfen, ob die in Gerechtigkeitsnormen verkörperten Interessen<br />

„schlechthin verallgemeinerungsfähig“ sind (Habermas 1992: 200). Es gilt hier<br />

der oben bereits erwähnte Universalisierungsgr<strong>und</strong>satz, der von einer Norm erfordert,<br />

„dass die voraussichtlichen Folgen <strong>und</strong> Nebenwirkungen, die sich aus<br />

ihrer allgemeinen Befolgung für die Befriedigung der Interessen eines jeden voraussichtlich<br />

ergeben, von allen Betroffenen zwanglos akzeptiert (<strong>und</strong> den Auswirkungen<br />

der bekannten alternativen Regelungsmöglichkeiten vorgezogen)<br />

werden können“ (Habermas 1991: 134). Teilnehmer eines moralischen Diskurses<br />

müssen also die partikulare Perspektive bestimmter Kollektive erweitern zugunsten<br />

der „umfassenden Perspektive einer entschränkten Kommunikationsgemeinschaft,<br />

deren Mitglieder sich alle in die Situation <strong>und</strong> das Weltverständnis eines<br />

jeden hineinversetzen“ (Habermas 1992: 200). Moralische Argumentationen setzen<br />

eine freie Verständigungspraxis voraus, in der „einzig die rational motivierende<br />

Kraft des besseren Arguments zum Zuge“ kommt (ebd.: 224). Von hier aus<br />

erklärt sich, weshalb moralische Begründungsdiskurse in der Regel advokatorisch<br />

durchgeführt werden. Als Beispiele für Gegenstände eines moralischen<br />

Diskurses nennt Habermas u.a. strafrechtliche Fragen oder Fragen der Sozialpoli-


25<br />

tik, der Steuerpolitik, der Organisation des Schul- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitssystems, soweit<br />

sie die Distribution des gesellschaftlichen Reichtums <strong>und</strong> die Lebens <strong>und</strong><br />

Überlebenschancen betreffen (ebd.: 204).<br />

Nun weiß auch Habermas, dass im demokratischen Prozess häufig keiner der<br />

drei Diskurstypen zum Zuge kommen kann. Dies ist immer dann der Fall, wenn<br />

sich „weder ein verallgemeinerbares Interesse oder der eindeutige Vorrang eines<br />

Wertes begründen (lässt)“ (Habermas 1992: 204). 46 Dann nämlich können Handlungskonflikte<br />

nicht durch Argumentation beigelegt werden. Statt ein rational<br />

motiviertes, auf Gründe gestütztes Einverständnis herzustellen, müssen die Beteiligten<br />

nun einen Kompromiss suchen, der für alle, allerdings aus unterschiedlichen<br />

Gründen, akzeptabel ist. Kompromisse bestimmen keine verallgemeinerungsfähigen<br />

Normen, sondern enthalten einen Ausgleich zwischen partikularen<br />

Interessen. 47 Während Habermas in früheren Schriften diesen Unterschied zwischen<br />

Kompromissen <strong>und</strong> rationalem Konsensus betont, will er in „Faktizität <strong>und</strong><br />

Geltung“ - unter Beibehaltung der gr<strong>und</strong>sätzlichen Differenz – den Kompromiss<br />

indirekt an das Diskursprinzip zurückbinden. Das Diskursprinzip soll nämlich in<br />

moralischen Entscheidungen über die Fairness der Verfahren, mit denen ein<br />

Kompromiss ausgehandelt wird, zum Zuge kommen. Ob derart „regulierte“, im<br />

Gegensatz zu „naturwüchsigen“ Verhandlungen 48 überzeugend an das Diskursprinzip<br />

zurückgeb<strong>und</strong>en werden können, hängt also von einer genaueren Bestimmung<br />

der Fairnessbedingung ab. Habermas Ausführungen dazu scheinen<br />

nicht ganz klar. Zunächst betont er, dass in Verhandlungen, anders als im Diskurs,<br />

soziale Machtverhältnisse nicht neutralisiert werden, die Parteien strategisch<br />

handeln <strong>und</strong> ihre Erfolgschancen nicht vom besseren Argument, sondern<br />

von überlegenen Ressourcen abhängen. Demgegenüber soll die Fairness von<br />

Verhandlungen über eine Regulierung durch Verfahren hergestellt werden.<br />

Zum einen zielen diese Verfahren darauf ab, die anders als im Diskurs nicht<br />

neutralisierbare Verhandlungsmacht der beteiligten Parteien zu „disziplinieren“.<br />

Hier geht es um eine gewissermaßen funktionale Bestimmung der Fairness von<br />

Verfahren, die so zu gestalten wären, dass sie „allen Interessenten gleiche Chancen<br />

der Teilnahme an den Verhandlungen sichern <strong>und</strong> während der Verhandlungen<br />

gleiche Chancen gegenseitiger Einflussnahme aufeinander einräumen“ (Habermas<br />

1992: 205f.). Durch diese Gleichheitsforderung scheint die anvisierte<br />

Regulierung auf der Verfahrensebene selbst die gr<strong>und</strong>sätzliche Differenz zwi-<br />

46<br />

47<br />

48<br />

Dann sind nicht nur moralische <strong>und</strong> ethisch politische, sondern auch pragmatische Diskurse<br />

hinfällig, da letztere ja einen Wertkonsens voraussetzen.<br />

Vgl. dazu Habermas 1986: 173 <strong>und</strong> 1992: 204f.<br />

Vgl. dazu Habermas 1992: 204ff.


26<br />

schen Argumentieren <strong>und</strong> Verhandeln einzuebnen. Wie es jedoch möglich sein<br />

sollte, durch Verhandlungsprozeduren „gleiche Chancen der gegenseitigen Einflussnahme“<br />

zu sichern, wenn nicht allein der „zwanglose Zwang“ des besseren<br />

Arguments, sondern die ungeachtet der Verhandlungsformen vorhandenen unterschiedlichen<br />

Machtressourcen der Parteien das Ergebnis entscheiden, bleibt rätselhaft.<br />

Im machtgestützten Aushandeln von Kompromissen sind Verfahren eher<br />

zivilisierende Umgangsformen als Fairness sichernde Normen.<br />

Zum zweiten bindet Habermas die Verfahren der Kompromissbildung auf der<br />

Metaebene ihrer Legitimation direkt an das Diskursprinzip zurück, indem er fordert,<br />

die Verfahrensbedingungen müssten in moralischen Diskursen gerechtfertigt<br />

werden. 49 Das ist leicht gesagt. Der Sprung auf die Metaebene scheint mir im<br />

Zusammenhang von Verhandlungen aber besonders problematisch, da es hier ja<br />

in der Definition von Habermas selbst um Probleme oder Konflikte geht, zu denen<br />

sich die Verallgemeinerbarkeit eines Interesses oder der Vorrang eines Wertes<br />

nicht vernünftig begründen lässt. Die Annahme, eine durch Vernunftgründe<br />

motivierte Verständigung sei allein dadurch möglich, dass die Ebene des substantiellen<br />

Konfliktes verlassen <strong>und</strong> auf einer Metaebene über Verfahrensregeln entschieden<br />

wird, halte ich weder für empirisch wahrscheinlich, noch argumentativ<br />

überzeugend. Viel eher ist doch zu erwarten, dass auch die Metaebene der Verfahrensregelung<br />

nicht vollständig von der unterschiedlichen Verhandlungsmacht<br />

der Parteien frei gehalten werden kann.<br />

6. Das volitive Moment der Rechtsetzung<br />

Durch die skizzierte Differenzierung von Diskurstypen <strong>und</strong> die zusätzliche Einbeziehung<br />

von Verhandlungen kann Habermas seine Theorie der Wirklichkeit<br />

politischer Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung annähern <strong>und</strong> dem oben zitierten<br />

Vorwurf, den Gegenstandsbereich des Politischen zu verfehlen, aufs erste den<br />

Wind aus den Segeln nehmen. Bei genauerer Betrachtung weist seine Differenzierung<br />

zwei analytisch zu trennende Aspekte auf, von denen allenfalls der erste<br />

einigermaßen plausibel scheint, der zweite aber direkt ins Zentrum der Problematik<br />

einer diskurstheoretischen Begründung der Demokratie führt.<br />

Habermas unterscheidet Diskurstypen <strong>und</strong> Verhandlung ausgehend von der<br />

Art der regelungsbedürftigen Materie <strong>und</strong> den ihr jeweils angemessenen Argumenten.<br />

Daraus folgt erstens eine unterschiedliche Größe des Kreises der Betroffenen,<br />

bzw. des erforderlichen Verallgemeinerungsgrades der Ergebnisse. In der<br />

49<br />

Vgl. ebd.


27<br />

Tendenz weitet sich der Kreis der Betroffenen, deren zwanglose Zustimmung<br />

erforderlich ist, von den Verhandlungen über pragmatische <strong>und</strong> ethisch- politische<br />

Diskurse bis zum Universalisierungsgr<strong>und</strong>satz des vollständig dekontextualisierten<br />

moralischen Diskurses immer mehr. Für weite Bereiche der politischen<br />

Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung verlangt das Diskursprinzip demnach nicht eine<br />

Anwendung des Universalisierungsgr<strong>und</strong>satzes, sondern lediglich einen Verallgemeinerungstest<br />

in den vom jeweiligen Diskurstyp <strong>und</strong> seinem Betroffenenkreis<br />

gezogenen Grenzen. Allerdings wird dieser, gewissermaßen politisierende Gewinn<br />

der gesamten Operation sofort wieder relativiert, indem Habermas fordert,<br />

die Ergebnisse ethisch-politischer Diskurse müssten mit moralischen Gr<strong>und</strong>sätzen<br />

kompatibel sein <strong>und</strong> die Verfahren von Verhandlungen durch moralische<br />

Diskurse gerechtfertigt werden. 50 Die Rationalität der verschiedenen politisch<br />

relevanten Diskursarten bleibt damit ebenso wie die von Verhandlungen rückgeb<strong>und</strong>en<br />

an die Rationalität moralischer Diskurse. Erinnern wir uns an das eigentliche<br />

Vorhaben von Habermas, nämlich ausgehend von der Formulierung eines<br />

allgemeinen Diskursprinzips zu zeigen, dass positives Recht <strong>und</strong> Moral gleich<br />

ursprünglich sind <strong>und</strong> „das Demokratieprinzip eigene, vom Moralprinzip unabhängige<br />

Wurzeln hat“ (Habermas 1994: 664), so stellt sich die Frage, ob dieses<br />

Vorhaben nicht bereits hier gescheitert ist <strong>und</strong> es doch dabei bleibt, die Moral<br />

dem rechtsetzenden demokratischen Prozess vorzuordnen. Denn es ist doch weiter<br />

so, „dass der moralische Diskurs den Fluchtpunkt bildet, vor dessen Hintergr<strong>und</strong><br />

sich die rationale Bonität von Handlungsnormen überhaupt <strong>und</strong> damit auch<br />

rechtlicher Normen beurteilen lässt“ (Blanke 1994: 453).<br />

Zweitens soll in Prozessen der Rechtsetzung, da sich hier ja die Entscheidung<br />

über Normen für kollektive Zwecksetzungen öffnet, das „volitive Element der<br />

Entscheidung gegenüber dem kognitiven der Urteils- <strong>und</strong> Meinungsbildung“<br />

stärker ins Gewicht fallen als im moralischen Diskurs (Habermas 1996a: 352).<br />

Dies gelte umso mehr,<br />

a) je kontextabhängiger die nicht-moralischen Gründe sind <strong>und</strong> je größer die<br />

„Kontingenz der Lebensform, der Ziele <strong>und</strong> Interessenlagen, die vorgängig die<br />

Identität des sich selbst bestimmenden Willens festlegen“ (Habermas 1992: 195)<br />

<strong>und</strong><br />

b) je stärker „eine Gesellschaft die Verfolgung kollektiver Ziele im Staat konzentriert“<br />

(ebd.: 189).<br />

Den zweiten Punkt, der das Verhältnis von Staat <strong>und</strong> Gesellschaft bzw. von<br />

Politik <strong>und</strong> Ökonomie berührt, möchte ich hier zurückstellen. Festzuhalten bleibt<br />

50<br />

Vgl. dazu Habermas 1992: 206.


28<br />

aber schon hier, dass nach dieser Bestimmung das Ausmaß politischer Regulierung<br />

abhängt vom Ausmaß einer nicht moralisch begründeten Normierung der<br />

Gesellschaft durch das Recht, bzw. umgekehrt, die moralische Normierung die<br />

Möglichkeiten der politischen Gestaltung einschränkt.<br />

Der für die Frage der Rationalität politischer Willensbildung entscheidende<br />

Punkt a) scheint auf den ersten Blick einen Raum der Dezision zu eröffnen. Eine<br />

vordergründige Lesart der Formulierungen von Habermas könnte jedenfalls das<br />

größere Gewicht des volitiven gegenüber dem kognitiven Element oder, wie es<br />

an anderer Stelle heißt, des Moments der Entscheidung gegenüber dem der Urteils-<br />

<strong>und</strong> Willensbildung 51 , so verstehen. Für eine solche Interpretation ließe<br />

sich zudem die Verwendung des Kontingenzbegriffes in Feld führen. Habermas<br />

wäre damit aber missverstanden. Mit dem Kontingenzbegriff bezeichnet er lediglich<br />

die Unmöglichkeit, kontextspezifische Fragen durch Anwendung des Universalisierungsprinzips<br />

der Moral zu entscheiden, nicht die Optionen eines handelnden<br />

Subjektes. Moralische Gründe haben für Rechtsfragen keine hinreichende<br />

Selektivität <strong>und</strong> müssen sich deshalb mit weiteren, kontextabhängigen Gründen<br />

verbinden. 52 Mit der aus ihrer Kontextabhängigkeit folgenden Relativität<br />

nicht-moralischer Gründe, <strong>und</strong> keineswegs mit Handlungsoptionen, erklärt Habermas<br />

auch das stärkere Gewicht des „volitiven Moments“ in der politischen<br />

Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung. 53 Dies ermöglicht es ihm daran festzuhalten,<br />

dass im gegebenen Kontext die Beteiligten die Gründe rational beurteilen <strong>und</strong> ein<br />

Einverständnis über ihre Geltung herstellen können, Gründe also keineswegs ins<br />

Belieben oder auch nur in die jeweilige Perspektive der beteiligten Gruppen oder<br />

Individuen gestellt sind. Im jeweiligen Kontext bleibt die Selbstbestimmungspraxis<br />

der Bürger durch das Diskursprinzip ein kognitiver Vorgang.<br />

Ungeachtet der Rede von einem „volitiven Moment“ bleibt ein Handlungsspielraum<br />

von Subjekten, die Möglichkeit sich so oder auch anders zu entscheiden,<br />

ausgeschlossen. Es prozessiert auch hier im zwanglosen Zwang des besseren<br />

Arguments die Vernunft, die lediglich mehr oder weniger kontextgeb<strong>und</strong>en, bzw.<br />

umgekehrt, mehr oder weniger universalisierbar ist. Damit verschwindet aus der<br />

Demokratietheorie nicht nur das kollektive Selbst der Selbstregierung, bzw. das<br />

„Volk als ein handlungsfähiges Makrosubjekt“ (Habermas 1996: 161), sondern<br />

jedes handlungsfähige Subjekt überhaupt. Die Ausdifferenzierung des Diskurs-<br />

51<br />

52<br />

53<br />

Vgl. Habermas 1996a: 352.<br />

„Während der moralisch gute Wille in praktischer Vernunft gleichsam aufgeht, behält auch<br />

der vernünftig begründete politische Wille Kontingenz in dem Maße, wie die Gründe selbst<br />

nur relativ auf zufällige Kontexte gelten“ (Habermas 1992: 195).<br />

Vgl. ebd.


29<br />

begriffes <strong>und</strong> die Rede von „Kontingenz“ <strong>und</strong> „volitiven Momenten“ bei Habermas<br />

darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ihm auch in pragmatischen <strong>und</strong><br />

ethisch-politischen Diskursen um „subjektlose Kommunikationen“, um eine „höherstufige<br />

Intersubjektivität“ 54 ohne handelnde Subjekte geht. William Rehg, ein<br />

Habermas gewiss wohlgesonnener Autor, fragt bezogen auf die subjektlosen<br />

Verfahren diskursiver Willensbildung, wie denn sicherzustellen sei, dass hier<br />

nicht die Individuen außer Sicht gerieten zugunsten einer „huge procedural machine<br />

cranking presumably correct results independently of human subjects“<br />

(Rehg 1994: 237). Im Gr<strong>und</strong>e wird hier Freiheit eliminiert, wenn wir sie mit A-<br />

rendt in der Möglichkeit von Personen sehen, einen Prozess durch ihr spontanes<br />

Handeln zu unterbrechen <strong>und</strong> damit einen Neuanfang zu setzen.<br />

Habermas hält trotz aller Differenzierung <strong>und</strong> Komplexitätssteigerung, die<br />

seine Theorie kommunikativer Rationalität in „Faktizität <strong>und</strong> Geltung“ erfährt,<br />

an der Wahrheitsfähigkeit nicht nur der moralischen Diskurse, sondern auch der<br />

rechtsetzenden demokratischen Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung fest. Er gesteht in<br />

einer Auseinandersetzung mit McCarthy 55 zwar zu, dass wir anders als bei empirischen<br />

Aussagen über die objektive Welt „in Ansehung der normativen Regelung<br />

von Interaktionen (vielleicht) nicht a priori mit der Geltung des Bivalenzprinzips<br />

rechnen (sollten)“ (Habermas 1996a: 336). Dennoch kommt er zum<br />

Schluss, wir dürften die Prämisse der „einen richtigen Antwort“ nicht fallen lassen<br />

„wenn nicht der demokratische Prozess zugleich mit der ihm innewohnenden<br />

Verfahrensrationalität auch seine legitimierende Kraft verlieren sollte“ (Habermas<br />

1996a: 336). Zwar wird der öffentliche Diskurs in aller Regel durch Mehrheitsentscheidungen<br />

beendet, eine Tatsache, die auch Habermas nicht bestreiten<br />

kann. Sie wird jedoch zu einer lediglich akzidentellen <strong>und</strong> vorläufigen Unterbrechung<br />

des prinzipiell unendlichen Argumentationsprozesses umdefiniert, der ü-<br />

ber die Gültigkeit des Bivalenzprinzips eine interne Beziehung zur Wahrheitssuche<br />

behalten soll. 56<br />

54<br />

55<br />

56<br />

Zu diesen Begriffen vgl. Habermas 1992: 362.<br />

McCarthy bezweifelt die von Habermas unterstellte Parallelität zwischen normativen <strong>und</strong><br />

propositionalen Geltungsansprüchen <strong>und</strong> versucht zu zeigen, dass die Argumente, die wir in<br />

Auseinandersetzungen zu normativen Fragen anführen können, im Gegensatz zu denen im<br />

theoretischen Diskurs stets von spezifischen kulturellen Kontexten abhängen, aus denen sie<br />

erst ihre Überzeugungskraft beziehen. Aufgr<strong>und</strong> dessen weist er die strikte Trennung zwischen<br />

Fragen der Gerechtigkeit <strong>und</strong> des „guten Lebens“ zurück <strong>und</strong> bezweifelt, dass Habermas’<br />

rationaler Konsens ein angemessenes normatives Ideal für demokratische Politik<br />

abgeben kann (Vgl. McCarthy 1994).<br />

Zur Mehrheitsregel als Unterbrechung des Argumentationsprozesses vgl. Habermas 1996a:<br />

326.


30<br />

7. Die unaufhebbare Vielfalt der Gründe<br />

Die obige, im Streit mit McCarthy eingenommene Position hat zweifellos etwas<br />

vom sprichwörtlichen „dass nicht sein kann, was nicht sein darf“. 57 Zudem ist sie<br />

hochgradig kontraintuitiv. Die Legitimität demokratischer Entscheidungen an der<br />

Annahme festzumachen, es sei genau eine richtige Lösung der diskutierten Probleme<br />

möglich, mag aus der Perspektive des Theoretikers, der das Spannungsverhältnis<br />

zwischen individueller Autonomie <strong>und</strong> kollektiver Selbstregierung durch<br />

seinen Begriff kommunikativer Rationalität auflösen will, zwingend erscheinen.<br />

Für die Teilnehmer am demokratischen Prozess gilt jedoch das Gegenteil: Sie<br />

müssen rechtmäßig zustande gekommene Entscheidungen, sei es in inhaltlichen<br />

oder in prozeduralen Fragen, als legitim akzeptieren, auch wenn sie sie für falsch<br />

halten. Habermas Prämisse der „einen richtigen Antwort“ auf die im demokratischen<br />

Prozess zu entscheidenden Fragen erinnert an Rousseaus Aussage, wonach<br />

es nur einen Gemeinwillen geben kann <strong>und</strong> derjenige, der in Mehrheitsentscheidungen<br />

überstimmt werde, sich eben geirrt habe, da es nicht der Gemeinwille<br />

war, was er dafür gehalten hat. 58 Wir werden weiter unten noch sehen, dass diese<br />

Parallelität keineswegs zufällig ist, sondern ihre Ursache in der, bei allen Unterschieden,<br />

von Rousseau wie von Habermas vorgenommenen Rückführung der<br />

57<br />

58<br />

Ausführlich setzt sich Habermas mit der Gültigkeit des Bivalenzprinzips für Fragen der<br />

normativen Richtigkeit in seinem Aufsatz „Richtigkeit vs. Wahrheit“ auseinander. Dabei<br />

geht es ihm genauer darum, den rechtfertigungstranszendenten Weltbezug, mit dem wir<br />

Fragen deskriptiver Wahrheit jenseits des Diskurses entscheiden können, durch die „Orientierung<br />

an einer Erweiterung der Grenzen der sozialen Gemeinschaft <strong>und</strong> ihres Wertekonsenses“<br />

zu ersetzen (Habermas 1998a: 195). Das Bivalenzprinzip, die Orientierung auf eine<br />

einzig richtige Antwort, ist also demnach auch in moralischen Fragen möglich, sofern wir<br />

unterstellen, „dass sich die gültige Moral auf eine einzige, alle Ansprüche <strong>und</strong> Personen<br />

gleichmäßig einbeziehende soziale Welt erstreckt“ (ebd.: 197). Diese soziale Welt, an der<br />

sich die Richtigkeit von Normen zu bewähren hat, sei allerdings nicht gegeben, sondern uns<br />

als Projekt einer „vollständig inklusiven Welt“ „aufgegeben“ (ebd.). Demnach ist der kognitive<br />

Charakter der Moral an das geschichtsphilosophische Projekt der Herstellung einer<br />

„vollständig inklusiven Welt“ geb<strong>und</strong>en, das bekanntlich seinerseits alles andere als konsensfähig<br />

ist. Zwei Aspekte dieser Verteidigung des Bivalenzprinzips scheinen mir bemerkenswert.<br />

Zum einen verlangt Habermas damit von partikularen Gemeinschaften, die Perspektive<br />

ihrer Selbstauflösung zum letzten Bezugspunkt der Entscheidungen über ihre Normen<br />

zu machen. Zum zweiten kann der Standpunkt einer vollständig inklusiven Welt, von<br />

dem aus kontroverse Argumente zu prüfen sind, real von keinem Bewusstsein <strong>und</strong> keiner<br />

Prozedur eingenommen werden. Es ist ziemlich genau der Standpunkt des „lieben Gottes“.<br />

Vgl. dazu Rousseau 1997: 172. Eine auf die “Federalist Papers” zurückgehende Gegenposition<br />

im Verständnis des Politischen formuliert Ruth Grant: „The premise of every truly political<br />

situation, particularly in democratic politics, is that reasonable people can disagree“<br />

(Grant 2002: 582). Dies ist auch die Position von Hannah Arendt. Im Gegensatz zum Bivalenzprinzip<br />

des wahrheitsfähigen Diskurses bei Habermas formuliert sie „Public debate can<br />

only deal with things which we cannot figure out with certainty“ (Arendt 1979: 317).


31<br />

Demokratie auf ein durch Vernunft bestimmtes Autonomieprinzip hat.<br />

Die Verteidigung der Habermaschen Position hängt an der Unterstellung, es<br />

gäbe innerhalb der jeweiligen Diskursart Gründe, die von allen Beteiligten über<br />

den „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ zu akzeptieren wären. Genau<br />

dies lässt sich jedoch plausibel bezweifeln. Krause/Malowitz weisen darauf hin,<br />

dass der Status eines Gr<strong>und</strong>es nicht mit Hilfe einfacher Prädikate wie „ist gleichermaßen<br />

gut für alle“, „ist fair“ etc. erklärt werden kann. Gründe stünden nicht<br />

für sich selbst, „sondern verdanken ihre begründende Funktion vielmehr ihrer<br />

Stelle innerhalb einer umfassenden Argumentation“ (Krause/Malowitz 1999:<br />

293). Wir müssen also die Argumentationsspiele kennen, innerhalb der Gründe<br />

ihre begründende Funktion wahrnehmen, was wiederum impliziert, dass wir<br />

Gründe nicht von Sprachspielen, Lebensformen <strong>und</strong> Identitäten trennen können.<br />

Die Beteiligten eines Diskurses stehen innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft<br />

vor dem Problem, in welchem Vokabular bzw. in welchen Argumentationszusammenhängen<br />

sie ein Einverständnis überhaupt anstreben können. 59 Ähnlich<br />

argumentiert Frank Nullmeier, wenn er auf die unendliche Vielzahl potentieller<br />

Gründe verweist, <strong>und</strong> ausführt, dass sie ihren Status <strong>und</strong> ihre Geltungskraft<br />

als Gründe nicht per se, sondern nur kontextgeb<strong>und</strong>en, im Rahmen eines kulturellen<br />

Hintergr<strong>und</strong>wissens oder der Sondersprachen von Experten, erlangen. Von<br />

hier aus bezweifelt er die Annahme, gute Gründe besäßen die Fähigkeit, Zustimmung<br />

zu erzwingen. Können sie dies nicht, lässt sich in einer pluralistischen<br />

Gesellschaft aber auch unter den politisch ohnehin nicht zu realisierenden Bedingungen<br />

eines idealen Diskurses mit uneingeschränkten Zeitressourcen die Vielfalt<br />

widerstreitender Geltungsansprüche nicht überwinden.<br />

„In der Vielfalt der mobilisierbaren Gründe findet sich kein Moment, das<br />

jenseits des logischen noch einen solchen argumentativen Zwang ausübt,<br />

dass eine eindeutige Geltungszuschreibung auch unter sonst idealen Bedingungen<br />

möglich wäre“ (Nullmeier 1995: 105). 60<br />

Mit dem Geltungszwang qua besserem Argument entfällt dann aber auch die<br />

59<br />

60<br />

Dies scheint mir die allgemeinere Formulierung eines häufig gegen Habermas vorgetragenen<br />

Einwandes zu sein, mit dem auf die Unmöglichkeit verwiesen wird, kontexttranszendierende<br />

moralische Diskurse analytisch klar von kulturell geb<strong>und</strong>enen ethischen Diskursen zu<br />

unterscheiden. In diesem Sinn vgl. etwa McCarthy 1994.<br />

Dieser Einwand lässt sich gr<strong>und</strong>sätzlicher in Begriffen der poststrukturalistischen Sprachphilosophie<br />

formulieren (vgl. etwa Mouffe 1997). Da es hier jedoch nicht um den philosophischen<br />

Streit zwischen Habermas einerseits <strong>und</strong> poststrukturalistischen Autoren andererseits<br />

geht, reicht m.E. an dieser Stelle der Hinweis auf die unaufhebbare empirische Vielfalt<br />

widerstreitender Gründe.


32<br />

Möglichkeit zur rationalen, mit dem Autonomieprinzip zu vereinbarenden Legitimation<br />

politischer Entscheidungen durch Diskurse. Die Vorstellung einer rein<br />

kommunikativen, durch rationale Zustimmung erzeugten Macht erweist sich als<br />

illusionär <strong>und</strong> für deliberative Demokratiekonzeptionen taucht die Frage nach der<br />

Macht hinter den Argumenten erneut auf.<br />

8. Die Verfehlung des Politischen im Autonomieprinzip<br />

Der Leser, der sich durch Habermas’ Unterscheidung der verschiedenen Diskursarten<br />

<strong>und</strong> ihres komplexen Rückbezugs auf das Prinzip der rationalen Entscheidbarkeit<br />

von Geltungsansprüchen durcharbeitet, fragt sich früher oder später, warum<br />

er, bzw. auch der Autor, sich das antut. Es liegt auf der Hand, dass die e-<br />

normen Begründungsprobleme, mit denen Habermas sich in einer mittlerweile<br />

kaum mehr überschaubaren Literaturfülle herumschlägt, aus dem diskurstheoretischen<br />

Vernunftanspruch seiner Demokratiekonzeption entstehen. Warum folgt er<br />

dann aber nicht dem Beispiel eines anderen Protagonisten der deliberativen Demokratietheorie,<br />

Bernard Manin, der in Abgrenzung zur Konsensorientierung<br />

von Habermas feststellt, das bessere Argument sei einfach dasjenige, das mehr<br />

Unterstützung generiere, nicht dasjenige, das fähig sei, alle Teilnehmer zu überzeugen?<br />

61 Auch nach Manin soll der deliberative Prozess ein höheres Rationalitätsniveau<br />

sichern als es durch bloße Dezision oder durch die Aggregation von<br />

Präferenzen möglich wäre. Dennoch hält er explizit an einer irreduziblen Differenz<br />

zwischen politischer Deliberation <strong>und</strong> wissenschaftlicher Argumentation<br />

fest. In der politischen Sphäre erlaube es auch ein ideal gedachter Deliberationsprozess<br />

nicht, zu universell akzeptierten Wahrheiten oder zu einer unbestreitbaren<br />

Zurückweisung von Normen <strong>und</strong> Werten zu gelangen. Politische Rechtfertigungen<br />

blieben trotz der prozeduralen Regeln der Deliberation relativ <strong>und</strong> kontextbezogen.<br />

62<br />

Aufgr<strong>und</strong> der Reduktion des Allgemeinheitsanspruches bezieht das Ergebnis<br />

einer deliberativen Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung bei Manin den Status rationaler<br />

Akzeptabilität letztlich aus der größeren Zahl derjenigen, die in ihm die vergleichsweise<br />

bessere Alternative sehen. Damit bleibt am Ende der Beratungen<br />

der Abstimmungsprozess, <strong>und</strong> das heißt das Entscheidungshandeln der beteiligten<br />

Individuen, der Bezugspunkt demokratischer Legitimation. Für Habermas ist<br />

61<br />

62<br />

„Given the appropriate procedural rules for deliberation, the better argument is simply the<br />

one that generates more support and not the one that is able to convince all participants”<br />

(Manin 1987: 367).<br />

Vgl. Manin 1987: 354f.


33<br />

eine derartige partielle Zurücknahme des kognitiven Anspruches politischer Deliberation<br />

inakzeptabel, weil sie es unmöglich macht, weiter zu unterstellen, dass<br />

prinzipiell alle Beteiligten den Ergebnissen der diskursiven Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung<br />

durch den zwanglosen Zwang des besseren Arguments zustimmen<br />

könnten.<br />

Nehme ich den Ergebnissen der politischen Willensbildung den starken Vernunftanspruch,<br />

so öffne ich den politischen Raum für begründete Differenzen.<br />

Die am demokratischen Prozess Beteiligten können den vorgetragenen Argumenten<br />

dann aus jeweils unterschiedlichen Gründen zustimmen oder ihre Zustimmung<br />

auch verweigern. Wenn so oder auch anders entschieden werden kann, bietet<br />

die auch von Manin der Mehrheit zugesprochene Vernunftvermutung aber<br />

keinen tragfähigen letzten Legitimationsgr<strong>und</strong> des demokratischen Prozesses.<br />

Ohne Orientierung am Bivalenzprinzip ist Einheit im Bereich der Politik nicht<br />

kognitiv, aus der zwanglosen Zustimmung zur einzig vernünftigen Entscheidung<br />

herzustellen. Die deliberativen Verfahren mögen dann durchaus noch geeignet<br />

sein, die Qualität der politischen Willensbildung zu verbessern. Wenn das deliberative<br />

Verfahren der politischen Willensbildung jedoch kein „wahres“ Ergebnis<br />

hervorbringen kann, dann lässt es sich im strengen Sinn nicht als Verwirklichung<br />

öffentlicher Autonomie denken, weil ganz einfach die Gründe fehlen, die jedes<br />

vernunftbegabte Individuum zur „zwanglosen“ Zustimmung zwingen könnten.<br />

Die Bereitschaft, das Ergebnis einer praktisch erforderlichen Abstimmung zu<br />

akzeptieren, kann für die unterlegene Minderheit dann auch nicht aus dem kognitiven<br />

Charakter des deliberativen Verfahrens allein stammen. Wenn für die<br />

Mehrheitsregel die von Habermas immer wieder bemühte „interne Beziehung zur<br />

Wahrheitssuche“ 63 nicht plausibel reklamiert werden kann, stellt sich erneut die<br />

Frage nach einer der Deliberation vorausgehenden Gemeinsamkeit, die eine unterlegende<br />

Minderheit erst motivieren könnte, den Mehrheitsbeschluss zumindest<br />

bis auf weiteres zu akzeptieren. Genau das ist auch die Konsequenz eines Einwandes<br />

von William Rehg, der es allein schon aufgr<strong>und</strong> der zeitlichen Einschränkungen,<br />

denen rechtlich institutionalisierte Beratungen in der politischen<br />

Willensbildung unterliegen, für unmöglich hält, ihre legitimierende Kraft allein<br />

aus der kognitiven Quelle von Diskursen zu beziehen. Sie bedürfe vielmehr der<br />

Ergänzung durch vorgängiges Vertrauen <strong>und</strong> sittlicher Bindung der Beteiligten.<br />

Rehg will damit Solidarität als eine vom Diskurs unabhängige Quelle der Legi-<br />

63<br />

Vgl. etwa Habermas 1992: 220, 613.


34<br />

timität einführen <strong>und</strong> unterstreicht damit die Bedeutung von Zugehörigkeiten. 64<br />

Die aufs engste mit dem Autonomieanspruch verb<strong>und</strong>ene kognitive Bestimmung<br />

der Deliberation in der Theorie von Habermas drängt demnach drei Aspekte<br />

demokratischer Politik in den Hintergr<strong>und</strong>: erstens den Handlungsaspekt (<strong>und</strong><br />

zwar sowohl in bezug auf die Bürger als auch auf ihre parlamentarischen Repräsentanten)<br />

zugunsten einer prozeduralisierten, anonym <strong>und</strong> subjektlos gewordenen<br />

Volkssouveränität; zweitens den Aspekt des Urteilens <strong>und</strong> der Entscheidung<br />

zugunsten des kognitiven Charakters der verschiedenen Deliberationsprozesse,<br />

sowie schließlich drittens, in engstem Zusammenhang damit, den Aspekt der Zugehörigkeit<br />

zu einer partikularen Gemeinschaft durch die prinzipiell universalisierbare,<br />

gleiche Chance zur Teilnahme an problemorientierten Beratungen. Alle<br />

drei Aspekte sollen im Folgenden noch einmal vertieft werden.<br />

9. Differenz- versus Einheitsrepräsentation <strong>und</strong> die Möglichkeiten politischen<br />

Handelns<br />

Ernst Vollrath hat in einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit dem Werk<br />

von Jürgen Habermas immer wieder argumentiert, Habermas übertrage in der<br />

Tradition des deutschen Idealismus das Konzept der reflexionsmoralischen<br />

Selbstbestimmung ins Politische. Die im deutschen Staatsrecht dominierende<br />

Wahrnehmung des Staates unter der Kategorie der Herrschaft (<strong>und</strong> nicht des Regierens)<br />

werde in dieser meta- oder idealpolitischen „Apperzeption des Politischen“<br />

ersetzt durch das aus der Moralphilosophie stammende Konzept der absolut<br />

autonomen Selbstbestimmung. Die Dichotomie zwischen einer realpolitischen,<br />

staats- <strong>und</strong> herrschaftsbezogenen <strong>und</strong> einer ideal- oder metapolitischen<br />

Wahrnehmung des Politischen sei kennzeichnend für den deutschen Kulturraum.<br />

Schon für Kant bilde der Staat, unter dem Einfluss Rousseaus, in der „Idee“ der<br />

Vernunft die „Einheit der personalen Gleichheit als der Freiheit qua absoluter<br />

autonomer Selbstbestimmung aller“ (Vollrath 1995: 181). 65 An diesem Verständnis<br />

von Selbstbestimmung halte Habermas fest, „ohne je die Frage zu stellen,<br />

ob dieses Verständnis von Freiheit <strong>und</strong> Autonomie einen politischen Sinn<br />

haben kann“ (ebd.).<br />

Demgegenüber bezieht sich Vollrath auf die Anerkennung nicht nur einer unaufhebbaren<br />

Differentialität, sondern der Vernünftigkeit dieser Differentialität<br />

64<br />

65<br />

Vgl. dazu Rehg 1994. Habermas weist dies nicht sehr überzeugend zurück, indem er die<br />

solidaritätsstiftende Wirkung von ihrerseits wiederum kognitiv zu bestimmenden Verfahren<br />

einführt (vgl. Habermas 1996a: 349-353).<br />

Ähnlich auch Vollrath 1982, 1989 <strong>und</strong> 1996.


35<br />

durch die „Federalist Papers“. 66 Im Bereich des Politischen könne Selbstbestimmung<br />

nicht reflexiv, sondern nur transitiv verstanden werden. Es bedeute nicht,<br />

sich selbst zu bestimmen, sondern lediglich „Selbst zu bestimmen, durch wen<br />

<strong>und</strong> wie man regiert werden will (Self-Government)“ (Vollrath 1995: 183). Das<br />

politische Gegenkonzept zu der durch rationale Deliberation erstrebten reflexiven<br />

Autonomie ist demnach eine beschränkte Autonomie in der Verteilung wechselseitiger<br />

Heteronomie durch gegenseitige Kontrolle <strong>und</strong> Beschränkungen. 67<br />

Vollraths Rekurs auf einen reflexionsmoralischen Autonomiebegriff im Kern<br />

der diskurstheoretischen Demokratietheorie <strong>und</strong> sein Vergleich mit dem angelsächsischen<br />

Modell der beschränkten Selbstregierung werfen ein erhellendes<br />

Licht auf die bislang erörterten Probleme. Insbesondere lässt sich von hier aus<br />

verdeutlichen, wie durch die kognitive Bestimmung des Deliberationsprozesses<br />

„ein Vernunftmoment ins Spiel (kommt), das den Sinn der Repräsentation verändert“<br />

(Habermas 1992: 223). Wie sich zeigen lässt, verändert es ihn so, dass die<br />

Handlungspotentiale des Repräsentationsprinzips verloren gehen.<br />

Halten wir zunächst aber als Gemeinsamkeit zwischen der deliberativen Demokratietheorie<br />

Habermas` <strong>und</strong> der repräsentativen Demokratie im Sinn der USamerikanischen<br />

Gründungsväter das Ziel fest, eine demokratische Republik zu<br />

denken, ohne ein einheitliches Großsubjekt der Selbstregierung unterstellen zu<br />

müssen. Dabei geht es um ein genuin liberales Anliegen: Die Demokratie soll<br />

nicht mit der Subsumtion der Individuen unter das Kollektivsubjekt des einheitlichen<br />

Volkes oder der homogenen Nation erkauft werden. Während Hamilton <strong>und</strong><br />

Madison dabei einen alten Vorbehalt des politischen Denkens gegen die Demokratie<br />

aufgreifen <strong>und</strong> sich in elitär-konservativer Absicht vor einer drohenden<br />

Herrschaft der besitzlosen Massen schützen wollen, 68 möchte Habermas mit seiner<br />

Auflösung des Kollektivsubjektes der Selbstregierung die Voraussetzungen<br />

für den Nationalismus <strong>und</strong> die totalen Herrschaftsformen des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

beseitigen, zugleich jedoch an einem weitestgehenden Inklusions- <strong>und</strong> Partizipationsanspruch<br />

für den „Demos“ festhalten.<br />

Zu dieser Absicht passt, dass er Repräsentation keineswegs nach dem Stellvertretermodell<br />

deutet. Wie wir bereits gesehen haben, müssen nach Habermas<br />

moralische Diskurse in der Regel advokatorisch, <strong>und</strong> ethisch-politische aus technischen<br />

Gründen repräsentativ geführt werden. Dabei sollen sie jedoch lediglich<br />

den Mittelpunkt einer gesellschaftsweiten Kommunikation bilden <strong>und</strong> für die<br />

66<br />

67<br />

68<br />

Vgl. Vollrath 1989: 228.<br />

Vgl. Vollrath 1995: 184.<br />

Vgl. dazu Buchstein 1997.


36<br />

Teilnahme aller Angehörigen in einer breiteren pluralistischen, basisnahen <strong>und</strong><br />

„machtverdünnten“ Öffentlichkeit durchlässig bleiben. 69 Auf diese Weise glaubt<br />

Habermas, dem Repräsentationsprinzip einen neuen Sinn zu geben <strong>und</strong> die alte<br />

Debatte über die Problematik des Handelns im Namen anderer, das Machtgefälle<br />

zwischen Repräsentanten <strong>und</strong> Repräsentierten <strong>und</strong> insbesondere über das Verhältnis<br />

von Delegation <strong>und</strong> Treuhänderschaft („trustee“) im Repräsentationsprinzip<br />

vermeiden zu können. 70 An die Stelle der asymmetrischen Beziehung zwischen<br />

Repräsentanten <strong>und</strong> Repräsentierten <strong>und</strong> der für ihren Handlungsaspekt<br />

konstitutiven Momente von Beauftragung, Zurechenbarkeit <strong>und</strong> Verantwortung<br />

tritt der Vernunftanspruch der Deliberation. Während die amerikanischen Verfassungsväter<br />

den Gefahren der Einheitsverkörperung im Konzept der demokratischen<br />

Selbstregierung die Pluralisierung der Volkssouveränität in einem System<br />

der „checks and balances“ entgegenstellen, setzt Habermas auf deren Verflüssigung<br />

in der prozeduralisierten Vernunft des Diskurses. Damit scheint er den Gefahren<br />

der Einheitsverkörperung einer substantialistisch verstandenen Volkssouveränität<br />

entkommen <strong>und</strong> gleichzeitig an der umfassenden Inklusion <strong>und</strong> Partizipation<br />

der Bürger festhalten zu können.<br />

Die Problematik dieser Lösung wird jedoch deutlich, wenn wir noch einmal<br />

kurz auf das Repräsentationsprinzip des „Federalist“ zurückkommen. Die amerikanischen<br />

Verfassungsväter begegnen der Vorstellung einer organischen Totalität<br />

im Konzept demokratischer Selbstregierung durch die Anerkennung <strong>und</strong> Institutionalisierung<br />

unaufhebbarer Differenz. Wichtig ist, dass sie dabei nicht nur die<br />

empirische Pluralität der Interessen anerkannten, sondern darüber hinaus die<br />

Vernünftigkeit unaufhebbarer Meinungsverschiedenheiten. Einmütigkeit ist nach<br />

Madison nur von politisch gefährlichen, gemeinsamen Leidenschaften zu erwarten,<br />

der freie Gebrauch der Vernunft aber führe unweigerlich zu verschiedenen<br />

Meinungen. 71 Aus dieser Überlegung folgt eine gr<strong>und</strong>sätzliche Legitimierung des<br />

Konflikts <strong>und</strong> der politischen Opposition. Darüber hinaus bietet sie neben der<br />

Absicht, eine Despotie der Mehrheit zu verhindern eine weitere Begründung der<br />

Institutionalisierung der Gewaltenteilung bzw. des Systems von „checks and ba-<br />

69<br />

70<br />

71<br />

Vgl. dazu Habermas 1992: 223f.<br />

Für einen Überblick zur Diskussion um das Repräsentationsprinzip vgl. Hierath 2001.<br />

So heißt es im „Federalist“: „When men exercise their reason cooly and freely on a variety<br />

of distinct questions, they inevitably fall into different opinions on some of them. When<br />

they are governed by a common passion, their opinions, if they are so be called, will be the<br />

same” (Hamilton/Madison/Jay: No. 50, S. 334).


37<br />

lances“. Repräsentation ist hier also Differenzrepräsentation. 72<br />

Die partizipatorisch orientierte Kritik übersieht die handlungsrelevanten Konsequenzen<br />

einer solchen Bestimmung des Repräsentationsprinzips. Repräsentation<br />

gilt ihr vor allem als problematischer Ersatz für die unmittelbare Beteiligung<br />

der Bürger an politischen Entscheidungen. Da der Wille der Repräsentanten mit<br />

dem der Repräsentierten nicht notwendigerweise übereinstimmt, enthält die politische<br />

Repräsentation ein Element der Fremdbestimmung oder Heteronomie, das<br />

Rousseau vor Augen hat, wenn er polemisch formuliert, das englische Volk sei<br />

nur während der Wahl der Parlamentsmitglieder frei, „sobald sie gewählt sind, ist<br />

es Sklave, es ist nichts“ (Rousseau 1977: 158). Demgegenüber unterstreicht<br />

Vollrath, dass Repräsentation im Verhältnis von Beauftragung <strong>und</strong> Verantwortung<br />

ein zurechenbares, einheitliches Handeln Vieler erst ermögliche. In diesem<br />

Sinn schaffe Repräsentation Handlungssubjekte, konkret etwa Verbände, Parteien<br />

<strong>und</strong> Institutionen. 73 Die handlungsermöglichende Dimension des Repräsentationsprinzips<br />

erschließt sich in Gänze jedoch nur, wenn wir die von Rousseau<br />

eingenommene Perspektive auf das Verhältnis zwischen zwei Großakteuren, dem<br />

Volk <strong>und</strong> dem Parlament, verlassen <strong>und</strong> die repräsentierte Differenz in den Blick<br />

nehmen. Dann wird deutlich, dass Repräsentation nicht nur handlungsfähige Einheiten<br />

hervorbringt, sondern das Politische überhaupt erst als einen Bereich verschiedener<br />

identifizierbarer Handlungsoptionen konstituiert.<br />

Hannah Arendt, die gemeinhin als Kritikerin des Repräsentationsprinzips gilt,<br />

verteidigt in ihrer Interpretation der amerikanischen Revolution die politische<br />

Repräsentation mit dem Argument, „die schier unendliche Mannigfaltigkeit der<br />

Meinungen“ bedürfe der „Reinigung <strong>und</strong> Vertretung“ durch „Meinungsrepräsentanten“.<br />

74 In diesem Sinn findet Repräsentation allerdings auch innerhalb einer<br />

Versammlungsdemokratie statt. Wer das Wort ergreift, spricht auch ohne offizielles<br />

Mandat in aller Regel für bzw. gegen etwas oder jemanden. 75 Erst Repräsentation<br />

macht die Differenz der miteinander in Konflikt liegenden <strong>und</strong> um Unterstützung<br />

werbenden Meinungen <strong>und</strong> Programme sichtbar <strong>und</strong> ermöglicht es<br />

dem Bürger, sich zu positionieren <strong>und</strong> einzumischen. Sie ist deshalb Voraussetzung<br />

eines breiten Spektrums von Aktivitäten, das von der Meinungsbildung ü-<br />

72<br />

73<br />

74<br />

75<br />

Zu diesem Begriff vgl. auch Vollrath 1992. Die Gegenüberstellung zwischen einer einheitsverkörpernden<br />

<strong>und</strong> einer die Unaufhebbarkeit von Konflikten symbolisierenden Repräsentation<br />

stammt von Claude Lefort (vgl. etwa Lefort 1990).<br />

Wie Vollrath formuliert, ist Repräsentation „stellvertretende Handlungsschaft“ (Vollrath<br />

1992: 65).<br />

Vgl. dazu Arendt 1974: 292f.<br />

Dazu ausführlicher Urbinati 2000: 764f.


38<br />

ber die aktive Unterstützung einer Position oder Gruppe bis zur Sanktion von<br />

Mandatsträgern im Wahlakt reicht.<br />

Die Prozeduralisierung der Volkssouveränität im vernünftigen Diskurs ersetzt<br />

die in der Repräsentation politischer Differenz sichtbar werdenden Handlungsoptionen<br />

durch das Ideal eines argumentativ zu erreichenden, einheitlichen <strong>und</strong><br />

vernünftigen Willens. Insofern hat das Konzept der diskursiven Meinungs- <strong>und</strong><br />

Willensbildung durchaus einen Rousseauschen Zug 76 , auch wenn Habermas sich<br />

von der Forderung nach einer dem argumentativen Prozess vorausgehenden Homogenität<br />

des Volkes dezidiert abgrenzt. 77 Die Habermassche Version der deliberativen<br />

Demokratie konstruiert jedoch auch in ihrer Ausdifferenzierung zwischen<br />

verschiedenen Diskursarten den demokratischen Entscheidungsprozess als<br />

einen Idealtypus heteronomiefreier Selbstbestimmung. In diesem Zusammenhang<br />

ist die Unterscheidung zwischen kommunikativer <strong>und</strong> administrativer Macht zu<br />

sehen, mit der Habermas sein zweistufiges Gesellschaftsmodell von Lebenswelt<br />

<strong>und</strong> System auf den Bereich demokratischer Politik überträgt. Indem er ein auf<br />

kollektiv bindende Entscheidungen spezialisiertes Teilsystem der Administration<br />

<strong>und</strong> der Konkurrenz um Machtpositionen im Sinne Luhmanns von der kommunikativen<br />

Erzeugung politischer Macht in der diskursiven Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung<br />

unterscheidet, kann er den agonalen Charakter der Politik ins Systemische<br />

abschieben <strong>und</strong> einen „reinen“ Bereich vernünftiger Selbstbestimmung –<br />

eben Autonomie - konstruieren. In einem intersubjektiven Raum, in dem verschiedene<br />

gleichberechtigte Akteure handeln, lässt sich aber – was Hannah A-<br />

rendt wie kaum sonst jemand erkannte – eine reine Autonomie überhaupt nicht<br />

realisieren. Die „vielfältigen Prozesse des Meinungsaustausches, des Hörens <strong>und</strong><br />

Gehörtwerdens“ führen allenfalls zu einer „begrenzten Übereinstimmung“, nicht<br />

aber zu einem einheitlichen Willen, wie Arendt gegen Rousseaus „volonté générale“<br />

einwendet (Arendt 1974: 96). Da im politischen Raum Verschiedene handeln,<br />

nicht der Mensch oder das Volk, ist die Figur vernünftiger Selbstreflexion<br />

hier völlig verfehlt. Hintergründe, Motive <strong>und</strong> Ziele der Akteure unterscheiden<br />

sich auch nach Herstellung einer begrenzten Übereinstimmung. Mehr noch: auch<br />

wenn es zu einem gemeinsamen Handeln kommt, wird dieses von verschiedenen<br />

Akteuren unterschiedlich erfahren <strong>und</strong> erzeugt deshalb, anders als ein einmal erzielter<br />

kognitiver Konsens, sofort wieder neue Differenzen. Unterschiedliche<br />

Bewertungen derselben Handlungen <strong>und</strong> Ereignisse sind insbesondere konstitutiv<br />

für das, was Habermas den ethisch-politischen Diskurs nennt. In ihm soll es ja<br />

76<br />

77<br />

Zu diesem Vorwurf auch McCarthy 1994: 54.<br />

Vlg. etwa Habermas 1996: 164.


39<br />

um das politisch-historische Selbstverständnis von Gemeinschaften gehen. Allein<br />

schon aufgr<strong>und</strong> des narrativen Elements, das die kritische Aneignung von Überlieferungen<br />

enthält, kann hier die Vielfalt möglicher Interpretationen nicht durch<br />

den zwanglosen Zwang des besseren Arguments aus der Welt geschaffen werden.<br />

Sie wird vielmehr vom Diskurs selbst stets neu reproduziert werden. 78<br />

Während also die Pluralisierung der Volkssouveränität durch das Prinzip der<br />

Differenzrepräsentation das Politische als einen Raum optionalen Handelns öffnet,<br />

zielt die Prozeduralisierung der Volkssouveränität im Diskurs auf das eine<br />

vernünftige Ergebnis, das Pluralität <strong>und</strong> Optionalität überwindet.<br />

Es liegt auf der Hand, dass eine derartige Orientierung in der politischen Auseinandersetzung<br />

Interessen <strong>und</strong> Positionen begünstigt, die einen strengen Allgemeinheitsanspruch<br />

geltend machen können. Wie Frank Nullmeier überzeugend<br />

darstellte, kann dies mit Argumentationen, die sich auf eine funktionale, insbesondere<br />

ökonomische Allgemeinheit berufen, besser gelingen als mit ethischen<br />

Argumentationen, die auf die stets kontrovers interpretierbaren Ordnungsprinzipien<br />

<strong>und</strong> Wertvorstellungen einer Gesellschaft <strong>und</strong> ihrer Geschichte rekurrieren.<br />

79 Partikulare Interessen einer besonderen, funktional nicht entscheidenden<br />

Gruppe dürften deshalb in deliberativen Foren <strong>und</strong> Gremien weniger Durchsetzungschancen<br />

besitzen als in den repräsentativen Institutionen des politischen<br />

Systems. Einerseits weil in letzteren durch die Dimension der symbolischen Repräsentation<br />

im Gegensatz zu problemorientierten Foren oder Gremien ein erheblich<br />

größerer Zwang besteht, bei der Legitimation von Entscheidungen auf gemeinschaftsverbürgende<br />

Ordnungsprinzipien, wie etwa das der Sozialstaatlichkeit,<br />

zurückzugreifen. Andererseits aber auch, weil die durch periodische Wahlen<br />

gesicherte Abhängigkeit der Repräsentanten von den Repräsentierten auch nicht<br />

verallgemeinerungsfähigen Interessen eine Chance eröffnet, berücksichtigt zu<br />

werden.<br />

Die Fassung deliberativer Willensbildung als kognitiver Prozess rechtfertigt<br />

also begründete Zweifel am Versprechen einer höheren Inklusivität gegenüber<br />

sog. schwachen Interessen. Darüber hinaus führt sie zu einer bemerkenswerten<br />

Annäherung der demokratischen Willensbildung an einen systemischen Prozess.<br />

Habermas will zwar durch sein zweistufiges Gesellschaftsmodell einen Bereich<br />

der öffentlichen Selbstbestimmung vor der Eigenlogik verselbständigter gesellschaftlicher<br />

Teilsysteme retten. Dadurch dass er diese Selbstbestimmung aber als<br />

einen in subjektlosen Kommunikationskreisläufen stattfindenden Erkenntnispro-<br />

78<br />

79<br />

Ausführlich zu diesem Punkt Zerilli 2005.<br />

Vgl. dazu Nullmeier 2000.


40<br />

zess konzeptualisiert, landet er schließlich dabei, ihn seinerseits als einen Vorgang<br />

zu beschreiben, der sich von einem selbstregulierten systemischen Prozess<br />

kaum mehr unterscheidet. Dies drückt sich nicht nur in sprachlichen Metaphern<br />

aus, etwa wenn Habermas von der „Rückkoppelung“ der administrativen Macht<br />

an die demokratische Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung spricht (Habermas 1992:<br />

364). Ausdrücklich bestimmt er „deliberative Politik als problemlösendes Verfahren<br />

..., das Wissen benötigt <strong>und</strong> verarbeitet, um die Regelung von Konflikten<br />

<strong>und</strong> die Verfolgung kollektiver Ziele zu programmieren“ (Habermas 1992:386).<br />

In einem solchen rationalisierenden „Programmieren“ soll sich dann die Rolle<br />

der demokratischen Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung erschöpfen. „Handeln“ – <strong>und</strong><br />

auch das nur in Anführungszeichen – kann lediglich das auf bindende Entscheidungen<br />

spezialisierte politische System (ebd.: 364). Von daher überrascht es<br />

auch nicht mehr, wenn Habermas schließlich meint, „im diskursiven Vergesellschaftungsmodus<br />

der Rechtsgemeinschaft <strong>und</strong> der demokratischen Verfahren“<br />

sei „nur die reflexive Aufstufung <strong>und</strong> spezialisierte Anwendung einer allgemeinen<br />

Operationsweise gesellschaftlicher Systeme zu erkennen“ (ebd.: 388).<br />

10. Von der erkenntnistheoretischen Bestimmung der Demokratie zur<br />

demokratischen Qualität der Erkenntnis<br />

Die epistemische Bestimmung der Deliberation verdrängt damit die Momente<br />

des Urteilens <strong>und</strong> Entscheidens aus der demokratischen Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung.<br />

Was man als wahr oder unwahr, richtig oder falsch wissen kann, muss<br />

nicht mehr beurteilt <strong>und</strong> entschieden werden. Eine solche Orientierung des demokratischen<br />

Prozesses am Ideal rationaler Erkenntnis legt es im Umkehrschluss<br />

nahe, rationalen Erkenntnisprozessen selbst schon demokratische Qualität zuzusprechen.<br />

80 Eine derartige, letztlich technokratische Konsequenz der deliberativen<br />

Neubestimmung von Demokratie mag angesichts der von Jürgen Habermas<br />

über Jahrzehnte hinweg immer wieder formulierten Technokratiekritik absurd<br />

80<br />

In diesem Zusammenhang kritisieren Buchstein/Jörke eine Rationalisierung der neueren<br />

Demokratietheorie, die politische Beteiligung nicht mehr als Ziel, sondern als Mittel der Rationalitätssteigerung<br />

kollektiv verbindlicher Entscheidungen betrachte (Vgl. Buchstein/Jörke<br />

2003).


41<br />

erscheinen. 81 Tatsächlich besteht Habermas auch bis heute darauf, die politischrechtliche<br />

Regulierung der gesellschaftlichen Subsysteme an die alltagssprachliche,<br />

lebensweltlich verankerte Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung eines Laienpublikums<br />

zurückzubinden. 82 Welch geringer Modifikationen es bedarf, um ausgehend<br />

von einer epistemischen Bestimmung von Deliberationsprozessen schließlich<br />

bei der demokratischen Legitimation von Expertenkommissionen zu landen,<br />

lässt sich jedoch unschwer an den an Habermas anschließenden Weiterentwicklungen<br />

der deliberativen Demokratietheorie illustrieren. Exemplarisch möchte<br />

ich hier auf Rainer Schmalz-Bruns eingehen. Er ist in diesem Zusammenhang<br />

besonders aufschlussreich, weil er in seiner Weiterentwicklung der deliberativen<br />

Demokratietheorie sowohl das partizipatorische wie auch das epistemische Moment<br />

der Habermasschen Konzeption verstärken möchte. Erreichen will er dies<br />

durch eine Vervielfältigung deliberativer Prozesse <strong>und</strong> ihre Lösung von den<br />

Kerninstitutionen der repräsentativen Demokratie. 83<br />

Schmalz-Bruns kritisiert an Habermas’ Modell einer zweigleisig verlaufenden<br />

deliberativen Politik das Übergewicht der staatlichen Institutionen im Zentrum<br />

des politischen Systems gegenüber den zivilgesellschaftlichen Foren <strong>und</strong> Arenen<br />

der informellen Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung an der Peripherie. Habermas habe<br />

zwar den Dualismus zwischen System <strong>und</strong> Lebenswelt, der noch seine „Theorie<br />

des kommunikativen Handelns“ präge <strong>und</strong> Politik im engeren Sinn nur noch<br />

als mediengesteuertes Teilsystem unterstelle, in „Faktizität <strong>und</strong> Geltung“ zugunsten<br />

einer institutionellen Betrachtungsweise aufgegeben, aus der heraus er die<br />

kommunikative <strong>und</strong> administrative Macht im demokratischen Rechtsstaat verschränke.<br />

Das von Petersen übernommene Schleusenmodell deliberativer Demokratie<br />

stilisiere den Staat jedoch zum einzig möglichen kollektiven Akteur <strong>und</strong><br />

reduziere die Selbstregierung der Bürger auf episodische Politisierungsschübe<br />

<strong>und</strong> die Einspeisung von Problembewusstsein in die institutionellen Bahnen der<br />

liberalen repräsentativen Demokratie.<br />

Demgegenüber identifiziert Schmalz-Bruns im modularen Aufbau des politi-<br />

81<br />

82<br />

83<br />

So ist eine der gr<strong>und</strong>legenden theoretischen Weichenstellung im Werk von Habermas die<br />

Unterscheidung von Arbeit <strong>und</strong> Interaktion, von technischer <strong>und</strong> kommunikativer Rationalität<br />

<strong>und</strong> das Anliegen seines theoretischen Werkes insgesamt, wie er schon 1968 formuliert,<br />

die Entfaltung wissenschaftlich-technischer Rationalität der „uneingeschränkten Kommunikation<br />

über Ziele der Lebenspraxis“ <strong>und</strong> der Wahl dessen, was wir wollen können, zu unterstellen<br />

(Habermas 1968: 99).<br />

Vgl. dazu etwa Habermas 1992: 428f., 435f.<br />

Ähnliche Orientierungen auf gesellschaftliche, horizontale, problemorientierte <strong>und</strong> nicht an<br />

repräsentative staatliche Institutionen geb<strong>und</strong>ene Partizipationsformen finden sich in unterschiedlichen<br />

Versionen etwa auch bei Joerges/Neyer 1998, Warren 2002, Grote/Glibki<br />

2003, Schmitter 2003 <strong>und</strong> Pettit 2003.


42<br />

schen Systems, in der sich über viele Ebenen erstreckenden Stufung von Entscheidungsprozessen,<br />

vielfältige Ansatzpunkte für eine breite <strong>und</strong> kompetente<br />

Beteiligung, die Habermas übersehe. An diese Beteiligungsmöglichkeiten knüpft<br />

er die Perspektive einer weiteren Vergesellschaftung des Staates sowie einer vom<br />

staatlichen Institutionensystem ablösbaren Reflexivität politischer Prozesse,<br />

durch die sich die Erweiterung demokratischer Partizipation mit der rationalisierenden<br />

Wirkung einer problem- <strong>und</strong> ergebnisbezogenen Politik verbinden lasse. 84<br />

Konkret kann man sich hier eine breite Palette verschiedenster Mitwirkungsmöglichkeiten<br />

vorstellen, die Transparenzregeln, Expertenkommissionen, aber auch<br />

Informations- <strong>und</strong> Anhörungsrechte für Betroffene umfasst. Eine Vielzahl funktional<br />

spezialisierter <strong>und</strong> netzwerkartig integrierter Teilöffentlichkeiten soll dann<br />

bessere Partizipationsmöglichkeiten bieten als die <strong>und</strong>ifferenzierte <strong>und</strong> medialer<br />

Kolonialisierung ausgesetzte allgemeine Öffentlichkeit. Die exakte Bestimmung<br />

von Entscheidungsbefugnissen für diese anvisierte Vielzahl von deliberierenden<br />

Teilöffentlichkeiten kann dabei in dem Maße in den Hintergr<strong>und</strong> treten, wie die<br />

politische Willensbildung als kognitiver Prozess <strong>und</strong> nicht als Entscheidung zwischen<br />

kontingenten <strong>und</strong> konflikthaften Handlungsalternativen gilt. Der positive<br />

Zusammenhang zwischen der epistemischen Qualität von politischen Entscheidungen<br />

<strong>und</strong> ihrer Informalisierung, den wir bei Habermas bereits in Form einer<br />

„Gewichtsverschiebung“ von den Institutionen der parlamentarischen Demokratie<br />

zu den informellen Arenen <strong>und</strong> Foren gesellschaftlicher Willensbildung kennen<br />

gelernt haben, wird nun einen großen Schritt weiter getrieben zur Vergesellschaftung<br />

der Politik in problemorientierten Beratungen zwischen Regierungsvertretern,<br />

Experten <strong>und</strong> Betroffenen.<br />

Die Legitimität von Beschlüssen löst sich damit weiter aus der Rückbindung<br />

an ein Entscheidungshandeln des Souveräns, der Bürger bzw. ihrer Repräsentanten,<br />

<strong>und</strong> wird zu einer Sache des Reflexivitäts- <strong>und</strong> Rationalitätsniveaus der Beratungen.<br />

Von einer solchen Modifikation der Demokratie verspricht sich<br />

Schmalz-Bruns zweierlei: eine Verwirklichung der Idee demokratischer Selbstbestimmung<br />

in den Partizipationsmöglichkeiten der vielfältigen Beratungsprozesse<br />

<strong>und</strong> zugleich die Überwindung nationalstaatlicher Grenzen, die der Selbstregierung<br />

eines wie auch immer bestimmten Demos gesetzt bleiben. 85 Hier sind<br />

also ganz offensichtlich zwei traditionelle Ziele linker Gesellschaftskritik aufgegriffen:<br />

die Überwindung des Nationalstaates <strong>und</strong> die Rücknahme der Politik in<br />

die Gesellschaft.<br />

84<br />

85<br />

Vgl. dazu Schmalz-Bruns 1995, insbes. S. 102-120.<br />

Vgl. Schmalz-Bruns 2002: 278.


43<br />

Deutlicher noch als bei Habermas liegt dieser Perspektive die Ersetzung willentlicher<br />

Entscheidung durch rationale Erkenntnis zugr<strong>und</strong>e. Neuerdings distanziert<br />

sich Schmalz-Bruns allerdings von einem an der Moralphilosophie orientierten<br />

Typus diskursiver Rationalität, dem er mit verschiedenen Habermaskritikern<br />

vorwirft, elitär zu wirken <strong>und</strong> ganze Gruppen von einer öffentlich wirksamen<br />

Artikulation ihrer Interessen abzuschneiden. Stattdessen greift er John Deweys<br />

Begriff der „reflexiven Kooperation“ auf <strong>und</strong> fordert, die Rationalitätsstandards<br />

der Deliberationen „nicht im Blick primär auf die Anforderungen einer<br />

dem wissenschaftlichen Diskurs nachgebildeten, rein argumentativen Verständigung,<br />

sondern auf die Erfahrung sozialer Kooperation in der Lösung gemeinsamer<br />

Probleme hin auszurichten“ (Schmalz-Bruns 2002: 278f.). Von einer solchen<br />

Problemorientierung erhofft er sich zudem eine Verstärkung der individuellen<br />

Motivation, sich an der öffentlichen Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung überhaupt zu<br />

beteiligen sowie Kriterien zur Entscheidung der ja nicht unwichtigen Frage, was<br />

im Diskurs als „guter Gr<strong>und</strong>“ gelten kann. 86<br />

Den nahe liegenden Einwand gegen eine solche Perspektive der Integration<br />

durch Problemlösung hat jüngst Michael Greven formuliert: In pluralistischen<br />

Gesellschaften ist bereits die Definition von Problemen eine Machtfrage. Informelle<br />

Beratungsforen <strong>und</strong> Expertengremien bergen deshalb die Gefahr, das Prinzip<br />

politischer Gleichheit, das der Mehrheitsentscheidung durch gewählte Repräsentanten<br />

zugr<strong>und</strong>e liegt, durch einen zweifelhaften Rationalitätsanspruch zu ersetzen.<br />

87 Dieser Einwand ist in zweierlei zu vertiefen:<br />

Erstens ersetzt die „vergesellschaftete“ Variante deliberativer Demokratie das<br />

86<br />

87<br />

Vgl. Schmalz-Bruns 2002: 281. Bereits auf den ersten Blick handelt sich Schmalz-Bruns<br />

mit dieser scheinbar geringen pragmatistischen Modifikation des Habermasschen Modells<br />

ein gewaltiges Problem ein, das der Gründergeneration der Frankfurter Schule durchaus<br />

bewusst war: Wenn sich die Qualität von Gründen an ihrem Beitrag zur Lösung von Problemen<br />

gesellschaftlicher Kooperation bemisst, sind es letztlich die gesellschaftliche Form<br />

der Kooperation <strong>und</strong> die aus ihr zu schließenden funktionalen Erfordernisse, die über Rationalität<br />

<strong>und</strong> Irrationalität von Gründen entscheiden. In anderen Worten: Die Differenzierung<br />

zwischen funktionaler <strong>und</strong> kommunikativer Rationalität, mit der Habermas die Kritik instrumenteller<br />

Vernunft der Frankfurter Gründergeneration fortführen will, ist so nicht aufrecht<br />

zu erhalten, die kommunikative passt sich der funktionalen Vernunft an.<br />

Vgl. dazu Greven 2005: 270f. Dass sein Modell deliberativer Demokratie in Widerspruch<br />

zum Prinzip politischer Gleichheit gerät, sieht Schmalz-Bruns selbst. Da eine wirklich allgemeine<br />

Partizipation auch bei einer unterstellten Vernetzung zwischen der Vielzahl von<br />

funktionalen <strong>und</strong> sektoralen Teilöffentlichkeiten nicht zu gewährleisten ist, sei es umso<br />

wichtiger, „auch nachträglich Einwände zuzulassen, sofern sie geltend machen können, dass<br />

reziprok-allgemein nicht zurückweisbare Ansprüche ignoriert worden sind" (Schmalz-Bruns<br />

2002: 280). Wie eine solche Möglichkeit verwirklicht werden könnte, ob sie schließlich<br />

mehr Partizipationsmöglichkeiten böte als bestehende Möglichkeiten der Verwaltungsklage,<br />

bleibt allerdings völlig unklar.


44<br />

bereits bei Habermas geschwächte Repräsentationsprinzip vollständig durch die<br />

prozedural-epistemische Qualität der Deliberationen in den funktional <strong>und</strong> sektoral<br />

spezifizierten Teilöffentlichkeiten. Das zweigleisige Demokratiemodell von<br />

Habermas sieht vor, dass zumindest bei nicht routinemäßig zu bearbeitenden<br />

Problemen die informellen Kommunikationen der nichtvermachteten Peripherie<br />

die institutionalisierte Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung der repräsentativen Demokratie,<br />

insbesondere die Beratungen <strong>und</strong> Entscheidungen der Parlamente, steuern.<br />

Es ersetzt die herkömmlichen Repräsentationsverfahren nicht, sondern verschiebt<br />

lediglich die Gewichte zugunsten der informellen Kommunikationsprozesse an<br />

der Peripherie. Wie wir oben gesehen haben, impliziert jedoch bereits diese Verschiebung<br />

einen Bedeutungsverlust der Willensbeziehung <strong>und</strong> der symbolischen<br />

Dimension des Repräsentationsprinzips gegenüber der Rationalitätsvermutung<br />

der deliberativen Prozesse. Das Projekt einer auf problemzentrierten deliberativen<br />

Foren <strong>und</strong> Gremien basierenden transnationalen Demokratie will demgegenüber<br />

die Erzeugung demokratischer Legitimität sowohl von der Meinungsbildung<br />

einer allgemeinen Öffentlichkeit als auch von den Wahlentscheidungen des Souveräns<br />

abkoppeln. Wenn wie bei Schmalz-Bruns <strong>und</strong> anderen die Deliberationen<br />

in sektoral <strong>und</strong> funktional spezifizierten Öffentlichkeiten, Gremien <strong>und</strong> Kommissionen<br />

allein schon demokratische Legitimität erzeugen sollen, besteht kein Bezug<br />

mehr auf eine Willensbeziehung zwischen Bürgern <strong>und</strong> Repräsentanten <strong>und</strong><br />

die Dimension einer symbolischen Repräsentation gemeinsamer Ordnungsvorstellungen<br />

<strong>und</strong> Werte verschwindet. Ob ohne diese beiden Dimensionen des Repräsentationsprinzips<br />

angesichts der oben bereits angesprochenen engen Verquickung<br />

von Macht <strong>und</strong> Wissensfragen Legitimität erzeugt werden kann, scheint<br />

höchst zweifelhaft. Allenfalls ist zu erwarten, dass offene, kontroverse Positionen<br />

berücksichtigende Verfahren dem Widerstand betroffener Gruppen gegen die<br />

beschlossenen Ergebnisse weitgehend die Legitimation entziehen. Ist diese Wirkung<br />

schon problematisch, so ist darüber hinaus zu befürchten, dass die Ersetzung<br />

des Repräsentationsprinzips durch epistemisch bestimmte Beratungsverfahren<br />

zu einer weiteren Schwächung derjenigen Interessen führen wird, die durch<br />

die Willensbeziehung <strong>und</strong> die symbolische Dimension im Repräsentationsprinzip<br />

noch einen gewissen Schutz gegen funktionale Erfordernisse insbesondere des<br />

ökonomischen Reproduktionsprozesses genießen. So formuliert etwa Richard<br />

Münch zu der von ihm prinzipiell befürworteten Komitologie der Europäischen<br />

Union:<br />

„Es hat wenig Sinn, an diese faktisch sich vollziehende Legitimation durch


45<br />

Verfahren normative Maßstäbe anzulegen, die im Idealfall der Repräsentativdemokratie<br />

auf der Basis von Volkssouveränität wurzeln. ...Es ist unter<br />

solchen Bedingungen kaum möglich, repräsentativ ein Gemeinwohl zu ermitteln,<br />

das auch die Schwächeren nicht zu kurz kommen lässt. Politische<br />

Entscheidungsfindung ist in diesem Fall kein Prozess, der das Gemeinwohl<br />

sucht ..., sondern ein Prozess des fortlaufenden Durchspielens von Vorschlägen,<br />

die eine Reihe von Hürden überspringen müssen, um am Ende in<br />

der Regel mit einer Vielzahl von Korrekturen versehen durchzukommen<br />

oder doch zu scheitern. Das Kriterium „demokratischer“ Qualität ist hier die<br />

Zahl von checks oder unterschiedlichsten Prüfungsinstanzen, die ein Vorschlag<br />

durchlaufen muss, bis er ans Ziel gelangt <strong>und</strong> kollektiv verbindlich<br />

wird“ (Münch 2003: 126).<br />

Die Selbstregierung der Bürger, ihre Wahrnehmung öffentlicher Autonomie, die<br />

noch den Ausgangspunkt der deliberativen Demokratietheorie bildete, ist hier<br />

zusammengeschrumpft auf die Chance, in die eine oder andere Teilöffentlichkeit<br />

sachbezogene Verbesserungsvorschläge einzubringen. Eine Chance, die ungeachtet<br />

der theoretisch formulierten Inklusionsforderungen zudem nach Kompetenzen<br />

<strong>und</strong> Ressourcen extrem ungleich verteilt sein dürfte.<br />

Zweitens drohen Beratungen um so eher technokratische Züge anzunehmen,<br />

je mehr sie sich von der ethischen Selbstverständigung einer bestimmten Gemeinschaft<br />

entfernen <strong>und</strong> lediglich durch ein von wem auch immer definiertes –<br />

Problem konstituiert sind. Schmalz-Bruns hält es für einen Vorzug seiner Version<br />

deliberativer Demokratie, dass sie eine Vorstellung von Öffentlichkeit enthalte,<br />

die „kein über geteilte Werte vermitteltes Kollektiv oder eine Gemeinschaft“<br />

voraussetze, sondern „sich unmittelbar auf die kooperativen Anstrengungen all<br />

derjenigen (beziehe), die über gemeinsame Probleme <strong>und</strong> die Folgen von Handlungen<br />

miteinander verb<strong>und</strong>en sind“ (Schmalz-Bruns 2002: 277). Abgesehen<br />

davon, dass eine von allen lebensweltlichen Bezügen befreite, nur durch problemlösende<br />

Zusammenarbeit bestimmte Deliberation ebenso ein Ding der Unmöglichkeit<br />

ist wie die machtfreie Definition des Problems selbst, hat das Ideal<br />

einer von Wert- <strong>und</strong> Gemeinschaftsbezügen befreiten Beratung erhebliche Konsequenzen.<br />

Es impliziert, die noch von Habermas erhoffte „Programmierung“ des<br />

politischen Systems durch lebensweltlich generierte Sinnkriterien aufzugeben, da<br />

sich funktional <strong>und</strong> sektoral spezialisierte, problemorientierte Teilöffentlichkeiten<br />

ja gerade durch ihre Lösung aus den lebensweltlichen Horizonten spezifischer<br />

Gemeinschaften auszeichnen. Der bereits oben gegen Habermas vorgetragene<br />

Einwand, der Rationalitätsanspruch seines deliberativen Demokratiemodells<br />

begünstige funktionale <strong>und</strong> ökonomische Rationalität gegenüber narrativ auszu-


46<br />

legenden Sinn- <strong>und</strong> Wertorientierungen, gilt hier also erst recht.<br />

Während der junge Marx mit seiner Perspektive einer Vergesellschaftung der<br />

Politik noch darauf hoffte, den abstrakten Staatsbürger durch eine Revolutionierung<br />

der Produktionsverhältnisse in den wirklichen individuellen Menschen zurücknehmen<br />

zu können 88 , löst die deliberative Version einer Vergesellschaftung<br />

des Staates die Sphäre politischer Freiheit <strong>und</strong> Gleichheit auf zugunsten eines<br />

Netzwerkes funktional bestimmter Erkenntnisprozesse. Die Verfehlung des Politischen<br />

im reflexionsmoralischen Autonomieideal bei Habermas wird hier weiterentwickelt<br />

zur Perspektive einer entpolitisierten gesellschaftlichen Problemlösung.<br />

88 Vgl. dazu Marx, MEW 1: 370.


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Willems, Ulrich (2003): Moralskepsis, Interessenreduktionismus <strong>und</strong> Strategien der Förderung<br />

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