SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier
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Diskurs zu ersetzen, politische Handlungsmöglichkeiten beschränkt, kontingente<br />
Entscheidungen durch vermeintlich sachliche Problemlösungen ersetzt sowie<br />
Mitgliedschaften <strong>und</strong> die daraus resultierenden Solidaritätsansprüche schwächt<br />
(9.-11.). Zusammenfassend beziehe ich diese Bef<strong>und</strong>e dann auf die Möglichkeiten<br />
der Repräsentation schwacher Interessen (12.).<br />
2. Gr<strong>und</strong>züge eines diskurstheoretischen Verständnisses der Demokratie<br />
Die gr<strong>und</strong>legende Annahme der Diskursethik besagt, dass wir über die Richtigkeit<br />
moralischer Handlungsnormen wie über die Wahrheit propositionaler Aussagen<br />
durch den „zwanglosen Zwang des besseren Argumentes“ (Habermas<br />
1984: 161) ein rational motiviertes Einverständnis erzielen können. 7 Mit dem<br />
Universalisierungsgr<strong>und</strong>satz stehe „eine Argumentationsregel zur Verfügung ...,<br />
die die rationale Entscheidung moralisch-praktischer Fragen ermöglicht“ (Habermas<br />
1992: 193). Diese Annahme folgt aus einer von der pragmatischen<br />
Sprachphilosophie ausgehenden Umformulierung der Begriffe von Wahrheit <strong>und</strong><br />
Rationalität durch Apel <strong>und</strong> Habermas, dem sog. „pragmatic turn in der Kritischen<br />
Theorie“ (Benhabib 1995a: 421). Demzufolge sind sowohl propositionale<br />
Wahrheit als auch normative Richtigkeit nur mehr intersubjektiv, das heißt durch<br />
das argumentative Überprüfen von Geltungsansprüchen, festzustellen. Dazu dient<br />
der Diskurs, der vereinfacht <strong>und</strong> in einer ersten Annäherung als eine durch Argumentation<br />
gekennzeichnete Form der Kommunikation definiert ist, an der<br />
prinzipiell alle Betroffenen teilnehmen <strong>und</strong> problematische Geltungsansprüche<br />
überprüfen können.<br />
Mit seiner diskurstheoretischen Begründung deliberativer Demokratie überträgt<br />
Habermas diese Konsenstheorie der propositionalen Wahrheit <strong>und</strong> der normativen<br />
Richtigkeit, also das Ideal der Argumentationspraxis einer Gelehrtenrepublik,<br />
auf den politischen Prozess. 8 Die Diskursethik wird zu einer Theorie der<br />
politischen Legitimität. Auch wenn Habermas seit den neunziger Jahren zugesteht,<br />
dass die unvermittelte Anwendung der Diskursethik auf den demokratischen<br />
Prozess zu Ungereimtheiten führt (Habermas 1992: 196), misst er ihn doch<br />
weiterhin an der argumentativen Auseinandersetzung über Geltungsansprüche.<br />
Legitimierend ist der demokratische Prozess demnach nicht im Sinne der Selbst-<br />
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8<br />
Vgl. etwa auch Habermas 1981: 71.<br />
So etwa explizit in Habermas 1992: 30ff., wo Habermas den Anspruch erhebt, das von Charles<br />
Peirce stammende Modell der Argumentationspraxis einer Gelehrtenrepublik ließe sich<br />
über die kooperative Wahrheitssuche von Wissenschaftlern hinaus auch auf die kommunikative<br />
Alltagspraxis beziehen.