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SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier

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43<br />

Deutlicher noch als bei Habermas liegt dieser Perspektive die Ersetzung willentlicher<br />

Entscheidung durch rationale Erkenntnis zugr<strong>und</strong>e. Neuerdings distanziert<br />

sich Schmalz-Bruns allerdings von einem an der Moralphilosophie orientierten<br />

Typus diskursiver Rationalität, dem er mit verschiedenen Habermaskritikern<br />

vorwirft, elitär zu wirken <strong>und</strong> ganze Gruppen von einer öffentlich wirksamen<br />

Artikulation ihrer Interessen abzuschneiden. Stattdessen greift er John Deweys<br />

Begriff der „reflexiven Kooperation“ auf <strong>und</strong> fordert, die Rationalitätsstandards<br />

der Deliberationen „nicht im Blick primär auf die Anforderungen einer<br />

dem wissenschaftlichen Diskurs nachgebildeten, rein argumentativen Verständigung,<br />

sondern auf die Erfahrung sozialer Kooperation in der Lösung gemeinsamer<br />

Probleme hin auszurichten“ (Schmalz-Bruns 2002: 278f.). Von einer solchen<br />

Problemorientierung erhofft er sich zudem eine Verstärkung der individuellen<br />

Motivation, sich an der öffentlichen Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung überhaupt zu<br />

beteiligen sowie Kriterien zur Entscheidung der ja nicht unwichtigen Frage, was<br />

im Diskurs als „guter Gr<strong>und</strong>“ gelten kann. 86<br />

Den nahe liegenden Einwand gegen eine solche Perspektive der Integration<br />

durch Problemlösung hat jüngst Michael Greven formuliert: In pluralistischen<br />

Gesellschaften ist bereits die Definition von Problemen eine Machtfrage. Informelle<br />

Beratungsforen <strong>und</strong> Expertengremien bergen deshalb die Gefahr, das Prinzip<br />

politischer Gleichheit, das der Mehrheitsentscheidung durch gewählte Repräsentanten<br />

zugr<strong>und</strong>e liegt, durch einen zweifelhaften Rationalitätsanspruch zu ersetzen.<br />

87 Dieser Einwand ist in zweierlei zu vertiefen:<br />

Erstens ersetzt die „vergesellschaftete“ Variante deliberativer Demokratie das<br />

86<br />

87<br />

Vgl. Schmalz-Bruns 2002: 281. Bereits auf den ersten Blick handelt sich Schmalz-Bruns<br />

mit dieser scheinbar geringen pragmatistischen Modifikation des Habermasschen Modells<br />

ein gewaltiges Problem ein, das der Gründergeneration der Frankfurter Schule durchaus<br />

bewusst war: Wenn sich die Qualität von Gründen an ihrem Beitrag zur Lösung von Problemen<br />

gesellschaftlicher Kooperation bemisst, sind es letztlich die gesellschaftliche Form<br />

der Kooperation <strong>und</strong> die aus ihr zu schließenden funktionalen Erfordernisse, die über Rationalität<br />

<strong>und</strong> Irrationalität von Gründen entscheiden. In anderen Worten: Die Differenzierung<br />

zwischen funktionaler <strong>und</strong> kommunikativer Rationalität, mit der Habermas die Kritik instrumenteller<br />

Vernunft der Frankfurter Gründergeneration fortführen will, ist so nicht aufrecht<br />

zu erhalten, die kommunikative passt sich der funktionalen Vernunft an.<br />

Vgl. dazu Greven 2005: 270f. Dass sein Modell deliberativer Demokratie in Widerspruch<br />

zum Prinzip politischer Gleichheit gerät, sieht Schmalz-Bruns selbst. Da eine wirklich allgemeine<br />

Partizipation auch bei einer unterstellten Vernetzung zwischen der Vielzahl von<br />

funktionalen <strong>und</strong> sektoralen Teilöffentlichkeiten nicht zu gewährleisten ist, sei es umso<br />

wichtiger, „auch nachträglich Einwände zuzulassen, sofern sie geltend machen können, dass<br />

reziprok-allgemein nicht zurückweisbare Ansprüche ignoriert worden sind" (Schmalz-Bruns<br />

2002: 280). Wie eine solche Möglichkeit verwirklicht werden könnte, ob sie schließlich<br />

mehr Partizipationsmöglichkeiten böte als bestehende Möglichkeiten der Verwaltungsklage,<br />

bleibt allerdings völlig unklar.

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