SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier
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Demokratie auf ein durch Vernunft bestimmtes Autonomieprinzip hat.<br />
Die Verteidigung der Habermaschen Position hängt an der Unterstellung, es<br />
gäbe innerhalb der jeweiligen Diskursart Gründe, die von allen Beteiligten über<br />
den „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ zu akzeptieren wären. Genau<br />
dies lässt sich jedoch plausibel bezweifeln. Krause/Malowitz weisen darauf hin,<br />
dass der Status eines Gr<strong>und</strong>es nicht mit Hilfe einfacher Prädikate wie „ist gleichermaßen<br />
gut für alle“, „ist fair“ etc. erklärt werden kann. Gründe stünden nicht<br />
für sich selbst, „sondern verdanken ihre begründende Funktion vielmehr ihrer<br />
Stelle innerhalb einer umfassenden Argumentation“ (Krause/Malowitz 1999:<br />
293). Wir müssen also die Argumentationsspiele kennen, innerhalb der Gründe<br />
ihre begründende Funktion wahrnehmen, was wiederum impliziert, dass wir<br />
Gründe nicht von Sprachspielen, Lebensformen <strong>und</strong> Identitäten trennen können.<br />
Die Beteiligten eines Diskurses stehen innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft<br />
vor dem Problem, in welchem Vokabular bzw. in welchen Argumentationszusammenhängen<br />
sie ein Einverständnis überhaupt anstreben können. 59 Ähnlich<br />
argumentiert Frank Nullmeier, wenn er auf die unendliche Vielzahl potentieller<br />
Gründe verweist, <strong>und</strong> ausführt, dass sie ihren Status <strong>und</strong> ihre Geltungskraft<br />
als Gründe nicht per se, sondern nur kontextgeb<strong>und</strong>en, im Rahmen eines kulturellen<br />
Hintergr<strong>und</strong>wissens oder der Sondersprachen von Experten, erlangen. Von<br />
hier aus bezweifelt er die Annahme, gute Gründe besäßen die Fähigkeit, Zustimmung<br />
zu erzwingen. Können sie dies nicht, lässt sich in einer pluralistischen<br />
Gesellschaft aber auch unter den politisch ohnehin nicht zu realisierenden Bedingungen<br />
eines idealen Diskurses mit uneingeschränkten Zeitressourcen die Vielfalt<br />
widerstreitender Geltungsansprüche nicht überwinden.<br />
„In der Vielfalt der mobilisierbaren Gründe findet sich kein Moment, das<br />
jenseits des logischen noch einen solchen argumentativen Zwang ausübt,<br />
dass eine eindeutige Geltungszuschreibung auch unter sonst idealen Bedingungen<br />
möglich wäre“ (Nullmeier 1995: 105). 60<br />
Mit dem Geltungszwang qua besserem Argument entfällt dann aber auch die<br />
59<br />
60<br />
Dies scheint mir die allgemeinere Formulierung eines häufig gegen Habermas vorgetragenen<br />
Einwandes zu sein, mit dem auf die Unmöglichkeit verwiesen wird, kontexttranszendierende<br />
moralische Diskurse analytisch klar von kulturell geb<strong>und</strong>enen ethischen Diskursen zu<br />
unterscheiden. In diesem Sinn vgl. etwa McCarthy 1994.<br />
Dieser Einwand lässt sich gr<strong>und</strong>sätzlicher in Begriffen der poststrukturalistischen Sprachphilosophie<br />
formulieren (vgl. etwa Mouffe 1997). Da es hier jedoch nicht um den philosophischen<br />
Streit zwischen Habermas einerseits <strong>und</strong> poststrukturalistischen Autoren andererseits<br />
geht, reicht m.E. an dieser Stelle der Hinweis auf die unaufhebbare empirische Vielfalt<br />
widerstreitender Gründe.