SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier
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begriffes <strong>und</strong> die Rede von „Kontingenz“ <strong>und</strong> „volitiven Momenten“ bei Habermas<br />
darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ihm auch in pragmatischen <strong>und</strong><br />
ethisch-politischen Diskursen um „subjektlose Kommunikationen“, um eine „höherstufige<br />
Intersubjektivität“ 54 ohne handelnde Subjekte geht. William Rehg, ein<br />
Habermas gewiss wohlgesonnener Autor, fragt bezogen auf die subjektlosen<br />
Verfahren diskursiver Willensbildung, wie denn sicherzustellen sei, dass hier<br />
nicht die Individuen außer Sicht gerieten zugunsten einer „huge procedural machine<br />
cranking presumably correct results independently of human subjects“<br />
(Rehg 1994: 237). Im Gr<strong>und</strong>e wird hier Freiheit eliminiert, wenn wir sie mit A-<br />
rendt in der Möglichkeit von Personen sehen, einen Prozess durch ihr spontanes<br />
Handeln zu unterbrechen <strong>und</strong> damit einen Neuanfang zu setzen.<br />
Habermas hält trotz aller Differenzierung <strong>und</strong> Komplexitätssteigerung, die<br />
seine Theorie kommunikativer Rationalität in „Faktizität <strong>und</strong> Geltung“ erfährt,<br />
an der Wahrheitsfähigkeit nicht nur der moralischen Diskurse, sondern auch der<br />
rechtsetzenden demokratischen Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung fest. Er gesteht in<br />
einer Auseinandersetzung mit McCarthy 55 zwar zu, dass wir anders als bei empirischen<br />
Aussagen über die objektive Welt „in Ansehung der normativen Regelung<br />
von Interaktionen (vielleicht) nicht a priori mit der Geltung des Bivalenzprinzips<br />
rechnen (sollten)“ (Habermas 1996a: 336). Dennoch kommt er zum<br />
Schluss, wir dürften die Prämisse der „einen richtigen Antwort“ nicht fallen lassen<br />
„wenn nicht der demokratische Prozess zugleich mit der ihm innewohnenden<br />
Verfahrensrationalität auch seine legitimierende Kraft verlieren sollte“ (Habermas<br />
1996a: 336). Zwar wird der öffentliche Diskurs in aller Regel durch Mehrheitsentscheidungen<br />
beendet, eine Tatsache, die auch Habermas nicht bestreiten<br />
kann. Sie wird jedoch zu einer lediglich akzidentellen <strong>und</strong> vorläufigen Unterbrechung<br />
des prinzipiell unendlichen Argumentationsprozesses umdefiniert, der ü-<br />
ber die Gültigkeit des Bivalenzprinzips eine interne Beziehung zur Wahrheitssuche<br />
behalten soll. 56<br />
54<br />
55<br />
56<br />
Zu diesen Begriffen vgl. Habermas 1992: 362.<br />
McCarthy bezweifelt die von Habermas unterstellte Parallelität zwischen normativen <strong>und</strong><br />
propositionalen Geltungsansprüchen <strong>und</strong> versucht zu zeigen, dass die Argumente, die wir in<br />
Auseinandersetzungen zu normativen Fragen anführen können, im Gegensatz zu denen im<br />
theoretischen Diskurs stets von spezifischen kulturellen Kontexten abhängen, aus denen sie<br />
erst ihre Überzeugungskraft beziehen. Aufgr<strong>und</strong> dessen weist er die strikte Trennung zwischen<br />
Fragen der Gerechtigkeit <strong>und</strong> des „guten Lebens“ zurück <strong>und</strong> bezweifelt, dass Habermas’<br />
rationaler Konsens ein angemessenes normatives Ideal für demokratische Politik<br />
abgeben kann (Vgl. McCarthy 1994).<br />
Zur Mehrheitsregel als Unterbrechung des Argumentationsprozesses vgl. Habermas 1996a:<br />
326.