SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier
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Tendenz weitet sich der Kreis der Betroffenen, deren zwanglose Zustimmung<br />
erforderlich ist, von den Verhandlungen über pragmatische <strong>und</strong> ethisch- politische<br />
Diskurse bis zum Universalisierungsgr<strong>und</strong>satz des vollständig dekontextualisierten<br />
moralischen Diskurses immer mehr. Für weite Bereiche der politischen<br />
Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung verlangt das Diskursprinzip demnach nicht eine<br />
Anwendung des Universalisierungsgr<strong>und</strong>satzes, sondern lediglich einen Verallgemeinerungstest<br />
in den vom jeweiligen Diskurstyp <strong>und</strong> seinem Betroffenenkreis<br />
gezogenen Grenzen. Allerdings wird dieser, gewissermaßen politisierende Gewinn<br />
der gesamten Operation sofort wieder relativiert, indem Habermas fordert,<br />
die Ergebnisse ethisch-politischer Diskurse müssten mit moralischen Gr<strong>und</strong>sätzen<br />
kompatibel sein <strong>und</strong> die Verfahren von Verhandlungen durch moralische<br />
Diskurse gerechtfertigt werden. 50 Die Rationalität der verschiedenen politisch<br />
relevanten Diskursarten bleibt damit ebenso wie die von Verhandlungen rückgeb<strong>und</strong>en<br />
an die Rationalität moralischer Diskurse. Erinnern wir uns an das eigentliche<br />
Vorhaben von Habermas, nämlich ausgehend von der Formulierung eines<br />
allgemeinen Diskursprinzips zu zeigen, dass positives Recht <strong>und</strong> Moral gleich<br />
ursprünglich sind <strong>und</strong> „das Demokratieprinzip eigene, vom Moralprinzip unabhängige<br />
Wurzeln hat“ (Habermas 1994: 664), so stellt sich die Frage, ob dieses<br />
Vorhaben nicht bereits hier gescheitert ist <strong>und</strong> es doch dabei bleibt, die Moral<br />
dem rechtsetzenden demokratischen Prozess vorzuordnen. Denn es ist doch weiter<br />
so, „dass der moralische Diskurs den Fluchtpunkt bildet, vor dessen Hintergr<strong>und</strong><br />
sich die rationale Bonität von Handlungsnormen überhaupt <strong>und</strong> damit auch<br />
rechtlicher Normen beurteilen lässt“ (Blanke 1994: 453).<br />
Zweitens soll in Prozessen der Rechtsetzung, da sich hier ja die Entscheidung<br />
über Normen für kollektive Zwecksetzungen öffnet, das „volitive Element der<br />
Entscheidung gegenüber dem kognitiven der Urteils- <strong>und</strong> Meinungsbildung“<br />
stärker ins Gewicht fallen als im moralischen Diskurs (Habermas 1996a: 352).<br />
Dies gelte umso mehr,<br />
a) je kontextabhängiger die nicht-moralischen Gründe sind <strong>und</strong> je größer die<br />
„Kontingenz der Lebensform, der Ziele <strong>und</strong> Interessenlagen, die vorgängig die<br />
Identität des sich selbst bestimmenden Willens festlegen“ (Habermas 1992: 195)<br />
<strong>und</strong><br />
b) je stärker „eine Gesellschaft die Verfolgung kollektiver Ziele im Staat konzentriert“<br />
(ebd.: 189).<br />
Den zweiten Punkt, der das Verhältnis von Staat <strong>und</strong> Gesellschaft bzw. von<br />
Politik <strong>und</strong> Ökonomie berührt, möchte ich hier zurückstellen. Festzuhalten bleibt<br />
50<br />
Vgl. dazu Habermas 1992: 206.