SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier
SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier
SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
16<br />
Funktion demokratischer Willensbildung fest. 29 Um die Angemessenheit einer<br />
diskurstheoretischen Begründung der Demokratie <strong>und</strong> ihre Auswirkungen auf die<br />
politische Repräsentation von Minderheiten <strong>und</strong> schwachen Interessen beurteilen<br />
zu können, ist es erforderlich, zunächst die gr<strong>und</strong>sätzliche These der Wahrheitsfähigkeit<br />
praktischer Diskurse <strong>und</strong> die aus ihr gewonnenen Rationalitätsstandards<br />
der demokratischen Willensbildung zu rekapitulieren.<br />
In seinen früheren Schriften, einschließlich der „Theorie des kommunikativen<br />
Handelns“ von 1982 vertritt Habermas einen engen Diskursbegriff, der Diskurse<br />
auf Fragen propositionaler Wahrheit <strong>und</strong> normativer Richtigkeit begrenzt. 30 Diskurse<br />
sind demnach eine von unmittelbarem Handlungsdruck entlastete Form der<br />
Kommunikation zur Überprüfung der Verallgemeinerungsfähigkeit von Geltungsansprüchen,<br />
in denen Teilnehmer, Themen <strong>und</strong> Beiträge nicht beschränkt<br />
werden, kein Zwang, außer dem des besseren Argumentes, ausgeübt wird <strong>und</strong><br />
alle Motive, außer dem der kooperativen Wahrheitssuche ausgeschlossen sind. 31<br />
Wenn unter solchen Bedingungen argumentativ ein Konsens erzielt wird, „dann<br />
drückt dieser Konsens einen vernünftigen Willen aus“ (Habermas 1973: 148).<br />
Spezifischer nennt Habermas folgende Diskursregeln, die jeder, der in eine Argumentation<br />
eintritt, als hinreichend erfüllt voraussetzen muss. 32<br />
1. „Jedes sprach- <strong>und</strong> handlungsfähige Subjekt darf an Diskursen teilnehmen.“<br />
2 a) „Jeder darf jede Behauptung problematisieren“<br />
2 b) „Jeder darf jede Behauptung in den Diskurs einführen“<br />
2 c) „Jeder darf seine Einstellungen, Wünsche <strong>und</strong> Bedürfnisse äußern.“<br />
3. „Kein Sprecher darf durch innerhalb oder außerhalb des Diskurses<br />
herrschenden Zwang daran gehindert werden, seine in 1) <strong>und</strong> 2) festgelegten<br />
Rechte wahrzunehmen“ (Habermas 1983: 99).<br />
Noch 1983 betont Habermas, das Diskursverfahren könne für die Entscheidung<br />
von Wertfragen nicht gelten, da diese an den lebensweltlichen Horizont einer<br />
bestimmten Kultur geb<strong>und</strong>en seien. Anders als die Wahrheit propositionaler<br />
Aussagen <strong>und</strong> die Richtigkeit moralischer Handlungsnormen implizierten Wert-<br />
29<br />
30<br />
31<br />
32<br />
Vgl. etwa Habermas 1991, S. 100-119 <strong>und</strong> Habermas 1992, S. 196-207.<br />
Zu diesem engen Diskursbegriff <strong>und</strong> seiner späteren Erweiterung vgl. auch Cooke 1997.<br />
Vgl. Habermas 1973: 148.<br />
„Argumentationsteilnehmer können der Voraussetzung nicht ausweichen, dass die Struktur<br />
ihrer Kommunikation, aufgr<strong>und</strong> formal zu beschreibender Merkmale, jeden von außen auf<br />
den Verständigungsprozeß einwirkenden oder aus ihm selbst hervorgehenden Zwang, außer<br />
dem des besseren Argumentes, ausschließt <strong>und</strong> damit auch alle Motive außer dem der kooperativen<br />
Wahrheitssuche neutralisiert“ (Habermas 1983: 99).