SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier
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um das politisch-historische Selbstverständnis von Gemeinschaften gehen. Allein<br />
schon aufgr<strong>und</strong> des narrativen Elements, das die kritische Aneignung von Überlieferungen<br />
enthält, kann hier die Vielfalt möglicher Interpretationen nicht durch<br />
den zwanglosen Zwang des besseren Arguments aus der Welt geschaffen werden.<br />
Sie wird vielmehr vom Diskurs selbst stets neu reproduziert werden. 78<br />
Während also die Pluralisierung der Volkssouveränität durch das Prinzip der<br />
Differenzrepräsentation das Politische als einen Raum optionalen Handelns öffnet,<br />
zielt die Prozeduralisierung der Volkssouveränität im Diskurs auf das eine<br />
vernünftige Ergebnis, das Pluralität <strong>und</strong> Optionalität überwindet.<br />
Es liegt auf der Hand, dass eine derartige Orientierung in der politischen Auseinandersetzung<br />
Interessen <strong>und</strong> Positionen begünstigt, die einen strengen Allgemeinheitsanspruch<br />
geltend machen können. Wie Frank Nullmeier überzeugend<br />
darstellte, kann dies mit Argumentationen, die sich auf eine funktionale, insbesondere<br />
ökonomische Allgemeinheit berufen, besser gelingen als mit ethischen<br />
Argumentationen, die auf die stets kontrovers interpretierbaren Ordnungsprinzipien<br />
<strong>und</strong> Wertvorstellungen einer Gesellschaft <strong>und</strong> ihrer Geschichte rekurrieren.<br />
79 Partikulare Interessen einer besonderen, funktional nicht entscheidenden<br />
Gruppe dürften deshalb in deliberativen Foren <strong>und</strong> Gremien weniger Durchsetzungschancen<br />
besitzen als in den repräsentativen Institutionen des politischen<br />
Systems. Einerseits weil in letzteren durch die Dimension der symbolischen Repräsentation<br />
im Gegensatz zu problemorientierten Foren oder Gremien ein erheblich<br />
größerer Zwang besteht, bei der Legitimation von Entscheidungen auf gemeinschaftsverbürgende<br />
Ordnungsprinzipien, wie etwa das der Sozialstaatlichkeit,<br />
zurückzugreifen. Andererseits aber auch, weil die durch periodische Wahlen<br />
gesicherte Abhängigkeit der Repräsentanten von den Repräsentierten auch nicht<br />
verallgemeinerungsfähigen Interessen eine Chance eröffnet, berücksichtigt zu<br />
werden.<br />
Die Fassung deliberativer Willensbildung als kognitiver Prozess rechtfertigt<br />
also begründete Zweifel am Versprechen einer höheren Inklusivität gegenüber<br />
sog. schwachen Interessen. Darüber hinaus führt sie zu einer bemerkenswerten<br />
Annäherung der demokratischen Willensbildung an einen systemischen Prozess.<br />
Habermas will zwar durch sein zweistufiges Gesellschaftsmodell einen Bereich<br />
der öffentlichen Selbstbestimmung vor der Eigenlogik verselbständigter gesellschaftlicher<br />
Teilsysteme retten. Dadurch dass er diese Selbstbestimmung aber als<br />
einen in subjektlosen Kommunikationskreisläufen stattfindenden Erkenntnispro-<br />
78<br />
79<br />
Ausführlich zu diesem Punkt Zerilli 2005.<br />
Vgl. dazu Nullmeier 2000.