SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier
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sche Unterscheidung von „phronesis“, der praktischen Klugheit, <strong>und</strong> „episteme“,<br />
der auf das Allgemeine, Notwendige <strong>und</strong> Überzeitliche gerichteten Erkenntnis,<br />
stellt er den falliblen Erkenntnismodus der modernen Wissenschaften. Aufgr<strong>und</strong><br />
der aristotelischen Differenzierung sei die Entscheidung über Handlungsnormen<br />
keine Sache der Erkenntnis im strikten Sinne, sondern der praktischen Klugheit.<br />
Da es der modernen Wissenschaft aber gar nicht mehr um das Erkennen ewiger<br />
Wahrheiten ginge, sondern um jederzeit kritisierbare Erkenntnisansprüche, sei<br />
diese Unterscheidung anachronistisch geworden <strong>und</strong> im übrigen „nicht klar, wie<br />
man von diesem schwachen, nachmetaphysischen Wissen noch nennenswerte<br />
Abstriche machen könnte, ohne den kognitiven Kern selbst zu gefährden“ (Habermas<br />
1991: 121). So gesehen wird die moderne Wissenschaft durch ihren falliblen<br />
Erkenntnismodus nicht nur demokratiefähig, sondern kann in Gestalt eines<br />
an der Argumentationspraxis von Gelehrten gewonnenen Diskursideals selbst das<br />
Modell für die moderne deliberative Demokratie abgeben. 39<br />
Auch wenn wir die Demokratiefähigkeit eines derart reduzierten Wahrheitsanspruches<br />
akzeptierten, bliebe zwischen dem Legitimitätsprinzip des Diskurses<br />
<strong>und</strong> der politischen Wirklichkeit eine Kluft, die erst durch eine genauere Bestimmung<br />
der politischen Willensbildung <strong>und</strong> ihrer institutioneller Formen geschlossen<br />
werden müsste, um aus einer kognitivistischen Moraltheorie eine politische<br />
Theorie zu machen.<br />
Habermas stellt sich dieser Aufgabe mit seiner in den 90er Jahren entwickelten<br />
Diskurstheorie des Rechts <strong>und</strong> des demokratischen Rechtsstaates. Den Ausgangspunkt<br />
dazu bietet das oben schon erwähnte Eingeständnis, dass „eine unvermittelte<br />
Anwendung der Diskursethik oder eines ungeklärten Diskursbegriffs<br />
auf den demokratischen Prozeß ... zu Ungereimtheiten (führt)“ (Habermas 1992:<br />
196). 40 Habermas bezieht sich dabei auf einen Einwand von Kriele, nach dem die<br />
idealisierenden Voraussetzungen von Argumentation in der politischen Praxis<br />
nicht herstellbar sind. 41 Seine Lösungsstrategie besteht dann darin, zwischen<br />
Diskurs- <strong>und</strong> Moralprinzip so zu differenzieren, dass demokratische Politik auch<br />
39<br />
40<br />
41<br />
Vgl. dazu auch Habermas 1992: 31. Konsequenterweise versucht Dryzek dann auch kritischen<br />
Rationalismus <strong>und</strong> Diskurstheorie zusammenzuführen <strong>und</strong> die diskursive Demokratie<br />
als Verfahren rationaler Problemlösung im Sinne Poppers zu bestimmen (vgl. Dryzek<br />
1990).<br />
Ähnlich formuliert Habermas in den „Erläuterungen zur Diskursethik“: „Gewiß konzentriert<br />
sie (die Diskursethik, W. T.) sich mit einem eng gefasst Begriff der Moral auf Fragen der<br />
Gerechtigkeit. ... In dieser Hinsicht mag der Name der Diskursethik ein Missverständnis nahegelegt<br />
haben. Die Diskurstheorie bezieht sich in je anderer Weise auf moralische, ethische<br />
<strong>und</strong> pragmatische Fragen“ (Habermas 1991: 101).<br />
Vgl. Habermas 1992: 195.