SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier
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Agitation über Organisation, die Mobilisierung von Anhängern, das Demonstrieren<br />
eigener Stärke bis zu Kampagnenführung <strong>und</strong> Geldsammeln. 26<br />
Die Möglichkeit einer Annäherung der politischen Realität an das Ideal deliberativer<br />
Demokratie wird mit Hinweis auf die anspruchsvollen Voraussetzungen<br />
einer nicht vermachteten Öffentlichkeit, einer den Anforderungen rationaler Verständigung<br />
entgegenkommenden politischen Kultur <strong>und</strong> eines offenen politischen<br />
Systems immer wieder bezweifelt. Wie bereits hier klar geworden sein sollte,<br />
stellt sich jedoch gr<strong>und</strong>sätzlicher die Frage, ob ein am Ideal rationaler Erkenntnis<br />
orientierter Deliberationsprozess überhaupt Inklusion <strong>und</strong> Gleichheit ermöglichen<br />
kann, oder ob er sich nicht bereits vor den Problemen seiner institutionellen<br />
Umsetzung als selektiv <strong>und</strong> exkludierend erweist. Dieser Frage soll im Folgenden<br />
genauer nachgegangen werden.<br />
4. Wahrheitsfähigkeit <strong>und</strong> Rationalität praktischer Diskurse<br />
Im Zentrum der diskurstheoretischen Begründung eines deliberativen Demokratiemodells<br />
steht Habermas’ These der Wahrheitsfähigkeit normativ-praktischer<br />
Fragen <strong>und</strong> ihre Ausarbeitung zu einer Theorie der Legitimität politischer Entscheidungen<br />
über allgemeinverbindliche Handlungsnormen.<br />
Habermas wurde immer wieder entgegengehalten, die Begründung demokratischer<br />
Politik durch eine Konsenstheorie der Wahrheit sei ihrem Gegenstand<br />
unangemessen, da sie den für moderne Gesellschaften unaufhebbaren Interessen<strong>und</strong><br />
Wertepluralismus nicht berücksichtigen könne. Darüber hinaus wurde ihm<br />
vorgeworfen, er transportiere ein differenzfeindliches, quasi Rousseauistisches<br />
Identitätsdenken. 27 Eine wichtige Rolle spielt die vermeintliche Differenzfeindlichkeit<br />
der Diskurstheorie auch in der angelsächsischen Debatte zum Multikulturalismus,<br />
in der Habermas geradezu als Kontrastfolie dient, vor der eigene,<br />
auf Diversität <strong>und</strong> Agonalität setzende Demokratietheorien entwickelt werden. 28<br />
Habermas hat nicht zuletzt in Reaktion auf die vielfach vorgetragene Kritik in<br />
den neunziger Jahren eingeräumt, dass sich die Diskursethik nicht unmittelbar<br />
auf den demokratischen Prozess anwenden lasse <strong>und</strong> dementsprechend für den<br />
Bereich der Politik <strong>und</strong> Rechtsetzung eine Differenzierung zwischen verschiedenen<br />
Diskurstypen vorgeschlagen. Ungeachtet dessen hielt er dabei jedoch gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
an der Wahrheitsfähigkeit praktischer Diskurse <strong>und</strong> der epistemischen<br />
26<br />
27<br />
28<br />
Vgl. Walzer 1999.<br />
Zum letzten Vorwurf etwa Vollrath 1987, 1989 <strong>und</strong> 1995. Ähnlich auch Michael Greven<br />
1991.<br />
Vgl. etwa Young 1987, Villa 1992, Mouffe 1999.