SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier
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durch die „Federalist Papers“. 66 Im Bereich des Politischen könne Selbstbestimmung<br />
nicht reflexiv, sondern nur transitiv verstanden werden. Es bedeute nicht,<br />
sich selbst zu bestimmen, sondern lediglich „Selbst zu bestimmen, durch wen<br />
<strong>und</strong> wie man regiert werden will (Self-Government)“ (Vollrath 1995: 183). Das<br />
politische Gegenkonzept zu der durch rationale Deliberation erstrebten reflexiven<br />
Autonomie ist demnach eine beschränkte Autonomie in der Verteilung wechselseitiger<br />
Heteronomie durch gegenseitige Kontrolle <strong>und</strong> Beschränkungen. 67<br />
Vollraths Rekurs auf einen reflexionsmoralischen Autonomiebegriff im Kern<br />
der diskurstheoretischen Demokratietheorie <strong>und</strong> sein Vergleich mit dem angelsächsischen<br />
Modell der beschränkten Selbstregierung werfen ein erhellendes<br />
Licht auf die bislang erörterten Probleme. Insbesondere lässt sich von hier aus<br />
verdeutlichen, wie durch die kognitive Bestimmung des Deliberationsprozesses<br />
„ein Vernunftmoment ins Spiel (kommt), das den Sinn der Repräsentation verändert“<br />
(Habermas 1992: 223). Wie sich zeigen lässt, verändert es ihn so, dass die<br />
Handlungspotentiale des Repräsentationsprinzips verloren gehen.<br />
Halten wir zunächst aber als Gemeinsamkeit zwischen der deliberativen Demokratietheorie<br />
Habermas` <strong>und</strong> der repräsentativen Demokratie im Sinn der USamerikanischen<br />
Gründungsväter das Ziel fest, eine demokratische Republik zu<br />
denken, ohne ein einheitliches Großsubjekt der Selbstregierung unterstellen zu<br />
müssen. Dabei geht es um ein genuin liberales Anliegen: Die Demokratie soll<br />
nicht mit der Subsumtion der Individuen unter das Kollektivsubjekt des einheitlichen<br />
Volkes oder der homogenen Nation erkauft werden. Während Hamilton <strong>und</strong><br />
Madison dabei einen alten Vorbehalt des politischen Denkens gegen die Demokratie<br />
aufgreifen <strong>und</strong> sich in elitär-konservativer Absicht vor einer drohenden<br />
Herrschaft der besitzlosen Massen schützen wollen, 68 möchte Habermas mit seiner<br />
Auflösung des Kollektivsubjektes der Selbstregierung die Voraussetzungen<br />
für den Nationalismus <strong>und</strong> die totalen Herrschaftsformen des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
beseitigen, zugleich jedoch an einem weitestgehenden Inklusions- <strong>und</strong> Partizipationsanspruch<br />
für den „Demos“ festhalten.<br />
Zu dieser Absicht passt, dass er Repräsentation keineswegs nach dem Stellvertretermodell<br />
deutet. Wie wir bereits gesehen haben, müssen nach Habermas<br />
moralische Diskurse in der Regel advokatorisch, <strong>und</strong> ethisch-politische aus technischen<br />
Gründen repräsentativ geführt werden. Dabei sollen sie jedoch lediglich<br />
den Mittelpunkt einer gesellschaftsweiten Kommunikation bilden <strong>und</strong> für die<br />
66<br />
67<br />
68<br />
Vgl. Vollrath 1989: 228.<br />
Vgl. Vollrath 1995: 184.<br />
Vgl. dazu Buchstein 1997.