05.07.2014 Aufrufe

SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier

SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier

SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

33<br />

eine derartige partielle Zurücknahme des kognitiven Anspruches politischer Deliberation<br />

inakzeptabel, weil sie es unmöglich macht, weiter zu unterstellen, dass<br />

prinzipiell alle Beteiligten den Ergebnissen der diskursiven Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung<br />

durch den zwanglosen Zwang des besseren Arguments zustimmen<br />

könnten.<br />

Nehme ich den Ergebnissen der politischen Willensbildung den starken Vernunftanspruch,<br />

so öffne ich den politischen Raum für begründete Differenzen.<br />

Die am demokratischen Prozess Beteiligten können den vorgetragenen Argumenten<br />

dann aus jeweils unterschiedlichen Gründen zustimmen oder ihre Zustimmung<br />

auch verweigern. Wenn so oder auch anders entschieden werden kann, bietet<br />

die auch von Manin der Mehrheit zugesprochene Vernunftvermutung aber<br />

keinen tragfähigen letzten Legitimationsgr<strong>und</strong> des demokratischen Prozesses.<br />

Ohne Orientierung am Bivalenzprinzip ist Einheit im Bereich der Politik nicht<br />

kognitiv, aus der zwanglosen Zustimmung zur einzig vernünftigen Entscheidung<br />

herzustellen. Die deliberativen Verfahren mögen dann durchaus noch geeignet<br />

sein, die Qualität der politischen Willensbildung zu verbessern. Wenn das deliberative<br />

Verfahren der politischen Willensbildung jedoch kein „wahres“ Ergebnis<br />

hervorbringen kann, dann lässt es sich im strengen Sinn nicht als Verwirklichung<br />

öffentlicher Autonomie denken, weil ganz einfach die Gründe fehlen, die jedes<br />

vernunftbegabte Individuum zur „zwanglosen“ Zustimmung zwingen könnten.<br />

Die Bereitschaft, das Ergebnis einer praktisch erforderlichen Abstimmung zu<br />

akzeptieren, kann für die unterlegene Minderheit dann auch nicht aus dem kognitiven<br />

Charakter des deliberativen Verfahrens allein stammen. Wenn für die<br />

Mehrheitsregel die von Habermas immer wieder bemühte „interne Beziehung zur<br />

Wahrheitssuche“ 63 nicht plausibel reklamiert werden kann, stellt sich erneut die<br />

Frage nach einer der Deliberation vorausgehenden Gemeinsamkeit, die eine unterlegende<br />

Minderheit erst motivieren könnte, den Mehrheitsbeschluss zumindest<br />

bis auf weiteres zu akzeptieren. Genau das ist auch die Konsequenz eines Einwandes<br />

von William Rehg, der es allein schon aufgr<strong>und</strong> der zeitlichen Einschränkungen,<br />

denen rechtlich institutionalisierte Beratungen in der politischen<br />

Willensbildung unterliegen, für unmöglich hält, ihre legitimierende Kraft allein<br />

aus der kognitiven Quelle von Diskursen zu beziehen. Sie bedürfe vielmehr der<br />

Ergänzung durch vorgängiges Vertrauen <strong>und</strong> sittlicher Bindung der Beteiligten.<br />

Rehg will damit Solidarität als eine vom Diskurs unabhängige Quelle der Legi-<br />

63<br />

Vgl. etwa Habermas 1992: 220, 613.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!