SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier
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(Habermas 1996a: 352). Wenn Recht nicht in Gerechtigkeit aufgehen kann, weil<br />
Rechtsfragen auch kollektive Ziele <strong>und</strong> Güter berühren sowie Fragen der Lebensform<br />
<strong>und</strong> Identität aufwerfen, entsteht ein über den moralischen Diskurs hinausreichender<br />
Begründungsbedarf.<br />
„Dann muß aber nicht nur geklärt werden, was gut ist für alle, sondern auch:<br />
wer die Beteiligten jeweils sind <strong>und</strong> wie sie leben möchten. Angesichts der<br />
Ziele, die sie im Lichte starker Wertungen wählen, stellt sich ihnen zudem<br />
die Frage, wie sie diese am besten erreichen können. Der Bereich der Gerechtigkeitsfragen<br />
erweitert sich also um Probleme der Selbstverständigung<br />
<strong>und</strong> der rationalen Mittelwahl – <strong>und</strong> natürlich um Probleme des Ausgleichs<br />
zwischen Interessen, die eine Verallgemeinerung nicht zulassen, sondern<br />
Kompromisse nötig machen“ (Habermas 1992: 192).<br />
Über diese Erweiterung hinaus verändert sich jedoch auch das Verhältnis von<br />
Kognition <strong>und</strong> Willensbildung. Da sich in der Rechtsetzung Momente der Verständigung<br />
mit solchen der Zielsetzung <strong>und</strong> Vereinbarung verschränken, „fällt in<br />
Prozessen der Rechtsetzung das volitive Moment der Entscheidung gegenüber<br />
dem kognitiven der Urteils- <strong>und</strong> Meinungsbildung ins Gewicht“ (Habermas<br />
1996a: 352).<br />
Zur Begründung von Handlungsnormen, die in Rechtsform auftreten, ist das<br />
allgemeine Diskursprinzip also zu einem Demokratieprinzip zu spezifizieren, in<br />
dem Handlungsnormen nicht allein aus moralischen, sondern auch aus ethischpolitischen<br />
<strong>und</strong> pragmatischen Gründen entschieden werden können. Mit der<br />
Unanwendbarkeit der Argumentationsregel des Universalisierungsgr<strong>und</strong>satzes<br />
fällt allerdings auch das strenge Rationalitätskriterium des moralischen Diskurses<br />
weg, so dass erst einmal zweifelhaft erscheint, ob Habermas für eine derartige<br />
politische Spezifizierung des Diskursprinzips zum Demokratieprinzip noch den<br />
ursprünglich aus dem moralischen Diskurs stammenden Rationalitätsanspruch<br />
aufrechterhalten kann, <strong>und</strong> wenn ja, welche Konsequenzen dann aus einem solchen<br />
Anspruch für die politische Repräsentation verschiedener Interessen <strong>und</strong><br />
Deutungsperspektiven folgen.<br />
Habermas unterscheidet den Gebrauch praktischer Vernunft zur demokratischen<br />
Bestimmung von Handlungsnormen nach den Aspekten des Zweckmäßigen,<br />
des Guten <strong>und</strong> des Gerechten. Dem entsprechen pragmatische, ethischpolitische<br />
<strong>und</strong> moralische Diskurse, die sich insbesondere in der jeweiligen