SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier
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Teilnahme aller Angehörigen in einer breiteren pluralistischen, basisnahen <strong>und</strong><br />
„machtverdünnten“ Öffentlichkeit durchlässig bleiben. 69 Auf diese Weise glaubt<br />
Habermas, dem Repräsentationsprinzip einen neuen Sinn zu geben <strong>und</strong> die alte<br />
Debatte über die Problematik des Handelns im Namen anderer, das Machtgefälle<br />
zwischen Repräsentanten <strong>und</strong> Repräsentierten <strong>und</strong> insbesondere über das Verhältnis<br />
von Delegation <strong>und</strong> Treuhänderschaft („trustee“) im Repräsentationsprinzip<br />
vermeiden zu können. 70 An die Stelle der asymmetrischen Beziehung zwischen<br />
Repräsentanten <strong>und</strong> Repräsentierten <strong>und</strong> der für ihren Handlungsaspekt<br />
konstitutiven Momente von Beauftragung, Zurechenbarkeit <strong>und</strong> Verantwortung<br />
tritt der Vernunftanspruch der Deliberation. Während die amerikanischen Verfassungsväter<br />
den Gefahren der Einheitsverkörperung im Konzept der demokratischen<br />
Selbstregierung die Pluralisierung der Volkssouveränität in einem System<br />
der „checks and balances“ entgegenstellen, setzt Habermas auf deren Verflüssigung<br />
in der prozeduralisierten Vernunft des Diskurses. Damit scheint er den Gefahren<br />
der Einheitsverkörperung einer substantialistisch verstandenen Volkssouveränität<br />
entkommen <strong>und</strong> gleichzeitig an der umfassenden Inklusion <strong>und</strong> Partizipation<br />
der Bürger festhalten zu können.<br />
Die Problematik dieser Lösung wird jedoch deutlich, wenn wir noch einmal<br />
kurz auf das Repräsentationsprinzip des „Federalist“ zurückkommen. Die amerikanischen<br />
Verfassungsväter begegnen der Vorstellung einer organischen Totalität<br />
im Konzept demokratischer Selbstregierung durch die Anerkennung <strong>und</strong> Institutionalisierung<br />
unaufhebbarer Differenz. Wichtig ist, dass sie dabei nicht nur die<br />
empirische Pluralität der Interessen anerkannten, sondern darüber hinaus die<br />
Vernünftigkeit unaufhebbarer Meinungsverschiedenheiten. Einmütigkeit ist nach<br />
Madison nur von politisch gefährlichen, gemeinsamen Leidenschaften zu erwarten,<br />
der freie Gebrauch der Vernunft aber führe unweigerlich zu verschiedenen<br />
Meinungen. 71 Aus dieser Überlegung folgt eine gr<strong>und</strong>sätzliche Legitimierung des<br />
Konflikts <strong>und</strong> der politischen Opposition. Darüber hinaus bietet sie neben der<br />
Absicht, eine Despotie der Mehrheit zu verhindern eine weitere Begründung der<br />
Institutionalisierung der Gewaltenteilung bzw. des Systems von „checks and ba-<br />
69<br />
70<br />
71<br />
Vgl. dazu Habermas 1992: 223f.<br />
Für einen Überblick zur Diskussion um das Repräsentationsprinzip vgl. Hierath 2001.<br />
So heißt es im „Federalist“: „When men exercise their reason cooly and freely on a variety<br />
of distinct questions, they inevitably fall into different opinions on some of them. When<br />
they are governed by a common passion, their opinions, if they are so be called, will be the<br />
same” (Hamilton/Madison/Jay: No. 50, S. 334).