SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier
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Die diskurstheoretische Begründung deliberativer Demokratiemodelle führt<br />
die demokratische Legitimität <strong>und</strong> die Rationalität von Beratungsergebnissen<br />
zurück auf die allgemeine Akzeptabilität der für sie angeführten Gründe. Daraus<br />
folgt zwar nicht, dass jeder Bürger individuell an den Beratungsprozessen teilnehmen<br />
<strong>und</strong> zu den angeführten Gründen Stellung nehmen müsste. Unabdingbare<br />
Legitimitätsbedingung eines deliberativen demokratischen Prozesses ist jedoch<br />
die Inklusion aller relevanten Interessen, Meinungen <strong>und</strong> Deutungsperspektiven.<br />
18 Habermas unterscheidet den Kreis der zu inkludierenden Interessen<br />
<strong>und</strong> Perspektiven <strong>und</strong> damit den Standard der Verallgemeinerungsfähigkeit<br />
der Entscheidungen je nachdem, ob es um verfahrensregulierte Verhandlungen,<br />
pragmatische, ethisch-politische oder moralische Diskurse geht. 19 Generell jedoch<br />
kann der diskurstheoretische Anspruch einer Einheit von demokratischer<br />
Willensbildung <strong>und</strong> öffentlichem Vernunftgebrauch nur durch die möglichst<br />
breite <strong>und</strong> möglichst gleichmäßige Einbeziehung der Interessen <strong>und</strong> Perspektiven<br />
aller vom jeweiligen Diskurstyp Betroffenen eingelöst werden. Dies gilt insbesondere<br />
für gesellschaftlich marginalisierte Gruppen. Wo die Betroffenen aus<br />
technischen oder Praktikabilitätsgründen nicht selbst teilnehmen können, sollen<br />
Diskurse deshalb repräsentativ oder advokatorisch geführt werden. 20<br />
Die Konzentration der Diskurstheorie auf Argumentationen impliziert dabei<br />
jedoch a) eine inhaltliche Neubestimmung des Repräsentationsprinzips, b) eine<br />
Verschiebung der Legitimitätskriterien demokratischer Entscheidungen sowie c)<br />
eine Abwertung der Handlungs- zugunsten der Erkenntnisdimension demokratischer<br />
Willensbildung.<br />
Ad a) Aufgr<strong>und</strong> des Vernunftanspruches an den demokratischen Prozess verändert<br />
sich der Sinn des Repräsentationsprinzips. Bereits für Verhandlungen,<br />
soweit dabei Argumentationen ins Spiel kommen, erst recht aber für ethischpolitische<br />
<strong>und</strong> moralische Diskurse bezieht Habermas das Repräsentationsprinzip<br />
nicht auf die Delegation der Willensmacht der Repräsentierten an die Repräsentanten,<br />
sondern auf die Argumentationspraxis des Diskurses. Die Auswahl der<br />
18<br />
19<br />
20<br />
Vgl. etwa Habermas 1992: 222-226 oder prägnant zusammengefasst bei Williams: „To sustain<br />
the claim to legitimacy... the processes of deliberative democracy must include all relevant<br />
social and political perspectives“ (Williams 2000: 125).<br />
Vgl. etwa Habermas 1992: 196-207. Dazu ausführlicher hier unter Teil 5.<br />
Ethisch-politische Diskurse werden repräsentativ geführt <strong>und</strong> sollen dabei „durchlässig,<br />
sensibel <strong>und</strong> aufnahmefähig“ gegenüber dem gesamtgesellschaftlichen Kommunikationskreislauf<br />
bleiben. Moralische Diskurse, in denen jeder Teilnehmer die Perspektive aller übrigen<br />
einnehmen muss, werden in der Regel advokatorisch geführt (Vgl. Habermas 1992:<br />
224). Zur Differenzierung zwischen moralischen <strong>und</strong> ethisch- politischen Diskursen s. Teil<br />
5.