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SFB 600 - Fremdheit und Armut - Universität Trier

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14<br />

die der deliberative Prozess hervorbringen soll. 24 Damit verliert sowohl das Handeln<br />

des einzelnen Bürgers, sei es in direkter Partizipation oder in Wahlakten, als<br />

auch das Abstimmungsverhalten der Repräsentanten an legitimatorischer Bedeutung<br />

gegenüber den prozeduralen Anforderungen an die Kommunikation <strong>und</strong><br />

Willensbildung in einer breiteren, informellen Öffentlichkeit. Habermas spricht<br />

zwar vorsichtig von einer Gewichtsverschiebung auf Kosten „der konkreten Verkörperung<br />

des souveränen Willens in Personen <strong>und</strong> Wahlakten, Körperschaften<br />

<strong>und</strong> Voten“ (Habermas 1998: 166). Klar ist damit dennoch, dass eine derartige<br />

deliberative Rekonstruktion der liberalen Demokratie die klassischen Kriterien<br />

politischer Repräsentation wie Autorisierung, Zurechenbarkeit, Responsivität<br />

<strong>und</strong> Kontrolle abwertet. Aufgewertet wird dagegen der Status von Gründen, bzw.<br />

derjenigen, die in der Lage sind, gute Gründe von weniger guten zu unterscheiden.<br />

Damit besteht zumindest die Gefahr, dass eine solche Informalisierung der<br />

Legitimation politischer Entscheidungen die gr<strong>und</strong>sätzliche Voraussetzung der<br />

Demokratie, nämlich die politische Gleichheit der Bürger untergräbt. Ob in der<br />

direkten Demokratie der griechischen Polis oder der modernen repräsentativen<br />

Demokratie, die politische Gleichheit ist stets ein prekäres, gegen die Realität<br />

vielfältiger gesellschaftlicher Ungleichheit zu verteidigendes Konstrukt. 25 Wo die<br />

freie <strong>und</strong> gleiche Wahl der Bürger zwischen sachlichen <strong>und</strong> personellen Alternativen<br />

gegenüber informellen, als Erkenntnisvorgänge gedachten Beratungen an<br />

Boden verliert, tritt auch das Prinzip formaler politischer Gleichheit zurück gegenüber<br />

den vielfältigen gesellschaftlichen Ungleichheiten der Teilnahme- <strong>und</strong><br />

Einflussmöglichkeiten in bezug auf diese Beratung <strong>und</strong> Meinungsbildung.<br />

Kompetenz, Zeitressourcen, Argumentationsmacht u.ä.m. sind auch in der breiteren,<br />

informellen Öffentlichkeit von Foren <strong>und</strong> zivilgesellschaftlichen Assoziationen<br />

keineswegs gleich verteilt.<br />

Ad c) Schließlich lässt die deliberative Neubestimmung politischer Willensbildung<br />

verschiedene Handlungsaspekte demokratischer Politik gegenüber der<br />

Erkenntnisfunktion der öffentlichen Debatte zurücktreten. Wie Michael Walzer<br />

in einem knappen Aufsatz sehr anschaulich herausgearbeitet hat, kann die kognitive<br />

Verengung deliberativer Demokratietheorien eine breite Palette politischer<br />

Aktivitäten nicht berücksichtigen, die gerade für die politische Betätigung von<br />

Normalbürgern erhebliche Bedeutung haben <strong>und</strong> vielfältige Partizipationsmöglichkeiten<br />

bieten. Seine vierzehn Punkte umfassende Liste reicht von der<br />

24<br />

25<br />

Dazu gr<strong>und</strong>sätzlich etwa Habermas 1973: 148f. <strong>und</strong> Habermas 1983: 78-86.<br />

Kritisch zur Ignoranz gegenüber dieser Unterscheidung von politischer Gleichheit <strong>und</strong> gesellschaftlicher<br />

Ungleichheit in den Theorien einer zivilgesellschaftlichen deliberativen<br />

Demokratie vgl. etwa Thaa 1999: 208f. <strong>und</strong> Greven 2005: 266f.

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