Holger Alda - SOFI
Holger Alda - SOFI
Holger Alda - SOFI
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
8<br />
die Bewertung der functionings eine eigenständige Herausforderung. Wenn auch eine positive<br />
Definition von Wahlfreiheit und Verwirklichungschancen schwierig ist, so ist die negative<br />
Definition über die mögliche Unterschreitung gewisser gesellschaftlich definierter Mindeststandards<br />
bei der Teilhabe an Erwerbsarbeit greifbarer. Solche Mindeststandards setzen<br />
sozialpolitische Regelungen oder gleichwertige Übereinkünfte (etwa Tarifverträge). Hartnäckig<br />
kontroverse Diskurse über die Ausgestaltung der Mindeststandards gibt es genügend<br />
bei den Themen Löhne und Gehälter, bei der Beschäftigungsstabilität und im Zusammenhang<br />
mit dem Erhalt und Ausbau beruflich verwertbarer Qualifikationen 3 . Der Grund hierfür ist,<br />
dass die Sichtweisen und Interessen der unmittelbaren Akteure – Arbeitnehmer und Arbeitgeber<br />
– im Sinne der Sozialpolitik und -gesetzgebung scheinbar nicht unbedingt immer zu vollständig<br />
miteinander kompatiblen Übereinkünften führen. Das liegt daran, dass sich die Frage<br />
nach Löhnen, Beschäftigungsstabilität und der betrieblichen Qualifikationsstruktur unter ökonomischen<br />
Prämissen zumindest teilweise etwas anders stellt als es unter dem Aspekt der<br />
Lebensführung von Individuen bzw. Haushalten der Fall ist. Aus Sicht der Beschäftigten ist<br />
davon auszugehen, dass ihre Teilhabemöglichkeiten an Erwerbsarbeit von wettbewerbsrelevanten<br />
Faktoren aus dem ökonomischen Umfeld strukturiert werden.<br />
In der Literatur gibt es Hinweise, dass sich Unternehmen nicht nur in Deutschland zumindest<br />
teilweise in (eigenständige) Hoch- und Niedriglohnbetriebe auftrennen 4 . Dahinter steckt weit<br />
mehr als die bloß analytische Zerlegung von ehemals in vertikal organisierten Betrieben vorhandenen<br />
Abteilungen in nun je einzelne voneinander weitestgehend unabhängige Betriebe<br />
bzw. Leistungserstellungsprozesse. Die Vernetzung mit anderen Unternehmen, aber auch die<br />
Abflachung von Hierarchieebenen oder der technologische Fortschritt, machen eine mehr<br />
oder minder permanente Anpassung der betrieblich benötigten Qualifikationen erforderlich.<br />
Damit werden gleichzeitig sich nicht verändernde oder anspruchslosere berufliche Anforderungsprofile<br />
entwertet. Es handelt sich demnach um keine Zerlegung, sondern um die Beschreibung<br />
eines mehr oder minder kontinuierlichen und dynamischen Prozesses, wobei offen<br />
ist, ob sich in naher Zukunft ein neues, weniger dynamisches Gleichgewicht einstellen wird.<br />
Zunehmend projektförmig (einzelauftragsbezogene) organisierte Arbeit in Betrieben erschwert<br />
Vorhersagen über die zu erwartende Beschäftigungsstabilität, aber auch über den<br />
Umgang mit beruflichen Qualifikationen. Projektförmig organisierte Arbeit ist einerseits<br />
kurzfristig angelegt, benötigt aber andererseits zumindest teilweise hohe Qualifikationsprofile,<br />
die zudem permanent weiterentwickelt werden müssen. Bei nicht projektförmig organisierten<br />
bzw. standardisierbaren Güter- und Dienstleistungserstellungsprozesse kann die Verlagerung<br />
ins Ausland eine (zusätzliche) Gewinnmarge einbringen, wodurch im Inland insbesondere<br />
weniger gut qualifizierte Personen von Entlassung bedroht oder betroffen sind. Andererseits<br />
können sich Betriebe insbesondere bei anspruchsvollen Qualifikationsprofilen nicht<br />
3 Im Bereich der Löhne und Gehälter ist das beispielsweise die Frage nach Mindestlöhnen (oder<br />
Lohnerhöhungen), im Bereich der Beschäftigungsstabilität die Kündigungsschutzregelungen (bzw. zu möglichen<br />
Auffangmechanismen wie es in der Flexicurity-Diskussion anklingt) und im Bereich der Qualifikationen<br />
Aspekte und Möglichkeiten lebenslangen Lernens.<br />
4 Zu diesem Thema wird ein Sammelband von Lazaer/Shaw (2007) herausgegeben, der dies anhand empirischer<br />
Daten für verschiedene westeuropäische Länder und die Vereinigten Staaten zeigt. Ergebnisse für<br />
(West-)Deutschland im Zeitraum 1993 bis 2000 befinden sich in <strong>Alda</strong> et al. (2006).