75 Jahre Sozialdemokraten in Paderborn - SPD Paderborn
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<strong>75</strong> <strong>Jahre</strong><br />
<strong>Sozialdemokraten</strong><br />
<strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong><br />
Darstellung und Dokumentation<br />
1909 - 1984
Impressum:<br />
Herausgeber: <strong>SPD</strong> Ortsvere<strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong>, Bahnhofstraße 32, 4790 <strong>Paderborn</strong><br />
Redaktion: Arno Klönne, Helmut Funke, Käthe Meermeier, Hartmut Reese, Ra<strong>in</strong>er R<strong>in</strong>gs<br />
Layout: Ra<strong>in</strong>er R<strong>in</strong>gs<br />
Gesamtherstellung: Junfermann - Verlag und Druckerei
Inhaltsverzeichnis<br />
Grußwort des Parteivorsitzenden Willy Brandt .................................................................................................................. 5<br />
Vorwort der Ortsvere<strong>in</strong>svorsitzenden Käthe Meermeier ................................................................................................. 7<br />
Soziale Frage, Kapitalismuskritiker und <strong>Sozialdemokraten</strong> <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> —<br />
von 1848 bis <strong>in</strong> die zwanziger <strong>Jahre</strong><br />
Nach e<strong>in</strong>em Bericht von Karl Kran, ergänzt von Arno Klönne ......................................................................................... 9<br />
Die <strong>Paderborn</strong>er <strong>SPD</strong> am Ende der Weimarer Republik und <strong>in</strong> der Zeit des Nationalsozialismus —<br />
Nach Aufzeichnungen, Zeitungsberichten und Gesprächen mit alten Genoss<strong>in</strong>nen und Genossen<br />
von Hartmut Reese ................................................................................................................................................................ 29<br />
Wiederaufbau und Entwicklung der <strong>Paderborn</strong>er <strong>SPD</strong> nach 1945<br />
Nach e<strong>in</strong>em Bericht von Karl Kran, ergänzt von Arno Klönne ......................................................................................... 43<br />
Der Ortsvere<strong>in</strong> der <strong>SPD</strong> von 1969 bis 1984<br />
von Käthe Meermeier ............................................................................................................................................................ 48<br />
Die Wiederbegründung der <strong>Paderborn</strong>er Jungsozialisten (1968/69)<br />
von Helmut Funke ................................................................................................................................................................ 70<br />
Die Zusammensetzung des Ortsvere<strong>in</strong>svorstandes seit 1969 ............................................................................................ <strong>75</strong><br />
Wahlergebnisse der <strong>SPD</strong> <strong>in</strong> der Stadt <strong>Paderborn</strong> ................................................................................................................ <strong>75</strong><br />
3
Grußwort zum <strong>75</strong>jährigen Bestehen des<br />
<strong>SPD</strong>-Ortsvere<strong>in</strong>s <strong>Paderborn</strong> am 30. November 1984<br />
Dem Ortsvere<strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> gilt<br />
me<strong>in</strong> herzlicher Glückwunsch zum<br />
<strong>75</strong>jährigen Bestehen. Dazu gratuliere<br />
ich zugleich im Namen des<br />
Parteivorstandes.<br />
An erster Stelle möchte ich mich<br />
an die Jubilare und Senioren wenden:<br />
Ihnen gilt unser besonderer<br />
Dank. Durch ihre Treue zur Arbeiterbewegung<br />
und Sozialdemokratie<br />
haben sie Beispiele gesetzt, denen<br />
es nachzueifern lohnt.<br />
Danken möchte ich gleichermaßen<br />
all denen, die an der Arbeit des<br />
Ortsvere<strong>in</strong>s teilhaben und immer<br />
wieder freiwillige Aufgaben für die<br />
Partei auf sich nehmen.<br />
Wir können heute ohne Gesundbeterei,<br />
aber mit dem notwendigen<br />
Selbstbewußtse<strong>in</strong> sagen: Die <strong>SPD</strong><br />
hat wieder Tritt gefaßt. Die Zeiten,<br />
da man glaubte, uns <strong>in</strong> den Keller<br />
reden zu können, s<strong>in</strong>d vorbei. Auf<br />
unserem Weg, von den Städten und<br />
Geme<strong>in</strong>den her über die Länder<br />
neu aufzubauen, um auch für das<br />
Ganze wieder die Verantwortung<br />
übernehmen zu können, s<strong>in</strong>d wir<br />
schon e<strong>in</strong> gutes Stück vorangekommen.<br />
Und ich b<strong>in</strong> sicher, die <strong>SPD</strong><br />
wird bei den vor uns liegenden weiteren<br />
Kommunalwahlen und <strong>in</strong>sbesondere<br />
bei den Landtagswahlen im<br />
nächsten Frühjahr <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, im<br />
Saarland und <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen<br />
zeigen, daß sie sich behaupten<br />
und siegen kann.<br />
Angesichts e<strong>in</strong>er amtierenden Bundesregierung,<br />
deren Strecke zur<br />
Halbzeit von Pannen, Ungerechtigkeiten<br />
und Unzulänglichkeiten auf<br />
so ziemlich allen politischen Feldern<br />
gekennzeichnet ist, haben wir<br />
allen Grund, die sozialdemokratische<br />
Alternative zu den Konservativen<br />
klarzumachen, und die entscheidenden<br />
Themen der <strong>Jahre</strong><br />
1984/85 nicht aus den Händen zu<br />
geben. Diese Themen s<strong>in</strong>d: Kampf<br />
gegen die Arbeitslosigkeit, Stopp<br />
des Sozialabbaues, Schutz der Umwelt<br />
(und des liberalen Rechtsstaates)<br />
sowie Verteidigung des Friedens<br />
— dem nicht nur das weltweite<br />
Wettrüsten, sondern auch das<br />
Elend <strong>in</strong> der Dritten Welt zusetzt.<br />
— Die Arbeitslosen, unter ihnen<br />
erschreckend viele Jugendliche,<br />
müssen wieder <strong>in</strong> Arbeit<br />
gebracht werden. Die zu Zeiten<br />
der Konservativen steigenden<br />
Arbeitslosenzahlen zeigen: Die<br />
öffentliche Verantwortung für<br />
die Beschäftigungspolitik muß<br />
wieder größer geschrieben werden.<br />
Unsere Industrie muß technologisch<br />
Spitze se<strong>in</strong> oder wieder<br />
Spitze werden. Dazu gehört<br />
e<strong>in</strong>e energische Forschungs- und<br />
Industriepolitik.<br />
— Unser Konzept heißt: Ökologische<br />
Modernisierung der Industriegesellschaft,<br />
damit wir uns<br />
nicht unserer eigenen Lebensgrundlagen<br />
berauben, der Arbeit<br />
und der Umwelt. Die <strong>SPD</strong> ist<br />
die Partei der Arbeitnehmer,<br />
und sie hat solide Umweltprogramme.<br />
— Die CDU/CSU hat Millionen<br />
von Familien und Rentnern<br />
kräftig <strong>in</strong> die Tasche gelangt,<br />
dagegen Großverdienern — nicht<br />
zuletzt den Großagrariern statt<br />
den Kle<strong>in</strong>bauern — mit vollen<br />
Händen zugeschoben. Die <strong>SPD</strong><br />
kämpft gegen die Umverteilung<br />
von unten nach oben, sie<br />
kämpft für soziale Gerechtigkeit.<br />
— Die Bundesregierung, die mit<br />
dem Wahlkampfslogan „Frieden<br />
schaffen mit immer weniger<br />
5
Waffen" antrat, hat es nicht<br />
geschafft, unseren Spielraum zu<br />
nutzen, um im deutschen und<br />
europäischen Interesse der Konfrontation<br />
der nuklearen Supermächte<br />
entgegenzuwirken. Die<br />
<strong>SPD</strong> drängt auf Abrüstung <strong>in</strong><br />
Ost und <strong>in</strong> West, die gerade<br />
auch den Armen im Süden der<br />
Welt zugute kommen könnte.<br />
Wir bleiben die Friedenspartei <strong>in</strong><br />
unserem Land.<br />
Das s<strong>in</strong>d unsere wichtigsten Themen.<br />
Um sie überall — vor Ort,<br />
im Land, im Bund (und über die<br />
deutschen Grenzen h<strong>in</strong>aus, vor<br />
allem, wo es um Europa geht) —<br />
an den Mann und die Frau br<strong>in</strong>gen<br />
zu können, brauchen wir e<strong>in</strong>e<br />
starke, lebendige Parteiorganisation.<br />
Und die gibt es nicht ohne<br />
den lebendigen Ortsvere<strong>in</strong> und die<br />
Betriebsgruppen, die Gleichstellung<br />
der Frauen gerade auch <strong>in</strong> der politischen<br />
Arbeit, die E<strong>in</strong>beziehung<br />
der Jungen ebenso wie der Älteren.<br />
Kurz: Wir müssen unsere Organisationskraft<br />
auch dadurch stärken,<br />
daß wir neue Mitglieder und damit<br />
Mitstreiter für unsere sozialdemokratische<br />
Sache gew<strong>in</strong>nen. Ich bitte<br />
Euch deshalb alle mitzumachen,<br />
damit wir bis zur Mitte des nächsten<br />
<strong>Jahre</strong>s das Ziel e<strong>in</strong>es realen<br />
Mitgliederzuwachses von fünf Prozent<br />
erreichen können.<br />
Mir ist klar, daß dies e<strong>in</strong> ehrgeiziges<br />
Ziel ist. Aber nur wenn wir<br />
mit unseren Argumenten stark und<br />
gleichzeitig mit unserer Organisation<br />
auf der Höhe s<strong>in</strong>d, können<br />
wir bei den vor uns liegenden<br />
Wahlgängen zulegen und auch<br />
sonst unseren E<strong>in</strong>fluß stärken.<br />
Dazu gehört vor allem anderen:<br />
Nur wer vor Ort ausdauernd arbeitet,<br />
kann mit Aussicht auf Erfolg<br />
<strong>in</strong> die Ause<strong>in</strong>andersetzung der Parteien<br />
um die führende Verantwortung<br />
<strong>in</strong> Land und Bund e<strong>in</strong>treten.<br />
Deshalb kommt Eurer Arbeit im<br />
Ortsvere<strong>in</strong>, über die Kommunalpolitik<br />
h<strong>in</strong>aus, große Bedeutung zu.<br />
In diesem S<strong>in</strong>ne wünsche ich Euch<br />
weiterh<strong>in</strong> viel Erfolg.<br />
Mit herzlichen Grüßen<br />
Willy Brandt<br />
6
<strong>75</strong> <strong>Jahre</strong> Ortsvere<strong>in</strong> der <strong>SPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> —<br />
e<strong>in</strong> Dreivierteljahr hundert Sozialdemokratie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
konservativen Stadt<br />
Diese <strong>75</strong> <strong>Jahre</strong> sollen Anlaß se<strong>in</strong><br />
zu e<strong>in</strong>er Rückbes<strong>in</strong>nung auf e<strong>in</strong><br />
Zeitalter, das geprägt war von<br />
politischen Umwälzungen größter<br />
Art, vom Leben unter verschiedensten<br />
Regierungen, unter der Verfassung<br />
des Kaiserreiches, der<br />
Demokratie von Weimar, der Diktatur<br />
des Dritten Reiches und der<br />
Verfassung der Bundesrepublik<br />
Deutschland. Das Dreivierteljahrhundert<br />
von 1909 bis 1984 brachte<br />
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen<br />
Wandel, der das Leben des<br />
e<strong>in</strong>zelnen Bürgers tiefgreifend veränderte,<br />
man denke an Zeiten der<br />
Arbeitslosigkeit und Inflation, des<br />
Zusammenbruchs und Wiederaufbaus,<br />
zu er<strong>in</strong>nern ist an den Wandel<br />
der Berufe und Arbeitsplätze.<br />
Für die Genossen des <strong>Paderborn</strong>er<br />
Ortsvere<strong>in</strong>s bedeuteten <strong>75</strong> <strong>Jahre</strong><br />
<strong>SPD</strong> e<strong>in</strong> Leben, das geprägt war<br />
von dem Willen, sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er konservativ<br />
geprägten Gesellschaft zu<br />
behaupten und die Ideen des<br />
Sozialismus zum Wohle der Bürger<br />
zur Geltung zu br<strong>in</strong>gen.<br />
In unserer Broschüre soll berichtet<br />
werden von den Erfolgen auf dem<br />
Wege zu e<strong>in</strong>er besseren Gesellschaft,<br />
Niederlagen und Rückschläge<br />
sollen nicht verschwiegen<br />
werden. Zu erwähnen s<strong>in</strong>d politische<br />
Initiativen und Aktionen der<br />
örtlichen <strong>SPD</strong>. Aber auch über das<br />
alltägliche Leben der Genossen soll<br />
berichtet werden. Deutlich wird<br />
werden, daß Menschen Geschichte<br />
erleben, erleiden und gestalten<br />
können.<br />
Die verschiedenen Zeiten konnten<br />
nicht <strong>in</strong> gleicher Intensität untersucht<br />
werden. Während für die<br />
Zeit bis <strong>in</strong> die ersten <strong>Jahre</strong> des<br />
Dritten Reiches <strong>in</strong>tensive Forschungen<br />
betrieben wurden, die<br />
auch die Zeit vor 1909 betreffen,<br />
gibt es für den größten Teil des<br />
Dritten Reiches aufgrund des Verbotes<br />
der Partei kaum Berichte.<br />
Die Zeit von 1945 bis 1969 konnte<br />
aufgrund des Fehlens e<strong>in</strong>es Forschers/e<strong>in</strong>er<br />
Forscher<strong>in</strong> nicht<br />
<strong>in</strong>tensiv bearbeitet werden. Das<br />
Schwergewicht der Darstellung<br />
nach 1969 liegt beim Ortsvere<strong>in</strong>.<br />
Dokumentiert ist die Geschichte<br />
der Anfänge der Juso AG. Die<br />
Tätigkeit der Fraktion und anderer<br />
politischer Gremien bedarf e<strong>in</strong>er<br />
weiteren Untersuchung.<br />
Gedankt sei an dieser Stelle den<br />
Genossen, die durch ihre Mitarbeit,<br />
ihre Berichte und ihre Hilfe<br />
bei der Suche nach Quellenmaterial<br />
die Arbeit an diesem Buch unterstützt<br />
haben. Erwähnt seien als<br />
Berichterstatter für die Zeit der<br />
Weimarer Republik und des Dritten<br />
Reiches die Genoss<strong>in</strong>nen und<br />
Genossen M<strong>in</strong>e Maiboom, Hubert<br />
Coprian, Johannes Isermann und<br />
Hansi Steiger. Unser Dank gilt<br />
auch allen, die durch e<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>anzielle<br />
Unterstützung die Herausgabe<br />
dieses Buches ermöglicht<br />
haben.<br />
Dies Buch soll nicht nur der Rückbes<strong>in</strong>nung<br />
dienen. Aus der<br />
Beschäftigung mit der Vergangenheit<br />
können Kraft und Mut<br />
geschöpft werden, immer wiederkehrenden<br />
Enttäuschungen zum<br />
Trotz nicht nachzulassen im Bemühen<br />
für e<strong>in</strong>e Gestaltung der Gesellschaft<br />
im S<strong>in</strong>ne des demokratischen<br />
Sozialismus.<br />
Käthe Meermeier<br />
Vorsitzende<br />
7
Soziale Frage, Kapitalismuskritiker und <strong>Sozialdemokraten</strong> <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> —<br />
von 1848 bis <strong>in</strong> die zwanziger <strong>Jahre</strong><br />
Frühe „revolutionäre Umtriebe"<br />
Als sich im „Vormärz", also <strong>in</strong> der<br />
Zeit vor dem Versuch e<strong>in</strong>er bürgerlichen<br />
Revolution <strong>in</strong> Deutschland<br />
1848/49, <strong>in</strong> der öffentlichen Me<strong>in</strong>ung<br />
demokratische und frühsozialistische<br />
Positionen zeigten, als<br />
dann e<strong>in</strong>e politische Bewegung die<br />
Macht der Feudalstaaten zu brechen<br />
sich anschickte, lag <strong>Paderborn</strong><br />
ke<strong>in</strong>eswegs im W<strong>in</strong>dschatten der<br />
Ereignisse. Wie Bielefeld gehörte es<br />
zu den Zentren der „revolutionären<br />
Umtriebe" <strong>in</strong> Westfalen.<br />
In <strong>Paderborn</strong> erschien <strong>in</strong> den Jahrgängen<br />
1847 und 1848 die Zeitschrift<br />
„Das Westphälische Dampfboot",<br />
verlegt von Wilhelm Crüwell,<br />
redigiert von dem Rhedaer<br />
Arzt Otto Lün<strong>in</strong>g.<br />
Das „Dampfboot" verfolgte e<strong>in</strong>en<br />
Kurs, der radikaldemokratische<br />
mit frühsozialistischen Ideen verband.<br />
Otto Lün<strong>in</strong>g hatte das Programm<br />
der Zeitschrift folgendermaßen<br />
beschrieben: „Wir gehören<br />
nicht zu der Fraktion der Liberalen,<br />
welche mit der äußeren politischen<br />
Form, dem Constitutionalismus,<br />
alles erreicht zu haben glaubt<br />
... Die Geschichte hat es deutlich<br />
gezeigt, daß der Constitutionalismus<br />
nur die Verdrängung des<br />
e<strong>in</strong>en Privilegiums durch das<br />
andere, des Stammbaums durch<br />
das Kapital war ..." Damit war<br />
die Richtung angezeigt, und das<br />
„Dampfboot" wurde zu der ersten<br />
<strong>in</strong> Deutschland ersche<strong>in</strong>enden<br />
Publikation, die den „wissenschaftlichen<br />
Sozialismus" im S<strong>in</strong>ne<br />
von Marx und Engels zu Wort<br />
kommen ließ. Im Jahr 1847<br />
brachte das „Dampfboot" den<br />
Erstdruck der Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
von Karl Marx mit den „utopischen<br />
Sozialisten". Auch von<br />
Friedrich Engels erschienen <strong>in</strong> der<br />
Zeitschrift Erstveröffentlichungen.<br />
Zu dem Kreis um das „Westphälische<br />
Dampfboot" gehörten damals<br />
neben Lün<strong>in</strong>g Rudolf Rempel,<br />
Julius Meyer (Schloß Holte) und<br />
Josef Weydemeyer, e<strong>in</strong> enger<br />
Freund von Karl Marx. Nach dem<br />
Scheitern der 48er Revolution<br />
geriet die Existenz des „Dampfboots"<br />
<strong>in</strong> Vergessenheit. Lange<br />
Zeit gab es <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Bibliothek e<strong>in</strong><br />
vollständiges Exemplar der Zeitschrift,<br />
dann hat 1972 der Verlag<br />
Auvermann/Glashütten sie <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em fotomechanischen Nachdruck<br />
neu vorgelegt.<br />
Otto Lün<strong>in</strong>g und der Bielefelder<br />
Rudolf Rempel wirkten nicht nur<br />
publizistisch. Sie waren maßgeblich<br />
beteiligt an der Gründung der<br />
ersten demokratischen Vere<strong>in</strong>e und<br />
traten als westfälische Delegierte<br />
9
10<br />
beim 1. Deutschen Demokratenkongreß<br />
im Juni 1848 <strong>in</strong> Frankfurt auf.<br />
Rempel gründete 1848 <strong>in</strong> Bielefeld<br />
die Wochenzeitschrift „Der Volksfreund",<br />
die sich als Organ der<br />
„sozialen Demokratie" verstand,<br />
engen Kontakt mit den damals zum<br />
ersten Mal entstehenden Arbeitervere<strong>in</strong>igungen<br />
hielt und ihrem Programm<br />
nach e<strong>in</strong>en Vorläufer für<br />
die Sozialdemokratie der siebziger<br />
<strong>Jahre</strong> des vorigen Jahrhunderts bildete.<br />
(Der <strong>Paderborn</strong>er Verlag<br />
Junfermann hat 1983 e<strong>in</strong>en Repr<strong>in</strong>t<br />
der Zeitschrift herausgebracht.)<br />
Der erste Westfälische Demokratenkongreß<br />
fand im September<br />
1848 auf E<strong>in</strong>ladung Lün<strong>in</strong>gs und<br />
Rempeis <strong>in</strong> Bielefeld statt. Der<br />
zweite Westfälische Demokratenkongreß<br />
tagte am 18./19. 11. 1848<br />
<strong>in</strong> Münster. Initiatoren waren die<br />
Demokraten-Vere<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Bielefeld<br />
und <strong>Paderborn</strong>. Auf dem Kongreß<br />
<strong>in</strong> Münster trat neben Rempel vor<br />
allem Franz Löher hervor,<br />
Gerichtsreferendar <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
und Vorsitzender des <strong>Paderborn</strong>er<br />
Demokratischen Volksvere<strong>in</strong>s.<br />
Löher war auch der erste Redakteur<br />
der „Westfälischen Zeitung",<br />
die — gleich nach Verkündung der<br />
Pressefreiheit <strong>in</strong> Preußen — ab<br />
April 1848 <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> im Verlag<br />
von Wilhelm Crüwell erschien.<br />
Diese Zeitung war <strong>in</strong> den <strong>Jahre</strong>n<br />
1848 bis 1851 das führende
aktuelle Blatt der demokratischen<br />
Bewegung <strong>in</strong> Westfalen, ab Anfang<br />
1849 erschien sie als Tageszeitung.<br />
Der Westfälische Demokratenkongreß<br />
<strong>in</strong> Münster erklärte den Bielefelder<br />
„Volksfreund" und die<br />
<strong>Paderborn</strong>er „Westfälische Zeitung"<br />
zu den offiziellen Presseorganen<br />
der Demokraten Westfalens.<br />
Im Herbst 1848 hatte das reaktionäre<br />
M<strong>in</strong>isterium Preußens mit<br />
Hilfe der Truppen Wrangeis das<br />
Berl<strong>in</strong>er Parlament ause<strong>in</strong>andergetrieben.<br />
Die westfälischen Demokraten,<br />
Löher und Rempel an der<br />
Spitze, hatten zum Widerstand<br />
hiergegen (u. a. durch SteuerverWeigerung)<br />
aufgerufen. Rempel entfloh<br />
der drohenden Verhaftung nach<br />
Frankreich; Löher wurde am<br />
10. 12. 1848 <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> verhaftet.<br />
Die <strong>Paderborn</strong>er Demokraten<br />
setzten sich der Verhaftung entgegen;<br />
es kam, wie es damals hieß,<br />
zum „Aufruhr". Zwar behielten die<br />
preußischen Regierungstruppen die<br />
Oberhand, aber die <strong>Paderborn</strong>er<br />
Bevölkerung wählte Löher noch<br />
während der Haft zum Abgeordneten<br />
für das Berl<strong>in</strong>er Parlament.<br />
Ende Februar 1849 wurde Löher<br />
entlassen und <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> triumphal<br />
empfangen. Im Dezember<br />
1849 wählten die <strong>Paderborn</strong>er<br />
Löher zum Bürgermeister; <strong>in</strong>dessen<br />
wurde er von der preußischen<br />
Regierung nicht <strong>in</strong>s Amt gelassen<br />
und auch aus dem Justizdienst verdrängt.<br />
Noch 1852, nach dem Sieg der<br />
Reaktion über die demokratische<br />
Bewegung, sagte im berühmten<br />
Kölner „Kommunistenprozeß" der<br />
berüchtigte Berl<strong>in</strong>er Polizeirat Stieber<br />
aus, daß <strong>in</strong> Ostwestfalen und<br />
speziell <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> „kommunistische<br />
Zellen" tätig seien. Geme<strong>in</strong>t<br />
war damit offenbar die Popularität,<br />
die der entschiedene Demokrat<br />
Löher immer noch bei den <strong>Paderborn</strong>er<br />
Bürgern hatte.<br />
Das Scheitern der 48er Revolution<br />
zerschlug alle Ansätze der demokratischen<br />
und frühsozialistischen<br />
Bewegung, die gerade <strong>in</strong> Ostwestfalen<br />
hoffnungsvoll sich entwickelt<br />
hatten. Auch die im Vormärz und<br />
<strong>in</strong> den <strong>Jahre</strong>n 1848/49 entstandene<br />
demokratische Presse wurde unterdrückt<br />
oder mußte — wie die<br />
„Westfälische Zeitung" — ihren<br />
Kurs verändern. Löher g<strong>in</strong>g nach<br />
Bayern und machte sich dort als<br />
wissenschaftlicher Schriftsteller<br />
e<strong>in</strong>en guten Namen. An se<strong>in</strong>e frühere<br />
Heimat er<strong>in</strong>nerte se<strong>in</strong> Werk<br />
„Geschichte des Kampfes um<br />
<strong>Paderborn</strong> 1597-1604".<br />
Verdrängte Er<strong>in</strong>nerung<br />
Der Sieg der Obrigkeitsstaaten <strong>in</strong><br />
Deutschland über die revolutionäre<br />
Bewegung von 1848/49 verdrängte<br />
die Er<strong>in</strong>nerung an die ostwestfäli-<br />
schen Demokraten und Frühsozialisten<br />
aus dem öffentlichen<br />
Bewußtse<strong>in</strong>. Die Sieger schrieben<br />
die Geschichte, und dem heimischen<br />
Geschichtsbewußtse<strong>in</strong> schien<br />
es so, als hätten Löher und<br />
Lün<strong>in</strong>g, das „Dampfboot" und die<br />
<strong>Paderborn</strong>er „Westfälische Zeitung"<br />
gar nicht existiert.<br />
Als <strong>in</strong> den 60er und 70er <strong>Jahre</strong>n<br />
des vergangenen Jahrhunderts die<br />
Sozialdemokratische Partei sich<br />
herausbildete, hatte sich die Position<br />
<strong>Paderborn</strong>s <strong>in</strong> der politischen<br />
Landschaft verändert. Die 1848/49<br />
noch mögliche Verb<strong>in</strong>dung radikalbürgerlicher<br />
und sozialistischer<br />
Richtungen schien historisch überholt.<br />
Sozialdemokratie und politischer<br />
Katholizismus organisierten<br />
sich als gegensätzliche politische<br />
Lager, was gerade für die <strong>Paderborn</strong>er<br />
Verhältnisse nicht ohne Folgen<br />
blieb. Zudem lag der <strong>Paderborn</strong>er<br />
Raum <strong>in</strong> der <strong>in</strong>dustriellen<br />
Entwicklung zurück.<br />
Drei Säulen waren es, auf denen <strong>in</strong><br />
den letzten Jahrzehnten des auslaufenden<br />
19. Jahrhunderts das wirtschaftliche<br />
Leben <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
basierte: auf der geistlichen und<br />
weltlichen Verwaltung, auf der<br />
Landwirtschaft und auf den mittleren<br />
und kle<strong>in</strong>en bürgerlichen Produktions-<br />
und Handelsbetrieben.<br />
Die starken sozialen Umwälzungen<br />
<strong>in</strong> den Industriezentren waren fast<br />
11
spurlos an dem <strong>in</strong> sich ruhenden<br />
Wirtschaftsgefüge der Stadt vorübergegangen.<br />
Die Unruhe draußen<br />
schlug sich im wesentlichen nur <strong>in</strong><br />
Anordnungen der Obrigkeit und <strong>in</strong><br />
aufregenden Meldungen nieder.<br />
Verdächtige „sociale Frage"<br />
Während es <strong>in</strong> den Orten, <strong>in</strong><br />
denen sich starke arbeitsstrukturelle<br />
Umwandlungen vollzogen, zu<br />
mehr oder weniger spontanen<br />
Ansätzen der Arbeiterbewegung<br />
kam, zu „Wahlvere<strong>in</strong>en" der<br />
Sozialdemokratischen Partei oder<br />
Gewerkschaften, blieb es <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
ruhig. Nur e<strong>in</strong>e Institution<br />
erkannte <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> die Situation<br />
und handelte danach: die<br />
katholische Kirche. In Zusammenhang<br />
mit den Ideen des Bischofs<br />
Ketteier oder Adolf Kolp<strong>in</strong>gs entwickelte<br />
sie e<strong>in</strong>e Aktivität, die<br />
darauf abgestellt war, die Interessierten<br />
mit der „socialen Frage"<br />
bekannt zu machen. Warum diese<br />
Vorträge auch gehalten wurden,<br />
ergibt sich aus e<strong>in</strong>em Briefwechsel<br />
zwischen der Stadtverwaltung<br />
<strong>Paderborn</strong> und der Königlichen<br />
Regierung <strong>in</strong> M<strong>in</strong>den. Domvikar<br />
Drepper veranstaltete im <strong>Jahre</strong><br />
1878, nach dem Verbot der Sozialdemokratie<br />
durch Initiative<br />
Bismarcks, im Bürgervere<strong>in</strong> Volksversammlungen<br />
zur Besprechung<br />
der sozialen Lage.<br />
12<br />
Die Königliche Regierung fragte <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> auf Grund e<strong>in</strong>es Berichtes<br />
an, „ob sich dort e<strong>in</strong> Vere<strong>in</strong><br />
zur Bekämpfung der Social-Demokraten<br />
gebildet hat, oder ob nur<br />
unter dem Vorsitz des Propstes<br />
Nacke regelmäßige Veranstaltungen<br />
stattf<strong>in</strong>den sollen, zu welcher jeder<br />
freien Zutritt hat".<br />
Antwort der Polizei-Verwaltung<br />
der Stadt vom 2. März 1878: „Bei<br />
jeder dieser Versammlungen wird<br />
e<strong>in</strong> Vorsitzender gewählt und<br />
haben diese Zusammenkünfte den<br />
Zweck, die von den Social-Demokraten<br />
ausgesprochenen Ansichten<br />
zu widerlegen."<br />
Diese Versammlungen waren also<br />
als e<strong>in</strong>e Art „Vorbeugungsmaßnahme"<br />
gedacht; es g<strong>in</strong>g darum, die<br />
sozialen Bedürfnisse der „Kle<strong>in</strong>en<br />
Leute" im Raum des Katholizismus<br />
zu organisieren und Engagement<br />
nicht der Sozialdemokratie<br />
zuströmen zu lassen. Es entwickelte<br />
sich damals e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tensives<br />
katholisches Vere<strong>in</strong>sleben, das auch<br />
Arbeiter e<strong>in</strong>schloß.<br />
Franz Hitze über Kapital<br />
und Arbeit<br />
Im <strong>Paderborn</strong>er Theologenkonvikt<br />
wurde Franz Hitze ausgebildet, der<br />
schon als Student mit sozialreformerischen<br />
Schriften hervortrat und<br />
1880 im Verlag der <strong>Paderborn</strong>er<br />
Bonifaciusdruckerei se<strong>in</strong> vielbeach-<br />
tetes Buch „Kapital und Arbeit<br />
und die Reorganisation der Gesellschaft"<br />
herausbrachte. Hitze, der<br />
später e<strong>in</strong>er der maßgeblichen<br />
katholischen Sozialpolitiker <strong>in</strong><br />
Deutschland wurde, hatte sich mit<br />
den gesellschaftskritischen Ideen<br />
der Wilhelm Hohoff und Carl von<br />
Vogelsang (als Theoretikern e<strong>in</strong>es<br />
„katholischen Antikapitalismus'')<br />
beschäftigt, aber auch mit den<br />
Analysen des Karl Marx. In se<strong>in</strong>em<br />
oben erwähnten Werk schrieb<br />
Hitze u.a.:<br />
„... Wie stehts denn jetzt mit<br />
unseren socialen Verhältnissen, wie<br />
s<strong>in</strong>d Kapital und Arbeit organisiert?<br />
Wer erhält den Löwenantheil?<br />
Um concret zu se<strong>in</strong>, müssen wir<br />
drei Kategorien <strong>in</strong> den Verhältnissen<br />
von Eigenthum und Arbeit<br />
unterscheiden: den Stand der<br />
Groß-Kapitalisten und -Grundbesitzer,<br />
den der Mittelstände (Handwerker-<br />
und Bauernstand) und<br />
endlich den Stand der Kle<strong>in</strong>besitzer<br />
und Besitzlosen (re<strong>in</strong>er Arbeitsstand).<br />
In der ersten Kategorie<br />
behauptet das Rentene<strong>in</strong>kommen<br />
das Übergewicht, <strong>in</strong> der zweiten<br />
Kategorie halten sie sich die Waage,<br />
<strong>in</strong> der dritten endlich existiert blos<br />
Arbeitse<strong>in</strong>kommen. Die Grenzen<br />
dieser Kategorien s<strong>in</strong>d sehr unbestimmt,<br />
im Großen und Ganzen<br />
trifft aber diese E<strong>in</strong>theilung zu.
Die Beziehungen dieser Kategorien<br />
und ihrer Glieder s<strong>in</strong>d geregelt<br />
durch die Concurrenz. Alle<br />
ersche<strong>in</strong>en auf dem Markte, tauschen<br />
ihre Producte aus nach den<br />
Gesetzen des Angebots und der<br />
Nachfrage: darauf beschränkt sich<br />
ihre ganze Organisation, <strong>in</strong> sich<br />
wie nach außen.<br />
Das B<strong>in</strong>demittel ist das Bedürfnis<br />
des Tausches. Angebot und Nachfrage<br />
s<strong>in</strong>d die Gesetze des Austausches,<br />
die Concurrenz besorgt die<br />
Ausführung dieser Gesetze. Auch<br />
Besitz und Arbeit s<strong>in</strong>d durch diese<br />
Gesetze bestimmt, organisiert. Es<br />
ist nun die Frage, ob diese Organisation<br />
genügt. Der ,Socialismus'<br />
leugnet das gegenüber dem Liberalismus,<br />
und wir müssen ihm Recht<br />
geben. Führen wir uns nur die<br />
Hauptanklagen vor.<br />
Die erste und bedeutungsvollste<br />
Anklage ist, daß <strong>in</strong> diesem Kampfe<br />
mit ungleichen Waffen nothwendig<br />
das größere Kapital das kle<strong>in</strong>ere<br />
aus dem Felde schlagen muß, daß<br />
damit das Rentene<strong>in</strong>kommen progressiv<br />
wachsen muß, und so mit<br />
der Scheidung von Renten- und<br />
Arbeitse<strong>in</strong>kommen auch die Kluft<br />
zwischen Kapitalisten und Arbeitern<br />
sich immer mehr vertiefen<br />
und erweitern wird. Das ist das<br />
Größengesetz des Kapitals, daß<br />
das größere das kle<strong>in</strong>ere anzieht,<br />
und diese Attractionskraft wächst<br />
progressiv mit se<strong>in</strong>em eigenen<br />
Wachsthum.<br />
Zunächst gilt's der Absorption der<br />
Mittelstände, von dem Kle<strong>in</strong>besitz<br />
gar nicht zu sprechen. Das Handwerk<br />
wird verdrängt durch die<br />
Fabrik; ,Meister' und ,Gesellen'<br />
durch ,Unternehmer' und ,Arbeiter'.<br />
Immer mehr Zweige des<br />
Handwerkes verfallen diesem Proceß.<br />
Täglich werden neue Masch<strong>in</strong>en<br />
erfunden, und diese Masch<strong>in</strong>en<br />
s<strong>in</strong>d die Hebel des Kapitals.<br />
Auch <strong>in</strong> der Landwirtschaft erhalten<br />
Masch<strong>in</strong>e und Technik immer<br />
größere Bedeutung, werden Kapital<br />
und Wissenschaft (Chemie) immer<br />
entscheidendere Factoren, denen<br />
der Fleiß des Bauern nur mühsam<br />
die Waage hält ...<br />
Das Kapital absorbirt die Mittelstände:<br />
das ist das erste Stadium;<br />
das größere Kapital absorbirt das<br />
kle<strong>in</strong>ere: das ist das zweite Stadium.<br />
Diese Entwicklung geht viel<br />
schneller als die erstere, weil die<br />
Zahl der Concurrierenden ger<strong>in</strong>ger,<br />
die technischen Bed<strong>in</strong>gungen viel<br />
entwickelter s<strong>in</strong>d, die Widerstandskraft<br />
aller, dort <strong>in</strong> Sitte und angeborener<br />
Zähigkeit wurzelnd, hier<br />
viel schwächer ist. Schon jetzt<br />
kann man diese bedrohliche Entwicklung<br />
deutlich verfolgen <strong>in</strong> dem<br />
raschen Wachsthum der Actienunternehmungen<br />
...<br />
So concentriert sich diese Produc-<br />
tion <strong>in</strong> immer wenigeren Händen,<br />
denen die Masse der unterschiedslosen'<br />
Lohnarbeiter „fremd' gegenüber<br />
steht. Der Druck wächst, die<br />
Entfremdung wächst. Auch das<br />
Unternehmen wird immer mehr zu<br />
e<strong>in</strong>er Last. Das wird dann die Vollendung<br />
e<strong>in</strong>er zweiten, der Scheidung<br />
von Kapital und Arbeit<br />
parallelen Entwicklung: die Trennung<br />
von Unternehmung und<br />
Kapital. Auch <strong>in</strong> dieser Entwicklung<br />
s<strong>in</strong>d wir bereits begriffen,<br />
schon ziemlich weit vorgerückt.<br />
Unsere Unternehmungen verfallen<br />
immer mehr <strong>in</strong> die Abhängigkeit<br />
unserer Kapitalmagnaten, der großen<br />
Banken. So verfällt die ganze<br />
Gesellschaft, Unternehmer wie<br />
Arbeiter der Herrschaft des Großkapitals<br />
..."<br />
Allerd<strong>in</strong>gs: Auch Franz Hitze g<strong>in</strong>g<br />
es, bei allem Verständnis für<br />
soziale Reform, um die Abwehr<br />
der Sozialdemokratie.<br />
Sozialdemokratie <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong>?<br />
Es bestanden <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> damals<br />
noch kaum wirtschaftliche Voraussetzungen<br />
für e<strong>in</strong>e sozialdemokratische<br />
Arbeit; zudem lahmte das<br />
Sozialistengesetz jede offene Tätigkeit.<br />
E<strong>in</strong>e Aktennotiz aus dem<br />
<strong>Jahre</strong> 1886 besagt: „Sozialdemokratische<br />
Umtriebe s<strong>in</strong>d hierselbst<br />
von mir bisher nicht wahrgenommen<br />
worden und f<strong>in</strong>den hoffent-<br />
13
lieh auch <strong>in</strong> Folge hier ke<strong>in</strong>en<br />
Boden, gez. Landrat Jentzsch. "<br />
Auch <strong>in</strong> den folgenden <strong>Jahre</strong>n<br />
weisen die regelmäßigen Überwachungen,<br />
etwa beim Nachforschen<br />
nach sozialdemokratischen Druckschriften,<br />
„Fehlanzeigen" aus<br />
<strong>Paderborn</strong> auf.<br />
Aus der Zeit des Verbotes der<br />
Sozialdemokratischen Partei ist<br />
e<strong>in</strong>e Verfügung des M<strong>in</strong>isters für<br />
Handel, Gewerbe und öffentliche<br />
Arbeiten vom 27. Juni 1878 von<br />
Interesse. Sie zeigt, <strong>in</strong> welch verdammenswürdige<br />
Kategorie die<br />
preußische Beamtenschaft die<br />
sozialdemokratischen Druckschriften<br />
e<strong>in</strong>ordnete:<br />
„Es ist zu me<strong>in</strong>er Kenntnis<br />
gelangt, daß auf Bahnhöfen sozialdemokratische<br />
Zeitungen und<br />
unsittliche Schriften und Bilder<br />
sowie Photographien der Verbrecher<br />
Hödel und Nobil<strong>in</strong>g von den<br />
Kolporteuren feilgeboten werden."<br />
Der Verkauf wurde <strong>in</strong> dieser Verfügung<br />
untersagt. (Hödel und<br />
Nobil<strong>in</strong>g hatten 1877 je e<strong>in</strong> Attentat<br />
auf Kaiser Wilhelm I. ausgeführt,<br />
der Anlaß zum Sozialistengesetz.)<br />
1890 wurde das Sozialistengesetz<br />
aufgehoben. Auch unter dem<br />
Druck der illegalen Parteiarbeit der<br />
<strong>Sozialdemokraten</strong> hatte Bismarck<br />
die bekannten Sozialgesetze <strong>in</strong>itiiert,<br />
<strong>in</strong> der Hoffnung, den Sozial-<br />
14
demokraten den W<strong>in</strong>d aus den<br />
Segeln nehmen zu können. Aber<br />
das Rad der Geschichte drehte sich<br />
zugunsten der Sozialdemokratie<br />
weiter.<br />
Um 1900, nachdem die Prosperität<br />
der „Gründerjähre" endgültig ausgelaufen<br />
war, tat sich auch <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> etwas. Da wird <strong>in</strong> den<br />
Polizeiakten der Lohgerber Johann<br />
Modic aus Brundorf, Bezirk Laibach,<br />
Land Kra<strong>in</strong> (dem heutigen<br />
jugoslawischen Ljubljana),<br />
genannt. E<strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong>er Gerber<br />
petzt bei der Polizei, dieser Johann<br />
Modic wiegele <strong>in</strong> der Gerberei<br />
Sandhage die Leute auf und halte<br />
Reden mit dem Ziel, höheren<br />
Lohn zu fordern. Die Nachforschungen<br />
verliefen im Sand, da<br />
Modic bald darauf aus <strong>Paderborn</strong><br />
verzog. E<strong>in</strong>e fragende Randbemerkung<br />
auf der Meldung sagt aber<br />
deutlich, woh<strong>in</strong> man den Modic<br />
gerne piaziert hätte: „Sozialdemokratischer<br />
Agitator?"<br />
Der erste Paukenschlag<br />
Dann aber, am 26. November 1900,<br />
kommt der erste wirkliche „Paukenschlag".<br />
Mit aufgeregter Sachlichkeit<br />
berichtet der Polizeiwachtmeister<br />
Garisch: „Wie ich <strong>in</strong><br />
Erfahrung gebracht habe, soll auch<br />
gestern nachmittag gegen 3 Uhr im<br />
Ritterschen Lokal e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Versammlung,<br />
die mehr den Charakter<br />
e<strong>in</strong>er Besprechung trug, stattgefunden<br />
haben. An dieser haben ca. 8<br />
Personen teilgenommen, darunter<br />
Stadtverordneter Schuhmann aus<br />
Bielefeld, welcher auch der Verleger<br />
der sozialdemokratischen<br />
,Volkswacht' se<strong>in</strong> soll, ferner der<br />
Redakteur der ,Volkswacht', Hoffmann,<br />
aus Bielefeld, der Kunsttischler<br />
Schulte von hier usw. Es<br />
soll von Stimmzetteln und Flugblättern<br />
gesprochen worden se<strong>in</strong>.<br />
Offenbar handelte es sich um e<strong>in</strong>e<br />
Agitation zur bevorstehenden<br />
Reichstagswahl."<br />
Sofortige Untersuchung auf Grund<br />
des Versammlungsgesetzes von<br />
1850. Lag e<strong>in</strong> Verstoß dagegen<br />
vor, da die Versammlung nicht<br />
gemeldet war?<br />
Tischler Konrad Schulte, Westernmauer<br />
76, wird vernommen. Tenor<br />
der Vernehmung: „Ich weiß nicht<br />
mehr, was gesprochen worden ist. "<br />
Frl. Anna Honervogt sagt aus:<br />
„Am 25. November waren mehrere<br />
fremde Gäste im Lokal. Sie g<strong>in</strong>gen<br />
<strong>in</strong>s Zimmer und ich habe das Bier<br />
h<strong>in</strong>gebracht. Als ich das Bier auftrug,<br />
wurde von Flugblättern und<br />
Stimmzetteln gesprochen."<br />
Endgültiger Aktenvermerk: „Strafbare<br />
Handlung liegt nicht vor."<br />
Dann sche<strong>in</strong>t wieder e<strong>in</strong>ige Zeit<br />
Ruhe gewesen zu se<strong>in</strong>. Auf Grund<br />
des „Dreiklassenwahlrechts", nach<br />
dem die Bürger <strong>in</strong> drei Wahlgrup-<br />
pen gemäß ihrem Steueraufkommen<br />
e<strong>in</strong>geteilt worden waren, hatten<br />
die <strong>Sozialdemokraten</strong> auch <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> ke<strong>in</strong>e Aussicht, jemals<br />
e<strong>in</strong>en Vertreter für den preußischen<br />
Staat durchzubr<strong>in</strong>gen. Dies war <strong>in</strong><br />
den kommenden <strong>Jahre</strong>n Hauptangriffspunkt<br />
der sozialdemokratischen<br />
Agitationsarbeit, verstieß es<br />
doch gegen e<strong>in</strong>e wesentliche demokratische<br />
Forderung, die Gleichheit<br />
der Wahl.<br />
Inzwischen hatten sich strukturelle<br />
Wandlungen <strong>in</strong> der <strong>Paderborn</strong>er<br />
Wirtschaft vollzogen. Es waren<br />
Industriebetriebe entstanden, Neugründungen<br />
standen kurz bevor.<br />
Der Bogen reichte von den Werkstätten<br />
der Eisenbahn bis zu holzverarbeitenden<br />
Betrieben. Der<br />
festere Zusammenschluß der<br />
<strong>SPD</strong>-Parteifreunde stand an,<br />
zumal die Freien Gewerkschaften<br />
vorgearbeitet hatten. Besonders<br />
aktiv muß <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> der Zentralverband<br />
der Zimmerer Deutschlands<br />
gewesen se<strong>in</strong>, der sich bei<br />
Bobbert <strong>in</strong> der Grube seßhaft<br />
gemacht hatte. Zu e<strong>in</strong>er solchen<br />
Versammlung sagt der Gewerkschaftssekretär<br />
Friedrich Werner,<br />
Ludwigstraße, von den „Christlichen"<br />
am 5. 1. 1910 folgendes<br />
aus: „Soweit ich <strong>in</strong>formiert b<strong>in</strong>,<br />
verkehren <strong>in</strong> der Wirtschaft Bobbert<br />
schon seit <strong>Jahre</strong>n Mitglieder<br />
sozialdemokratischer Vere<strong>in</strong>e, so<br />
15
jungen Leute, die sich dort an<br />
Sonnabenden sammeln, als e<strong>in</strong><br />
„derartiger Vere<strong>in</strong>" anzusehen<br />
seien. Die Namen habe er leider<br />
nicht erfahren können.<br />
Was die Polizei nicht wußte —<br />
oder auch nicht wahrhaben wollte:<br />
E<strong>in</strong>e Fühlungnahme bestand zu<br />
diesem Zeitpunkt bereits. E<strong>in</strong> Jahr<br />
später nahmen die losen Zusammenkünfte<br />
festere Formen an.<br />
Die alte „Unterkunft" der <strong>Paderborn</strong>er <strong>Sozialdemokraten</strong>:<br />
Gaststätte Bobbert (heute).<br />
daß me<strong>in</strong>er Ansicht nach das<br />
Lokal Bobbert als allgeme<strong>in</strong>er<br />
Unterkunftsort für die Sozialdemokratie<br />
gilt. Ob dort auch die üblichen<br />
Monatsversammlungen abgehalten<br />
werden, ist mir unbekannt. "<br />
Ähnliches erklärt der Zimmermann<br />
Ferd<strong>in</strong>and Altmicks, W<strong>in</strong>friedstraße<br />
21: „ Unter anderem verkehrt<br />
dort der Ste<strong>in</strong>setzer-, Malerund<br />
Holzverarbeitungsvere<strong>in</strong> der<br />
Freien Gewerkschaften."<br />
Da wir ke<strong>in</strong>e genauen Unterlagen<br />
mehr über die Gründung e<strong>in</strong>es<br />
<strong>SPD</strong>-Wahlvere<strong>in</strong>s <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
besitzen, s<strong>in</strong>d diese beiden H<strong>in</strong>weise<br />
wichtig für die Fixierung des<br />
Datums — von der Er<strong>in</strong>nerung der<br />
alten Ortsvere<strong>in</strong>smitglieder abgesehen.<br />
Zwei <strong>Jahre</strong> vorher meldete<br />
Foto: R. R<strong>in</strong>gs<br />
der Polizei<strong>in</strong>spektor Schultz am<br />
2. 3. 1908:<br />
„In der Gastwirtschaft He<strong>in</strong>rich<br />
Försterl<strong>in</strong>g, Bahnhofstr. 8, soll der<br />
Rauchklub .Blauer Dunst' an<br />
jedem zweiten Sonnabend e<strong>in</strong>e Sitzung<br />
abhalten oder doch wenigstens<br />
e<strong>in</strong>e Zusammenkunft haben.<br />
Die nächste soll morgen se<strong>in</strong>. In<br />
Wirklichkeit soll es sich um e<strong>in</strong>en<br />
sozialdemokratischen Arbeitervere<strong>in</strong><br />
etc. handeln. Die obige<br />
Bezeichnung dient nur als Deckmantel.<br />
Herrn Polizeiwachtmeister<br />
Saxowski zur Anstellung unauffälliger<br />
Recherchen und Bericht <strong>in</strong><br />
acht Tagen."<br />
Zwar meldet Saxowski nach acht<br />
Tagen, daß e<strong>in</strong> solcher Rauchklub<br />
besteht, aber er bezweifelt, daß die<br />
Der „Vater" der <strong>Paderborn</strong>er <strong>SPD</strong><br />
Hier e<strong>in</strong>ige mündliche Überlieferungen<br />
von alten <strong>Paderborn</strong>er<br />
<strong>Sozialdemokraten</strong>:<br />
E<strong>in</strong> Name aus jener Zeit verdient<br />
besondere Erwähnung: Christoph<br />
Eggers. Dieser am 2. Februar 1857<br />
<strong>in</strong> Harburg geborene Gerbergeselle<br />
hatte sich schon während des<br />
Sozialistengesetzes zur Idee des<br />
Sozialismus bekannt. Über die<br />
Städte Pommerns nach Süddeutschland<br />
führte der Weg, den<br />
er mit se<strong>in</strong>er treuen Lebensgefährt<strong>in</strong><br />
und se<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern zog. Im<br />
<strong>Jahre</strong> 1904 fand er <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
Arbeit und Unterkunft. Manche<br />
wandernden Gesellen, wie Karl<br />
Schreck, hatten bereits für den<br />
Sozialismus geworben. Untere<strong>in</strong>ander<br />
hatten sie jedoch nur selten<br />
e<strong>in</strong>e feste Verb<strong>in</strong>dung. In <strong>Paderborn</strong><br />
entstand mit Christoph<br />
Eggers e<strong>in</strong> Kreis von Ges<strong>in</strong>nungsfreunden.<br />
Eggers entwickelte e<strong>in</strong>e<br />
16
Christoph Eggers, der „Vater"<br />
der <strong>Paderborn</strong>er Sozialdemokratie.<br />
Unter se<strong>in</strong>er Leitung schlossen sich<br />
deren <strong>Paderborn</strong>er Freunde im<br />
<strong>Jahre</strong> 1909 zur Parteiarbeit<br />
zusammen. Tarnbezeichnung der<br />
Zusammenkünfte: „Rauchklub<br />
Blauer Dunst" oder „Blaue Wolke".<br />
erstaunliche Aktivität. Neben der<br />
Kassierung der Parteibeiträge hatte<br />
er auch die Zahlstelle der Metallarbeiter,<br />
Holzarbeiter und anderer<br />
Gewerkschaften übernommen. Die<br />
Gewerkschaft der Buchdrucker war<br />
durch die vielen aus der Fremde<br />
zugereisten Arbeiter des graphischen<br />
Gewerbes verhältnismäßig<br />
stark.<br />
Der Vertrieb von Parteiliteratur —<br />
wie der Bielefelder „Volkswacht"<br />
und des „Wahren Jakobs" — g<strong>in</strong>g<br />
durch se<strong>in</strong>e Hand. Das Austragen<br />
der Zeitungen hatten se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der<br />
übernommen, die deswegen manchen<br />
Strauß <strong>in</strong> der Schule auszufechten<br />
hatten. Es waren zunächst<br />
nur e<strong>in</strong>e Handvoll Exemplare der<br />
„Volkswacht".<br />
Rauchclub „Blauer Dunst"<br />
Der erste Zusammenschluß der<br />
Ges<strong>in</strong>nungsfreunde erstand unter<br />
dem Namen „Rauchclub Blauer<br />
Dunst", der 1909 als sozialdemokratischer<br />
Vere<strong>in</strong> fest konstituiert<br />
wurde. Gesellige Zusammenkünfte<br />
waren bei Büxe, Bahnhofstr. (im<br />
obengenannten Polizeibericht ist<br />
die Gaststätte Försterl<strong>in</strong>g mit diesem<br />
Lokal identisch!) und bei<br />
Bobbert <strong>in</strong> der Grube. 1909 darf<br />
also mit Fug und Recht als Beg<strong>in</strong>n<br />
der Tätigkeit des <strong>SPD</strong>-Ortsvere<strong>in</strong>s<br />
<strong>Paderborn</strong> angesehen werden.<br />
Höhepunkte waren die Maifeiern.<br />
Gute Beteiligung wiesen auch die<br />
Sommerausflüge auf, die e<strong>in</strong><br />
Zusammentreffen mit den Arbeitern<br />
der Neuenbekener Glashütte<br />
vermittelten. Der E<strong>in</strong>satz der Parteifreunde<br />
bei den Wahlkämpfen<br />
forderte von diesen viele Opfer an<br />
Zeit und Geld. Die Flugblattverteilung<br />
war nicht ungefährlich. An<br />
manchen Orten mußte sie abgebro-<br />
chen werden. In der Zeit von<br />
1908 bis 1912 war es e<strong>in</strong>e Mutprobe,<br />
sich zur Sozialdemokratie<br />
zu bekennen.<br />
Wie recht der Berichterstatter hat,<br />
erhärtet e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terne Polizeimeldung<br />
vom 11. 12. 1911. Der Polizeisergeant<br />
Rüter meldet: „Flugblätter<br />
mit Wahlaufrufen der<br />
Sozialdemokratie, betitelt ,Reichstagswahl<br />
1912', s<strong>in</strong>d am Freitag,<br />
8. 12. (Maria Empfängnis) <strong>in</strong><br />
Wewer, Nordborchen und Kirchborchen<br />
und am Sonntag, 10. 12.,<br />
<strong>in</strong> Büren und Geseke verteilt worden<br />
... Die Verteilung hat ansche<strong>in</strong>end<br />
durch hiesige E<strong>in</strong>wohner<br />
stattgefunden. Me<strong>in</strong>e Beobachtungen<br />
haben ergeben, daß am Sonntag,<br />
10. d. M., 10 Mann vom hiesigen<br />
Hauptbahnhof nach Büren<br />
gefahren s<strong>in</strong>d. Dort sollen sie<br />
bereits um 8 Uhr mit der Verteilung<br />
fertig geworden se<strong>in</strong>. Die Leitung<br />
der Verteilung sche<strong>in</strong>t der<br />
Tischlergeselle Mart<strong>in</strong> Petersen,<br />
geb. 21. 3. 1891 zu Schleswig,<br />
ledig, hier, Paderberg 2, bei<br />
Bäcker Bade wohnhaft, <strong>in</strong> Händen<br />
zu haben. Mitläufer ist u. a. auch<br />
der Tischler geselle Erich Ress<strong>in</strong>g,<br />
geb. Im 12. 3. 1893 zu Bischofswerda<br />
<strong>in</strong> Sachsen, Königstr. 76,<br />
wohnhaft. Ress<strong>in</strong>g arbeitet bei dem<br />
Tischlermeister Welle, Bahnhofstr.<br />
78. Die Arbeitsstelle des Petersen<br />
ist mir nicht bekannt. "<br />
17
E<strong>in</strong>e weitere Meldung des Polizeisergeanten<br />
Hirt (von den Überwachten<br />
gutmütig „der gute Hirt"<br />
genannt) vom 24. 12. 1911: „In<br />
der Nacht von Samstag auf Sonntag,<br />
den 23ten zum 24ten, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />
hiesiger Stadt Flugblätter, welche<br />
anliegen, verteilt worden:<br />
Nr. I vom Centrum<br />
Nr. II ,Frohe Botschaft von der<br />
Sozialdemokratie'. — Letztere sollen<br />
von e<strong>in</strong>em Schlosser, welcher<br />
bei Atorf und Proppe beschäftigt<br />
ist, und e<strong>in</strong>em tau,p 'stummen<br />
Schuhmacher, welcher bei Auerbach<br />
(damals e<strong>in</strong>e Schuhfabrik <strong>in</strong><br />
der Riemekestraße) beschäftigt se<strong>in</strong><br />
soll, verteilt worden se<strong>in</strong>. "<br />
Wenn der „gute Hirt" noch lebte,<br />
könnten wir ihm heute den Namen<br />
des Schlossers verraten: Es war<br />
Willi Ahrendt, später Stadtverordneter<br />
und zuletzt Meister auf dem<br />
Zementwerk „Atlas". Dieses<br />
„Geheimnis" lüftete fast 50 <strong>Jahre</strong><br />
nach der „Tat" He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g.<br />
Von historischem Interesse ist der<br />
Polizeibericht des Polizeisergeanten<br />
Rüter vom 14. 12. 1911:<br />
„Bericht über den Vere<strong>in</strong> der<br />
<strong>Sozialdemokraten</strong> <strong>in</strong> hiesiger Stadt.<br />
Der Vere<strong>in</strong> besteht zur Zeit aus 40<br />
Mitglieder und haben ihr Versammlungslokal<br />
bei den Wirt Ernst<br />
Siegmund im Bürgerlichen Brauhaus,<br />
II. Etage. Der Vere<strong>in</strong> hat<br />
alle 14 Tage Versammlung, jedes<br />
18<br />
Mitglied zahlt pro Woche (!) 60<br />
Pfennig und 10 Pfennig für den<br />
Wirt. Der Vere<strong>in</strong> soll seit 4 Monaten<br />
bei Siegmund die Versammlungen<br />
abgehalten haben. Am Montag,<br />
25. 12. 1911, f<strong>in</strong>det des nachmittags<br />
4 bis 7 1/2 Uhr im Vere<strong>in</strong>slokal<br />
Weihnachtsbescherung<br />
der Mitglieder statt. Die Hauptversammlung<br />
ist am 31. 12. 1911,<br />
abends, soweit ich erfahren habe,<br />
um 7 1/2 Uhr im Vere<strong>in</strong>slokal. "<br />
Abgesehen von der Mitgliederzahl<br />
ist dieser Bericht bemerkenswert,<br />
weil er den Mitgliedsbeitrag angibt.<br />
Bei der damaligen Kaufkraft der<br />
Mark waren 60 Pfennig pro<br />
Woche e<strong>in</strong>e hohes Opfer für die<br />
oft schlecht entlohnten Arbeiter.<br />
Zum Vergleich: Für e<strong>in</strong>en steifen<br />
Grog zahlte man damals e<strong>in</strong>en<br />
Groschen!<br />
Um bei dem Bericht Rüters zu<br />
bleiben: An den folgenden Tagen<br />
wurden der Wirtschaftsverwalter<br />
Ernst Siegmund, 37 <strong>Jahre</strong> alt,<br />
Liboristraße 5, und der Wirt Wilhelm<br />
Schwarze, Liboristraße 5,<br />
vorgeladen. Ke<strong>in</strong>er von beiden<br />
hatte von e<strong>in</strong>er Versammlung e<strong>in</strong>e<br />
Ahnung. Wilhelm Schwarze me<strong>in</strong>te<br />
seelenruhig: „Bei mir verkehren<br />
nur die christlichen Buchdrucker<br />
— Vorsitzender Bohle — und<br />
manchmal der Brieftaubenvere<strong>in</strong>."<br />
Diese Abfuhr ließ den eifrigen<br />
Polizeisergeanten nicht ruhen. Er<br />
recherchierte weiter mit bohrendem<br />
Beamten-Diensteifer: „Der Sozialdemokratische<br />
Vere<strong>in</strong>, welcher se<strong>in</strong><br />
Lokal bei dem Wirt Ernst Siegmund,<br />
hier, <strong>in</strong> der Liboristraße<br />
hatte, ist seit dem 1. Feiertag, den<br />
25. Dezember, aufgehoben. Verpächter<br />
Siegmund hat dem Vere<strong>in</strong><br />
gesagt, daß er den Vere<strong>in</strong> nicht<br />
mehr dulden dürfte, weil der Herr<br />
Bischof und die Paters ihm sonst<br />
um se<strong>in</strong>e Concession helfen. Die<br />
Feier hat an dem genannten Tag<br />
nicht stattgefunden, vorläufig hat<br />
der Vere<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Lokal."<br />
Man spürt förmlich, wie böse der<br />
Wackere darüber war, daß die<br />
amtlichen Protokolle über die Aussagen<br />
Siegmunds und Schwarzes<br />
anders lauteten.<br />
Um zum Abschluß dieses Komplexes<br />
noch e<strong>in</strong>mal auf das Geldopfer<br />
der Mitglieder zurückzukommen:<br />
1903 — also nur e<strong>in</strong>ige <strong>Jahre</strong> früher<br />
— war <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> von<br />
wohlhabenden Bürgern e<strong>in</strong> bürgerliches<br />
„Sociales Kränzchen"<br />
gegründet worden. Dieses honorige<br />
„Kränzchen" hatte sich zum Ziel<br />
gesetzt, bei den Teilnehmern das<br />
Verständnis „für die socialen Fragen<br />
und Aufgaben unserer Zeit zu<br />
fordern." Jedes Mitglied zahlte im<br />
<strong>Jahre</strong> nur zwei Mark Beitrag. Die<br />
Zahlung von zwei Mark pro Vierteljahr<br />
schien den Kränzchen-Leuten<br />
zu hoch. Deshalb wurden die
Statuten entsprechend geändert!<br />
Unser Gewährsmann — Karl<br />
Denkner — teilte folgende Wahlergebnisse<br />
vor dem ersten Weltkrieg<br />
mit, die die damalige Lage der<br />
Sozialdemokratie <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
beleuchten: Im Wahlkreis <strong>Paderborn</strong>-Buren<br />
entfielen im Jahr 1903<br />
auf den Vorschlag der <strong>Sozialdemokraten</strong><br />
192 Stimmen = 1,4 Prozent;<br />
1907: 168 Stimmen =<br />
1 Prozent; 1912: 166 Stimmen =<br />
0,9 Prozent der abgegebenen Stimmen.<br />
Daß die Handvoll aktiver<br />
<strong>Sozialdemokraten</strong> damals nicht<br />
verzweifelte, mutet heute wie e<strong>in</strong><br />
Wunder an.<br />
Bis zum Beg<strong>in</strong>n des ersten Weltkrieges<br />
verzeichnet die Polizei noch<br />
e<strong>in</strong>ige Flugblattaktionen <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong>.<br />
Dann war vier <strong>Jahre</strong> lang<br />
jede politische Tätigkeit gelähmt.<br />
E<strong>in</strong>e neue Zeit beg<strong>in</strong>nt<br />
Die politischen Umwälzungen nach<br />
der Novemberrevolution 1918<br />
schlugen auch <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> große<br />
Wellen. Die e<strong>in</strong>gezogenen <strong>Sozialdemokraten</strong><br />
kehrten nach und nach<br />
zurück. Der Freundeskreis war<br />
stark gelichtet. Doch diese Lücken<br />
wurden jetzt drei- und vierfach<br />
ausgefüllt von neuen Mitgliedern,<br />
denen auf Grund der E<strong>in</strong>führung<br />
des gleichen Wahlrechts <strong>in</strong> Preußen<br />
und der Pressefreiheit sowie der<br />
Versammlungsfreiheit die Möglich-<br />
Karl Denkner — sozialdemokratisches<br />
Mitglied des <strong>Paderborn</strong>er<br />
Volksrates<br />
keit gegeben war, ihre Forderungen<br />
und Me<strong>in</strong>ungen öffentlich zu<br />
vertreten. Aber aller Anfang war<br />
schwer.<br />
Karl Denkner berichtet: „Als ich<br />
am 9. November 1918 die Westernstraße<br />
entlangg<strong>in</strong>g, stand am E<strong>in</strong>gang<br />
zur Westernmauer e<strong>in</strong> Russe,<br />
den die Soldaten aus dem Gefängnis<br />
<strong>in</strong> der Königstraße befreit hatten.<br />
Mit se<strong>in</strong>em Gepäck stand er<br />
nun <strong>in</strong> der neugewonnenen Freiheit<br />
und rief verzweifelt: ,Hat sich was<br />
mit Freiheit, weiß ich nicht<br />
woh<strong>in</strong>.' Diese Worte konnten als<br />
Leitsatz für das neue Beg<strong>in</strong>nen<br />
nach 1918 generell gelten. "<br />
Es wurden nun die Wahlen zur<br />
Nationalversammlung, für die<br />
Landes-, Kreis- und Geme<strong>in</strong>deparlamente<br />
fällig. In <strong>Paderborn</strong> wurden<br />
zuerst die Arbeiter <strong>in</strong> den<br />
Eisenbahnbetrieben angesprochen.<br />
Für die Bediensteten des AW <strong>Paderborn</strong>-Haupt<br />
ergab sich die<br />
Überraschung, daß jeder das Neueste<br />
am Morgen auf se<strong>in</strong>em<br />
Arbeitsplatz vorfand. „He<strong>in</strong>zelmännchen"<br />
hatten <strong>in</strong> der Nacht<br />
jeden Werkplatz mit Flugblättern<br />
belegt. Arbeiter dieser Betriebe,<br />
auch aus den Werkstätten Stadler,<br />
versorgten die Dörfer der Kreise<br />
<strong>Paderborn</strong> und Büren mit Material<br />
der <strong>SPD</strong>.<br />
Dann die erste große Versammlung<br />
<strong>in</strong> Hesters Volkshalle: Freund<br />
Schreck referierte; auf der Galerie<br />
machte sich der deutschnationale<br />
Major von Selas<strong>in</strong>sky bemerkbar.<br />
Bei dem Rededuell dieser Kämpen<br />
wirkten alle Anwesenden mit. Die<br />
Versammlung war e<strong>in</strong> großer<br />
Erfolg für die Sozialdemokratie.<br />
Die Festigung der Organisation<br />
begann. Mitgliederversammlungen<br />
waren bei Lohmann <strong>in</strong> der Bahnhofstraße.<br />
In kle<strong>in</strong>erem Kreise<br />
machte man sich mit den Theorien<br />
und Grundsätzen der Partei vertraut.<br />
Die „Geschichte des Sozialismus"<br />
von M. Beer bildete die<br />
Grundlage.<br />
19
Im Haus Wigbertstr. Nr. 13 fanden<br />
sich um diese Zeit bildungshungrige<br />
junge Leute zusammen,<br />
um sich mit den neuen Ideen vertraut<br />
zu machen. Als Sozialistische<br />
Arbeiterjugend fanden sie<br />
Anschluß an diese Organisation.<br />
Mit der Novemberrevolution waren<br />
die Arbeiter- und Soldatenräte<br />
gebildet worden. Jedoch konnte<br />
diese Periode nur e<strong>in</strong> Übergang<br />
se<strong>in</strong>, bis die rechtlichen Voraussetzungen<br />
für e<strong>in</strong>e reguläre Selbstverwaltung<br />
geschaffen waren.<br />
Bereits am 20. November 1918 bildete<br />
sich <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> der „Volksrat",<br />
der sich die Aufgabe stellte,<br />
daß <strong>in</strong> der Stadt die Volksrechte<br />
gewahrt blieben, die durch die<br />
staatliche Umwälzung errungen<br />
wurden. 1. Vorsitzender des Volksrates<br />
war Eisenbahnobersekretär<br />
Ernst Strüf<strong>in</strong>g. In diesem Volksrat<br />
wirkten Bürger aller Parteien mit.<br />
Jedem wurde e<strong>in</strong>e Aufgabe zugewiesen,<br />
z.B. die Fleischversorgung,<br />
die Brot- oder Mehlversorgung<br />
sicherzustellen. Unter den weiteren<br />
Mitgliedern dieses 78 Mitglieder<br />
zählenden Rates befand sich —<br />
ohne genaueren Geschäftsbereich<br />
— Karl Denkner.<br />
Kommunal wähl vom 2. März 1919<br />
Der Volksrat wurde e<strong>in</strong>ige Monate<br />
später abgelöst durch die ordentlich<br />
gewählte Stadtverordnetenver-<br />
Flugblatt des Arbeiter- und Soldatenrates <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
20
Sammlung, die zum ersten<br />
Male am 29. März 1919 zusammentrat.<br />
Hier das Ergebnis der Kommunalwahl<br />
vom 2. März 1919, der ersten<br />
nach dem Umsturz: 12 421 Stimmen<br />
wurden <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> abgegeben.<br />
Davon entfielen 8 222 auf das<br />
Zentrum, 617 auf die Landwirtepartei,<br />
1 330 auf die Bürgerpartei,<br />
528 auf die Deutschnationalen,<br />
1 180 auf die <strong>Sozialdemokraten</strong>,<br />
643 auf die Kriegsbeschädigten.<br />
Das Zentrum erhielt <strong>in</strong> dem von<br />
27 auf 36 Sitze vergrößerten Gremium<br />
26 Sitze, vier die Bürgerpartei,<br />
drei die <strong>Sozialdemokraten</strong>. Die<br />
übrigen Parteien erhielten je e<strong>in</strong><br />
Mandat. Zum ersten Male <strong>in</strong> der<br />
Geschichte <strong>Paderborn</strong>s zogen auch<br />
Frauen <strong>in</strong> das Rathaus e<strong>in</strong> und —<br />
<strong>Sozialdemokraten</strong>. Die drei sozialdemokratischen<br />
Stadtverordneten<br />
waren Gerber Christoph Eggers,<br />
Werkführer a.D. Max Gehrmann<br />
und Eisenbahnobersekretär Ernst<br />
Strüf<strong>in</strong>g. Die Arbeit der Gewerkschaften<br />
wurde nach 1918 stark<br />
forciert. In den großen Betrieben,<br />
<strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> besonders auf den<br />
Ausbesserungswerken der Reichsbahn,<br />
gewannen die Gewerkschaften<br />
stark an Boden. Der 1916<br />
gegründete Deutsche Eisenbahnerverband<br />
erhielt Anfang 1919 durch<br />
He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
e<strong>in</strong>en eifrigen Werber. In der<br />
ersten Betriebsversammlung des<br />
RAW Nordbahnhof wurde er zum<br />
Betriebsobmann gewählt. (Nebenbei:<br />
Damals arbeiteten im RAW<br />
Nord 2000 Mann <strong>in</strong> Doppelschichten!)<br />
Lück<strong>in</strong>g, am 22. April 1884<br />
<strong>in</strong> Neuenbeken geboren, kam 1907<br />
nach <strong>Paderborn</strong> und war bereits<br />
vor dem ersten Weltkrieg im<br />
<strong>Paderborn</strong>er Bund der Eisenbahnhandwerker<br />
tätig.<br />
Die Spaltung der Sozialdemokratie<br />
<strong>in</strong> <strong>SPD</strong> und U<strong>SPD</strong> hatte sich <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> nicht stark bemerkbar<br />
gemacht. Dom<strong>in</strong>ierend waren die<br />
„Mehrheitssozialisten". Mitte 1924<br />
kam es <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> zu e<strong>in</strong>er<br />
friedlichen E<strong>in</strong>igung der beiden<br />
„fe<strong>in</strong>dlichen Brüder". Die beiden<br />
Gruppen wurden verschmolzen.<br />
1. Vorsitzender wurde He<strong>in</strong>rich<br />
Lück<strong>in</strong>g, den 2. Vorsitz übernahm<br />
von der früheren U<strong>SPD</strong> der Dreher<br />
Georg Gruber. Dieser zog 1926<br />
als Ersatzmann für den 1924 <strong>in</strong> die<br />
Stadtverordnetenversammlung<br />
gewählten Gewerkschaftssekretär<br />
He<strong>in</strong>rich Stahlberg <strong>in</strong>s Rathaus<br />
e<strong>in</strong>.<br />
E<strong>in</strong> Kapitel „Pressefreiheit"<br />
Obwohl die Sozialdemokratie nach<br />
dem Kriege gezeigt hatte, daß sie<br />
e<strong>in</strong>e staatstragende Partei war,<br />
weigerten sich die damals <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> ersche<strong>in</strong>enden Zeitungen,<br />
der „<strong>Paderborn</strong>er Anzeiger"<br />
und das „Westfälische Volksblatt",<br />
den <strong>Paderborn</strong>er <strong>Sozialdemokraten</strong><br />
und ihrer Arbeit unparteiische<br />
Beachtung zu schenken. Das zentrumsorientierte<br />
„Volksblatt" wies<br />
darüber h<strong>in</strong>aus auch bezahlte<br />
Anzeigen für sozialdemokratische<br />
Versammlungen zurück.<br />
E<strong>in</strong> besonderes Schlaglicht auf<br />
diese Situation wirft e<strong>in</strong> Bericht<br />
über die am 11. April 1919 <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> abgehaltene Hungerdemonstration,<br />
der im „<strong>Paderborn</strong>er<br />
Anzeiger" erschien. Nachdem vor<br />
Tausenden von <strong>Paderborn</strong>ern mehrere<br />
Reden vor dem Rathaus<br />
gehalten worden waren, wollten<br />
die Demonstranten <strong>in</strong> die Rosenstraße<br />
ziehen und dort „Krach<br />
schlagen". Meldete der „Anzeiger":<br />
„Dem Vorhaben, wegen<br />
e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong> sozialdemokratischen<br />
Parteifrage vor dem ,Volksblatt'<br />
zu demonstrieren, wurde von e<strong>in</strong>sichtiger<br />
Seite widersprochen,<br />
zumal e<strong>in</strong> Vertreter des ,Volksblattes',<br />
halbwegs e<strong>in</strong>en ,Gang nach<br />
Canossa' machend, versprach, daß<br />
bis zur E<strong>in</strong>holung e<strong>in</strong>es neuen<br />
(Zentrums-)Parteibescheides<br />
Anzeigen der <strong>SPD</strong> aufgenommen<br />
würden."<br />
Damals entschloß sich die Bielefelder<br />
„Volkswacht", <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
e<strong>in</strong> Kopfblatt unter dem Titel<br />
„Der Paderbote" herauszugeben,<br />
um der <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> wachsenden<br />
21
Sozialdemokratie das publizistische<br />
Echo zu verschaffen. Die Not der<br />
kommenden <strong>Jahre</strong> ließ das Kopfblatt<br />
jedoch wieder e<strong>in</strong>gehen. (1946<br />
entschloß sich der Verlag der<br />
FREIEN PRESSE <strong>in</strong> Bielefeld<br />
dann, die e<strong>in</strong>zig richtige Konsequenz<br />
aus der Pressesituation der<br />
Weimarer Zeit ziehend, <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
e<strong>in</strong>e Lokalausgabe der<br />
FREIEN PRESSE e<strong>in</strong>zurichten<br />
und auszubauen.)<br />
Über die E<strong>in</strong>seitigkeit <strong>in</strong> der<br />
Berichterstattung <strong>in</strong> den 20er <strong>Jahre</strong>n<br />
gibt e<strong>in</strong> Bericht der <strong>Paderborn</strong>er<br />
Polizei Auskunft. Am 3. Mai<br />
1924 hielt die <strong>SPD</strong> <strong>in</strong> der Hesterschen<br />
Volkshalle anläßlich der<br />
bevorstehenden Kommunalwahlen<br />
e<strong>in</strong>e Kundgebung ab. Der Sprecher<br />
war He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g, der 1922<br />
als Ersatzmann <strong>in</strong> die Stadtverordnetenversammlung<br />
e<strong>in</strong>zog. Laut<br />
Polizeibericht betonte Lück<strong>in</strong>g<br />
besonders, daß das „Westfälische<br />
Volksblatt" mit allen ihm zur Verfügung<br />
stehenden Mitteln gegen<br />
die <strong>SPD</strong> arbeite. Auch die von der<br />
Partei und ihm <strong>in</strong> der Stadtverwaltung<br />
vorgebrachten Anträge würden<br />
total verdreht, damit die Leser<br />
später von ihm den E<strong>in</strong>druck<br />
erhalten sollten, er sei gegen alles<br />
Gute, besonders was Religion<br />
betrifft. „Lück<strong>in</strong>g schilderte dann<br />
se<strong>in</strong>en <strong>in</strong> der Stadtverordnetensitzung<br />
vorgebrachten Antrag, daß<br />
22<br />
die Schulmesse <strong>in</strong> den W<strong>in</strong>termonaten<br />
etwas später verlegt würde.<br />
Die Zeitung habe <strong>in</strong> diesem Falle<br />
die Angelegenheit so dargestellt,<br />
als gehe se<strong>in</strong> Antrag dah<strong>in</strong>, daß<br />
die K<strong>in</strong>der überhaupt nicht zur<br />
Kirche gehen sollten."<br />
Kapp-Putsch<br />
Am 13. März 1920 hatten der<br />
Generallandschaftsdirektor von<br />
Kapp und General von Lüttwitz<br />
versucht, die Regierung <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />
zu stürzen. Reichspräsident Ebert<br />
und Reichskanzler Bauer flohen<br />
nach Dresden. Die Nationalversammlung<br />
wurde nach Stuttgart<br />
e<strong>in</strong>berufen. In dieser kritischen<br />
Situation rief der sozialdemokratische<br />
Parteivorstand zum Generalstreik<br />
auf.<br />
Die <strong>Paderborn</strong>er Arbeiter reagierten<br />
sofort im S<strong>in</strong>ne der verfassungsmäßigen<br />
Regierung. Sehr im<br />
Widerspruch zu den leitenden<br />
Amtspersonen wurde die Generalstreikparole<br />
bei der Eisenbahn<br />
befolgt. Die <strong>in</strong> den Gewerkschaften<br />
organisierten Eisenbahner wurden<br />
besonders mißtrauisch, als<br />
man entdeckte, daß die von Berl<strong>in</strong><br />
über Kassel nach <strong>Paderborn</strong> gehenden<br />
Telegramme <strong>in</strong> der Beurteilung<br />
der Lage optimistischer gefärbt<br />
waren als die vertraulichen<br />
Berichte aus Berl<strong>in</strong>. Von der Aufforderung<br />
zum Generalstreik<br />
erwähnten die offiziellen Telegramme<br />
nichts, sondern sie sprachen<br />
nur von Diszipl<strong>in</strong> und Ordnung.<br />
Auch der Auftrag, für<br />
undurchsichtige Militärzwecke<br />
Eisenbahnwagen abzustellen,<br />
wurde von den Eisenbahnarbeitern<br />
verh<strong>in</strong>dert. Bereits am 17. März<br />
war der Streik zu Ende: „Reichskanzler"<br />
von Kapp gab se<strong>in</strong>en<br />
Rücktritt bekannt, „um den <strong>in</strong>neren<br />
Frieden wiederherzustellen".<br />
Die streikenden Arbeiter im Vere<strong>in</strong><br />
mit der legalen Gewalt hatten den<br />
Rücktritt erzwungen.<br />
Kritische Katholiken<br />
Schon seit Beg<strong>in</strong>n der Weimarer<br />
Republik gab es vor allem unter<br />
den jungen Leuten des <strong>Paderborn</strong>er<br />
Katholizismus (auch bei e<strong>in</strong>igen<br />
jungen Priestern) erhebliche<br />
E<strong>in</strong>flüsse e<strong>in</strong>er „l<strong>in</strong>ken", d.h.<br />
kapitalismuskritischen, sozialreformerischen<br />
und kriegsgegnerischen<br />
Richtung, die Teile der katholischen<br />
Jugendbewegung prägte, im<br />
„Friedensbund deutscher Katholiken"<br />
wirkte und bis <strong>in</strong> den W<strong>in</strong>dthorstbund<br />
(die Jugendorganisation<br />
der Zentrumspartei) h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>reichte.<br />
Bei der Junfermann'sehen Verlagsbuchhandlung<br />
erschien bis 1931 die<br />
religiös-kulturelle Monatszeitschrift<br />
„Das Heilige Feuer", die von dem<br />
pazifistisch-lebensreformerischen<br />
katholischen Dichter und Priester
Ernst Thrasolt gegründet worden<br />
war. „Das Heilige Feuer" gab der<br />
oben erwähnten Richtung Raum,<br />
hier schrieben u.a. Nikolaus Ehlen<br />
und Walter Dirks. An dieser Zeitschrift<br />
arbeitete auch der <strong>in</strong> Brilon<br />
beheimatete, für den „kritischen<br />
Katholizismus" im <strong>Paderborn</strong>er<br />
Raum und für die damalige hiesige<br />
Friedensbewegung maßgebliche<br />
geistliche Studienrat Josef Rüther<br />
mit. Dieser publizierte 1919 e<strong>in</strong><br />
Buch unter dem Titel „Kampf dem<br />
Kapitalismus, dem Völkerfe<strong>in</strong>de",<br />
<strong>in</strong> dem es u.a. heißt:<br />
„Die größte und drückendste Last<br />
der heutigen Menschheit, zugleich<br />
ihre Unehre vor den kommenden<br />
Jahrhunderten und e<strong>in</strong>e Hauptschule<br />
der Verwilderung ist der<br />
Militarismus, nicht ohne <strong>in</strong>neren<br />
Zusammenhang mit dem Kapitalismus.<br />
Er ist zwar nicht dessen<br />
K<strong>in</strong>d, aber dessen nächster Vetter.<br />
Darum stehen und halten sie<br />
zusammen. Der Militarismus kann<br />
nicht leben ohne schweres Geld,<br />
der Kapitalismus nicht, ohne daß<br />
se<strong>in</strong>e Werwolfsideale <strong>in</strong> aller Welt<br />
geschützt werden. Das tun der<br />
Militarismus und se<strong>in</strong> begeistertes<br />
und studiertes Söhnchen, der<br />
Patriotismus."<br />
Hier gab es also durchaus Radikalität,<br />
aber sie fand ke<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung<br />
zur Sozialdemokratie, die<br />
den katholischen Antikapitalisten<br />
und Antimilitaristen als christentumsfe<strong>in</strong>dlich<br />
— und wohl auch<br />
als zu betulich erschien.<br />
Der „rote" Pastor Hohoff<br />
E<strong>in</strong>es Mannes aus „jenen <strong>Jahre</strong>n"<br />
muß noch gedacht werden: des im<br />
<strong>Jahre</strong> 1848 <strong>in</strong> Medebach geborenen,<br />
1871 <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> zum Priester<br />
geweihten und 1923 <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
gestorbenen katholischen<br />
Geistlichen Wilhelm Hohoff. Er<br />
war e<strong>in</strong> treuer Sohn und Priester<br />
se<strong>in</strong>er Kirche, der sich mit wissenschaftlicher<br />
Gründlichkeit um die<br />
Synthese zwischen christlicher Reli-<br />
gion und dem Sozialismus<br />
bemühte. Die Mehr Werttheorie, die<br />
er als Fundament der Lehre von<br />
Karl Marx schon früh erkannte,<br />
hat Hohoff, gestützt auf e<strong>in</strong><br />
umfassendes und gründliches Wissen,<br />
gegen die gesamten „bürgerlichen"<br />
Nationalökonomen se<strong>in</strong>er<br />
Zeit unentwegt verteidigt. In zwei<br />
grundlegenden Werken, „Warenwert<br />
und Kapitalprofit" und „Die<br />
Bedeutung der Marxschen Kapitalkritik",<br />
erschienen im Verlag Junfermann<br />
und bei der Bonifaciusdruckerei<br />
<strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong>, hat er<br />
se<strong>in</strong>e durch jahrelanges Studium<br />
gewonnenen Kenntnisse niedergelegt.<br />
Hohoff war es, der als junger<br />
Kaplan <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kontroverse mit<br />
August Bebel diesen zu der Aussage<br />
provoziert hatte, daß „Christentum<br />
und Sozialismus sich gegenüberstehen<br />
wie Wasser und<br />
Feuer". Hohoffs Antwort hieß:<br />
„Nicht Sozialismus und Christentum,<br />
sondern Kapitalismus und<br />
Christentum stehen e<strong>in</strong>ander<br />
gegenüber wie Feuer und Wasser."<br />
Das Heim von Hohoff am Gierswall<br />
<strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> sah viele prom<strong>in</strong>ente<br />
Gäste. So war August Bebel<br />
mit se<strong>in</strong>er Tochter bei ihm zu<br />
Besuch, ebenso Hermann Greulich,<br />
der Senior der Schweizer <strong>Sozialdemokraten</strong>.<br />
Vielen der christlichen<br />
Soziologen der späteren <strong>Jahre</strong> war<br />
er Lehrer und Wegweiser.<br />
23
August Bebel an Kaplan Hoho ff<br />
Der rege Verkehr im Hause des<br />
geistlichen Wissenschaftlers gab<br />
Gelegenheit zu e<strong>in</strong>em regen Gedankenaustausch<br />
auch mit den <strong>Paderborn</strong>er<br />
<strong>Sozialdemokraten</strong>.<br />
Im <strong>Jahre</strong> 1919 schrieb Hohoff <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Artikel für die Münchener<br />
„Katholiken- und Kirchenzeitung"<br />
über die Bedeutung von Karl<br />
Marx:<br />
„Karl Marx hat auf dem Gebiete<br />
der politischen Ökonomie das gleiche<br />
geleistet, wie Kopernikus auf<br />
dem Gebiete der Astrologie. Beide<br />
haben gezeigt, daß die empirische<br />
Erfahrung alle<strong>in</strong>, die bloße Kennt-<br />
24<br />
nis der s<strong>in</strong>nlichen Ersche<strong>in</strong>ung an<br />
der Oberfläche kleben bleibt und<br />
ke<strong>in</strong> wahres Wissen gibt, sondern<br />
zu falschen Vorstellungen und irrigen<br />
Schlüssen verleitet. Sie haben<br />
gegenüber dem trügerischen Sche<strong>in</strong><br />
der Oberfläche den wahren, wirklichen<br />
Sachverhalt und Zusammenhang,<br />
das den s<strong>in</strong>nlich wahrnehmbaren<br />
Ersche<strong>in</strong>ungen zugrunde liegende<br />
eigentliche Wesen erkannt<br />
und enthüllt ...<br />
In der politischen Ökonomie hat<br />
Marx die Wahrheit aufgedeckt und<br />
gezeigt, daß nicht das Geld produktiv<br />
von Wert ist, daß es nicht<br />
hecken, nicht Früchte tragen, nicht<br />
mehr Geld oder mehr Wert zeugen<br />
kann, als es selbst besitzt, daß<br />
ganz ebensowenig Produktionsmittel,<br />
Instrumente, Masch<strong>in</strong>en sich<br />
selbst oder ihren Wert vermehren<br />
können, daß auch alle Rohstoffe,<br />
Naturstoffe, Naturkräfte ke<strong>in</strong>en<br />
Wert (d. h. Geldwert oder Tauschwert,<br />
der alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> Geld gemessen<br />
wird und gemessen werden kann)<br />
hervorbr<strong>in</strong>gen oder produzieren<br />
können, sondern daß die Ursache<br />
und Quelle allen Wertes e<strong>in</strong>zig<br />
alle<strong>in</strong> die menschliche Arbeit ist ...<br />
Wenn heute jemand über Nationalökonomie<br />
mitreden oder als<br />
Staatsmann Politik treiben will,<br />
ohne die von Marx aufgedeckten<br />
Produktionsverhältnisse unserer<br />
Ära zu kennen und anzuerkennen,<br />
so ist das, wie wenn e<strong>in</strong> Mensch<br />
Astronomie treiben wollte, ohne<br />
Kopernikus zu kennen und anzuerkennen.<br />
Karl Marx war e<strong>in</strong> ,Denkgenie',<br />
e<strong>in</strong>e .Denkkraft allerersten Ranges',<br />
so gesteht selbst der angeblich<br />
genialste, orig<strong>in</strong>alste und<br />
gründlichste aller se<strong>in</strong>er Gegner,<br />
Prof. Eugen v. Böhm-Bawerk.<br />
Marxmst der weitaus größte Sozialökonom<br />
aller Zeiten. Se<strong>in</strong> Lebenswerk,<br />
das .Kapital', ist trotz der<br />
Schwächen und Irrtümer, die auch<br />
ihm, wie allem Menschenwerk<br />
ankleben, die zweifellos wertvollste<br />
wissenschaftliche Leistung, welche<br />
auf dem Gebiete der politischen<br />
Ökonomie oder Volkswirtschaftslehre<br />
jemals erschienen ist; sie<br />
steht turmhoch über den Leistungen<br />
se<strong>in</strong>er größten Vorgänger."<br />
Zwei <strong>Jahre</strong> später erklärte Hohoff<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben an den Ortsausschuß<br />
des ADGB <strong>in</strong> Essen:<br />
„Der Klassenkampf ist weder e<strong>in</strong>e<br />
Erf<strong>in</strong>dung von Karl Marx noch<br />
e<strong>in</strong>e Erf<strong>in</strong>dung des Sozialismus,<br />
sondern e<strong>in</strong>e wirtschaftliche und<br />
historische Ersche<strong>in</strong>ung, die seit<br />
Jahrhunderten die irdische Welt<br />
durchzieht. Die Organisation der<br />
unterdrückten Klasse ist gerade<br />
dasjenige Mittel, durch welches der<br />
Marxismus die heutige kapitalistische<br />
Klassengesellschaft beseitigen<br />
und an ihre Stelle e<strong>in</strong>e bessere und
gerechtere Wirtschaftsordnung setzen<br />
will. Der Klassenkampf und<br />
se<strong>in</strong>e Organisation ist etwas nicht<br />
nur historisch Überkommenes,<br />
sondern auch gegenwärtig absolut<br />
Notwendiges und Gebotenes. Dieser<br />
Kampf braucht aber ke<strong>in</strong>eswegs<br />
zum Klassenhaß zu führen, wie ja<br />
überhaupt jeder berechtigte Kampf<br />
ohne Haß geführt werden sollte. "<br />
Die kirchliche Obrigkeit war irritiert:<br />
„Die Fälle mehren sich, daß<br />
Angehörige der freien Gewerkschaften<br />
und der Sozialdemokratie<br />
sich auf Pastor Hohoff aus <strong>Paderborn</strong><br />
berufend, Katholiken für den<br />
E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die freien Gewerkschaften<br />
und <strong>in</strong> die sozialdemokratische<br />
Partei werben. An dem Verhalten<br />
Pastor Hohoffs könne man erkennen,<br />
daß es den Katholiken erlaubt<br />
sei, diesen Organisationen anzugehören.<br />
Pastor Hohoff erklärte<br />
zwar, daß er der sozialdemokratischen<br />
Partei nicht angehöre. Se<strong>in</strong><br />
gesamtes Verhalten gegenüber der<br />
sozialdemokratischen Partei veranlaßt<br />
aber viele <strong>Sozialdemokraten</strong>,<br />
ihn für sich <strong>in</strong> Anspruch zu nehmen<br />
und bei der Werbung von<br />
Anhängern sich auf ihn zu berufen.<br />
In katholischen Kreisen wirkt<br />
das zum Teil ärgerniserregend,<br />
zum Teil verwirrend. Wir mißbilligen<br />
es scharf, daß e<strong>in</strong> katholischer<br />
Geistlicher es ruhig ansieht, daß<br />
unter Berufung auf ihn Katholiken<br />
<strong>in</strong> Organisationen e<strong>in</strong>treten, <strong>in</strong><br />
denen sie ernsten Gefahren für<br />
ihren Glauben ausgesetzt s<strong>in</strong>d, und<br />
sehen uns genötigt, die Katholiken<br />
vor dem Anschluß an die freien<br />
Gewerkschaften und sozialdemokratische<br />
Partei nachdrücklich zu<br />
warnen." („Kirchliches Amtsblatt<br />
für die Diözese <strong>Paderborn</strong>",<br />
8. 8. 1922)<br />
An der „Unterprivilegierung" der<br />
<strong>SPD</strong> im <strong>Paderborn</strong>er Raum vermochte<br />
damals freilich auch die<br />
wissenschaftliche und publizistische<br />
Tätigkeit des Pastor Hohoff nichts<br />
zu ändern. Von den <strong>Paderborn</strong>er<br />
Brief des Bischöflichen<br />
<strong>Sozialdemokraten</strong> war es nicht<br />
zuletzt der sehr aktive Gewerkschaftsfunktionär<br />
Hermann Brockmann,<br />
der sich um e<strong>in</strong>en Brückenbau<br />
zwischen Katholizismus und<br />
<strong>SPD</strong> bemühte, — auch er von<br />
Pastor Hohoff angeregt.<br />
25
Die <strong>Paderborn</strong>er <strong>SPD</strong> — strukturell benachteiligt<br />
Die Verteilung der Stimmen auf die wichtigsten Parteien bei den Reichstagswahlen<br />
von 1920 bis 1933 ergibt für den Kreis <strong>Paderborn</strong> das folgende<br />
Bild:<br />
KPD U<strong>SPD</strong> <strong>SPD</strong> DDP Zentrum DVP DNVP NSDAP<br />
1920 — 4,1 8,2 1,5 <strong>75</strong>,8 6,1 4,0 —<br />
Mai<br />
1924 1,8 0,2 6,8 0,7 68,2 4,8 6,7 1,8<br />
Dezember<br />
1924 1,0 0,1 8,9 1,0 74,2 3,6 5,7 0,6<br />
1928 1,1 — 11,0 1,0 67,1 3,6 4,4 0,4<br />
1930 3,6 — 7,1 2,0 67,2 2,1 2,9 4,8<br />
Juli<br />
1932 5,3 — 5,5 0,1 72,9 0,5 2,5 11,7<br />
November<br />
1932 7,2 — 5,0 0,1 71,2 0,8 4,5 9,7<br />
1933 3,7 — 4,4 0,1 63,0 0,4 4,4 23,7<br />
Diese Zahlen zeigen, daß die <strong>SPD</strong><br />
im <strong>Paderborn</strong>er Bereich aufgrund<br />
sowohl der Konfessions- als auch<br />
der Sozialstruktur zu Zeiten der<br />
Weimarer Republik die „geborene"<br />
M<strong>in</strong>derheit war und blieb. Nur bei<br />
den Reichstagswahlen 1928 überschritt<br />
sie hier die 10%-Marke;<br />
aber bei dieser Wahl lag der<br />
Reichsdurchschnitt der <strong>SPD</strong>-<br />
Stimmen immerh<strong>in</strong> bei fast 30<br />
Prozent. Bemerkenswert ist, daß<br />
im Kreis <strong>Paderborn</strong> — wie <strong>in</strong> vielen<br />
anderen vorwiegend katholischen<br />
Bezirken — die KPD Ende<br />
1932 die <strong>SPD</strong> an Stimmen übertraf.<br />
Deutlich wird auch, daß die<br />
Zentrumspartei ihre absolute<br />
Mehrheitsstellung selbst auf dem<br />
Höhepunkt der Erfolge der<br />
NSDAP im Kreis <strong>Paderborn</strong> nicht<br />
gefährdet sehen mußte. Bei den<br />
Wahlen im Juli 1932, als die<br />
NSDAP unter freien Wahlbed<strong>in</strong>gungen<br />
ihren größten Erfolg mit<br />
37,4 Prozent im Reichsdurchschnitt<br />
erreichte, kam sie im Kreis<br />
<strong>Paderborn</strong> nur auf 11,7 Prozent.<br />
Ausschlaggebend war hier der<br />
Konfessionsfaktor.<br />
Was die Sozialstruktur angeht, so<br />
war der Anteil der „Unterschichten"<br />
im <strong>Paderborn</strong>er Kreisgebiet<br />
ke<strong>in</strong>eswegs ger<strong>in</strong>g. 1925 ergibt sich<br />
folgendes Bild:<br />
Von den Erwerbspersonen waren<br />
hier 39,5% Arbeiter, 19,8% Angestellte<br />
und Beamte, 17,1% Selbständige,<br />
23,6% mithelfende Familienangehörige.<br />
E<strong>in</strong> erheblicher Teil<br />
der „Selbständigen" und der mithelfenden<br />
Familienangehörigen<br />
lebte aber <strong>in</strong> materiell bescheidenen<br />
kle<strong>in</strong>bäuerlichen oder kle<strong>in</strong>handwerklichen<br />
Verhältnissen. Der<br />
ger<strong>in</strong>ge E<strong>in</strong>fluß der Sozialdemokratie<br />
im <strong>Paderborn</strong>er Raum<br />
erklärt sich daraus, daß hier die<br />
„Unterschichten" vorwiegend agrarisch-handwerklich<br />
geprägt waren;<br />
wichtiger noch war aber wohl die<br />
Konfessionsstruktur: im <strong>Jahre</strong><br />
1925 waren 90,9 Prozent der<br />
Bevölkerung im Kreis <strong>Paderborn</strong><br />
katholisch.<br />
26
<strong>Jahre</strong> der Ruhe — vor dem Sturm<br />
der „nationalen Revolution"<br />
Als nach dem Ende der Inflation<br />
1923 sich die wirtschaftliche und<br />
politische Lage <strong>in</strong> Deutschland teilweise<br />
stabilisierte, g<strong>in</strong>g es auch <strong>in</strong><br />
der <strong>Paderborn</strong>er <strong>SPD</strong> vergleichsweise<br />
ruhig zu. Höhepunkte der<br />
Veranstaltungen des <strong>SPD</strong>-Ortsvere<strong>in</strong>s<br />
<strong>Paderborn</strong> waren die jährlichen<br />
Maifeiern. Die Teilnehmerzahl<br />
wuchs ständig. Festplätze<br />
waren abwechselnd die Gaststätten<br />
„Zur Nachtigall", „Inselbad" und<br />
„Auf dem Dören". 1924 standen<br />
die Wahlen für die Stadtverordnetenversammlungen<br />
und den Reichs-<br />
- tag an. Reichstagsabgeordneter<br />
Karl Schreck, Bielefeld, und der<br />
preußische Innenm<strong>in</strong>ister Carl<br />
Sever<strong>in</strong>g sprachen <strong>in</strong> gutbesuchten<br />
Versammlungen. Die Polizei bezifferte<br />
die Zahl der Anwesenden auf<br />
jeweils 600! Zur Kommunalwahl<br />
1924 referierte He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g <strong>in</strong><br />
der Hesterschen Volkshalle. „Dann<br />
g<strong>in</strong>g Lück<strong>in</strong>g auf die bisherige<br />
schwierige Stellung der Partei im<br />
Rathaus e<strong>in</strong> und betonte, daß das<br />
sozialdemokratische ,Drei-Männer-<br />
Kollegium' nicht e<strong>in</strong>mal imstande<br />
gewesen sei, e<strong>in</strong>en Antrag zu stellen,<br />
weil die Unterschrift der erforderlichen<br />
vierten Person gefehlt<br />
hätte", heißt es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Überwachungsbericht.<br />
„Redner betonte,<br />
daß <strong>in</strong> das Ratskollegium tüchtige<br />
Leute gesandt werden müßten und<br />
ke<strong>in</strong>e alten Tranpfuntzen (so<br />
schrieb der wackere Beamte!), welche<br />
schon nach e<strong>in</strong>er halben Stunde<br />
Tagung dort säßen und schliefen."<br />
(„Ansche<strong>in</strong>end waren die Frauen<br />
des Kollegiums damit geme<strong>in</strong>t" —<br />
vermutete der Beamte!)<br />
Maiausflug des <strong>SPD</strong>-Ortsvere<strong>in</strong>s <strong>Paderborn</strong> <strong>in</strong> der Weimarer Zeit.<br />
Selbstverständlich „ wackelten " die mitgenommenen K<strong>in</strong>der — und e<strong>in</strong>ige<br />
Köpfe wurden unscharf. Es ist heute schwer, die Dargestellten zu identifizieren.<br />
E<strong>in</strong>en aber erkennt man, sagen wir, auf den zweiten Blick:<br />
Karl Denkner mit Brille und e<strong>in</strong>em stattlichen Schnurrbart (der vierte<br />
Mann von rechts <strong>in</strong> der mittleren Reihe)<br />
Von drei auf sechs<br />
Das Wahlergebnis war 1924 überraschend<br />
gut für die <strong>SPD</strong>: Zum<br />
ersten Male zogen sechs Kommunalpolitiker<br />
der <strong>SPD</strong>-Fraktion <strong>in</strong><br />
das Stadtverordnetenkollegium e<strong>in</strong>.<br />
Jetzt hatte man die vierte Person<br />
für die fehlenden Unterschriften<br />
bei Anträgen!<br />
Die <strong>SPD</strong>-Fraktion bestand aus<br />
dem Eisenbahnschlosser He<strong>in</strong>rich<br />
Lück<strong>in</strong>g, dem Gewerkschaftssekretär<br />
Hermann Brockmann, dem<br />
Gewerkschaftssekretär He<strong>in</strong>rich<br />
Stahlberg, dem Eisenbahner<br />
Johannes Schniedermeyer, dem<br />
27
Gürtlermeister Karl Denkner und<br />
dem <strong>in</strong> der Möbelfabrik Stadler<br />
beschäftigten Wilhelm Harbarth.<br />
Nach der ersten Sitzung vom 16.<br />
Mai 1924 kam Harbarth als unbesoldetes<br />
Mitglied <strong>in</strong> den Magistrat.<br />
Für ihn rückte als Ersatzmann der<br />
Werkmeister aus dem Zementwerk<br />
„Atlas", Willi Ahrendt, <strong>in</strong> das<br />
Kollegium. 1926 wurde Gewerkschaftssekretär<br />
Stahlberg versetzt.<br />
Für ihn zog am 9. April 1926 der<br />
Eisenbahndreher Georg Gruber <strong>in</strong><br />
die Stadtverordnetenversammlung.<br />
Von den 1919 gewählten drei <strong>SPD</strong>-<br />
Stadtverordneten war ke<strong>in</strong>er mehr<br />
<strong>in</strong> der zweiten Legislaturperiode<br />
vertreten: Christoph Eggers fühlte<br />
sich zu alt und kandidierte nicht<br />
mehr wie auch Max Gehrmann.<br />
Obersekretär Strüf<strong>in</strong>g wurde 1923<br />
beruflich versetzt, so daß sich das<br />
„Drei-Männer-Kollegium" gegen<br />
Ende der ersten Legislaturperiode<br />
aus Christoph Eggers und den<br />
Ersatzleuten Lück<strong>in</strong>g und Stahlberg<br />
zusammengesetzt hatte. Mit<br />
Anteilnahme liest man heute noch<br />
den Brief von Strüf<strong>in</strong>g an den<br />
damaligen Stadtverordnetenvorsteher<br />
Peters, dem er se<strong>in</strong>e Versetzung<br />
nach Gött<strong>in</strong>gen meldete:<br />
„Schweren Herzens, wie ich vor<br />
sieben <strong>Jahre</strong>n nach <strong>Paderborn</strong><br />
gekommen b<strong>in</strong>, scheide ich jetzt.<br />
War mir damals das Herz schwer,<br />
weil <strong>Paderborn</strong> für mich das<br />
28<br />
Zuchthaus se<strong>in</strong> sollte, so ist das<br />
Herz mir jetzt schwer, weil es den<br />
Abschied gilt von e<strong>in</strong>er Stadt, <strong>in</strong><br />
der ich <strong>in</strong> trüber Zeit viel Liebe<br />
erfahren habe, von e<strong>in</strong>er Stadt, die<br />
auch mir ans Herz gewachsen ist<br />
und <strong>in</strong> die ich mehr und mehr h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gewachsen<br />
b<strong>in</strong>. Das, wofür man<br />
arbeitet, wächst e<strong>in</strong>em ja ans Herz.<br />
Und wenn es Abschied zu nehmen<br />
gilt, vergißt man die bitteren Stunden<br />
des Kämpfens und R<strong>in</strong>gens; es<br />
bleibt nur die Er<strong>in</strong>nerung an das<br />
geme<strong>in</strong>same Streben. Zum Wohle<br />
der Stadt <strong>Paderborn</strong> habe ich<br />
arbeiten wollen. Dieses Bewußtse<strong>in</strong><br />
nehme ich mit, und ich hoffe, auch<br />
me<strong>in</strong>e Gegner <strong>in</strong> der Stadtverordneten-Versammlung<br />
werden mir jene<br />
Absicht nicht abstreiten."<br />
Der Freiheitsraum, der mit der<br />
Weimarer Republik den <strong>Sozialdemokraten</strong><br />
auch <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> zugewachsen<br />
war, hielt allerd<strong>in</strong>gs nicht<br />
lange stand. Anfang der dreißiger<br />
<strong>Jahre</strong> kündigte sich das „Dritte<br />
Reich" an — im katholischen<br />
<strong>Paderborn</strong> bis 1933 noch nicht so<br />
wahrnehmbar wie <strong>in</strong> mancher<br />
anderen Region.<br />
„Mit Braun und Sever<strong>in</strong>g—<br />
Wählt Liste 1"<br />
— So sah es vor dem<br />
<strong>Paderborn</strong>er Rathaus<br />
<strong>in</strong> den letzten <strong>Jahre</strong>n<br />
der Weimarer Republik<br />
aus, wenn sich<br />
die verschiedenen Parteien<br />
ihre letzten<br />
„Plakatschlachten "<br />
am Wahlmorgen lieferten.<br />
Damit das<br />
große <strong>SPD</strong>-Plakat<br />
über Nacht nicht<br />
abgerissen wurde,<br />
stellte man Posten<br />
auf.
Die <strong>Paderborn</strong>er <strong>Sozialdemokraten</strong> am Ende der Weimarer<br />
Republik und <strong>in</strong> der Zeit des Nationalsozialismus<br />
Nach Aufzeichnungen, Zeitungsberichten und Gesprächen mit alten Genoss<strong>in</strong>nen und Genossen<br />
<strong>Sozialdemokraten</strong> <strong>in</strong> der Krisenzeit<br />
Bei den letzten freien Kommunalwahlen<br />
am 20. Dezember 1929<br />
konnte die sozialdemokratische<br />
Partei noch e<strong>in</strong>mal erfolgreich<br />
se<strong>in</strong>. Mit 16,8% und damit 6<br />
Stadtverordneten hatte die Partei<br />
e<strong>in</strong> lokal hervorragendes Ergebnis<br />
erzielt. Lück<strong>in</strong>g, Brockmann, Harbarth,<br />
Schniedermeier, Gruber und<br />
Denkner zogen <strong>in</strong> die Stadtverordnetenversammlung<br />
e<strong>in</strong>. Da Harbarth<br />
bald darauf wieder unbesoldetes<br />
Magistratsmitglied wurde,<br />
rückte für ihn Ahrendt nach. Für<br />
Brockmann, der versetzt wurde,<br />
nahm der Eisenbahnschlosser<br />
Behrens dessen Platz im Rat e<strong>in</strong>.<br />
Im September 1931 schied Ahrendt<br />
aus, und von der Reserveliste kam<br />
der Arbeiter Puls zu den anderen.<br />
In dieser Zeit zunehmender sozialer<br />
Not war es e<strong>in</strong>e Hauptaufgabe<br />
der <strong>Sozialdemokraten</strong>, diese Not<br />
zu l<strong>in</strong>dern zu suchen. Die Partei<br />
versuchte dies im Rat der Stadt, <strong>in</strong><br />
eigens durchgeführten Erwerbslosenversammlungen<br />
und durch Aufklärungsarbeit<br />
vor dem Arbeitsamt<br />
und der Rentenzahlstelle der Post.<br />
Wie die Lage gerade auch der<br />
Rentner zu dieser Zeit aussah,<br />
zeigt e<strong>in</strong> Zeitungsbericht:<br />
„Zwei Frauen kommen, sie sprechen<br />
über die neue Kürzung; e<strong>in</strong>er<br />
r<strong>in</strong>nen Tränen durch die Furchen<br />
ihres Gesichts. Ich tröste, so gut<br />
ich kann, doch ihre Sorgen kann<br />
ich nicht nehmen. ,Nun müßten<br />
doch auch die Mieten gesenkt werden,<br />
wenn man uns was abzieht;<br />
die kann man doch jetzt gar nicht<br />
mehr zahlen!' sagt sie zu mir mit<br />
trostloser Stimme. ,Ja, liebe Frau',<br />
gebe ich zur Antwort, ,die Freiherren<br />
und Barone zahlen ke<strong>in</strong>e<br />
Miete, die wissen nicht, was das<br />
heißt, die wissen nicht, wie es uns<br />
Armen zumute ist.' Ich blicke <strong>in</strong><br />
hoffnungslose Augen, unendliches<br />
Mitleid mit dieser alten Frau ...<br />
E<strong>in</strong>er hat das Flugblatt schnell<br />
überflogen; er kommt auf mich<br />
zu, legt se<strong>in</strong>e Hand auf me<strong>in</strong>e<br />
Schulter und spricht zu mir mit<br />
blitzenden Augen: ,So ist's recht!<br />
Was ich vor 40 <strong>Jahre</strong>n schon<br />
gewählt habe, wähle ich auch dieses<br />
Mal wieder. Wir lassen uns<br />
nich' an de Wimpern klimpern!'<br />
Dieser Alte weiß, um was es<br />
geht ..."<br />
Auf Erwerbslosenversammlungen<br />
g<strong>in</strong>g es darum, der Partei den<br />
Rücken für ihre Arbeit im Rat und<br />
den Ausschüssen der Stadt zu stärken.<br />
Auf e<strong>in</strong>er solchen überfüllten<br />
Versammlung im Juli 1932 bei<br />
Lohmann wurde z.B. e<strong>in</strong>e Entschließung<br />
gefaßt, wonach die<br />
Pflichtarbeiter — das s<strong>in</strong>d die<br />
arbeitsverpflichteten Wohlfahrtsempfänger<br />
— aus dem städtischen<br />
Fuhrpark herausgenommen werden<br />
sollten, für andere Arbeiten der<br />
Tariflohn gezahlt werden sollte,<br />
alle auf gerechte Weise zur Pflichtarbeit<br />
herangezogen werden und<br />
die über 50jährigen davon ausgenommen<br />
werden sollten. In dieser<br />
Versammlung sprachen auch Mitglieder<br />
der KPD, die „ihre altbekannten<br />
Sprüche an den Mann<br />
br<strong>in</strong>gen" wollten, wie die sozialdemokratische<br />
„Volkswacht" schrieb.<br />
Aber, so weiter die „Volkswacht",<br />
sie „mußten sich vom Genossen<br />
Lück<strong>in</strong>g sagen lassen, daß die<br />
Situation zu ernst sei, um alten<br />
Brei aufzuwärmen und daß er ke<strong>in</strong>en<br />
Bruderkampf dulde!" Am<br />
Ende sprachen sich dann auch die<br />
Kommunisten für die Annahme<br />
der genannten Entschließung aus,<br />
damit denen, die „sich für die<br />
Erwerbslosen e<strong>in</strong>setzen, der<br />
Rücken gestärkt wird und der<br />
Magistrat sieht, was los ist!"<br />
Diese Sorgen bedrückten die<br />
<strong>Paderborn</strong>er <strong>Sozialdemokraten</strong><br />
sehr. Das Ausmaß der Gefahr, die<br />
von den Nazis ausg<strong>in</strong>g, wurde<br />
ihnen zunächst nicht so deutlich<br />
wie <strong>in</strong> den nächsten <strong>Jahre</strong>n.<br />
Dennoch wurde Anfang der 30er<br />
<strong>Jahre</strong> e<strong>in</strong>e Abteilung des „Reichsbanner"<br />
vor allem auf Initiative<br />
von Karl Behrens gegründet. Sie<br />
sollte die Veranstaltungen und Versammlungen<br />
vor Angriffen der SA<br />
29
Fast 20 <strong>Jahre</strong> später kam die<br />
Fahne nach <strong>Paderborn</strong> zurück.<br />
Am 1. Mai 1952 wurde sie von der<br />
Reichsbanner-Kameradschaft Hannover<br />
dem Ortsvere<strong>in</strong> der <strong>SPD</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> übergeben."<br />
Im <strong>Jahre</strong> 1932 aber glaubte man<br />
sich <strong>in</strong> der Sozialdemokratie<br />
durchaus noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>sgesamt<br />
guten Position:<br />
„Allen Widerständen zum Trotz<br />
trat die Arbeiterbewegung kraftvoll<br />
<strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung. Gerade im Wechsel<br />
unserer <strong>Jahre</strong> kündigt sich an<br />
e<strong>in</strong>e neue Kulturepoche. E<strong>in</strong> stilles,<br />
aber bedeutungsvolles Heldentum<br />
wurde geübt, das jeden zur Achtung<br />
zw<strong>in</strong>gt. Die <strong>in</strong> den Kämpfen<br />
gebrachten Opfer weisen auf die<br />
Kraftquellen h<strong>in</strong>, die den Arbeitern<br />
immer mehr das Bewußtse<strong>in</strong> ihrer<br />
Würde gaben (...) Die rauhe<br />
Gegenwart muß benutzt werden,<br />
um e<strong>in</strong>er freudigeren, menschlicheren<br />
Zukunft zu dienen."<br />
So hieß es Januar 1932, e<strong>in</strong> Jahr<br />
vor Hitlers Machtergreifung, im<br />
Tätigkeitsbericht der <strong>SPD</strong> für den<br />
Bezirk Ostwestfalen und Lippe.<br />
Die Partei wähnte sich, vorsichtig<br />
schon, noch im Besitz ihrer ganzen<br />
Kraft. Dennoch sollte es nur<br />
In e<strong>in</strong>em Gartenhaus <strong>in</strong> Hannover<br />
versteckt, überdauerte die Fahne<br />
des „Reichsbanners <strong>Paderborn</strong>"<br />
den Terror des „Dritten Reiches".<br />
Nach dem Kriege kam sie nach<br />
<strong>Paderborn</strong> zurück.<br />
schützen. Die Fahne, die damals<br />
von Richardt Hundt für die <strong>Paderborn</strong>er<br />
Reichsbanner-Gruppe entworfen<br />
wurde, konnte dieser nach<br />
der Machtübernahme der Nazis <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Gartenhaus bei Hannover<br />
verstecken. Karl Kran schrieb zum<br />
50jährigen Bestehen der <strong>Paderborn</strong>er<br />
<strong>SPD</strong> dazu: „Hier überlebte sie<br />
Gestapo und Kriegskatastrophe.<br />
Der <strong>Paderborn</strong>er Arbeitersportvere<strong>in</strong> um 1928. Von l. n.r.: Born,<br />
Jolmes, Pahlsmeier, Koch, Pittich, Luig, Pahlsmeier H., Glahn,<br />
Gröb<strong>in</strong>g, Jürgen Isermann.<br />
30
knapp e<strong>in</strong> halbes Jahr dauern, und<br />
die Partei würde ihre Entmachtung<br />
am 20. Juli 1932 <strong>in</strong> Preußen fast<br />
widerspruchslos, jedenfalls widerstandslos<br />
h<strong>in</strong>nehmen: Die Absetzung<br />
des sozialdemokratischen<br />
M<strong>in</strong>isterpräsidenten Braun, die<br />
Verhängung des Ausnahmezustands<br />
und die E<strong>in</strong>setzung des<br />
Reichskanzlers von Papen zum<br />
Reichskommissar für Preußen.<br />
Ebenso wehrlos und trotz ihrer<br />
kämpferischen Parolen machtlos<br />
stand die Partei 1933 vor dem<br />
Faschismus, bis sie am 20. Juni<br />
1933 verboten wurde. Viele e<strong>in</strong>zelne<br />
Genossen leisteten Widerstand,<br />
aber es war schwierig, wenn<br />
nicht unmöglich, sich dabei <strong>in</strong><br />
Gruppen zusammenzuschließen,<br />
geschweige denn als „Partei"<br />
<strong>in</strong>sgesamt Widerstand zu leisten.<br />
Wie sah es nun mit der Partei <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> aus? Hier, wo sie<br />
immer gegenüber dem politischen<br />
Katholizismus des Zentrums,<br />
gegenüber e<strong>in</strong>er mehrheitlich bürgerlichen<br />
und bäuerlichen Bevölkerung<br />
die wenigen Arbeiter, vor<br />
allem Facharbeiter, vertrat.<br />
<strong>Sozialdemokraten</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er katholisch-konservativen<br />
Stadt<br />
Im Geschäftsbericht des Parteibezirks<br />
für das Jahr 1931 f<strong>in</strong>den sich<br />
e<strong>in</strong>ige Zahlen über die Stärke der<br />
Partei: da gab es im Unterbezirk<br />
<strong>Paderborn</strong>-Büren 6 Ortsvere<strong>in</strong>e mit<br />
zusammen 179 Mitgliedern, von<br />
denen 19 Frauen waren. Nach verschiedenen<br />
Aussagen gab es im<br />
Ortsvere<strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> ca. 60 bis 80<br />
Mitglieder, und daran hat sich <strong>in</strong><br />
den <strong>Jahre</strong>n bis 1933 nicht viel<br />
geändert.<br />
Wenn man noch e<strong>in</strong>ige Wahlergebnisse<br />
h<strong>in</strong>zunimmt, ergibt sich daraus<br />
folgendes Bild:<br />
Bei den letzten freien Kommunalwahlen<br />
im November 1929 bekam<br />
die hiesige <strong>SPD</strong> noch 16,8% (im<br />
Vergleich: das Zentrum 60,3% und<br />
die KPD nur 1,2%, während die<br />
nationalistische DNVP nur auf<br />
2,8% kam.)<br />
Bei den Reichstagswahlen seit 1930<br />
g<strong>in</strong>g der Stimmenanteil der <strong>Paderborn</strong>er<br />
<strong>SPD</strong> von 9,8% (Sept. 1930)<br />
auf 7,3% (Juli 1932), 6,4% (Nov.<br />
1932) und schließlich bei den nicht<br />
mehr wirklich freien Wahlen im<br />
März 1933 auf 6,3% zurück. Im<br />
Vergleich sei hier noch e<strong>in</strong>mal auf<br />
das Zentrum, die KPD und auch<br />
die NSDAP verwiesen.<br />
Das Zentrum hatte bei den Wahlen<br />
1930 62,5% erhalten, steigerte sich<br />
<strong>in</strong> den folgenden Wahlen auf<br />
nahezu 70% und erhielt auch im<br />
März 1933 noch immer 61,2%.<br />
Die KPD, die bei Reichstagswahlen<br />
<strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> immer besser<br />
abschnitt als bei Kommunalwahlen.<br />
erhielt 1930 noch 5,5%,<br />
konnte sich auf fast 7% im<br />
November 1932 steigern, erhielt<br />
also mehr Stimmen als die <strong>SPD</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong>, und mußte im März<br />
1933 dann auf 4,3% zurückstecken.<br />
Die Nazipartei entwickelte<br />
sich <strong>in</strong> diesen Wahlen von 5,1%<br />
im <strong>Jahre</strong> 1930 über 11,8% im Juli<br />
1932 und 9,5% im November des<br />
gleichen <strong>Jahre</strong>s auf „nur" 21,8%<br />
im März 1933. (Diese Zahlen<br />
beziehen sich auf die Stadt<br />
<strong>Paderborn</strong>)<br />
Was können diese Zahlen über das<br />
politische Kräfteverhältnis <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> und über die Sozialdemokratie<br />
aussagen?<br />
Erst e<strong>in</strong>mal bleibt die Vormachtstellung<br />
des politischen Katholizismus<br />
ungebrochen. Selbst bei den<br />
letzten Wahlen im Frühjahr 1933<br />
verliert das Zentrum nur ganz<br />
unwesentlich Stimmen, die<br />
NSDAP kann hier ke<strong>in</strong>en Durchbruch<br />
erzielen. Die beiden Arbeiterparteien,<br />
<strong>SPD</strong> und KPD, aber<br />
bleiben <strong>in</strong>sgesamt <strong>in</strong> etwa bei<br />
ihrem Stimmenanteil; sie s<strong>in</strong>d die<br />
Vertretung e<strong>in</strong>er sozialen und konfessionellen<br />
M<strong>in</strong>derheit im katholischen<br />
<strong>Paderborn</strong>. Dennoch ist auffällig,<br />
daß die Sozialdemokratie<br />
bei den Kommunalwahlen e<strong>in</strong>en<br />
mehr als doppelt so großen Stimmenanteil<br />
als sonst bei den Reichsund<br />
Landtags wählen erhält, während<br />
z.B. die KPD <strong>in</strong> ihrem Stim-<br />
31
menanteil gegenüber solchen Wahlen<br />
um mehr als die Hälfte s<strong>in</strong>kt.<br />
So problematisch es ist, aus Wahlergebnissen<br />
alle<strong>in</strong> Schlüsse auf das<br />
Leben der Partei und ihrer Mitglieder<br />
zu ziehen, so soll es doch<br />
ansatzweise versucht werden, um<br />
vor allem e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schätzung für<br />
das Verhalten der Sozialdemokratie<br />
gegenüber dem Faschismus <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> geben zu können.<br />
Sozialdemokratische Kommunalpolitik<br />
Aus Gesprächen mit alten Genossen<br />
(M<strong>in</strong>e Maibohm, Hubert<br />
Coprian, Hannes Isermann, Hansi<br />
Steiger) wird deutlich, daß zur<br />
Sozialdemokratie e<strong>in</strong>e eigene Kultur<br />
gehörte, die wenig mit der bürgerlichen<br />
Kultur der Stadt zu tun<br />
hatte; man wohnte sozusagen vor<br />
ihren Toren, bei „Port Arthur",<br />
den Wohnsiedlungen der Eisenbahner,<br />
oder an der Warmen Pader,<br />
vor allem aber abseits des Bürgertums.<br />
Man machte se<strong>in</strong>e eigenen<br />
Feste (Willi Töpfer: „Wir <strong>Sozialdemokraten</strong><br />
waren e<strong>in</strong>e Familie,<br />
wenn wir z. B. am 1. Mai mit der<br />
roten Fahne an die Fischteiche<br />
zogen."), man hatte <strong>in</strong> den 20er<br />
<strong>Jahre</strong>n eigene Sportvere<strong>in</strong>e und<br />
e<strong>in</strong>en Sängervere<strong>in</strong> — getrennt<br />
nach Männern und Frauen —<br />
gegründet und verstand sich <strong>in</strong> dieser<br />
Weise als Heimat der Arbeiter-<br />
32<br />
He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g; er prägte über<br />
viele <strong>Jahre</strong> h<strong>in</strong>weg die Geschicke<br />
der <strong>Paderborn</strong>er Sozialdemokratie.<br />
Der Unterbezirk <strong>Paderborn</strong>-Büren<br />
ernannte ihn zum Ehrenvorsitzenden.<br />
schaft. Die Partei, so sche<strong>in</strong>t es,<br />
war vor allem e<strong>in</strong>e Möglichkeit,<br />
solche Lebensformen sichern zu<br />
helfen. Dazu gehörten auch die<br />
AWO, die Naturfreunde und<br />
andere sozialdemokratische Verbände.<br />
Vorsitzender war He<strong>in</strong>rich<br />
Lück<strong>in</strong>g, der wie e<strong>in</strong> Patriarch<br />
wirkte und unumstritten war.<br />
Lück<strong>in</strong>g führte die Fraktion und<br />
war bei den Arbeitern, aber auch<br />
<strong>in</strong> anderen Kreisen der Bevölkerung<br />
e<strong>in</strong> geachteter Mann. Die von<br />
Lück<strong>in</strong>g geführte Fraktion setzte<br />
sich im kommunalpolitischen<br />
Bereich für ihre Wähler, die oben<br />
beschriebenen Gruppen, e<strong>in</strong>. Um<br />
für Arbeiter und andere benachteiligte<br />
Menschen etwas herauszuholen,<br />
sah man ke<strong>in</strong>en Anlaß für<br />
fundamentale Opposition, sondern<br />
arbeitete oft auch mit der hiesigen<br />
Mehrheit (Zentrum) zusammen.<br />
Kämpfe mit den Nazis<br />
Auch <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> machte sich<br />
der aufkommende Nationalsozialismus<br />
bald bemerkbar.<br />
Nicht nur, daß die Auswirkungen<br />
der Weltwirtschaftskrise den Nazis<br />
Anlaß gaben, vor allem bei<br />
Arbeitslosenversammlungen oder<br />
auf den Stempelstellen der Arbeitsämter<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzungen anzuzetteln,<br />
wie dies während des <strong>Jahre</strong>s<br />
1932 öfter vorkam; auch<br />
andere gewaltsame Konflikte<br />
kamen zum Ausbruch und verdeutlichten,<br />
daß selbst auf dem Lande<br />
und <strong>in</strong> der Prov<strong>in</strong>z der Nationalsozialismus<br />
bereit war, brutal gegen<br />
se<strong>in</strong>e politischen Gegner gerade aus<br />
der Arbeiterschaft vorzugehen —<br />
und es waren dort hauptsächlich<br />
KPD und <strong>SPD</strong> von diesen Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
betroffen. So als<br />
von den Nazis e<strong>in</strong> kommunistischer<br />
Arbeiter <strong>in</strong> Neuhaus im Juli
1932, <strong>in</strong> der Nacht der Reichstagswahl,<br />
ermordet wurde. Dort war<br />
es, nachdem e<strong>in</strong>e Gruppe Nationalsozialisten<br />
e<strong>in</strong>e Klebekolonne der<br />
<strong>SPD</strong> angegriffen und zwei von<br />
ihnen erheblich verletzt hatte, zur<br />
weiteren Ause<strong>in</strong>andersetzung mit<br />
e<strong>in</strong>er kommunistischen Gruppe<br />
gekommen, <strong>in</strong> deren Verlauf die<br />
Nazis e<strong>in</strong> Mitglied der KPD<br />
erschossen. Obwohl dieser Mord<br />
aufgeklärt und abgeurteilt werden<br />
konnte, blieb es weiterh<strong>in</strong> bei solchen<br />
gewaltsamen Ause<strong>in</strong>andersetzungen.<br />
E<strong>in</strong> Beispiel sei hier noch<br />
angeführt. Der Zeitungsbericht<br />
stammt aus der „Volkswacht" vom<br />
30. Juli 1932:<br />
„Politische Schlägerei beim<br />
Arbeitsamt<br />
SA-Leute schreien — Blutbad<br />
durch die Polizei verh<strong>in</strong>dert.<br />
Gestern morgen gegen 11.30 Uhr<br />
kam es vor dem <strong>Paderborn</strong>er<br />
Arbeitsamt zu e<strong>in</strong>er schweren<br />
Schlägerei zwischen SA-Leuten<br />
und Kommunisten. Die Kürzungen<br />
der Papenschen Notverordnung<br />
traten heute <strong>in</strong> aller Schärfe <strong>in</strong><br />
Kraft. Die dadurch hervorgerufene<br />
Erregung steigerte sich spontan, als<br />
Nazis kamen und den , Völkischen<br />
Beobachter' verteilen wollten. Aus<br />
e<strong>in</strong>em erregten Wortwechsel entwickelte<br />
sich e<strong>in</strong>e Schlägerei. Mehrere<br />
Nazis mußten mit Verletzungen<br />
das Feld räumen. E<strong>in</strong>er, der<br />
e<strong>in</strong>en Schuß abgegeben hatte,<br />
suchte se<strong>in</strong> Heil <strong>in</strong> der Flucht.<br />
Polizei traf gleich e<strong>in</strong> und nahm<br />
e<strong>in</strong>e Zwangsgestellung vor. Das<br />
Überfallkommando der braunen<br />
Jünger erschien ebenfalls mit<br />
e<strong>in</strong>em Auto, wurde jedoch sofort<br />
von der Polizei abgeschoben. —<br />
Was geschehen wäre, wenn das<br />
Rollkommando der Nazis früher<br />
als die Polizei erschienen wäre,<br />
kann man sich an se<strong>in</strong>en fünf F<strong>in</strong>gern<br />
abzählen. — Wie wir noch<br />
erfahren, ist der SA-Mann, der<br />
geschossen hatte, festgenommen<br />
worden. E<strong>in</strong> anderer ist nach Zeugenaussagen<br />
mit der Pistole <strong>in</strong> der<br />
Hand abgesprungen und entkommen.<br />
"<br />
Unterstützung Arbeitsloser<br />
An diesem Beispiel ist gut zu<br />
sehen, daß die wirtschaftliche Not<br />
den H<strong>in</strong>tergrund der politischen<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzungen abgab und<br />
daß es die KPD war, die vor allem<br />
„auf der Straße" die Konflikte mit<br />
den Nazis austrug. Für die <strong>Sozialdemokraten</strong><br />
waren es weiterh<strong>in</strong> die<br />
parlamentarischen Gremien, <strong>in</strong><br />
denen sie etwas zu ändern hofften.<br />
So auch <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong>. Beispielhaft<br />
für diese parlamentarische Arbeit<br />
waren Konflikte um die Unterstützung<br />
der von wirtschaftlicher Not<br />
Bedrängten.<br />
Die Arbeitslosenzahlen hatten sich<br />
<strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> <strong>in</strong> den <strong>Jahre</strong>n 1929<br />
bis 1933 dabei folgendermaßen<br />
entwickelt:<br />
Dez. 1929 Juli 1930 Dez. 1930<br />
4.524 3.567 7.318<br />
Dez. 1931 Dez. 1932 Juni 1933<br />
8.642 9.724 7.318<br />
Im Mai 1932 war es zudem zu<br />
e<strong>in</strong>er großen Entlassungswelle <strong>in</strong><br />
den beiden Eisenbahnausbesserungswerken<br />
gekommen, die e<strong>in</strong>e<br />
Art „Hochburg" der Sozialdemokratie<br />
bildeten und bei der über<br />
400 Arbeiter ihre Arbeit verloren.<br />
In <strong>Paderborn</strong> waren es damit zu<br />
diesem Zeitpunkt mehr als 18.000<br />
Personen, die „die Erwerbslosigkeit<br />
ihres Ernährers zu beklagen<br />
hatten", wie es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bericht<br />
des „Volksblattes" hieß. Weiter<br />
hieß es dazu im selben Bericht:<br />
„Die Bürgerschaft wird, soweit es<br />
ihr noch möglich ist, Geme<strong>in</strong>schaftss<strong>in</strong>n<br />
zeigen und versuchen<br />
müssen, den so hart betroffenen<br />
Familien ihr Los möglichst zu<br />
erleichtern." Wie dieser Geme<strong>in</strong>schaftss<strong>in</strong>n<br />
aussehen konnte, darüber<br />
gab e<strong>in</strong> Bericht der sozialdemokratischen<br />
„Volkswacht", die <strong>in</strong><br />
Bielefeld erschien, e<strong>in</strong> deutliches<br />
Zeugnis.<br />
33
Die Ause<strong>in</strong>andersetzung war<br />
typisch für <strong>Paderborn</strong>. Zur Organisierung<br />
e<strong>in</strong>er W<strong>in</strong>terhilfe war<br />
wohl auf sozialdemokratische<br />
Initiative h<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Fürsorgebeirat<br />
gebildet worden, der Anträge auf<br />
Beihilfen zu prüfen gehabt hätte.<br />
Dennoch war es so, daß weiterh<strong>in</strong><br />
den Pfarrern diese Anträge vorgelegt<br />
wurden, wogegen sich die Partei,<br />
vor allem der Genösse<br />
Lück<strong>in</strong>g, wandte. Dies brachte ihm<br />
natürlich den Vorwurf e<strong>in</strong>,<br />
„die christliche Idee, den christlichen<br />
Geist aus der ganzen Unterstützungsaktion<br />
verbannen und<br />
diese ganz <strong>in</strong> das Fahrwasser sozialistischer<br />
Religionslosigkeit leiten"<br />
zu wollen. Im eigentlichen aber<br />
g<strong>in</strong>g es darum, die AWO aus e<strong>in</strong>er<br />
geplanten Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft der<br />
Wohlfahrtsvere<strong>in</strong>e herauszuhalten,<br />
und es war wiederholt auch vorgekommen,<br />
daß sozialdemokratische<br />
Familien bei ihren Anträgen auf<br />
Unterstützung Schwierigkeiten<br />
gehabt hatten. Die parlamentarische<br />
Arbeit der kle<strong>in</strong>en sozialdemokratischen<br />
Fraktion im <strong>Paderborn</strong>er<br />
Stadtrat war so <strong>in</strong> der<br />
Hauptsache auf die sozialen und<br />
wirtschaftlichen Belange der Arbeiter<br />
und der Bedürftigen gerichtet,<br />
und so fragt die „Volkswacht"<br />
zum Schluß ihres Artikels mit<br />
Recht: „Denn wer nennt uns die<br />
Person, die <strong>in</strong> den letzten <strong>Jahre</strong>n<br />
34<br />
so unermüdlich für das Allgeme<strong>in</strong><strong>in</strong>teresse<br />
und besonders für die<br />
Armen und Bedürftigen gearbeitet<br />
hat, wie unser Freund Lück<strong>in</strong>g?"<br />
Die Partei- und Fraktionsarbeit<br />
verlangte viel Zeit und Kraft, so<br />
daß man die Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
mit den großen politischen Konflikten<br />
im wesentlichen den Parteivorständen<br />
<strong>in</strong> Bielefeld und Berl<strong>in</strong><br />
überließ. Daraus ergab sich vielleicht<br />
zwangsläufig e<strong>in</strong>e gewisse<br />
Hilflosigkeit dem aufkommenden<br />
Nationalsozialismus gegenüber. Als<br />
Dokument e<strong>in</strong> Bericht über die<br />
Generalversammlung der Partei<br />
wenige Wochen vor der Machtübernahme<br />
der Nazis:<br />
„Die Generalversammlung der<br />
Sozialdemokratischen Partei bewies<br />
wieder e<strong>in</strong>mal die E<strong>in</strong>mütigkeit<br />
und Geschlossenheit der Bewegung<br />
<strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong>. Trotz der Krise und<br />
der steigenden Arbeitslosigkeit war<br />
es möglich, im <strong>Jahre</strong> 1932 der Partei<br />
neue Mitglieder zuzuführen.<br />
Die Aktivität und Bereitwilligkeit<br />
der Funktionäre ermöglichten es<br />
der örtlichen Leitung, allen Anforderungen,<br />
besonders <strong>in</strong> den Wahlkämpfen,<br />
nachzukommen. Die <strong>in</strong><br />
der Wohlfahrtspflege geleistete<br />
Arbeit des Funktionärkörpers und<br />
die erzielten Erfolge wurden besonders<br />
anerkannt. Die Zusammenarbeit<br />
mit den anderen freien Organisationen<br />
war im <strong>Jahre</strong> 1932 für<br />
alle fördernd und im Interesse der<br />
Gesamtbewegung. Der Vorstand<br />
wurde unter H<strong>in</strong>zuziehung e<strong>in</strong>es<br />
weiteren weiblichen Vertreters <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>er früheren Zusammensetzung<br />
wiedergewählt und ihm dadurch<br />
das Vertrauen der Mitgliedschaft<br />
am besten bewiesen. Möge das<br />
Kampf jähr 1933 uns genau so<br />
gerüstet f<strong>in</strong>den wie das Kampf jähr<br />
1932!"<br />
Machtübernahme der Nazis<br />
In der alten Jubiläumsschrift zum<br />
50. Gründungsjahr der Partei <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> wird der Faschismus<br />
noch als „lächerlich" dargestellt,<br />
dem man überlegen begegnete und<br />
der, so muß es sche<strong>in</strong>en, eigentlich<br />
ke<strong>in</strong>en Erfolg hätte haben können.<br />
So wurde damals unter der Überschrift<br />
„Er<strong>in</strong>nerung an Carl Sever<strong>in</strong>g"<br />
die Begegnung mit den Nazis<br />
dargestellt:<br />
„In dieser Zeit, es war <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Versammlung im <strong>Jahre</strong> 1932, vermachte<br />
der damalige preußische<br />
Innenm<strong>in</strong>ister, Carl Sever<strong>in</strong>g,<br />
e<strong>in</strong>em braunen Diskussionsredner<br />
auch se<strong>in</strong> — angebliches — Vermögen<br />
<strong>in</strong> der Schweiz. Da Sever<strong>in</strong>g<br />
wegen e<strong>in</strong>er Konferenz erst<br />
nach Versammlungsbeg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>treffen<br />
konnte, benutzte der Mann die<br />
Gelegenheit, <strong>in</strong> den Saal des ,Kaiserhofes'<br />
am Kamp zu rufen, Sever<strong>in</strong>g<br />
werde nicht kommen. Er sei
<strong>in</strong> die Schweiz geflüchtet, wo er<br />
se<strong>in</strong> Geld bereits <strong>in</strong> Konten und<br />
e<strong>in</strong>er schloßähnlichen Villa angelegt<br />
habe.<br />
Sever<strong>in</strong>g erschien — leicht verspätet<br />
— trotzdem. Er bat den , Vorredner'<br />
auf die Bühne und schlug<br />
ihm vor, durch e<strong>in</strong>en notariell<br />
beglaubigten Vertrag jegliche ausländischen<br />
Besitztümer Sever<strong>in</strong>gs,<br />
seien sie sachlicher oder f<strong>in</strong>anzieller<br />
Art, als hochherziges Geschenk<br />
anzunehmen. Mit dieser Parade<br />
hatte Sever<strong>in</strong>g dem Nazi das Wasser<br />
abgegraben. Gelächter und Beifall!<br />
Der Gelackmeierte schlich von<br />
dannen ..."<br />
Aber am 30. Januar 1933 kam<br />
Hitler doch an die Macht, und die<br />
Verfolgung vor allem der Arbeiterbewegung<br />
nahm nun härteste Formen<br />
an. Am 27. Februar brannte<br />
der Reichstag, die kommunistische<br />
Partei wurde unterdrückt und die<br />
Presse der Arbeiterbewegung zum<br />
Schweigen verurteilt. Dies traf<br />
auch die „Volkswacht" <strong>in</strong> Bielefeld.<br />
Die Wahlen am 6. März 1933<br />
zum Reichstag, die unter größtem<br />
Terror gegen die Arbeiterparteien<br />
stattfanden, brachten dennoch den<br />
Nazis nicht die erhoffte absolute<br />
Mehrheit. Sie erhielten 43,9%,<br />
hatten aber mit der Kampffront<br />
Schwarz-Weiß-Rot, die 8 % erhalten<br />
hatte, die Mehrheit. Die Arbeiterparteien<br />
waren nur unwesentlich<br />
abgesunken: die <strong>SPD</strong> erhielt<br />
18,3% (Nov. 32: 20,4%), die<br />
KPD erhielt 12,3 % (Nov. 32:<br />
16,8 %). Das Zentrum hatte se<strong>in</strong>en<br />
Bestand fast halten können:<br />
11,2% (Nov. 32: 11,9%).<br />
Trotzdem bedeutete dies e<strong>in</strong>en<br />
„Sieg" des nationalistischen<br />
Lagers, dem die Arbeiterparteien<br />
nichts mehr entgegenzuhalten vermochten<br />
und dem das Zentrum<br />
schon nichts mehr entgegenhalten<br />
wollte.<br />
In <strong>Paderborn</strong> hatten sich bis auf<br />
den Sprung der Nazipartei von<br />
9,5 % auf 21,8 % zunächst ke<strong>in</strong>e<br />
großen Veränderungen ergeben.<br />
Der Erfolg der NSDAP war nicht<br />
zu Lasten des Zentrums gegangen,<br />
sondern ergab sich aus dem Zerfall<br />
aller anderen bürgerlichen Gruppierungen.<br />
<strong>SPD</strong> und KPD erhielten<br />
<strong>in</strong> der Stadt <strong>Paderborn</strong> ihre knapp<br />
6 % bzw. 4 %. Aus der Zeit zwischen<br />
dem 30. Januar und der<br />
Reichstagswahl im März existieren<br />
ke<strong>in</strong>e Zeugnisse größerer sozialdemokratischer<br />
Agitation. Aus<br />
Gesprächen mit alten Genossen<br />
war eher herauszuhören, daß es<br />
auch jetzt vor allem wirtschaftliche<br />
Sorgen waren, die die Arbeiter<br />
bedrängten. In Wahlkämpfen, so<br />
war zu vernehmen, hatten <strong>in</strong>sbesondere<br />
junge Parteimitglieder<br />
auch handgreifliche Ause<strong>in</strong>ander-<br />
Standartenführer Jostmeier bei der Weihe der neuen Standarte durch<br />
Hitler auf dem Reichsparteitag 1934<br />
35
Setzungen mit den Nazis gehabt.<br />
Man war gegen die Nazis, aber<br />
gleichzeitig versuchte man zu<br />
sehen, „wie das Leben weitergehen<br />
konnte".<br />
<strong>Paderborn</strong> sah derweil, wie das<br />
übrige „Reich", Festumzüge und<br />
andere Propagandaveranstaltungen<br />
der Nazis, an denen sich mehr<br />
oder weniger auch die erst noch<br />
weiterexistierenden bürgerlichen<br />
Parteien oder die Stadt selbst<br />
beteiligten. So beim sogenannten<br />
„Tag von Potsdam", am 21. März<br />
1933, der zum Nationalfeiertag<br />
erklärt worden war. In e<strong>in</strong>em Pressebericht<br />
über die Feiern <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
heißt es dazu: „Noch lange<br />
bewegte sich e<strong>in</strong>e festlich gestimmte<br />
Menschenmenge durch die Straßen<br />
der Stadt. Überall sah und<br />
hörte man kle<strong>in</strong>ere Gruppen unter<br />
dem Gesang des Deutschlandliedes<br />
und des Horst- Wessel-Liedes den<br />
heimatlichen Penaten zustreben.<br />
Besonders die Schuljugend tat sich<br />
dabei hervor ...So wurde der<br />
historische Tag <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> mit<br />
e<strong>in</strong>er — man kann wohl behaupten<br />
— seltenen Begeisterung begangen.<br />
Möge es e<strong>in</strong> Auftakt se<strong>in</strong> zu friedlicheren,<br />
besseren Zeiten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
gee<strong>in</strong>ten neuen Deutschland."<br />
Daß es nicht friedlich werden<br />
sollte, zeigte sich im ganzen erst<br />
später und doch für viele schon<br />
gleich zu Anfang des Dritten Rei-<br />
36<br />
ches. Die Verfolgungen, Verhaftungen,<br />
Verhöre und Folterungen und<br />
oft der Tod gehörten gleich zum<br />
Auftakt der Naziherrschaft, und,<br />
so war zu hören, die Kommunisten<br />
seien gleich verhaftet worden und<br />
„nicht wiedergekommen".<br />
Schon am 28. März war es <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> zum Boykott jüdischer<br />
Geschäfte gekommen. Manche versuchten<br />
wohl noch, diesen Boykott<br />
nicht wahrzunehmen, aber weiteres<br />
geschah nicht. Dafür aber ernannte<br />
die Stadt am 20. April Adolf Hitler<br />
e<strong>in</strong>stimmig zum Ehrenbürger<br />
von <strong>Paderborn</strong> — und das mit den<br />
Stimmen der <strong>Sozialdemokraten</strong>.<br />
Das Protokollbuch des Rates der<br />
Stadt weist es aus.<br />
Wieso? Warum? Aus den Interviews<br />
ergab sich ke<strong>in</strong>e Antwort auf<br />
die Frage. Unumstritten sche<strong>in</strong>t die<br />
Zustimmung der sozialdemokratischen<br />
Ratsherren nicht gewesen zu<br />
se<strong>in</strong>, wie die Interviewten berichteten.<br />
Was kann die <strong>Sozialdemokraten</strong><br />
im Rat veranlaßt haben, zuzustimmen?<br />
Man kann nur Vermutungen<br />
anstellen. Vielleicht ist dieses<br />
Verhalten e<strong>in</strong>e Folge des sozialdemokratischen<br />
Legalismus<br />
(Respekt vor Gesetzen, gewählten<br />
Gremien und Personen).<br />
Hitler war nicht e<strong>in</strong>fach nur der<br />
Führer der Nazipartei, ne<strong>in</strong>, er war<br />
Reichskanzler und damit e<strong>in</strong>e<br />
höchste Autorität. Die Ehrenbür-<br />
gerschaft für den Reichskanzler,<br />
wer hätte sie verweigern mögen?<br />
Autoritätsglaube auch der sozialdemokratischen<br />
Politik. Die E<strong>in</strong>mütigkeit<br />
der <strong>Paderborn</strong>er <strong>in</strong> den großen<br />
nationalen Fragen: vielleicht<br />
gehörte auch das dazu?<br />
Am 12. März hatte es noch e<strong>in</strong>mal<br />
Kommunalwahlen gegeben. Das<br />
Zentrum hatte immer noch 50,4 %<br />
(1929: 60,3 %) erhalten, die<br />
NSDAP, die 1929 nicht kandidiert<br />
hatte, bekam 23,4%, aber die<br />
Stimmen der <strong>SPD</strong> hatten sich halbiert<br />
von 16,8% auf 8,6%. Das<br />
waren statt 6 nur noch 3 Mandate.<br />
Die KPD erhielt e<strong>in</strong> wenig mehr:<br />
statt 1,2 (1929) jetzt 1,8%. Die<br />
letzten sozialdemokratischen Stadtverordneten<br />
waren He<strong>in</strong>rich<br />
Lück<strong>in</strong>g, Karl Denkner und Georg<br />
Gruber.<br />
Dazu noch e<strong>in</strong>e merkwürdig stimmende<br />
Anekdote, die man sich<br />
unter <strong>Sozialdemokraten</strong> erzählt:<br />
Die SA, heißt es, hätte vorgehabt,<br />
beim E<strong>in</strong>zug der neuen Stadtverordneten<br />
<strong>in</strong>s Rathaus die <strong>Sozialdemokraten</strong><br />
„anzurempeln". Als<br />
diese dann kamen, habe man von<br />
Seiten des SA-Trupps e<strong>in</strong> großes<br />
„Hallo" und Geschrei angestimmt<br />
und hätte auf die Stadtverordneten<br />
losgehen wollen. Da aber hätten<br />
sie gesehen, daß Georg Gruber<br />
se<strong>in</strong>e Kriegsauszeichnung, den<br />
Pour le merite, den höchsten
Orden des I. Weltkrieges, angelegt<br />
hatte. Sofort hätte man auf Anruf<br />
des SA-Führers die „Hacken<br />
zusammengeschlagen" und e<strong>in</strong>e<br />
Ehrenbezeugung geleistet. Und so<br />
seien die <strong>Sozialdemokraten</strong> unbehelligt<br />
<strong>in</strong>s Rathaus gelangt.<br />
Kl<strong>in</strong>gt die Geschichte nun<br />
komisch, oder kann sie nicht eher<br />
nachdenklich machen? Was sagt<br />
sie, gleichgültig ob sie wahr oder<br />
erfunden ist, über Stimmung und<br />
Bewußtse<strong>in</strong> damals aus?<br />
Gleichschaltung und Auflösung der<br />
<strong>SPD</strong><br />
Es folgte die Zeit der Gleichschaltung<br />
von Stadtverwaltungen und<br />
Stadtvertretungen. Der westfälische<br />
Oberpräsident, e<strong>in</strong> Mann des Zentrums,<br />
war am 17. Februar abgesetzt<br />
worden, zum 1. April war e<strong>in</strong><br />
überzeugter Nazi zum M<strong>in</strong>dener<br />
Regierungspräsidenten bestellt worden,<br />
und nach dem Gesetz zur<br />
Wiederherstellung des Berufsbeamtentums<br />
vom 7. April war es zu<br />
Säuberungen der Stadtverwaltungen<br />
von allen „unzuverlässigen"<br />
und „nichtarischen" Beamten<br />
gekommen. Nach längerem H<strong>in</strong><br />
und Her hatte sich <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
die Stadtverordnetenversammlung<br />
selbst aufgelöst; nur e<strong>in</strong>en Monat<br />
später, Anfang Juli 1933, wurde<br />
OB Haerten (Zentrum) „zwangsbeurlaubt",<br />
obwohl er sich immer<br />
Niederlegung des Stadtverordnetenmandats durch He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g<br />
am 30. 4. 1933<br />
Pressenotiz über die Verhaftung von He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g und<br />
Georg Gruber<br />
37
Die Parteiorganisation löste sich<br />
auf. Listen von Mitgliedern ließ<br />
man verschw<strong>in</strong>den. Restschulden<br />
wurden bezahlt. Für e<strong>in</strong>e Weiterarbeit<br />
der hiesigen Partei <strong>in</strong> der Illegalität<br />
gibt es ke<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>weise.<br />
Aber die Mitglieder der Partei versuchten<br />
<strong>in</strong> dieser Zeit, totale<br />
Anpassung zu vermeiden.<br />
Aktennotiz vom 27. 6. 1933 über die Unterdrückung der <strong>SPD</strong>-Mandate<br />
wieder zu den neuen Machthabern<br />
bekannt hatte. Im August 1933<br />
kam es dann zur „Ernennung"<br />
e<strong>in</strong>er Stadtverordnetenversammlung<br />
auf Vorschlag der Nazis, die<br />
dann im Januar 1934 nach dem<br />
neuen Geme<strong>in</strong>deverfassungsgesetz<br />
endgültig aufgelöst wurde.<br />
Welche Rolle konnten bis dah<strong>in</strong><br />
noch die <strong>Sozialdemokraten</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> spielen? Am 30. April<br />
1933 hatte He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g se<strong>in</strong><br />
Mandat niedergelegt. Warum? Das<br />
war nicht mehr zu rekonstruieren.<br />
Der Versuch, für ihn gemäß den<br />
immer noch geltenden Gesetzen<br />
e<strong>in</strong>en Nachfolger zu f<strong>in</strong>den, schlug<br />
damals fehl. Alle Ersatzkandidaten<br />
auf den Wahllisten lehnten ab. In<br />
der schon erwähnten Jubiläumsschrift<br />
der Partei heißt es: „Da e<strong>in</strong><br />
Verbot der <strong>SPD</strong> unmittelbar bevorstand<br />
... hatten die Parteifreunde<br />
abgemacht, sich gegenseitig zu<br />
decken und Interesselosigkeit am<br />
weiteren Parteileben zu heucheln. "<br />
Die Ablehnungen, das Mandat von<br />
Lück<strong>in</strong>g wahrzunehmen, lassen<br />
erkennen, daß die Ersatzkandidaten<br />
auf der Wahlliste ke<strong>in</strong>e Hoffnung<br />
mehr hatten, im Rat der<br />
Stadt sozialdemokratische Politik<br />
vertreten zu können. Auch die<br />
Aussagen alter Genossen belegen<br />
das. Widerstand mit Aussicht auf<br />
Erfolg war nicht vorstellbar und<br />
schien den <strong>Paderborn</strong>er Genossen<br />
nicht möglich, allenfalls bei Gefahr<br />
für Leib und Leben. Der Platz von<br />
Lück<strong>in</strong>g blieb leer. Die <strong>SPD</strong> wurde<br />
am 20. 6. 1933 im ganzen Reich,<br />
so auch <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> verboten.<br />
Verbot der Gewerkschaften<br />
Die Gewerkschaften klammerten<br />
sich an die Illusion, daß e<strong>in</strong> Vergleich<br />
mit den Nationalsozialisten<br />
möglich sei. Nur so ist zu verstehen,<br />
daß sie zum 1. Mai 1933 ihre<br />
Mitglieder aufriefen, an den<br />
Umzügen zum „Tag der nationalen<br />
Arbeit" teilzunehmen; die Arbeiter<br />
mußten unter den Hakenkreuzfahnen<br />
„mitmarschieren".<br />
Dennoch war Hitler entschlossen,<br />
die Gewerkschaften völlig auszuschalten.<br />
Am 2. Mai wurden dann die<br />
Freien Gewerkschaften zerschlagen;<br />
die christlichen „erst" am 24.<br />
Juni. Ob <strong>Paderborn</strong>er Gewerkschafter<br />
am 1. Mai mitg<strong>in</strong>gen, war<br />
nicht e<strong>in</strong>deutig festzustellen. In<br />
dem von Begeisterung über die<br />
neue nationale E<strong>in</strong>heit überschäumenden<br />
Bericht des „Westfälischen<br />
Volksblattes" werden fast alle<br />
Organisationen — auch die christlichen<br />
Gewerkschaften, die katholischen<br />
Vere<strong>in</strong>e und Jugendgruppen<br />
38
Ausschluß Georg Grubers aus der Stadtverordnetenversammlung und<br />
dem Elternbeirat der evangelischen Schule <strong>Paderborn</strong> am 8. 7. 1933<br />
— der Stadt <strong>Paderborn</strong> aufgezählt,<br />
die Freien Gewerkschaften nicht.<br />
Am 2. Mai wurde dann auch <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> das Gewerkschaftsbüro<br />
der Freien Gewerkschaften besetzt,<br />
He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g und Georg Gruber<br />
wurden vorübergehend verhaftet,<br />
aber bald schon wieder freigelassen.<br />
Damit hörten auch <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> die Freien Gewerkschaften<br />
auf zu bestehen. Lück<strong>in</strong>g<br />
wurde im Juni vom Reichsbahnausbesserungswerk<br />
wegen „des<br />
Verdachts staatsfe<strong>in</strong>dlicher E<strong>in</strong>stellung"<br />
aufgrund se<strong>in</strong>er „früheren<br />
E<strong>in</strong>stellung zum Nationalsozialismus"<br />
und weil er nicht die<br />
Gewähr biete, „fest h<strong>in</strong>ter der<br />
Regierung Adolf Hitler zu stehen",<br />
entlassen.<br />
Diese Entlassung wurde nach e<strong>in</strong>iger<br />
Zeit wieder aufgehoben,<br />
Lück<strong>in</strong>g konnte an se<strong>in</strong>e Arbeitsstelle,<br />
wenn auch zuerst wohl nicht<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e alte Stellung, zurückkehren.<br />
Die Ausschaltung der <strong>Sozialdemokraten</strong><br />
aus allen öffentlichen<br />
Bereichen fand ihren Abschluß <strong>in</strong><br />
der Ausschließung von Georg Gruber<br />
aus der Stadtverordnetenversammlung,<br />
die allerd<strong>in</strong>gs zu dieser<br />
Zeit schon „selbstaufgelöst" war,<br />
und aus dem Elternbeirat der<br />
evangelischen Schule. Der Ausschluß<br />
aus dem Stadtparlament<br />
erfolgte aufgrund e<strong>in</strong>er Verfügung,<br />
die besagte: „Sämtliche Mitglieder<br />
39
der <strong>SPD</strong>, die noch Volksvertretungen<br />
und Geme<strong>in</strong>devertretungen<br />
angehören, s<strong>in</strong>d von der weiteren<br />
Ausübung ihrer Mandate ausgeschlossen."<br />
Dies traf <strong>in</strong> gleicher<br />
Weise auch den anderen Mandatsträger<br />
der Partei, Karl Denkner.<br />
Er wurde damit gleichzeitig aus<br />
dem Kreistag des Kreises <strong>Paderborn</strong><br />
ausgeschlossen.<br />
Kündigungsschreiben des Reichsbahnausbesserungswerks an<br />
He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g<br />
Leben unter den Nazis<br />
Was taten die Mitglieder der Partei<br />
nun weiter? Darüber gibt es fast<br />
ke<strong>in</strong>e schriftlichen Quellen. Aber<br />
e<strong>in</strong>ige alte Genossen konnten e<strong>in</strong>en<br />
E<strong>in</strong>druck vom Leben während dieser<br />
Zeit geben:<br />
Die Nazis hätten, von e<strong>in</strong>igen<br />
„Hausdurchsuchungen", bei denen<br />
sie dann Bebel-Bilder zerschlagen<br />
hätten, abgesehen, den <strong>Paderborn</strong>er<br />
<strong>Sozialdemokraten</strong> „nichts weiter<br />
getan". Ab und zu sei es wohl<br />
auch zu Festnahmen gekommen,<br />
aber nur für jeweils kurze Zeit, zu<br />
Verhören, ob noch etwas mit der<br />
Parteiarbeit sei. Immerh<strong>in</strong> hielten<br />
die <strong>Sozialdemokraten</strong> weiter<br />
zusammen. In „Port Arthur"<br />
wohnten fast nur ehemalige <strong>Sozialdemokraten</strong>,<br />
die es ihrem Herzen<br />
nach weiterh<strong>in</strong> waren. Manchmal<br />
„vergaß" man dann das Flaggen<br />
am 20. April, Hitlers Geburtstag.<br />
Dafür wurde zwei Tage später<br />
„Schwarz-Weiß-Rot" gezeigt, nicht<br />
40
die Hakenkreuz-Fahne. Am 22.<br />
April aber war He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>gs<br />
Geburtstag. E<strong>in</strong> wenig Ironie, versteckte<br />
Opposition.<br />
Arbeitslos waren viele <strong>Sozialdemokraten</strong><br />
vor 1933, und mehr noch<br />
die Kommunisten. Nach 1933 g<strong>in</strong>g<br />
es dann langsam wieder „aufwärts",<br />
und z.T. bekamen <strong>SPD</strong>-<br />
Mitglieder erst nur schlechte Stellen.<br />
Beim Ausbau des Flughafens<br />
sei es dann anders geworden.<br />
Und die Arbeitervere<strong>in</strong>e, was<br />
wurde aus ihnen?<br />
Der Arbeitersportvere<strong>in</strong> wurde aufgelöst<br />
wie alle sozialdemokratischen<br />
Vere<strong>in</strong>e. Vorher aber nahm<br />
man Bälle, Trikots und anderes<br />
mit und schloß sich dann anderen<br />
Vere<strong>in</strong>en an. E<strong>in</strong>ige, die vorher<br />
mitgemacht hatten, mehr des<br />
Spiels als der Partei wegen, g<strong>in</strong>gen<br />
auch zur SA.<br />
Als dem Mandol<strong>in</strong>en-Club e<strong>in</strong><br />
Nazi vorgesetzt wurde, hat man<br />
sich alles „geschnappt" und „ist<br />
weg". Der Vere<strong>in</strong> hörte auf zu<br />
bestehen. So ähnlich ist es fast<br />
überall gelaufen; die Kassen wurden<br />
noch ordnungsgemäß abgeschlossen<br />
und übergeben. Oft<br />
genug an die Vertreter der NSDAP<br />
oder an staatliche Stellen. Für das<br />
alles gab es Verordnungen, Erlasse,<br />
Gesetze.<br />
Das Leben g<strong>in</strong>g also weiter; zwar<br />
gab es wieder Arbeit, aber die<br />
soziale Lage der meisten änderte<br />
sich nicht viel. Wie überall <strong>in</strong><br />
Deutschland wurde die jüdische<br />
Bevölkerung auch aus <strong>Paderborn</strong><br />
verschleppt und kam <strong>in</strong> den Konzentrationslagern<br />
der Nazis um.<br />
Auch <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> brannte im<br />
November 1938 die Synagoge.<br />
Auch hier wurden die politischen<br />
Gegner der Nazis verfolgt, aber<br />
eigentlicher Widerstand bildete sich<br />
hier kaum; auch nicht aus den<br />
Reihen der <strong>Sozialdemokraten</strong>.<br />
Wäre mehr Widerstand möglich<br />
gewesen? Die Antwort ist schwierig.<br />
Die Rolle e<strong>in</strong>er sozialen, politischen<br />
und oft konfessionellen M<strong>in</strong>derheit,<br />
die die <strong>SPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
spielte, die E<strong>in</strong>gebundenheit <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
Milieu aus Untertanengeist und<br />
prov<strong>in</strong>zieller Enge, Staats- und<br />
Autoritätsgläubigkeit, verhaftet<br />
dem nationalen Gedanken, ließ<br />
vielleicht kaum etwas anderes zu<br />
als Stillehalten. Man rang wohl<br />
vor 1933 immer noch eher um die<br />
soziale Anerkennung des Arbeiters<br />
als gleichberechtigten Bürgers,<br />
suchte die Lage der Arbeiter und<br />
der vielen anderen Bedürftigen zu<br />
bessern, aber man dachte sicherlich<br />
nicht an die Umwälzung der gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse. Der<br />
Nationalsozialismus realisierte propagandistisch<br />
und demagogisch die<br />
Ansprüche der Arbeiterschaft auf<br />
Gleichberechtigung und zerschlug<br />
gerade darum alle ihre selbständigen<br />
Organisationen. Dies wurde<br />
mehr oder m<strong>in</strong>der erbittert h<strong>in</strong>genommen,<br />
wobei sich auch kaum<br />
<strong>Sozialdemokraten</strong> den Nazis<br />
zuwendeten und viele Verweigerungshaltung<br />
zeigten, wo es eben<br />
g<strong>in</strong>g. Heute wird oft diskutiert, ob<br />
und warum es gegen die NS-<br />
Herrschaft ke<strong>in</strong>en massiven Widerstand<br />
gab, auch nicht von der<br />
Basis der Sozialdemokratie.<br />
Aber muß man sich nicht fragen,<br />
ob wir Nachgeborenen unter den<br />
Bed<strong>in</strong>gungen der damaligen Zeit,<br />
der miserablen wirtschaftlichen<br />
Lage, den großen Versprechungen<br />
Hitlers und den Terrordrohungen<br />
von SA und SS <strong>in</strong> der Lage gewesen<br />
wären, Widerstand zu leisten?<br />
Wir dürfen im nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> nicht<br />
verurteilen, müssen aber <strong>in</strong> unserer<br />
heutigen Welt aufmerksam se<strong>in</strong> für<br />
Gewalt und Unterdrückung und<br />
e<strong>in</strong> solches oder ähnliches Gewaltregime<br />
rechtzeitig zu verh<strong>in</strong>dern<br />
suchen.<br />
Als der Faschismus endlich von<br />
außen niedergerungen war, g<strong>in</strong>g<br />
man daran, all das wieder aufzubauen,<br />
was die Nazis zerschlagen<br />
hatten. Aber war es dasselbe,<br />
konnte so unmittelbar an das wieder<br />
angeknüpft werden, was 1933<br />
aufgegeben werden mußte?<br />
41
Ergebnis des „Tausendjährigen Reiches": Blick auf den Rathausplatz 1945, im H<strong>in</strong>tergrund der zerstörte Dom.<br />
42
Wiederaufbau und Entwicklung der<br />
<strong>Paderborn</strong>er <strong>SPD</strong> nach 1945<br />
„Gebt mir vier <strong>Jahre</strong> Zeit — und<br />
ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen",<br />
hatte Hitler bei den<br />
Wahlen 1933 von se<strong>in</strong>en Wählern<br />
gefordert. Zwölf <strong>Jahre</strong> und drei<br />
Monate nach der „Machtübernahme"<br />
kannte tatsächlich niemand<br />
Deutschland wieder. Diejenigen<br />
Männer und Frauen, die nach den<br />
Verfolgungen <strong>in</strong> den zwölf <strong>Jahre</strong>n<br />
brauner Herrschaft am meisten<br />
Grund gehabt hätten, jede weitere<br />
politische Verantwortung von sich<br />
zu weisen, stellten sich trotzdem<br />
als erste beim Wiederaufbau<br />
der zerstörten Heimat zur Verfügung.<br />
Nachdem das Leben im bombenzerstörten<br />
<strong>Paderborn</strong> e<strong>in</strong>ige<br />
Monate stagniert hatte, wurde am<br />
16. 7. 1945 von der britischen<br />
Besatzungsmacht e<strong>in</strong> Bürgerausschuß<br />
ernannt, der sich mit den<br />
wichtigsten Versorgungsfragen<br />
befaßte. Mitglieder dieses Bürgerausschusses<br />
waren von Seiten der<br />
<strong>SPD</strong> He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g, Karl<br />
Denkner und Hermann Brockmann.<br />
Diesem bis zum 10. 12.<br />
1945 amtierenden Ausschuß folgte<br />
e<strong>in</strong>e von der Militärregierung<br />
ernannte Stadtvertretung vom<br />
11. 12. 1945 bis 14. 9. 1946. In<br />
diesem 30-Mann-Gremium waren<br />
von der <strong>SPD</strong> vertreten: He<strong>in</strong>rich<br />
Lück<strong>in</strong>g, Hermann Brockmann,<br />
Karl Denkner, Karl Behrens, Paul<br />
Inacker, Franz Wiedemeier und<br />
Wilhelm Sandmann.<br />
Die erste freie Wahl<br />
Am 15. September 1946 folgten<br />
die ersten freien Wahlen nach<br />
1933.<br />
Nach dem damaligen Wahlmodus<br />
hatte jeder Wähler drei Stimmen,<br />
die er nach Belieben verteilen<br />
konnte. 18 077 Bürger waren wahlberechtigt,<br />
13 550 Stimmen wurden<br />
abgegeben. Ungültig waren 515<br />
Stimmen. Die CDU erhielt 17 8<strong>75</strong><br />
Stimmen, das Zentrum 8 640, die<br />
<strong>SPD</strong> 8 260, die KPD 860, und die<br />
Unabhängigen erhielten 712<br />
Stimmen.<br />
Infolge der Eigenart der Wahl<br />
erhielt die <strong>SPD</strong>, obwohl sie fast<br />
die Hälfte der CDU-Stimmenzahl<br />
auf sich vere<strong>in</strong>igen konnte, nur<br />
zwei Vertreter im Rat, die CDU<br />
jedoch 23, das Zentrum wiederum<br />
nur zwei! He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g und<br />
Paul Inacker zogen <strong>in</strong> den Rat.<br />
Inacker wurde kurze Zeit darauf<br />
nach Bielefeld versetzt, so daß als<br />
Ersatzmann am 7. 11. 1946 Steuersekretär<br />
Wilhelm Sandmann e<strong>in</strong>sprang.<br />
In der ersten Sitzung am<br />
27. September 1946 wurde He<strong>in</strong>rich<br />
Lück<strong>in</strong>g zum 2. Bürgermeister<br />
gewählt, e<strong>in</strong>e Stellung, die er lange<br />
<strong>Jahre</strong> h<strong>in</strong>durch <strong>in</strong>nehatte.<br />
Durch Verordnung der Militärregierung<br />
am 15. September 1945<br />
war die Bildung von politischen<br />
Parteien und deren Betätigung<br />
gestattet worden. Im November<br />
1945 gründete <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> das<br />
Zentrum die erste Kreisgruppe, im<br />
Januar 1946 folgte die CDU und<br />
wenig später die <strong>SPD</strong>. Vorsitzender<br />
des <strong>SPD</strong>-Ortsvere<strong>in</strong>s wurde He<strong>in</strong>rich<br />
Lück<strong>in</strong>g, der auch <strong>in</strong> den<br />
Landtag delegiert wurde. Se<strong>in</strong><br />
Nachfolger wurde 1950 bei der<br />
Landtagswahl DGB-Gewerkschaftssekretär<br />
Hermann Brockmann<br />
(über die Reserveliste).<br />
Am 3. April 1946 erschien e<strong>in</strong>e<br />
neue Zeitung <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong>, die<br />
FREIE PRESSE. Der Phönix-Verlag<br />
Bielefeld, die <strong>Paderborn</strong>er<br />
<strong>Sozialdemokraten</strong> und Carl Sever<strong>in</strong>g<br />
hatten die Lehren aus den<br />
Presseverhältnissen der Weimarer<br />
Zeit gezogen und <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
e<strong>in</strong>e Lokalausgabe der Bielefelder<br />
sozialdemokratischen Tageszeitung<br />
<strong>in</strong>s Leben gerufen, die bis zum<br />
Übergang <strong>in</strong> die NEUE WESTFÄ-<br />
LISCHE bestand.<br />
Am 17. Oktober 1948 folgte die<br />
zweite freie Kommunalwahl <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong>. Mit 2 990 Stimmen<br />
stellte die <strong>SPD</strong> von 28 Stadtvertretern<br />
sieben. Den komplizierten<br />
Wahlmodus von 1946 hatte man<br />
fallengelassen. Ratsherren wurden<br />
He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g, Hermann<br />
43
Brockmann, Wilhelm Sandmann,<br />
Gustav Zogoll, Josefa Mischke,<br />
Gustav Geile (DGB-Sekretär) und<br />
Josef Jost.<br />
Es war nicht leicht, <strong>in</strong> dieser Zeit<br />
Ratsherr zu se<strong>in</strong>. Viele Schwierigkeiten<br />
mußten überwunden werden.<br />
Die Arbeit der <strong>SPD</strong>-Fraktion<br />
im Stadtrat wurde von der Bevölkerung<br />
anerkannt, denn bei den<br />
Kommunal wählen vom 9. November<br />
1952 erhielt die <strong>SPD</strong> 5 135<br />
Stimmen. Die <strong>SPD</strong> schickte neun<br />
Ratsherren von 38 <strong>in</strong> das Stadtparlament:<br />
He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g, Josefa<br />
Mischke, Gustav Geile, Josef Wittenberg,<br />
Gustav Zogoll, Hermann<br />
Brockmann, He<strong>in</strong>rich Göke, Wilhelm<br />
Sandmann und Albert<br />
Gnade. Während dieser Legislaturperiode<br />
ergaben sich e<strong>in</strong>ige Umstellungen<br />
durch Versetzung, Verzicht<br />
und Tod. Der schwerste Verlust<br />
war der Tod von Hermann Brock-<br />
mann, MdL, am 30. 8. 1953.<br />
Brockmanns Nachfolger wurde<br />
Redakteur Aloys Schwarze, der<br />
dann über viele <strong>Jahre</strong> h<strong>in</strong> als<br />
Sozialdemokrat die Bevölkerung<br />
des Paderbofner Raumes im Düsseldorfer<br />
Landtag vertrat (über die<br />
Reserveliste).<br />
Hermann Brockmann hatte nach<br />
e<strong>in</strong>er harten Wahlversammlung <strong>in</strong><br />
Bad Lippspr<strong>in</strong>ge e<strong>in</strong>en Herz<strong>in</strong>farkt<br />
erlitten. Er starb „<strong>in</strong> den Sielen".<br />
Der „Regierende" von Berl<strong>in</strong>, Willy Brandt, <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> bei der <strong>SPD</strong>-Kundgebung zur Landtagswahl 1958.<br />
Rund 4000 Menschen hörten der Rede aufmerksam zu.<br />
A4
Von den vielen Projekten, an<br />
denen er zum Nutzen der Allgeme<strong>in</strong>heit<br />
mitarbeitete, ist an erster<br />
Stelle die Städtische Realschule zu<br />
nennen. In e<strong>in</strong>er für die Anwesenden<br />
unvergeßlichen Ratssitzung im<br />
Saale der Stadtwerke am Bischofsteich<br />
gelang es ihm, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em glänzenden<br />
Plädoyer die Mehrheitsstimmung<br />
im Rat, die gegen diese<br />
Schule war, zu zerstreuen. Aktiv<br />
setzte er sich für e<strong>in</strong>e Unterschriftensammlung<br />
von Eltern der Realschüler<br />
e<strong>in</strong>. Heute ist die Realschule<br />
längst etwas Selbstverständliches<br />
geworden. Diese Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
damals zeigte: Auch <strong>in</strong><br />
der M<strong>in</strong>derheit kann e<strong>in</strong>e Fraktion<br />
erheblichen E<strong>in</strong>fluß auf kommunale<br />
Geschicke nehmen, vorausgesetzt,<br />
daß sie die besseren Argumente<br />
hat.<br />
Die nächste Wahl vom 28. Oktober<br />
1956 brachte zehn <strong>SPD</strong>-Ratsherren<br />
<strong>in</strong> den Stadtrat:<br />
He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g, Günther Almstedt,<br />
Karl Denkner, Gustav Geile,<br />
Ernst Hentschel, Detlef Kastner,<br />
Herbert Lubek, Sophie Menzel,<br />
Aloys Schwarze und Gustav<br />
Zogoll.<br />
Bei der Kommunal wähl 1961<br />
gelangten 9 Mitglieder der <strong>SPD</strong> <strong>in</strong>s<br />
Rathaus: Hubert Borghoff, Gustav<br />
Geile, Karl Kran, Herbert Lubek,<br />
He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g, Sophie Menzel,<br />
Karl Nolden, Konrad Nüsse, Aloys<br />
Schwarze. Stellvertretender Bürgermeister<br />
wurde He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g.<br />
Bei der Kommunalwahl 1964 kandidierte<br />
He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g nicht<br />
mehr. In diesem Jahr kamen <strong>in</strong>s<br />
Rathaus:<br />
Hubert Borghoff, Gustav Geile,<br />
Hermann Hegel, Hermann Hellmich,<br />
Herbert Lubek, Sophie Menzel,<br />
Karl Nolden, Resi Schmitthoff,<br />
Herbert Schulte und Hans<br />
Thöne. Gustav Geile wurde stellvertretender<br />
Bürgermeister. Hermann<br />
Hegel legte während der<br />
Amtsperiode se<strong>in</strong> Mandat nieder.<br />
Für ihn rückte Georg Bohla nach.<br />
He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g, Hermann<br />
Brockmann und Gustav Geile<br />
waren es, die (jeweils zeitweise als<br />
- Ortsvere<strong>in</strong>svorsitzende) die <strong>Paderborn</strong>er<br />
<strong>SPD</strong> <strong>in</strong> den <strong>Jahre</strong>n des<br />
Wiederaufbaus besonders stark<br />
So wie heute setzten sich auch schon Ende der 50er <strong>Jahre</strong> <strong>Sozialdemokraten</strong><br />
für das Ausbesserungswerk der Bundesbahn <strong>Paderborn</strong> e<strong>in</strong>.<br />
Die Arbeitsplätze sollten erhalten werden. Zum Bedauern der <strong>SPD</strong><br />
wurde e<strong>in</strong> Werk im Frühjahr 1959 praktisch geschlossen. Das Bild zeigt<br />
Aloys Schwarze (damals MdL), Ulrich Lohmar (damals MdB) und den<br />
damaligen A W-Personalratsvorsitzenden und stellv. Landrat Karl Behrens<br />
im Gespräch mit e<strong>in</strong>em Eisenbahner.<br />
45
prägten. Von 1960 bis 1970 lag der<br />
Vorsitz des Ortsvere<strong>in</strong>s bei Karl<br />
Nolden. He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g und<br />
Gustav Geile waren <strong>in</strong> den 50er<br />
bzw. 60er <strong>Jahre</strong>n auch Erste Bürgermeisterstellvertreter<br />
der Stadt<br />
<strong>Paderborn</strong>; Anfang der 70er <strong>Jahre</strong><br />
rückte auch hier Karl Nolden<br />
nach.<br />
Zwei Bundestagsabgeordnete der<br />
<strong>SPD</strong> waren der <strong>Paderborn</strong>er Partei<br />
lange <strong>Jahre</strong> h<strong>in</strong>durch verbunden:<br />
Ulrich Lohmar (der im Wahlkreis<br />
<strong>Paderborn</strong>-Wiedenbrück für die<br />
<strong>SPD</strong> kandidierte und über die<br />
Reserveliste <strong>in</strong> den Bundestag kam)<br />
und Karl-He<strong>in</strong>z Saxowski, 1981<br />
gestorben (der im Wahlkreis Büren<br />
— Höxter — Warburg kandidierte<br />
und ebenfalls über die Reserveliste<br />
<strong>in</strong> den Bundestag e<strong>in</strong>zog).<br />
Zu er<strong>in</strong>nern ist auch an Karl Behrens,<br />
der <strong>in</strong> den Aufbaujahren als<br />
Sozialdemokrat stellvertretender<br />
Landrat des Kreises <strong>Paderborn</strong> war.<br />
Versucht man die Probleme, vor<br />
denen <strong>in</strong> der Entwicklung nach<br />
1945 die <strong>Paderborn</strong>er <strong>SPD</strong> stand,<br />
kurz zu skizzieren, so ergibt sich<br />
folgendes Bild:<br />
Jubilarehrung der <strong>Paderborn</strong>er <strong>SPD</strong> um 1957:<br />
1. Reihe von l<strong>in</strong>ks: Lautenschläger, Bohnenkamp, Anne Harbart,<br />
Gustav Geile, Ulrich Lohmar, Anna Hanau, Friedrich Behrens,<br />
Josef <strong>in</strong>e He<strong>in</strong>, Albert Maßnick, He<strong>in</strong>rich Mucks<br />
2. Reihe von l<strong>in</strong>ks: Otto Libuda, Willi Töpfer, Paul Anlauf,<br />
He<strong>in</strong>z Harbart, Georg Farchm<strong>in</strong>, He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g, Karl Denkner, ???.<br />
Die ersten <strong>Jahre</strong> nach der Wiedergründung<br />
der <strong>Paderborn</strong>er <strong>SPD</strong><br />
waren vorrangig bestimmt durch<br />
das Bemühen, die fast völlig zerstörte<br />
Stadt wieder lebensfähig zu<br />
machen. Es g<strong>in</strong>g damals darum, <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> den Alte<strong>in</strong>wohnern wieder<br />
Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten<br />
zu verschaffen — und darüber<br />
h<strong>in</strong>aus auch den zugeströmten<br />
Flüchtl<strong>in</strong>gen und Evakuierten zu<br />
helfen. Die <strong>Paderborn</strong>er <strong>SPD</strong> war<br />
zu dieser Zeit <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />
soziale Vertretung der Arbeiterfamilien.<br />
Obwohl im hiesigen Raum<br />
<strong>in</strong> der M<strong>in</strong>derheit, hat die <strong>SPD</strong><br />
stark dazu beigetragen, daß dem<br />
unter den Kriegsfolgen leidenden<br />
<strong>Paderborn</strong> die Hilfe des Landes<br />
Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen zukam.<br />
Daß die <strong>SPD</strong> im katholisch geprägten<br />
<strong>Paderborn</strong> auch nach 1945<br />
weitverbreiteten Vorbehalten (und<br />
oft auch Diffamierungen) gegenüberstand,<br />
bedarf wohl nicht des<br />
Nachweises; immerh<strong>in</strong> wurde das<br />
Verhältnis von <strong>SPD</strong> und katholischer<br />
Kirche auch <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> ab<br />
den 60er <strong>Jahre</strong>n allmählich durch<br />
„Entspannungspolitik" bestimmt.<br />
Vieles geriet nun <strong>in</strong> Fluß: Die <strong>SPD</strong><br />
wurde zur „Volkspartei", das<br />
sozialstrukturelle Profil der Stadt<br />
<strong>Paderborn</strong> veränderte sich, e<strong>in</strong>e<br />
neue Generation wurde politisch<br />
„mündig".<br />
46
Die Familien gehörten dazu.<br />
Hier Nanni Isermann bei e<strong>in</strong>er<br />
Bescherung auf e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>derfest<br />
der <strong>SPD</strong> <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong>.<br />
Die <strong>SPD</strong> verstand sich aufs Feiern:<br />
He<strong>in</strong>rich Lück<strong>in</strong>g als „Hahn im<br />
Korb".<br />
47
Der Ortsvere<strong>in</strong> der <strong>SPD</strong> von 1969 bis 1984<br />
<strong>SPD</strong> — e<strong>in</strong>e Volkspartei<br />
Mit dem Jahr 1969 begann e<strong>in</strong><br />
neuer Abschnitt <strong>in</strong> der Geschichte<br />
der <strong>SPD</strong>. Sie stellte zum ersten<br />
Mal seit der Weimarer Republik<br />
den Kanzler. Dies war nur möglich<br />
gewesen, weil es der <strong>SPD</strong> bei den<br />
Wahlen gelungen war, außer den<br />
Wählern aus der Arbeiterschaft<br />
Wähler aus anderen Schichten der<br />
Bevölkerung zu gew<strong>in</strong>nen. Die mit<br />
dem Godesberger Programm angekündigte<br />
Wendung zur Volkspartei<br />
erwies sich als Voraussetzung der<br />
Übernahme der Regierungsführung<br />
<strong>in</strong> der Bundesrepublik. Im <strong>Paderborn</strong>er<br />
Ortsvere<strong>in</strong> wurde <strong>in</strong> der<br />
<strong>Jahre</strong>shauptversammlung im März<br />
1969 vom Vorsitzenden Karl Nolden<br />
die Notwendigkeit der Öffnung<br />
der <strong>SPD</strong> betont. Unter<br />
Bezugnahme auf den Dortmunder<br />
Parteitag führte er aus: „Die politische<br />
Entfaltung der <strong>SPD</strong> werde<br />
weitgehend abhängig se<strong>in</strong> von der<br />
Fähigkeit ihrer Organisation, sich<br />
weiter zu wandeln vom sozialen<br />
Organismus e<strong>in</strong>er ehemals<br />
geschlossenen Gruppe oder Klasse<br />
zum Träger der ständigen Me<strong>in</strong>ungsbildung<br />
und Willensbildung<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er offenen Gesellschaft. "<br />
(NW, 5. 3. 1969).<br />
Der Wandel der Sozialstruktur<br />
spiegelte sich <strong>in</strong> der Mitglieder-<br />
48<br />
struktur der Partei. 1971 waren<br />
von den Mitgliedern des <strong>Paderborn</strong>er<br />
Ortsvere<strong>in</strong>s<br />
17 % Angestellte<br />
20% Arbeiter<br />
15% Beamte und Berufssoldaten<br />
16% Hausfrauen<br />
12% Rentner<br />
9 % Studenten und Schüler<br />
10% Selbständige<br />
1 % ohne Angabe<br />
(NW. 15. 3. 1971).<br />
1984 s<strong>in</strong>d von den Mitgliedern des<br />
<strong>Paderborn</strong>er Ortsvere<strong>in</strong>s<br />
26 % Angestellte<br />
16% Arbeiter<br />
13 % Beamte und Berufssoldaten<br />
8 % Hausfrauen<br />
1 % Auszubildende<br />
17% Rentner<br />
14% Schüler und Studenten<br />
4% Selbständige<br />
2 % ohne Angaben<br />
Der <strong>Paderborn</strong>er Ortsvere<strong>in</strong> zeigt<br />
vor allem e<strong>in</strong>e prozentuale<br />
Zunahme der Angestellten. Die<br />
Zunahme dieser Gruppe geht auf<br />
Kosten der Beamten, Hausfrauen,<br />
Arbeiter und Selbständigen. Das<br />
erklärt sich nur zum Teil daraus,<br />
daß es der <strong>SPD</strong> gelang, Mitglieder<br />
aus neuen Schichten zu gew<strong>in</strong>nen,<br />
sondern auch daraus, daß die<br />
Angestelltenschicht <strong>in</strong>sgesamt<br />
zunahm: Dies kann auch gewiß als<br />
e<strong>in</strong> Erfolg der Arbeiterbewegung<br />
angesehen werden, da mit der<br />
Angestelltentätigkeit häufig bessere<br />
und relativ sichere Arbeitsplätze<br />
gegeben s<strong>in</strong>d. Die prozentuale<br />
Zunahme der Schüler und Studenten<br />
kommt sicherlich daher, daß<br />
<strong>in</strong>folge sozialdemokratischer Bildungspolitik,<br />
die sich u. a. auch <strong>in</strong><br />
der Gründung der Gesamthochschule<br />
<strong>Paderborn</strong> zeigte, der Anteil<br />
von Studenten und Schülern an<br />
der Gesamtbevölkerung erheblich<br />
gewachsen ist. Die prozentuale<br />
Zunahme der Rentner könnte <strong>in</strong><br />
der veränderten Altersstruktur der<br />
Bevölkerung zu suchen se<strong>in</strong>, aber<br />
auch <strong>in</strong> der Tatsache, daß die<br />
Menschen heute früher „<strong>in</strong> Rente<br />
gehen". Niedrig ist immer noch<br />
der Anteil der Frauen im <strong>Paderborn</strong>er<br />
Ortsvere<strong>in</strong>. Z. Zt. stehen<br />
24 % Genoss<strong>in</strong>nen 76 % Genossen<br />
gegenüber.<br />
Mitgliederboom<br />
Die Ostpolitik und die Reformpolitik<br />
der sozialliberalen Koalitionsregierung<br />
Brandt /Scheel fanden auch<br />
<strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> große Unterstützung.<br />
Die Zahl der Parteimitglieder nahm<br />
seit Ende der 60er <strong>Jahre</strong> stark zu.<br />
1970 wurden 74 neue Mitglieder <strong>in</strong><br />
den Ortsvere<strong>in</strong> aufgenommen, der<br />
am Ende des <strong>Jahre</strong>s mehr als 400<br />
Personen umfaßte. 1971 stieg die<br />
Zahl der Parteimitglieder auf über<br />
500, 1972 wurden 103 neue Mitglieder<br />
aufgenommen.
Die Hoffnung aber, daß sich dieser<br />
Mitgliederzuwachs halten<br />
werde, trog. In der Phase der<br />
Regierung Schmidt/Genscher wurden<br />
viele Hoffnungen auf e<strong>in</strong>e<br />
Neugestaltung der Bundesrepublik<br />
im sozialdemokratischen S<strong>in</strong>ne<br />
durch e<strong>in</strong>e Politik der Kompromisse<br />
mit dem Koalitionspartner<br />
FDP und mit der CDU-Mehrheit<br />
im Bundesrat zunichte gemacht.<br />
Manche neuen Mitglieder verließen<br />
wieder enttäuscht die Partei. Z. Zt.<br />
(Anfang 1984) umfaßt der Ortsvere<strong>in</strong><br />
323 Mitglieder.<br />
Die Wahlergebnisse zeigen, daß<br />
e<strong>in</strong>em Aufschwung bei den Landtagswahlen<br />
1966 und den Bundestags-<br />
und Stadtratswahlen 1969,<br />
bei denen die <strong>SPD</strong> mehr als 30%<br />
Stimmen erhielt, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er<br />
Abschwung bei den Kreistags- und<br />
Landtagswahlen 1970 folgte. 1972<br />
erreichte die <strong>SPD</strong> bei den Bundestagswahlen<br />
ihr <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> bisher<br />
bestes Ergebnis mit 35 % Erst- und<br />
33,8 °7o Zweitstimmen. Diese<br />
Ergebnisse konnten bei den folgenden<br />
Wahlen nicht gehalten werden.<br />
Bei den Kommunalwahlen 1984<br />
erlitt die CDU e<strong>in</strong>en Stimmenverlust<br />
von 9 %. Aber auch die <strong>SPD</strong><br />
verlor 4 %. Die Stimmenverluste<br />
der etablierten Parteien kamen<br />
hauptsächlich den „Grünen"<br />
zugute, die mit 12,1 % <strong>in</strong> den<br />
Stadtrat e<strong>in</strong>zogen. Es war trotz<br />
engagierten Wahlkampfes nicht<br />
gelungen, e<strong>in</strong> Abwandern von<br />
Wählerstimmen zu den Grünen zu<br />
verh<strong>in</strong>dern. Sicher auch e<strong>in</strong> Zeichen<br />
dafür, daß bundesweite<br />
Trends vor Ort kaum aufzuhalten<br />
s<strong>in</strong>d.<br />
Sehr unterschiedlich waren die<br />
Ergebnisse <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Wahlkreisen<br />
der Stadt, so konnte 1969<br />
Konrad Nüsse z.B. den Wahlkreis<br />
20 im Süden der Stadt direkt<br />
gew<strong>in</strong>nen. 19<strong>75</strong> erreichte Hansi<br />
Steiger mit 39 % ebenfalls im<br />
Süden der Stadt das beste Ergebnis<br />
für die Partei. Das vergleichsweise<br />
schlechte Ergebnis für die Partei <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> bei den Kommunalwahlen<br />
19<strong>75</strong> bei gutem Abschneiden<br />
der Partei im Lande hatte se<strong>in</strong>en<br />
Grund dar<strong>in</strong>, daß durch die Kommunalreform<br />
das Gebiet der Stadt<br />
um eher konservativ wählende<br />
Stadtteile vergrößert worden war.<br />
Günter Bitterberg, der Ortsvere<strong>in</strong>svorsitzende,<br />
kommentierte das<br />
Ergebnis 19<strong>75</strong>: „Wir sehen das<br />
Ergebnis mit e<strong>in</strong>em lachenden und<br />
e<strong>in</strong>em we<strong>in</strong>enden Auge, im Blick<br />
auf Düsseldorf und den <strong>Paderborn</strong>er<br />
Rat."<br />
1969 zogen <strong>in</strong> den Rat e<strong>in</strong>:<br />
Hubert Borghoff, Georg Bohla,<br />
Gustav Geile, Hermann Hellmich,<br />
Karl Klipste<strong>in</strong>, Herbert Lubek,<br />
Karl Nolden, Konrad Nüsse, Resi<br />
Schmitthoff, Hansi Steiger, Hans<br />
Thöne, Dr. Hans-Eugen Schlumm,<br />
Johannes Wille. Gustav Geile<br />
wurde zum stellvertretenden Bürgermeister<br />
gewählt.<br />
Es schieden <strong>in</strong> den folgenden <strong>Jahre</strong>n<br />
aus:<br />
Dr. Hans-Eugen Schlumm, Hubert<br />
Borghoff und Gustav Geile, an<br />
ihre Stelle traten Herbert Schulte,<br />
Rudi Salmen und Josef Köll<strong>in</strong>g.<br />
In den Kreistag zogen 1970 Aloys<br />
Schwarze und Sigrid Baucks-<br />
Warneke e<strong>in</strong>. Sigrid Baucks-<br />
Warneke wurde zur stellvertretenden<br />
Landrät<strong>in</strong> gewählt.<br />
19<strong>75</strong> zogen <strong>in</strong> den Stadtrat e<strong>in</strong>:<br />
Günter Bitterberg, Georg Bohla,<br />
Dr. Helmut Funke, Hermann<br />
Hellmich, Herbert Lubek, Karl<br />
Nolden, Dr. Rudi Salmen, Resi<br />
Schmitthoff, Aloys Schwarze,<br />
Hans Thöne und Ra<strong>in</strong>er Ulitzner.<br />
Karl Nolden wurde zum stellvertretenden<br />
Bürgermeister gewählt.<br />
In den Kreistag kamen Marlene<br />
Lubek, Bernd Hollenbeck und<br />
Konrad Josephs.<br />
Aufgrund der Kommunalwahlen<br />
kamen 1979 <strong>in</strong> den Stadtrat:<br />
Günter Bitterberg, Greta Erch<strong>in</strong>ger,<br />
Jupp Hackfort, Hermann<br />
Hellmich, Herbert Lubek, Rolf<br />
Niekamp, Karl Nolden, Resi<br />
Schmitthoff, Aloys Schwarze,<br />
Hansi Steiger, Hans Thöne.<br />
Karl Nolden wurde zum stellvertre-<br />
49
tenden Bürgermeister gewählt.<br />
In den Kreistag kamen:<br />
Konrad Josephs, der bald wegen<br />
e<strong>in</strong>er Erkrankung ausschied und an<br />
dessen Stelle Ra<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>tze aus<br />
Delbrück nachrückte, Bernd Hollenbeck,<br />
W<strong>in</strong>fried Eberhardt und<br />
Marlene Lubek.<br />
In den Stadtrat zogen 1984<br />
15 Mandatsträger und -träger<strong>in</strong>nen<br />
e<strong>in</strong>. Für den Ortsvere<strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong>:<br />
Günter Bitterberg, Josef<br />
Hackfort, Greta Erch<strong>in</strong>ger, Rolf<br />
Niekamp, Ra<strong>in</strong>er R<strong>in</strong>gs und Hans<br />
Thöne.<br />
Mit Hans Thöne stellt die <strong>SPD</strong><br />
den 2. stellvertretenden Bürgermeister.<br />
In den Kreistag kamen 15 Abgeordnete,<br />
davon für den Ortsvere<strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong>: Marlene Lubek, W<strong>in</strong>fried<br />
Eberhardt und Käthe Meermeier.<br />
In den Landtag kam Aloys<br />
Schwarze 1970 zunächst nicht wieder<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, er rückte aber nach<br />
e<strong>in</strong>igen Monaten nach.<br />
19<strong>75</strong> scheiterte Dr. Rudi Salmen<br />
mit se<strong>in</strong>er Kandidatur für den<br />
Landtag, weil er auf der Liste<br />
schlechter als se<strong>in</strong> Konkurrent<br />
Horst He<strong>in</strong> aus Höxter abgesichert<br />
war. 1979 bewarb sich Marlene<br />
Lubek um e<strong>in</strong>e Landtagskandidatur.<br />
Bei der Konkurrenz um e<strong>in</strong>en<br />
abgesicherten Listenplatz unterlag<br />
Der <strong>Paderborn</strong>er Bundestagsabgeordnete Klaus Thüs<strong>in</strong>g im Bundestagswahlkampf<br />
1983<br />
Foto: R. R<strong>in</strong>gs<br />
sie Horst He<strong>in</strong> aus Höxter. Sie trat<br />
daraufh<strong>in</strong> von der Kandidatur<br />
zurück, um zu zeigen, wie benachteiligt<br />
Frauen bei der Absicherung<br />
auf Listenplätzen seien. Hansi Steiger<br />
übernahm dann die aussichtslose<br />
Kandidatur.<br />
Im Bundestag wurde der Wahlkreis<br />
seit 1957 über die Landesliste<br />
durch den Abgeordneten Ulrich<br />
Lohmar vertreten, geboren 1928,<br />
1967 bis 1969 Chefredakteur der<br />
Neuen Westfälischen, danach Professor<br />
für Politikwissenschaft,<br />
zuletzt <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong>. Seit 1965<br />
war er Vorsitzender des Bundestagsausschusses<br />
für Bildung und<br />
Wissenschaft, <strong>in</strong> dem er sich <strong>in</strong><br />
besonderer Weise um die Bildungsreform<br />
verdient gemacht hat.<br />
1976 wurde Ulrich Lohmar durch<br />
Klaus Thüs<strong>in</strong>g abgelöst, der allerd<strong>in</strong>gs<br />
erst nach e<strong>in</strong>em halben Jahr<br />
„Wartezeit" wegen e<strong>in</strong>es nicht so<br />
günstigen Listenplatzes <strong>in</strong> den<br />
Bundestag gelangte. Auch bei den<br />
Wahlen 1980 kam Klaus Thüs<strong>in</strong>g<br />
über die Landesliste <strong>in</strong> den Bundestag,<br />
scheiterte aber vorerst<br />
1983.<br />
50
E<strong>in</strong> anderer Bundestagsabgeordneter<br />
aus <strong>Paderborn</strong> war Karl-He<strong>in</strong>z<br />
Saxowski, 1918 <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
geboren, seit 1947 <strong>in</strong> der Stadtverwaltung<br />
tätig, seit 1948 Mitglied<br />
der <strong>SPD</strong>, 1961 bis 1980 Abgeordneter<br />
für den Wahlkreis Höxter im<br />
Deutschen Bundestag.<br />
Z. Zt. hat die <strong>Paderborn</strong>er <strong>SPD</strong> im<br />
Landtag und im Bundestag ke<strong>in</strong>en<br />
Vertreter. Im Europäischen Parlament<br />
ist die hiesige Sozialdemokratie<br />
seit Juni 1984 durch Mechtild<br />
Rothe aus Bad Lippspr<strong>in</strong>ge vertreten.<br />
Frauen <strong>in</strong> der Politik<br />
Wie Frauen im Ortsvere<strong>in</strong> <strong>in</strong> der<br />
M<strong>in</strong>derheit s<strong>in</strong>d, so s<strong>in</strong>d sie auch<br />
im Rat und im Kreistag nur <strong>in</strong><br />
ger<strong>in</strong>ger Zahl vertreten. 1969 und<br />
19<strong>75</strong> war Resi Schmitthoff die e<strong>in</strong>zige<br />
sozialdemokratische Vertreter<strong>in</strong><br />
im Rat, 1979 erhielt sie Unterstützung<br />
durch Greta Erch<strong>in</strong>ger.<br />
Im Kreistag waren 1969 Sigrid<br />
Baucks-Warneke und 19<strong>75</strong> und<br />
1979 Marlene Lubek vertreten.<br />
E<strong>in</strong>e neue Generation<br />
1970 gab Karl Nolden se<strong>in</strong> Amt als<br />
Vorsitzender nach 10 <strong>Jahre</strong>n ab<br />
und legte es <strong>in</strong> die Hände jüngerer<br />
Mitglieder des Ortsvere<strong>in</strong>s.<br />
Karl Nolden, „e<strong>in</strong> Wahlpaderborner<br />
aus echtem Schrot und Korn"<br />
(NW, 30. 7. 1981) stammt aus<br />
Essen, ist <strong>in</strong> der Bonifaciusdruckerei<br />
tätig. Lang ist die Zahl se<strong>in</strong>er<br />
öffentlichen Ämter: Ortsvere<strong>in</strong>svorsitzender<br />
bis 1970, Betriebsratsvorsitzender,<br />
Vorsitzender der<br />
AWO, ehrenamtlicher Richter<br />
beim Arbeitsgericht <strong>Paderborn</strong> und<br />
beim Oberverwaltungsgericht <strong>in</strong><br />
Münster etc., von 1961 bis 1984<br />
Stadtrat.<br />
In se<strong>in</strong>er Abschiedsrede als Ortsvere<strong>in</strong>svorsitzender<br />
forderte Karl<br />
Nolden e<strong>in</strong>en aktiven Ortsvere<strong>in</strong>:<br />
„Mitbestimmen und me<strong>in</strong>ungsbildend<br />
tätig werden kann man nur<br />
durch echtes Engagement <strong>in</strong> der<br />
Partei." Die <strong>SPD</strong> solle sich „für<br />
die Interessen der breiten arbeitenden<br />
Schicht engagieren und für<br />
die, die trotz Hochkonjunktur<br />
abseits vom großen Boom ständen.<br />
" (NW, 2. 3. 1970).<br />
Betrachtet man die Reihenfolge der<br />
Vorsitzenden der nächsten <strong>Jahre</strong>,<br />
so fällt auf, daß diese häufig<br />
wechselten, sicher e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis darauf,<br />
daß dieser Posten mit viel<br />
Arbeit und Schwierigkeiten verbunden<br />
ist. Gleichwohl kann man<br />
von Kont<strong>in</strong>uität <strong>in</strong> der Vorstandsarbeit<br />
sprechen, wenn man sieht,<br />
daß häufig nur der erste Vorsitzende<br />
mit den Stellvertretern ausgewechselt<br />
wurde. So war z.B.<br />
Günter Bitterberg von 1970 bis<br />
19<strong>75</strong> kont<strong>in</strong>uierlich im geschäftsführenden<br />
Vorstand, Margareta<br />
Erch<strong>in</strong>ger 1973 bis 1979. Bei den<br />
Funktionen des Schriftführers, des<br />
Kassierers und der Beisitzer zeigt<br />
sich, daß manche Vorstandsmitglieder<br />
mehrere Wahlperioden im Amt<br />
waren. Am unumstrittensten ist<br />
das Amt des Kassierers, das Bernhard<br />
Gerlach <strong>in</strong> der gesamten Zeit,<br />
z. T. von e<strong>in</strong>em zweiten Kassierer<br />
unterstützt, z. T. alle<strong>in</strong> mit großer<br />
Zuverlässigkeit und Genauigkeit<br />
ausübt. Auch Greta Erch<strong>in</strong>ger<br />
gehört zu den Vorstandsmitgliedern,<br />
die sich kont<strong>in</strong>uierlich um<br />
Nanni Isermann
die Geschicke des Ortsvere<strong>in</strong>s kümmern.<br />
1970 gelangte die damalige<br />
Studienrät<strong>in</strong> zunächst als Beisitzer<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> den Vorstand, war dann<br />
stellvertretende Vorsitzende und<br />
Vorsitzende. Seit 1979 hat sie das<br />
Amt der Schriftführer<strong>in</strong> <strong>in</strong>ne. Die<br />
Pressearbeit des Vorstandes hat sie<br />
<strong>in</strong> allen Ämtern zum Teil alle<strong>in</strong>,<br />
zum Teil <strong>in</strong> Kooperation mit anderen<br />
geleistet. Mancher Bericht über<br />
Parteiversammlungen kam aus<br />
ihrer Feder, auf manche Parteiversammlung<br />
hat sie h<strong>in</strong>gewiesen. Zu<br />
erwähnen ist auch Nanni Isermann,<br />
die von 1971 bis 1977 als<br />
Beisitzer<strong>in</strong> dem Vorstand angehörte.<br />
Von Jugend auf hat sie der<br />
Sozialdemokratie <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
nahegestanden. Fußballbegeistert<br />
nahm sie an manchem Spiel des<br />
SV Mönkeloh sogar als Schiedsrichter<strong>in</strong><br />
teil. Ihre Gastwirtschaft<br />
an der Borchener Straße war<br />
Treffpunkt für die Genossen und<br />
Genoss<strong>in</strong>nen des Südviertels.<br />
Durch ihre Begeisterung für die<br />
Sozialdemokratie hat sie manchen<br />
Genossen geworben. Die Erfolge<br />
der Partei im Süden der Stadt s<strong>in</strong>d<br />
sicher auch ihrer Aktivität zu verdanken.<br />
Häufig im Vorstand aktiv war<br />
Konrad Josephs, zu dessen 50.<br />
Geburtstag die NW am 27. 1. 1978<br />
schrieb:<br />
52
Der Anteil der Frauen im Ortsvere<strong>in</strong>svorstand<br />
stieg Anfang der 70er<br />
<strong>Jahre</strong> an. 1971 waren 50% der<br />
Beisitzer, 32 % des gesamten Vorstandes<br />
Frauen. Insgesamt waren<br />
die Frauen damals etwas besser<br />
repräsentiert, als ihrem Anteil an<br />
der Partei entsprach. Sie konnten<br />
<strong>in</strong> den folgenden <strong>Jahre</strong>n diesen<br />
Anteil aber nicht halten. Zur Zeit,<br />
im <strong>Jahre</strong> 1984, s<strong>in</strong>d im Vorstand<br />
von 13 Mitgliedern 3 Frauen.<br />
Die Arbeit des Ortsvere<strong>in</strong>s<br />
Versammlungen<br />
In zahlreichen Versammlungen, die<br />
<strong>in</strong> der Regel monatlich stattfanden,<br />
gab es Gelegenheit für die Ortsvere<strong>in</strong>smitglieder,<br />
sich politisch zu<br />
<strong>in</strong>formieren und zu diskutieren.<br />
Themen waren die Kommunalpolitik,<br />
Berichte der Abgeordneten<br />
über ihre Tätigkeit <strong>in</strong> Bund und<br />
Land, aktuelle Reformpolitik der<br />
sozialliberalen Koalition: die Rentenreform,<br />
die Eherechtsreform,<br />
Strafrechtsreform. Im letzten Jahr<br />
wurden Probleme der Arbeitslosigkeit,<br />
des Friedens, der neuen<br />
Medien, der sozialen Sicherung<br />
und der Struktur- und Kommunalpolitik<br />
des <strong>Paderborn</strong>er Raumes<br />
behandelt. E<strong>in</strong>ige Veranstaltungen<br />
befaßten sich mit Parteiprogrammen<br />
und Berichten von Parteitagen.<br />
Referenten waren Abgeord-<br />
Josef Hackfort <strong>in</strong>terviewt Josef Igla.<br />
nete, M<strong>in</strong>ister oder Fachleute aus<br />
den jeweiligen Gebieten.<br />
E<strong>in</strong> Teil der Tätigkeiten der Versammlungen<br />
bestand <strong>in</strong> der Aufstellung<br />
oder Benennung von<br />
Bewerbern für die Wahlen <strong>in</strong><br />
Bund, Ländern und Geme<strong>in</strong>den.<br />
Es wurden Delegierte zu Stadtund<br />
Wahlkreiskonferenzen etc.<br />
gewählt, ferner zunächst jährlich,<br />
ab 1977 alle zwei <strong>Jahre</strong> die Vorstände<br />
des Ortsvere<strong>in</strong>s. Die Ortsvere<strong>in</strong>sversammlung<br />
nahm ihr<br />
Recht wahr, den Delegierten Anregungen<br />
mit auf den Weg zu geben.<br />
Dabei wurde oft heiß und heftig<br />
Foto: R. R<strong>in</strong>gs<br />
gestritten, manche Wahlversammlung<br />
dauerte bis <strong>in</strong> den neuen Tag<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Nicht selten kämpften <strong>in</strong><br />
demokratischer Weise mehrere Personen<br />
um e<strong>in</strong>en Platz. Um die<br />
Bundestagskandidatur von Klaus<br />
Thüs<strong>in</strong>g 1980 gab es heftige Kontroversen,<br />
da se<strong>in</strong> Konkurrent<br />
Klaus Vorbeck aus Büren sich<br />
engagiert um e<strong>in</strong>e Bundestagskandidatur<br />
bemühte. Zu diesen Wahlversammlungen<br />
kamen <strong>in</strong> der<br />
Regel mehr Besucher als zu den<br />
Informationsveranstaltungen, was<br />
vermuten läßt, daß die Bewerber<br />
ihre Anhänger mobilisierten.<br />
53
„Heimat <strong>SPD</strong>"<br />
Probleme des Ortsvere<strong>in</strong>s bestanden<br />
dar<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e große Anzahl von<br />
Mitgliedern verschiedener Herkunft<br />
und verschiedenen Alters zu <strong>in</strong>tegrieren.<br />
Dazu wurden Feste und<br />
gesellige Veranstaltungen (z. B.<br />
Kegeln) organisiert, die <strong>in</strong> unregelmäßigen<br />
Abständen stattfanden.<br />
Es stellte sich heraus, daß diese<br />
Integration <strong>in</strong>folge der unterschiedlichen<br />
persönlichen Interessen nicht<br />
immer e<strong>in</strong>fach war. Von älteren<br />
Genossen wird der Verlust der<br />
„Heimat <strong>SPD</strong>" oft beklagt, und es<br />
gibt Überlegungen, die Genossen<br />
durch Geselligkeit wieder mehr<br />
zue<strong>in</strong>ander zu führen. In der letzten<br />
Zeit wurden Versuche gestartet<br />
durch e<strong>in</strong>e Talk-Show, <strong>in</strong> der<br />
ältere Genossen von ihrer Tätigkeit<br />
erzählten, und durch e<strong>in</strong>e Radtour<br />
<strong>in</strong> die Senne, bei der sich Geselligkeit<br />
und Information über die<br />
Umweltzerstörung verbanden.<br />
<strong>SPD</strong> <strong>in</strong> der Presse<br />
Über die Ortsvere<strong>in</strong>sversammlungen<br />
wurde <strong>in</strong> beiden <strong>Paderborn</strong>er<br />
Zeitungen, dem Westfälischen<br />
Volksblatt und der Neuen Westfälischen,<br />
berichtet. Häufig gab der<br />
Vorstand Presseerklärungen zu verschiedenen<br />
Themen ab. Leider<br />
zeigte sich, daß die der CDU nahestehende<br />
Lokalzeitung nicht jede<br />
Presseerklärung abdruckte, gerade<br />
<strong>in</strong> Wahlkampfzeiten fiel manche<br />
Presseerklärung unter den Tisch,<br />
z.B. 1984 e<strong>in</strong>e Presseerklärung<br />
zum Amnestiegesetz. Es zeigt sich,<br />
daß die <strong>Paderborn</strong>er <strong>SPD</strong> weiterh<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er CDU-geprägten Umgebung<br />
hart zu kämpfen hat.<br />
Manche Ortsvere<strong>in</strong>smitglieder<br />
bewähren sich als Leserbriefschreiber.<br />
Hier ist vor allem W<strong>in</strong>fried<br />
Eberhardt zu erwähnen, der öfter<br />
zur Feder greift.<br />
Der Ortsvere<strong>in</strong> gibt seit e<strong>in</strong>igen<br />
<strong>Jahre</strong>n e<strong>in</strong>e eigene Zeitung <strong>in</strong> unregelmäßigen<br />
Abständen heraus,<br />
genannt Info. Es dient dazu,<br />
aktuelle Probleme der Kommunalpolitik<br />
der Partei aus der Sicht des<br />
Ortsvere<strong>in</strong>s darzustellen.<br />
Die Talkshow hat sich als e<strong>in</strong> Mittel bewährt, Erfahrungen älterer<br />
Genossen zu vermitteln.<br />
Foto: R. R<strong>in</strong>gs<br />
Wahlkämpfe<br />
Zu erwähnen s<strong>in</strong>d auch die Aktivitäten<br />
des Ortsvere<strong>in</strong>s <strong>in</strong> den Wahlkämpfen,<br />
an Ständen, beim Verteilen<br />
von Flugblättern, von Zeitungen<br />
früh morgens vor Werkstoren<br />
und <strong>in</strong> Häusern, beim Kleben von<br />
Plakaten und deren Überwachung.<br />
Bei letzterem hat sich besonders<br />
Hans Kibart hervorgetan, der<br />
ke<strong>in</strong>e Mühe gescheut hat, die Plakatständer<br />
<strong>in</strong> Ordnung zu halten.<br />
54
Im Bundestagswahlkampf 1983<br />
erfolgte e<strong>in</strong>e tatkräftige Unterstützung<br />
durch Berl<strong>in</strong>er Genossen.<br />
Im Vordergrund l<strong>in</strong>ks der Ortsvere<strong>in</strong>svorsitzende<br />
von Berl<strong>in</strong>-<br />
Hakenfelde, Joachim Schönberg.<br />
Foto: R. R<strong>in</strong>gs<br />
Der frühere Bundestagsabgeordnete<br />
Klaus Thüs<strong>in</strong>g und die jetzige<br />
Europaabgeordnete Mechtild Rothe<br />
im Wahlkampf 1983 vor der Post.<br />
Foto: R. R<strong>in</strong>gs<br />
55
Kontakte mit Berl<strong>in</strong>er Genossen<br />
Seit e<strong>in</strong>igen <strong>Jahre</strong>n besteht e<strong>in</strong>e Freundschaft zwischen dem Orts-vere<strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> und dem Orts-vere<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-<br />
Hakenfelde im Bezirk Spandau. Die Berl<strong>in</strong>er Genossen kommen gern nach <strong>Paderborn</strong>, die <strong>Paderborn</strong>er Genossen s<strong>in</strong>d<br />
will-kommene Gäste <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>ige der Berl<strong>in</strong>er Genossen haben <strong>in</strong> den vergangenen <strong>Jahre</strong>n e<strong>in</strong>en Teil ihrer Ferien<br />
geopfert, um den <strong>Paderborn</strong>ern bei den Wahlkämp-fen zum Bundestag 1980 und 1983 zu helfen.<br />
Die Berl<strong>in</strong>er Genoss<strong>in</strong>nen und Genossen mit e<strong>in</strong>igen <strong>Paderborn</strong>er Vorstandsmitgliedern. Von l<strong>in</strong>ks vorne: Der<br />
Vorsitzende der Abtei-lung Hakenfelde, Joachim Schön-berg, Käthe Meermeier, Thea Brandt, W<strong>in</strong>fried Eberhard,<br />
Klaus Stienshoff, Josef Hackfort, stellv. Vorsitzende Uschi Brandt, die Abgeordnete des Repräsentan-tenhauses, Inge<br />
Frohnert, Horst Bohn, Greta Erch<strong>in</strong>ger, Hermann-Josef Pelgrim, Gerd Brandt, Klaus Thüs<strong>in</strong>g.<br />
Foto: R. R<strong>in</strong>gs<br />
56
Kommunalpolitische Initiativen des Ortsvere<strong>in</strong>s<br />
Es sollen e<strong>in</strong>ige Initiativen des<br />
Ortsvere<strong>in</strong>s dargestellt werden, die<br />
u. a. die Arbeit der Fraktion im<br />
Stadtrat bee<strong>in</strong>flußt haben. Es soll<br />
damit gezeigt werden, wie sich<br />
Ortsvere<strong>in</strong>sarbeit <strong>in</strong> Politik zum<br />
Wohle der Bürger umsetzen kann.<br />
Hier kann es angesichts der Fülle<br />
nicht darum gehen, alle Aktivitäten<br />
aufzuzählen, sondern die Ortsvere<strong>in</strong>sarbeit<br />
soll exemplarisch an<br />
e<strong>in</strong>igen Beispielen dargestellt<br />
werden.<br />
Kommunale K<strong>in</strong>dergärten<br />
1969 wurde e<strong>in</strong> Antrag der Jusos<br />
auf Errichtung kommunaler K<strong>in</strong>dergärten<br />
an die Fraktion als Forderung<br />
des Ortsvere<strong>in</strong>s vermittelt.<br />
In den folgenden <strong>Jahre</strong>n s<strong>in</strong>d im<br />
Gebiet des Ortsvere<strong>in</strong>s folgende<br />
kommunale K<strong>in</strong>dergärten entstanden:<br />
1973 an der Fontanestraße,<br />
19<strong>75</strong> an der Erw<strong>in</strong>-Rommel-Straße,<br />
1977 an der Brakeler Straße, 1982<br />
an der Lemgoer Straße.<br />
berg, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vortrag dar:<br />
„Schlagwörter wie Lebensqualität,<br />
Emanzipation, Innovation, Humanisierung<br />
und Chancengleichheit<br />
s<strong>in</strong>d an die Stelle von Argumenten<br />
getreten, vernebeln Sachverhalte,<br />
verdecken die wirklich bestehenden<br />
Bedürfnisse und deren Grenzen<br />
und stehen häufig am Anfang<br />
zahlloser kostenträchtiger Maßnahmen<br />
" ... „ Wir müssen unsere<br />
Wirtschaft pflegen, ihr die Ausdehnungsmöglichkeiten<br />
geben, die<br />
sie braucht, und dafür die planerischen<br />
Voraussetzungen schaffen.<br />
Sicher geht das zum Teil nur auf<br />
Kosten der unberührten Natur.<br />
Jeder hört gern den Gesang der<br />
Vögel im Wald, atmet gern frische<br />
Luft und möchte für e<strong>in</strong>ige Zeit<br />
unseren Städten mit ihren E<strong>in</strong>richtungen<br />
entfliehen, aber nur für<br />
e<strong>in</strong>ige Zeit kann er das. Vogelnester<br />
ernähren uns nicht."<br />
In der <strong>Paderborn</strong>er <strong>SPD</strong> war dagegen<br />
schon frühzeitig Umweltpolitik<br />
als Notwendigkeit erkannt worden,<br />
wobei gleichwohl die Probleme der<br />
Arbeitsplatzsicherung mitbedacht<br />
wurden.<br />
Dies äußerte sich vor allem bei<br />
Fragen der Verkehrsplanung und<br />
der Erhaltung von Erholungsgebieten,<br />
vor allem der Fischteiche.<br />
Umweltbewußtse<strong>in</strong><br />
In der Mitte der siebziger <strong>Jahre</strong><br />
war e<strong>in</strong> Umweltbewußtse<strong>in</strong> bei der<br />
Verwaltung der von der CDU<br />
regierten Stadt kaum zu f<strong>in</strong>den.<br />
1976 stellte der erste Beigeordnete<br />
der Stadt, Dr. Bernhard Löwen-<br />
Zur Vorbereitung des Kommunalwahlkampfes 1984 führte der<br />
Ortsvere<strong>in</strong>svorstand mit <strong>in</strong>teressierten Genoss<strong>in</strong>nen und Genossen e<strong>in</strong>e<br />
Klausurtagung <strong>in</strong> Wünnenberg durch.<br />
Foto: R. R<strong>in</strong>gs<br />
57
Die Initiative war erfolgreich. Das<br />
BIB wurde nicht im Bereich der<br />
Fischteiche, sondern am Fürstenweg<br />
errichtet.<br />
58<br />
R<strong>in</strong>ge und Tangenten<br />
Heftig umkämpft war die Verkehrsplanung<br />
des Mittleren R<strong>in</strong>gs,<br />
der Nordtangente und des Verlaufs<br />
der B<strong>in</strong> zwischen der Anschlußstelle<br />
an der Bl und Schlangen.<br />
Der Mittlere R<strong>in</strong>g, der zur Zeit<br />
vom Ostr<strong>in</strong>g über den Südr<strong>in</strong>g bis<br />
zur Borchener Straße fertiggestellt<br />
ist, soll nach der ursprünglichen<br />
Konzeption weitergeführt werden<br />
durch e<strong>in</strong>e Unterführung unter<br />
dem Bahnhof über die Rathenaustraße,<br />
durch die Fürstengärten,<br />
über den Löffelmannweg bis zum<br />
Anschluß an den Ostr<strong>in</strong>g an der<br />
Detmolder Straße. Dagegen haben<br />
sich sowohl Ortsvere<strong>in</strong> als auch<br />
Fraktion immer wieder gewandt,<br />
bis jetzt mit Erfolg.<br />
Die Weiterführung der Westtangente<br />
(Unterer Frankfurter Weg)<br />
als Nordtangente von der Fürstenallee<br />
an den Fischteichen vorbei<br />
zur Marienloher Straße und der<br />
Bau der B<strong>in</strong> westlich und nördlich<br />
durch das Lippetal gaben Anlaß zu<br />
vielen Aktivitäten des Ortsvere<strong>in</strong>s.<br />
Auf e<strong>in</strong>er Tagung des Ortsvere<strong>in</strong>s<br />
mit der Fraktion und den Jusos im<br />
Herbst 1973 wurden die Probleme<br />
erörtert, die mit dem Bau der B<strong>in</strong><br />
entstanden. In e<strong>in</strong>em offenen Brief<br />
wurde der M<strong>in</strong>ister für Verkehr<br />
aufgefordert, den Planfeststellungsbeschluß<br />
für den Teilabschnitt<br />
<strong>Paderborn</strong> — Schlangen auszusetzen.<br />
Etwas später verfaßte der Ortsvere<strong>in</strong><br />
folgende Resolution, nachdem<br />
der Rat Vorschläge der <strong>SPD</strong> übernommen<br />
hatte.
Der M<strong>in</strong>ister g<strong>in</strong>g auf die Vorstellungen<br />
des Ortsvere<strong>in</strong>s nicht e<strong>in</strong>, da<br />
im Rahmen des „Planfeststellungsverfahrens<br />
weder Behörden noch<br />
privat Betroffene grundsätzlich E<strong>in</strong>wendungen<br />
gegen die L<strong>in</strong>ienführung<br />
der B<strong>in</strong> gemacht hätten."<br />
Daß es ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wendungen gegen<br />
die Trassierung gab, lag daran,<br />
daß das Gebiet, durch das die<br />
Trasse geführt werden sollte, sich<br />
<strong>in</strong> öffentlicher Hand befand, die ja<br />
gerade daran <strong>in</strong>teressiert war, die<br />
B<strong>in</strong> durch das Lippetal zu führen.<br />
E<strong>in</strong> Prozeß um e<strong>in</strong>e Ausstellung<br />
Die Stadt versuchte im Herbst<br />
1973 durch e<strong>in</strong>e Ausstellung <strong>in</strong> den<br />
Räumen des Stadthauses unter<br />
dem Leitwort „<strong>Paderborn</strong> —<br />
Schritte nach vorn" die Bürger mit<br />
der Stadtplanung, <strong>in</strong>sbesondere mit<br />
der Straßenplanung, bekannt zu<br />
machen und sie dafür zu gew<strong>in</strong>nen.<br />
Die Kritik von Bürger<strong>in</strong>itiativen<br />
gegen diese e<strong>in</strong>seitige Information<br />
wurde vom Ortsvere<strong>in</strong> aufgegriffen.<br />
In e<strong>in</strong>em Flugblatt warf er<br />
der Stadt <strong>Paderborn</strong> vor, sie <strong>in</strong>formiere<br />
e<strong>in</strong>seitig und berücksichtige<br />
nicht die von ihm und verschiedenen<br />
Bürger<strong>in</strong>itiativen vorgeschlagenen<br />
Alternativen. E<strong>in</strong>e Dokumentation<br />
der Jusos auf e<strong>in</strong>em ca.<br />
1 qm großen Dreieckständer, auf<br />
dem mit zeichnerischen und textlichen<br />
Darstellungen den Besuchern<br />
der Ausstellung Alternativlösungen<br />
der Verkehrsplanung dargelegt werden<br />
sollten und der an drei Tagen<br />
im Oktober und November 1973<br />
an der E<strong>in</strong>mündung der Gutenbergstraße<br />
<strong>in</strong> den Rathausplatz<br />
aufgestellt werden sollte, wurde<br />
nicht gestattet. Der Ortsvere<strong>in</strong><br />
führte darauf e<strong>in</strong>en Prozeß gegen<br />
die Stadt, den er <strong>in</strong> zwei Instanzen<br />
beim Verwaltungsgericht im Juni<br />
1974 und beim Oberverwaltungsgericht<br />
im März 1976 gewann.<br />
Rettet die Fischteiche!<br />
1976 wurde über die Trassenführung<br />
der Nordtangente und ihren<br />
Anschluß an die B<strong>in</strong> entschieden.<br />
Der Ortsvere<strong>in</strong> widersetzte sich<br />
dem geplanten Anschluß der B<strong>in</strong><br />
an den Thuner Weg, jetzt Dubelohstraße,<br />
und konnte die Fraktion<br />
von se<strong>in</strong>er Auffassung überzeugen.<br />
In der Skizze wird die gegen den<br />
Willen der <strong>SPD</strong> verabschiedete<br />
Alternativlösung dargestellt; die<br />
von der <strong>SPD</strong> bevorzugte Lösung<br />
sah e<strong>in</strong>e Anb<strong>in</strong>dung der B<strong>in</strong> an<br />
die <strong>Paderborn</strong>er Straße, jetzt Neuhäuser<br />
Straße, B 64/68 vor.<br />
Trotz massiver Proteste der Bevölkerung<br />
wurde im Rat gegen die<br />
Stimmen der <strong>SPD</strong>-Fraktion die<br />
dargestellte Planung beschlossen.<br />
Der Ortsvere<strong>in</strong>svorstand wandte<br />
sich darauf mit Flugblättern an die<br />
<strong>Paderborn</strong>er Bevölkerung. Plakate<br />
mit der Aufschrift „Rettet die<br />
Fischteiche — Initiative der <strong>SPD</strong>"<br />
wurden geklebt. Mit e<strong>in</strong>er Petition<br />
wandte sich der Ortsvere<strong>in</strong>svorstand<br />
an den Landtag.<br />
Bei e<strong>in</strong>em Sommerfest an den<br />
Fischteichen am 4. 7. 1976, zu<br />
dem alle Bürger der Stadt e<strong>in</strong>geladen<br />
waren, wurde dort e<strong>in</strong> letztes<br />
Mal, frei von Abgasen und Lärm<br />
der Umgehungsstraßen, <strong>in</strong> unberührter<br />
Natur gefeiert.<br />
59
Auch bei diesen Aktivitäten fand<br />
der Ortsvere<strong>in</strong> Unterstützung der<br />
Bürger<strong>in</strong>itiative „Pro Grün", die<br />
sich seit <strong>Jahre</strong>n immer wieder der<br />
bedrohten Umwelt annimmt.<br />
Auch nach der Abstimmung gab es<br />
heftige Kontroversen um die Fischteiche,<br />
als über den Ausbau des<br />
Erholungsgebietes beraten wurde.<br />
Stadtdirektor Ferl<strong>in</strong>gs griff die<br />
Flugblatt- und Unterschriftenaktion<br />
der <strong>Paderborn</strong>er <strong>SPD</strong> an.<br />
„Er, Ferl<strong>in</strong>gs, könne sich an Plakate<br />
aus dem <strong>Jahre</strong> 1935 er<strong>in</strong>nern,<br />
auf denen mit gleichermaßen suggestiver<br />
Zielsetzung der Anschluß<br />
des Saarlandes gefordert worden<br />
sei" (WV, 9. 7. 1976).<br />
Den Bau der Nordtangente und die<br />
Führung der B<strong>in</strong> durch das Lippetal<br />
sowie die Anb<strong>in</strong>dung der B<strong>in</strong><br />
an den Thuner Weg hat die <strong>SPD</strong><br />
nicht verh<strong>in</strong>dern können. Wohl<br />
aber hat sie durch ihre Petition<br />
erreicht, daß der Bau der Nordtangente<br />
und die Anb<strong>in</strong>dung der B<strong>in</strong><br />
an den Thuner Weg möglichst<br />
ger<strong>in</strong>ge Bee<strong>in</strong>trächtigungen für das<br />
Naherholungsgebiet Fischteiche<br />
br<strong>in</strong>gen sollten. Es wurde zur Auflage<br />
gemacht, den Grüngürtel wieder<br />
aufzubauen und bei e<strong>in</strong>em Ver-<br />
kehrsaufkommen von über 2580<br />
Pkw-E<strong>in</strong>heiten pro Tag über die<br />
Dubelohstraße diese abzub<strong>in</strong>den.<br />
Letzteres ist bis heute nicht geschehen,<br />
obwohl erheblich mehr Verkehr<br />
über die Dubelohstraße und<br />
den Thuner Weg fährt und das<br />
N aherholungsgebiet bee<strong>in</strong>trächtigt.<br />
Der <strong>SPD</strong>-Ortsvere<strong>in</strong> hat se<strong>in</strong>e Politik<br />
darauf ausgerichtet, daß die<br />
Umwelt geschützt wird und<br />
zugleich Arbeitsplätze geschaffen<br />
werden bzw. erhalten bleiben. Im<br />
Zusammenhang mit dem Bau der<br />
Westtangente stellte der Ortsvere<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Presseerklärung dar:<br />
62
<strong>SPD</strong> und Arbeitslosigkeit<br />
1983 hat sich der Ortsvere<strong>in</strong> der<br />
Forderung der Ratsfraktion, städtische<br />
Aufgaben nicht zu privatisieren,<br />
angeschlossen. Er unterstützte<br />
auch die Forderung der Ratsfraktion<br />
nach Schaffung von Ausbildungsplätzen<br />
für Jugendliche.<br />
Genossen des Ortsvere<strong>in</strong>s s<strong>in</strong>d Mitglieder<br />
<strong>in</strong> der <strong>Paderborn</strong>er Initiative<br />
gegen Jugendarbeitslosigkeit.<br />
Die Friedensdiskussion<br />
Als weiteres Beispiel für Aktivitäten<br />
des Ortsvere<strong>in</strong>s dient die Diskussion<br />
des Herbstes 1983, bei der<br />
es um Stellungnahmen zur Stationierung<br />
amerikanischer Mittelstreckenraketen<br />
g<strong>in</strong>g. In e<strong>in</strong>er<br />
Resolution begrüßte der Ortsvere<strong>in</strong><br />
die Aktivitäten verschiedener<br />
Gruppen der Friedensbewegung <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong>. Er rief se<strong>in</strong>e Mitglieder<br />
auf, verstärkt <strong>in</strong> den Gruppierungen<br />
der Friedensbewegung mitzuarbeiten,<br />
und forderte die <strong>SPD</strong>-Kommunalpolitiker<br />
auf, diese Bestrebungen<br />
<strong>in</strong> geeigneter Form <strong>in</strong> die<br />
kommunalpolitische Diskussion<br />
e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen und durch lokale Initiativen<br />
für die Forderungen der<br />
Friedensbewegung e<strong>in</strong> positives<br />
Klima <strong>in</strong> der Öffentlichkeit zu<br />
schaffen.<br />
Auch <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> kam es während des „heißen Herbstes" zu Friedensdemonstrationen<br />
vor dem Rathaus.<br />
Foto: R. R<strong>in</strong>gs<br />
63
Die Friedensdiskussion<br />
Als weiteres Beispiel für Aktivitäten<br />
des Ortsvere<strong>in</strong>s dient die Diskussion<br />
des Herbstes 1983, bei der<br />
E<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> den Zuschauerraum der Westfälischen Kammerspiele während der Hohoff-Veranstaltung<br />
Der Ortsvere<strong>in</strong>svorstand unterstützte<br />
deshalb die Initiative der<br />
<strong>SPD</strong>-Kreistagsfraktion zur Schaffung<br />
e<strong>in</strong>er atomwaffenfreien Zone<br />
und den Antrag der <strong>Paderborn</strong>er<br />
<strong>SPD</strong>-Ratsfraktion, die e<strong>in</strong>e kommunalpolitische<br />
Diskussion mit<br />
den örtlichen Friedens<strong>in</strong>itiativen<br />
forderte. Beide Initiativen waren<br />
vergeblich. Sie wurden im Kreistag<br />
bzw. Stadtrat als Tagesordnungs-<br />
64<br />
punkte nicht zugelassen, weil das<br />
Thema Frieden nicht <strong>in</strong> die<br />
Zuständigkeit der Gremien des<br />
Rates bzw. des Kreistages falle.<br />
Bei se<strong>in</strong>en Aktivitäten zeigte der<br />
Ortsvere<strong>in</strong>, daß er die Probleme<br />
der Bevölkerung aufzunehmen und<br />
zu artikulieren fähig ist und<br />
Anstöße <strong>in</strong> Richtung auf e<strong>in</strong>e menschenfreundliche<br />
lokale Politik<br />
geben kann.<br />
Mitarbeit <strong>in</strong> Bürger<strong>in</strong>itiativen und<br />
Vere<strong>in</strong>en<br />
Als Vorsitzender der Fördergesellschaft<br />
für staatspolitische Bildung<br />
<strong>Paderborn</strong> wirkte <strong>in</strong> den 70er <strong>Jahre</strong>n<br />
Günter Bitterberg. 1973 organisierte<br />
er zusammen mit der<br />
Friedrich-Ebert-Stiftung e<strong>in</strong>e<br />
Kundgebung zum 50. <strong>Jahre</strong>stag des<br />
Todes von Wilhelm Hohoff (siehe
Seite 23). Gäste waren u. a. Wal-ter<br />
Dirks, der katholische Profes-sor<br />
Hermann und der M<strong>in</strong>isterprä-sident<br />
des Landes NRW, He<strong>in</strong>z Kühn, über<br />
dessen Rede die NW berichtete:<br />
„He<strong>in</strong>z Kühn begrüßte e<strong>in</strong> neues<br />
Verhältnis von Kirche und Staat.<br />
Grundlage dafür wären die letzten<br />
päpstlichen Sozialenzykliken wie das<br />
Zweite Vatikanum auf der e<strong>in</strong>en, das<br />
Godesberger Programm der <strong>SPD</strong> auf<br />
der anderen Seite. In ihrer Schrift über<br />
,Die Kirche <strong>in</strong> der pluralistischen<br />
Gesellschaft und im demokratischen<br />
Staat der Gegenwart' hätten sich auch<br />
die Bischöfe der Bundesrepublik zu<br />
dieser neuen Grundlage bekannt."<br />
(NW, 12. 2. 1973)<br />
In e<strong>in</strong>er Gedenkstunde wurde e<strong>in</strong>e<br />
Tafel am Gierswall zur Er<strong>in</strong>nerung an<br />
Hohoff angebracht.<br />
M<strong>in</strong>isterpräsident He<strong>in</strong>z Kühn bei se<strong>in</strong>er Laudatio<br />
65
Um die Gedenkfeier und -stunde<br />
gab es heftige Ause<strong>in</strong>andersetzungen,<br />
s. Frankfurter Rundschau,<br />
12.2.1973.<br />
66
Erwähnt sei die Mitarbeit von<br />
Ortsvere<strong>in</strong>smitgliedern <strong>in</strong> verschiedenen<br />
Bürger<strong>in</strong>itiativen. „Pro Grün",<br />
<strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>ige Genossen Mitglieder<br />
s<strong>in</strong>d, wurde schon genannt. In der<br />
Bürger<strong>in</strong>itiative „Umweltschutz —<br />
<strong>Paderborn</strong>er Bürger gegen<br />
Atomkraftwerke", die sich Ende der<br />
70er <strong>Jahre</strong> gegen den Ausbau von<br />
Atomkraftwerken wandte, arbeiteten<br />
Mitglieder des Ortsvere<strong>in</strong>s mit. Auch<br />
die Bürger-<strong>in</strong>itiative am Berl<strong>in</strong>er R<strong>in</strong>g<br />
fand Unterstützung von Genossen.<br />
Gruppen im Ortsvere<strong>in</strong><br />
Auf den <strong>Jahre</strong>shauptversammlun-gen<br />
berichteten <strong>in</strong> der Regel die<br />
Vorsitzenden der verschiedenen<br />
Gruppen über die politische Tätig-keit<br />
<strong>in</strong> den Gruppen. Die<br />
Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft sozialdemokratischer<br />
Frauen setzt es sich zum<br />
Ziel, durch politische Informationsabende<br />
Frauen fit zu machen<br />
für die Politik. Daneben besteht e<strong>in</strong><br />
Teil der Bildungsarbeit dar<strong>in</strong>, sich<br />
vertraut zu machen mit verschiedenen<br />
Institutionen am Ort, wo man Politik<br />
„hautnah" erfahren kann. In der Regel<br />
macht die AsF auch Vorschläge für<br />
Kan-didat<strong>in</strong>nen für die Wahlen. Hier<br />
gibt es noch viel zu kämpfen. „Die<br />
rechtliche Gleichstellung der Frau ist<br />
weitgehend erreicht, aber<br />
67
Käthe Meermeier und Ra<strong>in</strong>er R<strong>in</strong>gs danken im Namen des Ortsvere<strong>in</strong>svorstandes<br />
Resi Schmidthof für ihre Arbeit.<br />
Foto: K. Thüs<strong>in</strong>g<br />
die gesellschaftliche Gleichwertigkeit<br />
und Gleichberechtigung nicht"<br />
(Marlene Lubek <strong>in</strong> Info 2). Lange<br />
<strong>Jahre</strong> war Resi Schmidthoff Vorsitzende<br />
der zunächst „Frauengruppe"<br />
genannten Organisation<br />
am Orte. Immer setzte sie sich für<br />
die Interessen der Frauen e<strong>in</strong>.<br />
Lange stand sie als e<strong>in</strong>zige<br />
Rats„herr<strong>in</strong>" der <strong>SPD</strong> ihre Frau.<br />
Als „Mutter Grün" hat sie sich<br />
darüber h<strong>in</strong>aus, zuletzt als Vorsitzende<br />
des Grünflächenausschusses,<br />
für die Belange der Umwelt e<strong>in</strong>gesetzt.<br />
Im <strong>Jahre</strong> 1984 hat sie<br />
Abschied von der aktiven Politik<br />
im Rathaus genommen.<br />
E<strong>in</strong>e andere Gruppe, die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />
für Arbeitnehmerfragen,<br />
ist auf Unterbezirksebene<br />
organisiert.<br />
In Betriebsgruppen wird die AfA<br />
mit den konkreten Problemen der<br />
Arbeitnehmer vor Ort konfrontiert.<br />
Ihre Vertreter und ihr Vorsitzender<br />
Karl Nolden sorgen dafür,<br />
daß der Arbeitnehmer im Ortsvere<strong>in</strong><br />
nicht zu kurz kommt.<br />
Die Jusos s<strong>in</strong>d auf Stadtverbandsebene<br />
organisiert, die meisten Mitglieder<br />
gehören aber dem <strong>Paderborn</strong>er<br />
Ortsvere<strong>in</strong> an. E<strong>in</strong> großer<br />
Teil von ihnen s<strong>in</strong>d Studenten und<br />
Schüler. In den Zeiten der Koali-<br />
tionsregierung unter Helmut<br />
Schmidt verstanden sich die Jusos<br />
als kritische Instanz <strong>in</strong>nerhalb der<br />
Partei. So forderten sie nach den<br />
Kommunalwahlen 1979 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Initiative die Ratsherren der <strong>SPD</strong>-<br />
Fraktion zu e<strong>in</strong>er offensiven Oppositionspolitik<br />
unter Beteiligung von<br />
Arbeitsgruppen und Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften<br />
auf.<br />
Viele Initiativen des Ortsvere<strong>in</strong>s<br />
wurden von den Jusos angeregt,<br />
z.B. die oben erwähnten Initiativen<br />
zu kommunalen K<strong>in</strong>dergärten<br />
und zur Friedenspolitik.<br />
Weiterh<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d zu erwähnen die<br />
Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft für Bildung<br />
und die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft für<br />
Selbständige, deren Vorsitzender<br />
W<strong>in</strong>fried Eberhardt bzw. Hansi<br />
Steiger s<strong>in</strong>d.<br />
E<strong>in</strong> 1978 gegründeter Arbeitskreis<br />
des Ortsvere<strong>in</strong>s wandte sich speziell<br />
den Problemen der Aussiedler zu.<br />
Er stand unter Leitung von Josef<br />
Igla, der, e<strong>in</strong> Verfolgter des Naziregimes,<br />
<strong>in</strong> ca. 2 <strong>Jahre</strong>n ungefähr<br />
2000 Aussiedler <strong>in</strong> Fragen des<br />
Lastenausgleichs, der Rentenanträge,<br />
des Lohnsteuerjahresausgleichs<br />
etc. kostenlos beriet.<br />
E<strong>in</strong>e verstärkte Zusammenarbeit<br />
aller Gruppen des Ortsvere<strong>in</strong>s zeigt<br />
sich, seitdem die Partei <strong>in</strong> Bonn <strong>in</strong><br />
der Opposition ist. Angesichts der<br />
heutigen Probleme der Arbeitslosigkeit,<br />
der Umweltschäden, der<br />
68
Bedrohung durch Raketen etc. gilt<br />
es, am Ort aktiv zu werden.<br />
E<strong>in</strong>e Partei, die auf e<strong>in</strong>e mehr als<br />
100jährige Tradition <strong>in</strong> Deutschland<br />
und auf <strong>75</strong> <strong>Jahre</strong> im<br />
„schwarzen <strong>Paderborn</strong>" zurückblickt,<br />
die schwierige und bedrohliche<br />
Zeiten überstanden hat, kann<br />
hoffnungsvoll an die neuen Aufgaben<br />
herangehen.<br />
Daß die Genoss<strong>in</strong>nen und Genossen das Feiern nicht verlernt haben, bewiesen sie anläßlich der Feier zum<br />
<strong>75</strong>jährigen Bestehen des Ortsvere<strong>in</strong>s.<br />
Foto: R. R<strong>in</strong>gs<br />
69
Die Wiederbegründung der <strong>Paderborn</strong>er<br />
Jungsozialisten (1968/69)<br />
Galerie-Club<br />
Daß die <strong>Paderborn</strong>er Jungsozialisten,<br />
die etliche <strong>Jahre</strong> nicht mehr<br />
existent gewesen waren, gerade im<br />
<strong>Jahre</strong> 1968 wiederbegründet wurden,<br />
ist sicherlich ke<strong>in</strong> Zufall. Dieses<br />
Jahr bezeichnet den Höhepunkt<br />
der se<strong>in</strong>erzeitigen Studentenrevolte,<br />
und so nimmt es nicht wunder,<br />
daß dies auch <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
gewisse Nachwirkungen zeitigte.<br />
Der eigentliche Gründungsort der<br />
Jungsozialisten war allerd<strong>in</strong>gs nicht<br />
das <strong>SPD</strong>-Büro, sondern der<br />
Anfang 1968 <strong>in</strong>s Leben gerufene<br />
Galerie-Club. Dieser Club war<br />
nach dem Vorbild diverser Republikanischer<br />
Clubs entstanden, er<br />
sollte außer politischen Aktivitäten<br />
aber auch künstlerische Ziele verfolgen.<br />
Haupt<strong>in</strong>itiatoren dieser<br />
E<strong>in</strong>richtung waren der Glasmaler<br />
He<strong>in</strong>z Röper und der Soziologiestudent<br />
Ra<strong>in</strong>er Girndt, der schon<br />
als Schüler bei den damals noch<br />
aktiven Jungsozialisten mitgearbeitet<br />
hatte.<br />
Während der ersten beiden Monate<br />
funktionierte die Arbeitsteilung des<br />
Clubs: es gab auf der e<strong>in</strong>en Seite<br />
politische Aktionen, z.B. anläßlich<br />
des Attentats auf Rudi Dutschke,<br />
es fand andererseits e<strong>in</strong>e Ausstellung<br />
des renommierten Berl<strong>in</strong>er<br />
Malers Eduard Franoszek statt.<br />
Doch dann kam, was vielleicht<br />
70<br />
nicht zu vermeiden war: „Künstler"<br />
und „Politiker" gerieten sich<br />
<strong>in</strong> die Haare, und der Konflikt<br />
endete damit, daß sich die Kunst<strong>in</strong>teressenten,<br />
die sich auch f<strong>in</strong>anziell<br />
<strong>in</strong> besonderem Maße engagiert<br />
hatten, durchsetzten. In der Folgezeit<br />
übrigens entspannte sich das<br />
zunächst arg gestörte Verhältnis<br />
zwischen beiden Gruppierungen,<br />
und der Galerie-Club stand,<br />
solange er existierte, weiterh<strong>in</strong> als<br />
Kommunikationszentrum und auch<br />
Ort für politische Veranstaltungen<br />
zur Verfügung.<br />
Gründung der Jusos<br />
Ende April 1968 allerd<strong>in</strong>gs war die<br />
Lage so, daß etliche der politisch<br />
<strong>in</strong>teressierten Mitglieder des Clubs<br />
nach e<strong>in</strong>er neuen Organisationsform<br />
für ihr Engagement suchten.<br />
Es stellte sich schnell heraus, daß<br />
fast alle der <strong>SPD</strong> angehörten oder<br />
ihr zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> h<strong>in</strong>reichendem<br />
Maße nahestanden. Und so ergriffen<br />
Ra<strong>in</strong>er Girndt und Helmut<br />
Funke, der seit zwei <strong>Jahre</strong>n <strong>in</strong> der<br />
<strong>SPD</strong> war und <strong>in</strong> dem älteren<br />
Genossen e<strong>in</strong>e Art Mentor gefunden<br />
hatte, die Initiative: sie luden<br />
zu e<strong>in</strong>er Gründungsversammlung<br />
der Jungsozialisten des Kreises<br />
<strong>Paderborn</strong> e<strong>in</strong> — und hatten<br />
Erfolg. In der ersten Sitzung<br />
wurde Ra<strong>in</strong>er Girndt — wie zu<br />
erwarten war — zum Vorsitzenden<br />
gewählt, die erste politische Aussage<br />
der Gruppe bestand <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Sympathieerklärung für 53<br />
<strong>SPD</strong>-Bundestagsabgeordnete, die<br />
nicht — wie <strong>in</strong> der Großen Koalition<br />
vere<strong>in</strong>bart — den Notstandsgesetzen<br />
zugestimmt hatten (vgl.<br />
Faksimile des Zeitungsartikels über<br />
die Gründungsversammlung).<br />
DDR-Woche<br />
E<strong>in</strong> Höhepunkt <strong>in</strong> der Arbeit der<br />
neugegründeten Gruppe war die<br />
Beteiligung an e<strong>in</strong>er DDR-Woche,<br />
die im Juni 1968 <strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong><br />
stattfand. Hierzu muß man wissen,<br />
daß zu diesem Zeitpunkt die Beziehungen<br />
zwischen der BR Deutschland<br />
und der DDR alles andere als<br />
entkrampft waren. Es wurde noch<br />
bestritten, daß die DDR überhaupt<br />
e<strong>in</strong> Staat sei, der CDU-Kanzler der<br />
Großen Koalition, Kurt-Georg Kies<strong>in</strong>ger,<br />
hatte den unvergeßlichen<br />
Ausdruck von dem „Phänomen"<br />
geprägt, das östlich der Elbe zu<br />
f<strong>in</strong>den sei. In dieser Situation wollten<br />
Jungsozialisten, SHB und<br />
Jungdemokraten — wie es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Presseerklärung formuliert wurde<br />
— „e<strong>in</strong>er kritischen Öffentlichkeit<br />
Informationen aus erster Hand<br />
geben".<br />
Rückwirkend betrachtet, ist es<br />
wohl das Erstaunlichste, daß die<br />
DDR-Woche damals überhaupt<br />
zustande kam und relativ hochka-
ätige Referenten entsandt wurden. An<br />
der Spitze der Delegation stand Klaus<br />
Höpcke, se<strong>in</strong>erzeit Mitglied der<br />
Redaktion des „Neuen Deutschland"<br />
und jetzt stellvertretender<br />
Kultusm<strong>in</strong>ister der DDR, ferner<br />
nahmen Professoren, e<strong>in</strong> Autor und<br />
Mitglieder der (Ost-) CDU, der LDPD<br />
und FDJ an den diversen<br />
Veranstaltungen teil. Die DDR-Woche<br />
stieß <strong>in</strong> der Öffentlichkeit auf<br />
beachtliche Resonanz, allerd<strong>in</strong>gs auch<br />
auf arge Kritik der (West-)CDU: so<br />
stellte der <strong>Paderborn</strong>er<br />
Landtagsabgeordnete Josef Köhler<br />
sogar e<strong>in</strong>e diesbezügliche Anfrage <strong>in</strong><br />
Düsseldorf, <strong>in</strong> der er wissen wollte, ob<br />
diese Veranstaltung etwa von der<br />
Landesregierung gefördert worden sei.<br />
Nun, sie war es — abgesehen von der<br />
unentgeltlichen Überlassung von<br />
Räumen <strong>in</strong> der Pädagogischen<br />
Hochschule — nicht, und so blieb<br />
dieser politische „Nachschlag"<br />
wirkungs- und folgenlos.<br />
Jusos und „realer Sozialismus"<br />
Daß die Jungsozialisten nicht mit dem<br />
„realen Sozialismus" ä la DDR<br />
liebäugelten, konnten sie bald darauf<br />
unter Beweis stellen. Im August des<br />
<strong>Jahre</strong>s <strong>in</strong>tervenierten die Warschauer-<br />
Pakt-Staaten <strong>in</strong> der CSSR. Dieses<br />
Ereignis war für viele junge<br />
Sozialisten e<strong>in</strong>e schmerzliche<br />
Enttäuschung, da sie<br />
72
den Weg der tschechischen und<br />
slowakischen Reformer, e<strong>in</strong>en<br />
„Sozialismus mit menschlichem<br />
Gesicht" zu schaffen, mit viel<br />
Sympathie verfolgt und nicht an<br />
e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>greifen der UdSSR und<br />
ihrer Bundesgenossen geglaubt hatten.<br />
Die <strong>Paderborn</strong>er Gruppe reagierte<br />
sofort: sie sammelte an<br />
e<strong>in</strong>em Stand Unterschriften gegen<br />
die Unterdrückung der CSSR und<br />
rief zu Spenden auf. Die Art und<br />
Weise, wie damals die Warschauer-Pakt-Staaten<br />
im Namen<br />
des Sozialismus mit e<strong>in</strong>em ihrer<br />
Mitglieder umsprangen, ist sicherlich<br />
vielen damals aktiven Jungsozialisten<br />
unauslöschlich im<br />
Gedächtnis haften geblieben und<br />
hat ihr Verhältnis gegenüber allen<br />
Spielarten des moskautreuen Kommunismus<br />
nachhaltig geprägt.<br />
Jusos und <strong>SPD</strong><br />
Im übrigen verfestigte sich im<br />
Laufe des <strong>Jahre</strong>s die Organisation<br />
der Jungsozialisten. Es wurde e<strong>in</strong><br />
Unterbezirksvorstand <strong>in</strong>s Leben<br />
gerufen, die Mitarbeit im Bezirk<br />
aufgenommen und <strong>in</strong> der Folgezeit<br />
verstärkt, und zwei <strong>SPD</strong>-<br />
Mitglieder, die später noch e<strong>in</strong>e<br />
wichtige Rolle <strong>in</strong> der Partei spielen<br />
sollten, machten ihre ersten politischen<br />
Schritte bei den Jusos: es<br />
waren die Rechtsreferendare Manfred<br />
Hoffmann und Rudolf Sal-<br />
<strong>in</strong>en. E<strong>in</strong>e bunte Palette von Themen<br />
bestimmte fortan die politische<br />
Arbeit: genannt seien hier nur<br />
Probleme des Strafvollzugs, der<br />
Wehrdienstverweigerung, der Anerkennung<br />
der DDR und immer wieder<br />
der Kampf gegen den Neonazismus,<br />
der <strong>in</strong> diesen <strong>Jahre</strong>n <strong>in</strong><br />
Form der NPD stark an Boden<br />
gewann (vgl. Faksimile e<strong>in</strong>es Flugblatts).<br />
Die Große Koalition wurde<br />
<strong>in</strong> der Regel abgelehnt und demnach<br />
auch die Arbeit der <strong>SPD</strong> <strong>in</strong><br />
diesem Bündnis kritisch betrachtet.<br />
Dies h<strong>in</strong>derte allerd<strong>in</strong>gs die Jungsozialisten<br />
nicht, auch Verantwortung<br />
<strong>in</strong> der heimischen Partei zu<br />
übernehmen, sei es im OV-Vorstand<br />
<strong>Paderborn</strong> (H. Funke), sei<br />
es im ÜB-Vorstand (R. Girndt).<br />
Viele hofften darauf, daß die<br />
Wahlen im <strong>Jahre</strong> 1969 zu e<strong>in</strong>em<br />
Ende der ungeliebten Großen Koalition<br />
und e<strong>in</strong>em Neubeg<strong>in</strong>n unter<br />
sozialdemokratischer Regie führen<br />
würden, und zeigten e<strong>in</strong>en entsprechenden<br />
E<strong>in</strong>satz im Wahlkampf.<br />
Schon im August hatte übrigens<br />
ke<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gerer als Günter Grass<br />
<strong>Paderborn</strong> besucht und, tatkräftig<br />
von den Jusos unterstützt, die<br />
Werbetrommel für die ES-PE-DE<br />
gerührt.<br />
Am Ende des <strong>Jahre</strong>s 1969 — und<br />
damit war die Gründungsphase<br />
wohl endgültig abgeschlossen —<br />
rückte bei den Jungsozialisten e<strong>in</strong>e<br />
neue, jüngere „Garde" nach, die<br />
<strong>in</strong>zwischen den Weg zur <strong>SPD</strong><br />
gefunden hatte und die Arbeit der<br />
folgenden <strong>Jahre</strong> nachhaltig prägen<br />
sollte. Stellvertretend für alle sei<br />
Andreas Kertscher genannt, Student<br />
der Volkswirtschaft, der aufgrund<br />
se<strong>in</strong>es Fachgebietes der<br />
<strong>Paderborn</strong>er AG viele neue<br />
Impulse geben konnte.<br />
Die Juso-Gründungsmitglieder der<br />
ersten und zweiten Stunde <strong>in</strong><br />
<strong>Paderborn</strong> teilten bald das Schicksal<br />
ihrer prom<strong>in</strong>enten Mitstreiter<br />
auf Bundesebene, die 1969 den<br />
Kurs der Juso-Organisation nachhaltig<br />
verändert hatten und vielfach<br />
als „l<strong>in</strong>ke Rebellen" galten:<br />
sie wurden nach kurzer Zeit voll <strong>in</strong><br />
die Arbeit für die Partei <strong>in</strong>tegriert.<br />
Manfred Hoffmann übernahm<br />
1971 den <strong>SPD</strong>-Unterbezirksvorsitz<br />
und übte ihn bis zu se<strong>in</strong>em Wegzug<br />
nach Frankfurt aus; Rudi Sal<strong>in</strong>en<br />
wurde 1972 Ratsherr, später<br />
Beigeordneter der Stadt <strong>Paderborn</strong><br />
und sieht seit 1984 als Stadtdirektor<br />
<strong>in</strong> Lünen e<strong>in</strong>er noch hoffnungsvolleren<br />
kommunalpolitischen<br />
Zukunft entgegen; Helmut<br />
Funke gehörte seit 1971 dem UB-<br />
Vorstand an und wurde 1982 dessen<br />
Vorsitzender. Lediglich Ra<strong>in</strong>er<br />
Girndt konnte aus beruflichen<br />
Gründen se<strong>in</strong>e politische Laufbahn<br />
<strong>in</strong> <strong>Paderborn</strong> nicht fortsetzen: er<br />
ist aber heute <strong>in</strong> verantwortlicher<br />
73
Position für e<strong>in</strong>e Organisation<br />
tätig, die der <strong>SPD</strong> schon immer<br />
eng verbunden war, nämlich für<br />
den DGB.<br />
Die Integration der jungen Leute<br />
<strong>in</strong> die Partei g<strong>in</strong>g nicht problemlos<br />
vonstatten. Dies wird deutlich <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Rede, die der scheidende<br />
Unterbezirksvorsitzende Aloys<br />
Schwarze beim Unterbezirksparteitag<br />
1971 hielt.<br />
Aus e<strong>in</strong>er Rede<br />
von Aloys Schwarze<br />
UB-Parteitag 1971<br />
Vor dem H<strong>in</strong>tergrund des Sprichwortes,<br />
daß Ruhe die erste Bürgerpflicht<br />
sei, ersche<strong>in</strong>t der Generationengegensatz<br />
heute als e<strong>in</strong> negativer<br />
Kontrast zu der angeblich so<br />
guten, alten Zeit der Vergangenheit,<br />
der so viele ahnungslos nachtrauern.<br />
E<strong>in</strong>er allzu bürgerlichen,<br />
etablierten Vergangenheit, gegen<br />
die die Jugend aus berechtigten<br />
Gründen heute rebelliert, weil sie<br />
Neues will, weil sie die Verhältnisse<br />
ändern will. Sozialdemokrat<br />
se<strong>in</strong> heißt: für Frieden, Freiheit<br />
und soziale Gerechtigkeit kämpfen.<br />
Was heißt das anders als — die<br />
Welt verändern wollen!<br />
Daß die jungen Menschen, denen<br />
die Zukunft wichtiger ist als die<br />
Vergangenheit, überwiegend<br />
„l<strong>in</strong>ks" stehen, hat mit Weltan-<br />
74<br />
schauung nichts zu tun, sondern<br />
e<strong>in</strong>fach mit der Erkenntnis, daß<br />
die Geschichte gerade unseres Volkes<br />
gezeigt hat, daß Bewegungen<br />
von „rechts" nie den Blick vorwärts<br />
richteten, sondern immer nur<br />
Vergangenes zementieren wollten.<br />
Der Faschismus ist dafür die am<br />
deutlichsten ausgeprägte Form.<br />
Demokratie aber verlangt mehr als<br />
nur ruhig und brav und gehorsam<br />
zu se<strong>in</strong>.<br />
Wenn Gehorsam e<strong>in</strong>e politische<br />
Tugend se<strong>in</strong> soll, dann haben wir<br />
<strong>in</strong> der Vergangenheit politisch allzusehr<br />
darunter gelitten, daß zu<br />
wenige Bürger ungehorsam waren.<br />
Warum, liebe Freunde, so könnte<br />
man fragen, waren wir nach 1945<br />
beim Neuanfang nach der furchtbaren<br />
Katastrophe zwar auch zeitentsprechend<br />
radikal, aber doch<br />
gewiß gehorsamer als die Jugend<br />
heute? Nicht nur, weil wir nach<br />
dem Niedergang des Staates aus<br />
Ru<strong>in</strong>en neu anfangen mußten, wieder<br />
aufbauen mußten, weil wir mit<br />
uns selbst zu sehr beschäftigt<br />
waren. Ne<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>fach auch deswegen,<br />
weil wir es nicht verstanden<br />
haben, <strong>in</strong> unserem traditionellen<br />
Erziehungs- und Bildungssystem<br />
den Ungehorsam zu kultivieren!<br />
Auf der e<strong>in</strong>en Seite, nämlich der<br />
konservativ-bürgerlichen, wurde<br />
nach dem Motto „Lieb' Vaterland,<br />
magst ruhig se<strong>in</strong> ", jede Opposi-<br />
tion, auch als Auflehnung gegen<br />
das Bestehende, als staatszersetzend<br />
angesehen (und wird es auch<br />
heute noch, das brauche ich wohl<br />
nicht h<strong>in</strong>zuzufügen).<br />
Und auch bei uns, <strong>in</strong> unserer Partei,<br />
laßt uns das offen e<strong>in</strong>gestehen,<br />
wurde mit dem politischen Ziel der<br />
Angleichung an das bürgerliche<br />
Lager zur schnelleren Erreichung<br />
der politischen Verantwortung <strong>in</strong><br />
diesem Staat („Ke<strong>in</strong>e Experimente",<br />
die Wahlslogans von CDU<br />
und <strong>SPD</strong> waren auch aus demselben<br />
Holz geschnitzt) e<strong>in</strong>e ähnliche<br />
Gefühlslage entwickelt <strong>in</strong> der<br />
Organisation und mehr noch <strong>in</strong><br />
der Öffentlichkeit. Damit wurde<br />
schließlich allerd<strong>in</strong>gs auch über die<br />
„große Koalition" das gesteckte<br />
Ziel erreicht: Wir stehen heute <strong>in</strong><br />
diesem Staat <strong>in</strong> der Verantwortung.<br />
Das Aufbegehren der jungen Generation<br />
gegen die beiden großen<br />
politischen Weißmacher „Ruhe<br />
und Ordnung" war und ist nichts<br />
anderes als nur folgerichtig. Und<br />
diese Rebellion hat e<strong>in</strong> neues<br />
gesellschaftliches Bewußtse<strong>in</strong><br />
erzeugt, nämlich, wie Günter Grass<br />
es e<strong>in</strong>mal ausgedrückt hat: Sie hat<br />
gezeigt, daß Unruhe die erste Bürgerpflicht<br />
ist.
Die Zusammensetzung des Ortsvere<strong>in</strong>svorstandes:<br />
Von 1969 bis 1984 setzten sich die Vorstände des Ortsvere<strong>in</strong>s <strong>in</strong> folgender<br />
Weise zusammen:<br />
Jahr Vorsitzender Stellvertreter Stellvertreter<br />
1969 K. Nolden K. Nüsse —<br />
1970 L. Baucks H. Steiger G. Bitterberg<br />
1971 L. Baucks H. Steiger G. Bitterberg<br />
1972 L. Baucks H. Steiger G. Bitterberg<br />
1973 G. Bitterberg G. Erch<strong>in</strong>ger H. Steiger<br />
1974 G. Bitterberg G. Erch<strong>in</strong>ger H. Steiger<br />
19<strong>75</strong> H. Steiger G. Erch<strong>in</strong>ger G. Kerkhof<br />
1976 H. Steiger G. Erch<strong>in</strong>ger H. Kibart<br />
1977 G. Erch<strong>in</strong>ger E. Michel J. Hackfort<br />
1978 G. Erch<strong>in</strong>ger H. Kibart K. Josephs<br />
1979 W. Lohren Dr. H. Funke J. Schmidt<br />
1980 W. Lohren Dr. H. Funke J. Schmidt<br />
1981 W. Lohren A. Arens H. Lubek<br />
1982 W. Lohren A. Arens H. Lubek<br />
1983 A. Arens R. R<strong>in</strong>gs H. Hellmich<br />
1983 K. Meermeier R. R<strong>in</strong>gs H. Hellmich<br />
1984 K. Meermeier R. R<strong>in</strong>gs H. Hellmich<br />
Der am 21. Oktober gewählte engere Vorstand: v. l: Hermann Hellmich,<br />
Käthe Meermeier, Ra<strong>in</strong>er R<strong>in</strong>gs<br />
Wahlergebnisse der<br />
<strong>SPD</strong> <strong>in</strong> der Stadt <strong>Paderborn</strong><br />
— ab 19<strong>75</strong> e<strong>in</strong>schl. der e<strong>in</strong>geme<strong>in</strong>deten<br />
Ortschaften —<br />
Kommunalwahl 1948 : 23,8 %<br />
Bundestagswahl 1949 : 20,5 %<br />
Landtagswahl 1950 : 20,5 %<br />
Kommunalwahl 1952 : 23,3 %<br />
Bundestagswahl 1953 : 18,9 %<br />
Landtagswahl 1954 : 21,8 %<br />
Kommunalwahl 1956 : 27,9 %<br />
Bundestagswahl 1957 : 19,6 %<br />
Landtagswahl 1958 : 23,4 %<br />
Kommunalwahl 1961 : 24,4 %<br />
Bundestagswahl 1961 : 21,2 %<br />
Landtagswahl 1962 : 27,0 %<br />
Kommunalwahl 1964 : 31,6 %<br />
Bundestagswahl 1965 : 26,2 %<br />
Landtagswahl 1966 : 31,8 %<br />
Bundestagswahl 1969 : 31,6 %<br />
Kommunalwahl 1969 : 30,1 %<br />
Kreistagswahl 1970 : 28,3 %<br />
Bundestagswahl 1972 : 35,6 %<br />
Landtagswahl 19<strong>75</strong> : 26,9 %<br />
Kreistagswahl 19<strong>75</strong> : 27,7 %<br />
Kommunalwahl 19<strong>75</strong> : 28,2 %<br />
Bundestagswahl 1976 : 28,5 %<br />
Europawahl 1979 : 26,7 %<br />
Kreistagswahl 1979 : 29,6 %<br />
Kommunalwahl 1979 : 29,1 %<br />
Landtagswahl 1980 : 29,6 %<br />
Bundestagswahl 1980 : 29,5 %<br />
Bundestagswahl 1983 : 27,2 %<br />
Europawahl 1984 : 23,5 %<br />
Kommunalwahl 1984 : 25,25 %<br />
Kreistagswahl 1984 : 25,02 %<br />
<strong>75</strong>
Anläßlich des <strong>75</strong>jährigen Ortsvere<strong>in</strong>sjubiläums<br />
ehrte der Bundesgeschäftsführer<br />
der <strong>SPD</strong>, Peter<br />
Glotz, verdiente Genoss<strong>in</strong>nen und<br />
Genossen.<br />
Von l<strong>in</strong>ks nach rechts: Aloys<br />
Schwarze, OV-Vorsitzende Käthe<br />
Meermeier, Bundesgeschäftsführer<br />
Peter Glotz, M<strong>in</strong>e Mayboom,<br />
Hans Wirt, Luise Lücke, Hansi<br />
Steiger.<br />
Die ersten 20 Kandidat<strong>in</strong>nen und<br />
Kandidaten, die auf der Wahlkreiskonferenz<br />
vom 24. März 1984 im<br />
Kolp<strong>in</strong>ghaus für die Liste aufgestellt<br />
wurden.<br />
Erste Reihe v. L: F. Amedick,<br />
A. Jakobsmeyer, J. Spietz,<br />
G. Erch<strong>in</strong>ger, H. Thöne, G. Bitterberg,<br />
J. Hackfort, H. Hellmich.<br />
Mittlere Reihe v. I.: H. Pütter,<br />
H. Isermann, K. Jäger, R. R<strong>in</strong>gs,<br />
H. Lubek.<br />
H<strong>in</strong>tere Reihe v. L: A. S<strong>in</strong>ne,<br />
H.-G. Grumm, F. Wolski,<br />
W. Pött<strong>in</strong>g, R. Niekamp,<br />
U. Frehse, K. Bergmann.<br />
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