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Matrix3000 History: Was wäre wenn... die Geschichte anders wäre? (Sonderheft) (Vorschau)

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Burgundionum“, einem römischen<br />

Rechtstext, der im Burgunderreich<br />

galt, wird allerdings ein Verwandter<br />

namens „Gislahar“ (Giselher) erwähnt.<br />

Auch ist ein Phänomen wie <strong>die</strong> „Nibelungentreue“<br />

aus den wenigen<br />

historischen Quellen nicht ableitbar.<br />

Es ging ja kein Volkstamm aus Solidarität<br />

mit einem anderen in den Tod,<br />

keine Einzelperson opferte sich – jedenfalls<br />

nicht historisch verbürgt – für<br />

eine andere. Hagen von Tronje, eigentlicher<br />

Gegenstand der besagten selbstzerstörerischen<br />

Treue, ist als historische<br />

Figur ohnehin kaum zu greifen.<br />

Manche führen <strong>die</strong> Herkunftsbezeichnung<br />

„Tronje“ gar auf „Troja“ zurück,<br />

was auf römische Wurzeln Hagens hinweisen<br />

würde. Es scheint damals unter<br />

Römern Mode gewesen zu sein, sich illustre<br />

Beinamen aus den homerischen<br />

Epen zu verleihen.<br />

War <strong>die</strong> echte Kriemhild Römerin?<br />

Kriemhild taucht in einem etwas anderen<br />

Zusammenhang auf. Der Hunnenkönig<br />

Attila soll nämlich 453 in seiner<br />

Hochzeitsnacht mit der Gotin Ildiko an<br />

einer bis heute rätselhaften Todesursache<br />

gestorben sein. „Ildiko“ erinnert<br />

klanglich an Kriemhild. Die Sage behauptet<br />

sogar, sie hätte ihren Gatten in<br />

der Brautnacht vergiftet. So spektakulär<br />

<strong>die</strong>s allerdings klingt, es hat mit der<br />

Handlung der Nibelungenlieds wenig<br />

zu tun. Etzel ist dort eine der wenigen<br />

überlebenden Figuren.<br />

Noch eine zweite Frauengestalt<br />

könnte allerdings für Kriemhild Patin<br />

gestanden haben: Um 450 stand Attila<br />

in der Blüte seiner Macht und hatte das<br />

oströmische Imperium in der Schlacht<br />

bei den Thermophylen (447) vernichtend<br />

geschlagen. Im weströmischen<br />

Reich war derweil Honoria, <strong>die</strong> Schwester<br />

Kaiser Valentinians III., unter dem<br />

Vorwurf der Unzucht gegen ihren Willen<br />

mit einem ungeliebten Mann verlobt<br />

worden. Sie verlor damit auch ihren Anteil<br />

an Thron und Reich, weshalb man<br />

wohl auf einen Machtkampf als Motiv<br />

schließen kann. Honoria bat Attila um<br />

Hilfe, sandte ihm einen Ring und bot<br />

ihm angeblich <strong>die</strong> Heirat an. Die historische<br />

Wahrheit <strong>die</strong>ser <strong>Geschichte</strong> ist<br />

oft bezweifelt worden. Sicher ist aber,<br />

dass Attila in der Folge <strong>die</strong> Hand Honorias<br />

forderte – und mit ihr <strong>die</strong> Hälfte<br />

des weströmischen Reichs. Er drohte<br />

Westrom mit Krieg, falls ihm <strong>die</strong>s verweigert<br />

würde.<br />

„Viele Figuren des<br />

Nibelungenepos, z. B.<br />

Hagen oder Siegfried, sind<br />

historisch kaum zu fassen.<br />

Aetius, noch immer wichtigster<br />

Feldherr des Reichs, weigerte<br />

sich den Forderungen des Hunnen<br />

nachzukommen, woraufhin <strong>die</strong>ser<br />

451 in Gallien einfiel. Bei der Entscheidungsschlacht<br />

auf den Katalaunischen<br />

Feldern wurde Attilas Heer dann von einem<br />

Verbund römischer und westgotischer<br />

Truppen zurückgeschlagen, was<br />

den hunnischen Herrscher zwang, sich<br />

in sein ursprüngliches Herrschaftsgebiet<br />

zurückzuziehen. Die grausame<br />

Schlacht, von der erzählt wurde, dass<br />

ein nahe gelegenes Bächlein vom Blut<br />

der Gefallenen anschwoll, könnte auch<br />

ein Vorbild für das „Gemetzel bei Etzel“<br />

gewesen sein. Sollte tatsächlich eine<br />

Frau den Hunnenherrscher instrumentalisiert<br />

haben, um ihrer eigenen Familie<br />

zu schaden, so <strong>wäre</strong> <strong>die</strong>s eine auffällige<br />

Parallele zum Nibelungenstoff.<br />

Der „Nibelungenschatz“ um den es in<br />

Wahrheit ging, <strong>wäre</strong> demnach Honorias<br />

Reichshälfte.<br />

Siegfried –<br />

historisch kaum zu fassen<br />

Ein weiteres historisches Rätsel stellt<br />

natürlich <strong>die</strong> Namensbezeichnung „Nibelungen“<br />

selbst dar. Dies ist in der<br />

Sage ja ursprünglich der Name für ein<br />

Zwergengeschlechte, dem Siegfried in<br />

seiner Jugend einen Schatz abspenstig<br />

gemacht haben soll. Nachdem <strong>die</strong><br />

Burgunden um Gunther sich <strong>die</strong>sen<br />

Schatz angeeignet hatten, wurden sie<br />

selbst „Nibelungen“ genannt. An <strong>die</strong><br />

reale Existenz von Zwergen und Drachen<br />

möchte der seriöse Historiker<br />

aber nicht gern glauben. So bleibt als<br />

eine der wenigen sinnvollen Deutungen<br />

des Begriffs „Nibelungen“ der Hinweis<br />

im „Waltharius“ (10. Jahrhundert), dem<br />

epischen Gedicht von Walther und Hildegund,<br />

das demselben Sagenkreis<br />

wie das Nibelungenlied entstammt.<br />

Die Burgunden werden dort als „Franci<br />

nebulones“ bezeichnet, nibelungische<br />

Franken. Freilich ist <strong>die</strong>s eine Antwort,<br />

<strong>die</strong> nur weitere Fragen aufwirft.<br />

Siegfried, dem Nibelungenlied zufolge<br />

ein Prinz aus Xanthen, ist historisch<br />

beinahe so schwer fassbar<br />

wie Hagen. Dabei hilft es wenig, auf<br />

<strong>die</strong> Tradition der nordischen Sagen hinzuweisen,<br />

in denen Siegfried „Sigurd“<br />

genannt wird und dem Geschlecht der<br />

„Völsungen“ angehört. In einigen Abschnitten<br />

der Liederedda hat Sigurd<br />

auch eine Vorgeschichte mit Brunhild,<br />

<strong>die</strong> eine Walküre ist und von dem Helden<br />

aus einer Art Dornröschenschlaf<br />

erweckt wird. Es wird angenommen,<br />

dass sich in Siegfried verschiedene Heldenfiguren<br />

und sogar Volksstämme älterer<br />

Herkunft zu einer Kunstfigur vereinigt<br />

haben. Vielfach wird der Held als<br />

mythologischer Vertreter der Franken<br />

angesehen, <strong>die</strong> mit den Burgundern<br />

zeitweise in Konflikt standen. Besonders<br />

deren Herrscher Chlodwig I. weist<br />

in seiner Biografie einige Parallelen zu<br />

dem Drachentöter auf, er heiratete u.a.<br />

<strong>die</strong> Nichte eines Burgunderkönigs.<br />

Nibelungentreue – bis heute<br />

„Ich kann Euch nicht berichten, was<br />

dort noch geschehen ist, nur, dass<br />

man Ritter, Damen und auch <strong>die</strong> edlen<br />

Knappen den Tod ihrer lieben Freunde<br />

beweinen sah. Hier hat <strong>die</strong> <strong>Geschichte</strong><br />

ein Ende. Dies ist der Nibelungen<br />

Not.“ So endet das Epos. Mit deutscher<br />

Nibelungentreue allerdings ist<br />

es möglicherweise noch nicht vorbei.<br />

Die US-Präsidenten Bush und Obama<br />

brauchen sich jedenfalls spätestens<br />

seit Installation der Merkel-Regierung<br />

über deutsche Anhänglichkeit nicht zu<br />

beschweren, <strong>wenn</strong> es um gefährliche<br />

Kriegseinsätze geht. Derzeit sitzt der<br />

Feind – wie damals – wieder im Osten,<br />

und das moderne Pendant zu „Treue“<br />

heißt wohl „Verantwortung“ – hochgehalten<br />

vor allem von Bundespräsident<br />

Gauck. Es erscheint absurd, der Stimmungsmache<br />

der Kriegstreiber erneut<br />

aufzusitzen und den USA in einen neuen<br />

kalten Krieg zu folgen. Aber „Ihr<br />

kennt <strong>die</strong> deutsche Seelen nicht, Herr<br />

Putin.“ ▀<br />

Roland Rottenfußer ist nach<br />

dem Studium der Germanistik<br />

als Lektor, Autor und Redakteur<br />

für verschiedene Buch- und<br />

Zeitschriftenverlage tätig.<br />

Ehemaliger Redakteur beim Magazin<br />

„connection“. Derzeit Redakteur<br />

für <strong>die</strong> Rubriken Gesundheit und<br />

Kultur bei der Matrix 3000.<br />

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MATRIX 3000 <strong>History</strong>

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