26.08.2014 Aufrufe

Matrix3000 History: Was wäre wenn... die Geschichte anders wäre? (Sonderheft) (Vorschau)

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Friedrich Nietzsche<br />

liebte Chopin<br />

und Wagner und<br />

komponierte selbst<br />

Sonaten.<br />

Homo integralis<br />

Der Begriff „Übermensch“ (hyperanthropos, homo superior)<br />

Gemäß der Analyse des Schweizer Kulturphilosophen Jean<br />

Gebser durchläuft <strong>die</strong> Evolution des menschlichen Bewusstseins<br />

sowohl individuell als auch kulturell folgende Verfassungen:<br />

archaisch - magisch - mystisch - mental - integral.<br />

Jede Stufe stellt einen Fortschritt gegenüber der vorangegangenen<br />

dar. Im Lauf der Zeit degenerieren <strong>die</strong>se Verfassungen<br />

jedoch und werden defizient. Dies erkennt man daran, dass<br />

<strong>die</strong> einstige Qualität in Quantität umschlägt. Die Überhandnahme<br />

des Rationalen innerhalb der mentalen Struktur führt<br />

zur Vermassung, sichtbar etwa anhand der Überproduktion<br />

von Gütern oder der „Meinungsmache“ durch <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n.<br />

Dieser defiziente Aspekt beinhaltet jedoch auch <strong>die</strong> Chance,<br />

durch Rückbesinnung auf das Ursprüngliche zur nächsten<br />

Bewusstseinsverfassung, der integralen Stufe, zu springen.<br />

Der homo integralis sieht sich als bewusster Teil innerhalb<br />

der Ordnung von Mensch, Natur und Kosmos. Er verwirklicht<br />

all seine Potenziale und hat <strong>die</strong> Harmonie mit dem Ursprung<br />

sowie dem Ganzen im Auge.<br />

Rudolf Bahro (1935-<br />

1997) war Journalist,<br />

Philosoph, Sozialökologe<br />

und linksgerichteter<br />

DDR-Dissident.<br />

64<br />

MATRIX 3000 <strong>History</strong><br />

Er unterjochte<br />

seine spirituellen<br />

Einsichten<br />

und Kräfte seinem<br />

Ego, das sich<br />

aufplusterte und<br />

dem Größenwahnsinn<br />

verfiel. Zum<br />

Schluss konnte er<br />

das Spannungsfeld<br />

zwischen <strong>die</strong>sen<br />

gegensätzlichen<br />

Einflüssen nicht<br />

mehr aushalten. Es<br />

zerrieb ihn und er<br />

ging daran zugrunde.<br />

Der Soziologe<br />

Konrad Dietzfelbinger<br />

sieht den Zusammenbruch<br />

des<br />

großen Denkers in<br />

seiner Exponiertheit<br />

im negativen<br />

Sinn, in seinem<br />

Außenseitertum. Er<br />

hatte sich zu weit<br />

von den Menschen<br />

entfernt. Nietzsche<br />

drückte seine<br />

Fremdlingsschaft<br />

selbst aus in einem<br />

Brief an seinen<br />

Freund Overbeck:<br />

„Unter den Lebenden<br />

so wenig als<br />

unter den Toten<br />

habe ich jemanden, mit dem ich mich<br />

verwandt fühle.“<br />

Ungeheure Resonanz<br />

Dennoch hat Nietzsche wie kaum ein<br />

Philosoph viele Menschen, Erneuerer<br />

und andere Philosophen in seinen<br />

Bann gezogen. Dies dürfte neben seinen<br />

wortgewaltigen Abhandlungen,<br />

<strong>die</strong> alles andere als „trocken“ und<br />

blutleer waren, davon herrühren,<br />

dass er sich trotz seiner elitären und<br />

abgehobenen Perspektive mit dem<br />

alltäglichen Leben und den sozialen<br />

Angelegenheiten des Menschen befasst<br />

hat sowie mit einem Grundbedürfnis,<br />

der Sehnsucht nach Freiheit.<br />

Davon fühlten sich viele angesprochen<br />

und der Dichter und Philosoph<br />

stieß auf Resonanz - unabhängig davon,<br />

ob man ihm zustimmte oder ihn<br />

ablehnte.<br />

Das Nachwirken der Zerrissenheit<br />

„Heidnisch war sein Hirn, gläubig<br />

sein Herz.“ So charakterisierte der<br />

Philosoph und Mystiker Sir Muhammad<br />

Iqbal den Denker Nietzsche.<br />

Die Mehrschichtigkeit und Widersprüchlichkeit<br />

seiner Ideen setzt<br />

sich in seiner Rezeption fort:<br />

Der Systemkritiker Rudolf<br />

Bahro etwa, der im Vorwort<br />

zu Jochen Kirchhoffs Buch<br />

„Nietzsche, Hitler und <strong>die</strong> Deutschen“<br />

Nietzsche noch mit einer<br />

Atombombe verglich, schlug während<br />

seiner letzten Lebensjahre<br />

versöhnliche Töne an und versuchte,<br />

Nietzsche zu rehabilitieren. Er sah<br />

in Nietzsches vielfach missbrauchtem<br />

Postulat des Übermenschen<br />

große Ähnlichkeiten mit der auf den<br />

Kulturphilosophen Jean Gebser zurückgehenden<br />

Vision des „Homo<br />

integralis“. Der Mensch auf <strong>die</strong>ser<br />

Entwicklungsstufe überwindet durch<br />

seine „aperspektivische“ Haltung<br />

und Wahrnehmung Raum und Zeit<br />

und behält folglich auch alle vorherigen<br />

Bewusstseinsverfassungen,<br />

etwa <strong>die</strong> magische oder <strong>die</strong> mentale,<br />

in ihren konstruktiven Ausprägungen<br />

zu seiner Verfügung, um bei<br />

Bedarf aus ihnen zu schöpfen. Nach<br />

Bahro appellierte Nietzsche „an unsere<br />

Bereitschaft und Begabung, uns<br />

selbst auszuwählen zu 'einem neuen<br />

Volke', das <strong>die</strong> Erde zu leben weiß als<br />

eine Stätte der Genesung.“ ▀<br />

Lesetipps:<br />

Dietzfelbinger, Konrad: Nietzsches<br />

Erleuchtung, Königsdorf 2006.<br />

Huchzermeyer, Wilfried: Der Übermensch<br />

bei Friedrich Nietzsche und Sri Aurobindo,<br />

Gladenbach 1986.<br />

Nietzsche, Friedrich: Gesammelte Werke,<br />

Köln 2012.<br />

Schmidt, Karl-O.: In Harmonie mit<br />

dem Schicksal. Ein Führer zu neuem<br />

Menschentum, Ergolding 1993<br />

Ralf Lehnert, Autor und Dipl.-<br />

Soziologe, beschäftigt sich seit<br />

fast 30 Jahren theoretisch und<br />

praktisch mit Esoterik (Ost wie<br />

West) und hat auf <strong>die</strong>sem Weg<br />

zahlreiche kleine und große<br />

Glaubensgemeinschaften,<br />

Organisationen und spirituelle<br />

Gruppen von „Innen“ kennengelernt. Die Essenz<br />

seiner Erfahrungen verarbeitete er in mehreren<br />

Büchern. Bei der <strong>Matrix3000</strong> ist Ralf Lehnert<br />

Redakteur für Spiritualität.<br />

„Ich bin von heute..., aber etwas<br />

ist in mir, das ist von morgen<br />

und einstmals.“ Friedrich Nietzsche

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!