Magazin als PDF - Universitätsklinikum Leipzig
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14 REISE<br />
Ausgabe 25 / 10. Dezember 2010<br />
Gesundheit und mehr...<br />
ESTLAND<br />
Meeresrauschen in Tallinn<br />
Die Wellen klatschen kaum hörbar an<br />
das U-Boot im Hafenbecken. Baulärm<br />
übertönt fast jedes Geräusch.<br />
Es sieht noch nach viel Arbeit aus, bis das<br />
neue Meeresmuseum von Tallinn fertig<br />
ist. Doch Urmas Dresen blickt zufrieden<br />
um sich. Die Pflastersteine rund um das<br />
Becken sind schon verlegt und lassen<br />
erahnen, wo die Schienen des alten Hafenkrans<br />
verlaufen werden, den der Museumsdirektor<br />
hier aufstellen lassen will.<br />
Spätestens zur Eröffnung Mitte Juli 2011<br />
soll das Gelände wie eine typische Hafenanlage<br />
aussehen, sagt er.<br />
Tallinn war <strong>als</strong> Grenzgebiet während des<br />
Kalten Krieges und auch danach noch<br />
weitgehend vom Meer abgeschnitten.<br />
Die Häfen waren bis 1991 militärisches<br />
Sperrgebiet. Im Jahr 2011 dagegen, wenn<br />
Tallinn – gemeinsam mit dem finnischen<br />
Turku – Kulturhauptstadt ist, lautet das<br />
Motto der Veranstaltungen ausdrücklich<br />
„Geschichten am Meer“. Das neu gestaltete<br />
Museum ist ein Herzstück des Programms.<br />
Dort werden unter anderem der 1914 gebaute<br />
Dampfeisbrecher „Suur Tõll“ und<br />
das einzige U-Boot zu sehen sein, das der<br />
estnische Staat je besessen hat. Letzteres<br />
soll das Prunkstück in dem rekonstruierten<br />
Hangar werden, an dem noch so<br />
emsig umgebaut wird. Der Betonkomplex<br />
stammt aus der Zarenzeit und war <strong>als</strong><br />
Parkplatz für Wasserflugzeuge gedacht.<br />
„Kurz vor dem Ersten Weltkrieg schien<br />
diesen Flugzeugen eine große Zukunft<br />
bevorzustehen“, erzählt Museumsdirektor<br />
Dresen. Ein dänisches Ingenieurteam<br />
habe den Hangar so entworfen, dass die<br />
Flugzeuge innen wenden konnten, ohne<br />
irgendwo anzustoßen. Doch schon 1917<br />
durchkreuzte die Russische Revolution<br />
die Pläne, so dass der Hangar nie ganz<br />
fertig wurde.<br />
Das Museum ist Ausgangspunkt einer geplanten<br />
Seepromenade, dem „Kulturkilometer“.<br />
Dieser soll vorbei an einem alten,<br />
leerstehenden Gefängnis zur Linnahall<br />
führen, einem aus Sowjetzeiten stammenden<br />
Konzertgebäude, nur einen Steinwurf<br />
entfernt von der Altstadt. „Damit wollen<br />
wir die Gegend dort beleben“, sagt Maris<br />
Hellrand von der Stiftung Tallinn 2011<br />
– mit Cafés in Seefrachtcontainern zum<br />
Beispiel.<br />
Der neue Küstenstreifen wird wie vieles,<br />
Am Burgturm, dem „Langen Hermann“, wehte über die Jahrhunderte die Fahne<br />
deutscher Herrscher – heute ist dort die der estnischen Republik zu sehen.<br />
was für das Kulturhauptstadtjahr an<br />
Bauten geplant ist, aber wohl allenfalls<br />
halbfertig sein, wenn das Programm beginnt.<br />
Für die Stiftungsvertreterin ist das<br />
kein Widerspruch: Vieles werde derzeit<br />
rekonstruiert, aber eben nicht nur für<br />
2011, sondern darüber hinaus. „Das sind<br />
Projekte, die schon lange im Gespräch<br />
waren, und das Kulturhauptstadtjahr hat<br />
dafür den letzten Anstoß gegeben.“<br />
Tallinn hat eines der niedrigsten Budgets,<br />
das je einer Europäischen Kulturhauptstadt<br />
zur Verfügung stand. Viel neue Infrastruktur<br />
sei daher nicht drin, räumt Maris<br />
Hellrand ein. Das ist wohl auch mit ein<br />
Grund dafür, warum die Stiftung aus den<br />
900 von Tallinner Bürgern eingereichten<br />
Vorschlägen vor allem kostengünstige<br />
Projekte für das Programm ausgewählt<br />
hat. 34 der ausgewählten 251 Vorschläge<br />
haben direkt mit dem Meer zu tun, viele<br />
andere beziehen sich im weitesten Sinn<br />
darauf.<br />
Einer davon ist das auf längere Zeit angelegte<br />
Projekt „Arche Noah von Tallinn“<br />
von Anatolij Ljutjuk, einem aus der Ukraine<br />
stammenden Künstler. Je 100 Holztiere<br />
aus fünf Kontinenten sollen eines<br />
Tages den Dachstuhl des Grusbeketurms<br />
in der mittelalterlichen Mauer füllen, die<br />
noch heute weite Teile der Altstadt umschließt.<br />
Der historische Stadtkern mit seiner Oberund<br />
Unterstadt ist bereits seit längerem<br />
herausgeputzt. Dazu hat die friedliche<br />
Wende 1991, <strong>als</strong> Estland von der Sowjetunion<br />
unabhängig wurde, nur bedingt<br />
beigetragen. Viele Fassaden seien 1980<br />
restauriert worden, <strong>als</strong> im Rahmen der<br />
Olympischen Spiele in Moskau die Segelwettbewerbe<br />
vor der estnischen Küste<br />
stattfanden, erzählt die Stadtführerin Õie<br />
Kirs.<br />
Gegründet wurde die Stadt Reval, das<br />
heutige Tallinn, im Hochmittelalter von<br />
deutschen Ordens- und Kaufleuten. Am<br />
Burgturm, dem „Langen Hermann“,<br />
wehte über die Jahrhunderte immer die<br />
Fahne des jeweils aktuellen Herrschers.<br />
Ggenüber liegt die Alexander-Newski-Kathedrale<br />
mit ihren typischen Zwiebeltürmen.<br />
In der Unterstadt finden sich zahlreiche<br />
Kontorhäuser aus der Hansezeit.<br />
Das Schwarzhäupterhaus etwa, heute für<br />
Staatsempfänge genutzt, hat eine auffällige<br />
Renaissance-Fassade. Das Haus der<br />
Großen Gilde schräg gegenüber beherbergt<br />
das Estnische Historische Museum.<br />
Ganz fertig ist auch die Altstadt noch<br />
nicht – aber das kann auch ein gutes<br />
Omen sein. Schließlich gibt es die Legende,<br />
dass Tallinn nie fertiggebaut sein<br />
darf – sonst passiere ein Unglück: Ein<br />
Gnom aus dem vor den Toren der Stadt<br />
gelegenen Ülemiste-See will dann den See<br />
über die Ufer treten lassen. Von Touristen<br />
überschwemmt wird die Stadt zumindest<br />
in den Sommermonaten allerdings jetzt<br />
schon.<br />
Nina C. Zimmermann<br />
Museumsdirektor Urmas Dresen vor dem einzigen U-Boot,<br />
das der estnische Staat je besessen hat.<br />
Das Kulturhauptstadtjahr 2011 steht in Tallinn<br />
unter dem Motto „Geschichten am Meer“.<br />
Wehranlagen, Stadtmauer und etliche Kirchtürme von<br />
Tallinn sind viele Jahrhunderte alt.<br />
Fotos: dpa