Es sind schon mehr als 10 Jahre vergangen, als ... - Heinz Kornemann
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Jan mischte sich ein und sagte: „Jedenfalls hat sich Egon über die Billigstrom-Affäre so aufgeregt, daß<br />
er an unsere Zeitung einen Leserbrief geschrieben hat, der ist aber nicht veröffentlicht worden; war<br />
wohl zu beleidigend gewesen.“<br />
„Egon hat einen Leserbrief geschrieben?“<br />
„Ja, letztes Jahr im August, da stand in der Zeitung: Stadtwerke-Spitze bestätigt: Wedemeier bekam<br />
Billigstrom. In der gleichen Zeitungsausgabe lag eine Beilage vom Musikfest Bremen drin, und in<br />
dieser Beilage war eine Anzeige der Bremer Stadtwerke, die das hell erleuchtete Bremer Rathaus<br />
zeigte. Die Kopfzeile der Anzeige lautete:<br />
Wir sorgen nicht nur im Rathaus für Licht. In der Fußzeile lief der Text weiter: Die rechte<br />
Erleuchtung ist weder an Orte noch an Zeiten gebunden. Da hat Egon in seinem Leserbrief<br />
vorgeschlagen, daß die Anzeige doch wesentlich werbewirksamer wäre und den Tatsachen <strong>mehr</strong><br />
entsprechen würde, wenn zwischen der Kopf- und der Fußzeile noch die Zeilen ‚Und da unser<br />
Bürgermeister und einige unserer Senatoren keine großen Leuchten <strong>sind</strong>, lassen wir es auch bei Ihnen<br />
zu Hause zum halben Preis leuchten‘ eingefügt werden.“<br />
Frieda lachte schallend. „Du bist aber auch ein schlagfertiger Kerl“, sagte sie in ihrem Lachen zu<br />
Egon. „Das kannst du doch nicht machen, einfach behaupten, daß unser Bürgermeister und einige<br />
unserer Senatoren keine großen Leuchten <strong>sind</strong>. Das ist eine Beleidigung. Solch einen Leserbrief kann<br />
die Zeitung nicht veröffentlichen.“<br />
„Kann <strong>schon</strong> sein, daß das beleidigend ist“, stellte Egon fest, sah auf seine Armbanduhr und lobte<br />
Frieda. „Dein Kaffee war mal wieder ausgezeichnet, aber jetzt muß ich los, die Kundschaft wartet.<br />
War mal wieder nett, mit euch zu klönen. In der Taxe führe ich mit meinen Fahrgästen den ganzen<br />
Tag solche Gespräche. Die denken alle so wie wir. Ich habe noch keinen Fahrgast in meinem Taxi<br />
gehabt, der mir widersprochen hat.“<br />
„Kannst du auch nicht“, sagte Jan., „denn die, die dir widersprechen würden, <strong>sind</strong> nicht auf euch<br />
Taxifahrer angewiesen., die haben ihren Dienstwagen mit Chauffeur.“<br />
„Auch wieder so eine Verschwendung“, ergänzte Frieda, und damit war die interessante morgendliche<br />
Frühstücksrunde aufgelöst.<br />
Zum Abschied streichelte Egon uns über den Kopf und sagte, daß wir gar nicht wüßten, wie gut wir es<br />
hätten. Doch das wußten wir. Bello und ich sahen ihm aus dem Fenster nach. Gemächlichen Schrittes<br />
ging er die Straße hinunter zu seinem Taxi. Schirmmütze, schwarze Lederjacke und blaue Jeans. In<br />
diesem Outfit würde ich ihn unter Hunderten sofort wiedererkennen. Ein. netter Kerl mit dem Herz am<br />
rechten Fleck.<br />
Von dem, was ich in den kommenden <strong>Jahre</strong>n in meinem neuen Zuhause bei Jan und Frieda zusammen<br />
mit Bello so erlebte, könnte ich vieles berichten, doch das würde zu umfangreich werden. So will ich<br />
nur die Diskussionen mit Egon schildern: Wenn Egon bei Jan und Frieda am Vormittag auf einen<br />
Kaffee vorbeischaute und über die guten alten Zeiten gesprochen wurde. Und auch davon nur, wenn<br />
vom Bremer Vulkan die Rede war; dann spitzten Bello und ich unsere Ohren. <strong>Es</strong> klang so unglaublich,<br />
was die drei da von sich gaben. Eigentlich mochten wir es kaum glauben, doch so stand es auch in der<br />
Zeitung, <strong>als</strong>o mußte es wahr sein.<br />
Ich erinnere mich noch genau - es war kurz nach dem ersten Besuch, <strong>als</strong> ich Egon kennengelernt hatteda<br />
war er an einem Vormittag wieder einmal auf einen Kaffee vorbeigekommen, und es wurden die<br />
neuesten. Nachrichten über meinen Geburtsort, dem Bremer Vulkan, ausgetauscht.<br />
„Nun will Herr Hennemann, der Chef vom Bremer Vulkan, auch der größte deutsche Reeder werden“,<br />
sagte Egon.<br />
„Nun ja“, meinte Jan, „der größte Werftherr ist er ja <strong>schon</strong>, ich glaube, der Mann ist<br />
größenwahnsinnig. Was der alles vorhat.“<br />
„Der hätte in seinem Beruf <strong>als</strong> Apotheker bleiben sollen“, knurrte Jan, „die werden sich noch<br />
wundern, wenn der große Knall kommt.<br />
„Und der kommt“, bestätigte Frieda. „Ist nur eine Frage der Zeit, dann kommt das große Erwachen.“<br />
„Tja“, sagte Egon gedehnt, „jedenfalls hat sich Hennemanns Traum, auch der größte deutsche Reeder<br />
zu werden, nicht erfüllt. Da haben ihm die beiden Hamburger Kaufleute Rahe und Nikolaus Schües<br />
einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der Horst Rahe ist für seine dubiosen Geschäfte <strong>als</strong><br />
Abschreibungskünstler sprich für Steuersparmodelle bekannt. Wegen Untreue und Betrug wurde er<br />
von geprellten Geldgebern angeklagt und stand mit seinem ehemaligen Partner, Renatus Rüger,<br />
jahrelang vor Gericht. Dam<strong>als</strong> vernahmen die Kölner Staatsanwälte fast 700 Zeugen und die<br />
Anklageschrift war über 800 Seitenlang. Beide wurden verurteilt und <strong>sind</strong> trotzdem nicht ins<br />
Gefängnis gekommen.<br />
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