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Mein Gewissen ist die Wahrheit - Kath.de

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<strong>Mein</strong> <strong>Gewissen</strong> <strong>ist</strong> <strong>die</strong> <strong>Wahrheit</strong><br />

Veitsdom und Prager Burg © Foto Werner Kaltefleiter<br />

Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei<br />

Stasi-Dokumente und Zeitzeugen aus <strong>de</strong>n<br />

Jahren <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen Regimes<br />

von<br />

Werner Kaltefleiter<br />

PDF-Version erstellt vom kath.<strong>de</strong>-Me<strong>die</strong>nservice, Jens Albers 2009


Inhaltsverzeichnis<br />

I. „Real ex<strong>ist</strong>ieren<strong>de</strong>r Sozialismus“ .......................................................................... 3<br />

II. In Pilsen ein Park <strong>de</strong>r Versöhnung........................................................................ 6<br />

III. Priester vor kommun<strong>ist</strong>ischen Tribunalen........................................................... 11<br />

IV. Schüsse auf <strong>de</strong>n Papst.......................................................................................... 15<br />

V. Angeklagt als „Agenten <strong>de</strong>s Vatikans“ ............................................................... 20<br />

VI. Erlebte Kreuzwege .............................................................................................. 24<br />

VII. Eine Krake greift um sich.................................................................................... 29<br />

VIII. Priester vor kommun<strong>ist</strong>ischen Tribunalen........................................................... 35<br />

IX. Spionage-Ziel: Radio Vatikan ............................................................................. 40<br />

X. Purpur am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Kreuzwegs.......................................................................... 47<br />

XI. Kirche im Fa<strong>de</strong>nkreuz <strong>de</strong>r Geheim<strong>die</strong>nste .......................................................... 50<br />

XII. Ein Generalsekretär muss gehen ......................................................................... 57<br />

XIII. Hilferuf an <strong>die</strong> Vereinten Nationen ..................................................................... 63<br />

XIV. Ein Spitzel wird eingeschleust ............................................................................ 70<br />

XV. „Überfallartig“ in <strong>die</strong> Tschechoslowakei ............................................................ 75<br />

XVI. Was wusste Washington?.................................................................................... 79<br />

XVII. Öffentliche Sühne? .............................................................................................. 85<br />

XVIII. Casaroli irrte sich nicht........................................................................................ 91<br />

XIX. „Wachhund“ <strong>de</strong>r Kirche ..................................................................................... 96<br />

XX. Im Bund mit <strong>de</strong>r NATO.................................................................................... 101<br />

XXI. Alarm in Polen................................................................................................... 108<br />

XXII. Priester in geheimer Mission............................................................................. 115<br />

XXIII. Komplott im Namen Gottes.............................................................................. 120<br />

XXIV. „Lästern<strong>de</strong> Fein<strong>de</strong> aller Religion“ ..................................................................... 125<br />

XXV. Überleben wie <strong>die</strong> ersten Chr<strong>ist</strong>en..................................................................... 131<br />

XXVI. „Ein brutaler militärischer Überfall“ ................................................................. 137<br />

XXVII. Ein Hauch von Kaltem Krieg............................................................................. 143<br />

XXVIII. Perspektivplan zur Bekämpfung <strong>de</strong>r Kirchen .................................................... 149<br />

XXIX. Die „Firma“ war kein Spass.............................................................................. 154<br />

XXX. Ein totalitärer Sicherheitsapparat ...................................................................... 160<br />

XXXI. Justiz unter <strong>de</strong>m Roten Stern............................................................................. 165<br />

XXXII. Gottes<strong>die</strong>nst als Straftat...................................................................................... 171<br />

XXXIII. „Der Kurs war auf Vernichtung“........................................................................ 175<br />

XXXIV. Zeittafel .............................................................................................................. 181<br />

Seite 2


Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei I.<br />

I. „Real ex<strong>ist</strong>ieren<strong>de</strong>r Sozialismus“<br />

Zwei Agenturmeldungen im Februar und März 2008 (1) erinnerten daran, wie vor „langer<br />

Zeit“, inzwischen sind fast 20 Jahre vergangen, wie Deutschland und Europa in<br />

weltanschauliche Lager gespalten waren, sich in einem Kalten Krieg bis zur Nie<strong>de</strong>rlage <strong>de</strong>r<br />

einen Seite bekämpften und wie <strong>die</strong> Menschen im „real ex<strong>ist</strong>ieren<strong>de</strong>n Sozialismus“ unter<br />

Zwang gehalten wur<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r ersten Nachricht wur<strong>de</strong> berichtet, „je<strong>de</strong>s sechste<br />

Regierungsmit glied in Bulgarien seit 1990 war vor <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> Mitarbeiter <strong>de</strong>r Staatssicherheit<br />

in <strong>de</strong>m ehemaligen Ostblockland.“ Ein vom Parlament eingesetzter Ausschuss habe insgesamt<br />

673 Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Regierungen seit 1990 überprüft und bei 108 eine frühere Stasi-Mitarbeit<br />

festgestellt.<br />

In <strong>de</strong>r zweiten Nachricht wur<strong>de</strong> mitgeteilt, das DDR-Min<strong>ist</strong>erium für Staatssicherheit (Stasi)<br />

habe „mehr Inoffizielle Mitarbeiter (IM) als bislang bekannt“ gehabt. Kurz vor <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong><br />

hätten <strong>de</strong>mnach rund 189 000 (statt 174 000) IM für <strong>die</strong> Stasi spioniert. Die Meldung bezog<br />

sich auf Auskünfte <strong>de</strong>s Büros <strong>de</strong>r Thüringer Lan<strong>de</strong>sbeauftragten für <strong>die</strong> Stasi-Unterlagen.<br />

Ferner wur<strong>de</strong> aus einer Stu<strong>die</strong> <strong>de</strong>s H<strong>ist</strong>orikers Helmut Müller-Enbergs von <strong>de</strong>r Stasi-<br />

Unterlagenbehör<strong>de</strong> in Berlin zitiert, wonach „etwa je<strong>de</strong>s 20. SED-Mitglied“ mit <strong>de</strong>r Stasi<br />

zusammengearbeitet habe.<br />

Zu Schlagzeilen brachten es <strong>die</strong>se bei<strong>de</strong>n Meldungen nicht; ihr Umfang umfasste wenig mehr<br />

als eine Kleinanzeige, veröffentlicht auf <strong>de</strong>r Seite für´s Vermischte. Das öffentliche Interesse<br />

hat sich auf an<strong>de</strong>re, zeitnähere Themen verlagert. Welche Mächte im Hintergrund <strong>die</strong> Fä<strong>de</strong>n<br />

ziehen, mag an <strong>de</strong>n Meldungen eines einzigen Tages aus <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>r Geheim<strong>die</strong>nste<br />

ver<strong>de</strong>utlichen. (2)<br />

Niemand wird <strong>de</strong>m wi<strong>de</strong>rsprechen, dass Nachrichten<strong>die</strong>nste, wie schon <strong>de</strong>r Name sagt, zur<br />

Beschaffung von Informationen beauftragt, <strong>die</strong> nicht auf <strong>de</strong>m öffentlichen Markt zu haben<br />

sind und dass <strong>die</strong>se Tätigkeit nicht gera<strong>de</strong> im Rahmen von Talks-Shows, son<strong>de</strong>rn hinter <strong>de</strong>n<br />

Kulissen, also geheim erfolgt. Insofern also Geheim<strong>die</strong>nste. Auch <strong>ist</strong> wohl je<strong>de</strong>rmann<br />

geläufig, daß <strong>die</strong>se geheimen Nachrichten<strong>die</strong>nste ihre offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter,<br />

Agenten, „Spione“, Zubringer, und in welcher Funktion auch immer, auf<br />

„sicherheitsrelevante“ Bereiche ansetzen.<br />

Spionage als „schmutziges Geschäft“ zu bezeichnen, <strong>de</strong>n Informationsbeschaffer in <strong>die</strong><br />

dunkle Welt <strong>de</strong>r Spionage einzutauchen, mit tief in <strong>die</strong> Stirn gezogenem Schlapphut und<br />

hochgestelltem Mantelkragen, be<strong>die</strong>nt das öffentliche <strong>Mein</strong>ungsbild. Auch eignet sich das<br />

Sujet hervorragend für <strong>die</strong>sbezügliche Roman- und Filmstoffe a la James Bond. Den<br />

eigentlichen Sachverhalt treffen solche Klischees weniger, zumal „alle Welt“ – worauf sich<br />

Nachrichten- und Abwehr<strong>die</strong>nste aus aller Welt natürlich berufen – im Wortsinn auf <strong>die</strong><br />

Notwendigkeit solcher Einrichtungen zum Schutz von Staat und Volk berufen. Bleibt nur<br />

noch <strong>die</strong> Frage, wer über <strong>de</strong>n „besseren“, <strong>de</strong>n „sauberen“ Dienst verfügt, im Unterschied zum<br />

zum Gegner (im Kalten Krieg <strong>de</strong>r „Klassenfeind“) an <strong>de</strong>r unsichtbaren Front.<br />

Wenn ehemalige Offiziere <strong>de</strong>s Min<strong>ist</strong>eriums für Staatssicherheit ihren Dienst mit <strong>de</strong>m Auftrag<br />

zur „Gefahrenabwehr“ rechtfertigen, dann kann ihnen unter <strong>die</strong>sen allgemeinen<br />

Seite 3


Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei I.<br />

Gesichtspunkten, <strong>die</strong> ja auch <strong>de</strong>r Westen für sich in Anspruch nimmt, und wenn man ihnen<br />

einräumt, aus i<strong>de</strong>ologischer Überzeugung gehan<strong>de</strong>lt zu haben, kaum wi<strong>de</strong>rsprochen wer<strong>de</strong>n.<br />

Wen also interessiert noch, wie <strong>die</strong> „sozial<strong>ist</strong>ischen Staatssicherheitsorgane“ als Apparate <strong>de</strong>r<br />

Staatsmacht, gegen missliebige Bürger und „feindliche“ Organisationen vorgingen.<br />

Treffen<strong>de</strong>r, weil <strong>die</strong> politische Realität präzise beschreibend, sollte immer wie<strong>de</strong>r auf <strong>die</strong><br />

Selbstbezeichnung <strong>de</strong>s MfS zum Beispiel hingewiesen wer<strong>de</strong>n. Das Min<strong>ist</strong>erium, mit<br />

Armeegeneral Erich Mielke an <strong>de</strong>r Spitze verstand sich als „Schild und Schwert <strong>de</strong>r Partei“.<br />

Mit an<strong>de</strong>ren Worten, <strong>die</strong> Deutsche Demokratische Republik (DDR) war realiter <strong>de</strong>r Staat <strong>de</strong>r<br />

SED, wie das Deutsche Reich unter <strong>de</strong>r Hitlerdiktatur <strong>de</strong>r Staat <strong>de</strong>r NSDAP war, mit <strong>de</strong>r SS<br />

als Parteiarmee und <strong>de</strong>r Geheimen Staatspolizei (Gestapo) und <strong>de</strong>m Sicherheits<strong>die</strong>nst (SD)<br />

als <strong>de</strong>n <strong>die</strong>sbezüglichen Organen. Dies sei angemerkt, soweit ein solcher Vergleich zulässig<br />

<strong>ist</strong>. Den Rahmen, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Grenzen zieht, setzen <strong>die</strong> Kapitalverbrechen <strong>de</strong>r Nazis.<br />

Da also <strong>die</strong> Apologeten <strong>de</strong>r Stasi-Ex<strong>ist</strong>enz, als welche sich Anfang 2008 auch eine<br />

Abgeordnete <strong>de</strong>r neuen Linkspartei outete, sich auf <strong>die</strong>se Seite <strong>de</strong>r Medaille, nämlich <strong>de</strong>n<br />

Verteidigungs-Auftrag berufen, <strong>ist</strong> es zwingend, <strong>die</strong> Kehrseite <strong>de</strong>r damit verbun<strong>de</strong>nen<br />

Operationen ins Licht zu rücken. Abwehr (Informationsbeschaffung) war immer auch<br />

verknüpft mit Angriff (Desinformation etc.). Zum „Schild“ gehörte das „Schwert“. Der<br />

Kampf für <strong>de</strong>n Sieg <strong>de</strong>s eigenen Systems schloss <strong>die</strong> Bekämpfung <strong>de</strong>r An<strong>de</strong>ren mit allen<br />

Mitteln ein, <strong>die</strong> operativen Maßnahmen schreckten vor keiner Metho<strong>de</strong> zurück, von <strong>de</strong>r<br />

Desinformation zur Unterminierung und Schwächung <strong>de</strong>r gegnerischen Seite bis zur<br />

physischen Vernichtung von „feindlichen Kräften“, Insurgenten sowie Verrätern aus <strong>de</strong>n<br />

eigenen Reihen. Die Unterlagen aus <strong>de</strong>n Archiven <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Staatssicherheitsorgane<br />

lassen keine Zweifel aufkommen. Diese Tatsache sollte allerdings nicht dazu veranlassen, <strong>die</strong><br />

Augen beim Blick nach Westen, in bestimmte Richtungen, zu verschließen.<br />

Die bei<strong>de</strong>n eingangs erwähnten Agenturmeldungen haben keinerlei öffentliche Reaktion<br />

verursacht, <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n gingen zur Tagesordnung über. Nachrichten aus <strong>de</strong>m Geheim<strong>die</strong>nst-<br />

Milieu fin<strong>de</strong>n im Jahr <strong>de</strong>r Olympischen Spiele insbeson<strong>de</strong>re aus China in <strong>die</strong> Schlagzeilen.<br />

Stichworte: Menschenrechte, Religionsfreiheit und vor allem „Tibet“. Auch im<br />

Zusammenhang mit Wladimir Putins politischen Muskelspielen wird von Zeit zu Zeit über<br />

alte und neue Ka<strong>de</strong>r gesprochen. In <strong>de</strong>r westlichen Hemisphäre sorgen Nachrichten- und<br />

Geheim<strong>die</strong>nste vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r Konflikte im Nahen und Mittleren Osten, aber auch<br />

in Afrika und Lateinamerika für aktuellen Gesprächsstoff. Da gerät das Interesse an <strong>de</strong>r<br />

Vergangenheit ins Hintertreffen.<br />

Aus <strong>de</strong>n Untersuchungsbehör<strong>de</strong>n fließen <strong>die</strong> Informationen eher spärlich, zumal aus <strong>de</strong>n<br />

Institutionen für <strong>die</strong> Aufklärung <strong>de</strong>r Stasi-Vergangenheit in <strong>de</strong>n ehemaligen Ostblock-Staaten<br />

außerhalb <strong>de</strong>r DDR. Die spektakulären Fälle scheinen abgearbeitet zu sein; an<strong>de</strong>re Vorgänge<br />

erledigen sich durch <strong>de</strong>n natürlichen Abgang, sprich Tod, schuldig gewor<strong>de</strong>ner Personen,<br />

wohl kann man auch <strong>de</strong>n Eindruck gewinnen, als sei eine weitere intensive Beschäftigung mit<br />

<strong>de</strong>r „Vergangenheit“ <strong>de</strong>m einen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren aus <strong>de</strong>m parteipolitischen Lager unserer Tage<br />

nicht mehr opportun, nach <strong>de</strong>m Motto <strong>de</strong>r Becher-Hymne: „…und <strong>de</strong>r Zukunft zugewandt.“<br />

Den Rest von Verschleierungstaktik und Geschichtskosmetik besorgen alte und neu<br />

auferstan<strong>de</strong>ne „Seilschaften.“<br />

Es <strong>ist</strong> zwar davon auszugehen, dass <strong>die</strong> beauftragten Untersuchungs-Behör<strong>de</strong>n bis zu ihrer<br />

beschlossenen Auflösung akribisch auch <strong>die</strong> letzten Krümel <strong>de</strong>r Stasi-Hinterlassenschaften<br />

Seite 4


Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei I.<br />

sammeln wer<strong>de</strong>n – eher dann wohl zu wissenschaftlichen Zwecken. Auch bemühen sich<br />

staatliche Stellen und private Organisationen, <strong>die</strong> Erinnerung an das Geschehen an dazu<br />

bestimmten Ge<strong>de</strong>nktagen und an<strong>de</strong>ren gegebenen Anlässen wach zu halten. An<strong>de</strong>rerseits<br />

unterliegt das öffentliche Bewusstsein offenbar einem Trägheitsmoment, <strong>de</strong>ssen Reizschwelle<br />

auf einen Ruhepunkt abgesenkt scheint, <strong>de</strong>r sich erst dann aktiviert, wenn es in <strong>de</strong>r Regel zu<br />

spät <strong>ist</strong>, wie <strong>die</strong> Geschichte an manchen Beispielen lehrt.<br />

In <strong>de</strong>r vorgesehenen Folge von Beiträgen, <strong>de</strong>r vierten Staffel, <strong>die</strong> sich aus <strong>de</strong>r Auswertung<br />

von Unterlagen <strong>de</strong>s ehemaligen DDR Min<strong>ist</strong>eriums für Staatssicherheit und eigenen<br />

Recherchen ergeben, soll <strong>die</strong> Lei<strong>de</strong>nsgeschichte <strong>de</strong>r (katholischen) Kirche in <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei dargestellt wer<strong>de</strong>n. Sie betrifft sowohl Vorgänge innerhalb <strong>de</strong>s<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Staates zwischen Prag und Pressburg (Bratislava) als auch <strong>die</strong> in Rom, im<br />

Umfeld <strong>de</strong>s Vatikans, durchgeführten operativen Maßnahmen. Was in <strong>de</strong>n Jahren <strong>de</strong>r<br />

Unterdrückung geschah, <strong>ist</strong> nur mühsam zu rekonstruieren, <strong>de</strong>r Zugang zu <strong>de</strong>n Staatsarchiven<br />

nach wie vor schwierig, wenn nicht unmöglich. Dank einiger Zeitzeugen, ausnahmslos<br />

Betroffene, <strong>die</strong> zu Auskünften bereit waren, lässt sich doch ein einigermaßen zutreffen<strong>de</strong>s<br />

Bild zeichnen. Es soll mit <strong>de</strong>m Bekenntnis eines damals geheim geweihten Priesters, <strong>de</strong>r<br />

wegen seiner „illegalen Tätigkeit“ von <strong>de</strong>r Geheimpolizei verhaftet wur<strong>de</strong> und vier Jahre ohne<br />

Gerichtsverfahren hinter Gittern saß, überschrieben wer<strong>de</strong>n: „Ich habe getan, was richtig war.<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Gewissen</strong> <strong>ist</strong> <strong>die</strong> <strong>Wahrheit</strong>.“<br />

1) vgl. Deutsche Presseagentur dpa, abgedruckt im Wiesba<strong>de</strong>ner Kurier vom 15. Februar und 11. März 2008.<br />

2) Der Wiesba<strong>de</strong>ner Kurier vom 18. 3. 2008 übernahm folgen<strong>de</strong> Agentur-Meldungen (dpa):<br />

„Polnischer Beamter spionierte für BND“. Ein Offizier aus <strong>de</strong>m Büro für Regierungsschutz BOR habe 1997<br />

unter an<strong>de</strong>rem das Arbeitszimmer <strong>de</strong>s damaligen Min<strong>ist</strong>erpräsi<strong>de</strong>nten zwecks Anbringung von „Wanzen“<br />

ausspioniert. Die polnische Agentur für Innere Sicherheit ABW untersuche <strong>de</strong>n Fall.<br />

„Wie China das Internet zensiert“. In <strong>de</strong>r Volksrepublik China gebe es bis auf <strong>die</strong> Son<strong>de</strong>rverwaltungszonen<br />

Hongkong und Macao keinen freien Zugang zum Internet. Zur Kontrolle <strong>de</strong>r Netzverbindungen habe das<br />

Min<strong>ist</strong>erium für Öffentliche Sicherheit in Peking ein gigantisches Filtersystem errichten lassen.<br />

„Serbien Regierungschef Kostunica heizt über <strong>de</strong>n Geheim<strong>die</strong>nst Konflikte im Kosovo an“. In <strong>de</strong>m<br />

Korrespon<strong>de</strong>ntenbericht aus Belgrad über <strong>die</strong> gewaltsamen Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen zwi-schen Serben und<br />

Albanern nach <strong>de</strong>r Unabhängigkeitserklärung <strong>de</strong>s Kosovo heißt es, <strong>de</strong>r nationalkonservative serbische<br />

Min<strong>ist</strong>erpräsi<strong>de</strong>nt Vojislav Kostunica stecke hinter <strong>de</strong>n Unruhen. Über <strong>die</strong> Rolle <strong>de</strong>s serbischen Geheim<strong>die</strong>nstes<br />

BIS , <strong>de</strong>r von Kostunicas Vertrauensleuten geführt wer<strong>de</strong>, könne nur spekuliert wer<strong>de</strong>n. In je<strong>de</strong>m Fall bestreite<br />

niemand, „dass <strong>die</strong> BIA traditionell im Nor<strong>de</strong>n Kosovos beson<strong>de</strong>rs aktiv“ sei.<br />

Seite 5


Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei II.<br />

II. In Pilsen ein Park <strong>de</strong>r Versöhnung<br />

An einem regnerischen Montag Anfang Juli 2007 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r ehemalige Oberst Lubos Hruska 1<br />

in Pilsen mit kirchlichem Segen und militärischen Ehren zu Grabe getragen, unter großer<br />

Anteilnahme <strong>de</strong>r Bevölkerung, wie es bei Anlässen <strong>die</strong>ser Art heißt. Denn <strong>de</strong>r Offizier – in<br />

<strong>de</strong>r Traueranzeige mit knappen Worten als „tschechischer Soldat“ bezeichnet – war nach <strong>de</strong>r<br />

politischen Wen<strong>de</strong> nicht nur stadt- son<strong>de</strong>rn auch lan<strong>de</strong>sweit bekannt gewor<strong>de</strong>n: als<br />

„Gefangener <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen Regimes“, <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong> sich nicht in<br />

Hassgefühlen und Rachegedanken erging, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Weg für <strong>die</strong> wie<strong>de</strong>r freie<br />

Tschechoslowakei aufzeigte, als Initiator eines „Parks <strong>de</strong>r Versöhnung“ in seiner Heimatstadt.<br />

Zu <strong>de</strong>r Trauerfeier waren mit <strong>de</strong>n Angehörigen auch alte Weggefährten, sowie politische<br />

Prominenz aus Prag, so <strong>de</strong>r Verteidigungsmin<strong>ist</strong>er, und eine Anzahl höherrangige Träger <strong>de</strong>r<br />

neuen Uniform erschienen, manche vielleicht auch um zu <strong>de</strong>monstrieren, dass sie unbelastet<br />

sind. Das Requiem in <strong>de</strong>r Bartholomäus-<strong>Kath</strong>edrale am Platz <strong>de</strong>r Republik leitete <strong>de</strong>r<br />

Pilsener Diözesanbischof Frantisek Radkovský. Die „Anteilnahme <strong>de</strong>r Öffentlichkeit“ sollte<br />

nicht an <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r Anwesen<strong>de</strong>n bemessen wer<strong>de</strong>n. Wer sich an <strong>die</strong>sem ersten Arbeitstag<br />

<strong>de</strong>r Woche freimachte, gehörte zu jenen, <strong>die</strong> – wenn sie <strong>de</strong>m Verstorbenen nicht persönlich<br />

nahe stan<strong>de</strong>n – so doch in seiner Lei<strong>de</strong>nsgeschichte aus <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r Verfolgung verbun<strong>de</strong>n<br />

waren. Nicht wenige, ältere zumal, aus eigener Erfahrung.<br />

Lubos Hruska hat ein Vermächtnis hinterlassen, das unaufdringlich, gera<strong>de</strong>zu einla<strong>de</strong>nd, auch<br />

junge Menschen anspricht, <strong>die</strong> jene dunklen Jahre <strong>de</strong>r Menschenverachtung nicht erlebt<br />

haben. Aus seiner Vision wur<strong>de</strong> ein „Meditationsgarten“ – reich mit Blumen, Gewächsen und<br />

Gewässern besetzt. Den zentralen Ort bil<strong>de</strong>t ein „Mahnmal für <strong>die</strong> Opfer <strong>de</strong>s Bösen“. Der<br />

Besucher geht 14 Kreuzwegstationen mit zum Teil überlebensgroßen Figuren und fin<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n<br />

Weg zu einer Kapelle, <strong>die</strong> geweiht <strong>ist</strong> auf <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>s heiligen Maximilian Kolbe, <strong>de</strong>r in<br />

Auschwitz anstelle eines Mitgefangenen in <strong>de</strong>n Tod ging. Die Botschaft, <strong>die</strong> Lubos Hruska<br />

seinem Werk beifügte, <strong>ist</strong> klar. Sie spricht von Hoffnung, <strong>Wahrheit</strong>, Vergebung und<br />

Versöhnung.<br />

Selbstverständlich soll sich <strong>de</strong>r Besucher in <strong>die</strong>ser parkähnlichen Anlage, <strong>die</strong> seit 1995 vom<br />

B<strong>ist</strong>um Pilsen verwaltet wird, auch „ganz einfach“ erholen können, „neue Kräfte für <strong>de</strong>n<br />

Alltag schöpfen“ – und doch soll sie darüber hinaus eine „Stätte <strong>de</strong>r Genesung <strong>de</strong>r<br />

Menschenseele“ sein, wie es in einem auch in englischer, <strong>de</strong>utscher und französischer<br />

Sprache herausgegebenen Prospekt etwas blumig heißt.<br />

Benedikt XVI. vor <strong>de</strong>n Vereinten Nationen<br />

Am 10. Dezember 1948 verabschie<strong>de</strong>te <strong>die</strong> Generalversammlung <strong>de</strong>r Vereinten Nationen <strong>die</strong><br />

Resolution 217 A (III). Hinter <strong>de</strong>r bürokratisch anmuten<strong>de</strong>n Signatur verbirgt sich <strong>die</strong><br />

fundamentalste Willenserklärung <strong>de</strong>s neuen Völkerbun<strong>de</strong>s nach <strong>de</strong>n Heimsuchungen durch<br />

zwei Weltkriege in <strong>de</strong>r ersten Hälfte jenes Jahrhun<strong>de</strong>rts: Die „Allgemeine Erklärung <strong>de</strong>r<br />

Menschenrechte als das von allen Völkern und Nation zu erreichen<strong>de</strong> gemeinsame I<strong>de</strong>al“.<br />

Wie es um <strong>die</strong> Umsetzung <strong>die</strong>ses Bekenntnisses in <strong>die</strong> gesellschaftliche und politische Praxis<br />

stand, erwies sich an <strong>de</strong>n weltpolitischen Realitäten: Noch herrschten Kolonialstrukturen in<br />

Län<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Titel „Dritte Welt“ und „unterentwickelt“ angeheftet wur<strong>de</strong>. Daraus<br />

Seite 6


Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei II.<br />

erwuchs <strong>die</strong> Hypothek <strong>de</strong>s Kapitalismus westlicher Industriestaaten. Der so genannte Nord-<br />

Süd-Konflikt kreuzte sich mit einem an<strong>de</strong>ren, <strong>die</strong> Welt an <strong>de</strong>n Rand eines Dritten Weltkrieges<br />

bringen<strong>de</strong>n. Die Gegenpole waren jetzt i<strong>de</strong>ologischer Natur. Unter Ost-West-Konflikt wur<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Gegensatz <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n „Supermächten“ USA und Sowjetunion angeführten<br />

„Blöcke“ verstan<strong>de</strong>n. Bei<strong>de</strong> Seiten waren von ihren politisch-ökonomische Systemen<br />

überzeugt, <strong>de</strong>n „Wohlstand <strong>de</strong>r Nationen“ verheißen. Die Exekutiv-Organe <strong>de</strong>r jeweiligen<br />

Staats-Systeme waren davon überzeugt, für <strong>die</strong> bessere I<strong>de</strong>e einzutreten, abge<strong>de</strong>ckt von Recht<br />

und Gesetz ihrer jeweiligen politischen Auftraggeber.<br />

Auf <strong>die</strong>ses Missverständnis hat Papst Benedikt XVI. in seiner Re<strong>de</strong> vor <strong>de</strong>n Vereinten<br />

Nationen am 18. April 2008. 2 Mögen seine Ausführungen auf <strong>die</strong> aktuelle Weltlage bezogen<br />

sein, so geben sie Anlass, in <strong>die</strong> Vergangenheit zurückzublicken. Vor <strong>de</strong>m Weltforum legte<br />

<strong>de</strong>r Papst <strong>die</strong> Ethik politischen Han<strong>de</strong>lns dar, zumal <strong>die</strong> aus <strong>de</strong>m chr<strong>ist</strong>lichen Glauben<br />

<strong>de</strong>finierte. (Dieser Zusammenhang erinnert an ein Diktum <strong>de</strong>s Vorgängers: Politik sei auch<br />

eine Ethik, eine chr<strong>ist</strong>liche Ethik. 3 ) Breiten Raum widmete Benedikt <strong>de</strong>n Menschenrechten.<br />

Er zog <strong>die</strong> Grenze, ab wann moralische Prinzipien über jur<strong>ist</strong>ischen Regelungen stehen, dann<br />

nämlich, wenn Gesetze <strong>die</strong> Moral unterlaufen und außer Kraft setzen. Er sagte: „Natürlich<br />

müssen <strong>die</strong> Menschenrechte das Recht <strong>de</strong>r Religionsfreiheit einschließen, verstan<strong>de</strong>n als<br />

Ausdruck einer zugleich individuellen als auch gemeinschaftlichen Dimension - eine<br />

Vorstellung, welche <strong>die</strong> Einheit <strong>de</strong>r Person ausdrückt, wobei sie klar zwischen <strong>de</strong>m Rahmen<br />

<strong>de</strong>s Bürgers und <strong>de</strong>s Gläubigen unterschei<strong>de</strong>t“, führte Benedikt weiter aus. Dass er damit<br />

nicht <strong>de</strong>n Akzent auf <strong>die</strong> konfliktträchtige Rolle <strong>de</strong>s „Chr<strong>ist</strong>en im Sozialismus“ legt, son<strong>de</strong>rn<br />

auf das chr<strong>ist</strong>liche <strong>Gewissen</strong> als Maßstab staatsbürgerlichen Verhaltens, liegt auf <strong>de</strong>r Hand.<br />

Die Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Papstes vor <strong>de</strong>m Weltparlament lässt sich ohne weiteres auch auf <strong>die</strong> Thematik<br />

<strong>die</strong>ser Beitragsreihe über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg beziehen. Sie gilt insbeson<strong>de</strong>re,<br />

und mehr als für an<strong>de</strong>re Satellitenstaaten <strong>de</strong>s ehemaligen Sowjetimperiums für <strong>die</strong> damals<br />

kommun<strong>ist</strong>isch beherrschte Tschechoslowakei. Es betrifft <strong>de</strong>n Personenkreis, <strong>de</strong>r als erster<br />

<strong>de</strong>r Unfreiheit und <strong>de</strong>r Verfolgung durch <strong>die</strong> Geheimpolizei StB 4 zum Opfer fiel:<br />

Bürgerrechtler und Angehörige <strong>de</strong>r Kirchen, sowohl aus <strong>de</strong>m Klerus wie unter <strong>de</strong>n Laien.<br />

Auf welche Probe Menschen gestellt wur<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> ihrem Glauben und ihrer gesellschaftlichen<br />

Verantwortung in <strong>die</strong>sem Zusammenhang treu blieben, enthüllen <strong>die</strong> Papiere aus <strong>de</strong>n Akten<br />

<strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Staatssicherheitsorgane. In <strong>de</strong>n Hauptstädten <strong>de</strong>s ehemaligen<br />

„Ostblocks“ begannen, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Beispiel folgend, als politisch unabhängig konzipierte<br />

Behör<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>n letzten Jahren mit <strong>de</strong>r Sichtung <strong>de</strong>s Stasi-Materials, das nicht vom Reißwolf<br />

gefressen wor<strong>de</strong>n war. Das Material aus <strong>de</strong>n Fünfziger Jahren sei weitgehend vernichtet o<strong>de</strong>r<br />

nicht auffindbar, war in Prag zu hören, aus <strong>de</strong>n Sechziger Jahren nur noch Bruchstücke<br />

überliefert.<br />

Lustration mit bleiben<strong>de</strong>n Flecken<br />

Die Ermittlungen, begleitet von nicht geringen Schwierigkeiten, stützten sich auf das so<br />

genannte „Lustrationsgesetz“. 5 Zunächst sollte eine <strong>de</strong>m Innenmin<strong>ist</strong>erium unterstellt<br />

Behör<strong>de</strong> (UDV) 6 <strong>die</strong> in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Herrschaft durch Sicherheitskräfte<br />

begangenen Verbrechen auf<strong>de</strong>cken. Dass sich Wi<strong>de</strong>rstand von „interessierter Seite“ regte, wo<br />

doch <strong>de</strong>r Blick „nach vorne“ gerichtet sein sollte, war zu erwarten. Und wenn <strong>die</strong><br />

Vergangenheit „erhellt“ wer<strong>de</strong>n sollte, dann zunächst h<strong>ist</strong>orisch-wissenschaftlich, bevor <strong>de</strong>r<br />

Öffentlichkeit ein Ergebnis mit geteilt wür<strong>de</strong>. Damit hätten Betroffen eine jahrelange<br />

Seite 7


Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei II.<br />

„Ruhepause“ erhoffen dürfen. Die Folge: Einzelne Fundstücke kamen in <strong>die</strong> Schlagzeilen. Ein<br />

Vorgang, <strong>de</strong>r einer seriösen Aufklärung nicht gera<strong>de</strong> <strong>die</strong>nlich war. Auch innerkirchlich hakte<br />

es. Einige Bischöfe zeigten wenig Neigung, Fälle, in <strong>de</strong>nen Priester verwickelt waren,<br />

öffentlich aufzurollen, son<strong>de</strong>rn allenfalls intern und in Absprache „mit Rom“ zu regeln.<br />

Im Parlament kam es zu erregten Debatten, <strong>die</strong> Linke giftete, es sollte nicht nur auf <strong>die</strong> Zeit<br />

<strong>de</strong>s Kalten Krieges gezielt wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch auf <strong>die</strong> Jahre <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Besetzung und<br />

damalige Nazi-Kollaborateure. Sie in <strong>de</strong>r konservativen Ecke zu suchen und daraus<br />

parteipolitisches Kapital zu schlagen, dürfte offensichtlich gewesen sein. Auch kam es zu<br />

internen Spannungen in <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> selbst. Wenn Personen mit unterschiedlicher Erfahrung<br />

zusammengesetzt wer<strong>de</strong>n, Opfer <strong>de</strong>s Unrechts-Regimes und jüngere Kollegen, gehen <strong>die</strong><br />

<strong>Mein</strong>ungen über <strong>die</strong> Vorgehensweise auseinan<strong>de</strong>r. Druck von außen macht <strong>die</strong> Sache nicht<br />

leichter.<br />

Eine weitere Problematik lückenloser Aufklärung ergab sich aus <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

tschechoslowakischen Fö<strong>de</strong>ration und <strong>die</strong> Rückkehr zu zwei separaten Nationen und<br />

unabhängigen Staaten am 1. Januar 1993. Stasi-Material, das <strong>die</strong> Slowakei betraf, wur<strong>de</strong> nach<br />

Bratislava überführt, in <strong>die</strong> Obhut <strong>de</strong>s dortigen neuen Sicherheits<strong>die</strong>nstes SIS. Ein weiterer<br />

Sperr-Riegel hat sich vor das Projekt „Offene Vergangenheit“ geschoben, mit <strong>de</strong>r<br />

Begründung, <strong>die</strong> „nationale Sicherheit“ nicht zu gefähr<strong>de</strong>n. Einerseits ein ernst zu nehmen<strong>de</strong>s<br />

Argument, angesichts <strong>de</strong>r internationalen Terrorgefahr, an<strong>de</strong>rerseits ein je<strong>de</strong>rzeit anwendbarer<br />

„Gummiparagraph“ – im Übrigen kein Son<strong>de</strong>rproblem für <strong>die</strong> Behör<strong>de</strong>n in Prag und<br />

Pressburg. Aus nachrichten<strong>die</strong>nstlicher Sicht kam wohl hinzu, im Ausland, namentlich im<br />

Nahen Osten, resi<strong>die</strong>ren<strong>de</strong> Agenten und ehemalige und möglicherweise weiterhin tätige V-<br />

Leute vor <strong>de</strong>r Enttarnung zu schützen. Last but not least: Was nicht belegt wer<strong>de</strong>n kann, wird<br />

<strong>de</strong>nnoch flüsternd behauptet, dass alte Seilschaften sich neu formierten und mit allen Mitteln<br />

versuchten, belasten<strong>de</strong>s Material unter Verschluss zu halten o<strong>de</strong>r verschwin<strong>de</strong>n zu lassen.<br />

Inzwischen <strong>ist</strong> das Prager UDV in einem eigenständigen „Institut zur Erforschung <strong>de</strong>r Regime<br />

<strong>de</strong>s Totalitarismus“ übergegangen, vergleichbar <strong>de</strong>m bereits im Jahr 2002 in Bratislava<br />

gegrün<strong>de</strong>ten slowakischen Institut <strong>de</strong>s nationalen Ge<strong>de</strong>nkens (UPN). Dieses hat inzwischen<br />

alle angeblich verfügbaren slowakischen Stasi-Akten öffentlich zugänglich gemacht.<br />

Unterschiedliche Zugänge bei <strong>de</strong>r Aufarbeitung <strong>de</strong>r Vergangenheit erschweren für<br />

Außenstehen<strong>de</strong> wie für <strong>die</strong> Forschung an Moldau und Donau eines klaren Bild <strong>de</strong>r Jahrzehnte<br />

gemeinsamer Vergangenheit. Schwer wiegen h<strong>ist</strong>orische Elemente. Die Kommun<strong>ist</strong>en<br />

bei<strong>de</strong>rlei Provenienz nehmen für sich in Anspruch, vor allem <strong>de</strong>r nationalen Sache<br />

verpflichtet gewesen zu sein, und erfahren von ihren Parteigängern auch heute noch eine<br />

gewisse Absolution.<br />

Der tschechische Nationalismus und Nationalkommunismus, schöpfte auch aus h<strong>ist</strong>orischen<br />

Quellen, eingefärbt durch antikatholische Ressentiments. Stichworte: <strong>die</strong> Wiener<br />

Donaumonarchie; <strong>de</strong>r slowakische Marionettenstaat von Hitlers Gna<strong>de</strong>n unter Führung <strong>de</strong>s<br />

katholischen Priesters Jozef Tiso; 7 und weiter zurück: das nationale Erwachen im 15.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt, das sich auch aus antikatholischen Ressentiments spe<strong>ist</strong>e (für <strong>die</strong> einen mit Jan<br />

Hus als Reformator an <strong>de</strong>r Spitze, durch eine Lüge <strong>de</strong>s Kaisers nach Konstanz gelockt und<br />

dort verbrannt; für an<strong>de</strong>re Jan Zizka an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>s Hussiten-Heeres mit <strong>de</strong>r Fahne<br />

Böhmens gegen kaiserliche und katholische Vormacht).<br />

Seite 8


Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei II.<br />

Unter entgegen gesetzten Vorzeichen wur<strong>de</strong> von Bratislava bis zur Hohen Tatra <strong>de</strong>n<br />

Kommun<strong>ist</strong>en zugute gehalten, vor allem <strong>de</strong>r „slowakischen Sache“ ge<strong>die</strong>nt zu haben. Eine<br />

Liebesbeziehung war <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r vorausgegangene fö<strong>de</strong>rale Zusammenschluss <strong>de</strong>r Bru<strong>de</strong>rvölker,<br />

ob republikanisch-<strong>de</strong>mokratisch o<strong>de</strong>r vom sozial<strong>ist</strong>ischen Einheitsstaat inspiriert, ohnehin<br />

nicht.<br />

Diese „mil<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Umstän<strong>de</strong>“ sollten sich auch auf eine schonen<strong>de</strong> Bearbeitung von<br />

Belastungsmaterial auswirken, so schien es zumin<strong>de</strong>st in <strong>de</strong>r Anfangszeit <strong>de</strong>r Ermittlungen,<br />

insbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong> Stasi-Spitze betreffend. Urteile führten nicht zwangsläufig zur<br />

Strafverbüßung, wie im Falle <strong>de</strong>s Stasi-Chefs General Alois Lorenz. 8 Die Arbeit <strong>de</strong>r Institute<br />

setzt sich fort. Inzwischen <strong>ist</strong> eine Reihe von Publikationen erschienen, beginnend mit<br />

Kriegsen<strong>de</strong> 1945 und <strong>de</strong>n 50er Jahren, als <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r schlimmsten Verfolgung, <strong>die</strong> man nicht<br />

zufällig <strong>die</strong> stalin<strong>ist</strong>ische nannte. Sie traf auf kirchlicher Seite vor allem <strong>die</strong> Priesterschaft, <strong>de</strong>n<br />

Diözesanklerus und <strong>die</strong> Or<strong>de</strong>nsgemeinschaften. Die Kirche sollte ihrer Strukturen beraubt und<br />

auf <strong>die</strong>se Weise erledigt wer<strong>de</strong>n. Durch <strong>die</strong> sorgfältige Arbeit <strong>de</strong>r erwähnten Institute wie<br />

durch das Zeugnis individueller Aussagen kommt <strong>die</strong> <strong>Wahrheit</strong> Schritt für Schritt an <strong>de</strong>n Tag.<br />

Menschen wie Lubos Hruska wür<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n wahren Gewinn aus <strong>die</strong>sesem Prozess <strong>de</strong>r<br />

Lustration wohl darin sehen, dass er nicht alte Wun<strong>de</strong>n aufreißt, neue schlägt, nach Rache und<br />

Vergeltung ruft, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Maxime <strong>de</strong>s Offiziers folgt, <strong>de</strong>r einen „Garten <strong>de</strong>r Meditation“<br />

hinterliess: Versöhnung – Ja; Vergessen – Nein. Um <strong>de</strong>r Opfer willen, und, wie es ein<br />

Kirchenmann in Prag formulierte, <strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>r Verfolgung gelitten hatte – für kommen<strong>de</strong><br />

Generationen.<br />

1 Lubos Hruska (1927-2007) gehörte zu <strong>de</strong>n Offizieren, <strong>die</strong> nach <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Machtübernahme<br />

inhaftiert wur<strong>de</strong>n und jahrelang in Gefängnissen festgehalten wur<strong>de</strong>n unter Bedingungen, <strong>die</strong> viele nicht<br />

überlebten.<br />

2 Re<strong>de</strong> von Papst Benedikt XVI. vor <strong>de</strong>r Vollversammlung <strong>de</strong>r Vereinten Nationen in New York, v. 8. April<br />

2008 / Deutsche Übersetzung vom Autor.<br />

3 aus einem Interview, das Johannes Paul II. <strong>de</strong>m Autor auf <strong>de</strong>m Rückflug von Santo Domingo nach Rom gab,<br />

(ZDF, „Zur Zeit“ v. 18. Oktober 1992).<br />

4 StB (Statni bezpecnost). Staatliche politische Sicherheits- und Geheimpolizei, ab 1948 von <strong>de</strong>r KP <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei kontrolliert, 1990 von Innenmin<strong>ist</strong>er Richard Sacher aufgelöst.<br />

5„Lustrationsgesetz“ : 1989, nach <strong>de</strong>r erfolgreichen „samtenen Revolution“, erstmals verabschie<strong>de</strong>t, vom<br />

Parlament <strong>de</strong>r Fö<strong>de</strong>ration 1991 bestätigt und 2000 modifiziert mit <strong>de</strong>m Ziel, kommun<strong>ist</strong>ische Funktionäre aus<br />

<strong>de</strong>r staatlichen Verwaltung auszuschließen. Religiösem Vokabular mit lateinischer Wurzel entlehnt, be<strong>de</strong>utet <strong>de</strong>r<br />

Begriff soviel wie „feierliche Reinigung durch Sühneopfer“ .<br />

6 UDV – Urad dokumentace a vysetrovani zlocinu komunismu sluzby kriminalnu policie – Amt für <strong>die</strong><br />

Dokumentation und Ermittlung <strong>de</strong>r Verbrechen <strong>de</strong>s Kommunismus und <strong>de</strong>r Kriminalpolizei<br />

7 Jozef Tiso (1887-1947), katholischer Priester, Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r ersten als unabhängig propagierten Slowakei.<br />

Tatsächlich aber stand sie als so genannter „Schutzstaat“ unter vollständiger Kontrolle Hitler<strong>de</strong>utschlands, das -<br />

nach <strong>de</strong>r Zerschlagung <strong>de</strong>r Tschechoslowakei - <strong>die</strong> „Rest-Tschechei“ wie ein „Schutzgebiet“ (Reichsprotektorat<br />

Böhmen und Mähren) führte. Tiso wur<strong>de</strong> am 17. April 1947 in Bratislava hingerichtet. Ihm war vorgeworfen<br />

wor<strong>de</strong>n, mitschuldig an <strong>de</strong>r Deportation und Vernichtung <strong>de</strong>r slowakischen Ju<strong>de</strong>n gewor<strong>de</strong>n zu sein. Aus Anlass<br />

<strong>de</strong>s 61. To<strong>de</strong>stages von Tiso feierte Erzbischof Ján Sokol von Trnava/Tyrnau einen Ge<strong>de</strong>nkgottes<strong>die</strong>nst. Der<br />

Prälat war in <strong>de</strong>r Vergangenheit durch Verharmlosung <strong>de</strong>s Tiso-Regimes aufgefallen und soll <strong>die</strong>se Jahre als<br />

„Zeit <strong>de</strong>s Wohlstan<strong>de</strong>s“ für <strong>die</strong> Slowaken bezeichnet haben. (vgl. SME v. 19. 4. 2008 / n-tv. <strong>de</strong> v. 21. 4. 2008).<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei II.<br />

Im Februar 2007 war Sokol in Verdacht geraten für <strong>de</strong>n Staatssicherheits<strong>die</strong>nst gespitzelt zu haben. Nach<br />

anfänglichen Dementis räumte er schließlich solche „Kontakte“ ein. Diese seien allerdings „erzwungen“ und<br />

„erniedrigend“ gewesen seien. (vgl. ORF news v. 27. 02. 2007 - religion. ORF. at/news )<br />

8 General Alois Lorenz war nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong>, noch vor <strong>de</strong>r Aufhebung <strong>de</strong>r Fö<strong>de</strong>ration, wegen rechtswidriger<br />

Aktenvernichtung und Verhaftung von rund 300 Dissi<strong>de</strong>nten zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wor<strong>de</strong>n. Er<br />

entzog sich <strong>de</strong>m Strafvollzug durch Übersiedlung in seine slowakische Heimat. Das 1998 ausgesetzte Verfahren<br />

wur<strong>de</strong> später wie<strong>de</strong>r aufgenommen. Im April 2002 erhielt <strong>de</strong>r Ex-Stasi-General „wegen Machtmissbrauchs“ 15<br />

Monate auf Bewährung. (vgl. Jan Pauer: Die Aufarbeitung <strong>de</strong>r Diktaturen in Tschechien und <strong>de</strong>r Slowakei“ ,<br />

Bun<strong>de</strong>szentrale für politische Bildung bpb. Aus Politik und Zeitgeschichte / APuZ 42/2006<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei III.<br />

III. Priester vor kommun<strong>ist</strong>ischen Tribunalen<br />

Unter <strong>de</strong>m Datum vom 21. November 1950 reicht <strong>de</strong>r Staatsprokurator in Prag eine das<br />

herrschen<strong>de</strong> Regime entlarven<strong>de</strong> Anklageschrift beim Staatsgerichtshof ein: „z.Hd. <strong>de</strong>s Herrn<br />

Senatsvorsitzen<strong>de</strong>n“. Er erhebt Anklage, dass ThDr. Stanislav Zela, Weihbischof und<br />

Generalvikar <strong>de</strong>r Erzdiözese Olmütz; Jan Opasek, Abt <strong>de</strong>s Brevnover Benedikinerklosters;<br />

Th.Dr. Stanislaw Jarolimek, Abt <strong>de</strong>s Prämonstratenserstiftes Strahov; ThDr. Josef Cihák,<br />

Prälat Erzdiakonus <strong>de</strong>s Metropolitankapitels von St.Veit, Prag; ThDr. Otakar Svec,<br />

päpstlicher Prälat und Metropolitankanonikus von St. Veit; ThDr. Jaroslav Kulac, Direktor<br />

<strong>de</strong>s Missionsverban<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Ge<strong>ist</strong>lichkeit; ThDr. Antonin Mandl, Direktor; ThDr. Jan Boukal,<br />

erster Sekretär <strong>de</strong>s Erzb<strong>ist</strong>ums Prag; Václav Mrtvy, Or<strong>de</strong>nspriester <strong>de</strong>r Salesianerkongrega<br />

tion, „alle <strong>de</strong>rzeit in Haft, sich <strong>de</strong>s Verbrechens <strong>de</strong>s Hochverrats, <strong>de</strong>r Spionage und weiterer in<br />

<strong>de</strong>r Anklageschrift geschil<strong>de</strong>rten Verbrechen schuldig gemacht haben.“ Den „Beschuldigten<br />

Abt Opasek“ bezeichnet <strong>de</strong>r Staatsanwalt als einen „<strong>de</strong>r vertrautesten Agenten <strong>de</strong>s Vatikans.“<br />

Der Prozessverlauf im Verfahren gegen „Bischof Zela und Komplizen“ sowie das extreme<br />

Strafmaß entlarvten <strong>de</strong>n politisch-propagand<strong>ist</strong>ischen Charakter <strong>de</strong>r im stalin<strong>ist</strong>ischen Stil<br />

geführten Willkür-Justiz <strong>de</strong>r 50er Jahre. Die Absicht war klar ersichtlich: Es sollten nicht nur<br />

einzelne Ge<strong>ist</strong>liche als Schwerkriminelle hingestellt son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Klerus insgesamt, soweit er<br />

nicht kooperationswillig war, diskreditiert und <strong>die</strong> Ausschaltung <strong>de</strong>r Kirche als „Feind <strong>de</strong>r<br />

sozial<strong>ist</strong>ischen I<strong>de</strong>e“ legitimiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Urteile lauteten auf „Freiheitsentziehung“ (so <strong>die</strong> <strong>de</strong>utsche Übersetzung <strong>de</strong>r Prozess-<br />

Akten) mit unvorstellbar langen Haftzeiten: „auf Lebensdauer“ (Opasek); 25 Jahre (Mandl);<br />

25 Jahre (Zela); 20 Jahre (Jarolimek); 20 Jahre (Svec); 10 Jahre (Cihák); 18 Jahre (Boukal);<br />

17 Jahre (Kulac; 15 Jahre (Mrtvy). Hinzu kamen enorm hohe Geldstrafen für alle Verurteilten<br />

sowie <strong>die</strong> Konfiszierung ihres „gesamten Vermögens“ und <strong>die</strong> Aberkennung <strong>de</strong>r bürgerlichen<br />

Ehrenrechte auf min<strong>de</strong>stens 10 Jahre. „Die beschlagnahmten Werte und Juwelen wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n<br />

kirchlichen Zwecken zurückerstattet wer<strong>de</strong>n“, wird in <strong>de</strong>r Urteilsverkündung festgestellt. In<br />

wieweit <strong>die</strong>s tatsächlich geschah steht auf einem an<strong>de</strong>ren Blatt.<br />

Schon kurz nach Abschluss <strong>de</strong>s Gerichtsverfahrens wur<strong>de</strong> das Protokoll in seinem<br />

Gesamtumfang veröffentlicht, wobei ohne Einsicht in <strong>die</strong> Originalakten nicht erkennbar <strong>ist</strong>,<br />

inwieweit das publizierte Material „redaktionell überarbeitet“ wor<strong>de</strong>n war. (1) Dass <strong>die</strong><br />

Strafen nicht voll verbüßt wer<strong>de</strong>n mussten und durch „großzügige“ Amnestien in <strong>de</strong>n 60er<br />

Jahren verkürzt wur<strong>de</strong>n, war selbstverständlich nicht vorhersehbar. In <strong>de</strong>n Jahren <strong>de</strong>r Haft<br />

saßen <strong>die</strong> Verurteilten in <strong>de</strong>n schlimmsten Gefängnissen <strong>de</strong>s Systems ein. Abt Anastaz<br />

Opásek wur<strong>de</strong> nach 10 Jahren „auf Bewährung“ entlassen. Ab 1968 ging er ins Exil und lebte<br />

bis zum erfolgreichen Ausgang <strong>de</strong>r „samtenen Revolution“ in <strong>de</strong>r Benediktinerabtei Braunau<br />

im nie<strong>de</strong>rbayerischen Rohr. (2)<br />

Die Kommun<strong>ist</strong>en, von <strong>de</strong>r Sowjetunion gestützt, hatten sich Zug um Zug an <strong>die</strong> Macht<br />

manipuliert, ihre <strong>de</strong>mokratischen Gegner, <strong>die</strong> es ihnen allerdings nicht sehr schwer machten,<br />

ausgeschaltet. Aus <strong>de</strong>n letzten irgendwie noch als frei zu bezeichnen<strong>de</strong>n Parlamentswahlen<br />

von 1946 waren <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>en zwar nicht als Mehrheits-, so doch als stärkste Partei<br />

hervorgegangen.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei III.<br />

Obwohl im slowakischen Lan<strong>de</strong>steil immerhin 62 Prozent gegen Rot gestimmt hatten (in<br />

Tschechien waren über 40 Prozent pro-kommun<strong>ist</strong>isch) reichte es <strong>de</strong>r Kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Partei bei <strong>de</strong>r Gesamtverteilung <strong>de</strong>r Sitze, ihrer Macht Zug um Zug auszubauen und<br />

schließlich durch einen parlamentarischen Coup im Februar 1948 entgültig an sich zu reißen.<br />

Wenige Monate später wur<strong>de</strong> von Staatspräsi<strong>de</strong>nt Gottwald <strong>die</strong> Tschechoslowakische<br />

Sozial<strong>ist</strong>ische Republik proklamiert; im Verbund <strong>de</strong>s Moskauer Satelliten-Systems, wie<br />

hinzuzufügen <strong>ist</strong>.<br />

Ein Bischof wi<strong>de</strong>rsteht<br />

„Non possumus“ – „Wir können nicht“. Unmissverständlich klar hatte Josef Beran (3) <strong>die</strong><br />

Auffor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Kommun<strong>ist</strong>en, <strong>de</strong>n Putsch vom Februar 1948 anzuerkennen, En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Monats zurückgewiesen. Als Mittel für seine Äußerung verwen<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r Erzbischof von Prag<br />

<strong>die</strong> briefliche Anfrage eines <strong>Kath</strong>oliken, <strong>die</strong> er mit <strong>die</strong>ser klassischen Verweigerungsformel<br />

beantwortete. „Lidová Demokracie“, das damals noch freie Zentralorgan <strong>de</strong>r chr<strong>ist</strong>lich<br />

orientierten Tschechoslowakischen Volkspartei, veröffentlichte <strong>de</strong>n Text.<br />

Für <strong>de</strong>n Erzbischof Beran stellten <strong>die</strong> neuen Herren keine Alternative gegenüber <strong>de</strong>m dar,<br />

was er unter <strong>de</strong>r Okkupation <strong>de</strong>r Nazis erlebt hatte. Schon in <strong>de</strong>n Jahren vor ihrem<br />

Machtantritt hatten sie keinen Zweifel an ihren wahren Absichten hinterlassen, in ihrem<br />

Herrschaftsgebiet ein „Volk ohne Gott“ heranzuziehen.<br />

Beran berief sich auf das Vorbild <strong>de</strong>r Apostel Petrus und Johannes. „Wir können unmöglich<br />

schweigen über das was wir gesehen und gehört haben“ hatten sich <strong>die</strong>se vor <strong>de</strong>m Hohen Rat<br />

in Jerusalem <strong>de</strong>n Mund nicht verbieten lassen und daran festgehalten, Worte und Taten ihres<br />

Herrn und Me<strong>ist</strong>ers zu verkün<strong>de</strong>n. (vgl. Apostelgeschichte 4,20). „Non possumus“ – mit<br />

<strong>die</strong>ser Weigerungsformel hatte Papst Clemens VII. <strong>die</strong> For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s englischen Königs<br />

Heinrich VIII. abgelehnt, ihn von seiner Frau <strong>Kath</strong>arina zu schei<strong>de</strong>n. Mit einem „Non<br />

possumus“, wiesen <strong>de</strong>r Primas Polens und <strong>de</strong>r von Ungarn, Stefan Wyszynski und Jozef<br />

Mindszenty, <strong>die</strong> Vorstellungen <strong>de</strong>r neuen Machthaber zurück. So auch Josef Beran.<br />

Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Erste Warnsignale waren vom kommun<strong>ist</strong>isch<br />

dominierten Parlament erlassene Gesetze, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Kirche lebensbedrohlich waren. Vikare,<br />

<strong>die</strong> gegen <strong>die</strong>sen Angriff protestierten, wur<strong>de</strong>n im September 1949 verhaftet. Ein Jahr, nach<br />

<strong>de</strong>m Scheitern von Verhandlungen zwischen kommun<strong>ist</strong>ischem Staat und römischer Kirche<br />

im Frühjahr 1949, <strong>de</strong>ren Ergebnis für <strong>die</strong> Kirche vorhersehbar war, setzten <strong>die</strong> Maßnahmen<br />

gegen <strong>die</strong> Kirche ein, mit <strong>de</strong>r klar erkennbaren Absicht, <strong>die</strong> chr<strong>ist</strong>liche Religion zu liqui<strong>die</strong><br />

ren, „<strong>die</strong> Kirche auszura<strong>die</strong>ren“, wie ein Gesprächspartner an <strong>de</strong>r Moldau sagt, und durch <strong>die</strong><br />

neue Doktrin, das Bild vom neuen, sozial<strong>ist</strong>ischen Menschen, <strong>de</strong>r Gott nicht braucht, zu<br />

ersetzen.<br />

Mit welcher Rücksichtslosigkeit <strong>die</strong>s geschehen sollte, lassen <strong>die</strong> Instruktionen aus <strong>de</strong>r<br />

politischen Führung erkennen: <strong>de</strong>r damalige zum radikalen Flügel <strong>de</strong>r Regierung Zapotocký<br />

zählen<strong>de</strong> Innenmin<strong>ist</strong>er Kopecký soll das „das genaue Datum“ bestimmt und <strong>de</strong>n Termin<br />

vorgegeben. „Das eigentliche Datum <strong>de</strong>s Kirchenkampfes <strong>ist</strong> das Jahr 1950, schrieb <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utsche Pax-Chr<strong>ist</strong>i-Leiter, Reinhold Lehmann, „gekennzeichnet durch brutale Verfolgung“;<br />

sie wur<strong>de</strong> nach stalin<strong>ist</strong>ischem Muster exekutiert, wie in keinem an<strong>de</strong>ren kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Staat jenseits <strong>de</strong>s Eisernen Vorhangs, abgesehen von Albanien. (4)<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei III.<br />

Die Kirche als „Feind <strong>de</strong>s Sozialismus“<br />

Die Frontstellung war klar: <strong>die</strong> Kirche sah sich in ihrer Ablehnung <strong>de</strong>s athe<strong>ist</strong>ischen Systems,<br />

das <strong>die</strong> Religion „als Opium <strong>de</strong>s Volkes“ und <strong>die</strong> Kirche als „Lieferanten“ <strong>die</strong>ser „Droge“<br />

diffamierte; für <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>en war <strong>die</strong> Kirche <strong>de</strong>r explizite „Feind <strong>de</strong>s Sozialismus“ und<br />

Basis <strong>de</strong>r Reaktion“– so hatte schon das „Informationsbüro <strong>de</strong>r Parteien“ im September 1947<br />

erklärt.<br />

Die Maßnahmen, von <strong>de</strong>r Partei geplant und überwacht, richteten sich sowohl direkt gegen<br />

<strong>die</strong> „Ortskirche“ als auch gegen <strong>de</strong>n Vatikan. In <strong>die</strong>sem Zusammenhang arbeitete <strong>die</strong><br />

tschechoslowakische Staatssicherheit im Rahmen <strong>de</strong>r gemeinsamen vom KGB gesteuerten<br />

Operationen <strong>de</strong>r „sozial<strong>ist</strong>ischen Bru<strong>de</strong>rorgane“. Die römisch-katholische Kirche, und in<br />

Person <strong>de</strong>r Papst, waren weltanschaulich per se, aber auch als politische Macht, einer <strong>de</strong>r<br />

Hauptfein<strong>de</strong> <strong>de</strong>s i<strong>de</strong>ologisch-politischen Systems. Der Heilige Stuhl wur<strong>de</strong> sowohl in <strong>de</strong>r<br />

Propaganda, wie in <strong>de</strong>n Parteiprogrammen und Arbeitssitzungen <strong>de</strong>r Staatssicherheitsorgane<br />

als Komplize <strong>de</strong>s Klassenfein<strong>de</strong>s, repräsentiert vor allem durch <strong>die</strong> Weltmacht USA,<br />

dargestellt.<br />

Es kommt zum Abbruch <strong>de</strong>r diplomatischen Beziehungen mit <strong>de</strong>m Heiligen Stuhl; <strong>de</strong>r<br />

Apostolische Nuntius muss Prag verlassen. Es wur<strong>de</strong>n Kirchengesetze erlassen, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n<br />

Bewegungsspielraum <strong>de</strong>r katholischen Kirche erheblich einschränkten, <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren<br />

Religionsgemeinschaften wur<strong>de</strong>n zu Sekten erklärt. Einem eigens geschaffenen Amt für<br />

Religionsfragen wur<strong>de</strong> <strong>die</strong> staatliche Aufsicht über <strong>die</strong> Kirche übertragen. Seelsorge, war -<br />

soweit überhaupt erlaubt - von <strong>de</strong>r „Genehmigung“ durch „Kirchensekretäre“ in <strong>de</strong>n Bezirken<br />

abhängig. Selbst eine geringfügige Übertretung <strong>die</strong>ser Gesetze wird mit Strafverfahren<br />

geahn<strong>de</strong>t. Im September 1949 trifft es Vikare, <strong>die</strong> gegen <strong>die</strong> neuen Kirchengesetze<br />

protestieren. <strong>Kath</strong>olische Publikationen wer<strong>de</strong>n verboten, Konfessionsschulen geschlossen.<br />

Diese antikirchlichen Maßnahmen wer<strong>de</strong>n von Schmähartikeln in <strong>de</strong>r staatlich gelenkten<br />

Presse begleitet.<br />

1) „Der Prozess gegen <strong>die</strong> Agenten <strong>de</strong>s Vatikans in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei. Bischof Zela und Komplizen.<br />

I. Auflage in einer Anzahl von 2100 Exemplaren, herausgegeben im Februar 1951 vom tschechoslowakischen<br />

Justizmin<strong>ist</strong>erium im Verlag Orbis. (Die Personendaten sind hier verkürzt wie<strong>de</strong>rgegeben, jedoch in <strong>de</strong>r<br />

Schreibweise <strong>de</strong>r Anklageschrift.<br />

2) Die Benediktinerabtei Brevnov/ Stift Breunau (heute in einem Ortsteil von Prag) geht auf <strong>de</strong>n heiligen<br />

Adalbert und Fürst Boleslav II, genannt „<strong>de</strong>r Fromme“ , zurück. Sie grün<strong>de</strong>ten 993 das erste Benediktinerkloster<br />

im Osten Europas. Zerstörung 1420 durch <strong>die</strong> Husitten. Der Großteil <strong>de</strong>s Konvents floh nach Braunau<br />

(Broumov) in Ostböhmen. In <strong>de</strong>r Folgezeit entstand eine Art Doppelkloster, bis 1939 ex<strong>ist</strong>ierend. Unter <strong>de</strong>m<br />

Druck <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Okkupation Teilung in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Braunauer und <strong>de</strong>n tschechischen Brevnover Zweig.<br />

1946 Ausweisung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Mönche als Folge <strong>de</strong>r „Benes-Dekrete“. Sie errichteten in Rohr eine neue Abtei.<br />

Braunau nutzten <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>en als „Konzentrationskloster“ für Or<strong>de</strong>nsfrauen. Sie wur<strong>de</strong>n, wie in an<strong>de</strong>ren<br />

Orten zur Kranken- und Altenpflege verpflichtet. 1950 wur<strong>de</strong>n auch <strong>die</strong> tschechischen Mönche aus Brevnov<br />

-11-<br />

ausgewiesen und gingen zum Teil ins Exil nach Rohr. 1968 Abt Anastaz. Nach <strong>de</strong>m erfolgreichen Ausgang <strong>de</strong>r<br />

„Samtenen Revolution“ konnte er nach Brevnov zurückkehren und <strong>die</strong> Abtei wie<strong>de</strong>r aufbauen. Er starb am 24.<br />

August 1999, im Alter von 86 Jahren.<br />

3) Erzbischof Josef Beran war am 19. Juni 1949 verhaftet und „isoliert“ wor<strong>de</strong>n. Von 1950 bis 1963 unter<br />

Hausarrest gestellt, an wechseln<strong>de</strong>n geheim gehaltenen Orten. 1965 ernannte ihn Papst Paul VI. zum Kardinal.<br />

Die vatikanische Diplomatie erreichte seine Ausreise nach Rom, allerdings ohne Rückkehr, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Prager<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei III.<br />

Regierung sprach umgehend <strong>die</strong> Ausweisung <strong>de</strong>s Prager Metropoliten aus. Beran starb 1969. 30 Jahre später<br />

wur<strong>de</strong> das Verfahren zur Seligsprechung eingeleitet.<br />

Um <strong>de</strong>n Prager Stuhl nicht verwaisen zu lassen, berief Paul VI. nach Berans Ausweisung 1965 <strong>de</strong>n (vom<br />

Bischof von Olomouce/Olmütz) geheim zum Bischof geweihten Frantisek Tomásek zum Apostolischen<br />

Admin<strong>ist</strong>rator. Tomásek war 1951 verhaftet und bis 1954 das Kloster Zeliv/Seelos, einem Speziallager für<br />

Ge<strong>ist</strong>liche, interniert. Zeitweilig musste er Zwangsarbeit in einem Steinbruch le<strong>ist</strong>en. 1976 nahm ihn Paul VI<br />

„in pectore“ in das Kollegium <strong>de</strong>r Kardinäle auf, Am 30. Dezember 1977 übertrug er ihm offiziell das Amt <strong>de</strong>s<br />

Prager Erzbischofs. Tomásek stellte sich hinter <strong>die</strong> „samtene Revolution“ von 1989. Im Alter von 92 Jahren trat<br />

er 1991 zurück und starb ein Jahr später (am 4. August).<br />

Tomáseks Nachfolger wur<strong>de</strong> Miloslav Vlk, zuletzt Bischof von Ceské Bu<strong>de</strong>jovice/ Böhmisch Budweis. Auch er<br />

ein Verfolgter <strong>de</strong>s Regimes, <strong>de</strong>r zeitweilig als Fensterputzer und Archivar seinen Lebensunterhalt bestreiten<br />

musste, aber weiter als Priester <strong>de</strong>r „Schweigen<strong>de</strong>n Kirche“ wirkte. Papst Johannes Paul II. erhob ihn 1994 in<br />

<strong>de</strong>n Kardinalsstand.<br />

4) vgl. Reinhold Lehmann +, Generalsekretär <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen katholischen Frie<strong>de</strong>nsbewegung „Pax Chr<strong>ist</strong>i“, in<br />

seinem Vorwort zu Josef Zverinas Buch „Ich habe mich entschie<strong>de</strong>n“ . Verlag Her<strong>de</strong>r. Freiburg im Breisgau<br />

1980<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei IV.<br />

IV. Schüsse auf <strong>de</strong>n Papst<br />

Am 13. Mai 2008 vor 27 Jahren feuerte Mehmet Ali Agca auf Papst Johannes Paul II.,<br />

während <strong>die</strong>ser sich im offenen „Papamobil“ <strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>m Petersplatz versammelten<br />

Gläubigen zeigte. Die Schüsse verletzten das Oberhaupt <strong>de</strong>r römisch-katholischen Kirche<br />

lebensgefährlich. Seine Rettung schrieb Johannes Paul II. <strong>de</strong>r Gottesmutter Maria zu, <strong>de</strong>r er<br />

seinen Pontifikat von Anfang an geweiht hatte: Totus tuus – Ganz Dein. Eine <strong>de</strong>r<br />

P<strong>ist</strong>olenkugeln, schenkte er <strong>de</strong>m portugiesischen Wallfahrtsort Fatima. Das Geschoss wur<strong>de</strong><br />

in <strong>die</strong> Krone <strong>de</strong>r Marienstatue eingefügt.<br />

Zwei Wochen vor <strong>de</strong>m Jahrestag sorgten Meldungen von Nachrichtenagenturen (1) aus<br />

Warschau für einige Unruhe. Danach soll <strong>die</strong> sowjetische Führung bereits 1979 angeordnet<br />

haben, gegen <strong>de</strong>n Papst aus Polen vorzugehen – im Klartext: ihn zu töten. Einer <strong>de</strong>r<br />

Verantwortlichen: Michail Gorbatschow, seinerzeit Kandidat im Politbüros und später<br />

sowjetischer Staatspräsi<strong>de</strong>nt, hat <strong>die</strong>se Unterstellung wie<strong>de</strong>rholt entschie<strong>de</strong>n zurückgewiesen.<br />

Die Anweisung, ein Brief <strong>de</strong>s Politbüros <strong>de</strong>s Zentralkomitees (ZK) <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Partei <strong>de</strong>r Sowjetunion (KPdSU) an das Komitee für Staatssicherheit (KGB), habe gelautet:<br />

„Es sind alle möglichen Mittel zu nutzen, um eine Neuausrichtung <strong>de</strong>r Politik zu vermei<strong>de</strong>n,<br />

<strong>die</strong> vom polnischen Papst begonnen wur<strong>de</strong>, und wenn notwendig, <strong>ist</strong> nach Mitteln zu greifen,<br />

<strong>die</strong> weiter reichen als Desinformation und Diskreditierung.“ KGB-Chef war seinerzeit Juri<br />

Andropow (von 1967-1982; ab 1982 Generalsekretär <strong>de</strong>s ZK und 1983 Staatsoberhaupt.)<br />

Ausgelöst hatte <strong>de</strong>n Wirbel ein Interview <strong>de</strong>s amerikanischen Buchautors John O. Koehler (2)<br />

für das polnische Nachrichtenmagazin „WPROST“. (3) Koehler will ein entsprechen<strong>de</strong>s<br />

Dokument in einem Moskauer Archiv, (in einer <strong>de</strong>r Meldungen <strong>ist</strong> auch von einem<br />

Warschauer Archiv <strong>die</strong> Re<strong>de</strong>) „ent<strong>de</strong>ckt“ haben. Für <strong>de</strong>n KGB, so Koehler, seien <strong>die</strong><br />

Formulierungen klar gewesen, nämlich <strong>de</strong>n Papst aus <strong>de</strong>m Weg zu räumen. (4)<br />

Hat Michael Gorbatschow unterschrieben?<br />

In Polen löste <strong>die</strong>se „Ent<strong>de</strong>ckung“ einige Aufregung aus, mit entsprechen<strong>de</strong>n Kommentaren<br />

von parteipolitischer Seite. Sie reichten von <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung nach einem Gerichtsverfahren bis<br />

zur Auffor<strong>de</strong>rung an Gorbatschow, seinen Frie<strong>de</strong>nsnobelpreis zurückzugeben, falls <strong>die</strong><br />

Informationen zuträfen. Im Westen war das Me<strong>die</strong>n-Echo – mit Ausnahme einiger<br />

italienischer Publikationen – eher zurückhaltend.<br />

In <strong>de</strong>n ersten Kommentaren nach <strong>de</strong>m Anschlag auf <strong>de</strong>m Petersplatz und im Zuge <strong>de</strong>r<br />

Untersuchungen durch <strong>die</strong> italienische Justiz war bereits <strong>de</strong>r Verdacht geäußert wor<strong>de</strong>n, <strong>die</strong><br />

Drahtzieher säßen in Moskau und <strong>de</strong>r KGB sei direkt o<strong>de</strong>r über „befreun<strong>de</strong>te<br />

Sicherheitsorgane“ (<strong>die</strong>s zielte vor allem auf Bulgarien) in <strong>de</strong>n Anschlag auf Papst Johannes<br />

Paul II. verwickelt. Der tatsächliche Ablauf konnte bis heute nicht vollständig geklärt wer<strong>de</strong>n<br />

und schon gar nicht, wer einen solchen Mordauftrag erteilt haben soll, falls eine dritte Macht<br />

ihr Hand im Spiel hatte. (5)<br />

Zu <strong>de</strong>m Moskauer Archivfund beschränkten sich einige Presse-Agenturen mit Kommentaren<br />

von ungenannten „Geheim<strong>die</strong>nst- und Vatikanexperten“. Das Dokument „sei schon lange<br />

bekannt.“ Er <strong>ist</strong> im Übrigen in <strong>de</strong>m von Werner Kaltefleiter/Hanspeter Oschwald verfassten,<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei IV.<br />

im Mai 2006 erschienenen Buch „Spione im Vatikan“ einigermaßen ausführlich beschrieben<br />

wor<strong>de</strong>n. (6)<br />

Michael Gorbatschow antwortet<br />

Hierzu liegt <strong>die</strong> bisher wohl einzige schriftliche Stellungnahme von Michail Gorbatschow<br />

vor. Er beantwortet Fragen, <strong>die</strong> jene dramatischen Ereignisse von November 1979 bis Mai<br />

1981 betreffen. Für <strong>die</strong> seriöse h<strong>ist</strong>orische Forschung kann <strong>die</strong>se Aussage Gorbatschows,<br />

abgesehen von seinen wie<strong>de</strong>rholten mündlichen Äußerungen, als zitierfähige Stellungnahme<br />

gelten. Die Fragen und Antworten sind in Auszügen aus <strong>die</strong>ser Korrespon<strong>de</strong>nz wie<strong>de</strong>rgeben,<br />

unter Auslassung von Passagen allgemeiner Natur sowie <strong>de</strong>r Höflichkeitsformeln. (7)<br />

Die Fragen:<br />

- Am 16. November 1979 soll in einer Sitzung <strong>de</strong>s Zentralkomitees <strong>de</strong>r KPdSU beschlossen<br />

wor<strong>de</strong>n sein, operative Maßnahmen zu ergreifen, welche <strong>die</strong> so genannte Ostpolitik <strong>de</strong>s<br />

Vatikans betrafen. Ein Unterkomitee unter Fe<strong>de</strong>rführung <strong>de</strong>s damaligen KfS-Chefs Jurij W.<br />

Andropow und seines Stellvertreters Viktor M. Tschebrikow soll ein entsprechen<strong>de</strong>s 6-<br />

Punkte-Programm erarbeitet haben. „Maßnahmen“ gegen <strong>de</strong>n Papst seien nicht ausgeschlos-<br />

sen wor<strong>de</strong>n. (Quelle: z.B. Il Messagero, Mai 2005)<br />

- Am 5. Dezember 1980 fand in Moskau ein Gipfeltreffen <strong>de</strong>r Partei – und Staatschefs <strong>de</strong>r<br />

Staaten <strong>de</strong>s Warschauer Vertrages vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r zugespitzten Situation in Polen<br />

statt. Eine militärische Intervention war nicht ausgeschlossen. Bereitstehen<strong>de</strong> Truppen <strong>de</strong>r<br />

Sowjetunion, <strong>de</strong>r DDR und <strong>de</strong>r CSSR stan<strong>de</strong>n bereit und warteten auf das Signal<br />

„Wintermarsch“. Was gab <strong>de</strong>n Ausschlag, zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt von einer solchen Aktion<br />

abzusehen?<br />

- Am 16. Dezember 1980 hat Papst Johannes Paul II. <strong>de</strong>m damaligen Präsi<strong>de</strong>nten Leonid I.<br />

Breschnew einen Brief geschrieben. Bestand weiterhin <strong>die</strong> Option einer „militärischen<br />

Hilfsaktion“? Welchen Einfluss hatte <strong>die</strong>ser Brief auf <strong>die</strong> Entscheidungen <strong>de</strong>r sowjetischen<br />

Partei- und Staatsführung? (Quellen: a) „Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Generalsekretärs <strong>de</strong>s ZK <strong>de</strong>r SED und Vorsitzen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />

Staatsrates <strong>de</strong>r DDR, Genossen Erich Honecker auf <strong>de</strong>m Moskauer Treffen führen<strong>de</strong>r Repräsentanten <strong>de</strong>r<br />

Staaten <strong>de</strong>s Warschauer Vertrages. 5. Dezember 1980“ ; b) George Weigel: Witness to Hope. The Biography of<br />

Pope John Paul II.. New York 1999).<br />

- Sie wer<strong>de</strong>n oft gefragt, ob bei <strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>rholten Begegnungen, <strong>die</strong> Sie mit Papst Johannes<br />

Paul II. hatten, über <strong>die</strong> „Schüsse auf <strong>de</strong>m Petersplatz“ gesprochen wur<strong>de</strong>. Sie haben das erst<br />

unlängst in einem Interview mit „Il Giornale“ verneint. War das eine Fragte <strong>de</strong>r<br />

diplomatischen Höflichkeit o<strong>de</strong>r ein Privatissimum?<br />

- Die Gerüchte über ein Komplott <strong>de</strong>s damaligen KGB sind bekannt. Die Akten auch<br />

östlicher Nachrichten<strong>die</strong>nste sprechen von einer breit angelegten antisozial<strong>ist</strong>ischen<br />

Kampagne, gesteuert von italienischen und US-amerikanischen Diensten. Wie wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r<br />

Parteiführung über <strong>die</strong>sen Vorgang im Krisenjahr 1981 gesprochen. Ein ranghoher ehemaliger<br />

sowjetischer Diplomat hat mir vor einigen Jahren in einem Hintergrundgespräch gesagt: „Wir<br />

waren das nicht. Wir haben das nicht getan. Nicht auf <strong>die</strong>ser Ebene. Nicht gegenüber <strong>die</strong>sem<br />

Mann.“ Schließen Sie sich <strong>de</strong>finitiv <strong>die</strong>ser Auffassung an, o<strong>de</strong>r könnte es auf mittlerer Ebene<br />

zu eigenständigen Handlungen gekommen sein?<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei IV.<br />

-Die „bulgarische Spur“ kann „jur<strong>ist</strong>isch gesehen“ als erledigt betrachtet wer<strong>de</strong>n. Es häufen<br />

sich jetzt auffällig Hinweise – auch aus Kreisen <strong>de</strong>s ehemaligen MfS – in <strong>de</strong>nen <strong>die</strong><br />

Hintermänner im Nahen Osten vermutet wer<strong>de</strong>n. Auch Sie haben davon in ihrem jüngsten<br />

Interview gesprochen. Welche Veranlassung gibt es zu <strong>die</strong>ser Annahme? (Quellen: a) Johannes<br />

Paul II: „Erinnerung und I<strong>de</strong>ntität“, Vatikan 2005; b) Radio Bulgarien, c) privat.)<br />

Die Antworten: - (nach <strong>de</strong>r „inoffiziellen Übersetzung aus <strong>de</strong>m Russischen“, <strong>die</strong> <strong>de</strong>m<br />

russischen Originalbrief beigefügt war):<br />

- (Der Papst) „war unumstritten eine <strong>de</strong>r größten Persönlichkeiten <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts. Er hat<br />

einen be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Beitrag dazu gele<strong>ist</strong>et, dass sich eine Entwicklung <strong>die</strong> Bahn bricht, <strong>die</strong> zu<br />

einer besseren und gerechteren Welt führen soll. Viele von seinen I<strong>de</strong>en liegen mir sehr nah<br />

am Herzen und sind mir verständlich. Gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>swegen haben wir bei unseren Begegnungen,<br />

<strong>die</strong> mir für immer in Erinnerung bleiben wer<strong>de</strong>n, so leicht eine gemeinsame Sprache<br />

gefun<strong>de</strong>n.<br />

Hinsichtlich <strong>de</strong>r Fragen, <strong>die</strong> Sie mir gestellt haben, kann ich folgen<strong>de</strong>s sagen:<br />

- Im Zusammenhang mit <strong>de</strong>n Ereignissen in Polen im Jahr 1980 wur<strong>de</strong> auf <strong>die</strong> Führung <strong>de</strong>s<br />

Lan<strong>de</strong>s freilich ein politischer Druck ausgeübt, aber <strong>die</strong> Frage über eine militärische<br />

Intervention wur<strong>de</strong> überhaupt nicht gestellt, und, soweit mir bekannt <strong>ist</strong>, wur<strong>de</strong> ein solcher<br />

Vorschlag von nieman<strong>de</strong>m im Politbüro <strong>de</strong>s ZK <strong>de</strong>r KPdSU gemacht. Das kann ich absolut<br />

kategorisch behaupten. Was <strong>die</strong> „Schüsse auf <strong>de</strong>m Petersplatz“ betrifft, so hatte und habe ich<br />

generell keine Information über <strong>die</strong> Mitwirkung <strong>de</strong>s KGB an <strong>die</strong>ser verbrecherischen Tat.<br />

Über das vom KGB angeblich erarbeitete „6-Punkte-Programm“ (wie Sie es schreiben) <strong>de</strong>s<br />

Vorgehens gegen <strong>de</strong>n Vatikan und <strong>de</strong>n Papst persönlich <strong>ist</strong> mir ebenfalls nichts bekannt.<br />

(es folgt <strong>die</strong> Schlussformel)<br />

gez. Michail Gorbatschow<br />

1) vgl. apa/red; kna; Kreuz-net; news4press; polska web. eu; Welt-Online;; alle vom 28. 4. 08<br />

2) John O. Koehler, Journal<strong>ist</strong> und Buchautor, 1930 in Dres<strong>de</strong>n geboren, Militär<strong>die</strong>nst – letzter R ang<br />

Hauptmann, u.a. Bürochef <strong>de</strong>r amerikanischen Nachrichtenagentur ap in Berlin und Bonn. Schrieb ein<br />

umstrittenes Buch über Mielkes Stasi (The Untold Story of the East German Secret Police) sowie über Spione im<br />

Vatikan. Grün<strong>de</strong>te in <strong>de</strong>n USA ein Unternehmen für Public Relations und Kommunikation; er gilt als <strong>de</strong>m<br />

neokonservativen Spektrum zugehörig und war 1987, von Ronald Reagan, kurzeitig <strong>de</strong>ssen offizieller Berater<br />

(Ass<strong>ist</strong>ant) als Director of Communications.<br />

3) „Wprost“ – „Direkt“. Ein wöchentliches, im Boulevardstil aufgemachtes als rechtskonservativ gelten<strong>de</strong>s<br />

Nachrichtenmagazin, das in Deutschland durch polemische Titelbil<strong>de</strong>r Unmut auslöste (eine „barbusige“ Angela<br />

Merkel als „Stiefmutter Europas“ mit „nuckeln<strong>de</strong>n Babys“ in <strong>de</strong>r Gestalt <strong>de</strong>r Kascynski-Brü<strong>de</strong>r; eine als „SS-<br />

Domina“ gezeichnete Erika Steinbach auf <strong>de</strong>m Rücken von Gerhard Schrö<strong>de</strong>r; <strong>die</strong>ser wie<strong>de</strong>rum mit Wladimir<br />

Putin im „Freundschaftsband“ <strong>de</strong>r Erdgasleitung)<br />

4) Partei- und Staatschef (Generalsekretär <strong>de</strong>r KPdSU und Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Präsidiums <strong>de</strong>s Obersten Sowjets)<br />

war Leonid I. Breschnew, <strong>de</strong>r in <strong>die</strong>sem Zusammenhang nicht erwähnt wird. Als Unterzeichner <strong>de</strong>s angeblichen<br />

Briefes an <strong>de</strong>n KGB genannt wer<strong>de</strong>n neben <strong>de</strong>m „jungen“ Gorbatschow, Sekretär <strong>de</strong>s ZK (zuständig für<br />

Landwirtschaft) und Kandidat <strong>de</strong>s Politbüros, u.a. aus <strong>de</strong>r Riege <strong>de</strong>r sowjetischen „Gerontokratie“ : Andrei<br />

Kirilenko, Sekretär <strong>de</strong>s ZK; Konstantin Tschernenko, ebenfalls Sekretär <strong>de</strong>s ZK und ab 84 Nachfolger von<br />

Andropow als Partei und Staatschef, <strong>de</strong>m Michael Gorbatschow folgt sowie „Chefi<strong>de</strong>ologe“ Michail Suslow.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei IV.<br />

Eine Untersuchungskommission <strong>de</strong>s italienischen Parlaments kam 2006 zu einem entgegen gesetzten Ergebnis:<br />

Danach soll Breschnew das Vorgehen gegen <strong>de</strong>n Papst <strong>de</strong>m Armeegeheim<strong>die</strong>nst GRU in Zusammenarbeit mit<br />

<strong>de</strong>m bulgarischen Sicherheits<strong>die</strong>nst DS und <strong>de</strong>m MfS <strong>de</strong>r DDR übertragen haben. Bezüglich <strong>de</strong>r Ostberliner<br />

Stasi ließ sich bisher nicht <strong>de</strong>r geringste Nachweis erbringen, an einer solchen Maßnahme beteiligt gewesen zu<br />

sein. Es wur<strong>de</strong>n nur Akten gefun<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> „Operation Papst“ betreffend, eine Desinformations-Aktion <strong>de</strong>s MfS-<br />

Nachrichten<strong>die</strong>nstes HV A, in <strong>de</strong>r Absicht, zusammen mit an<strong>de</strong>ren „sozial<strong>ist</strong>ischen Sicherheitsorganen“<br />

Bulgarien von <strong>de</strong>m Vorwurf zu entlasten, <strong>de</strong>n Anschlag auf Johannes Paul II. organisiert zu haben.<br />

5) Als einziger Täter wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r türkische Staatsbürger Mehmet Ali Agca von <strong>de</strong>r italienischen Justiz zu<br />

lebenslanger Haft verurteilt, jedoch im Jahr 2000 vom italienischen Staatspräsi<strong>de</strong>nten auf Bitten von Papst<br />

Johannes Paul II. amnestiert und nach 19 Jahren vorzeitig entlassen, jedoch an <strong>die</strong> türkische Justiz überstellt. In<br />

<strong>de</strong>r Türkei nach einer Entscheidung <strong>de</strong>s Obersten Gerichts weiter in Haft. Der Attentäter hat sich bei seinem<br />

Vernehmungen und in späteren Interviews immer wie<strong>de</strong>r in Wi<strong>de</strong>rsprüche verwickelt, absur<strong>de</strong> Behauptungen<br />

aufgestellt und, als bisherigen letzten obskur anmuten<strong>de</strong>n „Einfall“ , im Mai 2008 über seinen Anwalt<br />

ankündigen lassen, er wolle <strong>die</strong> polnische Staatsbürgerschaft beantragen. (vgl. Wiesba<strong>de</strong>ner Kurier v. 3. Mai<br />

2008, nach einer Meldung <strong>de</strong>r Deutschen Presse Agentur dpa.)<br />

6) Werner Kaltefleiter/Hanspeter Oschwald: Spione im Vatikan. Die Päpste im Visier <strong>de</strong>r Geheim<strong>die</strong>nste.<br />

(Seite 268 ff). Verlag Pattloch, München 2006.<br />

7) Korrespon<strong>de</strong>nz <strong>de</strong>s Autors: Brief an <strong>de</strong>n Herrn Staatspräsi<strong>de</strong>nt a.D. Michail S. Gorbatschow, c/o Gorbachev<br />

Foundation, Moskau v. 23. Juni 2005 / Antwort von M. Gorbatschow, The International Non-Governmental<br />

Foundation for Socio-Economic and Political Stu<strong>die</strong>s (The Gorbachev-Foundation), Datum <strong>de</strong>s Poststempels:<br />

26. 08. 85, Eingang: 2. 09. 05<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei IV.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei V.<br />

V. Angeklagt als „Agenten <strong>de</strong>s Vatikans“<br />

Die Kirchenverfolgung in <strong>de</strong>r Tschechoslowakischen Sozial<strong>ist</strong>ischen Republik CSSR beginnt<br />

mit <strong>de</strong>r totalen Überwachung durch <strong>die</strong> Geheimpolizei (1), fortgesetzt mit Einzel- und<br />

Massen-Prozessen gegen katholische Ge<strong>ist</strong>liche, Theologen und kirchlichen Laien-<br />

Mitarbeitern von März 1950 bis Februar 1951 ein. Internationales Aufsehen erregt das<br />

Verfahren gegen hohe Or<strong>de</strong>nsge<strong>ist</strong>liche (ab 31. März 1950). Der Angriff richtet sich vor allem<br />

gegen Jesuiten, Prämonstratenser, Dominikaner, Franziskaner, Re<strong>de</strong>mptor<strong>ist</strong>en. Die me<strong>ist</strong>en<br />

Diözesanbi schöfe sind Anfang 1950 bereits interniert.<br />

Es folgte <strong>de</strong>r bereits in Folge 3 beschriebene Prozess gegen <strong>die</strong> „Neun“ um Bischof Zela (ab<br />

27. November 1950); <strong>die</strong> Gerichtsverhandlung gegen drei Bischöfe in Bratislava (ab 15.<br />

Januar 1951) – mit langjährigen bis lebenslänglichen Freiheitsstrafen en<strong>de</strong>nd. Auch soll es in<br />

drei Fällen zu To<strong>de</strong>surteilen gekommen sein. In allen Verfahren wur<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Angeklagten<br />

sozusagen routinemäßig beschuldigt, „Spione“ o<strong>de</strong>r „Agenten“ <strong>de</strong>s Vatikans und an<strong>de</strong>rer<br />

ausländischer Mächte zu sein, o<strong>de</strong>r sonstige „staatsfeindliche Handlungen“ begangen zu<br />

haben, etwa <strong>die</strong> Vorbereitung eines Staatsstreiches. Die Diktaturen, nicht nur in Prag,<br />

brauchten in jenen Anfangsjahren <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Machtaus<strong>de</strong>hnung offensichtlich<br />

<strong>die</strong>se voluminös angelegten Verfahren gegen <strong>de</strong>n Klassenfeind. Es waren Schauprozesse,<br />

<strong>de</strong>ren Absurdität nur noch durch <strong>de</strong>n Zynismus <strong>de</strong>s Systems übertroffen wur<strong>de</strong>. In <strong>die</strong>ses<br />

Kapitel gehören auch <strong>die</strong> Gerichtsverfahren 1952 in Prag und Brno (Brünn) gegen<br />

Intellektuelle. Der Prozess in <strong>de</strong>r Hauptstadt Mährens wird im „Schwarzbuch <strong>de</strong>s<br />

Kommunismus“ als „vermutlich <strong>de</strong>r größte politische Prozess gegen Literaten in <strong>de</strong>r<br />

europäischen Geschichte <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts bezeichnet. (2)<br />

Sturm auf <strong>die</strong> Klöster<br />

Zum Exzess gerät im Frühjahr 1950 <strong>die</strong> Aktion “K“ – <strong>de</strong>r so genannte Klostersturm. (keine<br />

Erfindung <strong>de</strong>r Tschechen; zuletzt hatten es <strong>die</strong> Nazis vorgemacht). Der erste Schlag, vom<br />

Innenmin<strong>ist</strong>erium „wie eine Militäroperation vorbereitet“ (3) erfolgte in <strong>de</strong>r Nacht von<br />

Donnerstag, <strong>de</strong>n 13. April auf Freitag, <strong>de</strong>n 14. April. Es traf zunächst <strong>die</strong> me<strong>ist</strong>en<br />

Männerklöster (einige weitere, darunter <strong>die</strong> Benediktiner, kamen aber schon zwei Wochen<br />

später „an <strong>die</strong> Reihe“. Sie wur<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>m Vorwand, es han<strong>de</strong>le sich um „Zentren <strong>de</strong>r<br />

Spionage gegen <strong>de</strong>n Vatikan“ besetzt, beschlagnahmt und faktisch aufgelöst.<br />

Der Termin für <strong>de</strong>n Überfall durch <strong>die</strong> Staatsmacht war nicht zufällig festgelegt wor<strong>de</strong>n. Die<br />

Schläge begannen in <strong>de</strong>r Woche nach Ostern. (In <strong>de</strong>r Karwoche und vor <strong>de</strong>n Festtagen hatten<br />

sie es nicht gewagt.) In <strong>de</strong>n Lesungen zu <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>r Passion Chr<strong>ist</strong>i wird berichtet, wie<br />

<strong>die</strong> Folterknechte <strong>de</strong>r Besatzungsmacht <strong>de</strong>n Rabbi von Nazareth gequält, halb tot geprügelt,<br />

ihm eine Krone aus Dornengeflecht aufs Haupt gesetzt, ihn verspottet und schließlich<br />

gekreuzigt hatten.<br />

Die verhafteten Or<strong>de</strong>nsangehörigen wur<strong>de</strong>n in so genannten Konzentrationsklöstern, u.a. in<br />

Borosudov/ das Kloster <strong>de</strong>r Jesuiten in Mariaschein, (4) und Zeliv. das Kloster <strong>de</strong>r<br />

Prämonstratenser in Seelau und an<strong>de</strong>ren Internierungs- und „Umerziehungslagern“<br />

zusammengefasst. Diese waren faktisch nichts an<strong>de</strong>res als Arbeitslager, wobei versucht<br />

wur<strong>de</strong>, <strong>die</strong> Opfer durch beson<strong>de</strong>rs schwere o<strong>de</strong>r „niedrige“ und „schmutzige“ Arbeiten zu<br />

<strong>de</strong>mütigen. Nach <strong>de</strong>n Männeror<strong>de</strong>n traf es <strong>die</strong> Nonnenklöster. Die Or<strong>de</strong>nsschwestern wur<strong>de</strong>n,<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei V.<br />

von Einzel Inhaftierungen abgesehen, zu Arbeiten in <strong>de</strong>r Kranken- und Altenpflege<br />

herangezogen.<br />

Zu <strong>de</strong>n menschenrechtswidrigen Übergriffen kamen „admin<strong>ist</strong>rative“ Maßnahmen. Auch <strong>die</strong><br />

mit Rom unierte griechisch-katholische Kirche (Tschechisch-katholische Kirche) blieb nicht<br />

verschont. Auf einer von <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Partei gesteuerten Kirchenversammlung<br />

(Sobor) am Metropolitan-Sitz <strong>de</strong>r Unierten in Presov (5) vom 28. April 1950 wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong><br />

Unierten „außerhalb <strong>de</strong>r Gesetze“ gestellt und liqui<strong>die</strong>rt. Die bei<strong>de</strong>n Bischöfe kommen in<br />

Haft, <strong>die</strong> Priester wer<strong>de</strong>n von ihren Gemein<strong>de</strong>n getrennt und müssen mit ihren Familien nach<br />

Böhmen ausreisen und dort mit körperlicher Arbeit unter erschwerten Bedingungen ihren<br />

Lebensunterhalt bestreiten. (Der Klerus <strong>de</strong>r mit Rom verbun<strong>de</strong>nen Ostkirche <strong>ist</strong> unterhalb <strong>de</strong>s<br />

Bischofsrangs vom Zölibat befreit, <strong>de</strong>r Orthodoxie gleich.) Die Gemein<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n<br />

zwangsweise mit <strong>de</strong>r orthodoxen Kirche zwangsweise vereinigt, wie schon 1946 in <strong>de</strong>r<br />

Ukraine vorexerziert und vom Moskauer Patriarchat als „Rückkehr“ <strong>de</strong>r Schismatiker in <strong>die</strong><br />

Mutterkirche behauptet.<br />

Leuchtfeuer in dunkler Nacht<br />

Unter <strong>de</strong>m Deckmantel einer „<strong>Kath</strong>olischen Aktion“, tatsächlich vom Staat gesteuert, bei<br />

irreführen<strong>de</strong>r Verwendung <strong>de</strong>r Bezeichnung <strong>de</strong>r bis 1948 auch in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei<br />

bestehen<strong>de</strong>n päpstlichen Bewegung, sollte <strong>die</strong> Grundlage für eine katholische Nationalkirche<br />

geschaffen wer<strong>de</strong>n. Über <strong>die</strong> Absicht <strong>de</strong>r Prager Genossen, <strong>die</strong> römisch-katholische Kirche in<br />

einen Konflikt mit Rom hineinzutreiben, und falls <strong>die</strong>s gelingen wür<strong>de</strong>, zeigte sich Moskau<br />

gera<strong>de</strong>zu beglückt. (6) Die „Hauptarbeit“ in <strong>die</strong>sem beispiellosen Kirchenkampf übernahm<br />

<strong>die</strong> Geheimpolizei mit ihren Helfershelfern. Kirchliche Einrichtungen wur<strong>de</strong>n mit Spitzeln<br />

infiltriert, von <strong>de</strong>r Kanzlei <strong>de</strong>s Bischofs bis zum Pfarrbüro.<br />

Stellvertretend für alle, <strong>die</strong> in <strong>de</strong>n schlimmsten Perio<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Glaubensverfolgung von <strong>de</strong>r<br />

Staatssicherheit überwacht, verhaftet, mit Hausarrest belegt, in Internierungs- und<br />

„Umerziehungslager“ o<strong>de</strong>r in „Konzentrationsklöster“ eingesperrt, in Schauprozessen zu<br />

langjährigen Haftstrafen verurteilt wur<strong>de</strong>n (von zehn und zwanzig Jahren aufwärts bis zu<br />

„lebenslang“), können nur einige Namen erwähnt wer<strong>de</strong>n – <strong>die</strong> L<strong>ist</strong>e wäre zu lang.<br />

Erinnert sei an <strong>die</strong> ersten drei Erzbischöfe von Prag nach 1946: Josef Beran, Frantisek<br />

Tomásek (zunächst als Apostolischer Admin<strong>ist</strong>rator) und schließlich Miloslav Vlk. Nicht<br />

vergessen <strong>de</strong>r Salesianer Stepán Trochta, Bischof von Litomerice (Leitmeritz) und <strong>de</strong>r Jesuit<br />

Jan Korec, Bischof von Nitra (Neutra in <strong>de</strong>r Slowakei). Beran und Trochta hatten schon <strong>die</strong><br />

Diktatur <strong>de</strong>r Nazis „kennen gelernt“. Sie wur<strong>de</strong>n 1942, nach <strong>de</strong>m Attentat auf Heydrich (27.<br />

Mai 1942), zunächst in das berüchtigte Prager Gefängnis Pancrac und anschließend in <strong>die</strong><br />

Konzentrationslager Theresienstadt, Mauthausen (Trochta) und Dachau eingeliefert.<br />

Trochta war 1947 zum Bischof von Litomerice ernannt wor<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>r Nähe von Terezin<br />

(Theresienstadt), wo er während <strong>de</strong>r Naziherrschaft zunächst interniert war, bis <strong>die</strong> ehemalige<br />

Festungsstadt mit <strong>de</strong>m Beginn <strong>de</strong>r massenhaften Deportation und Ermordung <strong>de</strong>r<br />

europäischen Ju<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>n tschechischen beginnend, sowohl als Aufnahme-Lager wie<br />

auch als Zwischenstation auf <strong>de</strong>m Weg in <strong>die</strong> Vernichtungslager verwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>.<br />

Im Juli 1954 wur<strong>de</strong> Trochta vom Staatssicherheits<strong>die</strong>nst verhaftet und zu 25 Jahren Gefängnis<br />

verurteil, angeklagt wegen Spionage für <strong>de</strong>n Vatikan und staatsfeindliche Aktivitäten. 1960<br />

amnestiert, wobei ihm „erlaubt“ wur<strong>de</strong>, als Installateur und Maurer zu arbeiten, wur<strong>de</strong> er<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei V.<br />

während <strong>de</strong>s „Prager Frühlings“ rehabilitiert. 1969 ernannte ihn Papst Paul VI. „in pectore“<br />

zum Kardinal, 1973 erfolgte <strong>die</strong> Veröffentlichung. 1974 erlag Trochta vermutlich einem<br />

erneuten Herzanfall.<br />

Nach seinem Tod war zu hören, <strong>de</strong>r Bischof, soeben nach einer Augenoperation aus <strong>de</strong>m<br />

Krankenhaus entlassen, habe „Besuch“ von <strong>de</strong>m kommun<strong>ist</strong>ischen Bezirkssekretär erhalten.<br />

Er galt als beson<strong>de</strong>rs scharfer Kirchengegner. Ein „Liquidator“, wie sich ein Zeitzeuge<br />

erinnert. Angeblich sei <strong>de</strong>r Mann betrunken gewesen und habe längere Zeit, von über zwei<br />

Stun<strong>de</strong>n <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Re<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n Kardinal beschimpft. Diesen Attacken sei <strong>de</strong>r herzkranke Kardinal<br />

nicht mehr gewachsen gewesen sei und kurz darauf gestorben. Der genaue Hergang bleibt<br />

allerdings unklar. Trochta, wie erwähnt und Tomasek, erhielten <strong>de</strong>n Kardinalspurpur als<br />

Anerkennung ihres Martyriums also zunächst in Verschwiegenheit, weil zu befürchten war,<br />

dass <strong>die</strong> Staatsmacht eine Veröffentlichung mit verschärften Repressalien beantwortet hätte.<br />

Ein Leuchtfeuer in dunkler Nacht war auch Karel Otcenasek, Weihbischof und nach <strong>de</strong>r<br />

Wen<strong>de</strong> Bischof von Hra<strong>de</strong>c Kralové (Königgrätz). Johannes Paul II. verlieh ihm 1989 <strong>de</strong>n<br />

persönlichen Titel eines Erzbischofs. Ebenso gilt <strong>die</strong>se chr<strong>ist</strong>liche Zeugenschaft für Jozef<br />

Sverina, <strong>de</strong>r sich für eine „Theologie <strong>de</strong>r Zweiten Welt“ einsetzte und <strong>de</strong>n Dialog mit <strong>de</strong>n<br />

Marx<strong>ist</strong>en gesucht hatte, <strong>ist</strong> nicht vergessen.<br />

Zur jüngeren Generation gehören u.a. <strong>de</strong>r Dominikaner Dominik Duka (Nachfolger von<br />

Otcenasek als Bischof von Hra<strong>de</strong>c Kralové und Václav Mály, heute Weihbischof in Prag und<br />

Leiter von „Pax Chr<strong>ist</strong>i“. Malý war Mitunterzeichner <strong>de</strong>r „Charta 77“ und Mo<strong>de</strong>rator <strong>de</strong>r<br />

„Samtenen Revolution“. Unvergessen <strong>die</strong> Groß<strong>de</strong>monstration am 23. November 1989 auf <strong>de</strong>r<br />

„Letna“, nahe <strong>de</strong>m Dom und <strong>de</strong>r Burg über <strong>de</strong>r Moldau, als Mály das Vaterunser anstimmte,<br />

das von <strong>de</strong>n 500 000 gesprochen wur<strong>de</strong>, weithin hörbar, vom Fernsehen übertragen.<br />

Einige Bischöfe in <strong>de</strong>n Anfangsjahren <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Herrschaft waren mit<br />

Zustimmung „Roms“ geheim geweiht wor<strong>de</strong>n, (davon soll in einer späteren Folge <strong>die</strong> Re<strong>de</strong><br />

sein). Alle hatten fürchterliche Verhöre durch <strong>die</strong> Geheimpolizei hinter sich. Sie sollten<br />

physisch und psychisch zermürbt wer<strong>de</strong>n. Aus ihren Ämtern entfernt, versuchten einige „im<br />

Untergrund“ ihre Seelsorge fortzusetzen, aber – wie sich im Nachhinein herausstellte, nicht<br />

ohne von <strong>de</strong>r Staatssicherheit ent<strong>de</strong>ckt wor<strong>de</strong>n zu sein.<br />

Die Absicht <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Machthaber lässt sich auch an <strong>de</strong>r L<strong>ist</strong>e <strong>de</strong>r Tätigkeiten<br />

ablesen, <strong>die</strong> das Regime für <strong>die</strong> „Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Sozialismus“ vorsah: Maurer und Installateur,<br />

Archivar und Fensterputzer (wie schon erwähnt Trochta und Vlk), Straßenreiniger und<br />

Lager<strong>ist</strong> (Korec), Molkerei-Hilfskraft (Otcenasek), Heizungsmonteur und Fahrkartenkon<br />

trolleur (Mály).<br />

Jesuitenpater Josef Cukr, <strong>de</strong>n wir vor einigen Jahren in Borosudov (Mariaschein) besuchten,<br />

erzählte, wie er als Zwangsarbeiter in <strong>de</strong>r Uranmine von Jáchymov (Joachimsthal) <strong>de</strong>m Tod<br />

nahe war. Die durchschnittliche Lebenserwartung <strong>de</strong>r hier eingesetzten politischen Häftlinge<br />

lag auf Grund <strong>de</strong>r Verstrahlung bei 42 Jahren. (7)<br />

1) StB - Die Organisationsstruktur <strong>de</strong>r Sicherheitsorgane in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei unterlag, wie in allen<br />

Bürokratien <strong>de</strong>r Welt üblich, laufen<strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen. Zuständigkeitsbereiche im Laufe <strong>de</strong>r Jahre immer<br />

wie<strong>de</strong>r, sodass an <strong>die</strong>ser Stelle nur ein vereinfachter Schematismus zum besseren Verständnis beitragen kann.<br />

Die größeren Einheiten bil<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Innenmin<strong>ist</strong>erium unterstellte Polizei- und Sicherheitsapparat (SNB)<br />

einschließlich <strong>de</strong>r Geheimpolizei (StB) und <strong>die</strong> politischen Nachrichten<strong>die</strong>nsten, wie in allen Ostblock und vielen<br />

westlichen Län<strong>de</strong>rn von militärischen Rängen geführt. Die Hauptverwaltung I war für Aufklärung (Spionage)<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei V.<br />

zuständig. Bis 1954 kontrollierte vor allem <strong>de</strong>r StB <strong>die</strong> Kirchen (Bespitzelung, Verhaftungen,<br />

Hausdurchsuchungen, Briefzensur, Abhören und Fotografieren mit geheimen technischen Mitteln etc.). Dann<br />

übernahm <strong>die</strong> Hauptverwaltung II/Abwehr-Gegenspionage (Abteilungen 9, 11 u. 12) <strong>die</strong> Religionsgemein<br />

schaften, insbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong> römisch-katholische Kirche sowie <strong>die</strong> „I<strong>de</strong>ologische Zentren“ im Ausland, zu <strong>de</strong>nen<br />

auch <strong>de</strong>r Vatikan gezählt wur<strong>de</strong>.<br />

- Das Hauptquartier <strong>de</strong>s Geheim<strong>die</strong>nstes, sozusagen <strong>die</strong> Prager „Lubjanka“, war in <strong>de</strong>r Bartolomejská<br />

untergebracht, kurz „Bart´ák“ genannt, nach <strong>de</strong>r gleichnamigen dort befindlichen Kirche <strong>de</strong>s heiligen<br />

Bartholomäus, vom Geheim<strong>die</strong>nst zweckentfrem<strong>de</strong>t als Kerker genutzt.<br />

- Während <strong>die</strong> Moskautreue SED-Führung mit ihrem Sicherheitsapparat (<strong>de</strong>n „bewaffneten Organen“) das<br />

„unsichere“ Polen gegen <strong>de</strong>n Westen abschottete, war <strong>die</strong> Tschechoslowakische Sozial<strong>ist</strong>ische Republik aus<br />

militärischer Sicht unmittelbarer Frontstaat <strong>de</strong>s Warschauer Vertrages gegenüber <strong>de</strong>r NATO.<br />

2) vgl. Das Schwarzbuch <strong>de</strong>s Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen, Terror. Piper Verlag. München 1998;<br />

„Kommunismus und Kirche in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei“ in: Ost-West. Europäische Perspektiven: Last <strong>de</strong>r<br />

Geschichte. Schwerpunkt: Schatten <strong>de</strong>r Vergangenheit. 8. Jg. 2007, Heft 3. Herausgeber: Renovabis,<br />

Solidaritätsaktion <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen <strong>Kath</strong>oliken mit <strong>de</strong>n Menschen in Mittel- und Osteuropa, Freising, und<br />

Zentralkomitee <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen <strong>Kath</strong>oliken (ZdK), Bonn<br />

3) dto<br />

4) Borosudov (Mariaschein), ehemaliges Jesuitenkloster und Marienwallfahrt in einem Ortsteil von Krupka<br />

(Graupen) in Nordböhmen bei Teplice (Teplitz). Die Klostergebäu<strong>de</strong> waren nach <strong>de</strong>r Invasion von 1968 von<br />

sowjetischem Militär beschlagnahmt, besetzt und ruiniert wor<strong>de</strong>n.<br />

5) Presov/ Preschau in <strong>de</strong>r Ostslowakei war Sitz <strong>de</strong>r griechisch-katholischen Metropolie (Kirchenprovinz). Der<br />

Presover Sobor (Kirchenversammlung) vom 28. April 1950 traf <strong>die</strong> Entscheidung zur Auflösung <strong>de</strong>r unierten<br />

Kirche und Einglie<strong>de</strong>rung in <strong>die</strong> orthodoxe Kirche.<br />

6) Eine differenzierte Betrachtung <strong>de</strong>s tschechischen wie slowakischen „Nationalbewusstseins“ im Kontext <strong>de</strong>r<br />

gemeinsamen wie unterschiedlichen h<strong>ist</strong>orischen und zeitgeschichtlichen Erfahrungen wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Rahmen<br />

<strong>die</strong>ser Reihe sprengen. Der Hinweis auf <strong>die</strong>sen Aspekt ver<strong>die</strong>nt insofern Beachtung, da er <strong>die</strong> Situation <strong>de</strong>r<br />

katholischen Kirche in <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>steilen betrifft und wohl auch erklärt, warum <strong>de</strong>r Eindruck entstan<strong>de</strong>n<br />

sein könnte, dass in Bratislava <strong>die</strong> Aufarbeitung <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Vergangenheit auch in manchen<br />

nationalkonservativen kirchlichen Kreisen, nachsichtiger behan<strong>de</strong>lt wird, als in Prag.<br />

7) vgl. Wikipedia. Stichwort „Jáchymov“. (Letzte Än<strong>de</strong>rung am 5. 4. 2008).<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei VI.<br />

VI. Erlebte Kreuzwege<br />

„Am Gründonnerstag 1999 habe ich mit Zustimmung meines und unseres Bischofs Dominik<br />

in <strong>de</strong>r <strong>Kath</strong>edrale <strong>de</strong>n Priestern und später auch schriftlich <strong>de</strong>r Bischofskonferenz unsere<br />

Absicht dargelegt, vor allem Gläubige und tschechische Chr<strong>ist</strong>en, <strong>die</strong> während <strong>de</strong>r<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Totalität verfolgt wur<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r etwas Positives für Freiheit und Wohl ihrer<br />

Heimat gele<strong>ist</strong>et haben dazu aufzufor<strong>de</strong>rn, wenigstens einen Teil ihrer Erfahrungen als Lehre<br />

für <strong>die</strong> kommen<strong>de</strong>n Generationen festzuhalten.“ Mit <strong>die</strong>sen Sätzen leitet <strong>de</strong>r frühere Bischof<br />

(jetzt emeritierte) Bischof von Hra<strong>de</strong>c Kralové, Karel Otcenasek <strong>de</strong>n ersten Band eines<br />

Kompendiums von Zeitzeugen-Berichten ein, <strong>die</strong> in fünf Bän<strong>de</strong>n, auch in <strong>de</strong>utscher Sprache<br />

vorliegen. (1). Die Reihe trägt <strong>de</strong>n Titel „Kaminky“, das tschechische Wort für „Mosaik<br />

steinchen“. Bischof Otcenasek erklärt, warum er sich für <strong>die</strong>sen Begriff entschie<strong>de</strong>n hat. Mit<br />

<strong>de</strong>n persönlichen Aussagen solle versucht wer<strong>de</strong>n, „wenigstens kleine Steinchen aus <strong>de</strong>m<br />

Mosaik <strong>de</strong>r erlebten Kreuzwege vieler Gläubiger festzuhalten, <strong>die</strong> sich nach 1948 plötzlich<br />

und für lange Jahre im gelebten Materialismus und in einer I<strong>de</strong>ologie <strong>de</strong>r Unversöhnlichkeit<br />

wie<strong>de</strong>rfan<strong>de</strong>n.“ (2)<br />

Der tschechische Oberhirte, selbst ein Opfer <strong>de</strong>s Prager Zwangsregimes, knüpft an zwei<br />

prominente Zeitgenossen an: 1. Papst Johannes Paul II, <strong>de</strong>r in seinem Apostolischen Brief<br />

„Tertio Millenio Adveniente“ (3) von 1994 dazu aufgerufen hatte, entsprechen<strong>de</strong>m<br />

Glaubenszeugnisse zu sammeln. („Gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s zweiten Jahrtausends <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Kirche erneut<br />

zu einer Kirche <strong>de</strong>r Märtyrer gewor<strong>de</strong>n“. Artikel 37). 2. Vaclav Havel, <strong>de</strong>n ehemaligen<br />

Staatspräsi<strong>de</strong>nten. („Wenn eine Nation ihr h<strong>ist</strong>orisches Gedächtnis verliert, geht sie neuen<br />

Katastrophen entgegen.“ (4)<br />

Dieses „h<strong>ist</strong>orische Gedächtnis“ spiegelt sich nicht nur in Berichten aus <strong>de</strong>n kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Lagern und Gefängnissen, son<strong>de</strong>rn auch in <strong>de</strong>n „Zeugnissen <strong>de</strong>s Glaubens“, <strong>die</strong> das „stille,<br />

verborgene Hel<strong>de</strong>ntum `gewöhnlicher´ Chr<strong>ist</strong>en im ganz normalen Alltag abgelegt hat“. Dies<br />

betreffe alle, „von <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn bis zur ältesten Generation“, schreibt Altbischof Otcenasek in<br />

seinem Vorwort zu ersten Band. „Sollte jemand entgegnen, dass es sich doch nur um<br />

Alltagserfahrungen han<strong>de</strong>le, <strong>die</strong> je<strong>de</strong>r Bürger mehr o<strong>de</strong>r weniger so erlebt habe, dann<br />

antworte ich: Gera<strong>de</strong> in <strong>die</strong>sen Alltagserfahrungen verbirgt sich ein nicht alltägliches<br />

Hel<strong>de</strong>ntum. Es <strong>ist</strong> nämlich häufig einfacher, einmal eine große Tat zu vollbringen, als Tag für<br />

Tag und manchmal jahrelang `kleine´ Demütigungen zu ertragen, wie <strong>die</strong>s noch vor kurzer<br />

Zeit <strong>de</strong>r Fall gewesen <strong>ist</strong>. Und an <strong>die</strong>sen alltäglichen Unbillen, Erniedrigungen und Schikanen<br />

läuterten sich Charaktere und häufig wuchs <strong>de</strong>r Glaube bis hin zu wirklichem Bekennertum.“<br />

Das sei es, „was wir als Zeugnis für <strong>die</strong> Zukunft bewahren möchten“, betont <strong>de</strong>r<br />

Bekennerbischof, „da es auch <strong>die</strong> – bis in <strong>die</strong> verborgensten Winkel unmoralische (gera<strong>de</strong>zu<br />

abartige) und antireligiöse – I<strong>de</strong>ologie <strong>die</strong>ses Systems“ zeige. (5)<br />

Die Berichte, ob sachlich zusammenfassend o<strong>de</strong>r emotional, lesen sich wie ein Tagebuch aus<br />

<strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>s Bösen. Stellvertretend können allein aus Platzgrün<strong>de</strong>n nur wenige Auszüge<br />

wie<strong>de</strong>rgegeben wer<strong>de</strong>n. Zunächst ein Bericht aus <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r ersten Verfolgungsperio<strong>de</strong><br />

nach „stalin<strong>ist</strong>ischem“ Muster:<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei VI.<br />

Isoliert in <strong>de</strong>r Ortschaft „Unbekannt“<br />

Tschechische Kongregation <strong>de</strong>r Dominkanerschwestern: In <strong>de</strong>n bewegten Jahren <strong>de</strong>s<br />

politischen Umsturzes, 1948 bis 1950, wur<strong>de</strong>n unsere kirchlichen Vertreter isoliert:<br />

Erzbischof Josef Beran (Prag), Erzbischof Josef Matocha (Olomouc/Olmütz), Bischof Karel<br />

Skoupý (Brünn) und Bischof Josef Hlouch (Ceské Budéjovice/Böhmisch Budweis). Länger als<br />

ein Jahr hielt man sie in ihren Resi<strong>de</strong>nzen fest. Danach wur<strong>de</strong>n sie nach und nach in streng<br />

geheime Objekte verlegt, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Namen „Unbekannt“ trugen, Um <strong>die</strong> katholische<br />

Öffentlichkeit zu beruhigen, gewährte man ihnen als Betreuerinnen drei Or<strong>de</strong>nsschwestern ,<br />

welche <strong>die</strong> Vorsteherin selbst aussuchen durfte. Sie mussten allerdings <strong>die</strong> Bedingungen<br />

akzeptieren, dass <strong>die</strong> gefor<strong>de</strong>rte Isolation auch für sie gelten wür<strong>de</strong>. Man gestand ihnen nur<br />

einen sehr begrenzten Schriftverkehr zu, <strong>de</strong>r über <strong>de</strong>n Religiösen Verein mit Postfach Prag<br />

abgewickelt wur<strong>de</strong>.<br />

Am 7. März 1951 re<strong>ist</strong>en Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Religiösen Vereins mit dreien unserer Schwestern<br />

aus Bohosudov (Mariaschein) in das erste „Unbekannt“. Es han<strong>de</strong>lte sich um <strong>die</strong> Schwestern<br />

Eugenie, Mlada und Konrada. Ihre Freu<strong>de</strong> war groß, als sie in Rozelov bei Rozmitál unserem<br />

verehrten Terziar, <strong>de</strong>m Prager Erzbischof, von Angesicht zu Angesicht gegenüberstan<strong>de</strong>n.<br />

Aber bereits am 24. März 1951 wur<strong>de</strong>n sie nach Ruzodol bei Liberec (Reichenberg) verlegt.<br />

Die weiteren Internierungsorte blieben bis zur Freilassung <strong>de</strong>r Bischöfe im Jahr 1963<br />

geheim… (6)<br />

Im „Vatikan“ von Valdice<br />

Antonin P. aus Strmilov, war fast drei Jahre als „politischer Gefangener“ im Gefängnis von<br />

Valdice inhaftiert. Er wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Glasschleiferei eingesetzt, als Schichtleiter einer Gruppe<br />

<strong>die</strong> unter <strong>de</strong>n Gefangenen als „Vatikan“ bezeichnet wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn sie bestand „hauptsächlich<br />

aus katholischen Priestern.“... (7)<br />

Antonin, Absolvent <strong>de</strong>r Kunstgewerbeschule für Glasgestaltung in Nový Bor (Haida), hatte<br />

<strong>de</strong>n Februar-Putsch (1948) erlebt und als Stu<strong>de</strong>nt bei <strong>de</strong>n Maiwahlen 1948 wie viele an<strong>de</strong>re<br />

Kommilitonen einen weißen Zettel in <strong>die</strong> Wahlurne gesteckt. Aber nur zehn Prozent <strong>de</strong>r<br />

Wähler stimmten gegen <strong>die</strong> aufziehen<strong>de</strong> bolschew<strong>ist</strong>ische Diktatur. „90 Prozent <strong>de</strong>r Nation<br />

schienen <strong>de</strong>n Kampf um Freiheit und Demokratie bereits in <strong>die</strong>ser Anfangsphase <strong>de</strong>s Kalten<br />

Krieges aufgegeben zu haben. Im Februar 1949 wur<strong>de</strong> Antonin verhaftet und vom<br />

Staatsgerichtshof zu zehn Jahren Gefängnis und kurze Zeit später noch zu weiteren fünf<br />

Jahren Haft verurteilt. „Für mich, wie auch für weitere Hun<strong>de</strong>rttausen<strong>de</strong> meiner Mitbürger<br />

gingen, wie wir zu sagen pflegten, `<strong>die</strong> Käfiggitter herunter´. Dass ich dort elf Jahre und drei<br />

Monate verbringen wür<strong>de</strong>, <strong>ist</strong> mir Optim<strong>ist</strong>en wie<strong>de</strong>rum im Traum nicht eingefallen.“…(8)<br />

Weihnachten im Konzentraitonslager<br />

Karel P. aus Hra<strong>de</strong>c Kralové erinnert sich an <strong>de</strong>n 24. Dezember 1952. Den Heiligabend<br />

„erlebte“ er im Konzentrationslager „Rovnost“ („Gleichheit“ ) bei Jáchymov (St.<br />

Joachimsthal). Zum normalen Zählappell wur<strong>de</strong>, ein weiterer Appell angesetzt. „Die 2500<br />

politischen Gefangenen ahnten nicht, welch ungewöhnliches Ereignis sie erwartete. Vom<br />

Himmel fielen dicke Schneeflocken. Die Erinnerungen an <strong>die</strong> Familie zu Hause wur<strong>de</strong> nur<br />

durch das Geschrei <strong>de</strong>r Wärter gestört. Die Zeit zog sich langsam und unendlich dahin.<br />

Plötzlich erklang aus <strong>de</strong>n Lautsprechern das böhmische Weihnachtslied „Narodil se Kr<strong>ist</strong>us<br />

Pán“, in das wir sofort alle einstimmten. Danach sangen wir trotz <strong>de</strong>r ohnmächtigen Wut <strong>de</strong>r<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei VI.<br />

Wärter, trotz <strong>de</strong>r Warnschüsse von <strong>de</strong>n Wachttürmen, wohl alle Weihnachtslie<strong>de</strong>r, <strong>die</strong> wir<br />

kannten, und schickten sie als eine Botschaft <strong>de</strong>r Liebe und Hoffung in unsere Heimatorte.<br />

Für <strong>die</strong>se „Frechheit“ mussten wir natürlich teuer bezahlen. Sie ließen uns bis zum Morgen<br />

halb verfroren und schneebe<strong>de</strong>ckt draußen auf <strong>de</strong>m Platz stehen. Trotz<strong>de</strong>m dankten wir Gott<br />

für <strong>die</strong>se Aufmunterung und Unterstützung, <strong>die</strong> er unseren Herzen geschenkt hatte.“(9)<br />

Eine Königin wird aufgeklärt<br />

Der Benediktinerpater Jan, 1949 Novize in <strong>de</strong>r Abtei Brevnov bei Prag, hat <strong>de</strong>n Tag nicht<br />

vergessen, an <strong>de</strong>m Abt Anastaz Opasek von <strong>de</strong>r Sicherheitspolizei abgeholt wur<strong>de</strong>. Es war<br />

Montag, <strong>de</strong>r 19, September. Um zehn Uhr hatte <strong>de</strong>r Abt eine Trauung auf <strong>de</strong>m Weißen Berg<br />

geleitet und war kurz nach elf Uhr in das Kloster zurückgekehrt. „Nur wenig später<br />

verlangten zwei Männer in Zivil an <strong>de</strong>r Pforte, mit ihm sprechen zu dürfen. Kaum hatte man<br />

ihnen das Tor geöffnet, drängten weitere Männer nach. Insgesamt vierzehn Poliz<strong>ist</strong>en waren<br />

gekommen, um <strong>de</strong>n Abt zu verhaften.<br />

Vierzig Jahre später, kommt es zu einer <strong>de</strong>nkwürdigen Begegnung in Brevnov. Nach <strong>de</strong>r<br />

Samtenen Revolution war Abt Opasek aus <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Exil (in Rohr) nach Prag<br />

zurückgekehrt und an Pfingstmontag 1991 besucht <strong>die</strong> spanische Königin Sophie mit Gefolge<br />

<strong>die</strong> Abtei, „um <strong>die</strong> Basilika, <strong>die</strong> Krypta und <strong>de</strong>n Theresianischen Saal“ zu besichtigen.<br />

Abt Opasek persönlich übernimmt <strong>die</strong> Führung. Er zeigt <strong>de</strong>r Monarchin, wo sich früher seine<br />

Privaträume (Schlafzimmer, Arbeitszimmer, Empfangsraum) befan<strong>de</strong>n und erwähnt auch <strong>de</strong>n<br />

Moment seiner Verhaftung. Die Königin fragt zurück: „Und man hat Sie eingesperrt?“. „Ja<br />

antwortet <strong>de</strong>r Abt. „Ich bekam lebenslänglich.“ Die Königin verwun<strong>de</strong>rt: „Was haben Sie<br />

<strong>de</strong>nn verbrochen? Bei uns bekäme jemand lebenslänglich, <strong>de</strong>r mehrere Menschen ermor<strong>de</strong>t<br />

hat.“ Der Abt: „Sie erklärten mich zum Spion <strong>de</strong>s Vatikans; bei <strong>de</strong>m Monsterprozess, <strong>de</strong>r drei<br />

Tage dauerte, bekamen wir neun kirchliche Wür<strong>de</strong>nträger am 2. Dezember 1950 Strafen von<br />

zehn Jahren aufwärts. Bis zum Prozess war ich nur in Einzelhaft, zunächst drei Monate in<br />

Pankrác, dann in Ruzyné. Nach <strong>de</strong>r Urteilverkündigung wur<strong>de</strong> ich weiterhin in Einzelhaft<br />

gehalten – noch bis zum Februar. Den Prozess hatte man mit uns schon zwei Monate vorher<br />

eingeübt“…(10)<br />

Alena P. aus Prag beschreibt, wie ihr Vater <strong>de</strong>m Druck <strong>de</strong>r Stasi wi<strong>de</strong>rstand, „Konfi<strong>de</strong>nten“<br />

unter seinen Fahrgästen zu werben. Seine hauptsächlichen Kun<strong>de</strong>n waren zu <strong>de</strong>r Zeit zum<br />

Beispiel Kellner, Barmänner, Servierfräulein, Verkäufer, Friseure, aber auch Kollegen aus<br />

<strong>de</strong>m Kreis <strong>de</strong>r Taxifahrer, alles Leute also, <strong>die</strong> mit Menschen zusammenkamen. Elf Monate<br />

hielt <strong>die</strong> Staatssicherheit Vater Bohumil V. in Haft, um ihn zu zerbrechen. Eine Unterschrift<br />

hätte genügt und er wäre freigekommen. Aber er weigerte sich. Dies bekam auch <strong>die</strong> Familie<br />

zu spüren. „Unsere Familie litt ökonomisch und psychisch, auch in <strong>de</strong>r Kriegszeit war es<br />

nicht so schlimm wie in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren.“<br />

Alena wäre gern auf <strong>die</strong> Kunstgewerbeschule gegangen, aber für “politisch Unzuverlässige“,<br />

<strong>de</strong>nn Alena wur<strong>de</strong> sozusagen in Sippenhaft genommen, hatte das Regime nur Werkzeugma<br />

cherin, Aufzugführerin, Fräserin, Mästerin, Traktor<strong>ist</strong>in, Maurerin, Schornsteinfegerin u.ä.<br />

im Angebot. Sie entschied sich für Milchverarbeitung und Käsezubereitung. Lernen musste sie<br />

in einem staatlichen Schülerheim, in <strong>de</strong>n Räumen eines Klosters. Mönche und Seminar<strong>ist</strong>en<br />

waren vertrieben wor<strong>de</strong>n. Wie Alena waren ihre me<strong>ist</strong>en Mitschüler aus Böhmen, Mähren<br />

und <strong>de</strong>r Slowakei, <strong>die</strong> in <strong>die</strong>ser einzigen Fachschule für zusammengefasst wur<strong>de</strong>n, gläubig.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei VI.<br />

Der Besuch von Gottes<strong>die</strong>nsten, ja, allein schon das Betreten einer Kirche, war ihnen<br />

untersagt.<br />

Das Verbot bewirkte das Gegenteil. Selbst <strong>de</strong>r angedrohte Schulverweis hielt sie nicht ab, „in<br />

Scharen“ sonntags am Gottes<strong>die</strong>nst in <strong>de</strong>n Stadtkirchen teilzunehmen. Alena erinnert sich an<br />

<strong>de</strong>n Pfarrer von St. Mauritius in Kromeriz/Kremsier. Seine Predigten, „lebendiges Wasser für<br />

uns“, waren von <strong>de</strong>r Überzeugung getragen, dass <strong>die</strong> Hoffnung nicht stirbt. Nach <strong>de</strong>m<br />

Gottes<strong>die</strong>nst habe man das „Gefängnis-Vaterunser“ gesungen, das Priester in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen<br />

KZ´s verfasst hätten. Alena schreibt. „Niemand kann sich vorstellen, was für uns jenes Lied<br />

in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Unterdrückung be<strong>de</strong>utete“. Ein solcher Priester war <strong>de</strong>n<br />

Genossen, wie nicht an<strong>de</strong>rs zu erwarten, ein Dorn im Auge. Sie verhafteten ihn und sperrten<br />

ihn ein. (11).<br />

Wer <strong>de</strong>n Anspruch erhebt, <strong>de</strong>n „neuen Menschen“ zu schaffen, und in <strong>die</strong>ser Hinsicht<br />

unterschie<strong>de</strong>n sich <strong>die</strong> braune und <strong>die</strong> rote I<strong>de</strong>ologie nur wenig, macht vor Kin<strong>de</strong>rn und<br />

Jugendlichen nicht Halt. Im Gegenteil. Sie waren Zielgruppe sein, <strong>die</strong> man nicht erst<br />

„umerziehen“ musste, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r Krippe an, systemgerecht formen konnte – es sei <strong>de</strong>nn,<br />

es gab Elternhäuser, <strong>die</strong> an<strong>de</strong>re Vorstellungen vom Menschen und seiner Bestimmung hatten.<br />

Davon berichten <strong>die</strong> Beiträge von Zeitzeugen, <strong>die</strong> sich nur allzu genau an ihre Schulzeit<br />

erinnern.<br />

Nikodéma N., we<strong>ist</strong> darauf hin, wie leicht Kin<strong>de</strong>r in das Netz <strong>de</strong>r Schule <strong>de</strong>s Atheismus<br />

geraten konnten, <strong>de</strong>nn sie waren von zu Hause „physisch wie psychisch auf Kin<strong>de</strong>rkollektiv<br />

und auf Informationsschwall“ vorbereitet. Auf lange Zeit blieben Nikodéma als „ge<strong>ist</strong>liche<br />

Bildung“, außer <strong>de</strong>m Vorbild <strong>de</strong>r Mutter, geheime „Treffen“ mit einem „geheimen<br />

Salesianer“, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ser <strong>de</strong>n Eltern anbot, als <strong>die</strong> Tochter elf Jahre alt war. In <strong>de</strong>r Schule<br />

wur<strong>de</strong> sie schikaniert, Mitschüler verprügelten sie, er wur<strong>de</strong> vorgeworfen, nicht Mitglied in<br />

<strong>de</strong>r Pionierorganisation zu sein. Die Mutter wur<strong>de</strong> eines Tages vo <strong>de</strong>r Klassenlehrerin in das<br />

Büro <strong>de</strong>s Direktor gerufen, „wo alle meine künftigen Lehrerinnen über sie gemeinsam<br />

herfielen und ihr unterstellten „Wir wollen angeblich <strong>die</strong> sozial<strong>ist</strong>ische Regierung stürzen und<br />

seien Zerstörungsge<strong>ist</strong>er….“ Nikodéma blieb ihrem Glauben treu und entschied sich für ein<br />

Leben als Or<strong>de</strong>nsfrau.<br />

Gott <strong>ist</strong> unerwünscht<br />

Milada H. aus Jihlava/Iglau wollte Medizinlaborantin wer<strong>de</strong>n. Der Direktor <strong>de</strong>r Technischen<br />

Oberschule ließ sie vor <strong>de</strong>r Aufnahmeprüfung zu sich kommen und eröffnete ihr: Wissen Sie,<br />

wir haben Sie eingela<strong>de</strong>n, um zu sehen, was sie wissen. Aber Sie könnten Patienten von Gott<br />

erzählen, und das <strong>ist</strong> unerwünscht.“ Milada hielt an ihrem chr<strong>ist</strong>lichen Glauben fest. Machte<br />

<strong>de</strong>n Schulabschluss mit „Ausgezeichnet“. Bei <strong>de</strong>r Abiturfeier verriet ihr ein externer Lehrer,<br />

dass er <strong>die</strong> Begutachtung gelesen hatte. Dort habe gestan<strong>de</strong>n, „rot unterstrichen“: Stu<strong>die</strong>n<br />

fach än<strong>de</strong>rn. Kein Gesundheitswesen und keine Pädagogik. – Der Schuldirektor hatte sich<br />

dafür eingesetzt: Ich sollte `umerzogen´ wer<strong>de</strong>n.“…. (12)<br />

1)Kamínky – Mosaiksteinchen. Kurze Zeugnisse über <strong>die</strong> Chr<strong>ist</strong>enverfolgung in <strong>de</strong>n Zeiten <strong>de</strong>r kommuni<br />

stischen Totalität und über <strong>die</strong> Bemühungen <strong>de</strong>r Gläubigen um Freihiet und Wohl ihres Heimatlan<strong>de</strong>s.<br />

Herausgegeben in Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>r Kommission Iustitia et Pax (Gerechtigkeit und Frie<strong>de</strong>n) bei <strong>de</strong>r<br />

Tschechischen Bischofskonferenz unter <strong>de</strong>m Patronat von Msgr. ThLic. Karel Otcenasek, <strong>de</strong>m Initiator <strong>die</strong>ser<br />

Arbeit. Hra<strong>de</strong>c Kralové, Band 1 (2001); Band 2 (2003); Band 3 (2004); Band 4 (2005); Band 5 (2006). /<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei VI.<br />

Karel Otcenasek, (Jg. 1920) - 1950 geheim zum Weihbischof in Hradrec Kralové gew eiht. Die Weihe nahm <strong>de</strong>r<br />

amtsbehin<strong>de</strong>rte Ortsbischof Picha mit Genehmigung von Papst Pius XII. vor, mit <strong>de</strong>m Recht, notfalls <strong>die</strong><br />

Leitung <strong>de</strong>r Diözese zu übernehmen. 1951 erste Verhaftung. Internierung im umfunktionierten Kloster Seelau.<br />

Erfolglose „Umerziehung“. 1953 Haft in Pardubice, 53/54 Schauprozess und Verurteilung zu 13 Jahren<br />

Zuchthaus wegen Hochverrats. Diverse Gefängnisse. Mai 1962 Amnestie aber Seelsorgeverbot. Arbeit in einer<br />

Molkerei. Ab 65 Priester in einem entlegenen Ort, nach Intervention von Papst Paul VI., während <strong>de</strong>s „Prager<br />

Frühlings“ 1968 rehabilitiert und Aufhebung <strong>de</strong>s Urteils von 1954 als illegalem Akt. Weiterhin nur<br />

eingeschränkte Seelsorgetätigkeit unter ständiger Stasi-Überwachung. 1990 – nach <strong>de</strong>r Samtenen Revolution –<br />

Bischof von Hra<strong>de</strong>c Kralové/Königgrätz, 1998 aus Altersgrün<strong>de</strong>n emeritiert. Papst Johannes Paul II. verlieh im<br />

<strong>de</strong>n persönlichen Titel eines Erzbischofs.<br />

2) dto. (aus <strong>de</strong>m Vorwort zu Band 2)<br />

3) Johannes Paul II.: Apostolisches Schreiben „Tertio Millennio Adveniente“ zur Vorbereitung auf das<br />

Jubeljahr 2000 v. 10. November 1994, tituliert nach <strong>de</strong>n Anfangszeilen: „Während das dritte Jahrtausend neuer<br />

Zeitrechnung näher rückt…“<br />

4) Václav Havel, (Jg. 1936), Dramatiker und Essay<strong>ist</strong>, Prager Bürgerrechtler, wie<strong>de</strong>rholt festgenommen und<br />

inhaftiert. Mitbegrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Bürgerrechtsgruppe „Charta 77“ und <strong>de</strong>s Bürgerforums 1989, Frie<strong>de</strong>nspreis <strong>de</strong>s<br />

<strong>de</strong>utschen Buchhan<strong>de</strong>ls 1989, (ein Reisepass wur<strong>de</strong> ihm versagt), nach <strong>de</strong>r erfolgreichen „Samtenen<br />

Revolution“ ab 29. Dezember 1989 (bis 1992) erster Staatspräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r neuen <strong>de</strong>mokratischen<br />

Tschechoslowakei; von 1993 bis 2003, nach <strong>de</strong>r Trennung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>steile Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Tschechischen<br />

Republik.<br />

5) Kaminky, Bd. 1, S. 10<br />

6) dto. , Bd. 1, S. 15 (erwähnte Orte: Rozelov bei Rozmitál/Rosenthal in Westböhmen; Ruzodol (heute Stadtteil<br />

von Liberec/Reichenberg im Nordböhmen.) Zum Stichwort „Religiöser Verein“. Das Regime versuchte <strong>die</strong><br />

Kirche zu unterwan<strong>de</strong>rn, in <strong>de</strong>m sie vom Staat kontrollierte katholische Einrichtungen zuließ, zunächst eine<br />

„<strong>Kath</strong>olische Aktion“, wobei absichtlich irreführend <strong>die</strong> Bezeichnung <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n weltweiten kirchlichen<br />

Bewegung übernommen wur<strong>de</strong>. Nach<strong>de</strong>m sich 1949 <strong>die</strong> legitimen Bischöfe gegen <strong>die</strong>se „Aktion“ gestellt hatten,<br />

folgte als nächster Schritt, <strong>die</strong> Kirche zu unterminieren <strong>die</strong> Genehmigung einer „Frie<strong>de</strong>nsbewegung“ <strong>de</strong>r<br />

katholischen Ge<strong>ist</strong>lichen. Sie nannte sich „Pacem in terris“, in Anlehnung an <strong>die</strong> gleichnamige Enzyklika von<br />

Johannes XXIII. Nicht alle Priester, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Vereinigung beitraten, machten sich zu Kollaboranten, an<strong>de</strong>re aber<br />

arbeiteten mit <strong>de</strong>r Stasi zusammen.<br />

7) dto., Bd 1, S. 21 (erwähnte Orte: Strmilov / Tremles in Südböhmen; Valdice / Karthaus-Walditz bei<br />

Jicin/Jitschin in Nordböhmen. In einem ehemaligen Karthäuser-Kloster wur<strong>de</strong> schon 1856 ein Zuchthaus für<br />

langjährig inhaftierte Schwerverbrecher eingerichtet, <strong>die</strong> Betreuung übernahmen Barmherzige Schwestern vom<br />

Or<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Borromäerinnen.<br />

8) dto. Bd. 1, S. 22/23<br />

9) dto. Bd. 1, S. 123 (Jáchymov/St. Joachimsthal im nordwestlichen Böhmen). Der Name <strong>de</strong>s Internierungslager<br />

„Rovnost“ be<strong>de</strong>utet auf Deutsch „Gleichheit“, <strong>die</strong> sprachliche Variante ähnlicher Ausdrucksformen <strong>de</strong>r Nazis.<br />

Böhmisches Weihnachtslied „Narodil se Kr<strong>ist</strong>us Pán“ – „Chr<strong>ist</strong>us, <strong>de</strong>r Herr, <strong>ist</strong> (uns) geboren.“<br />

10) dto. Bd. 2, S. 22 (Abtei Brevnov/Benediktiner-Stift Breunau. Siehe auch Folge 3: Der Prozess gegen Abt<br />

Anastaz Opasek und an<strong>de</strong>re vom 21. November 1950. Pankrac sowie Ruzyne, <strong>die</strong> berüchtigten Prager<br />

Gefängnisse, sowohl von <strong>de</strong>r Gestapo während <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Besetzung, wie von <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Staatssicherheit benutzt. Während <strong>de</strong>r Nazi-Okkupation wie während <strong>de</strong>r stalin<strong>ist</strong>ischen Terrorherrschaft<br />

wur<strong>de</strong>n Menschen gefoltert und „hingerichtet“, mit an<strong>de</strong>ren Worten: ermor<strong>de</strong>t.<br />

11) dto Bd. 2, S. 141/ 142 Im Zusammenhang mit <strong>de</strong>m Bericht von Alena P. ver<strong>die</strong>nt eine „Bemerkung <strong>de</strong>r<br />

Herausgeber“ beson<strong>de</strong>re Beachtung: „Wir wur<strong>de</strong>n uns auch bewusst, wie schwierig es <strong>ist</strong>, <strong>die</strong> Nazi- und <strong>die</strong><br />

kommun<strong>ist</strong>ische Verfolgung zu trennen. Bei<strong>de</strong>s hängt zusammen, das Problem und <strong>die</strong> Grundlage sind gleich.<br />

(erwähnte Stadt: Kromeriz/Kremsier in Ostmähren, kurze Zeit Hussitenhochburg, heute prominent durch ihr<br />

h<strong>ist</strong>orisches Ortsbild).<br />

12) dto. Bd. 2, S. 171-174<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei VII.<br />

VII. Eine Krake greift um sich<br />

Es gab im Leben <strong>de</strong>r Tschechen und Slowaken unter <strong>de</strong>m Roten Stern keinen Lebensbereich,<br />

ob privat o<strong>de</strong>r gesellschaftlich, in <strong>de</strong>n <strong>die</strong> „Krake Staatssicherheit“ nicht eindrang, immer<br />

unter <strong>de</strong>m Vorwand, doch nichts an<strong>de</strong>res zu tun, als <strong>die</strong> Errungenschaften <strong>de</strong>s Sozialismus<br />

gegen <strong>die</strong> „Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Republik“ zu schützen, ein System zu verteidigen, das doch nur<br />

„Gerechtigkeit für alle“ bringe und darauf zu achten, dass je<strong>de</strong>r Bürger sich <strong>die</strong>ser neuen Zeit<br />

entsprechend anpasse. Wie <strong>de</strong>r H<strong>ist</strong>oriker Prokop Tomek, Mitarbeiter <strong>de</strong>s Prager Innenmini<br />

sterium für <strong>die</strong> Aufarbeitung <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>s StB, erklärt, ging das Regime vor allem in<br />

<strong>de</strong>r Anfangszeit, En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r vierziger/Anfang <strong>de</strong>r fünfziger Jahre, äußerst rücksichtslos gegen<br />

politische Gegner vor. Vorbild für <strong>die</strong> tschechoslowakischen Geheim<strong>die</strong>nste war <strong>de</strong>r „große<br />

Bru<strong>de</strong>r“, <strong>de</strong>r sowjetische KGB. Von <strong>de</strong>n Moskauer Genossen lernte man <strong>die</strong> Metho<strong>de</strong>n, nach<br />

<strong>de</strong>nen <strong>die</strong> „operativen Maßnahmen“ abliefen, ob Bespitzelung, Verhaftung und Verhör o<strong>de</strong>r<br />

Desinformation und Diversion. Auch brutalere Metho<strong>de</strong>n gehörten zum Repertoire, bis hin zu<br />

Entführungen missliebiger tschechischer und slowakischer Bürger im Ausland. Die Stasi hatte<br />

es insbeson<strong>de</strong>re auf Emigranten abgesehen. Auch vor <strong>de</strong>r Liqui<strong>die</strong>rung von Personen<br />

schreckten <strong>die</strong> Sicherheitsorgane offenbar nicht zurück, worauf spätere Aussagen von<br />

Zeitzeugen hinweisen. (1) Die ersten Repressionsmaßnahmen gegen <strong>die</strong> Kirche setzten<br />

unmittelbar nach <strong>de</strong>m Zweiten Weltkrieg ein und wur<strong>de</strong>n 1948, nach <strong>de</strong>m Staatstreich <strong>de</strong>r<br />

Kommun<strong>ist</strong>en, verschärft. (2).<br />

Man spricht von <strong>de</strong>r „stalin<strong>ist</strong>ischen Zeit“ <strong>de</strong>s Kirchenkampfes. Höhepunkt: <strong>die</strong> „Aktion K“ ,<br />

Auflösung <strong>de</strong>r Klöster, Internierung von Or<strong>de</strong>nsangehörigen in so genannten Konzentrations<br />

klöstern, langjährige Haftstrafen – nach entsprechen<strong>de</strong>n Schauprozessen – für „Staatsfein<strong>de</strong>“.<br />

Dies traf auch viele Priester <strong>de</strong>s Diözesanklerus. Sie wur<strong>de</strong>n als „Agenten <strong>de</strong>s amerikanischen<br />

Imperialismus“ vor Gericht gestellt. Die Älteren kamen unter Arrest, wur<strong>de</strong>n in Lagern<br />

isoliert, an<strong>de</strong>re in Gefängnisse gesperrt. Schätzungen zufolge gingen 70 Prozent <strong>de</strong>s<br />

Diözesan- und Or<strong>de</strong>nsklerus durch <strong>die</strong> Haft. Die Jüngeren kamen in Strafbataillone. Man<br />

verhöhnte sie als „Schwarze Barone“ und zwang sie, Schaufel, Axt und Pickel in <strong>die</strong> Hand zu<br />

nehmen, in <strong>de</strong>r Landwirtschaft, auf <strong>de</strong>m Bau, in Kohlegruben und Uranminen.<br />

Mit Panzern gegen <strong>die</strong> Freiheit<br />

Mit <strong>de</strong>r Verfassungsän<strong>de</strong>rung von 1960 - aus <strong>de</strong>r Tschechoslowakei wur<strong>de</strong> jetzt eine<br />

Sozial<strong>ist</strong>ische Republik - verfestigten <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>en ihren Führungsanspruch. Diese Phase<br />

bracht <strong>de</strong>r Kirche gewisse Erleichterung, jedoch kein En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Kontrolle durch <strong>die</strong><br />

Staatsmacht. Im Rahmen einer Amnestie für politische Häftlinge wur<strong>de</strong>n 80 Prozent <strong>de</strong>r<br />

inhaftierten Ge<strong>ist</strong>lichen freigelassen. Viele setzten ihre Hoffnung in <strong>de</strong>n „Prager Frühling“<br />

von 1968, als Alexan<strong>de</strong>r Dubcek einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ versprach.<br />

Die Antwort folgte postwen<strong>de</strong>nd aus Moskau, in Form von Panzern, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Freiheitswillen<br />

<strong>de</strong>s Volkes nie<strong>de</strong>rwalzten, wie schon 1953 in Berlin und 1956 in Budapest.<br />

Als En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 70er Jahre <strong>die</strong> polnische Bürgerrechtsbewegung auch viele Menschen in <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei inspirierte, Prager Intellektuelle mit <strong>de</strong>r „Charta 77“ (u. a. Vaclav Havel)<br />

<strong>de</strong>m Regime gegenüber traten, schlug <strong>die</strong> Staatssicherheit hart zu. Dabei traf es erneut auch<br />

Priester und katholische Laien, <strong>die</strong> sich <strong>de</strong>r Erneuerungsbewegung angeschlossen hatten o<strong>de</strong>r<br />

verdächtigt wur<strong>de</strong>n, mit <strong>die</strong>ser zu sympathisieren und – <strong>die</strong> übliche Anschuldigung -<br />

staatsfeindliche Kontakte zum Westen zu unterhalten.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei VII.<br />

Vielen <strong>ist</strong> in Erinnerung geblieben, wie Papst Paul VI. am Festtag „Mariae Lichtmess“, am<br />

2. Februar 1978, beim Aschekreuz-Ritus, in einer Ansprache vor Or<strong>de</strong>nsleuten <strong>de</strong>r Männer<br />

und Frauen, <strong>die</strong> ihrem Glauben und <strong>de</strong>r Kirche treu geblieben sind, im Gebet gedachte und<br />

mehrfach das Zweite Vatikanische Konzil zitierte. Die Konzilsväter hatten in <strong>de</strong>r<br />

Dogmatische Konstitution über <strong>die</strong> Kirche „Lumen Gentium“ <strong>die</strong> gesellschaftliche<br />

Verantwortung <strong>de</strong>r Chr<strong>ist</strong>en angesprochen und <strong>de</strong>utliche Worte zur Glaubensverfolgung in<br />

<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn hinter <strong>de</strong>m Eisernen Vorhang gefun<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>m sie sagten: „…Ebenso aber wird<br />

mit Recht jene unselige Lehre verworfen, <strong>die</strong> eine Gesellschaft ohne Rücksicht auf <strong>die</strong><br />

Religion zu errichten sucht und <strong>die</strong> Religionsfreiheit <strong>de</strong>r Bürger bekämpft und austilgt. (3)<br />

Die Bespitzelung etwa von Priestern, Laienmitarbeitern und von allgemein in <strong>de</strong>r Kirche<br />

engagierten Chr<strong>ist</strong>en ging bis in das Frühjahr 1989. Die letzten Stasi-Berichte sind von Juli<br />

1990. Ein Betroffener, heute im Sekretariat <strong>de</strong>r Prager Erzdiözese tätig, erinnert sich.<br />

„Hansi“, wie ihn <strong>die</strong> Stasi nannte, wur<strong>de</strong> ständig überwacht. Was ihm nicht verborgen blieb.<br />

Man bekam ein Auge dafür. Etwa, wenn ein Personenwagen „unauffällig“ vor seiner<br />

Wohnung parkte. In <strong>de</strong>m Fahrzeug sassen dann schon mal ein Mann und eine Frau, in Zivil<br />

versteht sich. Fühlten sie sich beobachtet, so beschreibt „Hansi“ eine Szene, dann umarmten<br />

sie sich und küssten sich innig: ein Liebespärchen halt. Sollte <strong>de</strong>r Bespitzelte meinen. Für<br />

dumm ließ „Hansi“ sich freilich nicht verkaufen.<br />

Deckname „Herrscher“<br />

Es mag sein, dass <strong>die</strong> ersten Expeditionen in <strong>die</strong> Archive <strong>de</strong>r Staatsicherheitsorgane nach <strong>de</strong>r<br />

politischen Wen<strong>de</strong>, noch etwas unsortiert liefen, eher von <strong>de</strong>m Drang motiviert, möglichst<br />

rasch Belastungsmaterial für <strong>die</strong> Strafverfolgungsbehör<strong>de</strong>n zu fin<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Zwischenzeit <strong>ist</strong><br />

eine systematische, von wissenschaftlichen Kriterien getragene Aufarbeitung erkennbar –<br />

gelegentlich von politischen Störversuchen beeinträchtigt, wie von Betroffenen in Prag zu<br />

erfahren war. Die Sichtung <strong>de</strong>s Materials durch unvoreingenommene Wissenschaftler <strong>die</strong>nt<br />

<strong>de</strong>r differenzierten Wertung, mithin einer zeitgeschichtlichen Einordnung auch für spätere<br />

Generationen. In <strong>die</strong>sem Zusammenhang ver<strong>die</strong>nen <strong>die</strong> laufen<strong>de</strong>n Veröffentlichungen <strong>de</strong>s<br />

Archivs <strong>de</strong>s tschechischen Innenmin<strong>ist</strong>eriums sowie einer <strong>die</strong>sem Min<strong>ist</strong>erium unterstellten<br />

Son<strong>de</strong>rbehör<strong>de</strong>. Sie wur<strong>de</strong> anfänglich als Amt für <strong>die</strong> Dokumentation und Untersuchung <strong>de</strong>r<br />

Tätigkeit <strong>de</strong>s Staatssicherheits<strong>die</strong>nstes StB bezeichnet wur<strong>de</strong>. Dann <strong>die</strong> Amtsbezeichnung<br />

begrifflich, also inhaltlich, erweitert in Behör<strong>de</strong> für <strong>die</strong> „Dokumentation und Untersuchung<br />

<strong>de</strong>r Verbrechen <strong>de</strong>s Kommunismus.“ (4) Nach parteipolitischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen <strong>de</strong>s<br />

linken und rechten Lagers soll ein Institut für <strong>die</strong> nationale Erinnerung <strong>die</strong> Zeit <strong>de</strong>s Zweiten<br />

Weltkrieges in seine Forschungsarbeit einbeziehen, also <strong>die</strong> Jahre <strong>de</strong>r Nazi-Okkupation<br />

soweit Kollaboration von tschechischer Seite in Frage steht.<br />

Verschie<strong>de</strong>nes Material fin<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>r Aktenablage unter <strong>de</strong>m Decknamen „Vladar<br />

svazek“ – (Vladar – Fürst, Herrscher / Svazek – Sammlung. Aktenbün<strong>de</strong>l). Darunter befin<strong>de</strong>n<br />

sich auch <strong>die</strong> Kirche betreffen<strong>de</strong> Vorgänge. In <strong>de</strong>n Ordinariaten wur<strong>de</strong> allerdings <strong>die</strong><br />

Befürchtung laut, dass an an<strong>de</strong>rer Stelle Material zurückgehalten wer<strong>de</strong>n könnte, um es bei<br />

passen<strong>de</strong>r Gelegenheit hervorzuholen. Mit an<strong>de</strong>ren Worten: „um einen Skandal zu<br />

provozieren“.<br />

Im Vor<strong>de</strong>rgrund <strong>die</strong>ser Folge <strong>de</strong>r Themenreihe steht aber zunächst das erste Jahrzehnt nach<br />

<strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges, <strong>de</strong>r Neubeginn <strong>de</strong>s tschechoslowakischen Staates mit <strong>de</strong>n<br />

ersten Anzeichen <strong>de</strong>r sowjetisch gelenkten Machtübernahme und <strong>die</strong> Umformung in eine<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei VII.<br />

Sozial<strong>ist</strong>ische Republik. Den Kirchen drohte das En<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> sozial<strong>ist</strong>ische<br />

Gesellschaftsordnung sollte ohne Gott auskommen, <strong>die</strong> Religion faktisch auslöschen.<br />

„An<strong>de</strong>rs als in Polen machten <strong>die</strong> kommun<strong>ist</strong>ischen Machthaber in Prag in <strong>de</strong>n Jahren 1950<br />

kurze Messen mit <strong>de</strong>n <strong>Kath</strong>oliken. Die Kommun<strong>ist</strong>en fan<strong>de</strong>n gottes<strong>die</strong>nstliche Praktiken als<br />

überholt und <strong>die</strong> Kirche als eine verknechten<strong>de</strong> Struktur, <strong>die</strong> ihnen im Weg stand“, schreibt<br />

<strong>de</strong>r Autor einer belgischen Kirchenzeitung. (5)<br />

Ein erster Schritt war es, <strong>die</strong> Hirten von <strong>de</strong>r Her<strong>de</strong> zu trennen, mit an<strong>de</strong>ren Worten, wie <strong>de</strong>r<br />

„Osservatore Romano“ am 24. Juli 1954 berichtete: In <strong>de</strong>r CSSR seien 13 Diözesanbischöfe<br />

und Weihbischöfe amtsbehin<strong>de</strong>rt. Fünf seien im Gefängnis, bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Aufenthaltsort als „unbekannt“ angegeben. Bereits 1949, ein Jahr nach <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Machtergreifung, war nach Moskauer Vorbild ein staatliches Kirchenamt geschaffen wor<strong>de</strong>n,<br />

das je<strong>de</strong> kirchliche Aktivität steuern und überwachen sollte. Die athe<strong>ist</strong>ische Staatsdoktrin<br />

hatte ohnehin das baldige En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Religion vorgesehen.<br />

Erzbischof Josef Beran hatte in <strong>de</strong>r Abteikirche auf <strong>de</strong>m Strahov, wenige Gehminuten von <strong>de</strong>r<br />

Erzbischöflichen Resi<strong>de</strong>nz und <strong>Kath</strong>edrale auf <strong>de</strong>m Hradschin entfernt, <strong>die</strong> antikirchlichen<br />

Maßnahmen <strong>de</strong>s Regimes kritisiert. Am 19.6. 1949 wird er verhaftet und unter Hausarrest<br />

gestellt. Schon vor <strong>de</strong>r Verhaftung <strong>de</strong>s Prager Erzbischofs war <strong>de</strong>r Druck auf <strong>de</strong>n Weltklerus<br />

und <strong>die</strong> Or<strong>de</strong>nsge<strong>ist</strong>lichen erhöht wor<strong>de</strong>n. Geringfügige Übertretungen <strong>de</strong>r staatlichen<br />

Kirchengesetze genügten, um von <strong>de</strong>r Staatssicherheit verhört, verhaftet und vor Gericht<br />

gestellt zu wer<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Regel mit Gefängnisstrafen en<strong>de</strong>nd, <strong>de</strong>r Schuldspruch me<strong>ist</strong> gleich<br />

lautend: staatsfeindliche Umtriebe, Hochverrat, Spionage für eine feindliche Macht. Das war<br />

dann <strong>de</strong>r Vatikan.<br />

Bischöfe und Äbte wur<strong>de</strong>n unter Hausarrest gestellt, um sie von <strong>de</strong>r Kirchengemeinschaft zu<br />

isolieren. Wur<strong>de</strong>n sie vor Gericht gestellt, dann liefen in <strong>de</strong>n 50er Jahren nach<br />

„stalin<strong>ist</strong>ischem“ Muster ab, als Schauprozesse, in <strong>de</strong>nen <strong>die</strong> Angeklagten ihre „Untaten“<br />

zugaben. Der Ablauf im Gerichtssaal ließ keinen Zweifel daran, wie <strong>die</strong> „Geständnisse“<br />

zustan<strong>de</strong> gekommen waren: erpresst nach Gestapo-Metho<strong>de</strong>n, mit Androhung und auch<br />

Anwendung physischer und psychischer Gewalt.<br />

Ein Brief an <strong>de</strong>n UNO-Generalsekretär<br />

In beson<strong>de</strong>rer Weise traf es <strong>die</strong> weiblichen politischen Gefangenen in <strong>de</strong>n Fünfziger und<br />

Sechziger Jahren. Sie wur<strong>de</strong>n wenig an<strong>de</strong>rs behan<strong>de</strong>lt als <strong>die</strong> verurteilten Männer, sprich:<br />

drakonische Strafen, harte körperliche Arbeit, von Hygiene keine Re<strong>de</strong>, Erniedrigungen. Die<br />

Politik <strong>de</strong>r Kommun<strong>ist</strong>ischen Partei <strong>de</strong>r Tschechoslowakei und ihrer Sicherheits<strong>die</strong>nste<br />

gegenüber <strong>de</strong>n Frauen, zählte, wie <strong>de</strong>r H<strong>ist</strong>oriker Tomás Bursik feststellt, zu <strong>de</strong>n „brutalsten<br />

Ausdrücken <strong>de</strong>r Repression <strong>de</strong>s totalitären Regimes gegenüber <strong>de</strong>r eigenen Bevölkerung.“<br />

Diese Zustän<strong>de</strong> prägten <strong>de</strong>n Alltag in speziellen Frauengefängnissen, wie im<br />

„Besserungsarbeitslager Nr. 1“ in Pardubice.<br />

Selbst hinter Gittern ließen <strong>die</strong> Frauen in ihrem Wi<strong>de</strong>rstand gegen das Regime nicht nach. Es<br />

kam zu Hungerstreiks. 1956 schrieben einige an <strong>de</strong>n damaligen UNO-Generalsekretär <strong>de</strong>r<br />

Vereinten Nationen, Dag Hammarskjöld, wobei sie auf <strong>die</strong> problematische Stellung <strong>de</strong>r<br />

„politischen Gefangenen hinwiesen. Das Regime hatte <strong>die</strong>sen Begriff stets zurückgewiesen,<br />

als Versuch, auch <strong>die</strong> weiblichen Häftlinge <strong>die</strong>ser Kategorie zu kriminalisieren. Man sperrte<br />

sie zu <strong>de</strong>n gewöhnlichen Straftäterinnen.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei VII.<br />

Anlass <strong>de</strong>s Briefes war das Gerücht, <strong>de</strong>r damalige Chefdiplomat <strong>de</strong>r Vereinten Nationen wolle<br />

Prag besuchen. O<strong>de</strong>r hatten <strong>die</strong> Frauen Mut geschöpft, nach<strong>de</strong>m, was aus Moskau und<br />

Ostberlin vielleicht auch bis in ihre Gefängniszellen gedrungen war? Nikita Chruschtschow<br />

hatte auf <strong>de</strong>m 20. Parteitag <strong>de</strong>r KPdSU (am 25.2.) in einer „Geheimre<strong>de</strong>“ <strong>die</strong> Verbrechen<br />

Stalins enthüllt. Walter Ulbricht war eilfertig gefolgt und hatte im SED-Zentralorgan „Neues<br />

Deutschland“ (am 4. März) erklärt, Stalin sei „kein Klassiker <strong>de</strong>s Marxismus“. Wür<strong>de</strong>n <strong>die</strong><br />

Kommun<strong>ist</strong>en zurückschrauben? Man sprach von ersten Schritten einer „Entstalinisierung“.<br />

Die Ernüchterung ließ nicht bald auf sich warten. Dass <strong>de</strong>r Kreml <strong>de</strong>n eigenen<br />

Machtanspruch über sein Imperium nicht aufgeben wür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>monstrierte er im Herbst 1956,<br />

als seine Panzer <strong>de</strong>n ungarischen Volksaufstand zermalmten. Das Vorspiel zu Prag, zwölf<br />

Jahre später, im August 1968.<br />

Zu <strong>de</strong>n Verfasserinnen <strong>de</strong>s Briefes an Dag Hammarskjöld zählte auch <strong>die</strong> mährische<br />

Or<strong>de</strong>nsfrau Antonie Hasmandová. (6). Die Post aus <strong>de</strong>m kommun<strong>ist</strong>ischen Gefängnis<br />

erreichte <strong>de</strong>n Adressaten nie. Erst nach <strong>de</strong>r Öffnung <strong>de</strong>r Archive <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Geheim<strong>die</strong>nstes wur<strong>de</strong> er aufgefun<strong>de</strong>n und von <strong>de</strong>m tschechischen H<strong>ist</strong>oriker Tomás Bursik<br />

ausgewertet. Die Botschaft aus <strong>de</strong>m Stasi Gefängnis gehört zu <strong>de</strong>n bewegen<strong>de</strong>n Dokumenten<br />

<strong>die</strong> von <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rbehör<strong>de</strong> <strong>de</strong>s tschechischen Innenmin<strong>ist</strong>eriums „für <strong>die</strong> Dokumentation und<br />

Untersuchung <strong>de</strong>r Verbrechen <strong>de</strong>s Kommunismus (UDV) inzwischen herausgegeben wor<strong>de</strong>n<br />

sind. (7) Die Folge <strong>die</strong>ser Briefaktion? „Die Rache <strong>de</strong>s Regimes war grausam, schonungs<br />

los“, schreibt Bursik. Manche weibliche politische Gefangene aus <strong>de</strong>n fünfziger Jahren seien<br />

nicht schon im Zuge <strong>de</strong>r Amnestie von 1960 son<strong>de</strong>rn „erst fast am Vorabend“ <strong>de</strong>s „Prager<br />

Frühlings“ freigelassen wor<strong>de</strong>n, und hätten <strong>die</strong> Freilassung „überhaupt nicht“ überlebt. Sie<br />

waren an Leib und Seele zerschun<strong>de</strong>n.<br />

Das ganze Ausmaß <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Justiz in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei von 1948, <strong>de</strong>m Jahr<br />

<strong>de</strong>r Machtübernahme, bis 1898, <strong>de</strong>m Fall <strong>de</strong>s Regimes, wird an <strong>de</strong>n Zahlen <strong>de</strong>utlich, <strong>die</strong> von<br />

<strong>de</strong>r UDV ermittelt wur<strong>de</strong>n: 262 000 politische Häftlinge (Männer und Frauen) in <strong>de</strong>n<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Gefängnissen. Dort und in <strong>de</strong>n kommun<strong>ist</strong>ischen Konzentrationslagern<br />

kamen 3000 Menschen ums Leben, 241 wur<strong>de</strong>n „offiziell“ hingerichtet, <strong>de</strong>r „staatsfeindli<br />

chen Tätigkeit“ beschuldigt. In 280 Fällen geht <strong>die</strong> Behör<strong>de</strong> von Justizmor<strong>de</strong>n aus. (8)<br />

Nichts wirkt nachhaltiger, als <strong>die</strong> Vergesslichkeit. Nicht zu verharmlosen sind <strong>die</strong><br />

Auswirkungen, wenn sich <strong>die</strong>se Neigung mit Unwissenheit paart. Als hätte es nie eine Nazi-<br />

Okkupation und eine kommun<strong>ist</strong>ische Zwangsherrschaft gegeben, agieren in <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei so genannte „neonaz<strong>ist</strong>ische“ Gruppierungen. Die Tschechische<br />

Arbeiterpartei (Delnická strana) verfügt angeblich über eine eigene Sicherheitstruppe „<br />

Ocranné sbory“ zum Schutz ihrer Parteiführer. Die Bezeichnung <strong>die</strong>ser Einheit leite sich von<br />

<strong>de</strong>r Schutzzstaffel (SS) <strong>de</strong>r NSDAP ab und sei <strong>die</strong>ser in ihrer Struktur ähnlich, schreiben<br />

Prager Zeitungen. (9)<br />

Ob Gestapo o<strong>de</strong>r StB – für bei<strong>de</strong> galt, was <strong>de</strong>r H<strong>ist</strong>oriker Tomek über <strong>die</strong> Stasi sagt: Das<br />

seinen Leute gewesen, „für <strong>die</strong> das Gegenüber nur ein Problem war, das gelöst wer<strong>de</strong>n muss.“<br />

Über das Menschliche hätten sie gar nicht erst nachgedacht. Selbst wenn es sein könne, daß<br />

<strong>die</strong>s bei Geheim<strong>die</strong>nsten so sein müsse, sei <strong>die</strong>ser Zugang für einen normal <strong>de</strong>nken<strong>de</strong>n<br />

Menschen erschreckend.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei VII.<br />

1) Präsi<strong>de</strong>nt Edvard Benes hatte am 25. Februar 1948 <strong>de</strong>n Rücktritt <strong>de</strong>r nichtkommun<strong>ist</strong>ischen Min<strong>ist</strong>er in einem<br />

Kabinett, in <strong>de</strong>m <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>en <strong>die</strong> Schlüsselpositionen besetzten, angenommen und damit <strong>die</strong><br />

Machtübernahme <strong>de</strong>r Roten beschleunigt. Im Mai 48 lehnte er seine Unterschrift unter <strong>die</strong> neue kommun<strong>ist</strong>ische<br />

Verfassung ab und trat am 7. Juni 48 zurück; sein Nachfolger wur<strong>de</strong> Klement Gottwald, <strong>de</strong>r das Amt <strong>de</strong>s<br />

Präsi<strong>de</strong>nten und <strong>de</strong>s Ersten Sekretärs <strong>de</strong>r KPTsch übernahm. Dieser kommun<strong>ist</strong>ische Staat, mit sowjetischen<br />

„Beratern“ im Rücken, war <strong>de</strong>r Politik Moskaus untergeordnet. Schon bald begannen <strong>die</strong> ersten politischen<br />

Schauprozesse mit langjährigen Haft- wie auch To<strong>de</strong>sstrafen, wie sie von <strong>de</strong>r Sowjetunion bekannt waren.<br />

Benes, <strong>de</strong>ssen I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r nationalen Einheit von Tschechen und Slowaken scheiterte, bleibt vielen vertriebenen<br />

Deutschen in unrühmlicher Erinnerung durch <strong>die</strong> sog. Benes-Dekrete, mit <strong>de</strong>nen <strong>die</strong> Vertreibung (offiziell als<br />

„Transfer“ bezeichnet) und materielle Enteignung fast aller innerhalb <strong>de</strong>r Staatsgrenzen verbliebenen<br />

Deutschen, mit wenigen Ausnahmen, legitimiert wur<strong>de</strong>.<br />

2) Martina Schneibergova: „Vor 55 Jahren wur<strong>de</strong> Milada Horaková hingerichtet. In „Tagesecho“,<br />

<strong>de</strong>utschsprachigen Sendung von Radio Prag, 27. Juni 2005<br />

3) Dogmatische Konstitution „Lumen Gentium“ (Das Licht <strong>de</strong>r Völker) über <strong>die</strong> Kirche, v. 21. November 1964.<br />

(LG 36 / 116)<br />

4) Im Innenmin<strong>ist</strong>erium: Sbornik Archivu Min<strong>ist</strong>erstva Vnitra (Odbor Archivni a Spisové Sluzby Min<strong>ist</strong>erstva<br />

Vnitra CR); Son<strong>de</strong>rbehör<strong>de</strong>: Úrad Pro Dokumentacia a Vysetrováni Cinnosti StB ; Úrad Dokumentace a<br />

Vysetrováni Zlocinu Komunismu. Staatlicher Sicherheits<strong>die</strong>nst StB (Statni Bezpestnost); <strong>de</strong>r Sicherheitsapparat<br />

als Teil <strong>de</strong>s Innenmin<strong>ist</strong>eriums, wur<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>rholt umstrukturiert. Auch <strong>die</strong> kirchlichen Angelegenheiten<br />

ressortierten unter <strong>die</strong>sem Schematismus in wechselten Abteilungen und Referaten. 1953, beispielsweise,<br />

übernahm <strong>die</strong> Zweite Hauptverwaltung, (5. Abteilung, 3. Referat) <strong>die</strong> Überwachung <strong>de</strong>r italienischen Behör<strong>de</strong>n,<br />

insbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong> italienische Emigration. Mit <strong>de</strong>n Kirchen befasste sich ab 1954 das 9. Ressort <strong>de</strong>r<br />

Hauptverwaltung Abwehr (Gegenspionage); 1988 befassen sich das 9. und das 11. Ressort mit <strong>de</strong>n Emigranten<br />

und <strong>de</strong>n sogenannten „I<strong>de</strong>ozentren“ (wobei offenbar <strong>de</strong>r „i<strong>de</strong>ologische Gegner“ gemeint war), also auch <strong>de</strong>r<br />

Vatikan. Neben <strong>de</strong>n großen chr<strong>ist</strong>lichen Kirchen waren stets auch chr<strong>ist</strong>liche Sekten, <strong>die</strong> jüdischen Gemein<strong>de</strong>n,<br />

und Freimaurer im Visier <strong>de</strong>r Stasi. Das Feindbild <strong>de</strong>r Kommun<strong>ist</strong>en unterschied sich in <strong>die</strong>sem Punkt nicht<br />

wesentlich von <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Nazi-Diktatur. Generell kann nach <strong>de</strong>n aus Prag <strong>de</strong>m Autor vorliegen<strong>de</strong>n Informationen<br />

festgehalten wer<strong>de</strong>n:<br />

Zum Sicherheitsapparat, soweit er <strong>de</strong>r Öffentlichkeit nicht verborgen blieb, gehörte <strong>de</strong>r politische<br />

Nachrichten<strong>die</strong>nst (Civilni Rozvedka) und <strong>de</strong>r Auslandsnachrichten<strong>die</strong>nst HSR (Hlavni sprava rozvedy) mit <strong>de</strong>r<br />

für <strong>die</strong> Spionageabwehr/Gegenspionage HSK (Hlavni sprava kontralrozvedky) zuständigen Hauptabteilung II.<br />

In <strong>die</strong>ser befasste sich u.a. <strong>die</strong> 9. Abteilung, Referat 1, mit <strong>de</strong>r römisch-katholischen Kirche.<br />

Wie auch bei an<strong>de</strong>ren Geheim<strong>die</strong>nsten üblich, be<strong>die</strong>nte sich <strong>de</strong>r StB – wie aus Insin<strong>de</strong>rquelle zu erfahren war -<br />

verschie<strong>de</strong>ner Deckadressen und be<strong>die</strong>nte sich international tätiger staatlicher Export-/Import-Unternehmen,<br />

um Agenten zu platzieren. Für <strong>de</strong>n militärischen Sektor zuständig war <strong>de</strong>r HSVR (Hlavni sprava vojenske<br />

rozvedky a kontrarozvedky).<br />

5) Erik <strong>de</strong> Smet: Heulen met <strong>de</strong> vijand? in: Kerk + Leven. Ausgabe Nr. 7, (Kerknet: Website <strong>de</strong>r Kirche in<br />

Flan<strong>de</strong>rn) Antwerpen, Februar 2007.<br />

6) Antonie Hasmandova, geb. 1914 in Hustenovice (bei Uherske Hrad<strong>ist</strong>e/Ungarisch Hradisch in <strong>de</strong>r<br />

Mährischen Slowakei), gest. 1988 in Znojmo/Znaim) in Südmähren. Sie gehörte <strong>de</strong>r Kongregation <strong>de</strong>r<br />

Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Karl Borromäus an, <strong>die</strong> sich im Ge<strong>ist</strong> ihres Or<strong>de</strong>nsgrün<strong>de</strong>rs Josef<br />

Chauvenel vor allem <strong>de</strong>r Krankenpflege widmen. (Chauvenel, ein Avokat und „Apotheker <strong>de</strong>r Armen“ aus <strong>de</strong>m<br />

lothringischen Nancy, hatte sich unter <strong>de</strong>m Eindruck <strong>de</strong>r Folgen <strong>de</strong>s 30-jährigen Krieges in <strong>de</strong>n Dienst an <strong>de</strong>n<br />

Lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n gestellt. Er erlag selbst einer Pestepi<strong>de</strong>mie. Aus seinem Werk ging 1652 <strong>die</strong> erste „Charité“ <strong>de</strong>r<br />

späteren Gemeinschaft <strong>de</strong>r Borromäerinnen hervor. Papst Johannes Paul II., <strong>de</strong>ssen Namenspatron <strong>de</strong>r heilige<br />

Karl Borromäus <strong>ist</strong>, erklärte Antonie Hasmandova zur „Dienerin Gottes“. Auf Diözesanebene wur<strong>de</strong><br />

anschließend das kirchenrechtliche Verfahren zur Seligsprechung eingeleitet.<br />

7) Tomas Bursik: “Ztratily jsme mnoho casu… Ale ne sebe! – Wir haben viel Zeit verloren…aber nicht uns<br />

selbst!“. (Martina Schneibergova/Andrea Fajkusova in „Tagesecho“ - Radio Prag, <strong>de</strong>utschsprachige<br />

Sendungen, vom 10. 04. 2007). Die Stu<strong>die</strong> über „<strong>die</strong> Politik <strong>de</strong>r Kommun<strong>ist</strong>ischen Partei <strong>de</strong>r Tschechoslowakei<br />

und ihrer Sicherheits<strong>die</strong>nste gegenüber Frauen in <strong>de</strong>n fünfziger und sechziger Jahren <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts“<br />

wur<strong>de</strong> als Band 15 <strong>de</strong>r Schriftenreihe <strong>de</strong>r UDV veröffentlicht, erschienen am 15. 12. 2006. Das Resümee liegt in<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei VII.<br />

<strong>de</strong>r Internet-PDF-Version auch in <strong>de</strong>utscher Sprache vor. (Das Min<strong>ist</strong>erium <strong>de</strong>s Innern <strong>de</strong>r Tschechischen<br />

Republik/Die Behör<strong>de</strong> für Dokumentation und Untersuchung <strong>de</strong>r Verbrechen <strong>de</strong>s Kommunismus. Die Polizei <strong>de</strong>r<br />

Tschechischen Republik.)<br />

8) Thomas Kirschner/Jan Velinger in <strong>de</strong>r Sendung „Forum Gesellschaft“ v. 25. 10. 2007, Deutschsprachige<br />

Sendung von Radio Praha.<br />

9) The Prague Post v. 14. Mai 2008 / www.prague post. com v. 19. Mai 2008, s. Beitrag: „Workers Party says it<br />

has new security corps.. Group affiliates itself with far-right National Part<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei VIII.<br />

VIII. Priester vor kommun<strong>ist</strong>ischen Tribunalen<br />

Als sich <strong>de</strong>r Theologiestu<strong>de</strong>nt Karel S. verpflichtete, <strong>de</strong>m Geheim<strong>die</strong>nst StB nützlich zu sein,<br />

ging er offenbar davon aus, dass <strong>die</strong>se Entscheidung auch seiner eigenen Karriere för<strong>de</strong>rlich<br />

sein wer<strong>de</strong>: keine Schwierigkeiten beim Studium, Auslandsreisen, Aufenthalt in <strong>de</strong>r Stadt<br />

Städte seiner Kirche: <strong>de</strong>m ewigen Rom. Die Rechnung ging nicht auf. Am En<strong>de</strong> lan<strong>de</strong>te er,<br />

dank <strong>de</strong>m Mitgefühl eines päpstlichen Botschafters als Sachbearbeiter am Schreibtisch einer<br />

Nuntiatur. Auch wenn Details, insbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong> I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>r Personen betreffend, an <strong>die</strong>ser<br />

Stelle nicht dargelegt wer<strong>de</strong>n sollen – <strong>die</strong> äußeren Umstän<strong>de</strong> entsprechen <strong>de</strong>n vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Informationen zur Sache.<br />

Aus <strong>de</strong>m Vorgang erschließen sich zwei Erkenntnisse über das Vorgehen <strong>de</strong>r Sicherheits<br />

organe <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Tschechoslowakei gegen <strong>die</strong> katholische Kirche: Kampf <strong>de</strong>r<br />

Religion insbeson<strong>de</strong>re im eigenen Land; Bekämpfung <strong>de</strong>s „politischen <strong>Kath</strong>olizismus“ durch<br />

gezielte Maßnahmen gegen Papst und römische Kurie. Vor allem sollte <strong>die</strong> so genannte<br />

Ostpolitik <strong>de</strong>s Vatikans diskriminiert wer<strong>de</strong>n. Dass es Differenzen über <strong>die</strong> Strategie<br />

gegenüber <strong>de</strong>n Staaten <strong>de</strong>s Ostblocks innerhalb <strong>de</strong>r vatikanischen Führungsspitze gab, war<br />

auch <strong>de</strong>m Prager Geheim<strong>die</strong>nst bekannt. Ein vatikanischer Insi<strong>de</strong>r: ob Benelli (<strong>de</strong>r Sub<br />

stitut / “Innenmin<strong>ist</strong>er“) o<strong>de</strong>r Casaroli (<strong>de</strong>r vatikanische “Außenmin<strong>ist</strong>er“) – „je<strong>de</strong>r hatte<br />

seine Strategie“. Und wohl auch seine Ambitionen, wäre hinzuzufügen. Giovanni Benelli, als<br />

Kardinal und Erzbischof von Florenz, galt immerhin als „papabili“ in <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Konklaven<br />

von 1978 – auch wenn dann an<strong>de</strong>re gewählt wur<strong>de</strong>n (Albino Luciani, resp. Karol Wojtyla).<br />

Der direkte Zugang zu <strong>de</strong>n Dikasterien (vatikanischen Behör<strong>de</strong>n), um Informationen über <strong>die</strong><br />

Entscheidungsebenen zu gewinnen, erwies sich auch für <strong>die</strong> Rozvedka, wie für an<strong>de</strong>re östliche<br />

Spionage<strong>die</strong>nste, als schwierig. Zwar sollen etwa „Wanzen“ im Büro <strong>de</strong>s vatikanischen<br />

„Außenmin<strong>ist</strong>ers“ und späteren Kardinalstaatsekretärs Agostino Casaroli installiert gewesen<br />

sein, wie <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokratische Innenmin<strong>ist</strong>er Richard Sacher nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong><br />

mitteilte.<br />

Spione im Pilgerkleid<br />

Welche Ergebnisse <strong>die</strong>se Lauschaktion brachte, wur<strong>de</strong> bisher öffentlich nicht bekannt. Es lag<br />

also nahe, dass sich <strong>die</strong> „Kundschafter“ <strong>de</strong>r Stasi an in Rom leben<strong>de</strong> Landsleute<br />

heranmachten. Der Kreis <strong>de</strong>r in Frage kommen<strong>de</strong>n Personen war schließlich umfangreich:<br />

Theologiestu<strong>de</strong>nten, Priesteramtskandidaten, Kleriker in vatikanischen Diensten,<br />

Or<strong>de</strong>nsangehörige und nicht zuletzt <strong>die</strong> große Zahl an Emigranten, Laien und Ge<strong>ist</strong>liche, bis<br />

hinauf zum Kardinal. Objekte <strong>de</strong>r Ausforschung waren in <strong>die</strong>sem Fall diverse Seminare,<br />

Or<strong>de</strong>nszentralen, Kollegien, landsmannschaftliche Organisationen, sowohl in Rom wie im<br />

westlichen Ausland, namentlich in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland. (Su<strong>de</strong>nten<strong>de</strong>utsche<br />

Landsmannschaft, Ackermanngemein<strong>de</strong>). Selbstre<strong>de</strong>nd, dass auch Tour<strong>ist</strong>en von<br />

„Landsleuten“ angesprochen wur<strong>de</strong>n. O<strong>de</strong>r dass sich während einer Papstau<strong>die</strong>nz ein<br />

„Tour<strong>ist</strong>“ einem in Rom leben<strong>de</strong>n tschechischen Priester, <strong>de</strong>r folglich Italienisch verstand,<br />

„vertrauensvoll“ näherte. „Was hat <strong>de</strong>r Heilige Vater gesagt“. Solche Begegnungen hätten<br />

<strong>die</strong> eigene Wachsamkeit nur erhöht, sagt ein solchermaßen erfahrener tschechischer Römer.<br />

Man war vorsichtig. „Besser schweigen“, sagt er mit entsprechen<strong>de</strong>r Handbewegung zum<br />

Mund.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei VIII.<br />

Kontakte mit <strong>de</strong>m Papst als Lan<strong>de</strong>sverrat<br />

Mit <strong>de</strong>r öffentlich-rechtlichen Anerkennung, um es mit heutigen Worten zu sagen, seit <strong>de</strong>r<br />

konstantinischen Zeit, entwickelte <strong>die</strong> „römisch“-katholische Kirche neben ihrem petrinischen<br />

Leitungsamt zunehmen <strong>de</strong>n säkularen Staaten vergleichbare Strukturen bis hin zu einer<br />

weltpolitischen Ordnungsmacht, bisweilen auch mit militärischen Mitteln (etwa in Zeiten <strong>de</strong>s<br />

Kirchenstaates) aber mehr doch als ge<strong>ist</strong>lich-moralische Autorität. Der „Vatikan“ sah sich in<br />

<strong>die</strong> internationale Staatengemeinschaft aufgenommen, erlangte <strong>de</strong>n Status eines<br />

Völkerrechtssubjektes mit inzwischen diplomatischen Beziehungen zu über 170 Nationen und<br />

internationalen Organisationen (einschließlich <strong>de</strong>r Vereinten Nationen).<br />

Der Heilige Stuhl, nicht zu verwechseln mit <strong>de</strong>m „Staat <strong>de</strong>r Vatikanstadt“ als Territorium <strong>de</strong>s<br />

Papstes als Souverän, schließt zwischenstaatliche Verträge und tritt internationalen<br />

Konventionen bei, sofern sich <strong>die</strong>se mit seiner Orientierung vereinbaren lassen. Dieser in <strong>de</strong>r<br />

Welt <strong>de</strong>r Glaubensgemeinschaften einzigartige Status hat immer wie<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong>zu<br />

zwangsläufig nicht nur zu glaubensdogmatischen Konflikten geführt, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Kirche auch<br />

im säkularen sowohl Freun<strong>de</strong> wie Fein<strong>de</strong> eingebracht, häufig weniger religiös, als<br />

machtpolitisch motiviert. Siehe <strong>die</strong> „Türkenkriege“, <strong>die</strong> Wirren <strong>de</strong>r Reformation, <strong>die</strong> 30 Jahre<br />

<strong>de</strong>s europäischen Brandschatzens, <strong>de</strong>r englisch-irische Konflikt (home rule is Rome rule).<br />

Wenn sich i<strong>de</strong>ologisch begrün<strong>de</strong>te Diktaturen gegen Papst und Kirche stellten, steigerte sich<br />

<strong>die</strong>se Gegnerschaft bis zum Hass, scharf zu Tage tretend in <strong>de</strong>n 12 Jahren <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen<br />

Nationalsozialismus und an Brutalität zunehmend in einigen Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Machtmonopols, gipfelnd in <strong>de</strong>m Versuch, <strong>de</strong>n chr<strong>ist</strong>lichen Glauben zu liqui<strong>die</strong>ren, in <strong>de</strong>n<br />

Jahren <strong>de</strong>r „stalin<strong>ist</strong>ischen“ Kirchenverfolgung in <strong>de</strong>r Sowjetunion, wie in seinen Satelliten-<br />

Staaten.<br />

Es genügte, als Bischof mit „Rom“ ständig Kontakt zu halten, was sozusagen zu <strong>de</strong>n<br />

<strong>die</strong>nstlichen Obliegenheiten je<strong>de</strong>s Ordinarius zählt, um als „Spion <strong>de</strong>s Papstes“ beschuldigt<br />

verdächtig zu wer<strong>de</strong>n. (Ähnlichen Schwierigkeiten sehen sich <strong>die</strong> „romtreuen“ Chr<strong>ist</strong>en in <strong>de</strong>r<br />

Volksrepublik China, <strong>die</strong> sich von <strong>de</strong>r staatlich konzessionierten <strong>Kath</strong>olischen Patriotischen<br />

Vereinigung d<strong>ist</strong>anzieren, bis heute ausgesetzt“).<br />

„Kurzer Prozess“ mit Priestern<br />

Als gera<strong>de</strong>zu exemplarisch kann <strong>de</strong>r „Prozess gegen <strong>die</strong> Vatikan-Agenten in <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei. Bischof Zela und Komplizen“ gelten. Auf <strong>die</strong>ses Verfahren, das in<br />

vorausgegangenen Folgen bereits angesprochen wur<strong>de</strong>, soll unter <strong>de</strong>m vatikanischen Aspekt<br />

noch einmal eingegangen wer<strong>de</strong>n. Das Hauptverfahren vom 27. November bis 2. Dezember<br />

1950 vor <strong>de</strong>m Staatsgerichtshof in Prag, Abteilung VII, wur<strong>de</strong> im Stil eines <strong>de</strong>r in <strong>die</strong>sen<br />

Jahren üblichen politischen Schauprozesse durchgezogen, und – wie <strong>die</strong> Dauer zeigt, „kurzer<br />

Prozess“ mit <strong>de</strong>n Angeklagten gemacht. Am En<strong>de</strong> stan<strong>de</strong>n<br />

für <strong>die</strong> neun Angeklagten (Or<strong>de</strong>nsge<strong>ist</strong>liche und Diözesanpriester in leiten<strong>de</strong>n Funktionen)<br />

Strafen <strong>de</strong>r „Freiheitsentziehung“ von zweimal 25 und 20 Jahren, je einmal 18, 17, 15 und 10<br />

Jahren sowie einmal „auf Lebensdauer“.<br />

Die Protokolle <strong>de</strong>s Prozesses wur<strong>de</strong>n im Februar 1951 veröffentlicht, herausgegeben vom<br />

tschechoslowakischen Innenmin<strong>ist</strong>erium, <strong>die</strong> auch als Staatssicherheitsbehör<strong>de</strong> fungierte. Das<br />

Buch erschien in <strong>de</strong>r „1. Auflage in einer Anzahl von 2100 Exemplaren“, gedruckt bei „Orbis<br />

Durckerei-Unternehmungen, Betrieb Nr. 1 in Prag XII, Stalinova 46. (1) Der Straßenname:<br />

„Nomen est omen“ kann man da nur sagen. Die Schrift wur<strong>de</strong> auch in <strong>de</strong>utscher Sprache<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei VIII.<br />

verbreitet, inwieweit <strong>die</strong> vollständigen Wortlaute wie<strong>de</strong>rgegeben wur<strong>de</strong>n, lässt sich von hier<br />

aus nicht beurteilen. Allen Angeklagten waren auf gera<strong>de</strong>zu groteske Weise beschuldigt<br />

wor<strong>de</strong>n, „sich <strong>de</strong>s Verbrechens <strong>de</strong>s Hochverrats, <strong>de</strong>r Spionage und weiterer in <strong>de</strong>r<br />

Anklageschrift geschil<strong>de</strong>rter Verbrechen“ schuldig gemacht zu haben. Der Verlauf <strong>de</strong>s<br />

Verfahrens ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass <strong>die</strong> Priester nur stellvertretend auf <strong>de</strong>r<br />

Anklagebank saßen. Der Hauptangeklagte saß für <strong>die</strong> kommun<strong>ist</strong>ischen Richter in Rom: Papst<br />

Pius XII. Denn <strong>de</strong>r Prozess sollte, begleitet von entsprechen<strong>de</strong>r Propaganda, in <strong>die</strong>ser Frühzeit<br />

<strong>de</strong>r roten Machtergreifung an <strong>de</strong>r Moldau mit <strong>de</strong>r Kirche abrechnen. Dies lässt sich ein<strong>de</strong>utig<br />

schon aus <strong>de</strong>n Anfangssätzen <strong>de</strong>r Anklageschrift und <strong>de</strong>n sie inspirieren<strong>de</strong>n antikirchlichen<br />

Tenor lesen. Die Geschichte <strong>de</strong>r Befreiungskämpfe <strong>de</strong>r Völker <strong>de</strong>r Tschechoslowakischen<br />

Republik (das Adjetkiv „sozial<strong>ist</strong>isch“ fehlte zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt), beweise, „daß <strong>die</strong> hohe<br />

römisch-katholische Hierarchie stets auf <strong>de</strong>r Seite von Unterdrückungsregimen und <strong>de</strong>r<br />

Ausbeuterklasse“ gestan<strong>de</strong>n habe, „gegen <strong>die</strong> das tschechische und slowakische Volk seinen<br />

Kampf um nationale und soziale Befreiung führte.“ .<br />

Angeklagt: Der Vatikan<br />

Dann folgt ein langes „Sün<strong>de</strong>nreg<strong>ist</strong>er“, wie es <strong>die</strong> Ankläger behaupten, aus <strong>de</strong>n angeblichen<br />

Aussagen <strong>de</strong>r Angeklagten und eigenen Ansichten zusammengeschrieben haben. Es folgt ein<br />

zeitgeschichtlicher Rundumschlag, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> angebliche klerikale Fremdherrschaft belegen soll:<br />

Das hört sich dann so an: „Der Vatikan, und stets unisono <strong>die</strong> tschechische und slowakische<br />

Kirchenhierarchie als Faktor <strong>de</strong>r internationalen Politik; stets ein Pfeiler <strong>de</strong>r Habsburger<br />

Monarchie; als Verbün<strong>de</strong>te <strong>de</strong>s reaktionärsten Teils <strong>de</strong>r tschechoslowakischen Bourgeoisie im<br />

Kampf gegen <strong>die</strong> Arbeiterklasse; als direkter Unterstützer <strong>de</strong>s Weltfaschismus; <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>struktiven Politik <strong>de</strong>r Henlein-Leute (womit <strong>die</strong> su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utsche Bewegung gemeint <strong>ist</strong>)<br />

und <strong>de</strong>r slowakischen fasch<strong>ist</strong>ischen Volkspartei (ein Anspielung auf das von Hitler<strong>de</strong>utsch<br />

land getragene Regime <strong>de</strong>s katholischen Priesters Josef Tiso). So geht es weiter: <strong>de</strong>r<br />

„verbrecherische Anteil“ <strong>de</strong>r katholischen Kirche „an <strong>de</strong>r Zerschlagung <strong>de</strong>r Tschechoslo<br />

wakischen Republik im Jahre 1938 und 1939“ (durch <strong>die</strong> Nazis), „und an <strong>de</strong>ren späteren<br />

Schicksal“.<br />

Während <strong>de</strong>r Okkupation hätte <strong>die</strong> Kirchenhierarchie moralisch und politisch <strong>die</strong><br />

verbrecherischen Ziele <strong>de</strong>r fasch<strong>ist</strong>ischen Mächte unterstützt, <strong>die</strong> „verbrecherischen<br />

Besetzung <strong>de</strong>s Grenzgebietes durch <strong>die</strong> fasch<strong>ist</strong>ischen Okkupanten“ anerkannt. Die<br />

ausführliche Zitierung erst, wie sie in westlichen Publikationen eher selten <strong>ist</strong>, ver<strong>de</strong>utlicht,<br />

mit welcher Schärfe und Rücksichtslosigkeit <strong>de</strong>r Angriff gegen Kirche und Religion geführt<br />

wur<strong>de</strong>, um das eigene Ziel, <strong>die</strong> Utopie eines besseren, menschenfreundlichen Gemeinwesens,<br />

durchzusetzen, jetzt wo sie glaubten, <strong>die</strong> Zeit sei gekommen, „nach <strong>de</strong>r Vernichtung <strong>de</strong>r<br />

imperial<strong>ist</strong>ischen fasch<strong>ist</strong>ischen Armeen durch <strong>die</strong> siegreiche Rote Armee“ und auf <strong>de</strong>m<br />

„Weg zum Sozialismus“ <strong>de</strong>s werktätigen Volkes, „mit <strong>de</strong>r Arbeiterklasse an <strong>de</strong>r Spitze.“<br />

Nur „<strong>de</strong>r Vatikan und <strong>die</strong> hohe Kirchenhierarchie“ habe sich quergestellt, habe von „allem<br />

Anfang an einen feindseligen Standpunkt gegenüber <strong>de</strong>r neuen volks<strong>de</strong>mokratischen<br />

Tschechoslowakei eingenommen.“ Sie hätten sich in ihrer „feindlichen Tätigkeit“ mit <strong>de</strong>n<br />

gegenüber <strong>de</strong>m volks<strong>de</strong>mokratischen System feindlich eingestellten Kreisen verbun<strong>de</strong>n, „mit<br />

<strong>de</strong>n Resten <strong>de</strong>r reaktionären Bougeoisie, <strong>die</strong> in einige politische Parteien <strong>de</strong>r Nationalen Front<br />

vor <strong>de</strong>m Februar 1948 (gemeint <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Machtergreifung <strong>de</strong>r Kommun<strong>ist</strong>en) eingedrungen“ sei<br />

und mit <strong>de</strong>n „Verrätern, <strong>die</strong> während <strong>de</strong>s Krieges mit <strong>de</strong>m Faschismus kollaboriert und sich<br />

ihrer Bestrafung durch <strong>die</strong> Flucht ins Ausland entzogen“ hätten. Das war Orginal-Ton in <strong>de</strong>r<br />

schärfsten Phase <strong>de</strong>s Kirchenkampfes während <strong>de</strong>s Kalten Krieges. Das war mit sich<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei VIII.<br />

überschlagen<strong>de</strong>r Stimme formuliert wor<strong>de</strong>n, „mit Schaum vor <strong>de</strong>m Mund.“ Die Prager<br />

Genossen wollten offenbar ganz vorn mit dabei sein, Musterknaben <strong>de</strong>s Moskauer<br />

Vormun<strong>de</strong>s. H<strong>ist</strong>orische Reminiszenzen, alte antikatholische Vorbehalte, nationalpolitische<br />

wie ethnische Elemente lieferten <strong>die</strong> Zutaten einer spezifischen Ausgangslage, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n<br />

Kommunismus in <strong>de</strong>n böhmischen Län<strong>de</strong>rn, und unter an<strong>de</strong>ren Vorzeichen, in <strong>de</strong>r Slowakei,<br />

ausmachten.<br />

Wie schon gesagt: Unsichtbar, aber mit je<strong>de</strong>m Wort <strong>de</strong>s Staatsprokurators sich abzeichnend,<br />

saß <strong>de</strong>r Papst auf <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Anklagebank, <strong>de</strong>nn das Verhalten <strong>de</strong>s tschechischen<br />

und slowakischen Klerus liege „in <strong>de</strong>r Linie <strong>de</strong>r feindlichen Politik <strong>de</strong>s Vatikans, <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>r<br />

Zerschlagung <strong>de</strong>s Nazismus und Faschismus, auf <strong>de</strong>n er in seinem Kampfe gegen <strong>die</strong><br />

Sowjetunion und <strong>die</strong> Fortschrittsbewegung <strong>de</strong>r Welt seine Hoffung gesetzt hatte, ganz offen<br />

in <strong>die</strong> imperial<strong>ist</strong>ische anti<strong>de</strong>mokratische Front und in <strong>die</strong> Dienste <strong>de</strong>s amerikanischen<br />

Imperialismus trat.“<br />

Absur<strong>de</strong> Vorwürfe – extreme Urteile<br />

Den Benediktinerabt Jan Opasek (2) bezeichnete <strong>de</strong>r Staatsanwalt „nach <strong>de</strong>n zustan<strong>de</strong>ge<br />

brachten Dokumenten“ als einen „<strong>de</strong>r vertrautesten Agenten <strong>de</strong>s Vatikans.“ Laut Aussagepro<br />

tokoll – offenbar unter <strong>de</strong>m Zwang <strong>de</strong>r Verhöre ? – soll sich <strong>de</strong>r Mönch „über seine<br />

Verhandlungen mit Papst Pius XII., <strong>die</strong> er im Jahre 1945 geführt hatte“, geäußert haben.<br />

Dabei soll <strong>de</strong>r Papst ihm zu verstehen gegeben haben, „daß wir im Kampfe gegen <strong>die</strong><br />

Verwirklichung <strong>de</strong>s Sozialismus auch auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r tschechoslowakischen Republik<br />

nicht allein sein wür<strong>de</strong>n.“ Diese An<strong>de</strong>utung, „obwohl <strong>die</strong> Unterredung mit <strong>de</strong>m Papst im<br />

November 1945 stattfand“, habe er, Opasek, erst später verstan<strong>de</strong>n, „als <strong>die</strong> ersten<br />

Kampagnen von reaktionären Politikern gegen alle wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen<br />

<strong>de</strong>r volks<strong>de</strong>mokratischen Regierung ins Werk gesetzt wur<strong>de</strong>n, welches Vorgehen wir wirksam<br />

und offen unterstützten.“ Dies sei ihm erst während <strong>de</strong>s Wahlkampfes im Jahre 1946 klar<br />

gewor<strong>de</strong>n, „als wir <strong>die</strong> gläubigen <strong>Kath</strong>oliken gegen <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>ische Partei und zugunsten<br />

<strong>de</strong>r reaktionären Kräfte <strong>de</strong>r ehemaligen Volkspartei und <strong>de</strong>r ehemaligen Demokratischen<br />

Partei <strong>de</strong>r Slowakei beeinflussten.“ – Die Jur<strong>ist</strong>en unter <strong>de</strong>m Roten Stern und <strong>die</strong><br />

Propagandazentrale bekamen <strong>de</strong>n Stoff, <strong>de</strong>n sie brauchte. Freislers Gerichtshof schickte<br />

Grüsse aus <strong>de</strong>r Finsternis.<br />

Im Fa<strong>de</strong>nkreuz: <strong>die</strong> Prager Nuntiatur<br />

Ein willkommenes Ziel <strong>de</strong>r Attacken gegen <strong>de</strong>n Vatikan bot in <strong>die</strong>sem Zusammenhang <strong>die</strong> im<br />

Rang einer Internuntiatur (3) noch tätige päpstliche Vertretung in Prag. Die vatikanische<br />

Botschaft galt als Spionagezentrale ersten Ranges, wenn man <strong>die</strong> Anklageschrift zugrun<strong>de</strong><br />

legt. In <strong>de</strong>r päpstlichen Vertretung seien <strong>die</strong> „Spionagenachrichten von Zirkeln <strong>de</strong>r<br />

vatikanischen <strong>Kath</strong>olischen Aktion“ eingegangen, von Or<strong>de</strong>nspriestern und Laien. Die<br />

„erlogenen verleum<strong>de</strong>rischen Nachrichten, <strong>die</strong> hauptsächlich von einigen <strong>de</strong>r Beschuldigten,<br />

unter ihnen Abt Opasek, geliefert wor<strong>de</strong>n seien, hätten „dann zu groben Angriffen <strong>de</strong>s<br />

vatikanischen Rundfunks gegen das tschechische und slowakische Volk, seine Regierung und<br />

gegen das volks<strong>de</strong>mokratische System“ ge<strong>die</strong>nt. Opasek und an<strong>de</strong>re Or<strong>de</strong>nsvorsteher hätten<br />

„direkt an ihre höchsten Vorgesetzten in Rom Spionagenachrichten geliefert“. Diese<br />

Spionagenachrichten seien nicht nur <strong>de</strong>m Vatikan, son<strong>de</strong>rn auch „unmittelbar <strong>de</strong>n übrigen<br />

imperial<strong>ist</strong>ischen Spionagezentralen übermittelt“ wor<strong>de</strong>n, durch „Verbindung mit Agenten <strong>de</strong>r<br />

Westmächte mit und ohne diplomatische Pässe.“ Wer mit einer solche Anklage in<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei VIII.<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Schauprozessen konfrontiert wur<strong>de</strong> hatte allen Grund zum Herrgott zu<br />

beten, dass er nicht am Galgen en<strong>de</strong>.<br />

Der Anklagevertreter legte nach: „Nach<strong>de</strong>m alle verbrecherischen Aktionen, inspiriert vom<br />

Vatikan und durchgeführt von <strong>de</strong>r hohen kirchlichen Hierarchie und <strong>de</strong>n Beschuldigten als<br />

direkten Tätern fehlgeschlagen waren“, habe <strong>de</strong>r Vatikan „zu neuen Formen <strong>de</strong>s tückischen<br />

Kampfes gegen das volks<strong>de</strong>mokratische System in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei“ gegriffen. „Nach<br />

<strong>de</strong>r Entlarvung <strong>de</strong>r hervorragendsten Agenten <strong>de</strong>s vatikanischen Spionage<strong>die</strong>nstes aus <strong>de</strong>n<br />

Reihen <strong>de</strong>r hohen kirchlichen Hierarchie“ sei <strong>de</strong>r Vatikan zu <strong>de</strong>m „System <strong>de</strong>r so genannten<br />

Fakultäten, d.h. Vollmachten zur Schaffung <strong>de</strong>s neuen Destruktions- und Spionagenetzes“<br />

übergegangen. Der Staatsanwalt spielt hier auf <strong>die</strong> geheimen Priester- und Bischofsweihen in<br />

<strong>de</strong>r Tschechoslowakei in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r größten Kirchenverfolgung an. Vielfach han<strong>de</strong>lte es<br />

sich dabei um verheiratete Männer, <strong>die</strong> unter <strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>r Familie, man könnte auch<br />

Deckmantel sagen, unauffällig <strong>die</strong> Seelsorge in ihren Gemein<strong>de</strong>n fortzuführen hofften. Ein<br />

Trugschluss. Die me<strong>ist</strong>en hatte <strong>die</strong> Stasi im Visier. Nicht wenige gingen für ihr<br />

Glaubenszeugnis ins Gefängnis. Darüber jedoch mehr in einer <strong>de</strong>r nächsten Folgen.<br />

Der im Westen am me<strong>ist</strong>en bekannte Fall <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Verurteilung von Benediktinerabt Anastaz<br />

Opasek, <strong>de</strong>m Vorsteher <strong>de</strong>s Stifts Brenov/Breunau vor <strong>de</strong>n Toren Prags. Nach langem<br />

Lei<strong>de</strong>nsweg hinter Gefängnisgittern und im Exil konnte er nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong> <strong>de</strong>n<br />

Neubeginn in Brevnov miterleben. Auch für ihn und seine Mitbrü<strong>de</strong>r sollte <strong>die</strong> jesuanische<br />

Zusage, wie sie in riesigen Lettern auf <strong>de</strong>n Innen-Fries <strong>de</strong>r Kuppel über <strong>de</strong>r Confessio im<br />

Petersdom festgehalten wird, sich erfüllen: Tu es Petrus et super hanc petram ædificabo<br />

ecclesiam meam - et tibi dabo claves regni cælorum. Hinzuzufügen wäre aus <strong>die</strong>sem Zitat<br />

nach Matthäus: et portæ inferi non prævalebunt adversus eam. … und <strong>die</strong> Pforten <strong>de</strong>r Hölle<br />

wer<strong>de</strong>n sie nicht überwältigen.“<br />

1) Der Prozess gegen <strong>die</strong> Vatikan-Agenten in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei. Herausgegeben vom tschechoslowakischen<br />

Justizmin<strong>ist</strong>erium. Prag 1951.<br />

2) Jan Opasek (Or<strong>de</strong>nsname Anastaz); 1913-1999. Benediktinermönch, Erzabt <strong>de</strong>s Klosters Prag-Brevnov<br />

(Breunau), 1939 Prior <strong>de</strong>s Klosters, <strong>de</strong>m ältesten böhmischen Männerkloster, 1947 Abt, 1949 verhaftet, 1950<br />

Hochverratsprozess vor <strong>de</strong>m (kommun<strong>ist</strong>ischen) Staatsgerichtshof, lebenlange Freiheitsstrafe, 1960 amnestiert,<br />

1969 nach Deutschland emigriert; grün<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>r Benediktiner-Abtei Rohr (Nie<strong>de</strong>rbayern) eine tschechische<br />

Kommunität; Begegnungsstätte <strong>de</strong>s tschechischen Exils und <strong>de</strong>mzufolge unter Beobachtung <strong>de</strong>r<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Spionage. Anfang 1990 Rückkehr nach Prag. Setzte sich für <strong>die</strong> tschechisch-<strong>de</strong>utsche<br />

Aussöhnung ein. Während eines Besuchs in Rohr im August 1999 im Alter von 86 Jahren gestorben.<br />

3) Nuntius-Internuntius war 1946/1950 <strong>de</strong>r Titularerzbischof Saverio Ritter. Nach <strong>de</strong>n vom Zentralkomitee <strong>de</strong>r r<br />

Kommun<strong>ist</strong>ischen Partei und <strong>de</strong>m sog. Sechser-Ausschuss wur<strong>de</strong> er am 16. März 1950 in einer Note <strong>de</strong>s<br />

Aussenmin<strong>ist</strong>eriums aufgefor<strong>de</strong>rt, innerhalb von drei Tagen das Land zu verlassen. Damit waren <strong>die</strong><br />

diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl zwar noch nicht formal, aber faktisch aufgehoben, direkte<br />

Kontakte <strong>de</strong>r Ordinarien (Bischöfe) zum Vatikan unterbun<strong>de</strong>n und nur noch über Mittelsleute möglich,<br />

allerdings mit <strong>de</strong>r Gefahr <strong>de</strong>r ständigen Überwachung durch <strong>die</strong> Stasi.<br />

Als Internuntius wird ein päpstlicher Gesandter <strong>de</strong>r zweiten Rangklasse bezeichnet; seine Akkreditierung erfolgt<br />

jedoch wie <strong>die</strong> <strong>de</strong>s Nuntius o<strong>de</strong>r Pronuntius beim jeweiligen Staatsoberhaupt. (nach „Grundriß <strong>de</strong>s<br />

nachkonziliaren Kirchenrechts. Verlag Friedrich Pustet. Regensburg 1979.<br />

Seite 39


Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei IX.<br />

IX. Spionage-Ziel: Radio Vatikan<br />

Wie für an<strong>de</strong>re „sozial<strong>ist</strong>ischen Sicherheitsorgane“ galt auch für <strong>de</strong>n Nachrichten<strong>die</strong>nst <strong>de</strong>s<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Regimes in Prag „<strong>die</strong> Stimme <strong>de</strong>s Papstes“, also Radio Vatikan, als eine<br />

erste Adresse <strong>de</strong>r Ausforschung, ob mit funktechnischen Mitteln o<strong>de</strong>r durch <strong>die</strong> „Arbeit am<br />

Mann“, sprich: <strong>de</strong>n Spitzel. Radio Vatikan war bei seiner Gründung im Jahre 1931 <strong>de</strong>m<br />

Jesuitenor<strong>de</strong>n übertragen wor<strong>de</strong>n. Den StB interessierte selbstverständlich in erster Linie das<br />

tschechische Programm, d.h. <strong>die</strong> dort tätigen Redakteure aus <strong>de</strong>r Tschechoslowakei. Von dort<br />

o<strong>de</strong>r umgekehrt bestan<strong>de</strong>n engste Beziehungen zum tschechischen Stu<strong>die</strong>nkolleg in Rom,<br />

<strong>de</strong>m „Nepomucenum“. (1) In bei<strong>de</strong>n Richtungen begegnen einige <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n<br />

Kapiteln genannten Personen.<br />

Zwar stehen nur wenige Details über <strong>die</strong>sen Spezialbereich <strong>de</strong>r Spione aus <strong>de</strong>m Osten vor,<br />

<strong>de</strong>nnoch soll an <strong>de</strong>r Lebensgeschichte einiger Betroffener das Ausmaß <strong>de</strong>r Bespitzelung und<br />

Verfolgung, bis hin zur physischen Vernichtung einiger Opfer, wenigstens in Umrissen<br />

dargestellt wer<strong>de</strong>n. Ein erschüttern<strong>de</strong>s Zeugnis liefert <strong>de</strong>r Brief, <strong>de</strong>n P. Josef Kolácek SJ<br />

schrieb. (2)<br />

Josef Kolácek, geboren 1929 in Brünn-Bystrc , fand 1968, „nach <strong>de</strong>r Invasion <strong>de</strong>r Roten<br />

Armee“ als politischer Flüchtling Aufnahme in Österreich. An <strong>de</strong>r Hochschule <strong>de</strong>r Jesuiten in<br />

Innsbruck (<strong>Kath</strong>olisch-Theologische Fakultät <strong>de</strong>r staatlichen Leopold-Franzens-Universität),<br />

been<strong>de</strong>t er seine Stu<strong>die</strong>n, ging zwei Jahre später nach Rom und leitete ab <strong>de</strong>m 1. Oktober<br />

1970 <strong>die</strong> tschechische Sektion von Radio Vatikan.<br />

Vatikanische „Ostpolitik“<br />

Die Ketten sowjetischer Panzer noch im Ohr, o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs ausgedrückt: „Nach <strong>de</strong>r persön<br />

lichen Erfahrung mit <strong>de</strong>n Kommun<strong>ist</strong>en in <strong>de</strong>r Heimat, mit <strong>de</strong>m Regime, mit <strong>de</strong>r Verfolgung<br />

<strong>de</strong>r Kirche, mit <strong>de</strong>n Spitzeln und mehrstündigen Verhören von <strong>de</strong>r StB“ (gemeint <strong>ist</strong> <strong>die</strong><br />

Staatssicherheit, Anmerkung <strong>de</strong>s Autors), „mit <strong>de</strong>r harten Arbeit“, <strong>die</strong> von <strong>de</strong>n kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Behör<strong>de</strong>n als „Umschulung“ <strong>de</strong>klariert wur<strong>de</strong>, in Wirklichkeit aber nichts an<strong>de</strong>res als eine<br />

Strafmaßnahme gewesen sei, wird <strong>de</strong>r tschechischen Exil-Priester mit einer an<strong>de</strong>ren Art von<br />

Real-Politik konfrontiert. Es sind „<strong>die</strong> Vorstellungen o<strong>de</strong>r Einsichten <strong>de</strong>r verantwortlichen<br />

vatikanischen Diplomaten für <strong>die</strong> vatikanische „Ostpolitik“. Kolácek apostrophiert <strong>de</strong>n<br />

Begriff.<br />

Kolácek schreibt, er sei doch sehr erstaunt über <strong>die</strong> Haltung <strong>de</strong>r Herren aus <strong>de</strong>m<br />

vatikanischen Außenmin<strong>ist</strong>eriums gewesen. Er erwähnt namentlich Casaroli, Silvestrini,<br />

Cheli, Poggi und Colasuonno (3).<br />

Das waren <strong>die</strong> Spitzendiplomaten <strong>de</strong>s Heiligen Stuhls aus <strong>de</strong>m Führungskreis um Casaroli im<br />

Rat für öffentliche Angelegenheiten (<strong>de</strong>m vatikanischen „Außenmin<strong>ist</strong>erium“), <strong>die</strong> in<br />

verschie<strong>de</strong>nen Teilen <strong>de</strong>r Welt, beson<strong>de</strong>rs aber Son<strong>de</strong>rmissionen in <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Ostblock<br />

übernahmen, d. h. in <strong>de</strong>n Hauptstädten <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Staaten einen nach vatikanischer<br />

Ansicht praktikablen „modus vivendi“ („mit etwas leben“ zu können) suchten und dabei,<br />

wohl o<strong>de</strong>r übel, eine gewisse Flexibilität gegenüber <strong>de</strong>n Wünschen <strong>de</strong>r staatlichen<br />

Gesprächspartner zeigen mussten, in <strong>de</strong>r Hoffnung auf zumin<strong>de</strong>st Minimalerfolge. Papst<br />

Johannes Paul II. hat <strong>die</strong> hier Genannten allesamt später mit <strong>de</strong>m Purpur (<strong>de</strong>s Kardinalats)<br />

ausgezeichnet.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei IX.<br />

Monsignore Cheli, erinnert sich Pater Kolácek, sei „anfangs regelmäßig“ bei Radio Vatikan<br />

erschienen sei, um „uns über <strong>die</strong> Situation in unseren Län<strong>de</strong>rn zu `informieren`. Unser<br />

Misstrauen, unsere Vorbehalte und gar nicht versteckte Kritiken“ hätten <strong>die</strong>se „Belehrungen“<br />

bald been<strong>de</strong>t. Danach seien <strong>die</strong> Informationen an <strong>die</strong> betreffen<strong>de</strong>n Redaktionen nur noch über<br />

<strong>de</strong>n Direktor <strong>de</strong>s Sen<strong>de</strong>rs gelaufen.<br />

Prager Invasion - <strong>de</strong>r Vatikan war vorgewarnt<br />

Einige Priester, <strong>die</strong> bereits in <strong>de</strong>n fünfziger Jahren, nach Rom gingen, entschie<strong>de</strong>n sich für<br />

einen dauerhaften Verbleib am Tiber. An<strong>de</strong>re kehrten nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong> in ihre<br />

Heimat zurück, so Jesuitenpater Petr Ovecka, Jahrgang 1922, <strong>de</strong>r von 1953 bis 2002 in Rom<br />

lebte. Dort arbeitete er zunächst in <strong>de</strong>r tschechischen Redaktion von Radio Vatikan. Damit<br />

gelangte sozusagen automatisch auf <strong>die</strong> „Abschussl<strong>ist</strong>e“ <strong>de</strong>s tschechischen Geheim<strong>die</strong>nstes.<br />

Ein Landsmann, Professor an <strong>de</strong>r Lateran-Universität, soll angeblich „sehr eifrig“ Ovecka`s<br />

„Entfernung“ aus <strong>de</strong>r Redaktion von Radio Vatikan betrieben haben, „vermutlich auf Anord<br />

nung aus Prag“, also <strong>de</strong>s Sicherheits<strong>die</strong>nstes StB. Ovecka sei es wohl auch gewesen, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Heiligen Stuhl, in <strong>de</strong>m er „über <strong>die</strong> alarmieren<strong>de</strong> Situation in <strong>de</strong>r CSSR“ informierte, gewarnt<br />

habe. Ab 1970 machte <strong>de</strong>r Jesuitenpater eine Zeitung für Emigranten. Sein Büro hatte er im<br />

„Nepomucenum“ . Da konnte er allerdings „sicher“ sein, immer wie<strong>de</strong>r von gewissen<br />

„Interessenten“ aufgesucht zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Spitzel war ein Landsmann<br />

Diese ersten Beispiele zeigen schon an: <strong>de</strong>r StB, ob direkt o<strong>de</strong>r in Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n<br />

„Bru<strong>de</strong>rorganen“, suchte seine Quellen - zumal sich <strong>die</strong> Mauern <strong>de</strong>s Vatikans auf direktem<br />

Weg schwer überwindlich erwiesen, in <strong>de</strong>n Kreisen <strong>de</strong>r Emigranten. Das waren sowohl<br />

Einzelpersonen in Rom, wie auch im „nichtsozial<strong>ist</strong>ischen Ausland“, vor allem in <strong>de</strong>n<br />

westlichen Anrainer-Staaten Österreich und <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland. Angesprochen<br />

wur<strong>de</strong>n sowohl „lateinische“ <strong>Kath</strong>oliken wie Angehörige <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Papst verbun<strong>de</strong>nen<br />

katholischen Kirche <strong>de</strong>s slawisch-byzantinischen Ritus, <strong>die</strong> sich vor allem in <strong>de</strong>r Slowakei<br />

und <strong>de</strong>r westlichen Ukraine konzentrierte. Anlaufstellen waren in <strong>die</strong>sem Zusammenhang<br />

nicht nur gesellschaftliche Zirkel und Treffpunkte, son<strong>de</strong>rn auch <strong>die</strong> kirchlichen<br />

Stu<strong>die</strong>neinrichtungen für Ost- und Mittelosteuropa, wie das bereits erwähnte tschechische<br />

„Nepomucenum“, son<strong>de</strong>rn zum Beispiel auch das „Russicum“. Kollaborateure fan<strong>de</strong>n sich<br />

immer: italienische Kommun<strong>ist</strong>en, auf D<strong>ist</strong>anz zur Kirche stehen<strong>de</strong> Emigranten etwa aus <strong>de</strong>r<br />

Tiso-Zeit, unter Druck gesetzte Stu<strong>de</strong>nten und Priester aus Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Ostblock.<br />

Pater Kolácek: „Ja, es wur<strong>de</strong> versucht, über <strong>die</strong> Emigration an <strong>die</strong> Namen geheim geweihter<br />

Priester und Bischöfe zu kommen. Mehrmals sei ihnen, als er und einige Mitbrü<strong>de</strong>r noch in<br />

<strong>de</strong>r Tschechoslowakei lebten, während <strong>de</strong>r geheimen Seminare und vor <strong>de</strong>r Weihe<br />

eingeschärft, „nicht einmal im Vatikan etwas über <strong>die</strong> Untergrundkirche zu sagen“, <strong>de</strong>nn was<br />

dort gesprochen wer<strong>de</strong>, wisse bald danach auch <strong>de</strong>r StB in Prag.<br />

Josef Beran – ein Oberhirte ins Exil gezwungen<br />

Eng mit <strong>de</strong>m „Nepomucenum“ war in <strong>de</strong>n 60er Jahren <strong>de</strong>s vergangenen Jahrhun<strong>de</strong>rts <strong>de</strong>r<br />

„Bekennerbischof“, <strong>de</strong>n <strong>die</strong> tschechischen <strong>Kath</strong>oliken als unbeirrbaren Glaubenszeugen<br />

verehren: Josef Beran (4). Der Prager Erzbischof war am 19. Juni 194) verhaftet und zunächst<br />

in seiner Resi<strong>de</strong>nz unter Hausarrest gestellt wor<strong>de</strong>n, anschließend an wechseln<strong>de</strong>n geheim<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei IX.<br />

gehaltenen Orten. Casaroli re<strong>ist</strong>e nach Prag, um Erleichterungen für Beran auszuhan<strong>de</strong>ln.<br />

Beran bleibt nach seiner Freilassung 1963 aber unter ständiger Beobachtung <strong>de</strong>r Staatssicher<br />

heit. Schließlich erwirkt Papst Paul VI. ein Jahr später (1964) Berans Ausreise nach Rom. Es<br />

wird eine Reise ohne Rückkehr nach Prag sein.<br />

1965 (22. Februar) wird <strong>de</strong>r Prager Oberhirte in <strong>de</strong>n Kardinalsstand, zusammen mit <strong>de</strong>m<br />

Lemberger Großerzbischof Jozef Slipyj, auch er im römischen Exil. Beran nimmt am Zweiten<br />

Vatikanischen Konzil teil und grün<strong>de</strong>t in Rom das Tschechische Religiöse Zentrum<br />

„Velehrad“. Von Rom aus nimmt er Stellung zu <strong>de</strong>n politischen Vorgängen in seiner Heimat,<br />

etwa in einer stark beachteten Ansprache in Radio Vatikan vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r<br />

Selbstverbrennung <strong>de</strong>s Stu<strong>de</strong>nten Jan Palach im Januar 1969 auf <strong>de</strong>m Wenzelsplatz.<br />

Wer von Josef Beran spricht <strong>ist</strong> sogleich auch bei Jaroslav Skarvada, (5) <strong>de</strong>r seinem Bischof<br />

im römischen Exil als Privatsekretär <strong>die</strong>nte. Der junge Prager Stu<strong>de</strong>nt, Jahrgang 1924, war<br />

1945 nach Rom gekommen, um dort an <strong>de</strong>r Lateranuniversität seine Stu<strong>die</strong>n fortzusetzen. Er<br />

lebte als Alumne im „Nepomucenum“ in Prag. 1949 wur<strong>de</strong> er zum Priester geweiht. Die<br />

Rückkehr in seine Heimat war nach <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Machtübernahme für ihn nicht<br />

mehr möglich. Er bleibt in Italien, kümmert sich um <strong>die</strong> Seelsorge an Flüchtlingen in einem<br />

Lager bei Neapel und lehrt Dogmatik an einem Priesterseminar. 1965 nimmt Beran <strong>de</strong>n<br />

Kenner vatikanischer und italienischer Verhältnisse als seinen persönlichen Sekretär, man<br />

kann auch sagen: als seinen engsten Vertrauten. Denn <strong>de</strong>r Prager Oberhirte, nach jahrelanger<br />

Isolation von <strong>de</strong>n Entwicklungen am päpstlichen Hof ferngehalten, kam „in eine frem<strong>de</strong><br />

Welt“, wie sich Skarvada erinnert. Sicher, „er war hart“ in seiner Haltung gegenüber <strong>de</strong>n<br />

Machthabern an <strong>de</strong>r Moldau. Aber was be<strong>de</strong>utete für einen Kirchenführer in kommuni<br />

stischem Gewahrsam das von Johannes XXIII. gepredigte „aggionamento“ – das „Heutig<br />

wer<strong>de</strong>n“ <strong>de</strong>r Kirche? Seine Ausreise nach Rom – ohne Wie<strong>de</strong>rkehr nach Prag – sollte sie auch<br />

<strong>die</strong> neuen ostpolitischen Ambitionen unter Paul VI. erleichtern?<br />

Skarvada lebte nun als Asylant in Italien: Eines Tages, er feiert gera<strong>de</strong> mit Beran <strong>die</strong> heilige<br />

Messe, liegt ein Telegramm <strong>de</strong>r Mutter in seinem Zimmer: „Komme sofort. Vater gestorben.“<br />

Wie soll er sich verhalten. Re<strong>ist</strong> er nach Prag, muss er fürchten, seinen Status in Italien zu<br />

verlieren. Also verzichtet er. 1975 steht er vor einer ähnlichen Entscheidung. Anlass <strong>ist</strong> ein<br />

Besuch in Prag. Casaroli hatte gewisse Erleichterungen erreicht. Skarvada: „Der war<br />

intelligent und hatte ein Gespür für <strong>die</strong> Entwicklung“.<br />

Wie <strong>die</strong> Stasi lockte<br />

Skarvada wird zu einem Gespräch in ein Prager Café gebeten. Zwei Herren in Zivil<br />

erscheinen. Skarvada erinnert sich an <strong>die</strong> Offerte: „Wir wissen, dass <strong>die</strong> Mutter je<strong>de</strong>n Tag<br />

sterben kann. Für Sie <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Tür immer offen.“ Klar, warum sich <strong>die</strong> Stasi so „großzügig“<br />

zeigte. Klar also auch, dass Skarvada <strong>de</strong>n Agenten nicht auf <strong>de</strong>n Leim ging. Im August 1968<br />

macht Skarvada mit seinem Kardinal Urlaub in <strong>de</strong>n Südtiroler Bergen. Dort erfahren sie durch<br />

das Radio vom Einmarsch sowjetischer Truppen in ihre Heimat. Ohnmächtig müssen sie<br />

zusehen, wie auch <strong>de</strong>r kleinste Funke an Hoffnung erlischt. Und sie gehen davon aus, dass<br />

keiner ihrer Schritte unbeobachtet und keines ihrer Worte zu <strong>de</strong>n politischen und<br />

kirchenpolitischen Vorgängen ungehört bleibt.<br />

1968 übernimmt Skarvada für <strong>de</strong>n Heiligen Stuhl <strong>de</strong>n Auftrag eines Visitators <strong>de</strong>r Tschechen<br />

und Slowaken im Ausland. Er sei ein „Instrument <strong>de</strong>r Seelsorge“ gewesen, sagt er auch heute<br />

noch mit einem gewissen Unterton <strong>de</strong>r Vorsicht. Nach Auffassung <strong>de</strong>r Stasi war er damit ein<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei IX.<br />

„Agent <strong>de</strong>s Vatikans“, <strong>de</strong>r gegen <strong>die</strong> Interessen <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Republik arbeitete. Seine<br />

Reisen führten ihn bis nach Australien und in <strong>die</strong> USA und im tschechischen Programm von<br />

Radio Vatikan sei er „je<strong>de</strong>n Montag“ zu hören gewesen. Es waren nicht nur gläubige<br />

<strong>Kath</strong>oliken, <strong>die</strong> das Programm einschalteten.<br />

In Rom „kümmerten“ sich harmlos aussehen<strong>de</strong> Bürger, wie sie wohl selbst glaubten, um ihn.<br />

So habe vis-a-vis <strong>de</strong>r Via Concordia Nr. 1 (das <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Anschrift <strong>de</strong>s „Nepomucenums“) ein<br />

italienischer Kommun<strong>ist</strong> gewohnt. Der habe von seinem Fenster aus eine „klare Übersicht<br />

über <strong>die</strong> Besucher <strong>de</strong>s Kollegs sowie über alles, was sich dort bewegte“, gehabt, berichtet<br />

Skarvada. Viel zu hören bekommen hätte er allerdings nicht von seinem „Schutzbefohlenen“.<br />

Denn <strong>de</strong>r „Cooperatore“ <strong>de</strong>s Staatssekretariats war auf das „Päpstliche Geheimnis“ vereidigt.<br />

Da kam nichts, was <strong>de</strong>r Geheimhaltung unterlag, außerhalb autorisierter Gesprächspartner<br />

über seine Lippen.<br />

Unter <strong>de</strong>m Schutz von St. Peter und <strong>de</strong>m Apostolischen Palast, schienen <strong>die</strong> kirchlichen<br />

Führungsleute aus Tschechien und <strong>de</strong>r Slowakei von weniger Dissens geplagt zu sein, als<br />

nationale Emotionen gelegentlich an Moldau und Donau <strong>die</strong> Herrschaften beschäftigen. Im<br />

Exil ging es um das Fortbestehen <strong>de</strong>r Kirche in <strong>de</strong>r Heimat, um das Schicksal <strong>de</strong>r<br />

„Schweigen<strong>de</strong>n Kirche“, um Bischöfe, Gemein<strong>de</strong>priester, Theologen, Or<strong>de</strong>nsfrauen und<br />

Laiengläubige in Stasi-Gefängnissen. Um <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong>n im westlichen Ausland.<br />

Hilfe für <strong>die</strong> verfolgte Kirche<br />

Gemeinsam mit Pavel (Josef Marie) Hnilica, einem slowakischen Jesuiten, führte er das<br />

Hilfswerk „Pro Fratribus“ für <strong>die</strong> verfolgte Kirche in Osteuropa (6)<br />

Hnilica machte sich durch einen eher schon militanten Antikommunismus in <strong>de</strong>n Stasizen<br />

tralen bemerkbar. Insbeson<strong>de</strong>re war für ihn kennzeichnend sein Eintreten für <strong>die</strong> Botschaft<br />

von Fatima, <strong>die</strong> von <strong>de</strong>r Rettung Russlands mit Hilfe <strong>de</strong>r Gottesmutter spricht, angeblich aber<br />

auch von Schüssen auf einen Papst, was als Prophezeiung <strong>de</strong>s Attentats auf Johannes Paul II.<br />

am 13. Mai 1981 ausgelegt wur<strong>de</strong>, zwar nicht offiziell seitens <strong>de</strong>r vatikanischen<br />

Glaubensbehör<strong>de</strong> unter Kardinal Ratzinger, aber vielleicht vom „polnischen“ Papst so<br />

verstan<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>n Unterlagen <strong>de</strong>s Ostberliner MfS befin<strong>de</strong>t sich eine „Information“ <strong>de</strong>r<br />

ungarischen Sicherheitsorgane von März 1969 über „Pro Fratribus“, <strong>die</strong> wohl im Zuge <strong>de</strong>s<br />

Nachrichtenaustausches auch nach Prag weitergeleitet wur<strong>de</strong>.<br />

Pavel Hnilica (1921 – 2006), zählte wohl zu jenen Zeitgenossen, <strong>die</strong> in <strong>de</strong>n Jahren <strong>de</strong>r<br />

i<strong>de</strong>ologischen Zwangssysteme aufgewachsen, zum Opfer seines lei<strong>de</strong>nschaftlichen Eintretens<br />

für <strong>de</strong>n Glauben und gleichzeitig in für ihn offenbar nicht durchschaubare politische und<br />

kriminelle Strukturen hineingezogen wur<strong>de</strong>, aus <strong>de</strong>nen nicht mehr herausfand. In seiner<br />

Biographie markieren einige Daten <strong>die</strong> entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Wen<strong>de</strong>punkte: Nach <strong>de</strong>r Auflösung<br />

<strong>de</strong>r Klöster zunächst in einem Sammellager mit 700 an<strong>de</strong>ren Or<strong>de</strong>nsleuten interniert. 1950<br />

(am 21. 11) zum Priester geweiht, wenige Wochen später, am 2. 1. 1951 mit Zustimmung von<br />

Pius XII. (nach <strong>de</strong>n Regeln <strong>de</strong>r so genannten „mexikanischen Fakultät“) zum Bischof ernannt<br />

und geheim geweiht, 1964 vom Vatikan veröffentlicht, verbun<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Rang eines<br />

Titular-Bischofs.<br />

Hnilica erinnert sich später an <strong>die</strong>se Priesterweihe in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r Verfolgung: <strong>de</strong>r greise und<br />

kranke Bischof Robert Pobozný, Kapitularvikar von Roznava/Rosenau habe ihn heimlich ins<br />

Krankenhaus bestellt, einer Untersuchung in <strong>de</strong>r Tuberkulose-Abteilung. Dorthin hätten sich<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei IX.<br />

<strong>die</strong> drei „Schutzengel“, <strong>die</strong> <strong>de</strong>m Bischof als ständige Begleiter nie von <strong>de</strong>r Seite wichen, nicht<br />

gewagt. Es sei <strong>de</strong>r Festtag <strong>de</strong>s Erzengels Michael gewesen. – Dieser Schutzengel hat dann<br />

wohl auch <strong>de</strong>n Gottesmann Pavel geleitet und seine Streitbarkeit für <strong>de</strong>n Glauben geprägt.<br />

Wenig später folgte dann bereits <strong>die</strong> geheime Weihe zum Bischof; in einem verborgenen<br />

Lagerraum, es genügten zwei Kerzen und ein diskretes Evangeliar. Pobozny hatte auch Jan<br />

Korec zum Priester geweiht (am 1. Oktober 1950 – auch hier ein Krankenzimmer als Ort <strong>de</strong>r<br />

geheimen Weiheliturgie).<br />

Grundstein <strong>de</strong>r Geheimkirche<br />

Hnilica weihte im August 1951 seinen Mitbru<strong>de</strong>r im Jesuitenor<strong>de</strong>n und slowakischen<br />

Landsmann Ján Chryzostom Korec, (Jahrgang 1924), geheim zum Bischof. Mit <strong>de</strong>r Linie<br />

Hnilica – Korec war <strong>de</strong>r Grundstein für <strong>die</strong> „Gruppe <strong>de</strong>r Jesuiten“ in <strong>de</strong>r Geheimkirche in<br />

stalin<strong>ist</strong>ischer Zeit gelegt. Hnilica kann bei <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r Apostolischen Sukzession, <strong>de</strong>r<br />

rechtmäßigen Weihe in <strong>de</strong>r Nachfolge <strong>de</strong>r Apostel immerhin auf so prominente Namen wie<br />

Josef Beran und Eugenio Pacelli, <strong>de</strong>n späteren Papst Pius XII., verweisen. Vorbil<strong>de</strong>r, <strong>die</strong> ihn<br />

wohl noch zusätzlich motivierten. Für Korec folgte ein beson<strong>de</strong>rs langer Lei<strong>de</strong>nsweg. Nach<br />

<strong>de</strong>m Verbot <strong>de</strong>s Or<strong>de</strong>ns durch <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>en arbeitet er (bis 1960) in einer Fabrik.<br />

Anschließend Gefängnis, bis 1968. Dann Generalamnestie. Für Korec bleibt nur Arbeit als<br />

Straßenkehrer und Beschäftigung in einer Fabrik. Bis 1974. Dann erneut Gefängnis, vier<br />

Jahre. Gesundheitlich schwer angeschlagen wird er 78 entlassen. Darf als Lager<strong>ist</strong> arbeiten.<br />

Die Samtene Revolution been<strong>de</strong>t <strong>die</strong>se Quälerei. 1990 ernennt ihn Johannes Paul II. zum<br />

Bischof von Nitra und 1991 zum Kardinal.<br />

Hnilica in Rom, sicherlich gut informiert über das, was in seiner Heimat passiert, dürfte<br />

innerlich gebebt haben. Manches unternimmt er auf eigene Faust, „im Alleingang“, wie<br />

Casaroli ihn eines Tages zwingen wird, in einem beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>likaten Fall sein Han<strong>de</strong>ln zu<br />

erklären. 1984 re<strong>ist</strong>e er inkognito nach Moskau, trickreich mit Hilfe eines Transit-Visums von<br />

Kalkutta (wo er Mutter Teresa besucht hatte) nach Rom. Im „Heiligtum“ <strong>de</strong>r Roten Zaren<br />

weiht er am 24. März in <strong>de</strong>r Himmelfahrtskapelle <strong>de</strong>s Kreml, offenbar von <strong>de</strong>r sonst<br />

allgegenwärtigen Staatssicherheit nicht erkannt, das Land und das russische Volk <strong>de</strong>m<br />

unbefleckten Herzen Mariens, wie einst Pius XII. während <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges und mit<br />

nachträglicher Billigung von Johannes Paul II., wie er später selbst behauptete.<br />

Im Staatssekretariat war man wohl eher „not amused“ über <strong>die</strong> „Alleingänge“ <strong>de</strong>s Pavel<br />

Hnilica. Ähnliche, wenn auch nicht vergleichbare Unternehmungen hatte ein an<strong>de</strong>rer Bischof<br />

in Rom, außerhalb <strong>de</strong>r Vatikan-Mauern, agieren<strong>de</strong>r Prälat auf <strong>de</strong>m <strong>Gewissen</strong>: <strong>de</strong>r<br />

österreichische Titularbischof Alois Hudal, Rektor <strong>de</strong>s österreichisch-<strong>de</strong>utschen Kollegs<br />

„Santa Maria <strong>de</strong>ll`Anima“, <strong>de</strong>r nach Kriegsen<strong>de</strong> vielen in Rom gestran<strong>de</strong>ten Vertriebenen zu<br />

Papieren für <strong>die</strong> Emigration verhalf, aber auch gesuchten Kriegsverbrechern <strong>die</strong> Flucht nach<br />

Übersee ermöglichte, wie er selbst einmal eingeräumt hat.<br />

Ein Spiel mit dunklen Mächten<br />

An<strong>de</strong>rs Hnilica: Er habe „große Sachen“ gemacht, erinnert sich Jaroslav Skarvada, aber er<br />

schien „zu wenig vernünftig zu sein. Casaroli (<strong>de</strong>r „Außenmin<strong>ist</strong>er“ und Staatssekretär) sei<br />

nicht einverstan<strong>de</strong>n gewesen. Dies dürfte insbeson<strong>de</strong>re bei einer äußerst dubiosen Transaktion<br />

<strong>de</strong>r Fall Anfang <strong>de</strong>r 80er Jahre gewesen sein. Der Hintergrund <strong>ist</strong> ein nicht durchschaubares,<br />

bis heute im Dunkel gebliebenes Spiel, in <strong>de</strong>ssen Drehbuch Summen in Millionen o<strong>de</strong>r sogar<br />

Milliar<strong>de</strong>nhöhe, <strong>die</strong> Mafia, <strong>de</strong>r Zusammenbruch <strong>de</strong>s Banco Ambrosiano durch Vergabe<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei IX.<br />

ungesicherter Kredite, zum Beispiel an <strong>die</strong> Vatikan-Bank IOR unter <strong>de</strong>r Leitung von<br />

Monsignore Paul C. Marcinkus, Gel<strong>de</strong>r in astronomischer Höhe für <strong>die</strong> polnische Solidaritäts-<br />

Bewegung und Betrügereien auf allen Seiten vorkommen. Vor je<strong>de</strong>n <strong>die</strong>ser Punkte muss ein<br />

„angeblich“ gesetzt wer<strong>de</strong>n. Die Quellen sind mitunter so dubios wie einige <strong>de</strong>r han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n<br />

Personen.<br />

Hnilica habe versucht, <strong>de</strong>m Direktor <strong>de</strong>s Banco Ambrosiano, Roberto Calvi bestimmte<br />

Dokumente für einen horren<strong>de</strong>n Betrag abzukaufen. Diese Papiere seien geeignet gewesen,<br />

das IOR (Institut für <strong>die</strong> Religiösen Werke) und <strong>die</strong> Kurie unter Druck zu setzen. Als es im<br />

März 1993 zu einem Prozess gegen Hnilica kam, soll Casaroli <strong>de</strong>n slowakischen Exil-Bischof<br />

gezwungen haben, von einem „Alleingang“ zu sprechen. In Stasi-Akten liest man zu <strong>die</strong>sen<br />

Vorgängen verhältnismäßig wenig. Den Profis schien selbst <strong>die</strong>ser Stoff, aus <strong>de</strong>m sich<br />

vielleicht eine schmackhafte Desinformationskampagne hätte basteln lassen, zu obskur.<br />

Botschaften von <strong>de</strong>r Gottesmutter<br />

Pavel Hnilicas Glaubenswelt wird bestimmt von <strong>de</strong>r Verehrung <strong>de</strong>r Gottesmutter, <strong>de</strong>r<br />

Jungfrau Maria. Sein Engagement in „Pro Fratribus“ <strong>ist</strong> von <strong>die</strong>ser Frömmigkeit erfüllt. Sein<br />

Gedankengut spiegelte sich in <strong>de</strong>n Veröffentlichungen unter gleichem Titel in Koblenz unter<br />

<strong>de</strong>r Redaktionsleitung von Pater Sebastian Labo SJ; <strong>die</strong> letzte Ausgabe, nun schon als<br />

„Stimme <strong>de</strong>r befreiten Kirche“ erschien im Dezember 2003. In <strong>de</strong>n Jahren <strong>de</strong>r Kirchenver<br />

folgung verbreitete „Pro Fratribus“ chr<strong>ist</strong>liche „Samisdat“-Literatur (7), Informationen aus<br />

<strong>de</strong>n Gemein<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Katakombenkirche in <strong>de</strong>r Sowjetunion.<br />

Der Marienkult, wie er in Medjugorje (Herzegowina) gepflegt wird, fin<strong>de</strong>t in Pavel Hnilica<br />

einen starken Befürworter, <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>s Segens seines Gönners Johannes Paul II. sichert. Sein<br />

Engagement geht weiter: In Veröffentlichungen über das fundamental<strong>ist</strong>ischen Innsbrucker<br />

Engelwerk (Werk <strong>de</strong>r Heiligen Engel - Opus Angelorum) tritt Hnilicas Name ebenfalls in<br />

Erscheinung. Er steht an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r Gesamtorganisation <strong>de</strong>r Priestergemeinschaft vom<br />

Heiligen Kreuz. (Nicht zu verwechseln mit <strong>de</strong>m Opus Dei). Die Organisation, mit Strukturen<br />

auf Diözesanebene, knüpft an <strong>de</strong>n „Kreuzor<strong>de</strong>n“ aus <strong>de</strong>m 11. Jahrhun<strong>de</strong>rt an. Die Nähe zu<br />

<strong>die</strong>sem Werk dürfte je<strong>de</strong>nfalls <strong>de</strong>m Wesenszug Hnilicas entsprochen haben – eines Streiters<br />

für <strong>de</strong>n Glauben, <strong>de</strong>r seine Waffen mitunter aus etwas seltsamen Arsenalen bezog.<br />

1) Nepomucenum. Vorläufer das römische Kolleg „Bohemicum“ , 1884 von Papst Leo XIII. gegrün<strong>de</strong>t. Die<br />

erweiterte und in „Nepomucenum“ umbenannte Päpstliche Hochschule, nach <strong>de</strong>r Gründung <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakischen Republik - Proklamation am 28. 10. 1918; Verträge von 1919 (Saint Germain und<br />

Trianon) been<strong>de</strong>n österreichische Doppelmonarchie) - von Papst Benedikt XV. approbiert. Das Seminar nahm<br />

1928/29 seinen Stu<strong>die</strong>nbetrieb auf.<br />

2) Brief vom 18. Juni 2007 an <strong>de</strong>n Autor3) Agostino Casaroli (1914-1998), Sekretär <strong>de</strong>s Rates für <strong>die</strong><br />

öffentlichen Angelegenheiten <strong>de</strong>r Kirche, vatikanischer „Außenmin<strong>ist</strong>er“, ab 1979 Kardinalstaatssekretär;<br />

Achille Silvestrini (Jg. 1923), seit <strong>de</strong>n 60er Jahren im diplomatischen Dienst, 1979 Nachfolger von Casaroli als<br />

Leiter <strong>de</strong>r diplomatischen Sektion <strong>de</strong>s Staatssekretariats, 1988 Kardinal; Giovanni Cheli (Jg. 1918), ab 1973<br />

Beobachter <strong>de</strong>s Heiligen Stuhls bei <strong>de</strong>n Vereinten Nationen, 1998 Kardinal; Luigi Poggi (Jg. 1917), seit 1965 im<br />

diplomatischen Dienst, 1994 Kardinal; Francesco Colasuonno (1925-2003), wie einige seiner Vorgänger mit<br />

Auslandsmissionen betraut, u.a. Pro-Nuntius in Jugoslawien, Delegationschef in Polen und von 1985 bis 1994<br />

päpstlicher Vertreter in Moskau (Sowjetunion/Russland). 1998 Kardinal.<br />

4) Josef Beran (1888-1969) Regens und Professor an <strong>de</strong>r Prager Karls-Universität; 1942, nach <strong>de</strong>m Attentat auf<br />

Heydrich von <strong>de</strong>n Nazis als politische Geisel genommen, zunächst Gefängnis, dann Theresienstadt und Dachau.<br />

Nach <strong>de</strong>m Krieg, ab 1946, Erzbischof von Prag. Er wi<strong>de</strong>rspricht <strong>de</strong>m Versuch <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Machthaber, mit Hilfe einer regimetreuen „<strong>Kath</strong>olischen Aktion“ eine Nationalkirche zu schaffen, mit <strong>de</strong>m ihn<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei IX.<br />

weltweit bekannt machen<strong>de</strong>n „Non possumus – Wir können nicht.“ (Die Formel geht, unter Anlehnung an <strong>die</strong><br />

Apostelgeschichte 4,20 auf Papst Clemens VII. zurück, <strong>de</strong>r mit <strong>die</strong>ser Antwort Heinrich VIII. zu verstehen gab,<br />

dass er <strong>de</strong>n englischen Herrscher nicht von <strong>Kath</strong>arina von Aragón schei<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>, weil <strong>die</strong> Ehe keinen<br />

erwünschten Thronfolger hervorbrachte. Offenbar spielten weniger prinzipielle Glaubensgrün<strong>de</strong> als politische<br />

Überlegungen eine Rolle, <strong>die</strong> Furcht <strong>de</strong>s Papstes vor Repressalien seitens <strong>de</strong>s „katholischen“ Weltbeherrschers<br />

seiner Zeit, <strong>de</strong>m mächtigen Kaiser Karl V.). Beran, 1965 zum Kardinal ernannt, stirbt 1969 (17. Mai). Er wird in<br />

<strong>de</strong>r Krypta <strong>de</strong>s Petersdomes, nahe <strong>de</strong>r Confessio, <strong>de</strong>r Grablege <strong>de</strong>s Petrus, beigesetzt – ein Ort, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r<br />

neueren Geschichte nur Päpsten vorbehalten <strong>ist</strong>.<br />

5) Jaroslav Skarvada, Ab 1970, u.a. als „Cooperator“ im Staatssekretariat, 1982 zum Titularbischof ernannt<br />

und am 6. Januar 1983 von Papst Johannes Paul II. geweiht, weiter zuständig für <strong>die</strong> Auslandsseelsorge. 1991<br />

Weihbischof in Prag und Generalvikar <strong>de</strong>r Erzdiözese. Im September 2002 emeritiert. d.h. im Ruhestand.<br />

6) Pro Deo et Fratribus: eine marianische Vereinigung, 1968 von Bischof Pavel Hnilica in Sessa Aurunca<br />

(Caserta) als Hilfswerk für <strong>die</strong> verfolgte Kirche in Osteuropa gegrün<strong>de</strong>t. Ursprünglicher Name: Fromme<br />

Vereinigung „Pro Fratribus“ (Für <strong>die</strong> Brü<strong>de</strong>r). 1993 kirchenrechtliche Anerkennung durch <strong>die</strong> Diözese von<br />

Roznava in <strong>de</strong>r Slowakei, 1995 Dekret <strong>de</strong>s Päpstlichen Rates für <strong>die</strong> Laien. Der Name <strong>de</strong>s Werkes: Pro et<br />

Fratribus – Famiglia di Maria“, internationale Vereinigung <strong>de</strong>r Gläubigen <strong>de</strong>s Päpstlichen Rechtes. Die<br />

Mitglie<strong>de</strong>r verstehen ihre Glaubenspraxis „im Licht <strong>de</strong>r Botschaft von Fatima“, in <strong>de</strong>r Weihe an „Unsere Liebe<br />

Frau von <strong>de</strong>r Unbefleckten Empfängnis“, sie geloben Treue zum Papst und zum kirchlichen Lehramt.<br />

Angehörige <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Gruppe, <strong>die</strong> eine verpflichten<strong>de</strong> Mitgliedschaft eingehen, führen ein Leben in<br />

spiritueller Gemeinschaft (in Kommunitäten). Das Werk, inzwischen auf allen Kontinenten vertreten, hat seinen<br />

Hauptsitz in Rom.<br />

7) Samisdat: aus <strong>de</strong>m Russischen für Selbstverlag. Unter <strong>de</strong>r Hand verbreitete regimekritische und auch offiziell<br />

verbotene religiöse Literatur, nach <strong>de</strong>m Zweiten Weltkrieg vor allem in <strong>de</strong>r Sowjetunion, <strong>de</strong>r CSSR, <strong>de</strong>r DDR, in<br />

Ungarn und Polen verbreitet und über geheime Kanäle in <strong>de</strong>n Westen geschleust.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei X.<br />

X. Purpur am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Kreuzwegs<br />

Als in <strong>de</strong>n Tagen vor <strong>de</strong>m Kons<strong>ist</strong>orium (<strong>de</strong>r Generalversammlung <strong>de</strong>r Kardinäle) am 23.<br />

Oktober 2003, bei <strong>de</strong>r Ernennung und Veröffentlichung <strong>de</strong>s Namens neuer Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />

ranghöchsten Kollegiums <strong>de</strong>r Kirche <strong>de</strong>r Name Tomás Spidlik fiel, dürften zunächst wohl nur<br />

Insi<strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>rs aufmerksam gewor<strong>de</strong>n sein. Im Nachbarland Tschechoslowakei aber<br />

läuteten <strong>die</strong> Glocken. Johannes Paul II., <strong>de</strong>r polnische Papst, <strong>de</strong>r gera<strong>de</strong>zu mit Lei<strong>de</strong>nschaft<br />

<strong>de</strong>n Blick <strong>de</strong>r Westens auf <strong>de</strong>n Osten zu lenken suchte, hatte <strong>die</strong>s wie<strong>de</strong>r einmal mit einer<br />

Personalie stark zum Ausdruck gebracht, als er <strong>de</strong>n hoch geachteten tschechischen Theologen,<br />

eine Spezial<strong>ist</strong>en <strong>de</strong>r ostkirchlichen Tradition, in seinen Senat aufnahm. Spidlik, zu <strong>die</strong>sem<br />

Zeitpunkt 83 Jahre alt, hatte zwar <strong>die</strong> Altersgrenze für ein Konklave (<strong>die</strong> Papstwahl) über<br />

schritten, aber das Zeichen, das <strong>de</strong>r „slawische“ Papst setzte, gewann vielfache Symbolkraft.<br />

Das Kons<strong>ist</strong>orium war auf <strong>de</strong>n 25. Jahrestag seines Pontifikats (22. 10. 1978) angesetzt. Zwei<br />

Diener <strong>de</strong>r Kirche tauschten <strong>de</strong>n Bru<strong>de</strong>rkuss, bei<strong>de</strong> geprägt von <strong>de</strong>n Erfahrungen unter<br />

Systemen <strong>de</strong>s i<strong>de</strong>ologischen Absolutismus – Tomás Spidlak wohl noch massiver als Karol<br />

Wojtyla.<br />

Ein Fachmann <strong>de</strong>r ostkirchlichen Tradition<br />

Tomás Spidlik gehört <strong>de</strong>m Jesuitenor<strong>de</strong>n an. Er wur<strong>de</strong> 1919 im mährischen Boskovice,<br />

Diözese Brünn, geboren. Der langjährige Spiritual (ge<strong>ist</strong>liche Leiter) <strong>de</strong>s „Nepomucenums“<br />

gilt als einer <strong>de</strong>r namhaftesten Vertreter <strong>de</strong>s tschechischen katholischen Exils (Radio Praha,<br />

am 4. 5. 2006). Als Professor für Spiritualität am Päpstlichen Institut für Ostkirchenkun<strong>de</strong><br />

erwarb sich seinen Ruf als weltweit anerkannter Fachmann auf <strong>die</strong>sem für Laien kaum<br />

überschaubaren Gebiet, <strong>de</strong>r Tradition und Geschichte <strong>de</strong>r so genannten Kirchen <strong>de</strong>s Ostens.<br />

Von 1938 bis 1940 stu<strong>die</strong>rt er in Brünn, absolviert sein Noviziat in Benesov bei Prag. 1942,<br />

als Folge <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Besetzung, übersie<strong>de</strong>lt er nach Velehrad, <strong>de</strong>m in Mähren gelegenen,<br />

<strong>de</strong>m Slawen-Apostel Methodius (Bru<strong>de</strong>r von Kyrill) geweihten tschechischen<br />

Nationalheiligtum. Die Begegnung mit <strong>de</strong>r ostkirchlichen Tradition inspiriert ihn. Seine<br />

Stu<strong>die</strong>n wer<strong>de</strong>n unterbrochen: erst zieht ihn <strong>de</strong>utsches, dann rumänisches und schließlich<br />

russisches Militär zur Zwangsarbeit ein. 1949 verlässt er seine Heimat und geht nach<br />

Maastricht. Dort wird er zum Priester geweiht. Die in Prag an <strong>die</strong> Macht gekommenen<br />

Kommun<strong>ist</strong>en versagen ihm <strong>die</strong> Rückkehr in seine Heimat. Spidlik setzt seine Stu<strong>die</strong>n auf<br />

seinem Spezialgebiet fort. Es folgt <strong>die</strong> Übersiedlung nach Rom.<br />

Bei Radio Vatikan gestaltet er Programme für <strong>die</strong> Län<strong>de</strong>r hinter <strong>de</strong>m Eisernen Vorhang. 1955<br />

wird er promoviert und übernimmt eine Professur für Patr<strong>ist</strong>ik und östliche Theologie am<br />

Päpstlichen Orient-Institut. Spidlik zieht sich im römischen Exil nicht in einen<br />

Elfenbeinturm zurück. Er habe, so heißt es, in Verbindung mit Alexan<strong>de</strong>r Dubcek und Vaclav<br />

Havel, <strong>de</strong>n Protagon<strong>ist</strong>en <strong>de</strong>s „Prager Frühlings“, gestan<strong>de</strong>n.<br />

Der Geheim<strong>die</strong>nst nimmt Rache<br />

Tomás Spidlik und seine Familienangehörigen in Mähren trifft <strong>de</strong>r Hass <strong>de</strong>s Geheim<strong>die</strong>nstes,<br />

vorliegen<strong>de</strong>n Informationen zufolge, fürchterlich. Sein Neffe, <strong>de</strong>r in Brünn (Brno) Architektur<br />

stu<strong>die</strong>rte, habe in <strong>de</strong>n Monaten August/September 1981 Rom besucht, wohl nicht zuletzt, um<br />

seinen Onkel zu sehen. Sie machten eine Woche Urlaub in <strong>de</strong>n Alpen. Nach seiner Rückkehr<br />

nach Brünn sei Pavel Svanda, so Jesuitenpater Kolácek, vom StB (Staatssicherheit<strong>die</strong>nst)<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei X.<br />

„einem grausigen Verhör“ unterzogen wor<strong>de</strong>n. Seine Leiche sei im Abgrund <strong>de</strong>r Macocha (1)<br />

gefun<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n. Die Behör<strong>de</strong>n hätten von „Selbstmord“ gesprochen und <strong>die</strong>s amtlich<br />

bestätigt.<br />

Auf ähnliche Weise sei <strong>de</strong>r Ingenieur Premysl Coufal (1932 im mährischen Prostejov<br />

geboren, ums Leben gekommen. Coufal war, wie Pater Kolácek schreibt, „geheim geweihter<br />

Priester, „vielleicht auch Bischof“. Als „sehr fähiger Ingenieur und Architekt“ sei er von <strong>de</strong>n<br />

Kommun<strong>ist</strong>en „hoch geschätzt“ gewesen. Sie hätten ihn sogar mit Aufgaben im Ausland<br />

betraut und vom zuständigen Min<strong>ist</strong>erium in <strong>de</strong>n Mittleren Orient, in mehrere afrikanische<br />

Län<strong>de</strong>r sowie nach Tunesien und Algerien geschickt wor<strong>de</strong>n. Dann, im Herbst 1980 habe<br />

Coufal eine Romreise unternommen, dabei Radio Vatikan, das „Nepomucenum“, das<br />

Orientalische Institut, <strong>die</strong> Päpstliche Universität Gregoriana besucht, also alles Einrichtunge,<br />

<strong>die</strong> zu Begegnungen mit Landsleuten, zumal Jesuiten, führten. Am 24. Februar 1981 sei<br />

Coufal in seiner Wohnung in Bratislava (Pressburg) tot aufgefun<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n. Pater Kolácek:<br />

„Die Zeugen wagten von schrecklichen Spuren <strong>de</strong>s Selbsterhaltungskampfes zu sprechen.“<br />

Der Überfallene muss sich bis zum letzten Atemzug verzweifelt gewehrt haben. Die Behör<strong>de</strong>n<br />

sprachen wie<strong>de</strong>rum, amtlich beurkun<strong>de</strong>t, von Selbstmord. Pater Kolácek, auf <strong>de</strong>n wir in<br />

späteren Kapiteln zurückkommen wer<strong>de</strong>n, schließt seinen Brief, in <strong>de</strong>m er ungewöhnlich<br />

offen zu <strong>de</strong>n Vorgängen in <strong>de</strong>n Jahren <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Zwangsherrschaft in seiner<br />

Heimat schreibt mit <strong>de</strong>m Bekenntnis: „Die <strong>Wahrheit</strong> will ich nicht verschweigen.“<br />

Europa atmet mit zwei Lungenflügeln<br />

Nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong> in seiner Heimat konzentriert sich Spidlik wie<strong>de</strong>r auf sein<br />

Spezialgebiet. Ab 1991 leitet er das „Centro Aletti“. Das Forschungs- und Stu<strong>die</strong>nzentrum <strong>ist</strong><br />

<strong>de</strong>m Päpstlichen Orient-Institut angeschlossen. Die Einrichtungen wer<strong>de</strong>n vom Jesuiten-<br />

Or<strong>de</strong>n geführt. Das Orient-Institut wur<strong>de</strong> im späten 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt ins Leben gerufen,<br />

eingerichtet in einem Palazzo in <strong>de</strong>r Via Paolina. Das vornehme Patrizierhaus war von einer<br />

Dame <strong>de</strong>r römischen Gesellschafter, <strong>de</strong>r Signora Anna Maria Gruenhut Bastoletti Aletti <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft Jesu geschenkt wor<strong>de</strong>n.<br />

Das „Ezio Aletti Stu<strong>die</strong>nzentrum“, so sein offizieller Name, will Begegnungsstätte zwischen<br />

Ost und West sein, für Stu<strong>die</strong>ren<strong>de</strong>, Wissenschaftler und Künstler mit chr<strong>ist</strong>licher<br />

Orientierung. Insbeson<strong>de</strong>re Johannes Paul II., <strong>de</strong>r „slawische“ Papst hat sich stets <strong>de</strong>n<br />

Austausch <strong>de</strong>r Erfahrungen zwischen <strong>de</strong>n Kulturen <strong>de</strong>s Ostens und <strong>de</strong>s Westens eingesetzt<br />

und <strong>die</strong>s mit seinem berühmten Wort von einem Europa, das mit „zwei Lungenflügeln“ atmet,<br />

unterstrichen. Arbeiten <strong>de</strong>s Zentrums wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>m angeschlossenen „Lipa“-Verlagshaus<br />

veröffentlicht. Der Name „Lipa“ be<strong>de</strong>utet „Lin<strong>de</strong>“. Der Laubbaum gilt als Symbol <strong>de</strong>s<br />

westlichen Slawentums.<br />

Im Jahre 1993, nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei, konnte das römische<br />

Stu<strong>die</strong>nhaus eine erste Filiale in Tschechien errichten, das „Zentrum Aletti Velehrad-Rom“<br />

im mährischen Olomouc (Olmütz). Seine Aufgabe, wie sie Johannes Paul II. in einem<br />

Grußwort zur Eröffnung formulierte: Die Forschung unter <strong>de</strong>n Oriental<strong>ist</strong>en selbst auf <strong>de</strong>r<br />

Grundlage <strong>de</strong>s Glaubens nach <strong>de</strong>m Zusammenbruch <strong>de</strong>s Marxismus zu ermutigen.<br />

Der „polnische Papst“, <strong>de</strong>n eine persönliche Freundschaft mit Spidlik verband, nicht zuletzt<br />

durch das gemeinsame Interesse an <strong>de</strong>r Spiritualität <strong>de</strong>s slawischen Ostens, ernannte, wie<br />

eingangs vermerkt, <strong>de</strong>n be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n mährischen Theologen im Jahre 2003 zum Kardinal.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei X.<br />

Dieser <strong>ist</strong> es auch, <strong>de</strong>r zum Beginn <strong>de</strong>s Konklaves von 2005 <strong>die</strong> einführen<strong>de</strong> Meditation<br />

übernimmt, gemäß <strong>de</strong>r Wahlordnung von 1996, wonach ein an „Weisheit und moralischer<br />

Autorität beispielhafter Kleriker <strong>de</strong>n Kardinälen eine Betrachtung über <strong>die</strong> aktuellen<br />

Probleme <strong>de</strong>r Kirche und <strong>de</strong>r Papstwahl halten soll.“<br />

Tomás Spidlik wird 1990 emiritiert. Sein Name veranlasst in <strong>de</strong>r weltlichen Presse <strong>de</strong>s<br />

Westens nicht gera<strong>de</strong> Schlagzeilen, doch Wissenschaft und Politik überhäufen ihn mit<br />

Ehrungen, im postkommun<strong>ist</strong>ischen Russland ebenso wie in <strong>de</strong>n USA, und natürlich in<br />

seinem Heimatland, wo ihm Staat und wissenschaftliche Welt (<strong>die</strong> Prager Karls-Universität<br />

Universität) höchste Auszeichnungen verleihen.<br />

1)Doline Macocha (Macocha-Schlucht): Im mährischen Karstgebiet, nur wenige Kilometer von Brünn entfernt.<br />

Be<strong>de</strong>utendste Sehenswürdigkeit: <strong>die</strong> mit 138 Metern tiefste Schlucht Europas, durchzogen von <strong>de</strong>m<br />

unterirdischen Fluss Punkva, <strong>de</strong>r zwei kleine Seen spe<strong>ist</strong>. Im Jahre 1723 wagte zum ersten Mal ein Mensch <strong>de</strong>n<br />

Abstieg auf <strong>de</strong>n Schluchtgrund. Es war <strong>de</strong>r Franziskanermönch Lazar Schopper. Heute <strong>ist</strong> <strong>de</strong>r Naturpark, eines<br />

<strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utendsten Karstgebiete Mitteleuropas, mit seinen zahlreichen Höhlen und unterirdischen Wasserläufen<br />

entlang <strong>de</strong>r Kalkplatte, eine Tour<strong>ist</strong>en-Attraktion und begehrtes Ziel von Naturforschern und Archäoligen.<br />

Ausgangspunkt <strong>ist</strong> das Dorf Vilémovice/Wilhelmschlag.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XI.<br />

XI. Kirche im Fa<strong>de</strong>nkreuz <strong>de</strong>r Geheim<strong>die</strong>nste<br />

Abertausen<strong>de</strong> Schriftstücke, von <strong>de</strong>n kommun<strong>ist</strong>ischen Sicherheitsorganen nach <strong>de</strong>m großen<br />

Knall, hinterlassen, ermöglichen Einblicke in Wesen und Praxis <strong>de</strong>r Spionage-Apparate <strong>de</strong>s<br />

politisch-i<strong>de</strong>ologischen Systems. Wenn nicht gera<strong>de</strong> prominente Namen o<strong>de</strong>r spektakuläre<br />

Fälle aus <strong>de</strong>n Unterlagen gefischt wer<strong>de</strong>n, hält sich das Interesse <strong>de</strong>r Öffentlichkeit vermutlich<br />

in Grenzen. Neben <strong>de</strong>r Auswertung <strong>de</strong>r „brisanten“ Materialien, wie Abhörprotokolle,<br />

Gesprächsnotizen über abgeschöpfte Quellen, so genannte „Informationen“ über Situationen<br />

und Ereignisse, ver<strong>die</strong>nen Analysen, <strong>die</strong> bisweilen Buchumfang erreichten, <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren<br />

Aufmerksamkeit.<br />

Dem Ausgang <strong>de</strong>s 40 Jahre währen<strong>de</strong>n Ost-West-Konfliktes verdankt <strong>die</strong> wissenschaftliche<br />

Forschung <strong>die</strong> einmalige Gelegenheit, in <strong>die</strong> Schattenwelt von Geheim- und Nachrichten<br />

<strong>die</strong>nste vorzudringen. Selbst wenn <strong>die</strong>se sich vornehmlich <strong>die</strong> linke Seite <strong>de</strong>s Eisernen<br />

Vorhangs betrifft, so spiegelt sich in gewisser Weise auch <strong>die</strong> weiterhin abge<strong>de</strong>ckte<br />

Wirklichkeit <strong>de</strong>r Gegenseite. Was hat sich nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Kalten Krieges geän<strong>de</strong>rt?<br />

Kaum ein Tag, an <strong>de</strong>m nicht aus irgen<strong>de</strong>inem Winkel <strong>de</strong>r Welt vom Tun und Treiben<br />

irgendwelcher Geheim<strong>die</strong>nste berichtet wird. Neue Techniken <strong>de</strong>r Überwachung, <strong>die</strong> ins<br />

Unermesslich wachsen<strong>de</strong> globale Kommunikation im Cyberspace – das Übergreifen einer<br />

Bespitzelungs-Manie auf <strong>de</strong>n zivilen Sektor etwa in <strong>de</strong>r Privatwirtschaft – lassen <strong>die</strong> Welt wie<br />

ein riesiges Spinnennetz erscheinen, in <strong>de</strong>m selbst <strong>de</strong>r unbescholtene Bürger um seine<br />

Privatheit fürchtet, das Vertrauen in <strong>de</strong>n Schutz seiner Privatheit verliert.<br />

Zielobjekt: Flüchtlinge und Emigranten<br />

Was nun haben solche Überlegungen mit <strong>de</strong>n Operationen <strong>de</strong>r ehemaligen kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Staatssicherheitsorgane zu tun? Die internen Arbeitsdokumente lassen erkennen, wer in <strong>de</strong>n<br />

Fokus <strong>de</strong>r Spionage geriet. In <strong>de</strong>n Unterlagen <strong>de</strong>s Ostberliner MfS fin<strong>de</strong>n sich l<strong>ist</strong>enlange<br />

Aufzählungen von Personen und Organisationen aus <strong>de</strong>m offiziellen kirchlichen Bereich<br />

sowie <strong>de</strong>r Kirche nahe stehen<strong>de</strong>n, respektive chr<strong>ist</strong>lich orientierten Einrichtungen. Auf <strong>die</strong><br />

Tschechoslowakei bezogen, fan<strong>de</strong>n <strong>die</strong> <strong>die</strong>sbezüglichen Vertriebenen-Organisationen und<br />

politische Vereinigungen, ohne sich in Vermutungen zu verlieren, sicherlich auch das<br />

Interesse <strong>de</strong>s Prager StB. Das galt wohl in erster Linie für <strong>die</strong> Su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utsche Lands<br />

mannschaft, für <strong>die</strong> chr<strong>ist</strong>lich orientierte Ackermanngemein<strong>de</strong>, für <strong>die</strong> „Seligergemein<strong>de</strong>“<br />

<strong>de</strong>r su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utschen Sozial<strong>de</strong>mokraten, für <strong>de</strong>n als nationalkonservativ gelten<strong>de</strong>n<br />

„Witikobund“ und nicht zuletzt für <strong>die</strong> „Königsteiner Anstalten“. Seine Arbeit aufgenommen<br />

hatte <strong>die</strong>ses Zentrum <strong>de</strong>r katholischen Flüchtlingsarbeit in West<strong>de</strong>utschland 1946 mit einem<br />

eigenen Priesterseminar und <strong>de</strong>m Albertus-Magnus-Kolleg für Schüler und Stu<strong>de</strong>nten. Der<br />

Kölner Kardinal Josef Frings sprach bei <strong>die</strong>ser Gelegenheit von einem „Vaterhaus <strong>de</strong>r<br />

Vertriebenen“. 1954/55 folgte das „Haus <strong>de</strong>r Begegnung“, als ein Zentrum <strong>de</strong>r Ostarbeit<br />

erbaut, „angesichts <strong>de</strong>r immer mehr wachsen<strong>de</strong>n Verfolgung <strong>de</strong>r Kirche durch ein<br />

athe<strong>ist</strong>isches Regime“, wie es in <strong>de</strong>r Urkun<strong>de</strong> heißt, <strong>die</strong> <strong>de</strong>m Grundstein beigefügt wur<strong>de</strong>. Mit<br />

„Königstein“ untrennbar verbun<strong>de</strong>n sind Weihbischof Adolf Kin<strong>de</strong>rmann (1899-1974), <strong>de</strong>r<br />

aus <strong>de</strong>m nordböhmischen Neugrafenwal<strong>de</strong> stammte und <strong>de</strong>r belgische Prämonstratenser-Pater<br />

Werenfrid van Straaten, (1913-2003) von Königstein aus das von ihm gegrün<strong>de</strong>te Werk<br />

„Kirche in Not“ und darin einbezogene „Ostpriesterhilfe“ organisierte.<br />

Wer Hintergrund-Informationen über <strong>die</strong> Situation <strong>de</strong>r Kirche „hinter <strong>de</strong>m Eisernen Vorhang“<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XI.<br />

suchte, fand in Königstein eine vielfältige Plattform durch <strong>die</strong> Veranstaltungen im Haus <strong>de</strong>r<br />

Begegnung (1977 mit <strong>de</strong>m Albertus-Magnus-Werk zusammengeschlossen). Da waren <strong>die</strong><br />

Kongresse unter <strong>de</strong>m Titel „Kirche in Not“, mit Zeugnissen aus erster Hand. Vertriebenen-<br />

Seminare und Exerzitien, Tagungen <strong>de</strong>r Ostaka<strong>de</strong>mie und <strong>de</strong>r Rabanus-Maurus-Aka<strong>de</strong>mie.<br />

Materialien lieferte das <strong>Kath</strong>olische Institut für Sozial- und Flüchtlingsfragen. In Königstein<br />

grün<strong>de</strong>te sich <strong>die</strong> Arbeitsgemeinschaft katholischer Vertriebenenorganisationen. Stasi-Spitzel<br />

saßen an <strong>de</strong>r Quelle. Sie konnten nicht nur mitschreiben, was <strong>die</strong> „revanch<strong>ist</strong>ischen Kreise“<br />

über <strong>die</strong> gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Sozialismus<br />

gesagt wur<strong>de</strong>, zumal <strong>die</strong> west<strong>de</strong>utschen Me<strong>die</strong>n ausführlich über <strong>die</strong>se Veranstaltungen<br />

berichteten. Zu erfahren war auch einiges aus Emigranten-Szene in westeuropäischen Län<strong>de</strong>rn<br />

und in Rom, also in Nachbarschaft zum Vatikan.<br />

Ausgeforscht: das „Nepomucenum“ in Rom<br />

Wer konnte davon ausgehen, ins Fa<strong>de</strong>nkreuz <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen „Aufklärung“ geraten zu<br />

sein. Ganz sicher davon ausgehen konnten <strong>de</strong>r aus Saaz (Diözese Leitmeritz) stammen<strong>de</strong><br />

Prälat Professor Josef Rabas (1908-2003) und Benediktiner-Abt Anastaz Opasek (1913-<br />

1999).<br />

Nach <strong>de</strong>m Krieg zunächst Flüchtlingsseelsorger , dann Professor an <strong>de</strong>r Universität<br />

Würzburg aber schon in <strong>die</strong>ser Zeit mit <strong>de</strong>r Beobachtung <strong>de</strong>r kirchlichen Verhältnisse in <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei und als einer <strong>de</strong>r besten Kenner <strong>de</strong>r Situation ausgewiesen, übernahm<br />

nach seiner Emeritierung 1973 das von <strong>de</strong>r Ackermanngemein<strong>de</strong> mit Unterstützung <strong>de</strong>r<br />

Deutschen Bischofskonferenz in Rom errichteten katholische Büros für ost- und mitteleuro<br />

päische Fragen (Ackermann-Gemein<strong>de</strong> di Monaco di Bavaria per affari d´Europa centroorientale).<br />

Von dort, mit Zugang zu ersten Quellen im Vatikan und in Emigrantenkreisen, <strong>die</strong><br />

kirchliche und kirchenpolitische Entwicklung in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei beobachten und<br />

analysieren.<br />

Seine Kommentare konnten bei <strong>de</strong>r politischen Nomenklatura in Prag sicherlich keine Freu<strong>de</strong><br />

auslösen. In unter <strong>die</strong> Lupe zu nehmen, dürften sich <strong>de</strong>r StB o<strong>de</strong>r Agenten <strong>de</strong>r „Bru<strong>de</strong>rorga<br />

nisationen“ wohl nicht haben nehmen lassen. Zumal Rabas auch im „Nepomucenum“ wie zu<br />

Hause war. „Erste Adressen“ für <strong>die</strong> „Kundschafter“ <strong>de</strong>s Prager Geheim<strong>die</strong>nstes waren also<br />

zum einen das von Kardinal Beran 1966 in Rom ins Leben gerufene Tschechische Religions<br />

zentrum „Velehrad“, das heute seinen Namen trägt sowie das wie<strong>de</strong>rholt erwähnte<br />

„Nepomucenum“, das Päpstliche Kolleg „Heiliger Johannes von Nepomuk“ (Pontificio<br />

Collegio Nepomuceno) in <strong>de</strong>r Via Concordia, Nummer 1.<br />

Das tschechische („böhmische“) Kolleg nimmt in Rom stu<strong>die</strong>ren<strong>de</strong> Seminar<strong>ist</strong>en und Theologen<br />

auf, bietet im Vatikan tätigen Ge<strong>ist</strong>lichen Aufenthalt und Arbeitsmöglichkeiten und war<br />

in <strong>de</strong>n Zeiten <strong>de</strong>r Kirchenverfolgung auch Begegnungsstätte für Betroffene.<br />

Gewiss, man musste in jenen Jahren auf „ungebetene Gäste“ gefasst sein. An<strong>de</strong>rerseits<br />

blieben sie nicht lange unent<strong>de</strong>ckt, <strong>de</strong>r „Spitzel-Geruch“ haftete ihnen an, dafür habe man ein<br />

Gespür entwickelt, sagt ein langjähriger Bewohner <strong>de</strong>s Kollegs. Kleine ungeschickte Gesten,<br />

<strong>die</strong> nicht in <strong>de</strong>n Lebensalltag <strong>de</strong>r religiösen Wohngemeinschaft mit ihren eigenen Hausregeln<br />

passte, mangelhaftes Vokabular verrieten sie als nicht zugehörig. Latein hatte es in <strong>de</strong>r<br />

Athe<strong>ist</strong>en-Schule nicht gegeben. Es konnte allerdings auch schon mal sein, dass während<br />

einer Generalau<strong>die</strong>nz auf <strong>de</strong>m Petersplatz ein „Landsmann“ <strong>de</strong>m Pater aus <strong>de</strong>m<br />

„Nepomucenum“ näherte und vorgab, kein Italienisch zu verstehen: „Was hat <strong>de</strong>r Papst<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XI.<br />

gera<strong>de</strong> gesagt?“. Und mit <strong>de</strong>r Frage versuchte, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Solche<br />

Erfahrungen machten misstrauisch. „Man hielt besser <strong>de</strong>n Mund“, dabei hält Pater Petr<br />

Ovecka mit einer entsprechen<strong>de</strong>n Geste seine Hand vor <strong>die</strong> Lippen.<br />

Wie Rabas stand auch Benediktiner-Abt Opasek im Kloster Rohr (Nie<strong>de</strong>rbayern) im Exil<br />

lebend, über das 1972 von ihm gegrün<strong>de</strong>te Werk „Opus Bonum“ in enger Verbindung zur<br />

Ackermann-Gemein<strong>de</strong>. „Opus Bonum“ publizierte Texte, organisierte Seminare sowie<br />

Treffen von im Exil, insbeson<strong>de</strong>re in Franken) leben<strong>de</strong>n Intellektuellen und bemühte sich um<br />

<strong>die</strong> <strong>de</strong>utsch-tschechische Aussöhnung. Opasek stellte sich im Rahmen von „Opus Donum“<br />

hinter <strong>die</strong> „Charta 77“ <strong>de</strong>r regimekritischen tschechischen Intellektuellen, zu <strong>de</strong>ren<br />

Wortführern <strong>de</strong>r Dramatiker Vaclav Havel zählte. (1)<br />

Slowakischer Nationalismus<br />

In <strong>de</strong>r einen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Hinsicht wer<strong>de</strong>n ethnische und kulturh<strong>ist</strong>orische Differenzen<br />

zwischen Tschechen und Slowaken ins Spiel gebracht. In <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>m Ausmaß <strong>de</strong>r<br />

Kirchenverfolgung käme <strong>die</strong>s einer eher oberflächlichen Betrachtung gleich. Sicherlich<br />

erwies sich <strong>die</strong> „fasch<strong>ist</strong>ische“ Vergangenheit <strong>de</strong>s slowakischen Nationalstaates von Hitlers<br />

Gna<strong>de</strong>n unter Führung <strong>de</strong>s katholischen Priesters Jozef Tiso als schwere Hypothek,<br />

an<strong>de</strong>rerseits gaben slowakische Kommun<strong>ist</strong>en nationalen Eigeninteressen Vorrang in einer<br />

gewissen D<strong>ist</strong>anz gegenüber Prag. Es heißt, dass ihnen <strong>die</strong>s nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong><br />

zugute gehalten wird, in Pressburg <strong>die</strong> Aufarbeitung <strong>de</strong>r Stasi-Vergehen zurückhalten<strong>de</strong>r<br />

gehandhabt wird. Eine solche Behauptung wäre schwer zu halten und allenfalls im Einzelfall<br />

zu belegen, solange nicht Gesamtergebnisse vorliegen.<br />

Für <strong>die</strong> kirchenpolitische Situation kommt hinzu, dass in <strong>die</strong>sem Lan<strong>de</strong>steil neben <strong>de</strong>r<br />

römisch-katholischen Kirche <strong>de</strong>s lateinischen Ritus eine zweite mit <strong>de</strong>r Papstkirche<br />

verbun<strong>de</strong>ne Religionsgemeinschaft beheimatet <strong>ist</strong>: eine Kirche <strong>de</strong>s slawisch-byzantinischen<br />

Ritus in Union mit <strong>de</strong>m Apostolischen Stuhl (daher <strong>die</strong> Bezeichnung „Unierte Kirche“). Ihre<br />

Geschichte geht auf das orthodoxe Schisma En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts in <strong>de</strong>r „Rus“<br />

(Ukraine) zurück, eine Abspaltung, <strong>die</strong> bis heute vom Moskauer Patriarchat nicht anerkannt<br />

wird, <strong>die</strong> Beziehungen mit Rom erheblich belasten und in <strong>de</strong>r Zeit nach <strong>de</strong>m Zweiten<br />

Weltkrieg von Stalin (Zwangsvereinigung <strong>de</strong>r Unierten mit <strong>de</strong>r Russisch-Orthodoxen Kirche)<br />

und seinen Nachfolgern politisch ausgenutzt wur<strong>de</strong>. <strong>Kath</strong>oliken und Unierte (<strong>die</strong> auch<br />

kleinere Gemein<strong>de</strong>n auch in Tschechien unterhalten, sowie in Polen) sehen sich im<br />

Rä<strong>de</strong>rwerk <strong>de</strong>r Staatssicherheitsorgane.<br />

Unter <strong>de</strong>n Slowaken in Rom nimmt Jozef Tomko eine prominente Rolle ein. Von 1950 bis<br />

1965 <strong>ist</strong> Vizerektor <strong>de</strong>s „Nepomucenums“, er wirkt als Seelsorger und Hochschullehrer.<br />

römischen Kurie <strong>die</strong>nt er in verschie<strong>de</strong>nen Funktionen: in Kurienkongregationen, als<br />

Generalsekretär <strong>de</strong>r internationalen Bischofssyno<strong>de</strong>. 1985 wird er von Johannes Paul II zum<br />

Kardinal erhoben und übernimmt das Amt <strong>de</strong>s Präfekten <strong>de</strong>r Kongregation für <strong>die</strong> Evangeli<br />

sierung <strong>de</strong>r Völker (Propaganda fi<strong>de</strong>). Als Großkanzler <strong>de</strong>r Päpstlichen Universität Urbaniana<br />

verfügt er über entsprechen<strong>de</strong>n Einfluss auf <strong>die</strong> Ausbildung von Theologen und Priesteramtskandidaten<br />

aus <strong>de</strong>n Missionslän<strong>de</strong>rn. Dank seiner Nähe insbeson<strong>de</strong>re zum „polnischen“ Papst<br />

sowie seiner langjährigen Verbindungen im In- und Ausland und natürlich in <strong>de</strong>n eigenen<br />

landsmannschaftlichen Kreisen, verfügte er über ein umfassen<strong>de</strong>s Kapital an Informationen,<br />

an <strong>de</strong>m auch Nachrichten<strong>die</strong>nste interessiert sein konnten. Wer möchte <strong>die</strong>s in Frage stellen?<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XI.<br />

Ein Diplomat <strong>de</strong>s Papstes in heikler Mission<br />

Aus <strong>de</strong>r slowakischen Abteilung <strong>de</strong>s Vatikans sei noch <strong>de</strong>r US-amerikanische Prälat John<br />

Bukovski genannt. Seine Tätigkeit verzichtete auf allzu große Öffentlichkeit. Als Diplomat<br />

<strong>de</strong>s Heiligen Stuhls war er mit schwierigen Missionen betraut, <strong>die</strong> Diskretion statt<br />

Schlagzeilen verlangten. Bukovsky, Jahrgang 1924, wur<strong>de</strong> in Cerova, in <strong>de</strong>r heutigen<br />

Diözese Bratislava (Pressburg)-Trnava (Turnau) geboren. Er trat in <strong>die</strong> Or<strong>de</strong>nsgemeinschaft<br />

<strong>de</strong>r Steyler Missionare ein, <strong>de</strong>r Gesellschaft <strong>de</strong>s Göttlichen Wortes (Societas Verbi Divini<br />

SVD) und wur<strong>de</strong> 1959 zum Priester geweiht.<br />

In <strong>die</strong> USA emigriert kehrte er nach Europa zurück und trat in <strong>de</strong>n diplomatischen Dienst <strong>de</strong>s<br />

Vatikans ein, durchläuft <strong>die</strong> „Ochsentour“: „Scrittore“ - „Ad<strong>de</strong>tto“ - „Consigliere“, Rang<br />

stufen in <strong>de</strong>r vatikanischen Beamtenhierarchie. 1990, <strong>die</strong> politischen Verhältnisse im Osten<br />

haben sich geän<strong>de</strong>rt, übernimmt Bukovsky (jetzt im Rang eines Titular-Erzbischofs) <strong>die</strong><br />

Nuntiatur in Bukarest (bis 1994) und anschließend schwierigeres Terrain, <strong>die</strong> Apostolische<br />

Nuntius in Moskau. Er <strong>ist</strong> bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 <strong>de</strong>r erste Botschafter <strong>de</strong>s<br />

Papstes bei <strong>de</strong>r Regierung <strong>de</strong>r Russischen Fö<strong>de</strong>ration unter Präsi<strong>de</strong>nt Jelzin und erlebt <strong>die</strong><br />

Nachwehen <strong>de</strong>r russischen Verfassungskrise.<br />

Seine diplomatischen Erfahrungen hatte Bukovsky als enger Mitarbeiter von Casaroli im Rat<br />

für <strong>die</strong> öffentlichen Angelegenheiten <strong>de</strong>r Kirche (<strong>de</strong>m vatikanischen Außenmin<strong>ist</strong>erium)<br />

sammeln können. Dies galt nicht zuletzt auch für „heikle Missionen in <strong>de</strong>r CSSR“.<br />

Zur Erinnerung: Am 24. Mai 1976 war <strong>de</strong>r Apostolische Admin<strong>ist</strong>rator <strong>de</strong>r Erzdiözese Prag,<br />

Frantisek Tomásek (seit 1965 in <strong>die</strong>sem Amt) von Papst Paul VI. „in pectore“ (wörtlich: in<br />

<strong>de</strong>r Brust) zum Kardinal ernannt wor<strong>de</strong>n, also zunächst geheim. Ein Jahr später, im<br />

öffentlichen Kons<strong>ist</strong>orium am 27. Juni 1977, seinem letzten, gibt Paul VI. <strong>de</strong>n Namen<br />

Tomáseks bekannt. An <strong>die</strong>sem Tag erhalten vier weitere Kandidaten <strong>de</strong>n Purpur: Giovanni<br />

Benelli, Erzbischof von Florenz, Bernardin Gantin, Erzbischof von Cotonou (Benin), Mario<br />

Luigi Ciapi O.P. (Dominikaner), Titularbischof von Misenum und päpstlicher Haustheologe<br />

sowie ein Deutscher: Joseph Ratzinger, <strong>de</strong>r Erzbischof von München und Freising. (Seit 2005<br />

Papst Benedikt XVI.)<br />

Winkelzüge <strong>de</strong>s Regimes<br />

Das kommun<strong>ist</strong>ische Regime muss wohl o<strong>de</strong>r übel <strong>de</strong>r Erwählung Tomásek zustimmen, nicht<br />

zuletzt im Blick auf <strong>die</strong> bevorstehen<strong>de</strong> KSZE-Folgekonferenz von Belgrad. (vom 4. Oktober<br />

1977 bis 9. März 1978) und <strong>die</strong> im Korb Drei enthaltenen Zusicherungen, allgemein <strong>die</strong><br />

Menschenrechte, also auch das Recht auf freie Religionsausübung, betreffend. Im Nachbar<br />

land Polen aber droht <strong>de</strong>m System weiterhin erheblicher Konflikt: Die Auswirkungen <strong>de</strong>r<br />

Arbeiter-Unruhen in <strong>de</strong>n Ostseestädten von Danzig, Gdingen und Zoppot vom 14. Dezember<br />

1970, <strong>de</strong>r Sturz <strong>de</strong>s Gomulka-Regimes schwelen unter <strong>de</strong>r Oberfläche. Unter <strong>de</strong>r Parole<br />

„Solidarität“ wird sich <strong>die</strong> Gewerkschaftsbewegung „Solidarnosc“ erheben, das Jahr 1978<br />

wird im Zeichen einer sensationellen Papstwahl stehen: ein Pole, <strong>de</strong>r Krakauer Erzbischof und<br />

Kardinal Karol Wojtyla, an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r römisch-katholischen Kirche.<br />

Am 31. Juli – Tomásek <strong>ist</strong> nach einmonatigem Aufenthalt in Rom nach Prag zurückgekehrt –<br />

wird <strong>de</strong>r neue Purpurträger an <strong>de</strong>r Moldau, von Spitzenvertretern <strong>de</strong>r Partei und <strong>de</strong>s Staates<br />

aufgesucht. Ein bis dahin unvorstellbarer Vorgang, <strong>de</strong>nkt man an <strong>die</strong> nicht allzu lange<br />

zurückliegen<strong>de</strong> Zeit <strong>de</strong>r „stalin<strong>ist</strong>ischen“ Kirchenverfolgung.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XI.<br />

In <strong>de</strong>r CSSR sind acht vakante Bischofsstühle zu besetzen. Tomásek übernimmt am 30.<br />

Dezember auch offiziell als Nachfolger Josef Berans, das Amt <strong>de</strong>s Erzbischofs <strong>de</strong>r Prager<br />

Diözese. Im Juni jenes Jahres hatte John Bukovsky auf einer Rundreise durch <strong>die</strong> CSSR<br />

diskret nach geeigneten Kandidaten gesucht. Der Vatikan ging davon aus, dass <strong>die</strong> neu zu<br />

ernennen<strong>de</strong>n Oberhirten künftig in <strong>de</strong>r Seelsorge unbehin<strong>de</strong>rt sein wür<strong>de</strong>n, bestärkt durch <strong>die</strong><br />

Zusicherung von Parteichef Gustav Husak. Dieser, ein Slowake, versicherte Tomásek<br />

brieflich, dass er an einer „positiven Entwicklung“ <strong>de</strong>r Verhandlungen zwischen Prag und<br />

<strong>de</strong>m Vatikan interessiert sei. Im Gegenzug dürfte er gewisse Zugeständnisse seitens <strong>de</strong>s<br />

Heiligen Stuhls erwartet haben. Hier mag <strong>de</strong>r Fall Olmütz (Olomouc) genügen. Nach <strong>de</strong>m<br />

Tod <strong>de</strong>s internierten Erzbischofs Matocha im Jahre 1961 blieb <strong>de</strong>r Stuhl mehr als ein<br />

Jahrzehnt verwa<strong>ist</strong>.<br />

Umstrittene Priestervereinigung „Pacem in terris“<br />

Vom Vatikan vorgeschlagene Nachfolger lehnten <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>en ab. Schließlich wur<strong>de</strong><br />

ein Kompromisskandidat gefun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Olmützer Theologe Josef Vrana (1905-1987)<br />

angeblich ein Günstling <strong>de</strong>s Regimes. 1971 hatte er <strong>de</strong>n Vorsitz <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Partei<br />

kontrollierten Priestervereinigung „Pacem in Terris“ (2) übernommen. (1973 stimmte <strong>de</strong>r<br />

Vatikan seiner Ernennung zum Apostolischen Admin<strong>ist</strong>rator zu, im Rang eines Titularbi<br />

schofs – aber eben nicht als Ordinarius (Diözesanbischof). Dass auch Vrana letztlich nur ein<br />

Instrument in <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>s Staatsicherheits<strong>die</strong>nstes war, ständig „begleitet“ und durch<br />

Abhöranlagen belauscht, ein Opfer <strong>de</strong>s systematischen Kirchenkampfes, gehört zu <strong>de</strong>n<br />

tragischen Kapiteln <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>nsgeschichte <strong>de</strong>r katholischen Kirche in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei<br />

und <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ologischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m Atheismus.<br />

Gerüchte, wonach er sich in <strong>de</strong>n 70er Jahren zur Stasi-Mitarbeit verpflichtet haben soll,<br />

blieben unbewiesen. Hier mag <strong>die</strong> beinahe banale Erkenntnis zur Aufklärung beitragen, dass<br />

je<strong>de</strong>r Kirchenmann, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Stasi Gespräche führte, und sei es in offizieller Eigenschaft,<br />

seinen Namen auf einer Karteikarte mit Anhang fin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, gegebenenfalls gegen ihn zu<br />

verwen<strong>de</strong>n. Dass Tomásek für <strong>de</strong>n StB tabu gewesen sein soll, erscheint insofern eine eher<br />

naive Vermutung. Allerdings weigerte Tomásek, <strong>die</strong> „Charta 77“ <strong>de</strong>r tschechischen<br />

Dissi<strong>de</strong>nten zu unterschreiben. Stan<strong>de</strong>n ihm und seinem Erzbischof einige <strong>de</strong>r Protagon<strong>ist</strong>en<br />

zu weit links, zu stark kommun<strong>ist</strong>isch „angehaucht“? Bischof Jaroslav Skarvada in <strong>de</strong>r<br />

Rückschau: „Wir hatten Angst vor <strong>die</strong>sen Leuten.“ Seine Äußerung spiegelt das<br />

Spannungsfeld <strong>de</strong>r Kirche, sowohl innerkirchlich – <strong>de</strong>nn es gab ja auch dort Parteigänger <strong>de</strong>r<br />

Bürgerrechtsbewegung - wie in <strong>de</strong>r unterschiedlichen Beurteilung <strong>de</strong>r weiteren Entwicklung<br />

im Staat-Kirche-Verhältnis.<br />

Als Weihbischof in Olmütz hatte Tomásek zwar in einer Reformbewegung katholischer<br />

Priester mitgewirkt. Sie hatte mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Regime nahe stehen<strong>de</strong>n Priestervereingigung en<br />

„Pacem-in-Terris“ nichts gemein und <strong>die</strong>se war insofern auch nicht als direkte Nachfolgerin<br />

<strong>de</strong>r ersten Aktion anzusehen. Ein Bannspruch aus Rom sollte endgültig mit politisch ins<br />

Zwielicht geratenen, <strong>die</strong> Kirche <strong>de</strong>savourien<strong>de</strong>n Priestern Schluss machen. (3)<br />

Ein Funktionär entlarvt das System<br />

Entlarvend war <strong>die</strong> Reaktion <strong>de</strong>s Regimes. In einer ersten Stellungnahme gab „Religions<br />

min<strong>ist</strong>er“ Karel Hruza (Direktor <strong>de</strong>s Sekretariats für für kirchliche Angelegenheiten beim Amt<br />

<strong>de</strong>s Min<strong>ist</strong>erpräsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r CSSR) eine seiner bislang schärfsten Erklärungen ab gegenüber<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XI.<br />

<strong>de</strong>njenigen „<strong>die</strong> versuchten, <strong>die</strong> religiösen Gefühle unserer Bürger für ihre eigenen Zwecke zu<br />

missbrauchen“. (Hruza hatte u.a. im September 1977 mit einer Regierungs<strong>de</strong>legation im<br />

Vatikan Verhandlungen über das Staat-Kirche-Verhältnis geführt, ohne zu konkreten<br />

Ergebnissen zu kommen. Im Abschluss-Kommuniqué vom 27. September wur<strong>de</strong> lediglich<br />

festgehalten, man habe „in einigen Punkten Einvernehmen“ erzielt und wolle <strong>die</strong> Gespräche<br />

in Prag fortführen.)<br />

Seine Stellungnahme zu <strong>de</strong>m vatikanischen Ukas bezüglich <strong>de</strong>r politischen Betätigung von<br />

Priestern erschien in <strong>de</strong>r „Tvorba“ („Schöpfung“), Wochenzeitschrift für Politik, Wissen<br />

schaft und Kultur und Para<strong>de</strong>blatt <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Partei seit <strong>de</strong>n 20er Jahren. In <strong>de</strong>r<br />

Ausgabe vom 11. August 1982, behauptete Hruza, „viele katholische Priester“ beklagten,<br />

dass einige Herren Kardinäle in Rom nicht gezögert hätten, Priestern zu verbieten, Frie<strong>de</strong>ns<br />

bewegungen und Vereinigungen beizutreten. Diese Kardinäle, so Hruza, wünschten „Pacem<br />

in terris“ aufzulösen, nur „weil seine Mitglie<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>n verräterischen Aktivitäten von Exil-<br />

Klerikern nicht einverstan<strong>de</strong>n seien.“<br />

Hruza versuchte, auch Tomásek zum Zeugen anzurufen, <strong>de</strong>r doch hoch offizielle <strong>de</strong>r<br />

Frie<strong>de</strong>nsbewegung <strong>de</strong>s katholischen Klerus angehöre. Der Kirchensekretär übersah<br />

geflissentlich, dass es sich bei Tomáseks Engagement um seine Mitwirkung in einem 1968 ins<br />

Leben gerufenen Aktionskomitees katholischer Priester aus <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r auf kircheninterne<br />

Reformen angelegte „Prozess für konziliare Erneuerung“ hervorging, eine Initiativ, <strong>die</strong> mit<br />

<strong>de</strong>r „Pacem in terris Bewegung, wie sie vom Regime unterstützt wur<strong>de</strong>, nichts zu tun hatte.<br />

Anfang Juli 1982 wie<strong>de</strong>rum hatte „Pacem in terris“ in einen ungezeichneten Brief an<br />

tschechische und slowakische Bischöfe und Ordinarien versichert, loyal gegenüber <strong>de</strong>r<br />

Kirche, <strong>de</strong>n Papst und ihren Bischöfen und allein <strong>de</strong>r Sicherung <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns versichert zu<br />

sein. Die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>r Prager Regierung und <strong>de</strong>r Priestervereinigung fiel in <strong>die</strong><br />

Zeit <strong>de</strong>r polnischen Krise. Die kommun<strong>ist</strong>ische Zeit nutzte <strong>die</strong> Gelegenheit, <strong>de</strong>m Vatikan<br />

Unterstützung <strong>de</strong>r Solidarnosc-Bewegung vorzuwerfen, während gleichzeitig „Pacem in<br />

terris“ zurückgewiesen wer<strong>de</strong>. Die zugespitzte Kontroverse setzte sich fort. Aber <strong>de</strong>r Prager<br />

Erzbischof Kardinal Tomásek setzte einen Schlusspunkt, in <strong>de</strong>m er ebenfalls ein Verbot für<br />

seinen Klerus verfügte.<br />

1) Die „Charta 77“ . benannt nach <strong>de</strong>r im selben Jahr gegrün<strong>de</strong>ten Bürgerrechtsgruppe, vor allem von<br />

Schriftstellern getragen, for<strong>de</strong>rte unter Berufung auf <strong>die</strong> Schlussakte <strong>de</strong>r Konferenz für Sicherheit und<br />

Zusammenarbeit in Europa (KSZE), <strong>die</strong> 1975 in Helsinki von <strong>de</strong>n Teilnehmerstaaten aus West und Ost<br />

unterzeichnet wor<strong>de</strong>n war, <strong>die</strong> Verwirklichung <strong>de</strong>r darin festgehaltenen Menschenrechte und bürgerlichen<br />

Freiheiten auch in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei. Vorausgegangen war zehn Jahre zuvor, <strong>de</strong>r IV. Schriftstellerkongress<br />

in Prag, (im Juni 1967). Einer ihrer Wortführer: <strong>de</strong>r Dramatiker Vaclav Havel, <strong>de</strong>r scharf mit <strong>de</strong>m<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Regime abrechnete und <strong>die</strong>s nach <strong>de</strong>r sowjetischen Invasion von 1968 in seinem Offen Brie f<br />

an Gustáv Husak wie<strong>de</strong>rholte, wobei er von einem System <strong>de</strong>r absoluten „Tiefen<strong>de</strong>moralisierung“ sprach. Havel<br />

ging für seine Haltung mehrfach ins Gefängnis und musste als einfacher Arbeit seinen Lebensunterhalt<br />

bestreiten. Am 29. Dezember 1989 wur<strong>de</strong> er erster Staatspräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r neuen <strong>de</strong>mokratischen Tschechoslowakei<br />

nach <strong>de</strong>r erfolgreichen Samtenen Revolution.<br />

2) Vereinigung katholischer Priester „Pacem in terris“. (Tschechisch: Sdruzeni Katolickych Duchovnich „Pacem<br />

in Terris“ - SKD PIT). Am 31. 8. 71 mit Genehmigung <strong>de</strong>s Prager Kulturmin<strong>ist</strong>ers ins Leben gerufen, unter<br />

irreführen<strong>de</strong>r Anlehnung an <strong>de</strong>n Titel <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>nsenzyklika von Papst Johannes XXIII. Die Organisation wur<strong>de</strong><br />

am 11. Dezember 1989, nach <strong>de</strong>r Samtenen Revolution“ , von Kardinal Tomásek für been<strong>de</strong>t erklärt. Die<br />

Priesterorganisation sollte als Instrument <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Regierung <strong>de</strong>n Klerus kontrollieren, durch<br />

angeworbene und eingeschleuste inoffizielle Mitarbeiter <strong>die</strong> Kirche ausforschen und Einfluss nehmen auf eine<br />

<strong>de</strong>m Staat gegenüber positive Haltung auf nationaler wie internationaler Ebene.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XI.<br />

3) Papst Johannes Paul II untersagte Priestern <strong>die</strong> Mitgliedschaft in politischen Organisationen, veröffentlicht in<br />

<strong>de</strong>r Erklärung „Quidam Episcopus“ <strong>de</strong>r Kongregation für <strong>de</strong>n Klerus vom 8. März 1982. Ihre Zielrichtung war<br />

ein<strong>de</strong>utig, auch wenn Titel und Inhalt allgemein gehalten waren. Sie disqualifizierte vor allem <strong>die</strong> in einigen<br />

sozial<strong>ist</strong>ischen Staaten unter verschie<strong>de</strong>nen Bezeichnungen bestehen<strong>de</strong>n Organisationen so genannter<br />

„Frie<strong>de</strong>nspriester.“<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XII.<br />

XII. Ein Generalsekretär muss gehen<br />

Es war ein Rücktritt in Etappen: En<strong>de</strong> Oktober 2004 reichte Monsignore Karel Simandl, <strong>de</strong>r<br />

Generalsekretär <strong>de</strong>r Tschechischen Bischofskonferenz seine Demission beim Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>s<br />

Episkopats, <strong>de</strong>m Olmützer Erzbischof Jan Graubner ein, nicht etwa freiwillig son<strong>de</strong>rn<br />

erzwungenermaßen. Der Grund: Simandl soll fünfzehn Jahre lang „als Informant <strong>de</strong>r<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Staatssicherheit <strong>de</strong>r Tschechoslowakei gearbeitet“ haben.<br />

Die Kirchenspitzen sahen sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Wie hatte es geschehen<br />

können, dass ein Top-Agent <strong>de</strong>r Stasi, wie es schien, so hoch in <strong>de</strong>n Apparat <strong>de</strong>r tschechi<br />

schen Hierarchie aufsteigen konnte. Schließlich sei sein „Dossier“ in <strong>de</strong>n offiziellen L<strong>ist</strong>en<br />

<strong>de</strong>s Innenmin<strong>ist</strong>eriums ent<strong>de</strong>ckt wor<strong>de</strong>n, wie Kardinal Miloslav Vlk, <strong>de</strong>r Erzbischof von Prag<br />

einräumte. „Aber wir haben damals <strong>die</strong> Schwere <strong>de</strong>ssen, was er getan hat, nicht erkannt.“ (1)<br />

Das klang für Beobachter, <strong>die</strong> sich eingehen<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Vergangenheitsbewältigung <strong>de</strong>r<br />

tschechischen und slowakischen Kirche befassten, eher verwun<strong>de</strong>rlich. Schon im Jahr zuvor<br />

hatte Simandl seine frühere Stasi-Mitarbeit zugegeben. Von <strong>de</strong>r Pressestelle <strong>de</strong>r Bischofskon<br />

ferenz in Prag war mitgeteilt wor<strong>de</strong>n, Simandl habe sich mit 19 Jahren gegenüber <strong>de</strong>m StB<br />

verpflichtet „um aus <strong>de</strong>r Tschechoslowakei ins westliche Ausland ausreisen zu können.“<br />

Das war das Muster, nach <strong>de</strong>m <strong>die</strong> „sozial<strong>ist</strong>ischen Sicherheitsorgane“ auch in an<strong>de</strong>ren<br />

Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Ostblocks ihre Leimruten unter Theologiestu<strong>de</strong>nten und Ge<strong>ist</strong>lichen auslegten.<br />

Sie lockten mit materiellen Vorteilen, zum Beispiel im eigenen Land verbotene westliche<br />

Fachliteratur zu empfangen. Ganz oben auf <strong>de</strong>r L<strong>ist</strong>e: Reisen in <strong>de</strong>n Westen, zu Veranstal<br />

tungen o<strong>de</strong>r einem Stu<strong>die</strong>naufenthalt. Der so „großzügig“ Begünstigte wür<strong>de</strong> sich erkenntlich<br />

zeigen.<br />

Es blieb zunächst bei Simandl´s „Bekenntnis“, sein Bedauern über sein damaliges „Versa<br />

gen“ und seine Bereitschaft, sein Amt zur Verfügung zu stellen. Die böhmischen und<br />

mährischen Bischöfe seien nach kritischer Bewertung <strong>de</strong>r Angelegenheit jedoch zur<br />

Überzeugung gelangt, dass Simandl nicht zurücktreten müsse, mel<strong>de</strong>te <strong>die</strong> <strong>Kath</strong>olische<br />

Nachrichten Agentur (KNA) aus Prag (2)<br />

Kollaborateure und Mitläufer<br />

Wer hat warum als Spion, Spitzel, V-Mann, Zubringer, „Kundschafter“ und „Inoffizieller<br />

Mitarbeiter“ sich <strong>de</strong>r Geheimpolizei und <strong>de</strong>m Nachrichten<strong>die</strong>nst verfügt? Wer war<br />

bestechlich, <strong>die</strong> eigene Karriere im Kopf, o<strong>de</strong>r erpressbar, aus persönlichen Grün<strong>de</strong>n, wer hat<br />

eine Verpflichtung unterschrieben aus Opportunismus o<strong>de</strong>r nur „pro forma“, in <strong>de</strong>r naiven<br />

Annahme, damit Druck von sich und an<strong>de</strong>ren, <strong>die</strong> ihm anvertraut waren, abzuwen<strong>de</strong>n? Sie<br />

hofften, auf <strong>die</strong>se Weise wenigstens etwas für ihre Gemein<strong>de</strong> erreichen zu können, meint<br />

Jesuitenpater Petr Ovecka, <strong>de</strong>r selbst allerdings keine Gna<strong>de</strong> vor <strong>de</strong>r Staatsmacht fand. Sie<br />

übersahen, dass sie sich allein mit <strong>de</strong>r Unterschrift ihren Verfolgern auslieferten und sich<br />

selbst einen Strick drehten, an <strong>de</strong>m sie heute mancher Racheengel „hängen“ sehen möchte.<br />

Mancher als „Kandidat für geheime Zusammenarbeit“ geführte Informant dürfte, wie<br />

je<strong>de</strong>nfalls am Beispiel <strong>de</strong>s Ostberliner MfS erkennbar, auch in <strong>de</strong>r Praxis <strong>de</strong>s StB<br />

„abgeschaltet“ wor<strong>de</strong>n sein, weil er nichts brachte o<strong>de</strong>r nichts für <strong>die</strong> Stasi Verwertbares o<strong>de</strong>r<br />

als undurchsichtiger „Mitläufer“ selbst <strong>de</strong>r Geheimpolizei als suspekt erschien.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XII.<br />

Mit <strong>die</strong>sen Fragen sollen sich <strong>die</strong> nächsten Kapitel <strong>de</strong>r Serie befassen. Dabei geht es allein<br />

darum, das Phänomen <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Staatsmacht und <strong>die</strong> Metho<strong>de</strong>n seiner<br />

Sicherheitsorgane nach ethischen Kriterien darzulegen, nicht aber <strong>die</strong> Rolle eines Tribunals<br />

einzunehmen, unter jur<strong>ist</strong>ischen Gesichtspunkten. Insofern wird auf Klarnamen bei <strong>de</strong>n<br />

erwähnten Fällen verzichtet, zumal immer wie<strong>de</strong>r auch <strong>die</strong> Frage gestellt wer<strong>de</strong>n muss, bei<br />

wem sich Täter und Opfer <strong>de</strong>s Systems in ein- und <strong>de</strong>r selben Person begegnen. Der<br />

Erzbischof von Prag, Kardinal Miloslav Vlk, <strong>de</strong>m <strong>die</strong> Machthaber erlaubt hatten, als<br />

Fensterputzer zu arbeiten, warnte vor voreiligen Verurteilungen <strong>de</strong>r inzwischen enttarnten<br />

Priester. Vlk vereinbarte mit Innenmin<strong>ist</strong>er Ivan Langer für <strong>die</strong> Erzdiözese Prag eine<br />

gemeinsame Arbeitsgruppe „Offene Vergangenheit“.<br />

Je<strong>de</strong>r zehnte Priester ein Spitzel?<br />

Nicht alle Priester, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r 1969 von <strong>de</strong>r Kirchenabteilung im Kulturmin<strong>ist</strong>erium geschaffenen<br />

Priestervereinigung Pacem in terris angehörten, waren Agenten. Die Anzahl <strong>de</strong>r Priester, <strong>die</strong><br />

mit <strong>de</strong>m StB kooperierten, wird für <strong>die</strong> Tschechische Republik auf 150 bis 160 geschätzt,<br />

etwa zehn/ elf Prozent <strong>de</strong>s Klerus. Und nicht alle „Priester-Agenten“ waren Mitglie<strong>de</strong>r <strong>die</strong>ser<br />

Organisation. Einige glaubten, damit Ruhe zu haben. Sie wollten nicht in <strong>de</strong>n Untergrund<br />

gehen, son<strong>de</strong>rn <strong>die</strong> traditionell Seelsorge beibehalten. Wer nicht mitmachte, wur<strong>de</strong> als<br />

„Hetzer“ und „Propagand<strong>ist</strong> <strong>de</strong>s Kalten Krieges“ verleum<strong>de</strong>t.<br />

Es stellt sich in <strong>die</strong>sem Zusammenhang nicht zuletzt für <strong>de</strong>n Klerus <strong>die</strong> Frage, welche Rolle<br />

<strong>die</strong> politisch Indifferenten in <strong>de</strong>r Gesellschaft spielen. (Es geht dabei nicht um <strong>die</strong> Frage<br />

einer Parteimitgliedschaft). Vielmehr stellt sich <strong>die</strong> Frage nach <strong>de</strong>n zeitgeschichtlich jüngeren<br />

Erfahrungen mit <strong>de</strong>n Unrechtssystemen <strong>de</strong>s Nationalsozialismus und <strong>de</strong>s militanten<br />

Kommunismus. Bil<strong>de</strong>n sie <strong>die</strong> so genannte „schweigen<strong>de</strong> Mehrheit“. Ein Phänomen, das auch<br />

in „freiheitlich-<strong>de</strong>mokratisch“ strukturierten Gesellschaften zu beobachten <strong>ist</strong>. Welchen Teil<br />

<strong>de</strong>r Verantwortung tragen sie an Zustän<strong>de</strong>n in ihrer Position zwischen <strong>de</strong>n einen, <strong>die</strong> das<br />

Regime aktiv mitgetragen und <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren, <strong>die</strong> es bekämpft haben? Die Frage sollte nicht<br />

vernachlässigt wer<strong>de</strong>n, angesichts <strong>de</strong>r Bereitschaft mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren „kurzen Prozess“ zu<br />

machen, nach entsprechen<strong>de</strong>r Vor-Verurteilung.<br />

Ein Klima <strong>de</strong>r Angst<br />

Was aus von Betroffenen und Aussagen von Angeklagten Stasi-Verhören durchgedrungen <strong>ist</strong>,<br />

mit <strong>de</strong>nen Ge<strong>ist</strong>liche in <strong>die</strong> Mangel genommen wur<strong>de</strong>n, lässt erahnen, welchen körperlichen<br />

Quälereien und seelischem Druck sie ausgesetzt waren. An<strong>de</strong>re zitterten in <strong>die</strong>sem von <strong>de</strong>r<br />

Geheimpolizei ständig auf Temperatur gehaltenen Klima <strong>de</strong>r Angst. Verständlich erst recht,<br />

wenn es sich um geheim geweihte verheiratete Männer han<strong>de</strong>lte, <strong>die</strong> ihre Familie, Frau und<br />

Kin<strong>de</strong>r bedroht sahen. Einerseits sollte <strong>die</strong> Weihe von Familievätern dafür schützen, von <strong>de</strong>r<br />

Stasi ent<strong>de</strong>ckt zu wer<strong>de</strong>n, weil man glaubte, sie wür<strong>de</strong>n im Alltag weniger auffallen. Heute<br />

wird man wohl davon ausgehen müssen, dass <strong>de</strong>r Geheimpolizei <strong>die</strong> Untergrundkirche nicht<br />

vollständig verborgen blieb und sie erst recht dort mit ihren Zwangsmetho<strong>de</strong>n ansetzte.<br />

Welche Geheimnisse wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Dokumente noch bergen? Welchen Sinn macht es, sie in <strong>die</strong><br />

Öffentlichkeit zu bringen?<br />

Die erschüttern<strong>de</strong> Mitteilung, ein auch im westlichen Ausland hoch geachteter Geheim<br />

bischof soll <strong>de</strong>r Staatssicherheit ge<strong>die</strong>nt haben, zeigt <strong>de</strong>n tiefen Abgrund, an <strong>de</strong>ssen Rand<br />

sich <strong>de</strong>r eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Seelsorger bewegte, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rerseits nur so und nicht an<strong>de</strong>rs viel<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XII.<br />

Gutes unter seinen Mitmenschen bewirkte, auch gegenüber solchen, <strong>die</strong> sonst wohl keinen<br />

Zugang zum chr<strong>ist</strong>lichen Glauben gefun<strong>de</strong>n hätten. Wer will richten? Ja, doch… ein Wort,<br />

eine Bitte um Vergebung, Ein „Ich war schwach“ wür<strong>de</strong> ausreichen sagen an<strong>de</strong>re, <strong>die</strong><br />

schreckliche Jahre hinter sich haben. Mit einem solchen Eingeständnis könnte sie das<br />

verspielte Vertrauen zurückgewinnen. Gespräche in Prag im Frühjahr 2007.<br />

Tschechen und Slowaken erleben <strong>die</strong> neuerliche Vergangenheitsbewältigung (erst <strong>die</strong> Nazi-<br />

Okkupationszeit, dann <strong>die</strong> kommun<strong>ist</strong>ische Besetzung) Macht in ihren schwierigen Phasen<br />

von Emotionen wie von politischem Pragmatismus geleitet, vergleichbar <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn<br />

<strong>de</strong>s ehemaligen „Ostblocks.“ Da war <strong>die</strong> Hatz auf wirkliche und vermeintliche Täter, in <strong>de</strong>r<br />

Euphorie <strong>de</strong>s Sieges <strong>de</strong>r Freiheitsi<strong>de</strong>e, <strong>de</strong>m Rausch bei <strong>de</strong>r „Erstürmung“ <strong>de</strong>r Stasi-Zentralen,<br />

<strong>die</strong> Wut über <strong>de</strong>n Inhalt vorgefun<strong>de</strong>nen Beweismaterials. Inoffizielle L<strong>ist</strong>en, laufend mit<br />

weiteren Namen ergänzt, kursierten in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit und sorgten für Schlagzeilen.<br />

Aufarbeitung <strong>de</strong>r Stasi-Vergangenheit<br />

Dem gegenüber suchten Archivare und H<strong>ist</strong>oriker <strong>de</strong>s Innenmin<strong>ist</strong>eriums nach 1989 und <strong>die</strong><br />

eigens geschaffenen Institute zur Untersuchung <strong>de</strong>s ehemaligen Sicherheitsapparates und im<br />

Interesse <strong>de</strong>r „nationalen Erinnerung“ <strong>die</strong> Auswertung <strong>de</strong>s von Vernichtungsaktionen übrig<br />

gebliebenen Materials in geordnete Bahnen zu lenken. Mit Zeitverzögerungen angesichts<br />

etlicher Hür<strong>de</strong>n und Hin<strong>de</strong>rnisse durch weiterhin funktionieren<strong>de</strong> Seilschaften, parteipoliti<br />

sche Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen, auch mit <strong>de</strong>m durchaus ehrenwerten Argument einer „nationalen<br />

Versöhnung“ und geheim<strong>die</strong>nstlichen Be<strong>de</strong>nken, <strong>die</strong> nationale Sicherheit betreffend. Hinter<br />

solchen Wän<strong>de</strong>n mochte sich <strong>de</strong>r eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Verantwortliche während <strong>de</strong>r 50 Jahre<br />

kommun<strong>ist</strong>ischer Herrschaft wohl verstecken. Inzwischen liegen eine Reihe von Untersu<br />

chungen und wissenschaftlichen Beiträgen <strong>de</strong>r zur Neutralität verpflichteten Institute vor. Es<br />

kommt zum Erfahrungsaustausch mit ähnlichen Einrichtungen in <strong>de</strong>n Nachbarlän<strong>de</strong>rn, etwa<br />

mit <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sbehör<strong>de</strong> für <strong>die</strong> Unterlagen <strong>de</strong>s Min<strong>ist</strong>eriums für Staatssicherheit in <strong>de</strong>r<br />

ehemaligen DDR (zur Zeit kurz als „Birthler-Behör<strong>de</strong>“ bezeichnet, nach <strong>de</strong>r Leiterin <strong>de</strong>s<br />

Amtes, Marianne Birthler, einer früheren Bürgerrechtlerin).<br />

Jetzt bleibt zu hoffen, dass <strong>die</strong> Bearbeitung <strong>de</strong>r Stasi-Unterlagen nicht nur <strong>de</strong>n dafür<br />

geschaffenen Dienststellen überlassen bleibt, <strong>die</strong> Ergebnisse fachwissenschaftlichen<br />

Publikationen und <strong>die</strong> Vorgänge <strong>de</strong>r Archiv-Ablage. Noch immer tauchen von Zeit zu Zeit<br />

auch aus <strong>de</strong>m kirchlichen Raum Namen auf. Bisher reagierten <strong>die</strong> Genannten erst einmal<br />

wortreichen Dementis, <strong>die</strong> sie wenig später unter <strong>de</strong>r Last neuer Details korrigieren mussten.<br />

Entschuldigungen, sei es von <strong>de</strong>n Beschuldigten selbst o<strong>de</strong>r, wenn <strong>die</strong>s ausbleibt,<br />

stellvertretend von einem an<strong>de</strong>ren Mitglied <strong>de</strong>s Episkopats – für seinen Bereich hatte das<br />

Kardinal Vlk in <strong>de</strong>r Vergangenheit übernommen – wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit bei aller<br />

persönlichen Aufrichtigkeit doch eher als Pflichtübung empfun<strong>de</strong>n, wenn sie nach so langer<br />

Zeit <strong>de</strong>s Verschweigens ausgesprochen wer<strong>de</strong>n.<br />

Deckname „Svatopluk“<br />

Hier mag das Beispiel <strong>de</strong>s Erzbischofs von Bratislava-Trnava (Pressburg und Tyrnau) Jan<br />

Sokol angeführt wer<strong>de</strong>n. Angeblich wur<strong>de</strong> er 17 Jahre lang vom Staatssicherheits<strong>die</strong>nst als<br />

„Kandidat für geheime Zusammenarbeit“ geführt und zwei Tage nach seiner Ernennung zum<br />

Erzbischof im Jahre 1989, <strong>de</strong>m Jahr <strong>de</strong>r Auflösung <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen Staates, zum<br />

„Agenten“ beför<strong>de</strong>rt. Deckname: „Svatopluk“ und „Spiritual“. Obwohl <strong>die</strong> Akte auf<br />

Anweisung von General Alojz Lorenc <strong>de</strong>m letzten Direktor <strong>de</strong>r Staatssicherheit, vernichtet<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XII.<br />

wor<strong>de</strong>n sei, habe man aus <strong>de</strong>n Resten <strong>de</strong>n Fall rekonstrieren können. (3) Auch Details wur<strong>de</strong>n<br />

genannt. Sokol habe Namen von slowakischen Priestern, <strong>die</strong> vom Vatikan als Bischöfe<br />

vorgesehen waren, weitergegeben und über seine Gespräche anlässlich einer Romreise<br />

berichtet.<br />

Die Kirche hat eine Reihe von Fragen an <strong>de</strong>n slowakischen Oberhirten im Zwielicht. Er<br />

antwortet scheibchenweise. Er räumt <strong>die</strong> Zusammenkünfte mit Staatsbeamten ein, vermutlich<br />

seinen Führungsoffizieren. Die Kontakte seien „erzwungen und erniedrigend“ gewesen. Was<br />

er mit geteilt habe, sei „be<strong>de</strong>utungslos“ gewesen. Und stets habe er dabei <strong>die</strong> Interessen <strong>de</strong>r<br />

Kirche vor Augen gehabt. – Natürlich, was <strong>de</strong>nn sonst. Bekannt sind solche Erklärungsver<br />

suche aus <strong>de</strong>n Unterlagen <strong>de</strong>s Ostberliner MfS. Auf <strong>die</strong> Goldwaage gelegt könnte man<br />

durchaus <strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>ren Geheimnis-Charakter <strong>de</strong>r Informationen, <strong>die</strong> Bischöfe o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ren<br />

Beauftragte an ihre „Gesprächspartner“ weitergaben, in Frage stellen. Der Grat, auf <strong>de</strong>m <strong>die</strong><br />

offiziellen Beziehungen zwischen Kirche und Staat verliefen, war scharfkantig. Vieles hätten<br />

<strong>die</strong> Herrschaften <strong>de</strong>r „Firma“ ohne weiteres aus westlichen Kirchenblättern und Nachrichten-<br />

Agenturen beziehen können. Aber warum sich <strong>de</strong>r Mühe unterziehen, wenn man <strong>de</strong>n Kleriker<br />

auf <strong>die</strong>se Weise in <strong>de</strong>r Hand hatte, in gegebenenfalls unter Druck setzen konnte.<br />

Wo verlief also <strong>die</strong> Grenze zwischen amtlichen Kontakten, um <strong>die</strong> Kirchenführer auch in <strong>de</strong>r<br />

CSSR nicht herumkamen und einem Mitteilungsbedürfnis, das vom Auftrag <strong>de</strong>r<br />

Bischofskonferenz und vom eigenen <strong>die</strong>nstlichen Rahmen nicht ge<strong>de</strong>ckt war? Wie weit<br />

musste sich Bischof Josef Vrana <strong>de</strong>r Staatsmacht beugen. Vrana war von 1973 bis 1987<br />

Apostolischer Admin<strong>ist</strong>rator <strong>de</strong>r Erzdiözese Olomouc (Olmütz) und langjähriger Vorsitzen<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r Priestervereinigung „Pacem in Terris“. (4)<br />

Die Vorgeschichte: Kommun<strong>ist</strong>ische Versuche, <strong>de</strong>n Klerus in „fortschrittliche“ und<br />

„reaktionäre“ Kräfte zu spalten, Priester und Bischöfe auseinan<strong>de</strong>r zu bringen, nach <strong>de</strong>r<br />

geheim<strong>die</strong>nstlich üblichen Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r „Differenzierung.“ Als Instrument <strong>die</strong>nte zunächst<br />

eine so genannte „<strong>Kath</strong>olische Aktion“ unter <strong>de</strong>r Bezeichnung <strong>de</strong>r gleichnamigen päpstlichen<br />

Bewegung <strong>de</strong>n Anschein kirchlicher Zustimmung und Vertrauen erwecken sollte.<br />

Gleichzeitig wur<strong>de</strong> ein Klima <strong>de</strong>r Angst und Unterdrückung erzeugt.<br />

Von Einzelfällen abgesehen, blieb <strong>die</strong>ses Vorgehen erfolglos. 1951 startete <strong>die</strong> Partei einen<br />

weiteren Versuch mit <strong>de</strong>r Gründung eines „Gesamtstaatlichen Ausschuss <strong>de</strong>r katholischen<br />

Ge<strong>ist</strong>lichen“, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n sechziger Jahren zur Frie<strong>de</strong>nsbewegung erweitert wur<strong>de</strong>. In <strong>die</strong>ser<br />

Bewegung fin<strong>de</strong>n sich auch Ge<strong>ist</strong>liche, <strong>die</strong> selbst Opfer <strong>de</strong>r Kirchenverfolgung gewor<strong>de</strong>n<br />

waren, wie Bischof Frantisek Tomásek, seit 1965 Apostolischer Admin<strong>ist</strong>rator <strong>de</strong>r Erzdiözese<br />

Prag.<br />

1968 - <strong>de</strong>r Prager Frühling <strong>ist</strong> erfroren – schaltet <strong>die</strong> Regierung in eine mil<strong>de</strong>re Gangart um,<br />

mit <strong>de</strong>r Begründung, <strong>die</strong> Staat-Kirche-Beziehungen zu „normalisieren“. In Wirklichkeit<br />

be<strong>de</strong>utet <strong>die</strong>s nur eine subtilere Form <strong>de</strong>r Unterminierung. 1971 grün<strong>de</strong>t das Min<strong>ist</strong>erium für<br />

Kultur <strong>die</strong> Vereinigung katholischer Ge<strong>ist</strong>licher (Sdruzeni katolického duchovenstva –<br />

Pacem in Terris (SKD-PIT). Die Anzahl <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r nimmt <strong>de</strong>utlich zu; sie wird auf<br />

mehrere hun<strong>de</strong>rt geschätzt. Für viele <strong>die</strong>ser „Frie<strong>de</strong>nspriester“ wohl eher eine<br />

Überlebensstrategie. Musste man nach <strong>de</strong>m Sieg <strong>de</strong>r Sowjetmacht nicht von einer langen<br />

Lebendauer <strong>de</strong>s Regimes ausgehen. Auch <strong>die</strong> vatikanische „Ostpolitik“ unterlag schließlich<br />

<strong>die</strong>ser Prämisse.<br />

Agostino Casaroli, <strong>de</strong>r vatikanische „Außenmin<strong>ist</strong>er“ hatte mit Prag Anfang <strong>de</strong>r 70er Jahre<br />

<strong>die</strong> Besetzung verwa<strong>ist</strong>er Bischofsstühle ausgehan<strong>de</strong>lt. Die Kandidaten für Olmütz in<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XII.<br />

Mähren, Nitra, Trnava und Banska Bystrica in <strong>de</strong>r Slowakei, für <strong>die</strong> sich <strong>de</strong>r Vatikan<br />

entschied, galten als führen<strong>de</strong> Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r vom Regime kontrollierten Priestervereinigung.<br />

Rom vertrat in seiner „Seelsorge-Diplomatie“, einen Begriff, <strong>de</strong>n Casaroli statt „Ostpolitik“<br />

bevorzugte, <strong>die</strong> eine Maxime, wie sie schon manche Entscheidung in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s Faschismus<br />

und Natinalsozialismus erklären sollte: „ad maiora mala vitanda“ – um Schlimmeres zu<br />

verhüten - einen „modus vivendi“ zu fin<strong>de</strong>n, um das Leben <strong>de</strong>r Kirche zu erleichtern und,<br />

mehr noch, ihr Überleben zu sichern. Um einen hohen Preis wur<strong>de</strong> an <strong>de</strong>r irenäischen Regel<br />

festgehalten, wonach, kurz gesagt, nur dort Kirche <strong>ist</strong>, wo ein Bischof regiert.<br />

Dann kam <strong>de</strong>r „polnische“ Papst und legte <strong>de</strong>n Hebel um. Johannes Paul II. verfügte über eine<br />

Erklärung <strong>de</strong>r Klerus-Kongregation 1982 das Verbot <strong>de</strong>r Mitgliedschaft von Priestern in<br />

politischen Vereinigungen, ein<strong>de</strong>utig auch auf „Pacem-in-Terris“ gemünzt. Priester traten<br />

nun wie<strong>de</strong>r aus. Loyalität gegenüber Papst überwog doch wohl bei einigen. Sollten sie bis<br />

dahin so naiv gewesen sein zu glauben, dass erlaubt <strong>ist</strong>, was Rom nicht ausdrücklich<br />

verbietet? O<strong>de</strong>r spielte da ein Schwejk in <strong>de</strong>r Soutane seine Pfiffigkeit gegenüber <strong>de</strong>m System<br />

aus: Besser in Ruhe gelassen zu wer<strong>de</strong>n, als ständig <strong>die</strong> Stasi im Pfarrhaus zu haben.<br />

An<strong>de</strong>rerseits: So völlig unattraktiv war es wie<strong>de</strong>rum nicht, Pacem-in-Terris-Priester zu sein,<br />

im Vergleich zu <strong>de</strong>n Mitbrü<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Katakombe. Man bekam höhere Löhne. Auch<br />

Auslandsreisen winkten. Und manche an<strong>de</strong>re materiellen Vorzüge.<br />

In <strong>die</strong>sem Zusammenhang sollte daran erinnert wer<strong>de</strong>n, dass „Frie<strong>de</strong>nspriester“ auch in<br />

Polen, Ungarn und in Jugoslawien <strong>de</strong>r staatlichen Kirchenpolitik als nützliche Handlager<br />

erschienen, nicht jedoch so in <strong>de</strong>r DDR, wo schon <strong>de</strong>r „Preysing-Erlass“ von 1947 – also 35<br />

Jahre vor <strong>de</strong>m Edikt aus Rom - Klerikern jegliche politische Stellungnahme untersagte. (5)<br />

Diese „politische Abstinenz“ wur<strong>de</strong> ebenso unnachsichtig unter seinen Nachfolgern<br />

beibehalten. Gespräche mit <strong>de</strong>n Partei- und Staatsorganen (Kirchensekretär, Mfs) eigens dafür<br />

beauftragen Prälaten übertragen, <strong>die</strong> allein ihrem Bischof weisungs- und auskunftspflichtig<br />

waren.<br />

Vertrauen fan<strong>de</strong>n <strong>die</strong> „Pacem-in-terris“-Bischöfe jedoch nicht, wie in Prag zu hören <strong>ist</strong>, nicht<br />

im eigenen Volk und schon gar nicht in <strong>de</strong>r „Kirche <strong>de</strong>s Schweigens“, unter <strong>de</strong>n geheim<br />

geweihten Priestern und im Untergrund wirken<strong>de</strong>n Seelsorgern. Wie in nahezu allen bisher<br />

bekannt gewor<strong>de</strong>nen Fällen verschanzen sich <strong>die</strong> Verdächtigten zunächst hinter einer Wand<br />

<strong>de</strong>s Verschweigens und als <strong>die</strong>se nicht mehr hielt, mit einer Abwehr-Offensive an Dementis.<br />

Zumal je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r Akteneinsicht in Stasi-Dokumente genommen hat, hinter viele<br />

„Informationen“ und Behauptungen dicke Fragezeichen gesetzt wer<strong>de</strong>n müssen, insbeson<strong>de</strong>re<br />

das Zustan<strong>de</strong>kommen solcher „Dokumente“ betreffend.<br />

Wenn bei <strong>de</strong>n Inhalten von Geheim<strong>die</strong>nstberichten aus <strong>de</strong>m Raum <strong>de</strong>r Kirche immer eine<br />

gewisse Skepsis angezeigt <strong>ist</strong> – oft fehlte <strong>de</strong>n Berichterstattern schlicht und einfach <strong>de</strong>r<br />

Sachverstand, um das „kirchliche Milieu“ und <strong>die</strong> Informationen <strong>de</strong>r Priester-Spione zu<br />

erfassen – so kann man davon ausgehen, dass <strong>de</strong>r Prager Geheim<strong>die</strong>nst über <strong>die</strong> Tatsache von<br />

Gesprächen, <strong>die</strong> Bischöfe mit Diplomaten <strong>de</strong>s Heiligen Stuhls führten, etwa mit<br />

„Außenmin<strong>ist</strong>er“ Casaroli o<strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rbeauftragten für <strong>die</strong> Verhandlungen mit <strong>de</strong>n<br />

sozial<strong>ist</strong>ischen Regierungen, ziemlich genau informiert waren. Entsprechen<strong>de</strong> Dokumente<br />

fin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>n „Informationen“, <strong>die</strong> auch <strong>de</strong>m Nachrichten<strong>die</strong>nst <strong>de</strong>s MfS in Ostberlin zur<br />

Verfügung gestellt wur<strong>de</strong>n. Damit hatte <strong>die</strong> Geheimpolizei ein paar „Daumenschrauben“ in<br />

<strong>de</strong>r Hand, <strong>die</strong> man gegebenenfalls einem zur „Klärung eines Sachverhaltes“ einbestellten<br />

ge<strong>ist</strong>lichen Herrn anlegen konnte.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XII.<br />

1) vgl. kreuz.net – katholische nachrichten v. 16. 12. 2004. / Czech Radio 7 , Radio Prague v. 8. 1. 2007<br />

2) vgl. KNA v. 20. April 2003. „Sekretär <strong>de</strong>r Bischofskonferenz gibt Stasi-Mitarbeit zu.<br />

3) vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ v. 28. 2. 2007 – Karl-Peter Schwarz: „Spätes Geständnis. Der<br />

Erzbischof von Bratislava gibt Kontakte zur Staatssicherheit zu“.<br />

4) „Pacem in Terris“ - „Frie<strong>de</strong>n auf Er<strong>de</strong>n“ hatte Papst Johannes XXIII. seine Enzyklika vom 11. April 1963<br />

überschrieben. Der Titel wur<strong>de</strong> in absichtlicher Irreführung für <strong>die</strong> von <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Partei <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei kontrollierten Priestervereinigung übernommen. (vgl. auch „<strong>Mein</strong> <strong>Gewissen</strong> <strong>ist</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>Wahrheit</strong>“, Folge 11).<br />

5) Konrad von Preysing, Kardinal, Bischof von Berlin (1935-1950)<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XIII.<br />

XIII. Hilferuf an <strong>die</strong> Vereinten Nationen<br />

„Exzellenz! Als einem Verteidiger <strong>de</strong>r Gerechtigkeit, wie es Ihrem Rang entspricht, wird es<br />

Ihnen unglaublich erscheinen, dass es solche Verhältnisse in einem Staat gibt, <strong>de</strong>ssen Verfas<br />

sung <strong>die</strong> Religionsfreiheit garantiert.“ Dies schrieb <strong>die</strong> Or<strong>de</strong>nsfrau Antonie Hasmandová im<br />

Jahre 1956 <strong>de</strong>m damaligen UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld. (Siehe auch Folge 7)<br />

Schwester Votjecha (ihr Or<strong>de</strong>nsname) war zu <strong>die</strong>ser Zeit im Frauengefängnis in Pardubice als<br />

Politische“ inhaftiert. In <strong>de</strong>n Zellen hatte sich herumgesprochen, <strong>de</strong>r ranghöchste Diplomatie<br />

<strong>de</strong>r Vereinten Nationen wür<strong>de</strong> <strong>die</strong> Tschechoslowakei besuchen. Diese Gelegenheit wollten<br />

einige <strong>de</strong>r mutigsten Frauen, <strong>die</strong> von <strong>de</strong>n Kommun<strong>ist</strong>en willkürlich abgeurteilt wor<strong>de</strong>n waren,<br />

ausnutzen, um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. In <strong>de</strong>r ganzen Welt wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>n<br />

Häftlingen ein „or<strong>de</strong>ntliches religiöses Leben min<strong>de</strong>stens in <strong>de</strong>n elementaren Notwendigkei<br />

ten gewährle<strong>ist</strong>et“, schrieb <strong>die</strong> Marie Hasmandová und fügte einen Satz hinzu, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Kom<br />

mun<strong>ist</strong>en in <strong>die</strong> Haut brennen musste: <strong>die</strong>s sei „auch in <strong>de</strong>n naz<strong>ist</strong>ischen Gefängnissen“ so<br />

gewesen. „Bei uns <strong>ist</strong> es nicht so.“ Als Chr<strong>ist</strong>en an <strong>de</strong>r heiligen Messe teilzunehmen, an<br />

Gottes<strong>die</strong>nsten überhaupt, von einer solchen selbstverständlichen Möglichkeit, könnten sie<br />

nicht einmal träumen.<br />

Der Brief <strong>de</strong>r mährischen Or<strong>de</strong>nsfrau an <strong>de</strong>n schwedischen Chefdiplomaten <strong>de</strong>r Weltorganisa<br />

tion (<strong>de</strong>m nach seinem mysteriösen Tod bei einem Flugzeugabsturz 1961 im Kongo posthum<br />

<strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>nsnobelpreis verliehen wur<strong>de</strong>), en<strong>de</strong>te mit <strong>de</strong>m Appell: „Herr Generalsekretär. Ich<br />

wen<strong>de</strong> mich an Sie als eine <strong>de</strong>r vielen, damit Sie uns wenigstens zu <strong>de</strong>n grundsätzlichen<br />

Menschenrechten, nämlich unseren Glauben zu bekennen und ein Leben aus <strong>de</strong>m Glauben zu<br />

führen, verhelfen.“ Vier Jahrzehnte später, nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r Sichtung <strong>de</strong>r<br />

Stasi-Unterlagen, stellte sich heraus: Der Brief hat <strong>de</strong>n Chefdiplomaten <strong>de</strong>r Vereinten<br />

Nationen nie erreicht. Wie nicht an<strong>de</strong>rs zu erwarten, hatte <strong>die</strong> staatliche Zensur <strong>de</strong>n Hilferuf<br />

aus <strong>de</strong>m kommun<strong>ist</strong>ischen Kerker abgefangen. (1)<br />

Wer war „Bolek“?<br />

Ohne das Hauptthema aus <strong>de</strong>m Blick zu verlieren, soll <strong>die</strong> Chronik <strong>de</strong>r laufen<strong>de</strong>n Ereignisse<br />

nicht vernachlässigt wer<strong>de</strong>n. Im Frühsommer 2008 erschienen in <strong>de</strong>n Me<strong>die</strong>n einige Nach<br />

richten, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Komplex <strong>die</strong>ser Reihe und vorausgegangener Serien insgesamt betreffen.<br />

En<strong>de</strong> Juni 2008 berichtet <strong>die</strong> Nachrichtenagentur dpa aus Warschau, <strong>die</strong> erste Auflage eines<br />

Buches über eine angebliche Spitzeltätigkeit Lech Walesas für <strong>de</strong>n kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Sicherheits<strong>die</strong>nst SB sei innerhalb weniger Stun<strong>de</strong>n vergriffen gewesen. (2) Die Herausgeber<br />

hatten sich, mit einer Startauflage von 4000 Exemplaren, offenbar gehörig verschätzt.<br />

Allein schon <strong>die</strong> Prominenz <strong>de</strong>r dargestellten Person: Mitbegrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gewerkschaftsbe<br />

wegung „Solidarnosc“ (Solidarität), Vertrauter von Papst Johannes Paul II., erster<br />

<strong>de</strong>mokratisch gewählter Staatspräsi<strong>de</strong>nt, Frie<strong>de</strong>nsnobelpre<strong>ist</strong>räger, sorgte für <strong>de</strong>n<br />

Umsatzrekord. Die Informationen, <strong>die</strong> sich wie ein Lauffeuer verbreiteten, gehen auf<br />

Mitarbeiter <strong>de</strong>s Nationalen Instituts <strong>de</strong>r Erinnerung IPN zurück. Sie wollen entsprechen<strong>de</strong><br />

Belege für <strong>die</strong> Stasi-Kontakte <strong>de</strong>s ehemaligen Betriebselektrikers auf <strong>de</strong>r Danziger Lenin-<br />

Werft in <strong>de</strong>n Unterlagen <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen Sicherheits<strong>die</strong>nstes SB gefun<strong>de</strong>n haben. Ihre<br />

Erkenntnisse veröffentlichten sie in <strong>de</strong>r vom IPN herausgegebenen Reihe von Dokumenta<br />

tionen.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XIII.<br />

Die kommun<strong>ist</strong>ische Geheimpolizei soll Walesa En<strong>de</strong> Dezember 1970 als Mitarbeiter gewon<br />

nen haben, um über ihn an Informationen über Arbeitskollegen zu gelangen. Er sei unter <strong>de</strong>m<br />

Decknamen „Bolek“ geführt wor<strong>de</strong>n. Auch soll er Geld dafür genommen haben. Erst 1976<br />

habe Walesa <strong>die</strong> Zusammenarbeit endgültig abgebrochen.<br />

Walesa wies <strong>die</strong> Anschuldigungen umgehend „vehement“ zurück und erinnerte daran, „dass<br />

ihn ein Gericht bereits im Jahr 2000 von Vorwürfen einer Spitzeltätigkeit freigesprochen<br />

hatte.“ (3)<br />

Ein Zuträger mit <strong>de</strong>m Tarnnamen „Bolek“ taucht <strong>de</strong>n Berichten aus Warschau zufolge zwar<br />

in <strong>de</strong>n Stasi-Unterlagen auf. Ob es sich dabei um Walesa han<strong>de</strong>lt wird von ihm selbst<br />

entschie<strong>de</strong>n bestritten. Das aufgefun<strong>de</strong>nen Material bezeichnete <strong>de</strong>r polnische Ex-Präsi<strong>de</strong>nt<br />

als zum Teil gefälscht und beschuldigte wie<strong>de</strong>rum seinen Nachfolger Lech Kaczynski, eine<br />

Schmutzkampagne gegen ihn initiiert zu haben.<br />

Ob <strong>die</strong> Dokumente ein<strong>de</strong>utig belegen, wer „Bolek“ tatsächlich war, wird <strong>die</strong> wissen<br />

schaftliche Auswertung <strong>de</strong>s Materials zeigen müssen. Dass <strong>de</strong>r führen<strong>de</strong> Kopf <strong>de</strong>r<br />

Werftarbeiter in Danzig in <strong>de</strong>r „Kampfzeit“ gelegentlich „Besuch“ von Stasi-Agenten o<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>ren „Kundschaftern“ bekommen haben könnte, <strong>die</strong> ihm bestimmte Fragen stellten, darf<br />

nach Kenntnis <strong>de</strong>r SB-Praxis als möglich angenommen wer<strong>de</strong>n. In welcher Form das geschah,<br />

ob er „abgeschöpft“ wur<strong>de</strong>, nicht wusste, wer ihn ansprach, und was dabei herauskam, kann<br />

nur <strong>die</strong> sorgfältige Analyse <strong>de</strong>r aufgefun<strong>de</strong>nen Archiv-Materialien und ein Abgleich mit<br />

an<strong>de</strong>ren Quellen erbringen. Immerhin hatte <strong>die</strong> Geheimpolizei <strong>de</strong>n Arbeiterführer schon<br />

1974 als „feindlich“ eingestuft. (4)<br />

Der Vatikan „rüstet“ auf<br />

„Der Papst. Wie viele Divisionen hat er?“, soll Stalin – so schreibt Winston Churchill in<br />

seinen Memoiren – <strong>de</strong>n französischen Außenmin<strong>ist</strong>er Pierre Laval gefragt haben. Der<br />

Vorgang datiert in das Jahr 1935. Nun, von Panzereinheiten wird <strong>de</strong>r Pariser Diplomat in<br />

seiner Antwort nicht gesprochen haben. Er durfte wohl von <strong>de</strong>r Zuverlässigkeit <strong>de</strong>s<br />

französischen Geheim<strong>die</strong>nstes ausgehen. Doch hätte er gegenüber <strong>de</strong>m sowjetischen Diktator<br />

jedoch „ohne Be<strong>de</strong>nken eine Anzahl von Legionen erwähnen können, <strong>die</strong> man bei einer<br />

militärischen Para<strong>de</strong> nicht immer zu sehen bekommt“, meint <strong>de</strong>r britische Premier, wohl im<br />

Blick auf <strong>die</strong> Millionen <strong>Kath</strong>oliken in <strong>de</strong>r ganzen Welt. (5)<br />

Über ein Arsenal mo<strong>de</strong>rner Kriegswaffen verfügt <strong>de</strong>r Vatikan auch heute nicht. Und <strong>die</strong><br />

Seeschlacht von Lepanto, als <strong>de</strong>r Papst seine Kriegs-Galeeren gegen <strong>die</strong> anrücken<strong>de</strong>n<br />

Osmanen ru<strong>de</strong>rn ließ und siegte, liegt auch schon über 400 Jahre zurück. Ein Hauch <strong>die</strong>ser<br />

Zeit, freilich unter an<strong>de</strong>ren Vorzeichen, lag in <strong>de</strong>r Luft, als Mitte 2008 aus Rom berichtet<br />

wur<strong>de</strong>, <strong>die</strong> Gendarmerie <strong>de</strong>s Staates <strong>de</strong>r Vatikanstadt baue eine „Schnelle Eingreiftruppe“ und<br />

eine „Anti-Sabotage-Abteilung“ zum Schutz gegen Terroranschläge auf. Angehörige <strong>die</strong>ser<br />

Spezialeinheit sollen bereits beim Abschiedsbesuch <strong>de</strong>s amerikanischen Präsi<strong>de</strong>nten Busch<br />

bei Papst Benedikt XVI. gesichtet wor<strong>de</strong>n seien, als unauffällig-auffällige „Schatten“, <strong>die</strong><br />

bei<strong>de</strong>n hohen Herren beim Spaziergang in <strong>de</strong>n vatikanischen Gärten begleitend.<br />

Wie immer auch solche Mitteilungen zu bewerten sind, überraschen können sie nicht.<br />

Spätestens seit <strong>de</strong>m Mordanschlag auf Johannes Paul II. am 13. Mai 1981 auf <strong>de</strong>m<br />

Petersplatz, sind „Bodyguards“ <strong>die</strong> allgegenwärtige Begleitung eines Papstes, wo immer sich<br />

<strong>de</strong>r Pontifex in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit zeigt.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XIII.<br />

Für <strong>die</strong> Sicherheit <strong>de</strong>s Kirchenoberhaupts und seiner Verwaltung sorgen nicht nur <strong>die</strong><br />

römische Gendarmerie, Son<strong>de</strong>reinheiten <strong>de</strong>r italienischen Polizei und <strong>die</strong> berühmte Schweizer<br />

Gar<strong>de</strong> – wohl auch <strong>die</strong> mit Pieke und Hellbar<strong>de</strong> an <strong>de</strong>n Eingangstoren <strong>de</strong>s Vatikans und bei<br />

<strong>de</strong>n Au<strong>die</strong>nzen im Apostolischen Palast und <strong>de</strong>n Massenbegegnungen auf <strong>de</strong>m Petersplatz.<br />

Massiver noch <strong>die</strong> Sicherheitskräfte im Hintergrund, in diskretes Zivil geklei<strong>de</strong>t, aber mit<br />

mo<strong>de</strong>rnen Handfeuerwaffen ausgestattet, und was sonst noch dazu gehört. Der gesamte<br />

Sicherheitsapparat wird kontrolliert und koordiniert von einer eigenen Son<strong>de</strong>rkommission.<br />

Die Zeiten, wo Jesus im Garten Gethesemane einem tapferen Jünger befahl, sein Schwert<br />

in <strong>die</strong> Schei<strong>de</strong> zu stecken, als sich <strong>die</strong> Schergen näherten, liegen fast zweitausend Jahre<br />

zurück. (6) Der „Vicario di Gesú Cr<strong>ist</strong>o“, <strong>de</strong>r Stellvertreter Chr<strong>ist</strong>i, unterwirft sich <strong>de</strong>n<br />

politischen Realitäten <strong>de</strong>r Gegenwart.<br />

Informationszentrale Vatikan<br />

Abwehrbereitschaft setzt allerdings möglichst zuverlässige Hintergrundinformationen voraus.<br />

Und darauf hat sich <strong>die</strong> römische Kurie seit Jahrhun<strong>de</strong>rten verstan<strong>de</strong>n. Ausländische<br />

Gesandte, zumal wenn sie <strong>de</strong>m ge<strong>ist</strong>lichen Stand angehörten, stan<strong>de</strong>n sowohl ihren<br />

Auftraggebern zu Hause Re<strong>de</strong> und Antwort, über das was sie am Hofe <strong>de</strong>r Päpste erfuhren,<br />

wie sie sich auch ihrem höchsten kirchlichen Vorgesetzten verpflichtet sahen, weiterzugeben,<br />

was sich jenseits <strong>de</strong>r Grenzen <strong>de</strong>s Kirchenstaates abspielte. Doppelagenten waren sie<br />

vielleicht nicht, aber auf zwei Schultern haben sie schon getragen.<br />

In <strong>de</strong>r Neuzeit suchten sich <strong>die</strong> unteren Etagen <strong>de</strong>r Kurie, <strong>die</strong> nicht zum unmittelbaren<br />

Amtszimmer <strong>de</strong>r Päpste zählten und insofern je<strong>de</strong>r Gefahr aus <strong>de</strong>m Weg gehen konnten,<br />

Seine Heiligkeit zu kompromittieren, Informationsquellen in <strong>de</strong>n zunehmend an Be<strong>de</strong>utung<br />

gewinnen<strong>de</strong>n Me<strong>die</strong>n, sprich Presse und Rundfunk, sowohl im säkularen als auch im<br />

kirchlichen Bereich, nicht zuletzt Korrespon<strong>de</strong>nten und <strong>de</strong>ren Organe, <strong>die</strong> <strong>de</strong>m Heiligen Stuhl<br />

verbun<strong>de</strong>n waren. Erinnert sei an <strong>die</strong> in <strong>de</strong>n Jahren vor <strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg eingerichtete<br />

Korrespon<strong>de</strong>nz-Agentur (Corrispon<strong>de</strong>nza Romana) <strong>de</strong>s vatikanischen Prälaten Umberto<br />

Benigni. Der Dienst beschränkte sich wohl nicht nur auf eine tägliche Presse-Schau für <strong>die</strong><br />

vatikanischen Chefetagen. Aus <strong>die</strong>ser Agentur entwickelte Benigni eine Einrichtung mit <strong>de</strong>r<br />

verschleiern<strong>de</strong>n Bezeichnung „Sodalitium Pianum“, eine <strong>de</strong>m „Antimo<strong>de</strong>rn<strong>ist</strong>en-Papst“ Pius<br />

X. verpflichtete Bru<strong>de</strong>rschaft. Hanspeter Oschwald sieht in <strong>die</strong>ser Institution eine Art ersten<br />

vatikanischen Geheim<strong>die</strong>nst im Rahmen eines von Benigni aufgebauten Spitzelsystems, das<br />

jene aufzuspüren hatte, <strong>die</strong> – auf fortgeschrittene Erkenntnisse <strong>de</strong>r Philosophie und Natur<br />

wissenschaft gestützt, eine an<strong>de</strong>re Auffassung vertraten, als <strong>die</strong> traditionelle, mit Dogmen<br />

abgesicherte Lehre <strong>de</strong>r Kirche. (7)<br />

Auf ähnliche Weise dürften <strong>de</strong>m Staatssekretariat vor und während <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges<br />

sowie in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s Kalten Krieges <strong>de</strong>r belgische Dominikanerpaters Felix Maria Morlion<br />

zu Diensten gewesen sein. In <strong>de</strong>n fünfziger Jahren entwickelte er aus seinen Press- und Infor<br />

mations<strong>die</strong>nsten <strong>die</strong> <strong>Kath</strong>olische Universität Pro Deo mit <strong>de</strong>n Schwerpunkten Journalismus<br />

und öffentliche <strong>Mein</strong>ungsbildung. Das Stu<strong>die</strong>nzentrum, streng antikommun<strong>ist</strong>isch ausgerich<br />

tet, geriet <strong>de</strong>mentsprechend ins Fa<strong>de</strong>nkreuz <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Geheim<strong>die</strong>nste.<br />

Es ermangelte <strong>de</strong>m Vatikan nicht an Quellen und „back-channels“ innerkirchlicher wie<br />

„säkularer“ Natur. <strong>Kath</strong>olische Journal<strong>ist</strong>en stan<strong>de</strong>n insbeson<strong>de</strong>re in schwierigen Zeiten <strong>de</strong>r<br />

Kurie informierend zur Verfügung, wie <strong>die</strong>s etwa von einem Mitglied <strong>de</strong>s katholischen<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XIII.<br />

rheinischen Reichsa<strong>de</strong>ls angenommen wer<strong>de</strong>n darf. Freiherr Edmund Reitz von Frentz,<br />

Italien- und Vatikan-Korrespon<strong>de</strong>nt vor und während <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges galt als einer<br />

<strong>de</strong>r bestinformierten „Vatikan<strong>ist</strong>en“, 1924 mit <strong>de</strong>m Titel „Päpstlicher Geheimkämmerer“<br />

ausgezeichnet. (8).<br />

Schließlich und endlich: je<strong>de</strong>r Kleriker, vom Gemein<strong>de</strong>pfarrer bis zum Bischof, vom<br />

Missionar bis zum Or<strong>de</strong>nsoberen war <strong>de</strong>m Papst gegenüber (und sei es über <strong>die</strong> Dienstwege)<br />

zur Berichterstattung verpflichtet. Schon Hitler glaubte im Vatikan das größte „Spionagenest“<br />

anzutreffen, so auch seine, in <strong>die</strong>sem kirchenfeindlichen Sinne, kommun<strong>ist</strong>ischen Nachfolger.<br />

„Enthüllungen“ aus <strong>de</strong>r Unterwelt<br />

Abenteuerlicher könnten <strong>die</strong> Plots gewisse Krimis aus <strong>de</strong>m Geheim<strong>die</strong>nst- und Unterwelt-<br />

Milieu nichts sein, als <strong>die</strong> Geschichte, mit <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Ex-Freundin eines auf unnatürliche Weise<br />

ums Leben gekommenen römischen Unterwelt-Bosses, <strong>die</strong> Aufmerksamkeit italienischer<br />

Me<strong>die</strong>n fand. Sie „enthüllte“, wie Emanuela Orlandi, <strong>die</strong> Tochter eines Vatikan-Angestellten<br />

ums Leben kam. Das Mädchen verschwand im Sommer 1983 auf mysteriöse Weise und gilt<br />

seit <strong>die</strong>ser Zeit als verschollen. Zwar gingen erste Gerüchte und obskure Meldungen von einer<br />

Entführung und Geiselnahme vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>s Attentats auf Papst Johannes Paul II.<br />

aus, um <strong>de</strong>n Täter Ali Mehmet Agca aus <strong>de</strong>r Haft freizupressen. Dieser aber soll angeblich<br />

eine solche Art <strong>de</strong>r „Freilassung“ abgelehnt haben.<br />

Die neue Version <strong>de</strong>r ehemaligen Mafiosi-Braut: Das damals 15 Jahre alte Mädchen sei am<br />

22. Juni 1983 von ihr entführt und einer römischen Gangsterban<strong>de</strong> übergeben wor<strong>de</strong>n. Man<br />

habe im Dienst mächtiger Persönlichkeiten gehan<strong>de</strong>lt. In <strong>die</strong>sem Zusammenhang fällt auch<br />

<strong>de</strong>r Name <strong>de</strong>s damaligen vatikanischen Bankdirektors, päpstlichen Reisemarschalls und<br />

Leibwächters, <strong>de</strong>m 2006 verstorbenen Erzbischof Paul Casimir Marcinkus. Eine eher absur<strong>de</strong><br />

Vorstellung, wenn man <strong>die</strong> Begründung hört. Man habe <strong>de</strong>n Vatikan zu einer Gegenle<strong>ist</strong>ung<br />

für <strong>die</strong> Freilassung <strong>de</strong>s Mädchens nötigen wollen – <strong>die</strong> wohl darin bestehen sollte, dass <strong>de</strong>r<br />

Papst entsprechen<strong>de</strong>n Druck auf <strong>die</strong> italienischen Justizbehör<strong>de</strong>n ausübe.<br />

Mehrere Wochen lang sei Manuela in einer Wohnung festgehalten, vergewaltigt und<br />

schließlich getötet wor<strong>de</strong>n. Ihre Leiche habe man auf <strong>de</strong>m Gelän<strong>de</strong> einer Zementfabrik<br />

südlich von Rom in eine Betonmischmaschine geworfen. Am 5. Juli soll ein Unbekannter <strong>die</strong><br />

Familie Orlandi angerufen und am Telefon erklärt haben, <strong>die</strong> Tochter sei von <strong>de</strong>r<br />

„Türkischen antichr<strong>ist</strong>lichen Befreiungsfront – Türkesch“ (9) entführt wor<strong>de</strong>n. Sie wer<strong>de</strong> am<br />

20. Juli gegen Agca ausgetauscht – was <strong>die</strong>ser abgelehnt habe.<br />

Desinformationen <strong>de</strong>r Ostberliner Stasi<br />

Hatte bei bestimmten operativen Maßnahmen das Ostberliner MfS <strong>die</strong> Hand mit im Spiel;<br />

Der Vorgang wür<strong>de</strong> an <strong>die</strong> „Operation Papst“ erinnern, als <strong>die</strong> Abteilung X <strong>de</strong>r Hauptver<br />

waltung Aufklärung HVA westliche Me<strong>die</strong>n durch gezielte „Informationen“ von <strong>de</strong>r Version<br />

überzeugen sollten, dass für <strong>de</strong>n Anschlag auf Johannes Paul II. am 13. Mai 1981 <strong>die</strong><br />

türkischen „Grauen Wölfe“ verantwortlich seien, als <strong>de</strong>ren Mitglied Ali Agca bezeichnet<br />

wur<strong>de</strong>. Dieses sich über mehrere Jahre hinweg ziehen<strong>de</strong> Desinformationsmanöver war auf<br />

Bitten <strong>de</strong>r bulgarischen Sicherheitsorgane gegenüber <strong>de</strong>n „Bru<strong>de</strong>rorganen“ nach Absprache<br />

zwischen <strong>de</strong>m bulgarischen Innenmin<strong>ist</strong>er General Stojanow und <strong>de</strong>m Min<strong>ist</strong>er für<br />

Staatssicherheit, Armeegeneral Mielke, inszeniert wor<strong>de</strong>n. Zählten <strong>die</strong> Tricks <strong>de</strong>r Ostberliner<br />

Desinformationsabteilung auch zur Orlandi-Operation?<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XIII.<br />

Weitere Recherchen bestätigten <strong>die</strong> Vermutung. Für das Ostberliner MfS kam <strong>de</strong>r Fall<br />

Orlandi gera<strong>de</strong>zu gelegen, er ließ sich, wie von einer Quelle zu erfahren war, in <strong>die</strong><br />

„Operation Papst“ einbauen, um auch auf <strong>die</strong>ser Linie Druck von <strong>de</strong>n Bulgaren zu nehmen,<br />

<strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n Aktionen zu verknüpfen und <strong>die</strong> Entführung Orlandis <strong>de</strong>n türkischen Grauen<br />

Wölfen in <strong>die</strong> Schuhe zu schieben. Für Agca als Komplice o<strong>de</strong>r Mitglied <strong>de</strong>r Grauen Wölfe<br />

war schon im Rahmen <strong>de</strong>r „Operation Papst“ eine ausführliche Legen<strong>de</strong> gestrickt wor<strong>de</strong>n.<br />

Fingierte Briefe wur<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>n Vatikan, an einen <strong>de</strong>r italienischen Untersuchungsrichter und<br />

an <strong>die</strong> Nachrichten-Agentur ANSA geschickt. Gebrochenes Italienisch, mit türkischen<br />

Sprachbrocken versetzt, sollte <strong>die</strong> Echtheit <strong>de</strong>r Warnung als eine Aktion türkischen Ursprungs<br />

unterstreichen. Gleichzeitig war sie in einem Ton gehalten, <strong>de</strong>r keinen Zweifel daran<br />

aufkommen lassen sollte, dass „noch mehr“ passieren könnte. Das war eine Anspielung, <strong>die</strong><br />

einem <strong>de</strong>r beauftragten HVA-Offiziere in <strong>de</strong>r Erinnerung an eine Begegnung mit <strong>de</strong>m<br />

italienischen Min<strong>ist</strong>erpräsi<strong>de</strong>nten Aldo Moro im Jahre 1978 gekommen war, vier Wochen vor<br />

<strong>de</strong>ssen Ermordung durch <strong>die</strong> Roten Briga<strong>de</strong>n, fünf Jahre vor <strong>de</strong>r Entführung Manuela<br />

Orlandis. (10)<br />

Moro hatte <strong>de</strong>n „Journal<strong>ist</strong>en“ aus <strong>de</strong>r DDR in Ungarn kennen gelernt, bei einem gemeinsa<br />

men Abend im „Maxim“, einem Budapester Varieté. Man tauschte sich über <strong>die</strong> Lage in<br />

Italien aus, über das Unwesen von Terror<strong>ist</strong>en und <strong>de</strong>r Mafia. Moro: Sie vergiften das Land.<br />

Der unerkannte Kundschafter aus Ostberlin und <strong>de</strong>r italienische Regierungschef verstan<strong>de</strong>n<br />

sich schließlich so gut, dass <strong>de</strong>r Italiener am En<strong>de</strong> <strong>die</strong> gesamte Zeche übernahm.<br />

Informationen aus Rom, also auch aus <strong>de</strong>m Vatikan, aus erster Hand zu erfahren, war für <strong>die</strong><br />

HVA mehr als problematisch. Die bei<strong>de</strong>n auf <strong>die</strong> römische Kurie angesetzten Offiziere<br />

besorgten ihr Geschäft von Berlin aus, angesie<strong>de</strong>lt bei <strong>de</strong>r Abteilung II <strong>de</strong>r HVA (11) – <strong>die</strong><br />

auch zuständig für <strong>die</strong> CDU war - schrieben mehr o<strong>de</strong>r weniger aus allgemein zugänglichen<br />

Publikationen ab und waren alles in allem für <strong>die</strong> ihnen zugewiesene Aufgabe „zu schwach<br />

auf <strong>de</strong>r Brust“. Zumal ein unmittelbarer Zugang zum Apostolischen Palast nahezu<br />

aussichtslos für <strong>die</strong> Genossen war. An Einzelheiten zu kommen setzte häufigere „Urlaube“<br />

eines auf außenpolitische Fragen spezialisierten Offiziers <strong>de</strong>r „Feindbekämpfung“ voraus und<br />

ohne <strong>de</strong>n römischen Resi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Stasi, <strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r Botschaft <strong>de</strong>r DDR platziert war, wäre<br />

<strong>die</strong> Ausbeute an Informationen noch magerer gewesen.<br />

In <strong>de</strong>n Briefen, sowie in Telefon-Anrufen, auch in <strong>de</strong>n Vatikan, (etwa an <strong>die</strong> Familie<br />

Orlandi?), wur<strong>de</strong>n <strong>die</strong> weltlichen und kirchlichen Behör<strong>de</strong>n unmissverständlich aufgefor<strong>de</strong>rt,<br />

Agca in Ruhe zu lassen. Dieser sei ein friedlieben<strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r nur „Höheres“ im Sinn<br />

habe und alles An<strong>de</strong>re als ein Dieb und Mör<strong>de</strong>r. Wie mit ihm umgegangen wer<strong>de</strong>, wolle man<br />

sich nicht länger gefallen lassen. Man solle <strong>die</strong> Warnung nicht auf <strong>die</strong> leichte Schulter<br />

nehmen. Und immer sollte <strong>die</strong>se Botschaften <strong>de</strong>n Eindruck erwecken: Hinter <strong>de</strong>r Drohung<br />

stehen <strong>die</strong> rechtsextremen Grauen Wölfe.<br />

Die Aktion lief, wie <strong>die</strong> „Operation Papst“, als konzertierte Aktion, „eng besprochen“ mit<br />

<strong>de</strong>n Genossen <strong>de</strong>r Bru<strong>de</strong>rorganisationen, vor allem zwischen <strong>de</strong>m Ostberliner MfS, <strong>de</strong>m<br />

Moskauer KGB und <strong>de</strong>m bulgarischen DS, angeordnet auf hoher politischer Ebene. Der<br />

polnische SB, <strong>de</strong>r bis zum Konklave von 1978 mit im Boot <strong>de</strong>r gemeinsamen operativen<br />

Maßnahmen gegen Papst und Kirche saß, sei zunehmend „vakant“ gewor<strong>de</strong>n, d.h.<br />

unzuverlässig. Mit Karol Wojtyla als „polnischem“ Papst an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r Kirche geriet <strong>die</strong><br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XIII.<br />

Warschauer Staatssicherheit je<strong>de</strong>nfalls bei <strong>de</strong>n befreun<strong>de</strong>ten Genossen unter Verdacht, <strong>die</strong><br />

nationalen Interessen vor <strong>die</strong> <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Gemeinschaft zu stellen.<br />

Radio Vatikan mel<strong>de</strong>te am 4. Dezember 2002, dass <strong>die</strong> Entführung auf das Konto östlicher<br />

Geheim<strong>die</strong>nste gehe, um <strong>de</strong>n Papst einzuschüchtern und ihn von seiner Kritik am<br />

Kommunismus abzubringen. Diese Linie stimmte mit <strong>de</strong>r Auffassung italienischer<br />

Untersuchungsrichter und westlicher Geheim<strong>die</strong>nstkreise überein, <strong>die</strong> auch hinter <strong>de</strong>n<br />

P<strong>ist</strong>olenschüssen auf <strong>de</strong>m Petersplatz „Moskau“ als Auftraggeber vermuten. – Was immer<br />

auch bisher an <strong>die</strong> Öffentlichkeit drang: Meldungen aus trüben Quellen können nur mit<br />

großem Vorbehalt zur Kenntnis genommen wer<strong>de</strong>n. Auch <strong>die</strong> Angehörigen <strong>de</strong>r<br />

verschwun<strong>de</strong>nen Manuela Orlandi schenken <strong>de</strong>n jüngsten „Enthüllungen“ keinen Glauben;<br />

sie haben jedoch <strong>die</strong> italienische Justiz aufgefor<strong>de</strong>rt, <strong>de</strong>n Fall weiter zu verfolgen. Zu guter<br />

Letzt eine Lesart, <strong>die</strong> nicht min<strong>de</strong>r vortrefflich <strong>die</strong> Schlagzeilen gewisser Skandalblätter<br />

be<strong>die</strong>nen könnte. Manuela sei nicht etwa römischen Banditen in <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> gefallen; vielmehr<br />

habe sie ihr Elternhaus wegen einer Beziehung zu einem Priester verlassen und sei nach<br />

Kolumbien ausgewan<strong>de</strong>rt. (12). Genaueres wird man wissen, sollten je sterblichen Reste als<br />

<strong>die</strong> von Manuela Orlandi i<strong>de</strong>ntifiziert und das Schicksal <strong>de</strong>s unglücklichen Mädchens<br />

einwandfrei aufgeklärt wer<strong>de</strong>n können.<br />

1) Topmás Bursik: Ztratily jsme mnoho casu – Ale ne sebe! – Wir haben viel Zeit verloren – aber nicht uns<br />

selbst! – Bd. 15 (15. 12. 2006) <strong>de</strong>r Schriftenreihe <strong>de</strong>s UDV (Urad Dokumentace a Vysetrováni Zlocinu<br />

Komunismu - Behör<strong>de</strong> für <strong>die</strong> Dokumentation <strong>de</strong>r Verbrechen <strong>de</strong>s Kommunismus), Prag 2006<br />

2) vgl. dpa-Meldung im Wiesba<strong>de</strong>ner Kurier v. 23. 6. 08<br />

3) Wiesba<strong>de</strong>ner Kurier v. 19. Juni 2008. Korrespon<strong>de</strong>ntenbericht von Jacek Lepiarz.<br />

4) vgl. Polskaweb News v. 10. 06. 2006 (Polskaweb News www.polska.web); Berliner Kurier v. 19. 06. 2008<br />

5) Winston S. Churchill. Der Zweite Weltkrieg. S. 85. Scherz Verlag. Bern-München-Wien,<br />

Neuauflage 1992<br />

6) Das Evangelium nach Mattäus (26, 47-56), in: Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung.<br />

<strong>Kath</strong>olische Bibelanstalt, Stuttgart 1980 (Lizenzausgabe für <strong>de</strong>n Verlag Her<strong>de</strong>r, Freiburg im Breisgau.<br />

7) Hanspeter Oschwald: Pius XII. Der letzte Stellvertreter. Gütersloher Verlagshaus. Gütersloh. 2008.<br />

8) Werner Kaltefleiter/Hanspeter Oschwald. Spione im Vatikan. Die Päpste im Visier <strong>de</strong>r Geheim<strong>die</strong>nste.<br />

Pattloch-Verlag. München 2006.<br />

9) Alparslan Türkesch, gest. 1997, national<strong>ist</strong>ischer Politiker und Vertreter <strong>de</strong>r pantürkischen I<strong>de</strong>e, Vorsitzen<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r von ihm gegrün<strong>de</strong>ten Partei <strong>de</strong>r Nationalen Bewegung MHP (Milliyetci Hareket Partisi). Schlagkräftiger<br />

Arm <strong>de</strong>r Partei <strong>ist</strong> eine als rechtsextrem gelten<strong>de</strong>, paramilitärisch organisierte Formation, <strong>die</strong> sich selbst Graue<br />

Wölfe nennt.<br />

10) Aldo Moro, chr<strong>ist</strong><strong>de</strong>mokratischer Politiker, wie<strong>de</strong>rholt Min<strong>ist</strong>er und Min<strong>ist</strong>erpräsi<strong>de</strong>nt, mit Paul VI. befreun<br />

<strong>de</strong>t, trat für einen H<strong>ist</strong>orischen Kompromiss, eine Art Solidaritätspakt mit <strong>de</strong>n italienischen Kommun<strong>ist</strong>en ein,<br />

um <strong>die</strong> schwere Wirtschaftskrise Italiens zu lösen. Befürwortete einen Austritt Italiens aus <strong>de</strong>r NATO. Am 16.<br />

März 1978 von Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Terrororganisation „Rote Briga<strong>de</strong>n“ entführt; am 9. Mai <strong>de</strong>sselben Jahres<br />

wur<strong>de</strong> seine Leiche im Kofferraum einer Limousine nahe <strong>de</strong>n Parteihauptquartieren von DC und PCI<br />

aufgefun<strong>de</strong>n. Eine spätere Untersuchungskommission sprach von „stichhaltigen Indizien“ für eine Beteiligung<br />

von Geheim<strong>die</strong>nsten an <strong>de</strong>r Entführung Moros gefun<strong>de</strong>n haben, ohne tatsächlich Beteiligte aus <strong>die</strong>sem Milieu<br />

o<strong>de</strong>r politischen Klasse <strong>de</strong>r damaligen Jahre zu nennen.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XIII.<br />

11) HV A Hauptverwaltung Aufklärung. Abteilung A II: Aufklärung und Bearbeitung <strong>de</strong>r Führungsgremien <strong>de</strong>r<br />

politischen Parteine, Organisationen, Gewerkschaften, Verbän<strong>de</strong> und Stiftungen <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik sowie <strong>de</strong>r<br />

Kirchen, religiösen Gemeinschaften und <strong>de</strong>ren Glie<strong>de</strong>inrichtungen und einzelne Kirchengemein<strong>de</strong>n sowie <strong>de</strong>r<br />

Frie<strong>de</strong>nsbewegung in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland und von amnesty international. (Der Bun<strong>de</strong>sbeauftragte<br />

für <strong>die</strong> Unterlagen <strong>de</strong>s Staatssicherheits<strong>die</strong>nstes <strong>de</strong>r ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik.<br />

Dokumente. Die Organisationsstruktur <strong>de</strong>s Min<strong>ist</strong>eriums für Staatssicherheit 1989. Vorläufiger Aufriß nach <strong>de</strong>m<br />

Erkenntnisstand von Juni 1993. Reihe A. Nr. 2/93.)<br />

12) vgl. Südtirol ON LINE v. 24. Juni 2008; Der Standard, Online-Ausgabe: <strong>de</strong>rStandard.at v. 24. Juni 2008; –<br />

wissen.<strong>de</strong>/Bildung, o.Datum: „Wer entführte Emanuela Orlandi?<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XIV.<br />

XIV. Ein Spitzel wird eingeschleust<br />

Mit <strong>de</strong>m „Klostersturm“, <strong>de</strong>r Aktion „K“ (1), und <strong>de</strong>r Internierung von Or<strong>de</strong>nsangehörigen,<br />

Männern und Frauen, hatten <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>en versucht, eine <strong>de</strong>r vitalsten Quellen <strong>de</strong>s<br />

religiösen Lebens in ihrem Herrschaftsbereich auszutrocknen. Es gelang ihnen nicht. Ab<br />

Mitte <strong>de</strong>r fünfziger Jahre entwickelte sich eine neue Form <strong>de</strong>s Überlebens. Priester und<br />

Laienbrü<strong>de</strong>r insbeson<strong>de</strong>re jener Or<strong>de</strong>nsgemeinschaften, <strong>die</strong> sich <strong>de</strong>r Jugendseelsorge und<br />

sozialen Betreuung widmen, wie zum Beispiel <strong>die</strong> Kongregation <strong>de</strong>r Salesianer, entschie<strong>de</strong>n<br />

sich für geheime Arbeitsformen. Die „schweigen<strong>de</strong> Kirche“, <strong>die</strong> „Kirche <strong>de</strong>r Katakombe“,<br />

zog erste Wurzeln. Es bil<strong>de</strong>ten sich chr<strong>ist</strong>liche Zirkel im Untergrund, geleitet von Priestern,<br />

<strong>die</strong> aus <strong>de</strong>r Internierung entlassen wor<strong>de</strong>n waren. Offiziell war ihnen jegliche Seelsorge-<br />

Tätigkeit verboten. Sie sahen sich gezwungen, „zivile“ Berufe auszuüben. An<strong>de</strong>rerseits, so<br />

glaubte man wohl, konnte <strong>die</strong>s von Vorteil sein, nämlich als Tarnung, um gegenüber <strong>de</strong>n<br />

Kommun<strong>ist</strong>en nicht aufzufallen. Ein folgenschwerer Irrtum, <strong>de</strong>r manchen „Katakomben<br />

Priester“ in <strong>die</strong> Fänge <strong>de</strong>r Stasi trieb. Solange <strong>die</strong>sbezügliche Dokumente unter Verschluss<br />

bleiben, kann allerdings nicht gesagt wer<strong>de</strong>n, ob <strong>die</strong> Betroffenen davon wussten, ob und wie<br />

sie ständig beobachtet und instrumentalisiert wur<strong>de</strong>n.<br />

Wie <strong>die</strong> Geheimpolizei vorging, erklärt <strong>de</strong>r Vorgang um einen Stasi-Spitzel mit <strong>de</strong>m<br />

Decknamen „Verbovka“. Der Eintrag in <strong>die</strong> Stasi-Akte <strong>de</strong>utet auf einen Anwerbe-Vorgang<br />

hin. Es han<strong>de</strong>lte sich um einen Seminar<strong>ist</strong>en, <strong>de</strong>r einer <strong>de</strong>r mährischen Salesianergruppen<br />

angehörte. Auf ihn hatte es <strong>de</strong>r StB abgesehen. Ihn zu „überzeugen“ gelang schnell, nach<br />

bewährter Metho<strong>de</strong>. Der ehemalige Stu<strong>de</strong>nt M. wur<strong>de</strong> einem scharfen Verhör unterzogen mit<br />

<strong>de</strong>m Ergebnis, dass er „gründlich“ über <strong>die</strong> nach <strong>de</strong>n kommun<strong>ist</strong>ischen Gesetzen illegale<br />

Tätigkeit seiner Mitbrü<strong>de</strong>r berichtete, sich selbst für „schuldig“ erklärte und das gesamte<br />

Netzwerk <strong>de</strong>r Salesianer enthüllte. Seine Aussage führte zur Verhaftung mehrer Mitglie<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>s Or<strong>de</strong>ns. Damit hatte <strong>die</strong> Stasi <strong>de</strong>n Verräter in <strong>de</strong>r Hand. Damit er gegenüber seinen<br />

Mitbrü<strong>de</strong>rn nicht als Spitzel auffiel und er selbst weiter konspirativ eingesetzt wer<strong>de</strong>n konnte,<br />

wur<strong>de</strong> auf <strong>die</strong> Bestrafung von „ungefähr zehn Personen“ im Bezirk Olomouc/Olmütz<br />

verzichtet. Auch er selbst blieb selbstverständlich straffrei.<br />

Deckname „Eiche“<br />

Sein neuer Tarnname war nun „Dub“ („Eiche“), wie sich aus <strong>de</strong>n Unterlagen <strong>de</strong>s StB ergeben.<br />

Seine „Probezeit“ dauert ein Jahr. Dann wur<strong>de</strong> ihm angeboten, sein Studium im Ausland<br />

abzuschließen, einzige Bedingung: Weitere Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>r Geheimpolizei. Der<br />

Vorgang erinnert an Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Ostberliner Stasi, katholische Jugendliche und Stu<strong>de</strong>nten<br />

für sich zu gewinnen und in kirchliche Gremien und ranghohe Positionen einzuschleusen.<br />

„Dub“ schien zunächst überrascht. Pfarrer zu wer<strong>de</strong>n, daran hatte er eigentlich nicht gedacht.<br />

Eher ans Heiraten und daran, eine Familie zu grün<strong>de</strong>n. Einige Treffen mit seinen<br />

Führungsoffizieren mussten „nachhelfen“, damit er <strong>de</strong>m „Berufswechsel“ zustimmte. Seine<br />

weitere „Karriere“ war von <strong>de</strong>r Stasi exakt geplant. Nach Abschluss o<strong>de</strong>r noch während <strong>de</strong>s<br />

Theologiestudiums sollte er sich journal<strong>ist</strong>isch ausbil<strong>de</strong>n lassen. Als Arbeitsplatz war <strong>die</strong><br />

katholische Universität „Pro Deo“ in Rom vorgesehen. Dieses Stu<strong>die</strong>nzentrum, mit <strong>de</strong>n<br />

Schwerpunkten Publiz<strong>ist</strong>ik und <strong>Mein</strong>ungsbildung, spezialisiert auf Presse, Film und<br />

Rundfunk, war 1947 von <strong>de</strong>m belgischen Dominikanerpater Felix André Morlion gegrün<strong>de</strong>t<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XIV.<br />

wor<strong>de</strong>n, hervorgegangen aus einer ebenfalls von ihm 1945 ins Leben gerufenen „Fakultät für<br />

Journalismus“.<br />

Die, man könnte sagen, „stramm“ ausgerichtete antikommun<strong>ist</strong>ische Linie <strong>de</strong>s Instituts<br />

machte <strong>die</strong> Pro-Deo-Universität zu einem vorrangigen Ziel <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Geheim<strong>die</strong>nste, also auch für <strong>de</strong>n tschechoslowakischen StB. Ab 1957 je<strong>de</strong>nfalls wur<strong>de</strong><br />

„Dub“ auf seine Agententätigkeit in Rom vorbereitet - wobei er allerdings nicht seinen<br />

Wunsch vergaß, nach fünf bis zehn Jahren, in seine Heimat zurückkehren zu dürfen, um , wie<br />

es ihm von Anfang an ja vorgeschwebt hatte, eine Familie zu grün<strong>de</strong>n.<br />

Beson<strong>de</strong>rs schwer dürfte „Dub“ <strong>die</strong> Entscheidung für seine Spitzel<strong>die</strong>nste nicht gefallen sein,<br />

<strong>de</strong>nn schon ab Dezember 1955 soll er „finanziell belohnt“ wor<strong>de</strong>n sein. Auch wur<strong>de</strong> ihm<br />

i<strong>de</strong>ologischer Nachhilfeunterricht erteilt, um seine Kooperationsbereitschaft zu beschleunigen<br />

und zu festigen.<br />

Soutane, Gummihandschuhe und Zange<br />

Am 4. Oktober 1958, um 9 Uhr, begann <strong>die</strong> „Aussendung“ <strong>de</strong>s Agenten „Dub“ durch <strong>die</strong><br />

Stasi in Richtung österreichische Grenze. Ein fingierter illegaler Grenzübertritt, unterstützt<br />

von <strong>de</strong>r Nachrichtenabteilung <strong>de</strong>r Grenzbriga<strong>de</strong> in Znojmo (Znaim) und <strong>de</strong>r Kompanie in<br />

Bori Dvur u Valtice (Theimwald, Gemein<strong>de</strong> Feldsberg) sollte <strong>die</strong> österreichischen<br />

Grenzposten ablenken. Die Aktion war, soweit Details bekannt gewor<strong>de</strong>n sind, raffiniert<br />

geplant. eingefä<strong>de</strong>lt. Dub wer<strong>de</strong> <strong>die</strong> Grenze an einer schwer einsehbaren Stelle überschreiten,<br />

von Spezial<strong>ist</strong>en abge<strong>de</strong>ckt. Eine Dreiviertelstun<strong>de</strong> später wer<strong>de</strong> von einer Heuhütte zwischen<br />

<strong>de</strong>n Grenzhin<strong>de</strong>rnissen eine Leuchtrakete abgeschossen wer<strong>de</strong>n, um <strong>die</strong> zuständige<br />

tschechische Wachkompanie zu alarmieren. Die dabei entstehen<strong>de</strong>n Aktivitäten wür<strong>de</strong>n<br />

wie<strong>de</strong>rum <strong>die</strong> österreichischen Grenzposten aufschrecken. Parallel sollten entsprechen<strong>de</strong><br />

Desinformationen gestreut wer<strong>de</strong>n. Durch das „<strong>die</strong>nsthaben<strong>de</strong> journal<strong>ist</strong>ische Organ“ <strong>de</strong>r<br />

Briga<strong>de</strong> in Znojmo wer<strong>de</strong> eine Meldung über das „von einem unbekannten Grenzverletzer“<br />

begangene „Verbrechen“ an <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n gegeben. Auf „Dub“ wür<strong>de</strong> also kein Verdacht<br />

fallen.<br />

„Dub“ wur<strong>de</strong> um 19.10 Uhr, nach <strong>de</strong>m er alles „kapiert“ hatte, durch eine Unterführung<br />

hinter <strong>die</strong> Grenzhin<strong>de</strong>rnisse und Stacheldraht-Linie geführt und auf <strong>die</strong> österreichische Seite<br />

„rausgelassen.“ Man hinterließ fingierte Spuren eines „Absprungs“ und einer „Landung im<br />

Schlamm“. Der künftige „Kundschafter“ <strong>de</strong>r Stasi sollte sich nun in Richtung Reintal<br />

durchschlagen und, sich als Flüchtling ausweisend, <strong>de</strong>n dortigen Pfarrer um Hilfe bitten. Als<br />

Dokument durfte er seinen alten „bürgerlichen“ Personalausweis behalten. Außer<strong>de</strong>m führte<br />

er Fotos aus seiner Zeit bei <strong>de</strong>n Salesianern mit sich. Auch <strong>die</strong> übrige Ausstattung <strong>de</strong>s<br />

künftigen Auslandsagenten <strong>de</strong>s StB war sorgfältig ausgewählt wor<strong>de</strong>n, um keinen Verdacht<br />

aufkommen zu lassen: eine schwarze Soutane, ein Paar Ersatzschuhe, drei Hem<strong>de</strong>n, Socken,<br />

Handtücher und Toiletten-Artikel, gera<strong>de</strong> so viel, wie in eine Sporttasche passte. Um zu<br />

zeigen, wie er <strong>die</strong> Grenze überwin<strong>de</strong>n konnte, wur<strong>de</strong>n ihm eine Zange und<br />

Gummihandschuhe mitgegeben.<br />

Wie <strong>de</strong>m Rapport <strong>de</strong>s zuständigen Stasi-Leutnants zu entnehmen <strong>ist</strong>, lief <strong>die</strong> Aktion „Dub“<br />

ohne je<strong>de</strong> Störung ab. Ganz im Wi<strong>de</strong>rspruch zum Befehl und „Wahlspruch“ <strong>de</strong>r<br />

Grenztruppen: „Sie kommen nicht durch“. Einer kam durch: „Dub“, <strong>de</strong>r falsche Salesianer.<br />

Was anschließend aus ihm wur<strong>de</strong>? Darüber liegen keine Einzelheiten vor.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XIV.<br />

„Kuckuck mit roten Fe<strong>de</strong>rn“<br />

Als „Nest“ für <strong>de</strong>n „Kuckuck mit roten Fe<strong>de</strong>rn“ hatte sich <strong>de</strong>r Prager Spionage<strong>die</strong>nst vor<br />

allem das „Collegium Nepomucenum“, das tschechische Priesterseminar in Rom, ausgesucht.<br />

Jesuitenpater Josef Kolácek, Direktor <strong>de</strong>r tschechischen Sektion von Radio Vatikan, erinnert<br />

sich, wie Bewohner und Besucher <strong>de</strong>s Hauses durch Kollaborateure <strong>de</strong>s Staatssicherheits<br />

<strong>die</strong>nstes ausgeforscht wur<strong>de</strong>n. Er spricht von „zwei echten Spionen“: Karel S. und Jindrich H.<br />

Beson<strong>de</strong>rs schmerzlich sei es für ihn, über S. zu sprechen, <strong>de</strong>nn ihm habe er sehr geholfen, als<br />

S. sich nach Italien absetzte und bei <strong>de</strong>r Aufnahme im „Nepomucenum“. Die Wege <strong>de</strong>s Karel<br />

S. scheinen bis zu seiner Ankunft in Rom verschlungen.<br />

Mutter Kirche lässt ihre Kin<strong>de</strong>r nicht fallen und Gna<strong>de</strong> vor Recht walten, wo Justitia eher<br />

dazu neigte, keinen Pardon zu geben. Ob <strong>die</strong>s auf Karel S. zutrifft, ob o<strong>de</strong>r in welchem<br />

Ausmaß er seiner Kirche gescha<strong>de</strong>t hat, lässt sich von außen her nicht beurteilen. Er selbst<br />

soll zwar seine Kontakte zum StB eingestan<strong>de</strong>n haben, nicht aber Umfang und Dauer.<br />

Wie schon an an<strong>de</strong>rer Stelle beschrieben, galt das „Nepomucenums“ für <strong>de</strong>n Prager<br />

Geheim<strong>die</strong>nst als erste Adresse. Von hier aus liefen persönliche Verbindungen zu <strong>de</strong>n<br />

tschechischen und slowakischen Ge<strong>ist</strong>lichen in <strong>de</strong>n Kurienbehör<strong>de</strong>n und bei Radio Vatikan.<br />

Die Praktiken <strong>de</strong>r Stasi waren bekannt. Aber selbst wenn <strong>die</strong>ser o<strong>de</strong>r jener Landsmann<br />

verdächtig schien, ein<strong>de</strong>utige Belege fehlten im Allgemeinen. Selbst manche Erinnerungen<br />

von heute stützen sich auf „Erzählungen“ und „Warnungen“, verlieren sich in An<strong>de</strong>utungen<br />

und Gerüchten nach <strong>de</strong>r Devise „Nichts Genaues weiß man nicht“. So verbreitete sich ein<br />

beständiges Klima <strong>de</strong>r Unsicherheit und Verdächtigungen – genau dass, was <strong>de</strong>r<br />

Geheim<strong>die</strong>nst neben <strong>de</strong>r Beschaffung von Informationen bezweckte.<br />

Karel S. soll im Alter von 20 Jahren eine Verpflichtungserklärung unterschrieben haben, um<br />

in Rom Theologie stu<strong>die</strong>ren und sich auf das Priesteramt vorbereiten zu können. Nach seiner<br />

Ankunft im „Nepomucenum“ habe sich Karel S. sofort <strong>de</strong>m Spiritual <strong>de</strong>s Priesterseminars<br />

anvertraut, <strong>ist</strong> von verschie<strong>de</strong>ner Seite zu hören. Ge<strong>ist</strong>licher Leiter war Jesuitenpater Tomás<br />

Spidlik, wie Karel S. aus Mähren stammend. Spidlik (Jahrgang 1919) wur<strong>de</strong> im Jahre 2003<br />

von Papst Johannes Paul II. zum Kardinal ernannt. Er gilt als einer <strong>de</strong>r namhaftesten<br />

Theologen unserer Zeit, mit <strong>de</strong>n Fachgebieten Patr<strong>ist</strong>ik und Spiritualität <strong>de</strong>s Ostens. Er hatte<br />

in <strong>de</strong>n ersten Nachkriegsjahren in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n und in Italien stu<strong>die</strong>rt und war am<br />

Päpstlichen Orient-Institut promoviert wor<strong>de</strong>n. Bei Radio Vatikan übernahm er 1951 das<br />

Programm in tschechischer Sprache. Seine Sendungen, insbeson<strong>de</strong>re seine Predigten, fan<strong>de</strong>n<br />

starke Beachtung. In <strong>de</strong>n Abhörzentralen <strong>de</strong>r Prager Stasi wusste man Bescheid. Die<br />

Kommun<strong>ist</strong>en versagten ihm <strong>die</strong> Rückkehr in seine Heimat.<br />

Aus <strong>de</strong>r römischen Zeit von Karel S. sind nur Bruchstücke an <strong>die</strong> Öffentlichkeit gedrungen.<br />

Er sei als Seelsorger in Italien und in <strong>de</strong>n USA eingesetzt wor<strong>de</strong>n. Auch als gefragter<br />

Gastredner wird er genannt, etwa bei <strong>de</strong>r Tschechoslowakischen Gesellschaft für Kunst und<br />

Wissenschaft in <strong>de</strong>r Schweiz. Er sei durch seine Intelligenz aufgefallen und habe mit seinem<br />

Auftreten Eindruck gemacht. An<strong>de</strong>ren gefiel weniger, wie sehr er von sich selbst überzeugt<br />

gewesen sei. 1985 aus <strong>de</strong>n USA zurückgekehrt, soll er in <strong>de</strong>r Kongregation für <strong>die</strong> Bischöfe<br />

beschäftigt wor<strong>de</strong>n sein. Diesem Dikasterium <strong>ist</strong> auch <strong>die</strong> Kommission für Lateinamerika<br />

zugeordnet, ein „Brennpunkt“ für das Interesse <strong>de</strong>s Prager Nachrichten<strong>die</strong>nstes. Ob Karel S.<br />

an seinem neuen Arbeitsplatz an einer <strong>de</strong>r vatikanischen Schaltstellen <strong>de</strong>r Stasi Informationen<br />

lieferte, darüber liegen keine Belege vor, je<strong>de</strong>nfalls keine öffentlich zugänglichen.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XIV.<br />

1987 sieht Karel S. seine Heimat wie<strong>de</strong>r, als Mitarbeiter in <strong>de</strong>r Bischofskonferenz. 1990 wird<br />

<strong>de</strong>m Organisationsstab zugeteilt, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n ersten Pastoralbesuch von Papst Johannes Paul II. in<br />

<strong>de</strong>r Tschechoslowakei (2) vorbereitet. Der Geheim<strong>die</strong>nst habe ein weiteres Mal versucht,<br />

Karel S. anzuwerben. Er habe aber „unverzüglich“ seine Vorgesetzten informiert und alle<br />

Kontakte abgebrochen. Anfang <strong>de</strong>r 90er Jahre wird er nach Bonn abgestellt. Nuntius war zu<br />

jener Zeit <strong>de</strong>r Ungar Lajos Kada, <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvereinigung unter an<strong>de</strong>rem in <strong>die</strong><br />

Errichtung neuer Diözesen in Ost<strong>de</strong>utschland eingeschaltet war und 1995 „überraschend“<br />

nach Spanien versetzt wur<strong>de</strong>. Waren auch von ihm „Belastungen“ aus <strong>de</strong>r Vergangenheit<br />

bekannt gewor<strong>de</strong>n? Karel S. je<strong>de</strong>nfalls soll <strong>de</strong>r Prager Geheim<strong>die</strong>nst bis zum<br />

„Zusammenbruch <strong>de</strong>s Kommunismus“ im Jahre 1989 im Griff gehabt haben.<br />

Ebenfalls im Jahr 1995 verließ Karel S. <strong>die</strong> <strong>de</strong>utsche Bun<strong>de</strong>shauptstadt und kehrte, von<br />

Kardinal Miloslav Vlk nach Prag geholt, an <strong>die</strong> Moldau zurück. Als einer, <strong>de</strong>r in kirchlichen<br />

Zentralbehör<strong>de</strong>n und im Ausland Erfahrungen gesammelt hat, wird er Generalsekretär <strong>de</strong>r<br />

tschechischen Bischofskonferenz.<br />

Vielleicht waren es nur „lässliche Sün<strong>de</strong>n“, <strong>die</strong> Karel S. <strong>die</strong> Karriere kosteten. Durch seinen<br />

Rücktritt von einem einflussreichen Posten schien er gestraft genug. Allerdings veranlassten<br />

<strong>die</strong> Begleitumstän<strong>de</strong>, <strong>die</strong> offenbar eher einem Rauswurf aus Funktionen in <strong>de</strong>r Heimatkirche<br />

gleichkamen, einen ranghohen Vatikandiplomaten zu <strong>de</strong>r ungewöhnlichen Bemerkung, man<br />

habe <strong>die</strong>sen Mann „wie ein Hund davongejagt“. Auf <strong>die</strong> Hungerbank wur<strong>de</strong> er freilich nicht<br />

gesetzt. Er erhielt eine neue Verwendung in <strong>de</strong>r päpstlichen Botschaft eines Nachbarlan<strong>de</strong>s -<br />

- wo er – so wird versichert – mit sensiblen Angelegenheiten nicht in Berührung kommt.<br />

Karel S. bleibt nicht <strong>de</strong>r Einzige, an <strong>de</strong>n sich einige seiner ge<strong>ist</strong>lichen Mitbrü<strong>de</strong>r und<br />

Landsleute schmerzlich erinnern, insbeson<strong>de</strong>re an „Maulwürfe“ in Rom. Schon als<br />

Erzbischof Beran ins römische Exil gezwungen wur<strong>de</strong>, sei ein tschechischer Emigrant auf ihn<br />

angesetzt wor<strong>de</strong>n. Ebenso wird <strong>de</strong>r Kirchenh<strong>ist</strong>oriker Jindrich H., Mitarbeiter <strong>de</strong>r Päpstlichen<br />

Lateran-Universität als Stasi-Mitarbeiter enttarnt. Auch zwei Mitbrü<strong>de</strong>rn im Jesuiten-Or<strong>de</strong>n<br />

sollen <strong>de</strong>r Stasi zu Diensten gewesen sein: Pater K., <strong>de</strong>r jedoch sein Priestertum aufgab und<br />

eine Krankenschwester heiratete, sowie Pater T., <strong>de</strong>r allerdings „zu durchsichtig beim<br />

Spitzeln“ gewesen sei.<br />

„Gefährlicher“ waren, wie Pater Kolácek schreibt, (3) einige <strong>de</strong>r Priester in Rom, <strong>de</strong>nen von<br />

<strong>de</strong>n Prager Behör<strong>de</strong>n erlaubt wur<strong>de</strong>, regelmäßig in ihre Heimat zu reisen. Oft als „Besuch <strong>de</strong>r<br />

Mutter“ <strong>de</strong>klariert. „Ich selber bekam eine solche Bewilligung nie!“, schreibt Pater Kolácek.<br />

Bei <strong>de</strong>n Mitbrü<strong>de</strong>rn habe man „Gegenle<strong>ist</strong>ungen“ vermutet. Im täglichen Umgang mit ihren<br />

Landsleuten, auf <strong>die</strong> sie angesetzt warne, verhielten sie sich offensichtlich eher unbedarft. Ob<br />

aus einer gewissen Schläue heraus, bleibt dahingestellt. „Ihre Naivität war so groß, dass sie<br />

sich amüsierten uns von <strong>de</strong>n Einladungen zum Aben<strong>de</strong>ssen zu erzählen und von <strong>de</strong>n<br />

„dummen“ Gesprächen, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Beamte <strong>de</strong>r tschechischen Botschaft mit ihnen führte“,<br />

erinnert sich P. Kolácek.<br />

Rache an <strong>de</strong>r Mutter und <strong>de</strong>m Bru<strong>de</strong>r<br />

Was <strong>die</strong> Spitzel in <strong>de</strong>r Soutane <strong>de</strong>m römischen Resi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>s Prager Staatssicherheits<br />

<strong>die</strong>nstes erzählt haben mochten, war vielleicht nicht allzu ergiebig. Aber allein <strong>die</strong> Tatsache,<br />

dass sie sich <strong>de</strong>r Geheimpolizei ausgeliefert haben, konnte für jene, <strong>die</strong> sie ausforschen<br />

sollten, lebensgefährlich wer<strong>de</strong>n. Er selbst sei nie von Agenten erpresst wor<strong>de</strong>n, berichtet<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XIV.<br />

Pater Kolácek, jedoch – soweit er wisse - von Pater T., sowie von S. und H. bespitzelt<br />

wor<strong>de</strong>n. Er sei „ganz oben“ auf <strong>de</strong>r L<strong>ist</strong>e <strong>de</strong>r „Erzfein<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Kommunismus in <strong>de</strong>r CSSR“<br />

geführt wor<strong>de</strong>n.<br />

Pater Kolácek geht davon aus, dass er, als er noch zu Hause in Brünn lebte, ständig überwacht<br />

wur<strong>de</strong>. „Vielleicht von mehreren“. Aber das seien Vermutungen, ohne sichere Beweise. Nach<br />

seinem Weggang nach Rom bekam er <strong>die</strong> ganze Härte <strong>de</strong>s StB zu spüren, zwar indirekt aber<br />

nicht weniger schmerzhaft. „Sie haben Rache an meiner Mutter geübt und an meinem Bru<strong>de</strong>r,<br />

einem Arzt.“<br />

(1) Die „Aktion K“ – <strong>de</strong>r „Klostersturm“: Eine in mehreren Etappen, von April bis September 1950, von <strong>de</strong>r<br />

Kommun<strong>ist</strong>ischen Partei <strong>de</strong>r Tschechoslowakei verfügte lan<strong>de</strong>sweite Operation gegen <strong>die</strong> Männer- und<br />

Frauenor<strong>de</strong>n, um das gesamte Or<strong>de</strong>nswesen zu zerschlagen. Die Aktion erfolgte im Rahmen <strong>de</strong>s strategischen<br />

Ziels <strong>de</strong>s Regimes, <strong>die</strong> katholische Kirche vom Volk zu isolieren. Im Jargon <strong>de</strong>r Partei: <strong>die</strong> „reaktionäre<br />

katholische Hierarchie“ zu treffen und „<strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>r imperial<strong>ist</strong>ischen Agenten in <strong>de</strong>r katholischen Kirche<br />

zu brechen.“ (Ruolf Slansky, 1945-1951 Generalsekretär <strong>de</strong>r Kommun<strong>ist</strong>ischen Partei KSC, mitbeteiligt an <strong>de</strong>r<br />

Machtübernahme 1948, 1952 selbst Opfer interner Machtkämpfe und antisemitischer Elemente. Im größten<br />

Nachkriegsschauprozess angeklagt Haupt einer „staatsfeindlichen Verschörungszentrale“ zu sein, zum To<strong>de</strong><br />

veurteilt und hingerichtet, seine Asche angeblich <strong>de</strong>m Streusplit für <strong>de</strong>n Winter<strong>die</strong>nst beigemischt, in <strong>de</strong>n 60er<br />

Jahren jur<strong>ist</strong>isch und von <strong>de</strong>r Partei rehabilitiert)<br />

Der erste Schlag unter <strong>de</strong>m Co<strong>de</strong>wort „Aktion K“, angeordnet vom Parteiausschusses für kirchliche Fragen.<br />

begann in <strong>de</strong>r Nacht vom 13. auf 14. April 1950. Er traf zunächst <strong>die</strong> Männeror<strong>de</strong>n. Die gesamte Maßnahme lief<br />

bis Anfang Mai. Mehr als 2300 Or<strong>de</strong>nsmänner und über 6300 Or<strong>de</strong>nsfrauen wur<strong>de</strong>n in bestimmten, über das<br />

gesamte Staatsgebiet verteilten, entlegenen Klosteranlagen zusammengefasst. Diese waren zu Sammel- und<br />

verschärften Internierungslagern (Konzentrationsklöster) umfunktionier wor<strong>de</strong>n. Weitere Priester und<br />

Or<strong>de</strong>nsfrauen wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n am me<strong>ist</strong>en gefürchteten Strafanstalten inhaftiert, zusammengesperrt mit<br />

Kriminellen, um ein beson<strong>de</strong>res Maß an Erniedrigung zu erreichen.<br />

Die eingesperrten Männer und Frauen <strong>de</strong>r Kirche hatte <strong>die</strong> Partei schwere körperliche Arbeiten vorgesehen: auf<br />

<strong>de</strong>m Bau, in <strong>de</strong>r Fabrik, in <strong>de</strong>n Arbeitskollektiven <strong>de</strong>r Landwirtschaft. Or<strong>de</strong>nsschwestern wur<strong>de</strong>n aber auch<br />

wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Alten- und Krankenpflege eingesetzt. Die Verhaftungswellen hätten in <strong>die</strong>sem Bereich zu große<br />

personelle Lücken gerissen. In <strong>de</strong>n Internierungsklöstern wur<strong>de</strong> versucht, Or<strong>de</strong>npriester politisch umzuerziehen.<br />

Sie sollten internierte Pfarrer ersetzen, d. h. <strong>de</strong>ren Gemein<strong>de</strong>n übernehmen. Diesem Zweck <strong>die</strong>nte auch<br />

För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r so genannten „Frie<strong>de</strong>nspriester“, <strong>die</strong> in <strong>de</strong>r Vereinigung „Pacem in terris“ organisiert waren,<br />

von <strong>de</strong>r Partei kontrolliert. - vgl. auch: Karel Kaplan: Staat und Kirche in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei 1948 – 1952.<br />

Ol<strong>de</strong>nbourg Wissenschaftsverlag. Veröffentlichungen <strong>de</strong>s Collegium Carolinum, Bd. 64. München 1990. /<br />

Collegium Carolinum CC München <strong>ist</strong> eine Forschungsstelle für <strong>die</strong> böhmischen Län<strong>de</strong>r; das <strong>de</strong>m Trägerverein<br />

zugehörige Institut erfasst mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten <strong>de</strong>n gesamten Ostmitteleuropäischen Raum.<br />

2) Pastoralbesuch von Papst Johannes Paul II. in <strong>de</strong>r Tschechischen und Slowakischen Fö<strong>de</strong>rativen Republik<br />

vom 21.-22. April 1990<br />

3) Brief von P. Josef Kolácek S.J. vom 18. Juni 2007 an <strong>de</strong>n Autor.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XV.<br />

XV. „Überfallartig“ in <strong>die</strong> Tschechoslowakei<br />

Prag unter <strong>de</strong>r Herrschaft <strong>de</strong>r Sowjets. Entsetzen, Empörung und Proteste“ titelte „Die Welt“<br />

in ihrer Ausgabe von Donnerstag, 22. August 1968. Der Bericht über <strong>die</strong> „blitzartige“<br />

Besetzung <strong>de</strong>r Tschechoslowakei durch Truppen <strong>de</strong>s Warschauer Paktes – „an ihrer Spitze<br />

sowjetische Einheiten“ – nahm <strong>die</strong> ganze Frontseite ein. Auch Einheiten Polens, Ungarns,<br />

Bulgariens sowie <strong>de</strong>r „DDR“ („Die Welt“ hielt an <strong>de</strong>n Gänsefüßchen fest), waren laut<br />

„Nachrichten<strong>die</strong>nst <strong>de</strong>r Welt“ an <strong>de</strong>r militärischen Intervention beteiligt. Den Abhörzentralen<br />

westlicher Geheim<strong>die</strong>nste, gewiss <strong>de</strong>r NATO-Aufklärung, dürften <strong>die</strong> Bewegungen <strong>de</strong>s<br />

strategischen Gegners zu Lan<strong>de</strong> und in <strong>de</strong>r Luft nicht entgangen sein. Funktionierte <strong>de</strong>r<br />

tschechische Geheim<strong>die</strong>nst nicht – o<strong>de</strong>r nur für <strong>die</strong> Sowjets, <strong>de</strong>m eigenen Partei- und<br />

Regierungschef in <strong>de</strong>n Rücken fallend, sodass Alexan<strong>de</strong>r Dubcek noch in <strong>de</strong>r „schicksalhaf<br />

ten Nacht“, (vom 20. auf <strong>de</strong>n 21. August), „bei <strong>de</strong>r Ehre eines Kommun<strong>ist</strong>en“, er habe nicht<br />

<strong>die</strong> geringste Ahnung gehabt, dass jemand einen solchen Schritt gegen uns unternehmen<br />

will.“ (1) Als <strong>die</strong> ersten Hubschrauber über <strong>de</strong>r Stadt kre<strong>ist</strong>en und dann: „eine Maschinen<br />

gewehrsalve durchschnitt plötzlich <strong>die</strong> Nacht“ (Ladislav Mnacko) – da ging es <strong>de</strong>n Pragern<br />

furchtbar auf: „Die Russen sind da.“<br />

Und sie blieben. Hatten sich Moskau 1948 bei <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ische Machtübernahme noch auf<br />

eine „beraten<strong>de</strong>“ Rolle beschränkt, so war jetzt <strong>die</strong> totale Oberaufsicht etabliert. „Unsere<br />

Generalstäbe waren mehr o<strong>de</strong>r weniger nur Zweigstellen sowjetischer Kommandos und<br />

Resi<strong>de</strong>nturen <strong>de</strong>r sowjetischen militärischen Aufklärung“ erinnert sich Vaclav Havel. (2)<br />

Anzeichen für eine militärische Aktion, mit <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Machthaber im Kreml erneut einen ihrer<br />

Satelliten disziplinieren könnten, hatte es schon im Vorfeld gegeben. Die vom 19. bis 30.<br />

Juni laufen<strong>de</strong> Kommandostabsübung „Sumawa“ (<strong>de</strong>r tschechische Name <strong>de</strong>s Böhmerwal<strong>de</strong>s)<br />

sowohl entlang <strong>de</strong>r Grenze auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r DDR und Polens, wie auch in <strong>de</strong>r CSSR<br />

selbst, auf <strong>de</strong>utete auf mehr als eine routinemäßige Übung hin.<br />

Ein ranghoher Offizier <strong>de</strong>r NationalenVolksarmee (NVA) erinnert sich <strong>de</strong>nn auch. Der<br />

politische Hintergrund sei <strong>die</strong> „zunehmen<strong>de</strong> Spannung zwischen <strong>de</strong>r sowjetischen Führung<br />

über <strong>de</strong>n politischen Kurs <strong>de</strong>r CSSR, <strong>de</strong>n so genannten „Prager Frühling“ gewesen, schreibt<br />

Horst Stechbarth, zuletzt Generaloberst und Befehlshaber <strong>de</strong>r Landstreitkräfte <strong>de</strong>r NVA. „Als<br />

alle Beratungen mit <strong>de</strong>r Führung <strong>de</strong>r CSSR <strong>die</strong>se nicht zu einem Kurswechsel veranlassten“,<br />

sei eine „militärische Drohkulisse“ aufgebaut wor<strong>de</strong>n. Da sich <strong>die</strong> Lage in <strong>de</strong>r CSSR nicht<br />

geän<strong>de</strong>rt habe, sei <strong>die</strong> Übung „immer wie<strong>de</strong>r verlängert“ wor<strong>de</strong>n. Sie habe dann auch zur<br />

Vorbereitung „<strong>de</strong>s überfallartigen Einmarsches einer starken Gruppierung <strong>de</strong>r Vereinten<br />

Streitkräfte am 21. August 1968“ geführt. Ob Kampfeinheiten <strong>de</strong>r NVA <strong>die</strong> Grenze<br />

überschritten haben, erfährt <strong>de</strong>r Leser aus <strong>de</strong>n Aufzeichnungen <strong>de</strong>s ehemaligen DDR-<br />

Generals nicht. Nur soviel: dass sich <strong>die</strong> 7. Panzerdivision aus Dres<strong>de</strong>n und <strong>die</strong> 11. Mot.-<br />

Schützendivision aus Halle auf <strong>de</strong>m Territorium <strong>de</strong>r DDR nahe <strong>de</strong>r Grenze zur CSSR in<br />

Konzentrierungsräumen befan<strong>de</strong>n.“ (3) Deutsche Truppen, <strong>die</strong> auf Prag zu marschieren, wie<br />

knapp dreißig Jahre zuvor (im März 1939) sollte sich wohl nicht wie<strong>de</strong>rholen – zumal in ein<br />

„sozial<strong>ist</strong>isches Bru<strong>de</strong>rland“. In Prag aber hält sich <strong>die</strong> Information, dass Nachrichten und<br />

militärische Aufklärung auch innerhalb <strong>de</strong>r CSSR operierten. Und dass <strong>die</strong> politischen<br />

Geheim<strong>die</strong>nste auf höchste Alarmstufe geschaltet hatten, bedarf wohl keiner Frage.<br />

Nach Ostberlin (1953), Ungarn (1957), <strong>de</strong>m Mauerbau (1961) hatte <strong>de</strong>r Sozialismus nach<br />

Kreml-Diktat seine Faust gezeigt. Der August 1968 war nicht <strong>die</strong> Geburtsstun<strong>de</strong>, wohl aber<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XV.<br />

<strong>die</strong> nachgelieferte angebliche und erstmals so formulierte Begründung <strong>de</strong>r so genannten<br />

„Breschnew-Doktrin“ und ein weiterer Test für <strong>de</strong>n Dezember 1980 und das nachfolgen<strong>de</strong><br />

Jahr auf <strong>de</strong>m Höhepunkt <strong>de</strong>r „polnischen Ereignisse“. Wie<strong>de</strong>rum stand eine NVA-<br />

Panzerdivision bereit. Und wie<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> eine „Drohkulisse“ aufgebaut: Das<br />

Manöver „Wintermarsch“, zum Sprung bereit, von <strong>de</strong>r Übung unter sowjetischer Führung<br />

zum Kampf überzugehen. Es genügte unter <strong>de</strong>n Hartlinern das Stichwort „Konterrevolution“,<br />

um in einem <strong>de</strong>r Mitgliedsstaaten <strong>de</strong>s Warschauer Vertrages „<strong>die</strong> Ordnung“ wie<strong>de</strong>r<br />

herzustellen.<br />

Ein so früher Erfolg <strong>de</strong>r Prager Reformer hätte <strong>de</strong>n Anfang vom En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Warschauer<br />

Vertrages „<strong>die</strong>ses grundlegen<strong>de</strong>n Machtinstruments <strong>de</strong>r sowjetischen Hegemonie“ be<strong>de</strong>uten<br />

können, wie sich in <strong>de</strong>n 80er Jahren nach <strong>de</strong>n „polnischen Ereignissen“ bestätigen sollte. Der<br />

Erhalt <strong>die</strong>ser Allianz galt als eine „lebenswichtige Unerlässlichkeit“ und mithin als ein<br />

„unbezweifelbares Dogma“, dass selbst durch <strong>die</strong> For<strong>de</strong>rung und Gewährung bürgerlicher<br />

Freiheiten nicht in Frage gestellt wer<strong>de</strong>n durfte. Eine Liqui<strong>die</strong>rung <strong>die</strong>ses Paktes hätte in <strong>die</strong><br />

Auflösung <strong>de</strong>r Sowjetunion selbst mün<strong>de</strong>n müssen. Vor <strong>die</strong>se Situation sah sich, darauf meint<br />

Vaclav Havel hin, Michael Gorbatschow am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Supermacht hin. Ein zweites „Prag“<br />

und eine „polnische Situation“ durfte es nicht mehr geben, um seine Perestroika nicht zu<br />

verraten. (4)<br />

Macht durch Gewalt<br />

Im Sommer 68 freilich stellte sich <strong>die</strong> Frage <strong>de</strong>s sowjetischen Weltuntergangs noch nicht.<br />

Was in Ostberlin, Budapest und dann auch in Prag mit Panzerketten <strong>de</strong>monstriert wur<strong>de</strong>, hat<br />

Vaclav Havel bei seiner Beschreibung <strong>de</strong>r Diktatur <strong>de</strong>r politischen Bürokratie über eine<br />

nivellierte Gesellschaft auf <strong>die</strong> knappe Formulierung gebracht. Er spricht von <strong>de</strong>r<br />

verhältnismäßig kleinen Personengruppe, <strong>die</strong> in irgen<strong>de</strong>inem Land „durch Gewalt <strong>die</strong> Macht<br />

über <strong>die</strong> Mehrheit <strong>de</strong>r Gesellschaft eroberte“. Diese Gruppe stütze „ihre Macht offen auf<br />

direkte Machtinstrumente, über <strong>die</strong> sie verfügt“. Unabhängig davon, “ob sich so eine Diktatur<br />

durch <strong>die</strong>se o<strong>de</strong>r jene I<strong>de</strong>ologie legitimiert“ leite sie ihre Macht „vor allem von <strong>de</strong>r Anzahl<br />

und Ausrüstung ihrer Soldaten und Poliz<strong>ist</strong>en ab.“ (5)<br />

Havel, 1989 erster Staatspräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r „samtenen Revolution“ hervorgegangenen<br />

Tschechoslowakei, gehörte zu <strong>de</strong>n Worten <strong>de</strong>s IV. Schriftstellerkongresses im Juni 1967 in<br />

Prag. Die Intellektuellen verstan<strong>de</strong>n sich nicht als politische Revolutionäre, son<strong>de</strong>rn als<br />

kritische Stimme <strong>de</strong>r Zeit. Statt Machtapparat, <strong>de</strong>r sich in <strong>de</strong>r allgegenwärtigen Zensur<br />

ausdrückte, for<strong>de</strong>rten sie grundsätzliche Reformen. Das Regime hatte sich einbetoniert; seine<br />

einzige „Fähigkeit“ bestand in „Missachtung von Verfassungsrechten, Willkür, Unordnung<br />

und Inkompetenz von Seiten <strong>de</strong>s Staates.“ (6)<br />

Nach <strong>de</strong>m Scheitern <strong>de</strong>s „Prager Frühlings“ verstummten <strong>die</strong> Stimmen um Havel nicht. 1977<br />

fan<strong>de</strong>n sie sich in <strong>de</strong>r Bürgerrechtsgruppe „Charta 77“, eine Bezeichnung, <strong>die</strong> sie ihrem<br />

Manifest gaben, mit <strong>de</strong>m sie <strong>die</strong> Praktizierung <strong>de</strong>r Menschenrechte und bürgerlichen<br />

Freiheiten in <strong>de</strong>r CSSR for<strong>de</strong>rten, sich dabei auf Korb Drei <strong>de</strong>r Schlussakte <strong>de</strong>r Konferenz für<br />

Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) berufend, <strong>die</strong> am 1. August 1975 in<br />

Helsinki unterzeichnet wor<strong>de</strong>n war, von <strong>de</strong>n beteiligten Staaten <strong>de</strong>r Bündnisse von Ost und<br />

West.<br />

Alexan<strong>de</strong>r Dubcek hatte sieben Jahre nicht etwa eine Rückkehr zu vorkommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Verhältnissen in Staat und Gesellschaft geplant, son<strong>de</strong>rn allenfalls einen „Sozialismus mit<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XV.<br />

menschlichem Antlitz“ versprochen. Die „unabhängigen Initiativen“, von <strong>de</strong>nen Vaclav Havel<br />

spricht, mochten ihm <strong>de</strong>n Rücken gestärkt haben. Doch <strong>die</strong> Hartliner <strong>de</strong>s altkommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Stils ließen <strong>die</strong>sem Projekt keine Chance. Wer nach Reformen rief, galt als Dissi<strong>de</strong>nt.<br />

Verhaftung und Schauprozess, „bestenfalls“ <strong>die</strong> „Exkommunikation“ und Ausbürgerung war<br />

Regimekritikern sicher. Im August 1968 fällte <strong>de</strong>r Moskauer Vormund sein Urteil über <strong>die</strong><br />

Prager Abweichler, von <strong>de</strong>n stets in solchen Fällen beson<strong>de</strong>rs laut Beifall spen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Genossen in Ostberlin unterstützt.<br />

Ex-Generalmajor Stechbarth: „Das ZK <strong>de</strong>r KPC unter Alexan<strong>de</strong>r Dubcek wollte einen<br />

an<strong>de</strong>ren Weg beim Aufbau <strong>de</strong>s Sozialismus gehen, als <strong>die</strong> Sowjetunion und <strong>die</strong> benachbarten<br />

sozial<strong>ist</strong>ischen Staaten. Dieser Weg wur<strong>de</strong> aber von Moskau als gefährlich, <strong>de</strong>m Sozialismus<br />

abträglich verurteilt. (7)<br />

Selbst <strong>die</strong> Proteste kommun<strong>ist</strong>ischer Parteien im Westen (Österreich, Italien zum Beispiel)<br />

blieben wirkungslos; ebenso eine Resolution <strong>de</strong>s UN-Sicherheitsrates, <strong>die</strong> am Veto <strong>de</strong>r<br />

Sowjetunion und Ungarns scheiterte. Der Generalsekretär <strong>de</strong>r Vereinten Nationen, U Thant,<br />

<strong>de</strong>r noch zuvor offiziell von <strong>de</strong>r tschechoslowakischen Regierung eingela<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n war, am<br />

22. August in Prag eintreffen und am 23. August <strong>die</strong> Ehrendoktorwür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Karls-Universität<br />

empfangen sollte, <strong>de</strong>r „das Flugticket schon in <strong>de</strong>r Tasche hatte“, verzichtete auf seinen<br />

Besuch an <strong>de</strong>r Moldau und in Bratislava. (8)<br />

Wen<strong>de</strong>punkt Prag 68<br />

An <strong>de</strong>r „Zäsur“ von 1968 schei<strong>de</strong>n sich bis in unsere Zeit <strong>die</strong> Ge<strong>ist</strong>er, je nach <strong>de</strong>r<br />

Tiefenschärfe und Einfärbung <strong>de</strong>r Brille, durch <strong>die</strong> jene Ereignisse gesehen wer<strong>de</strong>n. Zu <strong>de</strong>n<br />

Unterzeichnern <strong>de</strong>s „Hilferufs“ an <strong>die</strong> Moskauer Genossen gehörte <strong>de</strong>r Slowake Vasil Bil´ak,<br />

ruthenischer Abstammung, ein gelernter Schnei<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r es zu führen<strong>de</strong>n Positionen in <strong>de</strong>r<br />

slowakischen und tschechoslowakischen kommun<strong>ist</strong>ischen Partei brachte. Für seine<br />

Sympathisanten gilt er auch heute noch als Reformer, <strong>de</strong>r nichts an<strong>de</strong>res wollte, als das Land<br />

aus einer schweren wirtschaftlichen Krise und einer Konfliktsituation <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n großen<br />

Ethnien, <strong>de</strong>r Tschechen und Slowaken, herauszuführen. Bil´ak sei es um <strong>die</strong> „<strong>de</strong>mokratische<br />

Erneuerung <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Gemeinschaft“ gegangen.<br />

Der „Prager Frühling“ war für <strong>die</strong>se Kritiker <strong>de</strong>r Reformpolitik Dubceks und Husaks eine<br />

„Überlebensfrage“ <strong>de</strong>s bisherigen Systems. Es sei um „Bestand o<strong>de</strong>r Untergang <strong>de</strong>r<br />

sozial<strong>ist</strong>ischen Gesellschaftsordnung in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei gegangen. Darüber hinaus<br />

werteten <strong>die</strong>se Interpreten <strong>de</strong>r Entwicklung im Nachbarland als einen „Teil <strong>de</strong>r<br />

Systemauseinan<strong>de</strong>rsetzung zwischen <strong>de</strong>m Sozialismus und <strong>de</strong>m Imperialismus“. Bil´ak habe<br />

bei allen Reformbemühungen <strong>die</strong> CSSR stets als „treuen Bündnispartner <strong>de</strong>r Sowjetunion“<br />

und „integralen Bestandteil <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Gemeinschaft“ betrachtet.<br />

Auf <strong>de</strong>m Schriftstellerkongress von 1967 probten <strong>die</strong> führen<strong>de</strong>n Köpfe (Liehm, Kohout,<br />

Kun<strong>de</strong>ra, Kosik, Vaculik und Procházka) nach <strong>die</strong>ser Lesart <strong>de</strong>n Aufstand. Insbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong><br />

Re<strong>de</strong> von Ludvik Vaculik, Chefredakteur von Literarni noviny, über das „Verhältnis<br />

zwischen Staatsbürger und Macht, zwischen Macht und Kultur“ sei eine „offene<br />

Kampfansage und gezielte Provokation“ gewesen.<br />

Auch an <strong>de</strong>r „Charta 77“ wird kein gutes Haar gelassen. Sie sei ein Sammelbecken und<br />

organisatorischer Zusammenschluss jener Kräfte gewesen, <strong>die</strong> schon als Akteure o<strong>de</strong>r stille<br />

Sympathisanten hinter <strong>de</strong>r „berüchtigten Re<strong>de</strong>“ Ludvik Vaculiks auf <strong>de</strong>m Schriftsteller<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XV.<br />

kongress von 1967 und <strong>de</strong>n von ihm verfassten 2000 Worten aus <strong>de</strong>m Jahr 1968 gestan<strong>de</strong>n<br />

hätten. - Gemeint <strong>ist</strong> das „Manifest <strong>de</strong>r 2000 Worte, auch überschrieben mit „Zwei Tausend<br />

Worte, <strong>die</strong> an Arbeiter, Landwirte, Beamte, Künstler und alle gerichtet sind“, angeregt von<br />

Angehörigen <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften und verfasst von Ludvik Vaculik,<br />

veröffentlicht in Liternarny l<strong>ist</strong>y und drei „liberalen“, nichtkommun<strong>ist</strong>ischen Tageszeitungen.<br />

Kern <strong>de</strong>s Inhalts: Fortsetzung <strong>de</strong>r Reformpolitik, Absage an reaktionäre Kräfte im In- und<br />

Ausland, Korrektur <strong>de</strong>r „Irrtümer <strong>de</strong>s Sozialismus“.<br />

Die Ursachen für <strong>die</strong> tschechoslowakische Krise waren, wie stets in solchen Fällen von <strong>de</strong>r<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Seite propagand<strong>ist</strong>isch aufgebaut, im Westen zu suchen. Vorrangige<br />

Zielscheibe: <strong>de</strong>r Imperialismus <strong>de</strong>r USA, in jenen Jahren an <strong>de</strong>r „Vietnam-Agression“ <strong>de</strong>r<br />

Amerikaner festgemacht. (Das Afghan<strong>ist</strong>an-Abenteuer Moskaus in <strong>de</strong>n 70er Jahren wird in<br />

<strong>de</strong>r Nachbetrachtung glatt vergessen.) Ein weiteres Argument, um <strong>de</strong>n Militärschlag gegen<br />

Prag zu rechtfertigen: Die Politik <strong>de</strong>s „Wan<strong>de</strong>ls durch Annäherung“, wie sie von <strong>de</strong>r<br />

Brandtschen Ostpolitik verfolgt wor<strong>de</strong>n sei. Ihr wird <strong>de</strong>r Versuch unterstellt, Moskauer<br />

Satelliten aus <strong>de</strong>m sozial<strong>ist</strong>ischen Verband, das heißt, aus <strong>de</strong>m Warschauer Vertrag<br />

herauszulösen und zu neutralisieren. Die Tschechoslowakei sei in jenen Jahren das<br />

„schwächste Glied“ gewesen. Welche Position hinter <strong>die</strong>sen Einschätzungen steht, wird aus<br />

<strong>de</strong>m Fazit ihres Verfassers <strong>de</strong>utlich: Sollte es sich 1968 nur um <strong>de</strong>n „Probelauf“ gehan<strong>de</strong>lt<br />

haben (bis zum militärischen Eingreifen Moskaus), dann sei „<strong>die</strong> Reaktion“ im Herbst 1989<br />

„erfolgreich“ gewesen. (9)<br />

Soweit in knappen Zügen <strong>de</strong>r politische Zeitrahmen, aus <strong>de</strong>m heraus <strong>die</strong> kirchliche Situation<br />

verständlich wird.<br />

1) Erich Bertleff: Mit blossen Hän<strong>de</strong>n. Der einsame Kampf <strong>de</strong>r Tschechen und Slowaken 1968. (S. 69) Verlag<br />

Fritz Mol<strong>de</strong>n. Wien-München-Zürich. o.J.<br />

2) „Ich bin schamhaft“. Ein Gespräch mit Vaclav Havel. Cicero Nr. 4/2007<br />

3) Horst Stechbarth: Soldat im Osten. Erinnerungen und Erlebnisse aus fünf Jahrzehnten. (S. 87). Herausgeber:<br />

KulturKunststatt Prora/NVA-Museum, Binz/Rügen. Verlag: Edition Stadt+Buch, 32609 Hüllhorst, Februar 2006<br />

4) „Ich bin schamhaft“ . Ein Gespräch mit Vaclav Havel. Cicero Nr. 4/2007<br />

5) Václav Havel: Versuch, in <strong>de</strong>r <strong>Wahrheit</strong> zu leben. Essay. Aus <strong>de</strong>m Tschechischen von Gabriel Laub.<br />

(Seite 10) Rowohlt Taschenbuch Verlag. Reinbek bei Hamburg. Mai 1989<br />

6) dto, Seite 7<br />

7) Horst Stechbarth: Soldat im Osten. (S. 87)<br />

8) Erich Berthleff: Mit blossen Hän<strong>de</strong>n. (S. 67)<br />

9) vgl. Buchbesprechung in <strong>de</strong>n Publikationen von Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Verban<strong>de</strong>s für Internationale Politik und<br />

Völkerrecht e. V. Berlin (VIP): Osteuropa/Tschechien. Kukuk, Klaus: „Nachbetrachtung“. in: Vasil Bilak: Wir<br />

riefen Moskau zu Hilfe. Der „Prager Frühling aus <strong>de</strong>r Sicht eines Beteiligten. (Verlag edition ost, 2006, heraus<br />

gegeben und übersetzt von Klaus Kukuk). http://www.vip-ev.<strong>de</strong>/text251.htm<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XVI.<br />

XVI. Was wusste Washington?<br />

Wie schon in <strong>de</strong>r Folge 15 angesprochen, dürften <strong>die</strong> westlichen Geheim<strong>die</strong>nste über <strong>die</strong><br />

Ereignisse in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei im Sommer 1968 weit gehend im voraus im Bil<strong>de</strong><br />

gewesen sein. Dies bestätigen Dokumente <strong>de</strong>s us-amerikanischen Auslandsnachrichten<br />

<strong>die</strong>nstes CIA , <strong>die</strong> – bis vor einem Jahr (2007) als „Top Secret“ eingestuft, inzwischen<br />

<strong>de</strong>klassifiziert und zur Veröffentlichung freigegeben wur<strong>de</strong>n. Die bei<strong>de</strong>n für <strong>die</strong>sen Beitrag<br />

herangezogenen Dossiers sind überschrieben: „Tschechoslowakei: Das Problem <strong>de</strong>r<br />

sowjetischen Kontrolle“ und „Politische Richtungen im sowjetischen Politbüro und <strong>die</strong><br />

Tschechische Krise.“ (1) In <strong>de</strong>n Analysen <strong>de</strong>r CIA-Auswerter wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Vorgeschichte, <strong>de</strong>r<br />

Ablauf und <strong>die</strong> erste Abschlussphase <strong>de</strong>r sowjetischen Invasion von 1968 dargelegt. Es<br />

han<strong>de</strong>lt sich um nachrichten<strong>die</strong>nstliche Expertisen im Interesse <strong>de</strong>r politischen Auftraggeber<br />

in Washington. Sie ver<strong>die</strong>nen Aufmerksamkeit, da sie einen Vergleich mit <strong>de</strong>n Informationen<br />

aus Quellen <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Seite erlauben. Mit <strong>de</strong>r „amerikanischen Linie“ dürften<br />

sich Auffassungen <strong>de</strong>cken, wie sie von kirchlichen Kreisen <strong>de</strong>r tschechischen Emigration in<br />

Rom vertreten wer<strong>de</strong>n.<br />

Zunächst <strong>de</strong>r Blick nach Moskau in <strong>de</strong>n 60er Jahren. Beschrieben wer<strong>de</strong>n divergieren<strong>de</strong><br />

Auffassungen eines „konservativen“ und eines „liberalen“ Flügels im Politbüro <strong>de</strong>r<br />

Kommun<strong>ist</strong>ischen Partei <strong>de</strong>r Sowjetunion (KPdSU). Die „kollektiven Führung“ nach <strong>de</strong>r Ära<br />

Chruschtschow zeigt Erosionen. Den Hardlinern, <strong>die</strong> eine orthodoxe, dogmatische,<br />

konservative Linie verfolgen stehen Politiker gegenüber, <strong>die</strong> sowohl nach innen wie nach<br />

außen eine mo<strong>de</strong>rate Politik vertreten. Als <strong>de</strong>ren Protagon<strong>ist</strong> gilt <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Min<strong>ist</strong>errates, Alexei N. Kossygin (Min<strong>ist</strong>erpräsi<strong>de</strong>nt von 1964-1980). Ein<br />

Wirtschaftsfachmann, <strong>de</strong>r sich stärker an <strong>de</strong>n ökonomischen Realitäten orientiert als an<br />

dogmatischen Positionen <strong>de</strong>r Sowjeti<strong>de</strong>ologie.<br />

Vorboten <strong>de</strong>s Prager Frühlings<br />

Selbstverständlich: <strong>die</strong> Amerikaner übersehen nicht <strong>die</strong> „Vorboten <strong>de</strong>s Prager Frühlings“, <strong>de</strong>n<br />

Verlauf <strong>de</strong>s 4. Kongresses <strong>de</strong>s von <strong>de</strong>r Partei kontrollierten Tschechoslowakischen Schrift<br />

stellerverban<strong>de</strong>s. Am Vortag <strong>de</strong>r eigentlichen Konferenz, am 26. Juni 67, hatte sich <strong>de</strong>r<br />

Parteisekretär für i<strong>de</strong>ologische Fragen, Jiri Hendrych, <strong>die</strong> Parteimitglie<strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>n Autoren<br />

vorgenommen. Mit seiner Eröffnungsre<strong>de</strong>, <strong>die</strong> mit Beschuldigungen, For<strong>de</strong>rungen und<br />

Androhungen gespickt waren, sollten <strong>die</strong> unbotmäßigen Genossen (u.a. Jan Procházka,<br />

Ludvik Vaculik, Antonin Liehm, Ivan Klima) auf Linie gebracht wer<strong>de</strong>n und damit <strong>die</strong><br />

nachfolgen<strong>de</strong>n Generalversammlung.<br />

Doch Jan Procházka, Kandidat <strong>de</strong>s Zentralkomitees und Leiter <strong>de</strong>r Gruppe <strong>de</strong>r<br />

Parteimitglie<strong>de</strong>r im Verband, und <strong>de</strong>r parteilose Vaclav Havel erwiesen sich als<br />

„Spielver<strong>de</strong>rber“ und trugen ihre Texte vom Versagen <strong>de</strong>r politischen Führung vor. Schluss<br />

sollte sein mit <strong>de</strong>r Willkür <strong>de</strong>s Machtapparates <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen Systems unter Antonin<br />

Novotny, und natürlich for<strong>de</strong>rten sie ein En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zensur. Ein Brief Alexan<strong>de</strong>r<br />

Solschenyzins, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Tagung verlesen wird, trifft in <strong>die</strong>selbe Kerbe. Hendrych schäumt<br />

und verlässt wütend <strong>de</strong>n Kongress. Die Entwicklung, <strong>die</strong> mit ersten Anzeichen einer<br />

Liberalisierung noch mehr erhoffen ließ, wenn sie <strong>de</strong>nn so weitergehen konnte, war nicht<br />

aufzuhalten. Alexan<strong>de</strong>r Dubcek, am 5. Januar 1968 vom ZK <strong>de</strong>r tschechoslowakischen KP als<br />

Nachfolger von Novotny zum Parteichef ernannt, (im März wird Novotny als Staatspräsi<strong>de</strong>nt<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XVI.<br />

von General Ludvik Svoboda ersetzt) kommt <strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Schriftsteller weitgehend<br />

nach. (Jan Procházka wird später verfemt und stirbt 1971 unter nicht ein<strong>de</strong>utigen Umstän<strong>de</strong>n<br />

im Alter von 41 Jahren.)<br />

Es folgte das „Manifest <strong>de</strong>r 2000 Worte“ vom 27. Juni 1968 (in <strong>de</strong>r CIA-Analyse allerdings<br />

mit wenigen Worten berücksichtigt.) 70 Persönlichkeiten hätten es unterschrieben, Intellek<br />

tuelle, Vertreter <strong>de</strong>s kulturellen und politischen Lebens. Es sei von einem Kommun<strong>ist</strong>en<br />

verfasst wor<strong>de</strong>n, sowie von an<strong>de</strong>ren Parteimit glie<strong>de</strong>rn und Personen, <strong>die</strong> parteilich nicht<br />

gebun<strong>de</strong>n waren. Allerdings stellt das CIA-Memorandum fest, <strong>die</strong>se Erklärung sei in <strong>de</strong>n<br />

Augen <strong>de</strong>r Konservativen in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei und <strong>de</strong>r Sowjet einem Aufruf zur<br />

Konterrevolution gleichgekommen.<br />

Mit <strong>de</strong>m Verfasser <strong>de</strong>s Manifests <strong>ist</strong> Ludvik Vaculik gemeint, einer <strong>de</strong>r wichtigsten Samisdat-<br />

Autoren jener Jahre. Er <strong>ist</strong>, wie <strong>die</strong> Mitunterzeichner <strong>de</strong>r „2000 Worte“ Pavel Kohout, Ivan<br />

Klima, Milan Kun<strong>de</strong>ra Mitglied <strong>de</strong>r KP. Vaclav Havel, parteilos, bejahte <strong>de</strong>n Mut <strong>de</strong>r Aktion,<br />

zeigt sich jedoch skeptisch wegen <strong>de</strong>r Wirkung. Er befürchtet darin eine Provokation <strong>de</strong>r<br />

Staatsmacht.<br />

Einige <strong>die</strong>ser Namen fin<strong>de</strong>n sich dann auch unter <strong>de</strong>r Petition gegen <strong>die</strong> Verletzung <strong>de</strong>r<br />

Menschenrechte in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei, <strong>de</strong>r „Charta 77“ und <strong>de</strong>r gleichnamigen<br />

Bürgerrechtbewegung. Auch <strong>de</strong>r heutige Weihbischof in Prag, Vaclav Maly, gehört zu <strong>de</strong>n<br />

Unterzeichnern. Sie alle galten mithin als Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Regimes und wur<strong>de</strong>n danach<br />

„behan<strong>de</strong>lt“.<br />

1968 - ein Annus horribilis<br />

Das Jahr 1968. Die Mächtigen in Washington und Moskau haben mehr mit sich selbst zu tun,<br />

als sich in gegenseitiger militärischer Kraftmeierei zu ergehen. Eine halbe Million US-<br />

Soldaten stehen in Vietnam. Martin Luther King wird ermor<strong>de</strong>t. Stu<strong>de</strong>nten-Unruhen von Los<br />

Angeles bis Paris, Bonn und Westberlin. In West<strong>de</strong>utschland wer<strong>de</strong>n Notstandgesetze<br />

beschlossen und in Kraft gesetzt. Hat <strong>die</strong> Welt noch einen Blick für das, was im August in<br />

Prag abläuft. In Paris vielleicht. Jean-Paul Sartre, André Glucksman und Raymond Aron<br />

setzten sich für verhaftete Dissi<strong>de</strong>nten in <strong>de</strong>r SU ein und für <strong>de</strong>n Prager Frühling.<br />

Mit <strong>de</strong>m Einmarsch in <strong>die</strong> Tschechoslowakei behielten <strong>die</strong> „Apparatschiki“ <strong>die</strong> Oberhand.<br />

Der 20. August 1968 gilt nach <strong>de</strong>r Bewertung <strong>de</strong>s amerikanischen Geheim<strong>die</strong>nstes als das<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Datum. Es <strong>ist</strong> <strong>de</strong>r Entschluss, <strong>de</strong>m „Hilferuf“ <strong>de</strong>r Prager Genossen zu<br />

entsprechen. Ein „Wen<strong>de</strong>punkt“ in <strong>de</strong>r Moskauer Bündnispolitik sei <strong>die</strong>s. Breschnew soll sich<br />

zunächst einer militärischen Eingreifen wi<strong>de</strong>rsetzt, dann aber sich <strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungen seiner<br />

Generäle gebeugt haben. Später begrün<strong>de</strong>t mit <strong>de</strong>r Formel, <strong>die</strong> zwar schon in früheren Jahren<br />

in Ostberlin und Budapest praktiziert wur<strong>de</strong>, nun aber als „Breschnew-Doktrin“ zum Dogma<br />

sozial<strong>ist</strong>ischer Doktrin erhoben wur<strong>de</strong>: Wer aus <strong>de</strong>r Reihe tanzt, muss von <strong>de</strong>n „Mitbrü<strong>de</strong>rn“<br />

zur Vernunft gebracht wer<strong>de</strong>n, und sei es mit <strong>de</strong>m Stock.<br />

Eine Schlüsselrolle spielte das Treffen <strong>de</strong>r Partei- und Regierungschefs, das bereits am 23.<br />

und 24. März 1968 in Dres<strong>de</strong>n stattgefun<strong>de</strong>n hatte. Aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r Teilnehmer ging von <strong>de</strong>r<br />

Entwicklung in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei Gefahr für das gesamte Bündnis aus, für <strong>die</strong> geostra<br />

tegische Konzeption gegenüber <strong>de</strong>r NATO und nicht zuletzt für <strong>die</strong> von <strong>de</strong>n Sowjetkommuni<br />

sten übernommenen bis in <strong>die</strong> Frühzeit <strong>de</strong>s Zarismus hinreichen<strong>de</strong>n großrussischen<br />

Ambitionen. Im Kreml spürten sie offenbar einen ersten Tremor, Anzeichen eines möglichen<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XVI.<br />

politischen Erdbebens, das <strong>die</strong> Landkarte <strong>de</strong>r Hegemonialmacht verän<strong>de</strong>rn, ja ausra<strong>die</strong>ren<br />

könnte. Äußerst nervös zeigten sich Vasallen wie Wladyslaw Gomulka und Walter Ulbricht.<br />

In Polen gärte es permanent in <strong>de</strong>r Arbeiterschaft. In <strong>de</strong>r DDR ging <strong>die</strong> Sorge um <strong>de</strong>n<br />

Bestand <strong>de</strong>s „ersten <strong>de</strong>utschen Arbeiter- und Bauernstaates“ um. Sollten <strong>die</strong> Tschechoslo<br />

wakei und in Folge auch Polen fallen, wür<strong>de</strong> <strong>die</strong> DDR isoliert vom „großen Bru<strong>de</strong>r“<br />

zwischen <strong>de</strong>n Blöcken stehen, mit ungewisser Zukunft. Die jeweiligen kirchlichen<br />

Verhältnisse im katholischen Polen, <strong>die</strong> Beziehungen zwischen <strong>de</strong>r römisch Papstkirche und<br />

<strong>de</strong>m Moskauer Russischen Orthodoxen Patriarchat, <strong>die</strong> katholische Min<strong>de</strong>rheit in <strong>de</strong>r DDR<br />

waren selbstverständlich von <strong>de</strong>r politischen Gemengelage betroffen. Vatikanische Diploma<br />

tie und <strong>die</strong> Politik <strong>de</strong>r Episkopate fan<strong>de</strong>n <strong>die</strong> höchste Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r Nachrichten<br />

<strong>die</strong>nste.<br />

Wie also wür<strong>de</strong> man gegen <strong>die</strong> Unruhe in einem Staat <strong>de</strong>s Warschauer Vertrages, <strong>de</strong>r im<br />

Westen unmittelbar an <strong>die</strong> NATO-Front grenzte, vorgehen? Sollte <strong>die</strong> „Loyal<strong>ist</strong>en“ in Prag<br />

und Pressburg angeregt wer<strong>de</strong>n, Provokationen auszulösen, <strong>die</strong> eine Intervention<br />

rechtfertigten, um das Regime <strong>de</strong>r „Revision<strong>ist</strong>en“ zu ersetzen, und sei es unter Anwendung<br />

militärischer Gewalt? Die Spitzen-Troika <strong>de</strong>r Hardliner im Kreml setzte sich schliesslich<br />

durch. Generalsekretär Leonid I. Breschnew, flankiert von KGB-Chef Jurij W. Andropow und<br />

Verteidigungsmin<strong>ist</strong>er Andrei A. Gretschko, <strong>de</strong>r schon „Erfahrungen“ bei <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rschlagung<br />

<strong>de</strong>s Volksaufstan<strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r DDR im Juni 1953 gesammelt hatte und <strong>die</strong><br />

Vorbereitung <strong>de</strong>s Einmarsches <strong>de</strong>r Warschauer Pakt-Truppen in <strong>die</strong> Tschechoslowakei im<br />

August 1968 koordinieren wür<strong>de</strong>.<br />

Kurz nach <strong>de</strong>r Dresdner Alarm-Konferenz mel<strong>de</strong>ten sich bulgarische Truppenkomman<strong>de</strong>ure<br />

zu Wort. Für Bulgarien sei <strong>die</strong> Stun<strong>de</strong> gekommen, im Rahmen <strong>de</strong>s Bündnisses „internationale<br />

Verpflichtungen“ zu übernehmen und gegen <strong>die</strong> „Konterrevolution“ in <strong>de</strong>r CSSR vorzugehen.<br />

Das Stichwort war also gegeben, <strong>die</strong> Vorbereitungen konnten anlaufen.<br />

Manöver „Sumawa“ - Kampftruppen marschbereit<br />

Vergleicht man <strong>die</strong> Darstellung <strong>de</strong>s ehemaligen DDR-Generals Stechbarth mit <strong>de</strong>n Unterlagen<br />

<strong>de</strong>s amerikanischen Geheim<strong>die</strong>nstes, dann verschieben sich <strong>die</strong> Akzente. Zwar han<strong>de</strong>lt es sich<br />

jeweils um <strong>de</strong>n Plan „Sumawa“, <strong>de</strong>r offiziell für <strong>de</strong>n 20. Juni angesetzt war. Doch stan<strong>de</strong>n<br />

nicht nur Stabseinheiten zur Verfügung, son<strong>de</strong>rn acht Kampfdivisionen, <strong>die</strong> in <strong>de</strong>r Zeit vom 6.<br />

bis 10. Mai an <strong>de</strong>n Grenzen zur Tschechoslowakei bereitgestellt wur<strong>de</strong>n. Die Operation sei<br />

klar als Tarnung inten<strong>die</strong>rt gewesen, um eine sowjetische Militärpräsenz in <strong>de</strong>r CSSR zu<br />

etablieren, schlussfolgert <strong>die</strong> Analyse <strong>de</strong>r CIA. Allein massive Einwän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Prager Führung<br />

und <strong>die</strong> möglichen Folgen eines weltweiten negativen Echos hätten von einer sofortigen<br />

Durchführung <strong>de</strong>r Invasion abgehalten. Wohl sollten auch <strong>die</strong> Verhandlungen <strong>de</strong>r<br />

sowjetischen Parteiführung mit <strong>de</strong>n Genossen <strong>de</strong>r tschechoslowakischen KPC, <strong>die</strong> nach<br />

Cierna an <strong>de</strong>r Theiß und Bratislava befohlen wur<strong>de</strong>, (also nicht in Prag), wohl nicht im<br />

Angesicht von Bajonetten und Panzern zur „Einsicht“ gebracht wer<strong>de</strong>n.<br />

Tatsächlich wur<strong>de</strong> das Manöver „Sumawa“ nicht ausgesetzt son<strong>de</strong>rn zunächst an <strong>de</strong>n Grenzen<br />

<strong>de</strong>r Tschechoslowakei von Mitte Juli bis Mitte August fortgeführt. Es bedurfte dann nur noch<br />

<strong>de</strong>s Befehls zum Grenzübertritt. In einer Geheimre<strong>de</strong>, am 19. Dezember 1968 vor führen<strong>de</strong>n<br />

Parteika<strong>de</strong>rn gehalten, hat <strong>de</strong>r „Reformkommun<strong>ist</strong>“ Bil´ak dann seine Sicht <strong>de</strong>r Lage vor <strong>de</strong>r<br />

Invasion erklärt: „Wenn wir unsere Verpflichtungen nicht erfüllen, wer<strong>de</strong>n uns <strong>die</strong> Sowjets<br />

besetzen.“ Genaues habe er natürlich nicht gewusst, beteuerte <strong>de</strong>r Sekretär <strong>de</strong>s Zentralkomi-<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XVI.<br />

tees. Aber eine solche Einschätzung sei nicht schwierig gewesen. Folglich unterschrieb auch<br />

Bil´ak <strong>de</strong>n „Hilferuf“ an <strong>de</strong>n großen Bru<strong>de</strong>r in Moskau.<br />

Es sei jedoch darauf verzichtet, <strong>die</strong> Aktion bis zu ihrem „logischen Schlusspunkt“<br />

durchzuführen, das heißt <strong>die</strong> vollständige Vernichtung eines zu Reformen fähigen Regimes,<br />

son<strong>de</strong>rn nur personelle Ablösung an <strong>de</strong>r Spitze. Auch ein zuverlässiger Parteigänger Moskaus,<br />

wie Bil´ak hatte sich schließlich für Korrekturen ausgesprochen. Selbst <strong>die</strong> Gewährung<br />

mancher „Freiheiten“ sei Moskau bereit gewesen in Kauf zu nehmen, solange es gelinge, <strong>die</strong><br />

CSSR an <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>r Sowjetunion zu bin<strong>de</strong>n, das heißt <strong>die</strong> Moskauer Suprematie nicht in<br />

Frage zu stellen. Um <strong>die</strong>s zu erreichen wur<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>re Metho<strong>de</strong>n eingesetzt: <strong>die</strong> <strong>de</strong>r<br />

Demoralisierung und Einschüchterung <strong>de</strong>r so genannten liberalen Kräfte und Maßnahmen, um<br />

<strong>de</strong>n neuen Führungska<strong>de</strong>rn „<strong>die</strong> Augen zu öffnen“. Die Anwesenheit <strong>de</strong>r Besatzungstruppen<br />

sollten für <strong>de</strong>n notwendigen Druck, „massive Hebelwirkung“, sorgen.<br />

Die Taktik ging zunächst auf: Wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong> „Konsulationen“ durch <strong>de</strong>n Besuch<br />

sowjetischer Delegationen in Prag. Und wo das „Gespräch“ nicht „überzeugte“ lag <strong>de</strong>r<br />

„Knüppel“ bereit, im Klartext: „Bearbeitung“ renitenter Politiker und Bürgerrechtler durch<br />

das sowjetische Komitee für Staatssicherheit KGB. Zu <strong>de</strong>n operativen Maßnahmen gehörten<br />

auch an<strong>de</strong>re bekannte Mittel, zum Beispiel Desinformationen in Umlauf zu bringen, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

Betreffen<strong>de</strong>n innerhalb <strong>de</strong>r Partei isolieren und in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit diskriminieren sollten.<br />

Und schließlich bewahrheitete sich einmal mehr <strong>die</strong> Re<strong>de</strong>wendung: „Nach <strong>de</strong>r Okkupation<br />

folgen <strong>die</strong> Kollaborateure“. Es brauchte nicht lange, bis sich <strong>die</strong> Denunzianten und<br />

Kollaborateure <strong>de</strong>r neuen Staatsmacht zur Verfügung stellten.<br />

Für <strong>die</strong> Kirche blieben <strong>die</strong> vier Jahre bis zu <strong>de</strong>n Dubcek-Monaten. wie für <strong>die</strong> Gesellschaft<br />

allgemein, eine Illusion. Kaum mehr als eine Atempause. Mit <strong>de</strong>r Invasion kehrte <strong>de</strong>r alte<br />

Repressionsapparat zurück, <strong>die</strong> erhoffte Religionsfreiheit erstarb unter <strong>de</strong>m Druck <strong>de</strong>r<br />

Staatsmacht und seiner Sicherheitsorgane. Vom Bischof bis zum Gemein<strong>de</strong>pfarrer wur<strong>de</strong>n<br />

wie<strong>de</strong>r Akten angelegt. Die untergegangene Frie<strong>de</strong>nspriesterbewegung wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Partei<br />

wie<strong>de</strong>r ins Leben zurückgerufen, als Kontrollinstrument unter <strong>de</strong>r irreführen<strong>de</strong>n Bezeichnung<br />

„Pacem in terris“. Mancher Kleriker trat ihr bei, wohl wissend, welchem Zweckverband er<br />

<strong>die</strong>nte, doch in <strong>de</strong>r vagen Hoffnung, sich auf <strong>die</strong>se Weise eine Kleinigkeit an Freiheit für<br />

seine Seelsorge-Arbeit einzuhan<strong>de</strong>ln.<br />

Während <strong>die</strong>ser zweiten Sowjetisierungswelle nach <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rschlagung <strong>de</strong>s Prager Frühling.<br />

setzt <strong>de</strong>r Slowake Gustav Husak <strong>die</strong> von Moskau gefor<strong>de</strong>rte „Normalisierung“ durch. Sie <strong>ist</strong><br />

eine <strong>de</strong>r längsten Perio<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Unterdrückung von Wissenschaft und Kultur in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen<br />

tschechischen Geschichte, <strong>die</strong> vor allem <strong>de</strong>n tschechischen Lan<strong>de</strong>steil betrifft. (2)<br />

Sie verstummten nicht<br />

1975 schreibt Havel einen „Brief an Dr. Gustav Husak“. Er spricht von <strong>de</strong>r „absoluten<br />

Tiefen<strong>de</strong>moralisierung“, von jenem „Leben in Lüge“, das <strong>die</strong> tiefe Krise <strong>de</strong>r menschlichen<br />

I<strong>de</strong>ntität und <strong>de</strong>r Gesellschaft markiert. Das System stütze, ja vertiefe <strong>die</strong>se<br />

Demoralisierung, <strong>die</strong> <strong>de</strong>m Menschen <strong>die</strong> Eigenverantwortung nehme.<br />

Am 1. Januar 1977 unterzeichnen <strong>die</strong> ersten 242 Anhänger <strong>de</strong>r neuen (alten)<br />

Bürgerrechtsbewegung <strong>die</strong> „Charta 77“ <strong>de</strong>r Menschenrechte. (Bis 1990 wer<strong>de</strong>n es 1800<br />

Unterschriften sein.) Am 6. Januar wollen sie ihre For<strong>de</strong>rungen auch <strong>de</strong>r Fö<strong>de</strong>ralversamm<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XVI.<br />

lung, <strong>de</strong>r Regierung und <strong>de</strong>r staatlichen Nachrichtenagentur CTK übermitteln. Die <strong>ist</strong> <strong>de</strong>r<br />

Moment, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Staatssicherheits<strong>die</strong>nst StB zugreift. Bei einer Hausdurchsuchung an<br />

<strong>die</strong>sem Tag fallen <strong>de</strong>r Geheimpolizei <strong>die</strong> Unterlagen mit <strong>de</strong>n Originalunterschriften in <strong>die</strong><br />

Hän<strong>de</strong>. Sie wer<strong>de</strong>n sichergestellt, um sie gegebenenfalls für einen späteren Prozess als<br />

Beweismittel vorlegen zu können. Die „Kärtchen“, auf <strong>de</strong>nen <strong>die</strong> Namen und Originalunter<br />

schriften verzeichnet sind, wer<strong>de</strong>n viele Jahre später nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong>, bei <strong>de</strong>r Aufarbeitung<br />

<strong>de</strong>r Stasi-Dokumente, im Archiv <strong>de</strong>s StB vorgefun<strong>de</strong>n. (4)<br />

Was <strong>die</strong> Staatssicherheit nicht verhin<strong>de</strong>rn konnte: Am 7. Januar erscheint <strong>de</strong>r Aufruf in <strong>de</strong>n<br />

großen westlichen Tageszeitungen, Frankfurter FAZ, <strong>de</strong>r Londoner Times und Pariser Le<br />

Mon<strong>de</strong>. Die Stasi spricht von Verrat. Am 14. Januar wird Vaclav Havel verhaftet, anschlies<br />

send folgt <strong>de</strong>r Schlag gegen alle „Chart<strong>ist</strong>en“. Sie vertreten ein breites gesellschaftliches und<br />

politisches Spektrum: frühere Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r KP, ausgeschlossen o<strong>de</strong>r ausgetreten. Auch<br />

bekennen<strong>de</strong> Chr<strong>ist</strong>en beteiligen sich an <strong>de</strong>r Charta.<br />

Einer <strong>de</strong>r herausragen<strong>de</strong>n Namen: Vaclav Benda. Er ver<strong>die</strong>nt seinen Unterhalt als<br />

Mathematiker, neigt privat aber zur Philosophie. 1978 veröffentlicht er seine Schrift<br />

„Parallel Polis“. Er spricht sich dafür aus, eine Parallel-Struktur gegenüber <strong>de</strong>m <strong>de</strong>formierten<br />

System <strong>de</strong>s Kommunismus zu errichten, um <strong>die</strong>ses eines Tages ablösen zu können.<br />

Ein gewisses Muster fin<strong>de</strong>t Benda im Kulturleben <strong>de</strong>r Tschechslowakei, wie es sich in <strong>de</strong>n<br />

Autoren-Theatern (autorské divadla) abzeichnet und im Club <strong>de</strong>r unabhängigen Schriftsteller<br />

artikuliert wird. Bendas Vision <strong>ist</strong> von religiösem Gedankengut beeinflusst. Er orientiert sich<br />

an <strong>de</strong>n ethischen Normen, wie sie – <strong>de</strong>r Apostelgeschichte folgend – <strong>die</strong> Verantwortlichkeiten<br />

und Eigentumsverhältnisse in <strong>de</strong>n Brü<strong>de</strong>rgemein<strong>de</strong>n regelten. Der Staat antwortet mit<br />

Inhaftierung und Isolierung von seinen Freun<strong>de</strong>n. Benda selbst setzt sich nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> im<br />

Rahmen <strong>de</strong>s 1995 gegrün<strong>de</strong>ten Amtes für Dokumentation und Untersuchung <strong>de</strong>r<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Verbrechen UDV für eine unnachgiebige Auf<strong>de</strong>ckung von Tätern und<br />

Tagen ein, gegen alle politische und jur<strong>ist</strong>ischen Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong>.<br />

Politisch gerät Benda zunehmend in ein rechtes Spektrum, wohl durch seinen scharfen<br />

Antikommunismus dort hin getragen. Bis zu seinem überraschen<strong>de</strong>n Tod im Jahr 1999 hält er<br />

einen Sitz im Senat <strong>de</strong>s neuen <strong>de</strong>mokratischen Parlaments<br />

Der Prozess <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rung nimmt bis Herbst 1989 an Dynamik zu, in <strong>die</strong> so genannte<br />

„samtene Revolution“ mün<strong>de</strong>nd. Der Klimawechsel in Gorbatschows Sowjetunion <strong>de</strong>r<br />

Perestroika überträgt sich auf <strong>die</strong> CSSR. Was bringt <strong>die</strong> politische Wen<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Kirche?<br />

Zunächst: sie erhält ihren Freiraum zurück. Bei einer „Flurbegehung“ zeigt sich allerdings:<br />

weite Teile <strong>de</strong>r Gesellschaft leben in einer „Glaubenswüste“, <strong>de</strong>n Verhältnissen in <strong>de</strong>r<br />

ehemaligen DDR nicht unähnlich. Die Sorgen um <strong>die</strong> Zukunft legen sich schwer auch auf <strong>die</strong><br />

Vergangenheit; zuviel Beschäftigung mit <strong>de</strong>m Gestern, verbun<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Auf<strong>de</strong>cken<br />

eigenen Versagens, scheint manche eher hin<strong>de</strong>rlich zu sein.<br />

Ein Fazit <strong>die</strong>ser Jahre: Im Erzbischöflichen Palais in Prag wird man <strong>die</strong> Blütenträume <strong>de</strong>s<br />

Prager Frühlings, <strong>de</strong>r Versuch, „Sozialismus und Demokratie zu versöhnen“, wohl eher mit<br />

gemischten Gefühlen begleitet haben. Ein solcher Euphemismus wur<strong>de</strong> allein schon durch <strong>die</strong><br />

Erfahrungen im sozial<strong>ist</strong>ischen Alltag ad absurdum geführt. Vielleicht wür<strong>de</strong> sich ein<br />

Silberstreif am Horizont abzeichnen, eine gewisse Entspannung im Verhältnis zum Staat <strong>de</strong>m<br />

Auf und Ab in <strong>de</strong>n Jahren <strong>de</strong>s Stalinismus und <strong>de</strong>r „Entstalinisierung“ ein En<strong>de</strong> setzen – aber<br />

nie ohne ein En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Überwachung durch <strong>die</strong> Staatssicherheit. Aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r Ortskirche<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XVI.<br />

mochten sich <strong>die</strong> Konturen <strong>die</strong>ser Beziehungen schärfer darstellen als aus vatikanischer<br />

Perspektive. Die „unabhängigen Initiativen“ <strong>de</strong>r Schriftsteller um Vaclav Havel stießen in<br />

kirchlichen Kreisen <strong>de</strong>r tschechischen Emigration, wie eingangs erwähnt, auf eine gewisse<br />

Reserve, wenn man einem Prälaten aus <strong>de</strong>m Umfeld <strong>de</strong>s Staatssekretariats glauben mag. „Das<br />

waren nicht unsere Leute“, bemerkt er in einem Hintergrundgespräch. .<br />

Soweit <strong>de</strong>r kurze Ausflug in <strong>die</strong> politische Landschaft jener Jahre, <strong>de</strong>ren Topographie auch<br />

<strong>die</strong> Situation <strong>de</strong>r Kirche beschreibt. In <strong>de</strong>n kommen<strong>de</strong>n Folgen stehen wie<strong>de</strong>r<br />

Einzelschicksale im Vor<strong>de</strong>rgrund, sowie <strong>die</strong> Dokumentation <strong>de</strong>r Verhältnisse auf <strong>de</strong>r<br />

Grundlage von Unterlagen aus <strong>de</strong>m Bestand <strong>de</strong>s Min<strong>ist</strong>eriums für Staatssicherheit <strong>de</strong>r<br />

ehemaligen DDR.<br />

1) Intelligence Memorandum. Czechoslovakia: The Problem of Soviet Control. (Reference Title: ESAU XLIV).<br />

Central Intelligence Agency, Directorate of Intelligence, 16. Januar 1970. Approved for Release. Date: Mai<br />

2007. - Intelligence Report. Politics in the Soviet Politburo and the Czech Crisis. (Reference Title: CAESAR<br />

XXXIII). Central Intelligence Agency. Directorate of Intelligence. 28. October 1968. RSS No. 0032/68. Approved<br />

for Release. Date: JUN 2007.<br />

2) Weiterführen<strong>de</strong> Stu<strong>die</strong>n, <strong>die</strong> Zusammenhänge erschließen, <strong>die</strong> auch über das Internet angeboten wer<strong>de</strong>n: a)<br />

Jan Pauer: Die Aufarbeitung <strong>de</strong>r Diktaturen in Tschechien und <strong>de</strong>r Slowakei. In: Das Parlament, Jahrgang<br />

2006, Ausgabe 42, mit <strong>de</strong>r Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte.“ b) Eugenie Trützschler: Ausge<strong>die</strong>nte<br />

Hel<strong>de</strong>n. Politische Integration und Partizipation ehemaliger Dissi<strong>de</strong>nten und Bürgerrechtler im <strong>de</strong>utschtschechischen<br />

Vergleich. (ergänzte und aktualisierte Fassung <strong>de</strong>s gleichnamigen Beitrages in: Weigl, Michael<br />

(Hrsg.): Folgenlose Nachbarschaft? Spuren <strong>de</strong>r DDR-Außenpolitik in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utsch-tschechischen Beziehungen.<br />

Münster u.a. 2006, S. 85-102).<br />

3) Václav Havel: Versuch, in <strong>de</strong>r <strong>Wahrheit</strong> zu leben. RoRoRo. Reinbek bei Hamburg. 1980. Tschechisches<br />

Original 1978.<br />

4) Radio Prag v. 6. 1. 2007 30 Jahre später.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XVII.<br />

XVII. Öffentliche Sühne?<br />

Mit <strong>de</strong>r Verfolgung von Religion und Kirche durch das kommun<strong>ist</strong>ische Regime in <strong>de</strong>r<br />

ehemaligen Tschechoslowakei von 1948 bis 1989 befasst sich auch <strong>die</strong>se Folge <strong>de</strong>r Artikel-<br />

Serie. Vorab jedoch ein aktueller Vorgang aus einem an<strong>de</strong>ren Land <strong>de</strong>s untergegangenen<br />

Imperiums <strong>de</strong>r „sozial<strong>ist</strong>ischen Sicherheitsorgane“.<br />

Im „Kulturbetrieb“ Rumäniens brach En<strong>de</strong> Juli 2008 eine Kontroverse über <strong>die</strong> Frage, wie mit<br />

Spitzeln <strong>de</strong>s ehemaligen Geheim<strong>die</strong>nstes „Securitate“ umgegangen wer<strong>de</strong>n soll. Die<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzung entzün<strong>de</strong>te sich an <strong>de</strong>r Kritik <strong>de</strong>r in Berlin leben<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschrumänischen<br />

Schriftstellerin Herta Müller, <strong>die</strong> Leitung <strong>de</strong>s rumänischen Kulturinstituts ICR<br />

betreffend. Nach <strong>Mein</strong>ung <strong>de</strong>r Autorin hatte sich das Bukarester Kulturinstitut gegenüber<br />

einem German<strong>ist</strong>en und einem H<strong>ist</strong>oriker zu nachsichtig verhalten. Der H<strong>ist</strong>oriker hatte im<br />

Jahre 2006 seine Stasi-Mitarbeit eingeräumt, aber versichert, „nieman<strong>de</strong>m gescha<strong>de</strong>t zu<br />

haben“. Der German<strong>ist</strong>, ein Her<strong>de</strong>rpre<strong>ist</strong>räger, sei 2007 von <strong>de</strong>r rumänischen Behör<strong>de</strong> zur<br />

Aufarbeitung <strong>de</strong>r „Securitate“-Akten enttarnt wor<strong>de</strong>n, schreibt <strong>die</strong> <strong>de</strong>utsche Nachrichten-<br />

Agentur dpa. (1)<br />

In Rumänien gibt es nach Angaben <strong>de</strong>s Leiters <strong>de</strong>s ICR kein Gesetz, das „ehemaligen<br />

Helfern“ <strong>de</strong>r Staatssicherheit „öffentliche Sühne“ auferlege; <strong>de</strong>ren Informantentätigkeit sei<br />

„strafrechtlich nicht zu fassen.“ Wie aber dann mit ihnen umgehen? Sollen ihre Rechte<br />

eingeschränkt wer<strong>de</strong>n? Soll man sie isolieren? Ob man sie zu „niedrigen Diensten“<br />

verurteilen soll, fragt <strong>de</strong>r Kultur-Chef. Es <strong>ist</strong> nicht Ziel <strong>die</strong>ser Berichts-Serie, sich an <strong>die</strong>ser<br />

Polemik zu beteiligen. Gleichwohl darf gefragt wer<strong>de</strong>n, warum <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n Herren so lange<br />

brauchten, um sich zu <strong>die</strong>sem Teil ihrer Vergangenheit zu bekennen.<br />

Zurück zur ehemaligen CSSR. Wie sich <strong>die</strong> „Vergangenheit“ aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r Opfer von<br />

Denunziantentum und Stasi-Metho<strong>de</strong>n darstellt, mögen Geheim<strong>die</strong>nst-Akten und Aussagen<br />

von Zeitzeugen erhellen. Dabei liefern <strong>die</strong> Ergebnisse spezieller Untersuchungsbehör<strong>de</strong>n, <strong>die</strong><br />

sich mit <strong>de</strong>n Stasi-Unterlagen abmühen, in Ergänzung zu <strong>de</strong>n eigenen Recherchen, wichtige<br />

Aufschlüsse.<br />

Securitas Imperii – Erinnerung an das Böse<br />

Schon kurz nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong> begann eine <strong>de</strong>m neuen Innenmin<strong>ist</strong>erium unterstellte<br />

Son<strong>de</strong>rbehör<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r Auswertung <strong>de</strong>r vom Staatssicherheits<strong>die</strong>nst StB hinterlassenen<br />

Akten. Die Ergebnisse sind inzwischen sowohl in Veröffentlichungen <strong>de</strong>s Archivs <strong>de</strong>s<br />

Innenmin<strong>ist</strong>eriums wie in Stu<strong>die</strong>n <strong>de</strong>s tschechischen Amtes für <strong>die</strong> Dokumentation <strong>de</strong>r<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Verbrechen UDV veröffentlicht wor<strong>de</strong>n, als Sammelwerk unter <strong>de</strong>m Titel<br />

„Securitas Imperii“ – „Staatssicherheit“.<br />

Die Untersuchungen beginnen nicht erst mit <strong>de</strong>m Staatsstreich von 1948, son<strong>de</strong>rn greifen in<br />

<strong>die</strong> Vorgeschichte zurück. Sie beschäftigen sich beispielsweise mit <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>s<br />

sowjetischen NKWD im Protektorat Böhmen und Mähren ab Anfang <strong>de</strong>r 40er Jahre bis zum<br />

En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zweiten Weltkriege und mit Aktivitäten <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Abwehr im Kaukasus nach<br />

<strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Angriff auf <strong>die</strong> Sowjetunion. So wer<strong>de</strong>n „<strong>die</strong> Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r tschechoslo<br />

wakischen kommun<strong>ist</strong>ischen Geheimpolizei“ <strong>de</strong>r Öffentlichkeit bekannt gemacht und „<strong>die</strong><br />

Verbindung <strong>de</strong>r Partei- und Sicherheitsarbeit“ im letzten Jahr <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Macht in<br />

<strong>de</strong>r Tschechoslowakei“ (<strong>die</strong> Aktion „Keil“ auf Parteiebene) erhellt. Dieser Teil <strong>de</strong>r<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XVII.<br />

Aufarbeitung <strong>de</strong>r Stasi-Vergangenheit in unserem Nachbarland berührt <strong>de</strong>n kirchlichen<br />

Aspekt zwar nur indirekt, gehört aber zur Beantwortung <strong>de</strong>r Frage wie und warum <strong>die</strong><br />

Religionsgemeinschaften in <strong>die</strong> (nicht überraschen<strong>de</strong>) i<strong>de</strong>ologische Konfrontation mit <strong>de</strong>m<br />

System <strong>de</strong>s dialektischen Materialismus gerieten und einer (in seiner Rücksichtslosigkeit<br />

allerdings nicht erwarteten) Glaubensverfolgung zum Opfer fielen (2)<br />

Mit Fotoapparat und Geheimtinte<br />

Die ersten Ergebnisse zeigten klar auf, mit welcher Präzision das kommun<strong>ist</strong>ische Regimes<br />

vom Tag seiner Machtübernahme an das Land mit einem engmaschigen Netz <strong>de</strong>r Kontrolle<br />

überzog, wobei <strong>de</strong>n Sicherheitsorganen <strong>die</strong> Aufgabe zufiel, nicht nur ein dichtes<br />

Spitzelsystem aufzubauen, son<strong>de</strong>rn auch mit operativen Maßnahmen gegen missliebige, zu<br />

Fein<strong>de</strong>n von Staat und Gesellschaft erklärten Bürgern vorzugehen „Personen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> innere<br />

Ordnung und <strong>die</strong> Sicherheit <strong>de</strong>s Staates bedrohten zu internieren.“ Der katholische Klerus,<br />

Diözesange<strong>ist</strong>liche wie Angehörige <strong>de</strong>r religiösen Or<strong>de</strong>n, aber auch aktive katholische Laien<br />

stan<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>n L<strong>ist</strong>en <strong>de</strong>r Stasi.<br />

Ein weiteres vorrangiges Ziel <strong>de</strong>r „Aufklärung“ und „Bekämpfung“ waren Emigranten-<br />

Organisationen im westlichen Ausland. Als Beispiel wird im zweiten Sammelband ein Agent<br />

<strong>de</strong>s StB vorgestellt, <strong>de</strong>r als ein „guter Lockvogel und ein qualifizierter Desinformator“ <strong>de</strong>m<br />

„Erkundungs<strong>die</strong>nst“ zugeteilt wor<strong>de</strong>n sei. Im September 1949 sei <strong>die</strong>ser nach Paris geschickt<br />

wor<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Aufgabe, „das Exil zu zerlegen“ und <strong>de</strong>ssen Verbindung mit <strong>de</strong>r Heimat zu<br />

kontrollieren. Ausgestattet „mit einem Fotoapparat und einer Geheimtinte“ habe <strong>die</strong>ser<br />

„offensive Nachrichtenagent“ laut Bewertung <strong>de</strong>s StB „17 illegale Gruppen ent<strong>de</strong>ckt. 700<br />

Personen seien dank „seiner Hilfe“ ins Gefängnis gekommen und 15 Menschen hingerichtet<br />

wor<strong>de</strong>n.<br />

Ferner wird in <strong>die</strong>ser UDV-Untersuchung eine Gesamtübersicht <strong>de</strong>r Typologie bei <strong>de</strong>r<br />

Anlage <strong>de</strong>r Dokumente über <strong>die</strong> verschie<strong>de</strong>nen Stufen und Maßnahmen <strong>de</strong>r operativen<br />

Vorgänge erstellt. Bereits anfangs <strong>de</strong>r 60er Jahre lag ein klar strukturiertes und streng<br />

geregeltes System vor, entwickelt auf <strong>de</strong>r Grundlage „<strong>de</strong>r sowjetischen Erfahrungen“. Die<br />

Einteilung <strong>de</strong>r „nachrichten<strong>die</strong>nstlichen Informations-Akten“ unterschied in auf Personen<br />

bezogene Akten; auf „Objekt-Akten“, <strong>die</strong> eine Aktion, eine Operation o<strong>de</strong>r ein Objekt zum<br />

Inhalt hatten; hinzu kamen „Signalakten“, <strong>die</strong> eine überprüfte Erkenntnis betrafen, „<strong>die</strong><br />

Gegenstand <strong>de</strong>s Interesses war“ sowie „Verfolgungsakten“, <strong>die</strong> finale Phase <strong>de</strong>r Stasi-<br />

Operation. Im System, das <strong>de</strong>n Menschen <strong>de</strong>n Himmel auf Er<strong>de</strong>n versprach, herrschte eine<br />

exakt auf <strong>die</strong> Staatsmacht getrimmte Bürokratie. Der Typ <strong>de</strong>s Schreibtisch-Täters, in an<strong>de</strong>rem<br />

Zusammenhang in furchtbarer Erinnerung, funktionierte weiter.<br />

Der Schematismus <strong>de</strong>r einzelnen Dienststellen <strong>de</strong>s Staatsicherheits<strong>die</strong>nstes wechselte in <strong>de</strong>n<br />

52 Jahren seines Bestehens ständig. Die nachträgliche Ausarbeitung <strong>de</strong>r Amtsverzeichnisse<br />

und Verteilungspläne wür<strong>de</strong> an <strong>die</strong>ser Stelle zu weit führen. Festzuhalten bleibt, wie <strong>die</strong><br />

verschie<strong>de</strong>nen Einheiten <strong>de</strong>s StB <strong>die</strong> chr<strong>ist</strong>lichen Kirchen, <strong>die</strong> jüdischen Gemein<strong>de</strong>n, Sekten<br />

und an<strong>de</strong>re als „feindlich“ abgestempelte Gruppierungen verfolgten, sowohl im Inland, wie in<br />

<strong>de</strong>r Emigration. Schwerpunkte <strong>de</strong>s Exils galten als „I<strong>de</strong>ozentren“, also Zentren <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ologie.<br />

Dazu zählte auch <strong>de</strong>r Vatikan als ein Objekt von beson<strong>de</strong>rem Gewicht. Über Umfang und<br />

Qualität <strong>de</strong>r Ausforschung <strong>de</strong>r römischen Kurienbehör<strong>de</strong>n und sowie religiösen Institute und<br />

Or<strong>de</strong>nszentralen in Rom und Italien durch <strong>die</strong> „sozial<strong>ist</strong>ischen Sicherheitsorgane“, in <strong>die</strong>sem<br />

Fall <strong>de</strong>r tschechoslowakischen, dürfte <strong>die</strong> Kirchenzentrale inzwischen weitgehend informiert<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XVII.<br />

sein. Innenmin<strong>ist</strong>er Zacher soll <strong>de</strong>m Heiligen Stuhl, d.h. <strong>de</strong>m Staatssekretariat, entsprechen<strong>de</strong>s<br />

Material übermittelt haben. Über Art und Inhalt wur<strong>de</strong> allerdings nichts bekannt.<br />

Problematische Aufarbeitung<br />

Als Beispiel einer flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong>n Dokumentation über <strong>die</strong> Stasi-Verflechtung von<br />

Priestern wer<strong>de</strong>n auf <strong>die</strong> nordböhmische Diözese Litomerice (Leitmeritz) bezogene<br />

Untersuchungsergebnisse <strong>de</strong>r UDV vorgelegt. Von mehr als zwei Dritteln <strong>de</strong>r 160<br />

Ge<strong>ist</strong>lichen, <strong>die</strong> mit Stand vom 1. Januar 1989 in <strong>de</strong>r Diözese wirkten, hatte <strong>die</strong> Stasi<br />

personenbezogene Akten angelegt. Bei näherem Hinsehen wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich: Nicht alle waren<br />

aktive Kollaborateure, doch immerhin hatte je<strong>de</strong>r Fünfte <strong>de</strong>r Erfassten unmittelbare Kontakte,<br />

was allerdings allein noch keine qualifizierbare Aussage über das Ausmaß und <strong>die</strong> Wirkung<br />

ihrer „Tätigkeit“ erbringt.<br />

In Prag, wie in Warschau o<strong>de</strong>r Budapest und auch in Berlin, sehen sich <strong>die</strong> Bearbeiter <strong>de</strong>r<br />

Stasiunterlagen mit gleich lauten<strong>de</strong>n Problemen konfrontiert: Unvollständiges Material, vieles<br />

„rechtzeitig“ vernichtet. Wenig hilfreich, emotional verständlich, wirkt sich <strong>de</strong>r Umgang mit<br />

Stasi-Papieren nach <strong>de</strong>m „Sturm“ auf <strong>die</strong> Geheim<strong>die</strong>nst-Archive in <strong>de</strong>r ersten Zeit nach <strong>de</strong>m<br />

Umschwung ein. In <strong>de</strong>n Hauptstädten kursieren „inoffizielle“ L<strong>ist</strong>en von Ka<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />

Staatssicherheit und ihren „geheimen Mitarbeitern“. Eine Karteikarte genügt, um einen<br />

Namen in <strong>die</strong> Öffentlichkeit, d.h. an <strong>de</strong>n Pranger zu bringen – ohne or<strong>de</strong>ntliche Gerichte zu<br />

bemühen. Diese Erfahrungen macht <strong>die</strong> Öffentlichkeit auch in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei. Ein<br />

Lustrationsgesetz, 1991 erlassen, soll Ordnung und Klarheit bringen und eine seriöse<br />

Aufarbeitung ermöglichen. In erster Linie geht es um Bewerber um öffentliche Ämter o<strong>de</strong>r<br />

um <strong>de</strong>n Verbleib in solchen Positionen etwa in <strong>de</strong>r staatlichen Verwaltung, beim Militär.<br />

„Sicherheitsrelevante“ Bereiche sind selbstre<strong>de</strong>nd beson<strong>de</strong>rs betroffen. Auch <strong>die</strong> neuen<br />

<strong>de</strong>mokratischen Parteien und Organisationen wollen „saubere“ Mitgliedsl<strong>ist</strong>en: keine<br />

leiten<strong>de</strong>n KP-Funktionäre, keine Stasi-Kollaborateure. Doch alte Seilschaften wer<strong>de</strong>n schon<br />

bald zu neuem Leben erweckt. (3)<br />

Ecclesia Silentii - eine „geheime Kirche“<br />

In einer weiteren Untersuchung über <strong>die</strong> „Bearbeitung von Ge<strong>ist</strong>lichen <strong>de</strong>r römischkatholischen<br />

Kirche durch <strong>die</strong> Staatssicherheit in <strong>de</strong>r Diözese von Litomerice“ (Leitmeritz) in<br />

Nordböhmen kommt Jiri Plachý zu „überraschen<strong>de</strong>n“ Ergebnissen. (4) Fast zwei Drittel <strong>de</strong>r<br />

Ge<strong>ist</strong>lichen (106 von 161) sind von <strong>de</strong>r Geheimpolizei StB „bearbeitet“ wor<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>n<br />

Fünfziger und Sechziger Jahren war fast je<strong>de</strong>r Fünfte in Haft. In <strong>die</strong>se Zahl sind<br />

„außergerichtliche Regresse, Internierung o<strong>de</strong>r Dienst in <strong>de</strong>n Technischen Hilfstruppen nicht<br />

eingeschlossen. Die Stasi-Metho<strong>de</strong>n blieben weitgehend erfolglos: „Umgekehrt proportional<br />

zu <strong>de</strong>r Anzahl <strong>de</strong>r Bearbeitungen“ habe <strong>die</strong> Staatssicherheit nur eine „relativ niedrige<br />

Prozentzahl“ als geheime Mitarbeiter gewinnen können.<br />

Nur noch zehn von <strong>de</strong>n 32 „Geheimen Mitarbeitern“ (bei MfS galt <strong>die</strong> Bezeichnung<br />

„Inoffizieller Mitarbeiter IM) waren per Datum vom 17. November 1989 für <strong>de</strong>n StB aktiv.<br />

Die Kirche blieb <strong>de</strong>r vorrangige Feind <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen Systems. Ihre Bekämpfung<br />

wur<strong>de</strong> in zweiten Hälfte <strong>de</strong>r 80er Jahre zur Priorität für <strong>die</strong> Staatssicherheit erklärt, als seien<br />

<strong>die</strong> stalin<strong>ist</strong>ischen Zeiten von 1948 zurückgekehrt. Verfolgt wur<strong>de</strong>n vor allem <strong>die</strong> Or<strong>de</strong>n und<br />

<strong>die</strong> sogenannte „Geheime Kirche“. (Dazu mehr in einer <strong>de</strong>r nächsten Folgen.)<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XVII.<br />

Ein eigenes Kapitel widmet Plachý <strong>de</strong>m Leitmeritzer Erzbischof Stepán Trochta, <strong>de</strong>ssen Tod<br />

bis heute Rätsel aufgibt. (5) Trochta war 1948, im Jahr <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Machtübernahme, in <strong>de</strong>n Vatikan gere<strong>ist</strong> und hatte sich von Papst Pius XII. beson<strong>de</strong>re<br />

Bevollmächtigungen mit geben lassen, „welche <strong>die</strong> Tätigkeit <strong>de</strong>r Kirche auch unter <strong>de</strong>n<br />

Bedingungen <strong>de</strong>r Verfolgung seitens <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen Staates ermöglichen sollten.“<br />

(Dezember 1948). Der Pacelli-Papst hatte auf Regelungen nach <strong>de</strong>n so genannten<br />

„mexikanischen Fakultäten“ zurückgegriffen. (6) Trochta habe begonnen, vom Papst<br />

bevollmächtigt, in seiner Diözese „eine parallele kirchliche Struktur“ aufzubauen, so Plachýs<br />

Stu<strong>die</strong>.<br />

Diese Absicht kann als ein erster Ansatz für <strong>die</strong> spätere „Geheime Kirche“ (Ecclesia Silentii)<br />

gesehen wer<strong>de</strong>n. Auf ähnliche Weise hat in <strong>de</strong>n 70er Jahren Vaclav Benda (7) für Parallel-<br />

Strukturen im bürgerlichen politischen Bereich plä<strong>die</strong>rt, um etwa nach <strong>de</strong>m Zusammenbruch<br />

<strong>de</strong>s sozial<strong>ist</strong>ischen Systems funktionieren<strong>de</strong> <strong>de</strong>mokratische gesellschaftliche Strukturen<br />

bereitstellen zu können. Trochta intensivierte seine Bemühungen nach <strong>de</strong>r Internierung <strong>de</strong>s<br />

Prager Erzbischofs Beran. Der Staatssicherheit waren <strong>die</strong>se Aktivitäten nicht entgangen. Die<br />

Stasi sowie <strong>die</strong> staatliche Verwaltung reagierten mit einer „Serie von Eingriffen“, welche<br />

„<strong>die</strong>sen Keim <strong>de</strong>r zukünftigen geheimen Kirche“ liqui<strong>die</strong>rten. Trochta wur<strong>de</strong> ab Juli 1950 in<br />

seiner Resi<strong>de</strong>nz interniert. Ab Januar 1953 kam er in Haft und wur<strong>de</strong>, zusammen mit seinen<br />

nächsten Mitarbeitern, im Juli 1954 zu 25 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.<br />

In <strong>de</strong>m selben Band greift Václav Vasko <strong>die</strong> Lei<strong>de</strong>nsgeschichte <strong>de</strong>s früheren Erzbischofs von<br />

Prag auf. Josef Beran, von <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen während <strong>de</strong>r Besetzung <strong>de</strong>r „Rest-Tschechei“ in<br />

Konzentrationslager gesperrt, galt als „Nationalheld“. Seine Ernennung zum Prager<br />

Metropoliten wur<strong>de</strong> auch von seinen ehemaligen kommun<strong>ist</strong>ischen Lagergenossen zunächst<br />

begrüßt, bis sich das Blatt wen<strong>de</strong>te und Beran sich gegen <strong>die</strong> „steigen<strong>de</strong> Aggressivität <strong>de</strong>r<br />

Kommun<strong>ist</strong>en“ stellte. Höhepunkt <strong>de</strong>s Konfliktes: Der Versuch <strong>de</strong>r Kommun<strong>ist</strong>en, eine<br />

nationale, von Rom abgetrennte katholische Kirche zu errichten, vorbereitet durch eine<br />

Einrichtung mit <strong>de</strong>r irreführen<strong>de</strong>n Bezeichnung <strong>Kath</strong>olische Aktion, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Erzbischof<br />

für schismatisch erklärte. Erste Folge: Das Regime erklärt ihn im Gegenzug zum „Haupt <strong>de</strong>r<br />

Reaktion“. Zweite Folge: Sechzehn Jahre strenge Internierung. Erst 1965, nach <strong>de</strong>r<br />

Ernennung zum Kardinal durch Papst Paul VI., wird ihm eine Reise ohne Rückkehr nach<br />

Rom erlaubt. Eine Kompromisslösung <strong>de</strong>r vatikanischen Diplomatie. Während <strong>de</strong>s Zweiten<br />

Vatikanischen Konzils hält Beran ein stark beachtete Re<strong>de</strong> über Religionsfreiheit. Der „Prager<br />

Frühling“ schenkt ihm nur Blütenträume. Selbst <strong>die</strong> Reformkommun<strong>ist</strong>en verweigern ihm <strong>die</strong><br />

Heimkehr, ebenso <strong>die</strong> „letzte Ruhe“ in <strong>de</strong>r Heimat, nach seinem Tod im Jahre 1969. Als<br />

Antwort erwies Papst Paul VI. <strong>de</strong>m mutigen Oberhirten von <strong>de</strong>r Moldau eine „letzte Ehre“<br />

und entschied, Beran in <strong>de</strong>r Krypta <strong>de</strong>r Päpste im Petersdom beizusetzen.<br />

Exkommunikation für „chr<strong>ist</strong>liche“ Kommun<strong>ist</strong>en<br />

Im Kontext zu <strong>de</strong>n Ausführungen über Bischof Trochta ver<strong>die</strong>nt <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong> von Adolf Rázek,<br />

<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Autor weitere Informationen verdankt, beson<strong>de</strong>re Beachtung. Sie beschreibt <strong>die</strong><br />

Staat-Kirche-Beziehungen ab <strong>de</strong>m Zeitpunkt <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen Putsches im Februar 1948,<br />

<strong>de</strong>r Zuspitzung im Juli 1949 und <strong>die</strong> anschließen<strong>de</strong>n Repressionen in <strong>de</strong>r zweiten Hälfte <strong>de</strong>s<br />

Jahres 1949. Anlass für <strong>de</strong>n ersten Konflikt mit <strong>de</strong>r Staatsmacht gab ein Verbot <strong>de</strong>r<br />

Bischofskonferenz, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n katholischen Ge<strong>ist</strong>lichen untersagte, für <strong>die</strong> Wahlen im Mai 1948<br />

zu kandi<strong>die</strong>ren. Die Regierung brach daraufhin <strong>die</strong> offiziellen Gespräche mit <strong>de</strong>r Kirche ab.<br />

Die staatlich garantierte Zusage <strong>de</strong>r Religionsfreiheit stand nur auf Papier, in <strong>de</strong>r Praxis wur<strong>de</strong><br />

<strong>die</strong> Zügel scharf angezogen.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XVII.<br />

Am 25. April 1949 wur<strong>de</strong> im Rahmen einer Sitzung <strong>de</strong>s erweiterten Präsidiums <strong>de</strong>s<br />

Zentralkomitees <strong>de</strong>r Kommun<strong>ist</strong>ischen Partei <strong>de</strong>r Tschechoslowakei ein Programm zur<br />

Liqui<strong>die</strong>rung <strong>de</strong>r Kirche angenommen. Dies wur<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>m X. Parteitag <strong>de</strong>r KPTsch von<br />

Justizmin<strong>ist</strong>er Alois Kopecký öffentlich bekanntgegeben. Mit <strong>de</strong>r „praktischen Umsetzung“<br />

war eine beson<strong>de</strong>re Arbeitsgruppe, <strong>die</strong> so genannte „Kirchliche Sechs“ unter Leitung von<br />

Min<strong>ist</strong>er Cepicka beauftragt. Kern <strong>die</strong>ser Maßnahmen war wohl das Ziel eine von Papst und<br />

Kurie getrennte Nationalkirche zu bil<strong>de</strong>n. Als Instrumentarium war eine so genannte<br />

<strong>Kath</strong>olische Aktion geschaffen wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r in irreführen<strong>de</strong>r Weise und um <strong>de</strong>n Eindruck<br />

kirchenamtlicher Billigung zu wecken, <strong>die</strong>se Bezeichnung einer auch innerkirchlichen<br />

Bewegung gegeben wur<strong>de</strong>. Der Vatikan beantwortete <strong>die</strong>sen Spaltungsversuch mit einem<br />

Dekret, das <strong>Kath</strong>oliken, <strong>die</strong> sich in <strong>die</strong>ser vom Regime gesteuerten „<strong>Kath</strong>olischen Aktion“<br />

engagierten, <strong>die</strong> Exkommunikation androhte.<br />

Am 13. Juli 1949 erließ Pis XII. ein zweites weltweit gültiges Dekret, das <strong>Kath</strong>oliken als<br />

Mitglie<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r Sympathisanten einer kommun<strong>ist</strong>ischen Partei mit <strong>de</strong>m Ausschluss von <strong>de</strong>n<br />

Sakramenten belegte. Die kirchlichen Strafmaßnahmen gingen nicht zuletzt auf das Betreiben<br />

von Alfredo Ottaviani, <strong>de</strong>m einflussreichen Prälaten <strong>de</strong>s Heiligen Offiziums und einem <strong>de</strong>r<br />

schärfsten Wi<strong>de</strong>rsacher <strong>de</strong>s Kommunismus, zurück. Das war zwar innerkirchliches Recht,<br />

aber <strong>die</strong> tschechoslowakischen Justizbehör<strong>de</strong>n qualifizierten und bestraften <strong>die</strong> Anwendung<br />

<strong>de</strong>r Dekrete als Hochverrat gemäß <strong>de</strong>m Gesetz Nr. 231/1948 Slg.<br />

Auch <strong>die</strong> Bischöfe reagierten mit Rundschreiben und Hirtenbriefen auf <strong>die</strong> kirchenfeindlichen<br />

Maßnahmen. Und auch <strong>die</strong>se Kanzelworte führten zur Verschärfung <strong>de</strong>r staatlichen<br />

Repressionen zur Folge, sowohl gegenüber Ge<strong>ist</strong>lichen wie auch gegenüber Laien, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n<br />

Vertrieb durch eigene Kuriere übernahmen, um <strong>de</strong>n staatlichen kontrollierten Post<strong>die</strong>nst zu<br />

umgehen. Das Ganze en<strong>de</strong>te in einer Art „Sippenhaft“, <strong>de</strong>nn „wegen Taten, <strong>die</strong> in Verbindung<br />

mit Straftaten Ge<strong>ist</strong>licher verübt wur<strong>de</strong>n“, mussten sich auch <strong>die</strong> chr<strong>ist</strong>liche Laien<br />

verantworten. Zwar wur<strong>de</strong>n geringere Strafen verhängt, aber <strong>de</strong>r Zweck erreicht, nämlich <strong>die</strong><br />

Betroffenen einzuschüchtern und Priester und Gemein<strong>de</strong> zu spalten. Verurteilte wur<strong>de</strong>n bald<br />

darauf amnestiert, „als Beweis <strong>de</strong>s Entgegenkommens <strong>de</strong>r Kommun<strong>ist</strong>ischen Partei <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei gegenüber <strong>de</strong>r Kirche“. Ein propagand<strong>ist</strong>ischer Trick, <strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>n<br />

Gläubigen allerdings wohl eher selten verfing.<br />

1) vgl. Meldung <strong>de</strong>r dpa in „Wiesba<strong>de</strong>ner Kurier“ v. 25. Juli 2008.<br />

2) Zweiter Sammelband <strong>de</strong>s Amtes für Dokumentation und Untersuchung <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>s StB. S. 337<br />

(Úrad pro Dokumentaci a Vysetrováni Cinnosti StB: „Securitas Imperii“, 2. Sbornik k problematice<br />

bezpecnostnich sluzeb). Prag 1994.<br />

3) vgl. Aufsatz von Jiri Plachy, Mitarbeiter <strong>de</strong>s Instituts zur Dokumentation und Untersuchung <strong>de</strong>r<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Verbrechen UDV) – in: Ost-West – Europäische Perspektiven. 8 (2007) Heft 3. Schwerpunkt:<br />

Schatten <strong>de</strong>r Vergangenheit. Hier <strong>de</strong>r Artikel „Kommunisums und Kirche in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei.<br />

Herausgeber: Zentralkomitee <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen <strong>Kath</strong>oliken ZdK und Renovabis Solidaritätsaktion <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />

<strong>Kath</strong>oliken mit <strong>de</strong>n Menschen in Mittel- und Osteuropa.<br />

4) vgl. Das Sammelwerk „Securitas Imperii“, Ausgabe Nr. 11. Úrad Dokumentace a Vysetrování Zlocinu<br />

Komunismu. 2005<br />

5) Kardinal Stepan Trochta (1905-1974). Der in Mähren geborene Theologe war Mitglied <strong>de</strong>r Salesianer Don<br />

Boscos und hatte in Turin stu<strong>die</strong>rt. Vor <strong>de</strong>m Zweiten Weltkrieg grün<strong>de</strong>te er <strong>die</strong> Salesianer-Häuser in Prag und<br />

Mährisch-Ostrau (Ostrava). Während <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Okkupation, nach <strong>de</strong>m Attentat auf Reinhard Heydrich,<br />

wur<strong>de</strong> er – wie Josef Beran – von <strong>de</strong>r Gestapo verhaftet, in das berüchtigte Zuchthaus Pankrac eingeliefert und<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XVII.<br />

anschließend, von 1942- 1945, in <strong>de</strong>n Konzentrationslagern Theresienstadt, Mauthausen und Dachau gefangen<br />

gehalten. Papst Pius XII. ernannte ihn 1947 zum Bischof von Leitmeritz (Litomerice).<br />

Für <strong>die</strong> tschechoslowakische Bischofskonferenz übernahm er nach <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Machtübernahme in<br />

<strong>de</strong>n Jahren 1948/49 <strong>die</strong> Verhandlungsführung mit <strong>de</strong>r Regierung. Im Januar 1953 wur<strong>de</strong> er von <strong>de</strong>r<br />

Staatssicherheit verhaftet und im Juli 1954, zusammen mit engeren Mitarbeitern zu 25 Jahren Freiheitsstrafe<br />

verurteilt, angeklagt wegen „Spionage“ und „staatsfeindliche Aktivitäten“. 1960 wur<strong>de</strong> er amnestiert,<br />

verbun<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Verbot <strong>de</strong>r Seelsorge. Er musste seinen Lebensunterhalt u.a. als Installateur bestreiten, <strong>de</strong>r<br />

z.B. „Toiletten zu reparieren hatte.“ Der „Prager Frühling“ rehabilitierte Trochta. Im Juli 1968 wur<strong>de</strong> seine<br />

Haftstrafe von <strong>de</strong>r Regierung Dubcek annulliert, am 6. August 1968 konnte er sein Amt als Bischof von<br />

Leitmeritz wie<strong>de</strong>r ausüben.<br />

Am 28. April 1969 ernannte ihn Papst Paul VI. „in pectore“ zum Kardinal (1973 veröffentlicht, als Titelkirche<br />

erhielt er „San Giovanni Bosco im römischen Stadtteil Cinecittá – <strong>de</strong>m italienischen „Hollywood.“) Seine letzte<br />

öffentliche Amtshandlung war <strong>die</strong> Weihe von drei slowakischen und einem mährischen Bischof. Seit längerer<br />

Zeit lei<strong>de</strong>nd, erlag er am 6. April 1974 einem Schlaganfall. Es heißt, ausgelöst habe <strong>de</strong>n plötzlichen ein in<br />

„scharfem Ton“ geführtes Gespräch, zu <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Bischof vom örtlichen Parteisekretär einbestellt wor<strong>de</strong>n sei.<br />

Leben und Wirken eines Bischofs <strong>de</strong>r Kirche <strong>de</strong>s Lei<strong>de</strong>ns. Zeitlebens war Stepan Trochta unter scharfer<br />

Bewachung von Polizei und Sicherheits<strong>die</strong>nsten, von <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Gestapo wie <strong>de</strong>r tschechischen<br />

Geheimpolizei SNB und <strong>de</strong>m Staatssicherheits<strong>die</strong>nst StB. Dass sie ihn in ihren Akten führten, mit ihm<br />

„Gespräche“ führten, macht ihn nicht zwangsläufig zu einem „geheimen Mitarbeiter“, wie gelegentlich gesagt<br />

wur<strong>de</strong>.<br />

6) Der Kirchenkampf in Mexico erlebte seinen Höhepunkt in <strong>de</strong>n Jahren 1917 bis 1922. Fundamental<strong>ist</strong>ische<br />

„Cr<strong>ist</strong>eros“ stan<strong>de</strong>n „liberalen, revolutionären“ Caudillos gegenüber. Die von Antiklerikalismus gezeichnete<br />

Verfassung von 1917 drängte Religion in <strong>de</strong>n Privatbereich und <strong>die</strong> Kirche, vor allem <strong>die</strong> römisch-katholische<br />

Mehrheitskirche bis an <strong>de</strong>n Rand <strong>de</strong>r Illegalität. Eine strikte Trennung zwischen Staat und Kirche bestand<br />

bereits im laiz<strong>ist</strong>isch orientierten Staat von 1855. Um das Überleben <strong>de</strong>r Kirche in ihren kirchlichen Strukturen<br />

zu sichern erteilte Rom, da selbst an direkten diplomatischen wie innerkirchlichen Verbindungen gehin<strong>de</strong>rt, <strong>de</strong>r<br />

Ortskirche eine Reihe von Dispensen, <strong>die</strong> sie von bestimmten kirchenrechtlichen Formen befreite und<br />

selbständigem Han<strong>de</strong>ln ermächtigte.<br />

7) Vaclav Benda (1946-1999). Philosoph. Samisdat-Autor, Unterzeichner <strong>de</strong>r Charta 77, Mitglied <strong>de</strong>s<br />

Ausschusses für <strong>die</strong> Verteidiung von zu Unrecht Verfolgen und zeitweilig Direktor <strong>de</strong>r UDV (Behör<strong>de</strong> zur<br />

Dokumentation und Untersuchung <strong>de</strong>r Verbrechen <strong>de</strong>s Kommunismus)<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XVIII.<br />

XVIII. Casaroli irrte sich nicht<br />

Diese Folge steht im Zeichen von zwei August-Ereignissen auf einem Höhepunkt <strong>de</strong>s Kalten Krieges.<br />

Am 13. August 1961 ließ das Ostberliner Regime, im Wi<strong>de</strong>rspruch zu einer kurz zuvor abgegebenen<br />

Erklärung Walter Ulbrichts, eine „Mauer“ errichten, <strong>die</strong> Westberlin vom Ostsektor <strong>de</strong>r Stadt meter<br />

hoch abgrenzte, „um <strong>die</strong> innere Sicherheit“ zu garantieren, wie <strong>die</strong> DDR-Propaganda verkün<strong>de</strong>te.<br />

Bewacht wur<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Bauarbeiter von bewaffneten Einheiten. An <strong>de</strong>r ersten Linie stan<strong>de</strong>n<br />

paramilitärische „Kampfgruppen <strong>de</strong>r Arbeiterklasse“, unterstützt von Grenztruppen <strong>de</strong>r Nationalen<br />

Volksarmee und Bereitschaften <strong>de</strong>r Volkspolizei. Im Anschlag <strong>die</strong> Kalaschnikow, „um Leuten, <strong>die</strong><br />

tanzen wollen, eins aufzuspielen“, wie einer <strong>die</strong>ser „Musiker“ in einer Radio-Reportage erklärte. Im<br />

Westen sahen im Mauerbau bereits ein Signal, Moskau könnte seine Divisionen bis zum Rhein<br />

marschieren lassen. Sieben Jahre später zogen wie<strong>de</strong>rum dunkle Kriegswolken über Europa auf.<br />

Diesmal traf es <strong>die</strong> Tschechoslowakei.<br />

Am Donnerstag, 22. August 1968, erschien <strong>die</strong> Tageszeitung „Die Welt“ mit einem einzigen<br />

Thema als Aufmacher auf <strong>de</strong>r Titelseite. Die zweizeilige Schlagzeile: Prag unter <strong>de</strong>r<br />

Herrschaft <strong>de</strong>r Sowjets – Entsetzen, Empörung und Proteste. War <strong>de</strong>r Vatikan vorgewarnt?<br />

Wie gut waren vatikanische Diplomaten in <strong>de</strong>n Wochen vor <strong>de</strong>m Überfall auf <strong>die</strong><br />

Tschechoslowakei informiert? Genauen Aufschlüsse können nur Dokumente geben, <strong>die</strong><br />

allerdings noch einige Jahrzehnte im Geheimarchiv <strong>de</strong>s vatikanischen Staatssekretariats unter<br />

Verschluss bleiben dürften. „Informationen“, <strong>die</strong> nach Freigabe <strong>de</strong>r Unterlagen <strong>de</strong>s<br />

Min<strong>ist</strong>eriums für Staatssicherheit <strong>de</strong>r ehemaligen DDR freigegeben wur<strong>de</strong>n, müssen mit<br />

Vorbehalt gelesen wer<strong>de</strong>n. Ihr Inhalt war „zweck<strong>die</strong>nlich“ formuliert, <strong>die</strong> Trans<br />

kription etwa aus <strong>de</strong>m Polnischen o<strong>de</strong>r Ungarischen <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n „Bru<strong>de</strong>rorganisationen“<br />

übermittelten Geheim<strong>die</strong>nstberichte enthielt Sachfehler.<br />

Anfang Juli 1968 hatte <strong>de</strong>r „Rat für <strong>die</strong> öffentlichen Angelegenheiten <strong>de</strong>r Kirche“, (das<br />

vatikanische „Außenmin<strong>ist</strong>erium“) zu einer Son<strong>de</strong>rsitzung gela<strong>de</strong>n, an <strong>de</strong>r „fast alle<br />

Kardinäle, <strong>die</strong> Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Rates sind“ teilnahmen, berichtet <strong>die</strong> Ungarn in einer<br />

„Information“ im November 1968. (1) Den Vorsitz führte Kardinal Cicognani (2). Dem<br />

Bericht zufolge stan<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r Tagesordnung „drei Fragen zur Erörterung“:<br />

1. Maßnahmen zur Vorbereitung <strong>de</strong>r Reise <strong>de</strong>s Papstes nach Bogota, <strong>die</strong> Lage in<br />

Südamerika.<br />

2. <strong>die</strong> Lage in <strong>de</strong>n europäischen sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn, hauptsächlich in <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei.<br />

3. Zu beobachten<strong>de</strong> Protestströmungen in westeuropäischen Län<strong>de</strong>rn.<br />

Erzbischof Agostino Casaroli, damals Sekretär <strong>de</strong>s Rates, analysierte kurz <strong>die</strong> Anfang Juli in<br />

<strong>de</strong>r Tschechoslowakei entstan<strong>de</strong>ne Lange. „In Zusammenhang damit“ habe er eine<br />

Einschätzung „zu <strong>de</strong>r erwarteten Tätigkeit <strong>de</strong>r übrigen sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r, in erster Linie<br />

<strong>de</strong>r Sowjetunion“, abgegeben. „In Bezug auf <strong>die</strong> Sowjetunion sagt er, daß <strong>die</strong> Unruhe, von<br />

<strong>de</strong>r <strong>die</strong> sowjetische Führung hinsichtlich <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei vorhan<strong>de</strong>nen<br />

Unstimmigkeit erfüllt sei, keineswegs abgenommen habe.“ Das Prestige <strong>de</strong>r Sowjetunion sei<br />

bedroht, in erster Linie in <strong>de</strong>r internationalen kommun<strong>ist</strong>ischen Bewegung, „und das wird<br />

keine geringere Gefahr be<strong>de</strong>uten, als seinerzeit <strong>de</strong>r Verlust Chinas“, da <strong>die</strong> Gefahr <strong>de</strong>s<br />

Auseinan<strong>de</strong>rfallens <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r bestehe. Casaroli wird in <strong>de</strong>m<br />

Geheim<strong>die</strong>nstbericht mit <strong>de</strong>n Worten zitiert: „Wir dürfen uns keinen Illusionen darüber<br />

hingeben, dass <strong>die</strong> UdSSR nicht <strong>de</strong>n größten Druck auf <strong>die</strong> Tschechoslowakei ausüben wird,<br />

einschließlich auch einer bewaffneten Okkupation <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s.“ Casaroli habe gleich darauf<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XVIII.<br />

hinzugesetzt, dass das unwahrscheinlich sei. War <strong>die</strong>s nur eine vorsichtige Umschreibung <strong>de</strong>s<br />

vatikanischen Chef-Diplomaten, weil er unbefugte Mithörer im Kreis <strong>de</strong>r versammelten<br />

Kurienprälaten erahnte?<br />

Wie üblich wur<strong>de</strong>n selbst im internen Informationsaustausch <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Geheim<strong>die</strong>nste <strong>die</strong> Quellen niemals näher bezeichnet, keine „Decknamen“, geschweige <strong>de</strong>nn<br />

Klarnamen, genannt. Dies geschah allenfalls bei Personen <strong>de</strong>r „gegnerischen“ Seite. „Rund<br />

um <strong>de</strong>n Vatikan“ trieben sich Agenten, Nachrichtenhändler und Spitzel jeglicher Couleur<br />

herum, nicht an<strong>de</strong>rs wie zu Zeiten <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges. Mit am Werk war auch <strong>de</strong>r<br />

tschechoslowakischen Staatssicherheits<strong>die</strong>nst StB (Státni Bezpecnost). Darauf haben bereits<br />

<strong>die</strong> An<strong>de</strong>utungen von Richard Sacher, <strong>de</strong>m ersten Prager Innenmin<strong>ist</strong>er nach 1989 schließen<br />

lassen, <strong>de</strong>r 1990 <strong>de</strong>n kommun<strong>ist</strong>ischen Geheim<strong>die</strong>nst auflöste. Die Presse berichtete von<br />

angeblichen Abhörmikrophonen („Wanzen“) in <strong>de</strong>n Privat-Räumen Casarolis (u.a. versteckt<br />

in einer Heiligen-Figur auf <strong>de</strong>m Vertiko), von einer spionieren<strong>de</strong>n Sekretärin mit<br />

tschechischem Hintergrund. Zwar stützen sich <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Vatikan betreffen<strong>de</strong>n „Informationen“,<br />

<strong>die</strong> <strong>de</strong>r HV A (Hauptverwaltung Aufklärung) <strong>de</strong>s Ostberliner MfS zugingen, auf Berichte <strong>de</strong>s<br />

polnischen und ungarischen Geheim<strong>die</strong>nstes; aber es kann wohl angenommen wer<strong>de</strong>n, dass<br />

<strong>die</strong>se wie<strong>de</strong>rum auch vom tschechoslowakischen Auslandsnachrichten<strong>die</strong>nst HSR (Hlavni<br />

Sprava Rozdvedka) be<strong>die</strong>nt wur<strong>de</strong>n.<br />

Rückblick I<br />

Der Hegemon <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen Imperiums, <strong>die</strong> Sowjetunion, hatte zugeschlagen. Sein Reich hatte Risse<br />

bekommen, <strong>die</strong> Westflanke, <strong>de</strong>r Front gegenüber <strong>de</strong>r NATO, <strong>de</strong>m militärischen Arm <strong>de</strong>s Erzfein<strong>de</strong>s <strong>de</strong>s<br />

sozial<strong>ist</strong>ischen Lagers, schien in Gefahr, weg zu brechen. An <strong>de</strong>r militärischen Intervention, als „brü<strong>de</strong>rliche<br />

Hilfe“ kaschiert, beteiligten sich <strong>die</strong> treuesten Vasallen <strong>de</strong>s Moskauer Satelliten-Reiches.<br />

Der Einmarsch von Verbän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Warschauer Paktes unter sowjetischem Oberbefehl erfolgte in <strong>de</strong>r Nacht vom<br />

20. auf 21. August 1989: 400 000 Mann, Truppen <strong>de</strong>r Sowjetunion, Polens, Ungarns und Bulgariens. DDR-<br />

Einheiten stan<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r Grenze für log<strong>ist</strong>ische Aufgaben bereit. Was war <strong>de</strong>r Militäraktion, <strong>de</strong>r 20 Jahre<br />

Besetzung und „Normalisierung“ <strong>de</strong>s „sozial<strong>ist</strong>ischen Bru<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>s“ folgte, vorausgegangen? Auf <strong>de</strong>r<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Führungsebene gärte es. Mit <strong>de</strong>m System konnte es wie bisher nicht weitergehen. H<strong>ist</strong>orische<br />

ethnische Spannungen zwischen <strong>de</strong>n Stämmen in Böhmen, Mährem und <strong>de</strong>r Slowakei konnte auch <strong>die</strong><br />

„sozial<strong>ist</strong>ische Brü<strong>de</strong>rlichkeit“ nicht über<strong>de</strong>cken. Die Intellektuellen, insbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong> Literaten, näher am Puls<br />

<strong>de</strong>s Volkes, als <strong>die</strong> Funktionäre, hörten, was <strong>die</strong> Stun<strong>de</strong> geschlagen hatte. Auf ihrem IV. Schriftstellerkongress<br />

im Juni 1967 kritisiert Vaclav Havel <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rsinn <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen Machtapparates und for<strong>de</strong>rt ein En<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Zensur. Ludvik Vaculik hielt eine Re<strong>de</strong> über „das Verhältnis zwischen Staatsbürger und Macht, Macht und<br />

Kultur“. Erzkommun<strong>ist</strong>en sahen darin eine „Provokation“ , für ging es nicht darum, Sozialismus mit Demokratie<br />

zu versehen, son<strong>de</strong>rn um eine Kampfansage: Sozialismus o<strong>de</strong>r Imperialismus, Bestand o<strong>de</strong>r Untergang <strong>de</strong>r<br />

sozial<strong>ist</strong>ischen Gesellschaftsordnung. Die Diskussion <strong>ist</strong> bis heute unter Altkommun<strong>ist</strong>en nicht been<strong>de</strong>t.<br />

Antonin Novotni wur<strong>de</strong> als Erster Sekretär <strong>de</strong>s ZK <strong>de</strong>r Kommun<strong>ist</strong>ischen Partei <strong>de</strong>r Tschechoslowakei durch <strong>de</strong>n<br />

Slowaken Alexan<strong>de</strong>r Dubcek abgelöst, Ludvik Swoboda, General und ehemaliger Verteidigungsmin<strong>ist</strong>er<br />

übernahm das Amt <strong>de</strong>s Staatspräsi<strong>de</strong>nten und Oldrich Cernik wur<strong>de</strong> Regierungschef. Der Zeitpunkt für Moskaus<br />

Vasallen war gekommen.<br />

Was sich von Prag bis Bratislava abspielte – das war <strong>de</strong>r Fall X im kommun<strong>ist</strong>ischen Alarmplan:<br />

Konterrevolution. Wie in solchen Fällen erprobt, stand auch <strong>de</strong>r Mann bereit, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n „Hilferuf“<br />

absetzte: Vasil Bil´ak, ein slowakischer Kommun<strong>ist</strong> rusinischer Abstammung gehörte zu <strong>de</strong>n Unterzeichner<br />

eines „Einladungsschreibens“ , mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Kreml später seine „brü<strong>de</strong>rliche Hilfe“ wür<strong>de</strong> legitimieren können.<br />

(Anfang Dezember 1980 wird wie<strong>de</strong>rum das Stichwort „Konterrevolution“ fallen, auf <strong>de</strong>r bran<strong>de</strong>ilig von Leonid<br />

Breschnew einberufenen Geheimkonferenz <strong>de</strong>r Parteichefs <strong>de</strong>r Warschauer Pakt-Staaten. Der Anlass: <strong>die</strong><br />

„polnischen Ereignisse“ . Die „Breschnew-Doktrin“ war mehr als bedrucktes Papier. Zwölf Jahre nach Prag<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XVIII.<br />

stan<strong>de</strong>n sowjetische Truppen, zusammen mit Einheiten <strong>de</strong>r CSSR und einer Panzerdivision sowie weiteren<br />

Truppenteilen <strong>de</strong>r DDR bereit, um auf das Signal „Wintermarsch“ hin in Polen einzugreifen.)<br />

Mit <strong>de</strong>r so genannten „Breschnew-Doktrin“ (Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s sowjetischen Staats- und Parteichefs Leonid I.<br />

Breschnew auf <strong>de</strong>m 5. Parteitag <strong>de</strong>r Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei in Warschau ) nachträglich begrün<strong>de</strong>t.<br />

Diese „Linie“ räumte <strong>de</strong>n „Bru<strong>de</strong>rstaaten“ nur eine beschränkte Souveränität ein und rechtfertigte ein<br />

Eingreifen, wenn in einem <strong>de</strong>r Warschauer Vertragsstaaten <strong>de</strong>r Sozialismus „bedroht“ war. Dies sei ein Problem,<br />

„um das sich alle sozial<strong>ist</strong>ischen Staaten kümmern müssen.“<br />

Die For<strong>de</strong>rung nach freien Wahlen, <strong>die</strong> in <strong>de</strong>r Verfassung verankerte führen<strong>de</strong> Rolle <strong>de</strong>r Kommun<strong>ist</strong>ischen Partei<br />

aufzuheben, freie Presse und Marktwirtschaft – das alles habe nichts gezählt gegenüber <strong>de</strong>m Gedanken „<strong>de</strong>r<br />

Auflösung <strong>de</strong>s Warschauer Paktes, „<strong>die</strong>ses grundlegen<strong>de</strong>n Machtinstruments <strong>de</strong>r sowjetischen Hegemonie“ ,<br />

schrieb <strong>de</strong>r ehemalige tschechische Dissi<strong>de</strong>nt und spätere Staatspräsi<strong>de</strong>nt im April 2007. Dass „<strong>die</strong><br />

Liqui<strong>die</strong>rung <strong>die</strong>ses Pakts in <strong>die</strong> Auflösung <strong>de</strong>r Sowjetunion selbst mün<strong>de</strong>n muss“ , habe auch Gorbatschow<br />

gewusst. Was <strong>die</strong>s nach <strong>de</strong>m 21. August 1968 für <strong>die</strong> Tschechoslowakei be<strong>de</strong>utete, beschreibt Havel so: „In<br />

unserem Land stan<strong>de</strong>n sowjetische Truppen; unsere Generalstäbe waren mehr o<strong>de</strong>r weniger nur Zweigstellen<br />

sowjetischer Kommandos und Resi<strong>de</strong>nturen <strong>de</strong>r sowjetischen militärischen Aufklärung; das allgemeine Denken<br />

war jahrzehntelang systematisch durch das grundlegen<strong>de</strong> unbezweifelbare Dogmas von <strong>de</strong>r lebenswichtigen<br />

Unverlässlichkeit <strong>die</strong>ser Allianz geprägt wor<strong>de</strong>n.“ (vgl. „Ich bin schamhaft“, Cicero 4/2007, S. 30)<br />

Konkrete Aktionen für <strong>die</strong> Opfer<br />

Völlig überrascht schien <strong>die</strong> Kuriendiplomatie von <strong>die</strong>sem sowjetischen Schlag also nicht<br />

gewesen zu sein. Schon am Morgen <strong>de</strong>s 21. August soll Kardinalstaatssekretär Cicognani*<br />

vorgeschlagen haben, „konkrete Aktionen durchzuführen im Interesse <strong>de</strong>r `Opfer´ und gegen<br />

<strong>die</strong> `Aggressoren´, auch in <strong>de</strong>n antikommun<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn, ausgehend von <strong>de</strong>r Tätigkeit<br />

Papst Pius XII. in Zusammenhang mit <strong>de</strong>n Ereignissen in Ungarn und Polen im Jahre 1956.<br />

Im übrigen habe Cicognani <strong>die</strong> „militärische Aktion <strong>de</strong>r Mitgliedslän<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Warschauer<br />

Vertrages vom 21. August 1968“ (<strong>die</strong>s <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Übersetzung <strong>de</strong>r ungarischen Geheim-<br />

„Information“ aus <strong>de</strong>m Russischen durch <strong>die</strong> Abteilung X <strong>de</strong>s MfS) ausnutzen wollen, „um<br />

Papst Paul VI. zu überre<strong>de</strong>n, seine Reise nach Bogotá zu verschieben. Cicognani sei „von<br />

vornherein“ gegen <strong>die</strong>se Reise gewesen. „Am 21. August mittags“ habe <strong>de</strong>r Papst dann seinen<br />

Staatssekretär über „seinen prinzipiellen Entschluss“ unterrichtet, einen „Zusatzes in <strong>die</strong> Re<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Papstes vor seiner Abreise“ aufzunehmen. Paul VI. solle „ein wenig“ auf <strong>die</strong> Ereignisse in<br />

<strong>de</strong>r Tschechoslowakei eingehen und begrün<strong>de</strong>n, warum <strong>die</strong> Reise nach Bogotá nicht<br />

verschoben wer<strong>de</strong>.<br />

Wie <strong>die</strong> Ungarn ferner berichten, hatte Paul VI. zwischenzeitlich Unterredungen mit <strong>de</strong>m<br />

Stellvertreter <strong>de</strong>s Staatssekretärs, Benelli (3), geführt, „<strong>de</strong>r <strong>die</strong> ganze Zeit hindurch <strong>die</strong> Reise<br />

<strong>de</strong>s Papstes nach Bogotá unterstützt hatte.“ Benelli und Casaroli hätten „bald darauf“ <strong>de</strong>m<br />

Papst „weitere Argumente“ überbracht „zur Bestätigung <strong>de</strong>ssen, dass er aus verschie<strong>de</strong>nen<br />

Grün<strong>de</strong>n heraus einen richtigen Beschluss gefasst habe: es wäre nicht zweckmäßig, <strong>die</strong><br />

Ergebnisse zu gefähr<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> im Interesse <strong>de</strong>r Kirche schon in <strong>de</strong>n sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn<br />

erreicht wur<strong>de</strong>n (4). Richtig sei, dass <strong>de</strong>r Vatikan <strong>de</strong>m Beispiel <strong>de</strong>r „überaus vorsichtigen<br />

Westmächte“ folge und „sich nicht durch beson<strong>de</strong>ren Eifer auszeichnet, usw.“. (Dem<br />

Übersetzer wird es wohl zuviel gewor<strong>de</strong>n , das parteii<strong>de</strong>ologische Kau<strong>de</strong>rwelsch, auf das <strong>die</strong><br />

Geheim<strong>die</strong>nstler <strong>de</strong>s sozial<strong>ist</strong>ischen Lagers getrimmt wur<strong>de</strong>n, in epischer Breite<br />

weiterzugeben. Wie an<strong>de</strong>rs <strong>ist</strong> das „usw.“ zu verstehen. Nachrichten<strong>die</strong>nstliche Mitteilungen<br />

halten sich üblicherweise an präzise und militärisch knappe Formulierungen. Das „Gefasel“,<br />

das von Spitzeln gelegentlich zu Papier gebracht wird, weckt eher <strong>de</strong>n Verdacht <strong>de</strong>r<br />

Aufschnei<strong>de</strong>rei. )<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XVIII.<br />

Näher an <strong>de</strong>n Vorgängen in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei natürlich in Österreich. Die Meldungen aus<br />

<strong>de</strong>m Nachbarland liefen sozusagen im Minutentakt über <strong>die</strong> Grenze. Die Stasi hörte<br />

selbstverständlich mit und berichtete: „In <strong>de</strong>r Wiener Erzdiözese“ sei man im weiteren<br />

Verlauf <strong>de</strong>r politischen Entwicklung zu <strong>de</strong>r Auffassung gelangt, „daß <strong>die</strong> Ereignisse in <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei für viele Monate <strong>die</strong> Versuche zur Annäherung an <strong>die</strong> Kirchen <strong>de</strong>r<br />

sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r gebremst haben.“ Dies betreffe vor allem für <strong>die</strong> Bemühungen<br />

Kardinal Königs um engere Beziehungen zur Kirche in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei.<br />

In <strong>de</strong>n Monaten nach <strong>de</strong>r Invasion hat <strong>de</strong>r ungarische Spionage<strong>die</strong>nst offenbar alle Hän<strong>de</strong> voll<br />

zu tun, um <strong>die</strong> Wän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Vatikans, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>s Staatssekretariats abzuhören. Von Mitte<br />

November 1968 bis März 1969 liegen eine Reihe von Berichten, <strong>die</strong> so genannten<br />

„Informationen, <strong>de</strong>m Min<strong>ist</strong>erium für Staatssicherheit (MfS) <strong>de</strong>r DDR vor, <strong>die</strong> sich mit <strong>de</strong>r<br />

vatikanischen Diplomatie im Zusammenhang mit <strong>de</strong>n „tschechoslowakischen Ereignissen“<br />

(Sprachregelung <strong>de</strong>s Ostens) beschäftigen und dabei gleichzeitig auf <strong>die</strong> französische und <strong>die</strong><br />

„Bonner“ Außenpolitik abzielen in <strong>de</strong>r Absicht, gewisse Differenzen zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n<br />

westeuropäischen Regierungen und <strong>die</strong> Position <strong>de</strong>s Papstes darzulegen. (5)<br />

Jesuiten informieren <strong>de</strong>n Papst<br />

Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Bogotá habe Papst Paul VI. „<strong>de</strong>n<br />

tschechoslowakischen emigrierten Jesuiten…“ (<strong>de</strong>r Name <strong>ist</strong> von <strong>de</strong>r Berliner Stasi-<br />

Untersuchungsbehör<strong>de</strong> eingeschwärzt) empfangen, berichten <strong>die</strong> „Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r<br />

Ungarischen Volksrepublik“. (6) Dessen Aufgabe bestehe jetzt auch darin, mit <strong>de</strong>m Vatikan<br />

<strong>die</strong> Maßnahmen zu koordinieren, „<strong>die</strong> in Zusammenhang mit <strong>de</strong>n tschechoslowakischen<br />

Ereignissen unternommen wer<strong>de</strong>n“.<br />

Pater Josef Kolácek S.J. vermutet, dass sein Mitbru<strong>de</strong>r Petr Ovecka S.J. <strong>de</strong>r „tschechische<br />

Jesuit“ gewesen sein könnte, „<strong>de</strong>r 1968 <strong>de</strong>n Heiligen Stuhl über <strong>die</strong> alarmieren<strong>de</strong> Situation in<br />

<strong>de</strong>r CSSR gewarnt hat.“ (7) An<strong>de</strong>re Quellen <strong>de</strong>uten auf <strong>de</strong>n im römischen Exil leben<strong>de</strong>n<br />

slowakischen Bischof Pavel Mária (Paul Maria) Hnilica S.J. (1921-2006). Er leitete das<br />

Hilfswerk „Pro Fratribus“ und stand mit seiner scharfen antikommun<strong>ist</strong>ischen Haltung unter<br />

ständiger Überwachung seitens <strong>de</strong>s tschechoslowakischen und an<strong>de</strong>rer östlicher<br />

Geheim<strong>die</strong>nste.<br />

Der Kreis <strong>de</strong>r im römischen Exil leben<strong>de</strong>n Jesuiten aus Prag und <strong>de</strong>r Slowakei dürfte<br />

je<strong>de</strong>nfalls über eigene Kanäle verfügt haben, um über <strong>die</strong> Vorgänge in ihrer Heimat <strong>de</strong>tailliert<br />

informiert zu wer<strong>de</strong>n. Und es liegt auf <strong>de</strong>r Hand, dass sie ihre Kenntnisse unmittelbar an das<br />

Staatssekretariat und somit an <strong>de</strong>n Papst weitergaben, „obwohl <strong>de</strong>r Klerus“ (in <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei) „während <strong>de</strong>r bewussten Ereignisse und auch zur Zeit eine abwarten<strong>de</strong><br />

Haltung eingenommen hat und einnimmt.“ (8)<br />

Der Informant <strong>de</strong>s Papstes habe gegenüber <strong>de</strong>m Papst seine <strong>Mein</strong>ung vertreten, dass <strong>de</strong>r<br />

Prozess <strong>de</strong>r „neuen tschechoslowakischen Linie“ (gemeint <strong>ist</strong> wohl <strong>de</strong>r von Alexan<strong>de</strong>r<br />

Dubcek versuchte Sozialismus mit „menschlichem Antlitz“) zum Halten gebracht wor<strong>de</strong>n sei<br />

und man überzeugt sein könne, dass „trotz <strong>de</strong>r Versprechungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> tschechoslowakische<br />

Regierung <strong>de</strong>m Schriftsteller Vaculik gegeben hat, <strong>die</strong> katholische Presse keine Freiheit<br />

erhalten wer<strong>de</strong>.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XVIII.<br />

Rückblick II<br />

Ludvik Vaculik (Jg. 1926), Chefredakteur von „Literarni noviny“ (Neue Literatur) und Buchautor. 1967 sagt er<br />

sich auf <strong>de</strong>m Prager Schriftstellerkongress von <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen I<strong>de</strong>ologie los; einer <strong>de</strong>r Wegbereiter <strong>de</strong>s<br />

Prager Frühlings: 1968 verfasste <strong>de</strong>r das „Manifest <strong>de</strong>r 2000 Worte“ . Die Panzerketten von August können <strong>de</strong>n<br />

Ruf nach Freiheit nicht ersticken. 1976 kommt <strong>de</strong>r Aufschrei mit neuer Lautstärke in <strong>die</strong> Welt: Die Untergrund-<br />

Rockband „The Plastic People of the Universe“ setzt <strong>die</strong> Flammen <strong>de</strong>s Ge<strong>ist</strong>es in Brand. Keine Dissi<strong>de</strong>nten,<br />

keine Regime-Gegner. Sie wollen frei sprechen, singen und <strong>de</strong>nken können. Ihr „beunruhigen<strong>de</strong>r Stil“, sagt<br />

Vaclav Havel Jahrzehnte später, hat <strong>die</strong> Welt vor verschie<strong>de</strong>nen Katastrophen warnen wollen. Eine Todsün<strong>de</strong> im<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Para<strong>die</strong>s. Ihre Verhaftung läßt nicht auf sich warten – und löste öffentliche Proteste aus. Mit<br />

nachhaltigen Folgen für das Regime.<br />

Als Frucht <strong>de</strong>r Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) ruft Vaculik mit <strong>de</strong>m<br />

Dramatiker und späteren Staatspräsi<strong>de</strong>nten Vaclav Havel und weiteren Gesinnungsfreun<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> von <strong>de</strong>n<br />

Kommun<strong>ist</strong>en als „Dissi<strong>de</strong>nten“ verfolgt wur<strong>de</strong>n, im darauf folgen<strong>de</strong>n Jahr <strong>die</strong> Bürgerrechtsbewegung „Charta<br />

77“ ins Leben. Wie sich nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen Staates herausstellte, hatte <strong>die</strong> Stasi <strong>die</strong> Namen<br />

aller Beteiligten in ihrer Kartei.<br />

Was an <strong>de</strong>r Moldau geschieht, gibt <strong>de</strong>m antikommun<strong>ist</strong>ischen Wi<strong>de</strong>rstand im gesamten Ostblock neue Impulse.<br />

Der Umschwung <strong>ist</strong> nicht mehr aufzuhalten. Am 16. November 1989 <strong>de</strong>monstrieren <strong>die</strong> Stu<strong>de</strong>nten in Bratislava<br />

(Pressburg) – und einen Tag später in Prag. Es <strong>ist</strong> <strong>de</strong>r Internationale Tag <strong>de</strong>r Stu<strong>de</strong>nten und ein<br />

Erinnerungsdatum: 50 Jahr zuvor, am 17. November 1939, hatten <strong>die</strong> Nazis, in <strong>de</strong>r von ihnen am 15. März 1939<br />

annektierten so genannten Rest-Tschechei, von <strong>die</strong>sem Zeitpunkt als „Reichprotektorat Böhmen und Mähren“<br />

geführt, <strong>die</strong> Universitäten geschlossen. 1989 bei <strong>de</strong>n Straßen<strong>de</strong>mos in Prag wer<strong>de</strong>n 600 Personen verletzt. Die<br />

„sechs Wochen“ <strong>die</strong>ses Jahres mün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>nnoch in einen Prozess <strong>de</strong>r Erneuerung, <strong>de</strong>n seine Urheber <strong>die</strong><br />

„samtene Revolution“ nennen.<br />

Weiter habe <strong>de</strong>r Jesuitpater mitgeteilt, wollen <strong>die</strong> Ungarischen Geheim<strong>die</strong>nstagenten erfahren<br />

haben, „dass <strong>die</strong> <strong>Kath</strong>oliken <strong>de</strong>r Tschechoslowakei und <strong>die</strong> Hierarchie bemüht sind, Ruhe zu<br />

bewahren und <strong>die</strong> Situation nicht zu ver<strong>de</strong>rben“ Gleichzeitig entstehe seiner <strong>Mein</strong>ung nach<br />

unter <strong>de</strong>n Jugendlichen hauptsächlich und in <strong>de</strong>r Armee eine Bewegung <strong>de</strong>s aktiven<br />

Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s, <strong>die</strong> von <strong>de</strong>r katholischen Emigration beeinflusst wer<strong>de</strong>. Diese Bewegung könne<br />

sich auf <strong>die</strong> gegenwärtige Situation schädigend auswirken. Daran sei <strong>die</strong> Kirche nicht<br />

interessiert. An<strong>de</strong>rerseits soll <strong>de</strong>r in Rom leben<strong>de</strong> Jesuitenpater <strong>die</strong> Auffassung vertreten<br />

haben, <strong>de</strong>r Vatikan müsse gleichzeitig <strong>die</strong> <strong>Mein</strong>ung <strong>de</strong>r „<strong>Kath</strong>oliken in <strong>de</strong>r Emigration“<br />

beachten. „Unseren Informationen zufolge“, teilt <strong>de</strong>r ungarische Auslandsgeheim<strong>die</strong>nst mit,<br />

habe <strong>de</strong>r Papst „<strong>die</strong> zuständigen Stellen“ (gemeint sind wohl <strong>die</strong> politisch Verantwortlichen)<br />

gewarnt, sie sollten <strong>die</strong> Lage nicht zuspitzen. Der Papst habe dazu aufgerufen, <strong>die</strong> normale<br />

Lage wie<strong>de</strong>rherzustellen, „daß <strong>die</strong> bereits errungenen Positionen erhalten bleiben.“ (9)<br />

1)BStU – MfS HA XX/4 – Nr. 652 / Abteilung X v . 9. 12. 1968 / Tgb.Nr. X/3147/68<br />

2) Kardinal Amleto Giovanni Cicognani, Staatssekretär Seiner Heiligkeit v. 1961-1969<br />

3) Titular-Erzbischof Giovanni Benelli, Substitut im Staatssekretariat<br />

4) BStU – MfS HA XX/4 – Nr. 652 , Abteilung X v. 9. 12. 1968, Tgb. Nr. X/3147/68<br />

5) (vgl. HA XX/4 – Nr. 652).<br />

6) BStU – MfS HA XX/4 – 652 / Abteilung X v. 15. 11. 1968, Tgb. Nr. X / 2934 / 68<br />

7) Brief v. Josef Kolaceck S.J. , Rom, 18. Juni 2007.<br />

8) BStU – MfS HA XX/4 – 652 / Abteilung X v. 15. 11. 1968, Tgb. Nr. X / 2934 / 68<br />

9) BStU - MfS XX 4/ 652, Abteilung X v. 15. 11. 1968. Tgb.Nr. X/2934/68)<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XIX.<br />

XIX. „Wachhund“ <strong>de</strong>r Kirche<br />

Sowjetische Panzer walzten <strong>de</strong>n „Prager Frühling“ nie<strong>de</strong>r, <strong>die</strong> „Abweichler“ um Alexan<strong>de</strong>r<br />

Dubcek und konnten froh sein, nicht <strong>de</strong>n Rest ihres Lebens in einem GULAG-Lager<br />

verbringen zu müssen. 20 Jahre nach <strong>de</strong>m kommun<strong>ist</strong>ischen Putsch in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei<br />

waren <strong>die</strong> alten Machtverhältnisse wie<strong>de</strong>r hergestellt, unter Moskauer Kontrolle. Ab jetzt galt<br />

<strong>die</strong> „Breschnew-Doktrin“, wonach je<strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Linie abweicht, „brü<strong>de</strong>rliche Hilfe“<br />

zuteil wird. Die Ost<strong>de</strong>utschen und <strong>die</strong> Ungarn hatten sie schon erfahren, zwölf Jahre nach<br />

Prag wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Polen an <strong>de</strong>r Reihe sein – nicht ganz so massiv, aber <strong>de</strong>utlich genug, mit<br />

aufgezwungenem Kriegsrecht.<br />

Im Vatikan kommt es in <strong>die</strong>ser Zeit zu Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen zwischen „Außenmin<strong>ist</strong>er“<br />

Erzbischof Agostino Casaroli und Kardinal Alfredo Ottaviani (1) über <strong>die</strong> „Maßnahmen <strong>de</strong>s<br />

Vatikans“ nach <strong>de</strong>m 21. August, berichten <strong>die</strong> Späher <strong>de</strong>s ungarischen Nachrichten<strong>die</strong>nstes<br />

aus Rom. (2) In einer außeror<strong>de</strong>ntlichen Sitzung <strong>de</strong>s Rates für <strong>die</strong> außeror<strong>de</strong>ntlichen<br />

Angelegenheiten <strong>de</strong>r Kirche habe Ottaviani sein Bedauern geäußert, „dass <strong>de</strong>n Opfern kein<br />

ge<strong>ist</strong>licher Trost geschickt“ wor<strong>de</strong>n sei und „dass <strong>die</strong> Aggressoren nicht in gehörigem Maße<br />

verurteilt wur<strong>de</strong>n.“<br />

Ottaviani, <strong>de</strong>r zu vatikanischen „Falken“ zählt, kritisiert: Die Kirche habe zehn Jahre verloren,<br />

<strong>die</strong> Fronten gewechselt und sich in einen „unmöglichen Dialog“ eingelassen. Man könne<br />

„froh sein“, wenn nach <strong>de</strong>r Tschechoslowakei „nicht noch Schlimmeres“ komme. Ottaviani<br />

habe erklärt: <strong>die</strong> Teilnahme <strong>de</strong>r Kirche an <strong>de</strong>r Entspannung sei Verrat, <strong>die</strong> westlichen<br />

Regierungen hätten sich nur „aus taktischen Erwägungen“ darauf eingelassen und das nicht<br />

mit <strong>de</strong>n Interessen <strong>de</strong>r Gläubigen motiviert, <strong>die</strong> in <strong>de</strong>n sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn leben, da „sie<br />

wenigstens Märtyrer sind und unsterblich sein wer<strong>de</strong>n.“<br />

Ob <strong>die</strong>se Äußerungen Ottavianis tatsächlich zutreffen o<strong>de</strong>r „interpretiert“ wur<strong>de</strong>n, sei<br />

dahingestellt. Die Absicht scheint klar zu sein: Hier Ottaviani, <strong>de</strong>r „Wachhund“ <strong>de</strong>r Kirche,<br />

dort Casaroli, <strong>de</strong>r einen „modus vivendi“ für <strong>die</strong> Kirche unter <strong>de</strong>n kommun<strong>ist</strong>ischen Regimes<br />

sucht. Der vatikanische Chefdiplomat wird von <strong>de</strong>n Kommun<strong>ist</strong>en nicht gera<strong>de</strong> „hofiert“, <strong>de</strong>r<br />

jedoch <strong>de</strong>n eigenen Interessen nützlich scheint, wird man ihn propagand<strong>ist</strong>isch gegen seine<br />

innerkirchlichen Kritiker „verteidigen“, wie <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren „fortschrittlichen Kreise“ innerhalb<br />

<strong>de</strong>r römischen Kurie.<br />

Unterwan<strong>de</strong>rn und zersetzen<br />

Das Manöver <strong>ist</strong> nur allzu durchsichtig. Es gehört zum Standardrepertoire geheim<strong>die</strong>nstlicher<br />

Operationen. In <strong>die</strong>sem Fall: Die Kirche unterwan<strong>de</strong>rn und zersetzen. In <strong>die</strong>ses Schema passt<br />

dann auch, dass <strong>die</strong> Ungarn in ihrer „Information“ berichten, „gegen <strong>die</strong> Ansichten<br />

Ottavianis“ sei Kardinal Fürstenberg (3) aufgetreten. Er habe erklärt, „dass <strong>die</strong> Kirche <strong>die</strong><br />

Tschechoslowaken nicht zum Lei<strong>de</strong>n zwingen könnte, wenn <strong>die</strong>se es zurückweisen, <strong>de</strong>nn<br />

sonst wäre <strong>die</strong> Kirche schuld an <strong>de</strong>r Vernichtung <strong>de</strong>r Bevölkerung.“<br />

„Informationen“ aus <strong>de</strong>m Vatikan erreichten in einer für <strong>die</strong> Geheim<strong>die</strong>nstbürokratie<br />

typischen Papierflut auch das Ostberliner Min<strong>ist</strong>erium für Staatssicherheit. Erster Anlaufstelle<br />

in <strong>de</strong>r Regel <strong>die</strong> HV A (Hauptverwaltung Aufklärung), also <strong>de</strong>r Auslandsnachrichten<strong>die</strong>nst.<br />

Aus <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rschriften <strong>ist</strong> nicht ersichtlich <strong>ist</strong>, wie <strong>die</strong> Ergebnisse zustan<strong>de</strong> kamen. In <strong>de</strong>r<br />

Regel beschränken sich <strong>die</strong> Quellenangaben auf einen allgemein formulierten Hinweis wie<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XIX.<br />

„Information <strong>de</strong>r Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r VR Ungarn“, o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer Volksrepubliken. Der<br />

Informant wird lapidar als „überprüfte und zuverlässige“ Quelle angegeben. Insofern <strong>ist</strong> je<strong>de</strong>s<br />

Blatt Papier mit Vorsicht zu genießen. Hinzu kommen, vor allem in <strong>de</strong>n fünfziger und<br />

sechziger Jahren, immer wie<strong>de</strong>r auffällige Übersetzungsfehler, insbeson<strong>de</strong>re bei Namen und<br />

Bezeichnungen aus Bereich <strong>de</strong>r römischen Kurie. Gleichwohl sind <strong>die</strong> Akten <strong>de</strong>r kommuni<br />

stischen Nachrichten<strong>die</strong>nste bleiben<strong>de</strong> Zeugnisse <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ologischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung. Die<br />

Ausforschung <strong>de</strong>r Kirchen, von <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>bene bis zum Pontifex sollten zum einen<br />

Angriffsflächen für <strong>de</strong>n Kirchenkampf liefern und zum an<strong>de</strong>ren – bei <strong>de</strong>r Beobachtung <strong>de</strong>s<br />

Vatikans als einer ersten Adresse für politische Informationen im Weltmaßstab – <strong>de</strong>r eigenen<br />

Führung entsprechen<strong>de</strong>s Material an <strong>die</strong> Hand geben.<br />

Je<strong>de</strong> Menge „Informationen“<br />

Selbst das MfS, für das <strong>de</strong>r Vatikan „keine Priorität“ hatte, wie <strong>de</strong>r letzte Chef <strong>de</strong>r HVA, <strong>de</strong>r<br />

ehemalige Generaloberst Werner Großmann herunterspielte, war in <strong>die</strong>se Arbeitsteilung <strong>de</strong>r<br />

„Sicherheitsorgane“ <strong>de</strong>s Warschauer Vertrages eingebun<strong>de</strong>n. Man kann nur staunen, mit<br />

welchem Fleiß etwa <strong>die</strong> ungarischen und polnischen Genossen, <strong>de</strong>nen man offenbar eher<br />

zutraute, <strong>de</strong>n einen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Kurienprälaten zum Sprechen zu bringen, <strong>die</strong><br />

„Normannenstrasse“ belieferten. Ob <strong>de</strong>r „output“ <strong>de</strong>r „Bru<strong>de</strong>rorgane“ <strong>die</strong> Auswerter in<br />

Ostberlin tatsächlich beeindruckten o<strong>de</strong>r das Gros <strong>de</strong>r Papierflug gleich in <strong>de</strong>r Ablage lan<strong>de</strong>te,<br />

steht auf einem an<strong>de</strong>ren Blatt.<br />

„Priorität“ hatte allerdings, was vor und nach <strong>de</strong>m „Prager Sommer 68“ an Informationen im<br />

Hauptquartier <strong>de</strong>s MfS in Ostberlin einging, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> „tschechischen Ereignissen“ mussten<br />

als Gefahr für <strong>de</strong>n Bestand <strong>de</strong>s eigenen Systems verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Entsprechend kurz<br />

geschlossen wor<strong>de</strong>n waren <strong>die</strong> Kontakte <strong>de</strong>r DDR-Botschaft sowie <strong>de</strong>s MfS (über <strong>die</strong> HV A)<br />

während <strong>de</strong>s „Prager Frühlings“ zu <strong>de</strong>n Gegnern <strong>de</strong>r Dubcek-Reformer und <strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>r<br />

Bevölkerung. Mit „<strong>die</strong>sen Kreisen“, bereiteten <strong>die</strong> Ost<strong>de</strong>utschen „<strong>die</strong> Besetzung <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s.<br />

durch <strong>die</strong> Ostblocktruppen“ vor, wie <strong>de</strong>r H<strong>ist</strong>oriker und Marxismus-Experte Wolfgang<br />

Leonhard schreibt. (4)<br />

Nun waren auch <strong>die</strong> „Kundschafter“, <strong>die</strong> um <strong>de</strong>n Vatikan strichen, für <strong>die</strong> „Firma“ (im DDR-<br />

Volksmund das Min<strong>ist</strong>erium für Staatssicherheit MfS ) interessant. Eine Auswahl von<br />

Dokumenten aus <strong>de</strong>n 20 Jahren nach 1968, also bis in <strong>die</strong> Phase <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Götterdämmerung, mag <strong>die</strong>s belegen. Dabei darf nicht übersehen wer<strong>de</strong>n, dass <strong>die</strong><br />

nachrichten<strong>die</strong>nstlichen Protokolle, <strong>die</strong> <strong>de</strong>m MfS zugingen, selbstverständlich auch <strong>de</strong>r<br />

tschechoslowakischen Geheimpolizei vorlagen, sei es auf <strong>de</strong>m Weg <strong>de</strong>s Informationsaustau<br />

sches o<strong>de</strong>r durch <strong>die</strong> eigene Aufklärung.<br />

Casaroli bremst<br />

In einer <strong>de</strong>r Informationen, <strong>die</strong> im November 1968 bei <strong>de</strong>r HV A aus Ungarn eingingen, wird<br />

<strong>de</strong>r „gemäßigte Kurs“ von Papst Paul VI. hervorgehoben und im Gegensatz dazu <strong>die</strong><br />

Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland, nach Atomwaffen strebend, gewissermaßen als Kriegstreiber<br />

unter <strong>de</strong>n NATO-Staaten dargestellt. Einem diplomatischen Vertreter <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Botschaft<br />

beim Vatikan, <strong>de</strong>r Anfang September 1968 von Staatssekretär Cicognani im Beisein von<br />

„Kardinal“ Casaroli (5) empfangen wur<strong>de</strong>, sei <strong>die</strong> Bitte <strong>de</strong>s Papstes übermittelt wor<strong>de</strong>n, „<strong>die</strong><br />

‚extremen` Parteien „im Interesse <strong>de</strong>r Min<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Spannung einzudämmen, <strong>de</strong>r Spannung,<br />

<strong>die</strong> durch <strong>die</strong> tschechoslowakischen Ereignisse hervorgerufen wur<strong>de</strong> und <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n<br />

bedroht.“<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XIX.<br />

Wie <strong>die</strong> ungarischen Agenten aus „zuverlässiger Quelle“ erfahren haben wollen, habe<br />

Casaroli „auch geson<strong>de</strong>rt“ mit <strong>de</strong>m west<strong>de</strong>utschen Diplomaten gesprochen und „entschie<strong>de</strong>n<br />

betont“, dass „<strong>die</strong> Anhänger <strong>de</strong>r Kreuzzüge“ nicht auf <strong>die</strong> Unterstützung <strong>de</strong>s Vatikans rechnen<br />

können. Der Botschaftsrat habe sich bemüht, <strong>de</strong>n „Kardinal“ Casaroli hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />

Absichten <strong>de</strong>r Bonner Regierung zu beruhigen, <strong>die</strong> – wie er sagte, „tief daran interessiert sei,<br />

<strong>die</strong> Wünsche <strong>de</strong>s Vatikans zur Kenntnis zu nehmen“. Er habe aber hinzugefügt, „dass er an<br />

<strong>die</strong> Möglichkeit einer Einengung <strong>de</strong>r Parteien nicht glaube.“<br />

Wie reagieren an<strong>de</strong>re NATO-Staaten auf <strong>die</strong> <strong>die</strong> „tschechoslowakischen Ereignisse“? Etwa in<br />

Paris? Die Agenturen <strong>de</strong>s Ostens wissen schon, wo sie anzapfen können: dort wo viele<br />

Nachrichten zusammenlaufen: in <strong>de</strong>r Zentrale <strong>de</strong>r vatikanischen Diplomatie, <strong>de</strong>m<br />

Staatssekretariat. (6)<br />

Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong> Gaulle befin<strong>de</strong> sich auf einer Linie mit <strong>de</strong>m Papst, heißt es in einer <strong>die</strong>ser<br />

„Informationen“. Die „Ostpolitik“ Frankreichs stimme mit <strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>s Papstes überein,<br />

Europa zu helfen, um <strong>die</strong> bestehen<strong>de</strong> Krise zu überwin<strong>de</strong>n. Der französische Staatschef<br />

verurteile zwar <strong>die</strong> Sowjetunion „wegen ihrer Aktionen gegenüber <strong>de</strong>r Tschechoslowakei“,<br />

halte <strong>die</strong> sowjetische Regierung aber für real<strong>ist</strong>isch.<br />

Die „französische Karte“ wird ausgespielt<br />

Aus „diplomatischen Kreisen <strong>de</strong>s Vatikans“ erfahren <strong>die</strong> Ungarn, <strong>de</strong>r Pariser Nuntius Bertoli<br />

(7) sei Mitte September 1968 vom französischen Außenmin<strong>ist</strong>er Michel Debré (8) empfangen<br />

wor<strong>de</strong>n. Thema <strong>de</strong>r Unterredung: eine Analyse <strong>de</strong>r Situation, „wie sie in <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei entstan<strong>de</strong>n <strong>ist</strong>.“ Debré habe das Verhalten von Papst Paul VI.“ begrüßt,<br />

„in <strong>de</strong>m er feststellte, dass <strong>die</strong> `Einheit, <strong>die</strong> in <strong>de</strong>r offenen und mutigen Verteidigung <strong>de</strong>r<br />

Prinzipien gezeigt wur<strong>de</strong>´ auf <strong>de</strong> Gaulle einen großen Eindruck gemacht“ habe. „Nach Debres<br />

<strong>Mein</strong>ung `verurteilt und verachtet´ <strong>de</strong> Gaulle natürlich zutiefst <strong>de</strong>n Schritt <strong>de</strong>r Sowjetunion,<br />

`zweifelt jedoch nicht am Realismus <strong>de</strong>r Führer <strong>de</strong>s Kreml´“.<br />

Die Absicht solcher Geheim<strong>die</strong>nstberichte <strong>ist</strong> nur zu offensichtlich, nämlich politisch und<br />

nachrichten<strong>die</strong>nstliche Gegensätze im westlichen Bündnis zu konstruieren, o<strong>de</strong>r, wo solche<br />

vorhan<strong>de</strong>n <strong>die</strong>se zu nutzen, und vor allem <strong>die</strong> „Bonner Regierung“ von ihren Partnern zu<br />

isolieren. „Differenzieren“, zersetzen – eine „Standardübung“ geheim<strong>die</strong>nstlicher Praxis. In<br />

<strong>die</strong>ses Schema passt auch <strong>die</strong> „Information“ über eine angebliche Initiative <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>s<br />

regierung, das Bündnis zu einer gemeinsamen Stellungnahme zu <strong>de</strong>r militärischen<br />

Intervention <strong>de</strong>s Warschauer Paktes zu bewegen und <strong>die</strong> „Bitte Bonns“ an <strong>de</strong>n Heiligen Stuhl,<br />

sich bei <strong>de</strong>n Westmächten für <strong>die</strong> Hilfe, „um <strong>die</strong> West<strong>de</strong>utschland ersucht hat“, zu<br />

verwen<strong>de</strong>n. Kardinalstaatssekretär Cicognani habe <strong>die</strong>s einem Botschaftsrat <strong>de</strong>r<br />

bun<strong>de</strong>s<strong>de</strong>utschen Vertretung beim Heiligen Stuhl zugesagt haben. Der Vatikan vertrete jedoch<br />

<strong>die</strong> Auffassung, dass „ein allgemeiner Aufruf nicht zu Ergebnissen führen“ wür<strong>de</strong>. Die<br />

`standhaften´ NATO-Län<strong>de</strong>r aber hätten Hilfe versprochen, „wobei sie gleichzeitig <strong>die</strong><br />

Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r DBR (9) auf ein `vorsichtiges´ Verhalten gegenüber <strong>de</strong>n sozial<strong>ist</strong>ischen<br />

Län<strong>de</strong>rn lenken.“ Soweit <strong>die</strong> etwas verstolperte Wie<strong>de</strong>rgabe <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Übersetzers.<br />

Je<strong>de</strong>nfalls: Debré habe Bertoli versichert, dass <strong>die</strong>se Bitte erfüllt wer<strong>de</strong>.<br />

Auf <strong>de</strong>rselben Linie liegt ein weiterer Bericht <strong>de</strong>s ungarischen Geheim<strong>die</strong>nstes (10). Die<br />

„Information bezieht sich auf das bereits erwähnte „Gespräch mit <strong>de</strong>m Botschaftsrat <strong>de</strong>r DBR<br />

beim Vatikan Anfang September d.J.“. Kardinalstaatssekretär Cicognani habe <strong>de</strong>m Bonner<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XIX.<br />

Diplomaten mitgeteilt, „dass <strong>die</strong> auf Bitten Bonns vom Vatikan unternommenen Schritte<br />

gegen über <strong>de</strong>n Westmächten zwecks Erreichung ihrer `Unterstützung´ für West<strong>de</strong>utschland<br />

nicht <strong>die</strong> erwarteten Ergebnisse erbracht“ hätten. Vor allem „<strong>die</strong> Län<strong>de</strong>r, <strong>die</strong> am me<strong>ist</strong>en mit<br />

<strong>de</strong>r NATO liiert sind“, hätten mitgeteilt, „dass <strong>die</strong> Bitte <strong>de</strong>r BRD nach Hilfe im Rahmen <strong>de</strong>s<br />

Blocks erfüllt“ wer<strong>de</strong>. „Die Vertreter <strong>die</strong>ser Län<strong>de</strong>r“ hätten <strong>de</strong>n Vatikan gleichzeitig gebeten,<br />

„<strong>die</strong> Aufmerksamkeit Bonns auf <strong>die</strong> Notwendigkeit <strong>de</strong>r Durchführung einer `vorsichtigen<br />

Linie´ gegenüber <strong>de</strong>r Sowjetunion und <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn zu lenken.“<br />

Eifrig notieren <strong>die</strong> Ungarn auch eine angebliche „Retourkutsche“ <strong>de</strong>s Bonner Diplomaten,<br />

nach<strong>de</strong>m Cicognani ihm gegenüber „von <strong>de</strong>r Notwendigkeit <strong>de</strong>r Zügelung <strong>de</strong>r militärischen<br />

und national<strong>ist</strong>ischen Parteien in <strong>de</strong>r DBR gesprochen“ habe. Der Botschaftsrat, <strong>de</strong>r im<br />

Anschluss an <strong>die</strong> Begegnung mit <strong>de</strong>m Staatssekretär auch <strong>de</strong>n vatikanischen „Außenmin<strong>ist</strong>er“<br />

Casaroli „zu einem Einzelgespräch“, traf wird mit <strong>de</strong>n Worten zitiert: Auch im Vatikan gebe<br />

es Ultraelemente, „in <strong>de</strong>ren A<strong>de</strong>rn das Blut <strong>de</strong>r Kreuzfahrer vergangener Zeiten fließt“. Der<br />

Papst jedoch unterstütze <strong>die</strong>se nicht, wie sich am Tag nach <strong>de</strong>r „Aggression“ gegen <strong>die</strong><br />

Tschechoslowakei gezeigt habe. – Fazit <strong>die</strong>ser geballten Ladung: Sie macht <strong>de</strong>utlich wie<br />

versucht wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n Vatikan in <strong>die</strong> Kabalen <strong>de</strong>s Kalten Krieges hineinzuziehen.<br />

„Pro Fratribus“ – ein Hilfswerk im Fokus <strong>de</strong>r Geheim<strong>die</strong>nste<br />

In <strong>de</strong>n Wochen und Monaten nach <strong>de</strong>m sowjetischen Einmarsch in <strong>die</strong> Tschechoslowakei<br />

gerät das Hilfswerk „Pro Fratribus“ in <strong>de</strong>n Fokus <strong>de</strong>r Nachrichten<strong>die</strong>nste. (11) Die<br />

Organisation wird in Rom von <strong>de</strong>m Slowaken Pavel Mária Hnilica S.J. und <strong>de</strong>m Tschechen<br />

Jaroslav Skarvada (12) geleitet. „Neben Rom“ unterhalte <strong>die</strong> Organisation, „<strong>die</strong> vom<br />

Staatssekretariat <strong>de</strong>s Vatikans geschaffen wur<strong>de</strong>“, Zentren auch in Wien und München. (Den<br />

Ungarn kommt es wohl nicht so sehr auf Genauigkeit an, als darauf, <strong>die</strong> Ziele zu benennen,<br />

<strong>die</strong> Objekt nachrichten<strong>die</strong>nstlicher Beobachtung durch das MfS sein sollten.) „Pro Fratribus“<br />

betrachte es als seine Aufgabe, schreiben <strong>die</strong> Ungarn, „sich in i<strong>de</strong>ologischer Hinsicht um <strong>die</strong><br />

in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei leben<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r von dort geflüchtete Intelligenz zu `kümmern´ sowie<br />

ihr materielle Hilfe zu gewähren.“<br />

Den Geheim<strong>die</strong>nsten Prags und Ostberlins wer<strong>de</strong>n in <strong>die</strong>ser „Information“ weitere<br />

„zweck<strong>die</strong>nliche“ Hinweise gegeben: In Wien seien österreichische Diplomaten , (sie wer<strong>de</strong>n<br />

namentlich genannt). an „Pro Fratribus“ beteiligt. In <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland wer<strong>de</strong><br />

sich <strong>die</strong> Organisation „mittels <strong>de</strong>s west<strong>de</strong>utschen Jugendverban<strong>de</strong>s, (welcher das sein sollte,<br />

wird nicht gesagt), um einzelne tschechoslowakische „B<strong>ist</strong>ümer“ (sic!) kümmern, „in<strong>de</strong>m sie<br />

jeweils zu zweit vereint wer<strong>de</strong>n (z.B. Passau-Brno, München-Prag usw.). „Eine <strong>die</strong>ser<br />

Vereinigungen“ - (gemeint sind wohl Patenschaften) „<strong>die</strong> Bamberger Vereinigung“ – wer<strong>de</strong><br />

sich u.a. auch um Ungarn „kümmern.“ Die Inoffiziellen resp. Geheimen Mitarbeiter <strong>de</strong>r Stasi<br />

– vulgo: Spitzel – konnten also in Marsch gesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />

1) Alfredo Ottaviani (1890-1979), Kurienkardinal seit 1953, Sekretär <strong>de</strong>s Heiligen Offiziums und erster Präfekt<br />

<strong>de</strong>r Kongregation für <strong>die</strong> Glaubenslehre (bis Januar 1968), galt als Protagon<strong>ist</strong> <strong>de</strong>s konservativen Flügels <strong>de</strong>r<br />

römischen Kurie. Trug ihm <strong>de</strong>n Spitznamen „Wachhund <strong>de</strong>s Papstes“ und „Carabiniere Gottes ein“.<br />

Entschie<strong>de</strong>ner Gegner totalitärer I<strong>de</strong>ologien, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>s Sowjet-Kommunismus. Er veranlasste das von<br />

Pius XII. gebilligte Antikommunismus-Dekret (vom 30.6./1.7. 1949), wonach <strong>Kath</strong>oliken, <strong>die</strong> <strong>de</strong>m Kommunismus<br />

Vorschub le<strong>ist</strong>en, entsprechend wählen o<strong>de</strong>r einer kommun<strong>ist</strong>ischen Partei beitreten, exkommuniziert wer<strong>de</strong>n –<br />

eine zwar allgemein verbindliche, aber vor allem auf <strong>die</strong> innenpolitische Nachkriegs-Verhältnisse Italiens<br />

gemünzte Maßnahme. Von Ottaviani stammt auch <strong>de</strong>r Satz, dass Krieg ohne je<strong>de</strong> Einschränkung abzulehnen, zu<br />

ächten sei (bellum omnino est interdicendum)<br />

2) HA XX/4 – Nr. 652 / Abteilung X v. 18.11. 1968, Tgb.Nr. X/2974/68<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XIX.<br />

3) Maximilian Kardinal von Fürstenberg (1904-1988), zum genannten Zeitpunkt Präfekt <strong>de</strong>r Kongregation für<br />

<strong>die</strong> Orientalischen Kirchen. (weitere biographische Daten im Internet).<br />

4) Wolfgang Leonhard in „Die Revolution entlässt ihre Kin<strong>de</strong>r“ in Die Politische <strong>Mein</strong>ung, November<br />

5) Agostino Casaroli war zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt (seit 1967) noch Titularbischof im Staatssekretariat (ab 1968<br />

„Rat für <strong>die</strong> öffentlichen Angelegenheiten <strong>de</strong>r Kirche“); 1979 wur<strong>de</strong> er von Papst Johannes Paul II. zum<br />

Kardinal ernannt. Wie schon an an<strong>de</strong>rer Stelle bemerkt, können nachrichten<strong>die</strong>nstliche Informationen <strong>die</strong>ser<br />

Qualitität nur mit Skepsis bewertet wer<strong>de</strong>n. Mangelhafte Kenntnis über innerkirchliche Strukturen und<br />

Regularien, schludrige Wie<strong>de</strong>rgabe von „Informationen“ – sie blieben allerdings auch <strong>de</strong>n Auswertern <strong>de</strong>s MfS<br />

nicht verborgen und mit entsprechen<strong>de</strong>n Vermerken versehen.<br />

6) HA XX/4 -Nr. 652 / Abt. X v. 18. 11. 1968 - Tgb.Nr.X/2974/68 sowie HA XX/4 – Nr. 652 / Abt. X v. 27. 12.<br />

1968 - Tgb. Nr. X/3304 /68<br />

7) Paolo Bertoli, Titular-Erzbischof und Apostolischer Nuntius in Frankreich (Paris) von 1960-1969.<br />

8)Michel Debré, Außenmin<strong>ist</strong>er von 1968/69, einer <strong>de</strong>r politischen Weggefährten <strong>de</strong> Gaulles.<br />

9) DBR – „Deutsche Bun<strong>de</strong>srepublik“, DDR-Terminus für Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland. In Bonn regiert von<br />

1966 bis 1969 eine Große Koalition unter Bun<strong>de</strong>skanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) und Vizekanzler und<br />

Bun<strong>de</strong>saußenmin<strong>ist</strong>er Willy Brandt (SPD). Ein innen- wie außenpolitisch einschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Vorgang <strong>ist</strong> <strong>die</strong><br />

Verabschiedung <strong>de</strong>r Notstandsgesetze vom 30. Mai 1968. Öffentliche Demonstrationen, Bildung einer so<br />

genannten „außerparlamentarischen Opposition“ (APO).<br />

10) HA XX/4 – Nr. 652, Abt. X v. 23. 12. 1968 / Tgb.Nr. X/3303/68<br />

11) MfS – HA XX/4 – 652 – Abt. X v. 23. 12. 1968. Tgb.Nr. X/ 3313 /68<br />

12) Pavel Mária Hnilica (1921-2006), Mitglied <strong>de</strong>s Jesuitenor<strong>de</strong>ns, geheim geweiht zum Priester (1950), zum<br />

Bischof (1951 – mit Zustimmung von Papst Pius XII.), 1964, als er schon im römischen Exil lebte, öffentlich zum<br />

Titularbischof ernannt) / Jaroslav Skarvada (geb. 1924 in Prag) ab 1945 Studium an <strong>de</strong>r Päpstlichen Lateran-<br />

Universität sowie am „Nepomucenum“ (<strong>de</strong>m Päpstlichen Böhmischen Kolleg in Rom), 1949 Priesterweihe,<br />

wegen kommun<strong>ist</strong>ischer Machtübernahme von 1948 keine Rückkehr in <strong>die</strong> Heimat, ab 1965 Sekretär von<br />

Kardinal Josef Beran in <strong>de</strong>ssen römischem Exil, ab 1968 mit <strong>de</strong>r Seelsorge an <strong>de</strong>n Tschechen im Ausland<br />

beauftragt, von 1970 bis 1991 Mitarbeiter <strong>de</strong>s vatikanischen Staatssekretariats, 1983 von Papst Johannes Paul<br />

II. zum Titularbischof von Litomysl ernannt mit Wohnsitz in Rom, ab 1991 (bis zu seiner Emeritierung im Jahre<br />

2002) Weihbischof in Prag und Generalvika<br />

r.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XX.<br />

XX. Im Bund mit <strong>de</strong>r NATO<br />

In <strong>de</strong>n Monaten nach <strong>de</strong>m Einmarsch von Warschauer Pakt-Truppen wird weiter versucht, mit<br />

<strong>de</strong>r „französischen Karte“ <strong>die</strong> west<strong>de</strong>utsche Bun<strong>de</strong>sregierung auszuspielen. Das<br />

„Spielmaterial“ beschafft sich <strong>de</strong>r ungarische Nachrichten<strong>die</strong>nst aus <strong>de</strong>m Vatikan. Mit<br />

an<strong>de</strong>ren Worten: Die römische Resi<strong>de</strong>ntur <strong>de</strong>s ungarischen Auslandsgeheim<strong>die</strong>nstes<br />

beschattete nicht nur <strong>de</strong>n Vatikan, son<strong>de</strong>rn versuchte, über diplomatische Kanäle <strong>de</strong>s Heiligen<br />

Stuhls <strong>die</strong> westeuropäische Außenpolitik auszuforschen, in <strong>die</strong>sem Fall Frankreichs, speziell<br />

in seinem Verhältnis zu <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Supermächten und zum Nachbarn Deutschland.<br />

Der französische Außenmin<strong>ist</strong>er Michel Debré, berichten <strong>die</strong> Ungarn in einer Ihrer<br />

„Informationen“ aus <strong>de</strong>m Vatikan, habe „<strong>die</strong> West<strong>de</strong>utschen“ kritisiert. Diese wollten „<strong>die</strong><br />

sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r nach eigenem Gutdünken teilen“ und mischten sich „<strong>de</strong>shalb in <strong>die</strong><br />

inneren Angelegenheiten <strong>die</strong>ser Län<strong>de</strong>r ein.“ Auch das Feindbild Vatikan als das eines<br />

NATO-Partners wird aufpoliert. Der Apostolische Nuntius in Paris, Paolo Bertoli habe „über<br />

Debré <strong>de</strong> Gaulle <strong>die</strong> Bitte <strong>de</strong>s Papstes“ übermittelt, Frankreich möge während <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r<br />

Krise <strong>die</strong> Verteidigungspläne <strong>de</strong>s Atlantischen Bündnisses begünstigen.“ (1)<br />

In <strong>de</strong>r „Information“ vom 27. Dezember 1968 wird <strong>die</strong>s wie<strong>de</strong>rholt: Der Nuntius habe <strong>die</strong><br />

Wünsche <strong>de</strong>s Papstes übermittelt, „daß <strong>die</strong> westeuropäischen Politiker <strong>die</strong> zwischen ihnen<br />

bestehen<strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rsprüche zur `Erhaltung <strong>de</strong>r Ex<strong>ist</strong>enz Europas´ beiseite schieben.“ Bertoli<br />

habe Debré beson<strong>de</strong>rs darum gebeten, „<strong>de</strong> Gaulle <strong>die</strong> innigsten Wünsche <strong>de</strong>s Papstes zu<br />

übermitteln, daß er <strong>die</strong> `Verteidigungs´-Pläne <strong>de</strong>r NATO unterstützt.“ (2)<br />

Hintergrund:<br />

Frankreich, 1949 Gründungsmitglied <strong>de</strong>s Nordatlantik-Vertrages, war 1966 aus <strong>de</strong>r militärischen Organisation<br />

<strong>de</strong>r NATO ausgetreten. De Gaulle, 1958 an <strong>die</strong> Macht gekommen, sah <strong>die</strong> wie<strong>de</strong>r erstarkte Gran<strong>de</strong> Nation, nach<br />

ersten erfolgreichen Atomtest 1960 in <strong>de</strong>n Kreis <strong>de</strong>r Nuklear-Mächte getreten und 1965 mit <strong>de</strong>r „Force <strong>de</strong><br />

Frappe“ über eigene atomare Streitkräfte verfügend. Für <strong>de</strong>n französischen Präsi<strong>de</strong>nten war <strong>die</strong> amerikanische<br />

Dominanz <strong>de</strong>r USA in <strong>de</strong>r NATO nicht länger akzeptabel.<br />

Ressentiments wegen gewisser Demütigungen gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges, mit Frankreich am<br />

„Katzentisch“ <strong>de</strong>r „Großen Drei“, waren ebenfalls nicht von <strong>de</strong>r Hand zu weisen. Frankreich und <strong>die</strong><br />

Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland bemühten sich um <strong>de</strong>n Aufbau gutnachbarlicher Beziehungen: En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

„Erzfeindschaft“ , daraus erwachsend, <strong>die</strong> <strong>de</strong>utsch-französische Freundschaft und Partnerschaft, mit De Gaulle<br />

und A<strong>de</strong>nauer als Protagon<strong>ist</strong>en. Die Bun<strong>de</strong>srepublik trat <strong>de</strong>r NATO 1955 bei, <strong>de</strong>r Vertrag wur<strong>de</strong> 1990 auf das<br />

gesamte (wie<strong>de</strong>rvereinigte) Deutschland ausgeweitet.<br />

Die militärische NATO wich Mitte <strong>de</strong>r 60er Jahre von <strong>de</strong>r Strategie <strong>de</strong>r „massiven Vergeltung“ mit Atomwaffen<br />

ab und wechselte zur Strategie abgestufter Maßnahmen einer „ flexible response“ , wohl auch um das nukleare<br />

Risiko zu verringern, ohne jedoch <strong>die</strong> atomare Rüstung einzustellen. Der Osten reagierte ähnlich, bei<strong>de</strong> Blöcke<br />

suchten nach politischen Lösungen auf <strong>de</strong>m Verhandlungsweg. Dann <strong>de</strong>r Einmarsch von Truppen <strong>de</strong>s<br />

Warschauer Paktes in <strong>die</strong> Tschechoslowakei, von Moskau als innere Angelegenheit <strong>de</strong>s sozial<strong>ist</strong>ischen Lagers<br />

begrün<strong>de</strong>t.<br />

Ein Nuntius in Paris<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XX.<br />

Umso mehr interessierten sich <strong>die</strong> Nachrichten<strong>die</strong>nste <strong>de</strong>s Ostens für <strong>de</strong>n inneren Zustand <strong>de</strong>s<br />

westlichen Bündnisses. Die ungarische „Aufklärung“ wur<strong>de</strong> aktiv. Was war über vatikanische<br />

Kanäle zu erfahren? Zum Beispiel über eine Zusammenkunft Anfang Oktober 1968 zwischen<br />

<strong>de</strong>m Generalsekretär <strong>de</strong>r NATO Manlio Giovanni Brosio und <strong>de</strong>m Vatikan-Diplomaten Mario<br />

Pio Gaspari. (3) Die Beziehungen zum Nato-Generalsekretär verdanken wohl allein schon aus<br />

landsmannschaftlichen Grün<strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>rseitige Sympathie. Sie seinen „im Interesse <strong>de</strong>r<br />

Hilfele<strong>ist</strong>ung und <strong>de</strong>r Verwirklichung <strong>de</strong>s gemeinsamen Ziels, wer<strong>de</strong> in kompetenten Kreisen<br />

<strong>de</strong>s Vatikans unterstrichen, „gegenwärtig enger und freundschaftlicher als je zuvor.“ (4)<br />

Angeblich bittet ihn <strong>de</strong>r Vatikan-Diplomat im Namen <strong>de</strong>s Papstes, neue Anstrengungen zu<br />

unternehmen, „um <strong>die</strong> inneren Probleme <strong>de</strong>r NATO, <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Haltung <strong>de</strong>r Franzosen<br />

hervorgerufen wur<strong>de</strong>n, zu lösen. Der Papst versuche Frankreich so weit zu beeinflussen,<br />

„damit es <strong>die</strong> Tätigkeit <strong>de</strong>r NATO nicht hemmt, ohne dass <strong>de</strong> Gaulle dabei seine Position<br />

aufgibt. Brosio wie<strong>de</strong>rum soll <strong>die</strong> <strong>Mein</strong>ung vertreten haben, <strong>die</strong> Bun<strong>de</strong>srepublik müsse<br />

„maximale Sorgfalt“ walten lassen, weil sie sonst <strong>de</strong>n extremen Kräften in <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> arbeite<br />

und <strong>de</strong>r Sowjetunion Argumente gebe. Der NATO-Generalsekretär übergibt <strong>de</strong>m Vatikan-<br />

Gesandten eine Denkschrift über <strong>die</strong> gesamtpolitische und militärische Lage.<br />

Die Analyse enthält eine Einschätzung <strong>de</strong>s Kräfteverhältnisses <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Lager vor und nach<br />

<strong>de</strong>r Aktion <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei. Sie kommt zu <strong>de</strong>m Schluss,<br />

so <strong>de</strong>r ungarische Nachrichten<strong>die</strong>nst, dass das Gleichgewicht <strong>de</strong>r Kräfte bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Jahres wie<strong>de</strong>rhergestellt sein wer<strong>de</strong>. Die Lage sei nach Auffassung <strong>de</strong>s NATO-<br />

Generalsekretärs nicht so tragisch, wenn <strong>die</strong> Sowjetunion nicht Rumänien o<strong>de</strong>r Jugoslawien<br />

okkupiere. Man hoffe, dass <strong>die</strong> Sowjetunion <strong>die</strong> Warnung <strong>de</strong>r USA, „hinter <strong>de</strong>r sich auch<br />

ernste Maßnahmen verbergen“, verstehen wer<strong>de</strong>. In einer „Anmerkung“, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

ungarischen „Information“ hinzugefügt, wird festgestellt: Der Teil <strong>de</strong>r Information über<br />

Frankreich entspreche <strong>de</strong>r Kampagne, <strong>die</strong>, wie „uns auch aus an<strong>de</strong>ren Quellen bekannt <strong>ist</strong>“,<br />

im Interesse <strong>de</strong>r Annäherung zwischen Paris und <strong>de</strong>r NATO und <strong>de</strong>r Verschärfung seiner<br />

Beziehungen mit <strong>de</strong>n sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn geführt wer<strong>de</strong>.<br />

Zwar war eine erste Phase <strong>de</strong>s Kalten Krieges, mit <strong>de</strong>m Höhepunkt <strong>de</strong>r Kuba-Krise glimpflich<br />

verlaufen, aber <strong>die</strong> politischen und mehr noch <strong>die</strong> militärischen Blöcke stan<strong>de</strong>n sich<br />

unversöhnlich gegenüber. Die Bemühungen um Entspannung waren auf bei<strong>de</strong>n Seiten<br />

begleitet von Misstrauen und entsprechen<strong>de</strong>r Konzentration auf militärischen Abwehr (<strong>die</strong><br />

Gegenseite sagte: Angriffs-Bereitschaft. Dem Westen wur<strong>de</strong> vor allem das nordatlantische<br />

Militärbündnis als Urbegriff <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>nsbedrohung unterstellt. Auch <strong>die</strong> Kirche blieb nicht<br />

verschont. Wollte man sie treffen, dann mit <strong>de</strong>m Vorwurf mit <strong>de</strong>r NATO im Bun<strong>de</strong> zu sein.<br />

So verwun<strong>de</strong>rt es nicht, wenn auch <strong>die</strong> folgen<strong>de</strong> „Information“ <strong>de</strong>s ungarischen<br />

Geheim<strong>die</strong>nstes aus Rom in <strong>die</strong>se Kerbe schlägt: Die „Hauptthese <strong>de</strong>r Politik <strong>de</strong>s Vatikans<br />

gegenüber <strong>de</strong>r NATO“ sei, „wie zu Zeiten Papst Pius XII. auch in unseren Tagen, <strong>de</strong>r so<br />

genannte `Europäismus´.“ Sein Endziel sei <strong>die</strong> Schaffung und Stärkung <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>s<br />

„katholischen Europa“ entsprechend <strong>de</strong>n Interessen <strong>de</strong>s Vatikans und eine effektive Abwehr<br />

<strong>de</strong>r `kommun<strong>ist</strong>ischen Aggression´“. Dieser Grundsatz habe „natürlich“ verschie<strong>de</strong>ne<br />

Verän<strong>de</strong>rungen durchgemacht, beson<strong>de</strong>rs zur Zeit Johannes XXIII. und Paul VI.; „aber seine<br />

Ziele sind <strong>die</strong> gleichen geblieben.“<br />

In <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s „kalten Krieges“ habe sich <strong>de</strong>r Vatikan <strong>de</strong>n „Europäismus“ ohne<br />

„Atlantismus“ nicht <strong>de</strong>nken können. Daraus habe sich ergeben, „dass <strong>de</strong>r Heilige Stuhl<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XX.<br />

wi<strong>de</strong>rspruchslos <strong>die</strong> Vereinigten Staaten, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Verteidigung Europas garantieren,<br />

unterstützte und auch heute unterstützt.“ Inzwischen habe sich <strong>die</strong> Lage nach Einschätzung<br />

vatikanischer Kreise <strong>die</strong> Lage grundlegend geän<strong>de</strong>rt. Der militärische Charakter <strong>de</strong>s<br />

Atlantikpaktes trete allmählich in <strong>de</strong>n Hintergrund, gegenüber eher politischen, kulturellen<br />

und wirtschaftlichen Zielen. Der Vatikan begrüße das, halte es aber für notwendig zu<br />

erklären, dass er nicht <strong>de</strong>n Optimismus <strong>de</strong>rer teile, <strong>die</strong> glauben, „dass <strong>die</strong> Gefahr <strong>de</strong>r<br />

physischen Vernichtung <strong>de</strong>s „freien Europa“ vorüber sei.<br />

Nach Auffassung <strong>de</strong>s Vatikans hätten <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>en nur wegen <strong>de</strong>r sowjetischchinesischen<br />

Wi<strong>de</strong>rsprüche und <strong>de</strong>r Annäherung zwischen <strong>de</strong>r Sowjetunion und <strong>de</strong>n USA nur<br />

zeitweilig, jedoch nicht endgültig, auf <strong>die</strong>sen Plan verzichtet. Der Vatikan ziehe aus <strong>die</strong>ser<br />

Theorie <strong>de</strong>n Schluss: Man darf <strong>die</strong> NATO kritisieren und reformieren, „aber wegen <strong>de</strong>r<br />

bestehen<strong>de</strong>n Gefahr nicht liqui<strong>die</strong>ren.“ Gera<strong>de</strong> darum sei <strong>die</strong> Haltung Frankreichs<br />

unverständlich, sein Streben, aus <strong>de</strong>r NATO auszutreten, rufe im Vatikan „Verwun<strong>de</strong>rung und<br />

Bedauern“ hervor.<br />

Vatikanische Diplomatie in Washington<br />

Die Ungarn berichten, <strong>de</strong>r Vatikan habe, „mit <strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>r Verhin<strong>de</strong>rung möglicher weiterer<br />

Austritte aus <strong>de</strong>r NATO“ im Mai 1968 Anweisungen an seine Auslandsvertretungen<br />

geschickt, <strong>die</strong> auf <strong>die</strong> „Notwendigkeit <strong>de</strong>r Erhaltung <strong>de</strong>r NATO“ aufmerksam machen. Die<br />

vatikanischen Diplomaten sollen in <strong>die</strong>sem Sinne auf „<strong>die</strong> Regierungskreise <strong>de</strong>r NATO-<br />

Mitgliedstaaten Einfluss ausüben.“<br />

Der Nuntius in Washington wird erwähnt, <strong>de</strong>m <strong>die</strong> Aufgabe gestellt wor<strong>de</strong>n sei, <strong>die</strong><br />

Regierung <strong>de</strong>r USA davon zu überzeugen, einigen Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Atlantikpaktes<br />

zuzustimmen im Austausch gegen <strong>die</strong> Unterstützung <strong>de</strong>s Kampfes für <strong>die</strong> Erhaltung <strong>de</strong>r<br />

NATO durch <strong>de</strong>n Vatikan. Dem ungarischen Bericht <strong>ist</strong> hinzugefügt: Der Vatikan habe auch<br />

darum gebeten, „gewisse Aktionen <strong>de</strong>s Vatikans, wie z. B. <strong>die</strong> Kampagne für <strong>die</strong> Einstellung<br />

<strong>de</strong>s Vietnam-Krieges, nicht als Auftreten gegen <strong>die</strong> USA zu werten.“ Der Vatikan trete für<br />

eine gemäßigte Revision <strong>de</strong>s Atlantikpaktes ein. Der Vatikan schlage „einen Gegenpol“ vor,<br />

zu <strong>de</strong>n „zwei einan<strong>de</strong>r entgegengesetzten Ten<strong>de</strong>nzen“, nämlich <strong>de</strong>r „Erhaltung <strong>de</strong>r NATO<br />

ohne Verän<strong>de</strong>rungen o<strong>de</strong>r ihre „vollständige Liqui<strong>die</strong>rung“. (5)<br />

Die Auswerter <strong>de</strong>s MfS nahmen auch <strong>die</strong>se Information <strong>de</strong>r „Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r VR<br />

Ungarn“ nur unter Vorbehalt zur Kenntnis. In solchen Fällen mit <strong>de</strong>r bekannten Schlussformel<br />

kommentiert: „Die Information stammt aus einer zuverlässigen Quelle, <strong>ist</strong> jedoch nicht<br />

überprüft.“ In <strong>de</strong>r „Information“ vom 18. November, und wie<strong>de</strong>rholt am 27. Dezember, wird<br />

festgestellt, <strong>de</strong>r päpstliche Gesandte habe <strong>die</strong> französische Haltung als „wi<strong>de</strong>rsprüchlich“<br />

betrachte: Die Franzosen kritisierten <strong>die</strong> Bun<strong>de</strong>srepublik „wegen ihrer Einmischung in <strong>die</strong><br />

inneren Angelegenheiten <strong>de</strong>s sozial<strong>ist</strong>ischen Lagers, wegen <strong>de</strong>r Versuche <strong>de</strong>r DBR (6), <strong>de</strong>ssen<br />

Spaltung hervorzurufen. Gleichzeitig bestätigten sich <strong>die</strong> Regierung Frankreichs und <strong>de</strong>r<br />

Präsi<strong>de</strong>nt selbst jedoch als „Aufwiegler“, in<strong>de</strong>m er z.B. <strong>die</strong> Reise nach Rumänien durchführte.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XX.<br />

Hintergrund:<br />

Präsi<strong>de</strong>nt Charles <strong>de</strong> Gaulle war vom 14. bis 19. 5. – auf <strong>de</strong>m Höhepunkt <strong>de</strong>r französischen „Mai-Krise“ - zu<br />

einem Staatsbesuch nach Rumänien gere<strong>ist</strong>, wohl um <strong>de</strong>n Eindruck einer entspannten Lage in seinem Land zu<br />

vermitteln. Begonnen hatte <strong>die</strong>ser lan<strong>de</strong>sweite Protest mit <strong>de</strong>n Stu<strong>de</strong>nten, im Gefolge <strong>de</strong>r Demonstrationen in<br />

West<strong>de</strong>utschland und in <strong>de</strong>n USA und griff auf <strong>die</strong> Arbeiterschaft über. Am Anfang stand <strong>de</strong>r Aufruhr <strong>de</strong>r<br />

Stu<strong>de</strong>nten in Nanterre (Daniel Cohn Bendit und <strong>die</strong> „Bewegung 22. März“ ; es folgten am 10 Mai <strong>die</strong> „Nacht <strong>de</strong>r<br />

Barrika<strong>de</strong>n“ , <strong>die</strong> Straßenkämpfe in Paris).<br />

De Gaulle löste <strong>die</strong> Nationalversammlung auf. Neuwahlen bestätigten seine Politik mit eindrucksvoller<br />

Mehrheit. Mit <strong>de</strong>n letzten Krawallen am 11. Juni en<strong>de</strong>te eine Frankreich erschüttern<strong>de</strong> Krise, <strong>die</strong> bis an <strong>de</strong>n Rand<br />

eines Bürgerkriegs geführt, <strong>de</strong> Gaulle über <strong>de</strong>n Einsatz von Militär hatte nach<strong>de</strong>nken lassen. Rumänien, das sich<br />

unter Partei- und Staats-Chef Nicolae Ceausescu zunehmend von Moskau entfernte, sollte durch seinen Besuch<br />

gestärkt, für <strong>de</strong>n Westen gewonnen wer<strong>de</strong>n. Ceausescu hatte <strong>die</strong> gewaltsame Nie<strong>de</strong>rschlagung <strong>de</strong>s Prager<br />

Experiments eines <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus scharf kritisiert. Im September sollen westliche Geheim<strong>die</strong>nste<br />

von angeblichen sowjetischen Plänen einer Strafaktion gegen Bukarest wegen <strong>die</strong>ses „Ungehorsams“ erfahren<br />

haben. Albanien, das ebenfalls <strong>die</strong> Intervention verurteilte, trat aus <strong>de</strong>m sozial<strong>ist</strong>ischen Verteidigungsbündnis<br />

aus.<br />

De Gaulles „Ostpolitik<br />

Frankreich möchte ein starkes „Europa <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r“ haben, (angestrebt wer<strong>de</strong> „<strong>die</strong> Schaffung<br />

starker selbständiger europäischer Staaten an“), behin<strong>de</strong>re jedoch <strong>die</strong> Ausrüstung Bonns „in<br />

entsprechen<strong>de</strong>r Weise, d.h. mit Kernwaffen, da es meint, dass <strong>die</strong> Sowjetunion in <strong>die</strong>sem Fall<br />

es für begrün<strong>de</strong>t halten wür<strong>de</strong>, sich in <strong>die</strong> inneren Angelegenheiten <strong>de</strong>r DBR einzumischen.“<br />

(In <strong>de</strong>r „Information“ vom 18. November wird analog dazu ausgeführt: „… daß das für <strong>die</strong><br />

Sowjetunion als Vorwand zu einer bewaffneten Intervention gegen <strong>die</strong> DBR <strong>die</strong>nen“ könne.)<br />

Die „Information“ über <strong>die</strong> Begegnung mit Debré kommt zum Schluss auf innenpolitische<br />

Kontroversen zwischen <strong>de</strong>n „katholischen Massen“ und <strong>de</strong>n „linken Kräften“ in <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r<br />

Bündnispolitik, <strong>de</strong>n Ost-West-Beziehungen und <strong>de</strong>r Situation nach <strong>de</strong>m sowjetischen Einfall<br />

in <strong>die</strong> Tschechoslowakei zu sprechen. De Gaulle wird, wie <strong>die</strong> Ungarn mel<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>n<br />

Rechten angegangen, weil er „mehr auf <strong>die</strong> USA herfiel“ als auf <strong>die</strong> UdSSR und <strong>die</strong><br />

Verantwortung auf <strong>die</strong> Vorgänge in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei auf <strong>die</strong> Ergebnisse von Yalta<br />

zurückführt. (7) An<strong>de</strong>re kritisierten ihn wegen seiner „Äquid<strong>ist</strong>anz zu <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Pakten“<br />

(gemeint sind <strong>de</strong>r Nordatlantische NATO und <strong>de</strong>r Warschauer Vertrag), wodurch er „in <strong>de</strong>r<br />

gegenwärtigen Lage <strong>die</strong> Festigung <strong>de</strong>r Verteidigung Europas mit Hilfe <strong>de</strong>r NATO und eine<br />

entsprechen<strong>de</strong> Bewaffnung <strong>de</strong>r DBR erschwert“ habe, da er annehme, „dass <strong>die</strong>s in Moskau<br />

Unzufrie<strong>de</strong>nzeit hervorrufen wür<strong>de</strong>.“<br />

Mit seinem Verhalten „während <strong>de</strong>r Ereignisse in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei“ habe <strong>de</strong>r<br />

französische Präsi<strong>de</strong>nt bewiesen, „dass er seine Politik in Bezug auf <strong>die</strong> UdSSR nicht<br />

geän<strong>de</strong>rt“ habe. Zwar habe er „Empörung gezeigt“ und „das Vorgefallene als Unsinn einer<br />

kollektiven Führung“ bezeichnet; öffentlich jedoch habe er <strong>die</strong> Sowjetunion „nur mit<br />

Vorbehalt“ verurteilt („wenn er sie überhaupt verurteilt hat“). Er habe seine Haltung zu<br />

<strong>die</strong>ser Frage auch nach seiner Reise nach Bonn nicht geän<strong>de</strong>rt. Der zurückhalten<strong>de</strong> Ton <strong>de</strong>r<br />

Erklärung <strong>de</strong> Gaulles sei damit motiviert, dass <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt Frankreichs sich um je<strong>de</strong>n Preis<br />

bemühe, „alle (noch verbliebenen) Möglichkeiten einer Min<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Spannungen zu<br />

beachten.“<br />

De Gaulles Außenpolitik, von <strong>de</strong>n wirtschaftlichen Folgen <strong>de</strong>r „Mai-Ereignisse“ und einem<br />

damit verbun<strong>de</strong>nen „Prestigeverlust“, wird Anfang Januar an folgen<strong>de</strong>n Punkten festgemacht:<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XX.<br />

„In Bezug auf Europa“ bleibe er „seiner alten politischen Konzeption treu: er verhält sich<br />

feindselig gegenüber <strong>de</strong>r NATO, unterstützt mit Vorbehalten <strong>de</strong>n Gemeinsamen Markt, wobei<br />

er fortfahre, „gegen <strong>die</strong> Aufnahme Englands zu protestieren.“ An seinem Bündnis mit <strong>de</strong>r<br />

DBR (gemeint <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland) halte er fest, „aber nur bis zu einem<br />

solchen Gra<strong>de</strong>, dass seine Beziehungen zur UdSSR nicht kompromittiert wer<strong>de</strong>n.“<br />

„In zuständigen vatikanischen Kreisen sei angeblich bekannt, daß <strong>de</strong> Gaulle im Prinzip nicht<br />

gegen <strong>die</strong> Hilfe sei, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Bun<strong>de</strong>srepublik erbitte, unter <strong>de</strong>m Vorwand <strong>de</strong>s Schutzes gegen<br />

<strong>die</strong> UdSSR. De Gaulle wäre aber „nur unter größter Geheimhaltung und nur bei beson<strong>de</strong>ren<br />

Bedingungen mit <strong>die</strong>ser Hilfe einverstan<strong>de</strong>n“. Mit „Hilfe“ meinen <strong>die</strong> Ungarn „<strong>die</strong> Erfüllung<br />

<strong>de</strong>r Ansprüche <strong>de</strong>r DBR auf Atomwaffen im Falle eines Angriffs aus <strong>de</strong>m `Osten´. Sie fügen<br />

hinzu: „Wenn man <strong>die</strong> Zweifel General <strong>de</strong> Gaulles hinsichtlich eines Überfalls auf<br />

Westeuropa seitens <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r kennt, erweisen sich <strong>die</strong> Bedingungen für <strong>die</strong><br />

Hilfele<strong>ist</strong>ung praktisch als Weigerung, <strong>die</strong> DBR mit Atomwaffen zu versehen.“ In wie weit<br />

<strong>die</strong>ses simple Freund-Feind-Schema <strong>die</strong> jeweilige politische Führung in <strong>de</strong>n Hauptstädten <strong>de</strong>s<br />

sozial<strong>ist</strong>ischen Lagers beeindruckte, wäre durch Gegenüberlieferungen aus <strong>de</strong>n in Frage<br />

kommen<strong>de</strong>n Staatsarchiven zu klären. Das hier vorgelegte Material kann allenfalls als Beleg<br />

gelten, wie intensiv <strong>die</strong> römische Kurie von <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen „Aufklärung“ überwacht<br />

wur<strong>de</strong>.<br />

Nach <strong>de</strong>r Invasion – <strong>die</strong> Kirche spalten<br />

Um <strong>die</strong>sen Themenkomplex abzuschließen ein „Information“ <strong>de</strong>r ungarischen<br />

Sicherheitsorgane vom März 1969: „Über <strong>die</strong> Haltung <strong>de</strong>s Vatikans zu <strong>de</strong>n Ereignissen in <strong>de</strong>r<br />

CSSR“. (8) Berichtet wird über eine Reise, <strong>die</strong> „<strong>de</strong>r Mitarbeiter <strong>de</strong>s Rates für allgemeine<br />

Kirchenfragen Keli (Amtsbezeichnung und Familienname falsch; gemeint <strong>ist</strong> Giovanni Cheli<br />

(9)) unternommen habe. Nach seiner Rückkehr habe er „ein Gespräch mit <strong>de</strong>m Papst“ geführt.<br />

Nach seinen Worten sei „ein Teil <strong>de</strong>r tschechoslowakischen Ge<strong>ist</strong>lichen gegen <strong>die</strong><br />

Bestrebungen <strong>de</strong>r Kirchenführung, <strong>die</strong> auf eine Min<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Spannungen im Lan<strong>de</strong><br />

gerichtet sind“. „Beson<strong>de</strong>rs <strong>die</strong> Bratislaver Ge<strong>ist</strong>lichen“ (gemeint <strong>ist</strong> Bratislava-Preßburg)<br />

beschuldigten <strong>die</strong> Bischöfe eines „liberalen Verhaltens gegenüber <strong>de</strong>r Sowjetunion“.<br />

Weitere „Erkenntnisse“ <strong>de</strong>s ungarischen Geheim<strong>die</strong>nstes betreffen eine „längere Aussprache“<br />

zwischen Papst Paul VI. und <strong>de</strong>m im römischen Exil leben<strong>de</strong>n Erzbischof von Prag, Kardinal<br />

Josef Beran sowie eine Begegnung von Vasil H., <strong>de</strong>r als „Vertreter <strong>de</strong>s rechten Klerus in <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei“ bezeichnet wird, mit Erzbischof Giovanni Benelli, <strong>de</strong>m Substituten im<br />

Staatssekretariat. (10) Der Besucher aus <strong>de</strong>r CSSR habe „<strong>die</strong> Position <strong>de</strong>r<br />

tschechoslowakischen Kirche“ in einer „schriftlichen Mitteilung“ dargelegt. Die „Führer <strong>de</strong>r<br />

tschechoslowakischen Kirche“, <strong>die</strong> Rom besuchten, hätten eine Information über <strong>die</strong> Haltung<br />

<strong>de</strong>s Vatikans erhalten, <strong>die</strong> auf Folgen<strong>de</strong>s hinauslaufe: „Der Vatikan hilft <strong>de</strong>n<br />

Konterrevolutionären im Ausland, jedoch <strong>die</strong> Kirche in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei darf sich nicht<br />

kompromittieren.“ Schließlich berichten <strong>die</strong> Ungarn über eine Anzahl tschechoslowakischer<br />

Flüchtlinge – Ingenieure und Techniker, <strong>die</strong> aus verschie<strong>de</strong>nen westlichen Län<strong>de</strong>rn in Italien<br />

eingetroffen seien. Sie wür<strong>de</strong>n im Institut „Papst Pius IX.“ und im Frauenkloster „Santa Maria<br />

Ausiliatrice“ untergebracht. Während ihres Aufenthaltes in Rom besuchten sie Spezialkurse<br />

an <strong>de</strong>r „Grigorianischen Universität“ (11). - „Ihnen wer<strong>de</strong>n Lektionen zu politischen und<br />

soziologischen Themen gelesen“, u.a. von einem amerikanischen Jesuiten. (Der Name wur<strong>de</strong><br />

auf <strong>de</strong>m freigegebenen Dokument eingeschwärzt). Die Absicht solcher „Informationen“ liegt<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XX.<br />

auf <strong>de</strong>r Hand: Unterwan<strong>de</strong>rung und Zersetzung <strong>de</strong>r Kirche, ständige Kontrolle <strong>de</strong>s Klerus und<br />

<strong>de</strong>r Laien.<br />

Aufgelesen – ein Nachtrag aus aktuellem Anlass<br />

Alle Staaten haben Geheim<strong>die</strong>nste, „auch wir“, verriet in einem Interview mit <strong>de</strong>r Zeitschrift<br />

„Cicero“ (12) <strong>de</strong>r russische Botschafter in Berlin, Wladimir Kotenew – eine Enthüllung so<br />

aufregend wie <strong>die</strong> Erkenntnis, dass überall auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Tag durch <strong>die</strong> Nacht abgelöst<br />

wird, auch in Russland. Bemerkenswerter war schon, wenn auch keine Neuigkeit, dass er <strong>de</strong>n<br />

ehemaligen KGB als einen „mächtigen Unterdrückungsapparat“ bezeichnete. Erstaunlich<br />

jedoch, womit er <strong>die</strong>sen sowjetischen Geheim<strong>die</strong>nst begrün<strong>de</strong>t: „weil nach <strong>de</strong>n Wirren <strong>de</strong>s<br />

Ersten Weltkriegs und <strong>de</strong>n Revolutionen das damalige Russland zu einer leichten Beute für<br />

ein gutes Dutzend Mächte einschließlich Deutschland gewor<strong>de</strong>n wäre.“ Hinzu fügte <strong>de</strong>r<br />

Moskauer Diplomat: „Und natürlich weil es Hitler gab“. - Frage an <strong>de</strong>n Botschafter: Warum<br />

brauchte es seit <strong>de</strong>r Tscheka (13) einen „Unterdrückungsapparat“ und warum „natürlich“<br />

wegen Hitler? Und warum Chr<strong>ist</strong>enverfolgung?<br />

1) MfS - HA XX/4 Nr. 652 Abt. X v. 18.11. 68 - Tgb. Nr. X / 2974 /68<br />

2) MfS - HA XX/4 Nr. 652 Abt. X v. 27.12.68 – Tgb.Nr. X / 3304 / 68<br />

3) MfS - HA XX/4 – Nr. 652 – Abt. X v. 23.12. 68 / Tgb. Nr. X/288/68 (Manlio Giovanni Brosio (1897-1980),<br />

italienischer Spitzendiplomat, Missionschef in Moskau, London, Washington und Paris, von 1964 bis 1971<br />

Generalsekretär <strong>de</strong>r NATO in Brüssel. – Mario Pio Gaspari (1918-1983), 1968 stellvertreten<strong>de</strong>r Sekretär beim<br />

Rat für <strong>die</strong> öffentlichen Angelegenheiten <strong>de</strong>r Kirche (im vatikanischen Staatssekretariat), ab 1973 Titular-<br />

Erzbischof und Apostolischer Nuntius in Mexico und Japan.<br />

4) MfS - HA XX/4 – Nr. 652 / Abteilung X v. 23. 12. 1968/ Tgb.Nr. X/3291/68<br />

5) HA XX/4 – Nr. 652 – Abteilung X v. 23. 1. 68 Tgb.-Nr. X/ 288/ 68<br />

6) DBR – Deutsche Bun<strong>de</strong>srepublik (DDR-Sprachregelung)<br />

7) Zweites Gipfeltreffen (4. -11. Februar 1945) <strong>de</strong>r „Großen Drei“ (4.-11.2.1945) - Roosevelt/USA,<br />

Stalin/Sowjetunion, Churchill/ Großbritannien - Frankreich nicht beteiligt - im Seebad Yalta auf <strong>de</strong>r Halbinsel<br />

Krim. Auf „Yalta“ berief sich Stalin, in <strong>de</strong>m er Ost- und Südosteuropa als sowjetische Interessensphäre<br />

beanspruchte.<br />

8) MfS – HA XX/4 – 652 / Abteilung X v. 26. 3. 1969, Tgb. Nr. X 760/69<br />

9) Giovanni Batt<strong>ist</strong>a Cheli (geb. 1918), em. Kurienkardinal. (Nuntiaturrat beim Rat für <strong>die</strong> öffentlichen<br />

Angelegenheiten <strong>de</strong>r Kirche 1967-1973, anschl. Beobachter <strong>de</strong>s Hl. Stuhls bei <strong>de</strong>n Vereinten Nationen,<br />

Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s Päpstlichen Rates <strong>de</strong>r Seelsorge für Migranten und Menschen unterwegs. (s.a. „<strong>Mein</strong> <strong>Gewissen</strong> <strong>ist</strong><br />

<strong>die</strong> <strong>Wahrheit</strong>“, Folge 9).<br />

10) Giovanni Benelli (1921-1982), ab 1977 Erzbischof von Florenz und Kardinal. (ab 1947 Mitarbeiter im<br />

Staatssekretariat, verschie<strong>de</strong>ne ausländische Missionen und bei <strong>de</strong>n Vereinten Nationen, 1966 Titular-<br />

Erzbischof, ab 1968 Substitut – Leiter <strong>de</strong>r Sektion I für <strong>die</strong> Allgemeinen Angelegenheiten <strong>de</strong>r Kirche – eine Art<br />

„Innenmin<strong>ist</strong>er“, quasi <strong>de</strong>r „Stellvertreter“ <strong>de</strong>s Staatssekretärs); galt für <strong>die</strong> Konklaves 1978 als „papabile“ -<br />

als<br />

wählbar.<br />

11) Päpstliche Universität Gregoriana. Hervorgegangen aus <strong>de</strong>r ersten Schule <strong>de</strong>r Jesuiten, <strong>die</strong> 1551 von<br />

Ignatius von Loyola in Rom eingerichtet wur<strong>de</strong>.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XX.<br />

12) „Seid fair mit Russland“. Interview mit Wladimir Kotenew. „Cicereo“ 2/2008.<br />

13) „Tscheka“ (WeTscheKa) – Abkürzung für „Außeror<strong>de</strong>ntliche Allrussische Kommission zur Bekämpfung<br />

von Konterrevolution, Spekukaltion und Sabotage“ (<strong>de</strong>utsche Übersetzung). 1917 als „bewaffneter Arm <strong>de</strong>r<br />

Diktatur <strong>de</strong>s Proletariats“ gegrün<strong>de</strong>t. Erster Vorsitzen<strong>de</strong>r war Felix Dsershinski (polnisch: Feliks Dzerzynski),<br />

ab 1922 (bis zu seinem Tod 1926) Chef <strong>de</strong>r Geheimpolizei GPU, <strong>de</strong>m Nachfolgeorgan <strong>de</strong>r „Tscheka“. 1918<br />

wur<strong>de</strong>n auf Weisung Lenins <strong>die</strong> ersten Konzentrationslager für politische Häftlinge installiert.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXI.<br />

XXI. Alarm in Polen<br />

Die Demütigung Polens durch <strong>die</strong> Sowjetmacht nach <strong>de</strong>r Moskauer Geheimkonferenz im<br />

Dezember 1980 musste schon 1968, nach <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> Breschnews auf <strong>de</strong>m Parteitag <strong>de</strong>r<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei PVAP <strong>die</strong> politische Führung<br />

gewarnt haben. Auch im Vatikan liefen Informationen ein. Auf <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rsitzung <strong>de</strong>s Rates<br />

im Juni 68 kam <strong>de</strong>r vatikanische „Außenmin<strong>ist</strong>er“, Erzbischof Agostino Casaroli auf <strong>die</strong><br />

Gefahrensituation von Prag bis Warschau und Ostberlin und möglicherweise für das gesamte<br />

sozial<strong>ist</strong>ische Lager zu sprechen. Insbeson<strong>de</strong>re sprach er <strong>die</strong> Frage an, mit welchem<br />

Wi<strong>de</strong>rstand <strong>die</strong> polnischen Kommun<strong>ist</strong>en <strong>de</strong>n „tschechoslowakischen Umschwung“<br />

verfolgen. (1)<br />

„Die kommun<strong>ist</strong>ische Führung Polens“, soll <strong>de</strong>r vatikanische Chefdiplomat nach einem<br />

Bericht <strong>de</strong>s ungarischen Auslandsgeheim<strong>die</strong>nstes erklärt haben, „fürchtet mehr als alles einen<br />

Umschwung im benachbarten Lan<strong>de</strong>.“ In Ostberlin interessiert man sich allerdings mehr, wie<br />

sich <strong>die</strong> Entwicklung jenseits <strong>de</strong>s Erzgebirges auf <strong>de</strong>n eigenen Machtbereich auswirken<br />

könnte. Insofern wird aufmerksam stu<strong>die</strong>rt, wie in <strong>de</strong>r politischen Zentrale <strong>de</strong>s Vatikans, <strong>die</strong><br />

bekanntermaßen über hervorragen<strong>de</strong> Analysten verfügt, wie ein ehemaliger <strong>de</strong>utscher<br />

Geheim<strong>die</strong>nst-Beamter bescheinigt, <strong>die</strong> Lage eingeschätzt wird. Casaroli ging, folgt man <strong>de</strong>n<br />

ungarischen „Informationen“, nicht davon aus, „dass es nach <strong>de</strong>m Beispiel <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei in <strong>de</strong>r DDR zu Verän<strong>de</strong>rungen kommen kann, mit <strong>de</strong>nen we<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Polizei<br />

noch <strong>die</strong> Armee fertig wer<strong>de</strong>n, und dass das <strong>die</strong> Verteidigungspositionen Polens schwächen<br />

könnte.“ Casaroli habe versucht, „mit Pressezitaten darzulegen, in welche unglückliche Lage<br />

<strong>die</strong> DDR geraten könnte, wenn sie <strong>die</strong> Richtigkeit <strong>de</strong>s Umschwungs in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei<br />

anerkenne und damit <strong>de</strong>mokratischen Ten<strong>de</strong>nzen im eigenen Lan<strong>de</strong> Tür und Tor öffnen<br />

wür<strong>de</strong>.“<br />

Die polnischen Kommun<strong>ist</strong>en fürchteten, „dass <strong>die</strong> polnische katholische Kirche eine neue<br />

revolutionäre Rolle spielen könnte, dass sie eine Situation ähnlich <strong>de</strong>r von 1956 schaffen<br />

könnte, und dass sie im Bündnis mit <strong>de</strong>r rechten Min<strong>de</strong>rheit und <strong>de</strong>n Zion<strong>ist</strong>en <strong>die</strong> Kräfte auf<br />

<strong>die</strong> Liqui<strong>die</strong>rung <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Errungenschaften richten könnte, o<strong>de</strong>r ein solche<br />

Gesellschaftsordnung schaffen, <strong>die</strong> vom Sozialismus nur <strong>de</strong>n Anschein bewahrt hätte.“ Nach<br />

<strong>Mein</strong>ung Casarolis sei <strong>die</strong> polnische Führung in letzter Zeit beson<strong>de</strong>rs durch das Schweigen<br />

<strong>de</strong>s Kardinals Wyszinskis beunruhigt. Dieses Schweigen halte sie für <strong>de</strong>n Vorboten einer<br />

gefährlichen Entwicklung.<br />

Son<strong>de</strong>rsitzung im Vatikan<br />

In einer Art „Tour d´Horizon“ berührt Casaroli einzelne Län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s sozial<strong>ist</strong>ischen Lagers.<br />

also auch Ungarn, was <strong>die</strong> Budapester Stasi-Genossen nicht ohne Hintergedanken, gegenüber<br />

<strong>de</strong>n „Freun<strong>de</strong>n“, <strong>die</strong> in Moskau und Ostberlin mitlesen. Die ungarische Führung habe nach<br />

Casarolis <strong>Mein</strong>ung keine Grün<strong>de</strong>, <strong>die</strong> Ereignisse in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei zu dramatisieren,<br />

„wie das <strong>die</strong> führen<strong>de</strong>n Kreise <strong>de</strong>r UdSSR, Polens und <strong>de</strong>r DDR tun.“ Die Tschechen seien<br />

„natürlich in <strong>de</strong>r geplanten Reform `zu weit nach vorn gelaufen´, und <strong>die</strong> ungarische Führung<br />

sei in gewissem Maße wegen <strong>de</strong>r extremen Erscheinungen <strong>de</strong>r Lage in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei<br />

beunruhigt, hielten aber <strong>die</strong> Lage in ihrem eigenen Lan<strong>de</strong> für normal.“<br />

Am 21. September 1968 empfing Papst Paul VI. seinen diplomatischen Vertreter in Belgrad,<br />

<strong>de</strong>n Apostolischen Delegaten Mario Cagna (2). Cagna habe berichtet, „dass <strong>die</strong><br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXI.<br />

jugoslawische Öffentlichkeit <strong>die</strong> Position <strong>de</strong>s Vatikans in Verbindung mit <strong>de</strong>r Einschätzung<br />

<strong>de</strong>r Ereignisse in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei kritisiert.“ Auch hätten „einige Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

jugoslawischen Regierung auf Grund <strong>die</strong>ses Verhaltens <strong>de</strong>s Vatikans ihr Misstrauen zum<br />

Ausdruck“ gebracht. Paul VI. wie<strong>de</strong>rum habe versichert „dass sich <strong>de</strong>r Vatikan bemüht,<br />

solche Äußerungen zu vermei<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> zu einer Bedrohung <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns führen könnten. Das<br />

be<strong>de</strong>ute „zweifellos nicht, dass wir nicht <strong>die</strong> `Aggression´ <strong>de</strong>r Tschechoslowakei (in <strong>de</strong>r<br />

Übersetzung <strong>de</strong>s MfS, gemeint <strong>ist</strong> jedoch <strong>de</strong>r Einmarsch) verurteilen.“ Der Heilige Stuhl fühle<br />

sich verbun<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>n tschechoslowakischen Führern und verstehe ihre Handlungen. Ein<br />

ähnliches Verständnis bringe <strong>de</strong>r Papst, so <strong>de</strong>r ungarische Geheim<strong>die</strong>nst, auch für <strong>die</strong><br />

jugoslawischen Führer auf, „<strong>die</strong> jetzt – nach <strong>Mein</strong>ung <strong>de</strong>s Papstes – <strong>die</strong> Zielscheibe <strong>de</strong>r<br />

politischen Angriffe seitens <strong>de</strong>r Sowjetunion sind.“ (3)<br />

Auf <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rsitzung im Vatikan habe sich schließlich Kardinal Alfredo Ottaviani zu Wort.<br />

gemel<strong>de</strong>t und wissen wollen, ob das Staatssekretariat „hinsichtlich unmittelbarer Maßnahmen<br />

<strong>de</strong>n genannten Regierungen gegenüber angestellt habe, um auf <strong>die</strong> entstan<strong>de</strong>ne Situation<br />

einzuwirken.“ Kardinalstaatssekretär habe geantwortet, „daß <strong>de</strong>r Heilige Stuhl entsprechen<strong>de</strong>,<br />

mehr o<strong>de</strong>r weniger unmittelbare Schritte unternehmen wür<strong>de</strong>.“ Man habe außer<strong>de</strong>m versucht,<br />

„sich in <strong>de</strong>r Angelegenheit <strong>de</strong>r Tschechoslowakei auch an an<strong>de</strong>re Mächte zu wen<strong>de</strong>n. Die<br />

Tätigkeit <strong>de</strong>s Vatikans richtete sich in erster Linie gegen <strong>die</strong> UdSSR, da <strong>die</strong> Haltung <strong>de</strong>r<br />

Sowjetunion <strong>die</strong> übrigen kommun<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r entschei<strong>de</strong>nd beeinflusst.“<br />

Schenkt man <strong>de</strong>r „Information“ <strong>de</strong>s ungarischen Geheim<strong>die</strong>nstes Glauben, dann ging<br />

Ottaviani noch weiter: Er habe gefragt, ob das Staatssekretariat <strong>de</strong>r polnischen<br />

Bischofskonferenz konkrete Direktiven hinsichtlich seiner Haltung und <strong>de</strong>r Tätigkeit in<br />

Verbindung mit <strong>de</strong>n erwarteten Resultaten gegeben habe. Ottaviani habe dabei über <strong>die</strong><br />

Möglichkeit „<strong>de</strong>ssen“ gesprochen, „dass ein möglicher Aufstand allgemeinen Charakters in<br />

<strong>de</strong>r Tschechoslowakei, Ungarn und Polen unter <strong>de</strong>n gegenwärtigen Bedingungen<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Erfolg haben und <strong>die</strong>se Län<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Einflusssphäre <strong>de</strong>r Sowjetunion<br />

herausreißen könnte.“<br />

Nicht in <strong>de</strong>n politischen Kampf einmischen<br />

Kardinal Cicognani soll auf Ottavianis Frage hin erklärt haben, „daß <strong>die</strong> polnischen Bischöfe<br />

<strong>die</strong> notwendigen Instruktionen erhalten haben. Nach <strong>Mein</strong>ung <strong>de</strong>s Papstes sollten sich <strong>die</strong><br />

Bischöfe, <strong>die</strong> Ge<strong>ist</strong>lichen und <strong>die</strong> katholischen Gläubigen nicht in <strong>de</strong>n politischen Kampf<br />

einmischen. Sie sollten beiseite stehen und sich erst in <strong>de</strong>m Falle zu erkennen geben, wenn <strong>die</strong><br />

Lage dafür herangereift <strong>ist</strong>, wie das im Falle <strong>de</strong>r tschechoslowakischen Kirche war.“ (4)<br />

Welches Spiel spielten <strong>die</strong> Geheim<strong>die</strong>nste in Ost und West vor und nach <strong>de</strong>r militärischen<br />

Intervention? Sollten <strong>die</strong> „Informationen“ aus so zuverlässiger und unverdächtiger Quelle wie<br />

<strong>de</strong>m Vatikan, <strong>die</strong> Führung <strong>de</strong>r benachbarten Pakt-Staaten beruhigen. Keine Sorge: Wir haben<br />

Prag im Griff. Und vom Westen steht auch nichts zu befürchten. Wie gut waren <strong>die</strong><br />

Hauptstädte <strong>de</strong>r NATO-Staaten informiert. Hatte <strong>die</strong> sowjetische „Operation Donau“, <strong>die</strong><br />

„größte Militäroperation nach <strong>de</strong>m Zweiten Weltkrieg in Europa“ <strong>de</strong>r westlichen Spionage<br />

„eine <strong>de</strong>r größten Pleiten“ beschert? (5) O<strong>de</strong>r gab es nicht doch „back channels“, wie 1980/81<br />

während <strong>de</strong>r Polen-Krise, über <strong>die</strong> Moskau <strong>de</strong>n Westmächten signalisierte, dass kein<br />

Durchmarsch bis zum Rhein zu befürchten war, son<strong>de</strong>rn das Eingreifen auf eine innere<br />

Angelegenheit <strong>de</strong>s eigenen Blocks beschränkt war. Schwer vorstellbar, dass <strong>die</strong> einzige<br />

Information über <strong>die</strong> Absichten <strong>de</strong>r Sowjetunion <strong>de</strong>n Regierungen in Washington, London<br />

und Paris erst kurz vor <strong>de</strong>m Einmarsch bekannt gewor<strong>de</strong>n wäre. Haben <strong>die</strong> Agenten <strong>de</strong>n Coup<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXI.<br />

„schlicht verschlafen“ o<strong>de</strong>r war man sich einig: Keine Verschärfung <strong>de</strong>r Ost-West-<br />

Konfrontation – es bei <strong>de</strong>n üblichen Protesten belassen. Und „big stick policy“ gegenüber<br />

unbotmäßigen Vasallen o<strong>de</strong>r Kleinstaaten im eigenen Interessengebiet war ja auch westlichen<br />

Großmächten nicht unbekannt.<br />

Den vom „großen Bru<strong>de</strong>r“ abgestraften Tschechen und Slowaken blieb nur <strong>die</strong> Enttäuschung<br />

und ein noch zwanzig Jahre über Volk und Land lasten<strong>de</strong>s „böses Zeichen“, wie <strong>de</strong>r Prager<br />

Weihbischof Vaclav Maly, <strong>de</strong>r selbst unter <strong>de</strong>n Kommun<strong>ist</strong>en beson<strong>de</strong>rs schlimm ge<strong>de</strong>mütigt<br />

wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n Einmarsch in Erinnerung an <strong>die</strong> Ereignisse vor 40 Jahren nannte. Als „<strong>die</strong><br />

Sehnsucht nach <strong>Wahrheit</strong>“ schlagartig „<strong>de</strong>m Gefühl gänzlicher Machtlosigkeit“ wich, so<br />

Michaela Cermákova, Direktorin <strong>de</strong>r Diözesan-Caritas von Ceské Bu<strong>de</strong>jovice/(Böhmisch<br />

Budweis. (6)<br />

Im März 1969 ging eine „Information“ <strong>de</strong>r ungarischen Sicherheitsorgane beim Ostberliner<br />

MfS ein, (7) in <strong>de</strong>r berichtet wird, dass „vom Papst ein Komitee unter <strong>de</strong>m Vorsitz von<br />

Kardinal Dell´ Acqua (8) und <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn Hnilica (9) und Skarvada (10), Sekretär von<br />

Beran (11) gebil<strong>de</strong>t“ wor<strong>de</strong>n sei. Zur Kompetenz <strong>die</strong>ses Komitees gehöre „<strong>die</strong> Regelung <strong>de</strong>r<br />

Angelegenheiten <strong>de</strong>r tschechoslowakischen Kirche“. Wie <strong>die</strong> ungarischen Spione erfahren<br />

haben wollen, sei auf <strong>die</strong>se Weise „faktisch <strong>die</strong>se Fragen aus <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n Casarolis<br />

genommen wor<strong>de</strong>n, veranlasst „auf Grund einer Bitte von Tomasek, <strong>de</strong>r Casaroli <strong>de</strong>r<br />

Voreingenommenheit beschuldigt, zumal <strong>de</strong>r Letztgenannte seinerzeit dagegen war, Beran<br />

<strong>de</strong>n Titel eines Kardinals zu verleihen.“ (12)<br />

ES 1025 - ein „Priesterspion“?<br />

Pavel Hnilica, <strong>de</strong>r Exilbischof in Rom geriet, wie nicht an<strong>de</strong>rs zu erwarten, schnell ins<br />

Fa<strong>de</strong>nkreuz <strong>de</strong>r östlichen Geheim<strong>die</strong>nste. In <strong>die</strong>sem Zusammenhang wird ein ehemaliger<br />

KGB-Spion genannt. Der Klarname <strong>de</strong>s durch einen Autounfall in Amerika ums Leben<br />

gekommenen Agenten blieb unbekannt. Über seine Ex<strong>ist</strong>enz hat <strong>die</strong> französische<br />

Krankenschwester Marie Caree (13) eine Biographie verfasst. <strong>die</strong> im Mai 1972 unter <strong>de</strong>m<br />

Titel ES-1025 erschien. ES-1025 steht für „Élève Seminar<strong>ist</strong>e“, also Stu<strong>de</strong>nt eines<br />

Priesterseminars. Die Nummer 1025 soll angeblich <strong>de</strong>r Zählung <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r sowjetischen<br />

Geheimpolizei rekrutierten „Priester-Spione“ entsprechen. Die Buchautorin gab ihrem<br />

geheimnisvollen Patienten, <strong>de</strong>ssen Tagebuchaufzeichnungen sie an sich nahm, das<br />

Pseudonym „Michael“.<br />

„Michael“ wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>mnach 1917 geboren, „wahrscheinlich“ als Sohn russischer Eltern, <strong>die</strong><br />

vor <strong>de</strong>r bolschew<strong>ist</strong>ischen Revolution flohen. Dann zunächst von polnischen Adoptiveltern<br />

aufgezogen, geriet er über einen Onkel in <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r russischen Geheimpolizei. Er sollte<br />

als Priester getarnt in <strong>de</strong>n Vatikan eingeschleust wer<strong>de</strong>n, und erhielt zu <strong>die</strong>sem Zweck eine<br />

entsprechen<strong>de</strong> Seminar-Ausbildung und sei anschließend zum römisch-katholischen Priester<br />

geweiht wor<strong>de</strong>n. 1938 habe man ihn in <strong>die</strong> römische Kurie „infiltriert“. Sein Co<strong>de</strong>-Name soll<br />

für „Anti-Apostel“ (analog zu Anti-Chr<strong>ist</strong>) gestan<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> Zahl 1025 auf <strong>die</strong> Zahl <strong>de</strong>r<br />

insgesamt bis dahin von <strong>de</strong>r russischen Geheimpolizei aufgebauten „kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Priester“ hingewiesen haben.<br />

AA 1025 habe am Zweiten Vatikanischen Konzil teilgenommen und – „ohne das Einschreiten<br />

von Papst Paul VI.“ wäre er in <strong>de</strong>r Lage gewesen, <strong>die</strong> Arbeit <strong>de</strong>s Vatikanums zu zerstören.<br />

Dennoch sei es ihm gelungen, <strong>die</strong> Annahme von doppelsinnigen Konzilsdokumenten zu<br />

betreiben. Diese hätten <strong>die</strong> Grundlage für „künftige Experimente“ ahnungsloser Prälaten und<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXI.<br />

Priester legten. Diese und ähnliche abenteuerliche Behauptungen fin<strong>de</strong>n sich bis heute in<br />

einschlägigen Texten fundamental<strong>ist</strong>isch-katholischer Kreise insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>n USA.<br />

Solche Auffassungen sind aber auch im Vatikan unserer Tage nicht unbekannt.<br />

Ohne <strong>die</strong>se Hinweise im Detail zu verifizieren, lassen <strong>die</strong> Angaben stark vermuten, wie<br />

„dicht“ <strong>die</strong> kommun<strong>ist</strong>ischen „Sicherheitsorgane“ in und um <strong>de</strong>n Vatikan operierten. Papst<br />

Paul VI. durch Jahrzehnte lange Erfahrung als Mitarbeiter und Substitut im Staatssekretariat<br />

wie kein an<strong>de</strong>rer mit Vatikan-Internas vertraut und wohl auch über geheim<strong>die</strong>nstlichen<br />

Aktivitäten informiert und entsprechend misstrauisch, soll nach an<strong>de</strong>ren Informationen <strong>de</strong>n<br />

kanadischen Kurienprälaten Erzbischof Gagnon (14) mit <strong>de</strong>r Untersuchung einer möglichen<br />

Unterwan<strong>de</strong>rung durch „mächtige Fein<strong>de</strong>“ betraut haben.<br />

Gagnon habe ein ausführliches Dossier mit beunruhigen<strong>de</strong>n Fakten zusammengestellt. Eine<br />

persönliche Au<strong>die</strong>nz bei Paul VI., um ihm <strong>die</strong>ses brisante Papier persönlich zu übergeben, sei<br />

abgelehnt und <strong>die</strong> Weisung erteilt wor<strong>de</strong>n, das Manuskript bei <strong>de</strong>r Klerus-Kongregation zu<br />

<strong>de</strong>ponieren, in einem „Safe mit doppeltem Schloss“. An<strong>de</strong>rntags sei <strong>die</strong>ses Sicherheitsfach<br />

aufgebrochen vorgefun<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n, das Geheimpapier verschwun<strong>de</strong>n. Der Vatikan sei in<br />

solchen Fällen äußerst bemüht, dass sie nie ans Tageslicht kommen. Diesmal aber habe <strong>de</strong>r<br />

Osservatore Romano, <strong>die</strong> Zeitung <strong>de</strong>s Papstes, <strong>de</strong>n Diebstahl gemel<strong>de</strong>t, „wahrscheinlich<br />

unter Druck“, weil <strong>die</strong> säkulare Presse bereits über <strong>de</strong>n Zwischenfall berichtet habe.<br />

Gagnon habe aber selbstverständlich eine Kopie seines Dossiers besessen. Aber seine erneute<br />

Bitte um eine Privat-Au<strong>die</strong>nz beim Papst sei wie<strong>de</strong>rum abgelehnt wor<strong>de</strong>n. Gagnon sei<br />

schliesslich in seine Heimat Kanada zurückgekehrt. Später sei er nach Rom zurückgerufen<br />

wor<strong>de</strong>n durch Papst Johannes Paul II, <strong>de</strong>r Gagnon zum Kardinal ernannte.<br />

Diese Angaben sind Zitaten entnommen, <strong>die</strong> sich auf eine Interview beziehen, daß Dr. Alice<br />

von Hil<strong>de</strong>brandt (15) <strong>de</strong>m Magazin „Latin Mass“ (16) im Sommer 2001 gegeben hat und sich<br />

ihrerseits auf einen italienischen Priester, Don Luigi Villa (Diözese Brescia) beruft. Dieser<br />

habe in <strong>de</strong>n Jahren 1998 und 2000, „auf Bitten von Pater Pio“ viele Jahre seines Lebens<br />

damit verbracht, <strong>die</strong> Infiltration <strong>de</strong>r Kirche durch Freimaurer und Kommun<strong>ist</strong>en zu<br />

untersuchen. (17)<br />

Pranger o<strong>de</strong>r seriöse Aufarbeitung<br />

Veröffentlichungen <strong>de</strong>s „Instituts für das Studium <strong>de</strong>r totalitären Regime“ (18) sorgen im<br />

Sommer 2008 für Unruhe in <strong>de</strong>r tschechischen Öffentlichkeit, nach<strong>de</strong>m Aufzeichnungen <strong>de</strong>s<br />

ehemaligen kommun<strong>ist</strong>ischen Geheim<strong>die</strong>nstes StB, insbeson<strong>de</strong>re personenbezogene Berichte,<br />

ins Internet gestellt wur<strong>de</strong>n. Dabei waren auch Protokolle <strong>de</strong>s früheren Militärgeheim<strong>die</strong>nstes<br />

(Aufklärung und Spionageabwehr), <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Apparat <strong>de</strong>s StB eingeglie<strong>de</strong>rt war, publiziert<br />

wor<strong>de</strong>n.<br />

(Auf <strong>de</strong>n Internet-Seiten <strong>de</strong>s Archivs <strong>de</strong>r ehemaligen Staatssicherheits<strong>die</strong>nste sind, wie Radio<br />

Prag im „Tagesecho“ vom 29. Juli 2008 mel<strong>de</strong>te, über 140.000 Namen zu fin<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> für <strong>die</strong><br />

Militärspionage gearbeitet haben sollen. Der gesamte Zeitraum, von <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Machtübernahme 1948 bis zur „samtenen Revolution“ 1989, sei erfasst. Die Namen könnten<br />

von je<strong>de</strong>rmann abgerufen wer<strong>de</strong>n. (19)<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXI.<br />

Bei <strong>de</strong>n jüngst genannten angeblichen Stasi-Spitzeln han<strong>de</strong>lt es sich um prominente Namen<br />

aus <strong>de</strong>r Politik, um amtieren<strong>de</strong> Parlamentsabgeordnete. Für <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n reichhaltiges Futter<br />

aus Fakten wie Vermutungen. Denn wie <strong>de</strong>r Einzelne in <strong>die</strong> Akten <strong>de</strong>r „Staatssicherheitsor<br />

gane“ geraten <strong>ist</strong>, das steht auf einem an<strong>de</strong>ren Blatt. Allein schon <strong>de</strong>r Versuch <strong>de</strong>r<br />

Annäherung o<strong>de</strong>r unwissentlich ausgehorcht wor<strong>de</strong>n zu sein, wur<strong>de</strong> bereits in Protokollen,<br />

einer Karteikarte o<strong>de</strong>r Vorlaufakte festgehalten. Aufschlussreich <strong>ist</strong> allerdings, dass einige <strong>de</strong>r<br />

tschechischen Stasi-Dokumente in russischer Sprache abgefasst wor<strong>de</strong>n sind – ein weiterer<br />

Beleg für <strong>de</strong>n alles kontrollieren<strong>de</strong>n Super-Geheim<strong>die</strong>nst im Hintergrund: <strong>de</strong>n sowjetischen<br />

KGB, das Leitorgan <strong>de</strong>s internationalen Verbun<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r post-bolschew<strong>ist</strong>ischen „Tscheka“.<br />

Als V-Person (Vertrauensperson), Kandidat für geheime Zusammenarbeit, Informant o<strong>de</strong>r<br />

Agenten-Anwärter geführt wor<strong>de</strong>n zu sein, sei allein noch kein Grund, einer Person das so<br />

genannte „Lustrations-Zeugnis“ zu verweigern, hatte <strong>de</strong>r Verfassungsgerichtshof bereits 1992<br />

festgestellt. Das Lustrationsgesetz war unmittelbar nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong> von 1989 vom<br />

Parlament verabschie<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n. Es soll verhin<strong>de</strong>rn, dass ehemalige kommun<strong>ist</strong>ische Ka<strong>de</strong>r<br />

öffentliche Ämter übernehmen. Je<strong>de</strong>r Bewerber für eine höhere Funktion im öffentlichen<br />

Dienst, namentlich bei Polizei und Militär, muss sich seine Unbe<strong>de</strong>nklichkeit (dass er vor<br />

1989 nicht mit <strong>de</strong>n kommun<strong>ist</strong>ischen Staatssicherheitsorganen zusammengearbeitet hat)<br />

durch das so genannte Lustrationszeugnis bescheinigen lassen.<br />

Welchem Zweck sollen <strong>die</strong> Enthüllungen per online <strong>die</strong>nen? Der Suche nach Opfern und<br />

an<strong>de</strong>ren Zeugen in einer zweifellos schwierigen Situation, je größer <strong>de</strong>r Zeitabstand?<br />

Metho<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> eher an <strong>de</strong>n Pranger mittelalterlicher Zeiten erinnern und vielleicht eher<br />

persönliche Rachegelüsten nähren o<strong>de</strong>r für parteipolitische Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen<br />

instrumentalisiert wer<strong>de</strong>n, helfen einer sachlichen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>r<br />

„sozial<strong>ist</strong>ischen“ Vergangenheit, <strong>die</strong> tatsächlich eine kommun<strong>ist</strong>isch-diktatorische war, nicht<br />

weiter. Begrün<strong>de</strong>te Fälle gehören vor or<strong>de</strong>ntliche Gerichte. Schon <strong>ist</strong> in einem Leitartikel von<br />

„politischer Pornographie“ <strong>die</strong> Re<strong>de</strong>. Das neue Institut, das erst im Februar 2008 seine Arbeit<br />

aufgenommen hat, sollte besorgt, sich nicht selbst in <strong>de</strong>n ausgelegten Fallen zu verfangen.<br />

Nicht Recht und Gerechtigkeit, auch menschliche Wür<strong>de</strong> und im Zweifelsfall <strong>de</strong>r<br />

Rechtsgrundsatz „in dubio pro reo“ stehen auf <strong>de</strong>m Spiel – so dunkel <strong>die</strong> Vergangenheit auch<br />

war, in <strong>die</strong> jetzt ein scharfes und manchmal vielleicht allzu grelles Licht geworfen wird.<br />

1) Alexan<strong>de</strong>r Dubcek (1921-1992). Am 6. Januar 1968 zum neuen Ersten Sekretär <strong>de</strong>s Zentralkomitee <strong>de</strong>r<br />

Kommun<strong>ist</strong>ischen Partei <strong>de</strong>r Tschechoslowakei (KSC) gewählt. Einleitung von Reformen: <strong>de</strong>r<br />

„tschechoslowakische Weg <strong>de</strong>s Sozialismus“, als „Prager Frühling“ in <strong>die</strong> Geschichte eingegangen. (Michail<br />

Gorbatschow wird dreißig Jahre später scherzhaft von <strong>de</strong>r Sinatra-Doktrin sprechen – I did it may way - im<br />

Gegensatz zur „Breschnew-Doktrin). Aufhebung <strong>de</strong>r Zensur, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Beginn<br />

<strong>de</strong>s „Prager Frühlings“. Im August leitet das Gipfeltreffen von Bratislava (Pressburg) das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

sozial<strong>ist</strong>ischen Experiments ein. Aber <strong>die</strong> Prager Genossen verweigern <strong>die</strong> „Umkehr“. Okkupation vom 20. auf<br />

21. August. Dubcek, in <strong>die</strong> Sowjetunion verschleppt, unterzeichnet das „Moskauer Protokoll“ und damit <strong>die</strong><br />

Kapitulation vor <strong>de</strong>r Sowjetmacht. Die alten Verhältnisse sind zunächst wie<strong>de</strong>r hergestellt, bis mit <strong>de</strong>r<br />

„samtenen Revolution“ unter Vaclav Havel <strong>die</strong> Zeit <strong>de</strong>r Freiheit beginnt.<br />

2) Mario Cagna, (1911-1986), vatikanischer Diplomat. Ab 1966 Apostolischer Delegat, ab 1970 Pro-Nuntius in<br />

Jugoslawien, ab 1976 (bis 1985) Nuntius in Österreich.<br />

3)HA XX/4 – Nr. 652 / Abteilung X v. 13. 11. 1968, Tgb.Nr. X/2903/68<br />

4) alle Zitate : HA XX/4 – Nr. 652, Abteilung X v. 22.11. 1968/ Tgb.Nr. X/3016/68<br />

5) einestages Zeitgeschichte auf SPIEGEL ONLINE v. 22. August 2008<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXI.<br />

6) vgl.: „Enttäuscht und und machtlos“ in: Renovabis – Solidaritätsaktion für Osteuropa / Me<strong>die</strong>ninfo v. 20.<br />

August 2008<br />

7) HA XX/4 – Nr. 652 – Abteilung X vom 14. 3. 1969 / Tgb.Nr. X /616 /69 / s. a. Folge<br />

8) Kardinal Angelo Dell´Acqua (1903-1972), seit 1938 im Dienst <strong>de</strong>r vatikanischen Politik. (beigeordneter<br />

Untersekretär in <strong>de</strong>r Heiligen Kongregation für <strong>die</strong> außeror<strong>de</strong>ntlichen Angelegenheiten <strong>de</strong>r Kirche, Substitut<br />

/Stellvertreter <strong>de</strong>s Staatssekretärs) 1967 Kardinalat, 1968 bis 1972 Generalvikar für <strong>die</strong> Stadt und <strong>de</strong>n Bezirk<br />

von Rom, Großkanzler <strong>de</strong>r Päpstlichen Lateran Universität.<br />

9) Bischof Pavel Mária Hnilica (1921-2006). Der im römischen Exil leben<strong>de</strong> slowakische ehemalige<br />

Untergrundbischof leitete Hilfsaktion „Pro Fratribus“ für tschechische und slowakische Flüchtlinge (s.a. Folge<br />

19). In <strong>de</strong>n 50er Jahren war <strong>de</strong>r Jesuit geheim zum Priester und (mit Zustimmung von Pius XII) zum Bischof<br />

(Titularbischof von Rusadus) geweiht wor<strong>de</strong>n. Hnilica widmete sich in beson<strong>de</strong>rer Weise <strong>de</strong>r Verehrung <strong>de</strong>r<br />

Muttergottes von Fatima (s.a. <strong>die</strong> Weissagungen, <strong>die</strong> sich auf <strong>de</strong>n Kommunismus in Europa und einen<br />

Mordanschlag auf einen Papst beziehen.) Sein Werk – heute Pro Deo et Fratribus – Familie Mariens – folgt<br />

<strong>die</strong>sen Intentionen und för<strong>de</strong>rt <strong>die</strong> Mission und materielle Unterstützung <strong>de</strong>r Kirchen in Ost- und Südosteuropa<br />

nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sowjetherrschaft. In <strong>de</strong>n 80er Jahren verstrickte sich Hnilica durch eine riskanten Deal mit<br />

Geheimunterlagen, um Scha<strong>de</strong>n von Papst und Kirche abzuwen<strong>de</strong>n, wie er vorgab und geriet in <strong>de</strong>n Stru<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s<br />

Finanzskandals <strong>de</strong>r Vatikan-Bank IOR und <strong>de</strong>ren angebliche dunkle Beziehungen zu Kreisen <strong>de</strong>s organisierten<br />

Verbrechens.<br />

10) Jaroslav Skarvada (geb. 1924); ab 1945 Stu<strong>die</strong>n in Rom, Lateran-Universität, Tschechisches Päpstliches<br />

Kolleg „Nepomucenum“, 1965 Sekretär von Kardinal Beran, 1968 Seelsorge an tschechischen Emigranten im<br />

Ausland, 1970 Kooperator im Staatssekretariat, 1983 Bischofsweihe, 1991-2001 Weihbischof in Prag und<br />

Generalvikar.<br />

11) Josef Kardinal Beran (geb. 1888 in Pilsen, gest. 1969 im römischen Exil), 1940 von <strong>de</strong>r Gestapo verhaftet:<br />

Gefängnis in Prag, Konzentrationslager Theresienstadt und Dachau, 1946 Erzbischof von Prag, 1949-1963 in<br />

kommun<strong>ist</strong>ischer Haft, 1965 Ausreise nach Rom (Exil) und von Papst Paul VI. zum Kardinal ernannt.<br />

12) Kardinal Frantisek Tomasek (1899-1992), 1940 Weihbischof in Olmütz, 1951 Verhaftung und Zwangsarbeit<br />

verurteilt, 1954-1965 in <strong>de</strong>r Seelsorge in Olmütz tätig, 1962-1965 Teilnahme am Konzil, 1965 Apostolischer<br />

Admin<strong>ist</strong>rator von Prag, 1976 zum Kardinal ernannt (in pectore, „im Herzen“, d.h. ohne Bekanntgabe <strong>de</strong>s<br />

Namens), 1977 Ernennung zum Erzbischof von Prag mit Veröffentlichung <strong>de</strong>s Kardinalats.<br />

13) Marie Caree: AA – 1025 The memoirs of an Anti Apostle. Erstveröffentlichung Québec, Canada. 1988)<br />

14) Edouard Gagnon, eh. Kurienkardinal, geb. 1918, Angehöriger <strong>de</strong>r Priesterkongregation <strong>de</strong>r Sulpizianer,<br />

Rektor <strong>de</strong>s Päpstlichen Kanadischen Kollegs in Rom, Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s Päpstlichen Rates für <strong>die</strong> Familien, 1985<br />

Kardinal, 1991-2001 Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s Päpstlichen Komitees für <strong>die</strong> Internationalen Euchar<strong>ist</strong>ischen Kongresse.<br />

15) Alice von Hil<strong>de</strong>brand (geb. 1923 in Brüssel), lebt in <strong>de</strong>n USA (New York). Prominente katholische<br />

Philosophin und Theologin<br />

16) The Latin Mass: A Journal of Catholic Culture, kurz: Latin Mass Magazin. Erscheint vierteljährig. Vertritt<br />

eine traditional<strong>ist</strong>ische Linie, kritisch gegenüber konziliaren Neuerungen, insbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong> Liturgiereform unter<br />

Paul VI. betreffend.<br />

17) Pater Pio, bürgerlich: Francesco Forgione (1887-1968, Kapuzinermönch, beson<strong>de</strong>rs durch seine<br />

Stigmatisierung (Wundmale Chr<strong>ist</strong>i an <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n), seine Krankenheilungen und seine Gabe <strong>de</strong>r Prophetie in<br />

Italien als populärster Schutzpatron in Italien verehrt. Seligsprechung 1999, Heiligsprechung 2002 durch<br />

Johannes Paul II. Das Kloster San Giovanni Rotondo/Apulien, wo er lebte und beigesetzt wur<strong>de</strong>, <strong>ist</strong> nach<br />

Gua<strong>de</strong>lupe/Mexico <strong>de</strong>r me<strong>ist</strong> besuchte Wallfahrtsort <strong>de</strong>r Welt.<br />

18) „Institut für das Studium <strong>de</strong>r totalitären Regime“ (Ústav pro studium totalitnich rezimú – USTRCR). Die<br />

Behör<strong>de</strong>, mit Sitz in Prag, vom Parlament kontrolliert, nahm ihre Arbeit am 1. Februar 2008 auf. Sie soll, nach<br />

langer politischer Diskussion insbeson<strong>de</strong>re von <strong>de</strong>r Linken gefor<strong>de</strong>rt, sowohl <strong>die</strong> Zeit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Okkupation<br />

wie <strong>die</strong> Jahre <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen Regimes seit <strong>de</strong>r Machtübernahme im Februar 1948 bearbeiten. Ihre<br />

Tätigkeit konzentriert zum einen auf <strong>die</strong> wissenschaftlich Forschung, zum an<strong>de</strong>ren darauf, <strong>die</strong> Unterlagen <strong>de</strong>r<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXI.<br />

verschie<strong>de</strong>nen Akteien <strong>de</strong>r „sozial<strong>ist</strong>ischen Sicherheitsorgane“, also <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen Geheim<strong>die</strong>nstes StB<br />

mit allen seinen Glie<strong>de</strong>rungen, in einem Gesamtarchiv zusammenzuführen und zu dokumentieren.<br />

19) vgl.: „Tschechische „Super-Gauck-Behör<strong>de</strong>“ nimmt offiziell Arbeit auf“ - Radio Prag. Tagesecho v. 01.02.<br />

2008 (Internet-Version) / „Vier Parlamentarier in kommun<strong>ist</strong>ischen Geheim<strong>die</strong>nstprotokollen erwischt“ - Radio<br />

Prag – Tagesecho v. 29.07. 2008 (Internet-Version) / „Weiter Diskussionen über Akten <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Geheim<strong>die</strong>nstes“ - Radio Prag – Tagesecho v. 31. 07. 2008 (Internet-Version) / „Unrühmliche Vergangenheit<br />

online“ in Wiesba<strong>de</strong>ner Kurier v. 29. August 2008<br />

.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXII.<br />

XXII. Priester in geheimer Mission<br />

Es war <strong>de</strong>r vielleicht schönste Tag in seinem Leben, wenn Jan einmal von seinem<br />

Hochzeitstag und <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>r Geburt seiner vier Kin<strong>de</strong>r absieht. Ein Bischof legte ihm <strong>die</strong><br />

Hän<strong>de</strong> auf, er wie<strong>de</strong>rum legte sein Gehorsamsversprechen in <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Bischofs und von<br />

<strong>die</strong>sem Moment an war er rechtmäßig, „sub conditione, das heißt, nach <strong>de</strong>n Vorschriften,<br />

Priester <strong>de</strong>r römisch-katholischen Kirche. Bekanntlich keine Alltäglichkeit in <strong>de</strong>r lateinischen<br />

Kirche, son<strong>de</strong>rn eine späte Frucht jener Passion, durch <strong>die</strong> er während <strong>de</strong>r<br />

Glaubensverfolgung in seiner Heimat, <strong>de</strong>r Tschechoslowakei gegangen war. Seine Geschichte<br />

wird im Laufe <strong>die</strong>ser Folge erzählt, wie sie mündlich von ihm überliefert wur<strong>de</strong>, mit leichten<br />

Abän<strong>de</strong>rungen, zur Wahrung seines Schutzbedürfnisses.<br />

Es war eine lange Geschichte nicht nur unter <strong>de</strong>m bedrohlichen Zeichen <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Sterns, auch <strong>de</strong>r politische Neubeginn nach <strong>de</strong>r erfolgreichen „Samtenen Revolution“ war mit<br />

manchen innerkirchlichen Konflikten und persönlichen Zweifeln verbun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn Jan war<br />

bereits zum Priester geweiht wor<strong>de</strong>n, geheim und rechtmäßig. Von einem Bischof, <strong>de</strong>r selbst<br />

von einem Geheimbischof geheim geweiht wor<strong>de</strong>n war und für sich in Anspruch nahm, über<br />

<strong>die</strong> so genannten „mexikanischen Fakultäten“ (1) zu verfügen. Das war jene spezielle<br />

Bevollmächtigung, <strong>die</strong> auf <strong>die</strong> Zeit <strong>de</strong>s mexikanischen Kirchenkampfes in <strong>de</strong>n Zwanziger<br />

und Dreißiger Jahren <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts zurückgehen. Papst Pius XI. hatte <strong>die</strong>se<br />

beson<strong>de</strong>ren Regelungen für beson<strong>de</strong>re Notsituationen verfügt. Dies galt insbeson<strong>de</strong>re, um <strong>die</strong><br />

bischöfliche Hierarchie, mithin <strong>die</strong> kirchliche Struktur zu erhalten, nach <strong>de</strong>m irenäischen<br />

Grundsatz „Wo <strong>de</strong>r Bischof, dort <strong>die</strong> Kirche“. (2)<br />

In Grenzfällen konnte selbst ein „einfacher“ Priester solche Leitungsfunktionen übernehmen<br />

bis <strong>die</strong> „or<strong>de</strong>ntlichen“ Verhältnisse wie<strong>de</strong>r hergestellt waren. In <strong>de</strong>r Tschechoslowakei<br />

erfolgten <strong>die</strong> Weihe <strong>de</strong>r verheirateten Priester nach <strong>de</strong>r „mexikanischen Fakultät“ auf <strong>de</strong>r<br />

Grundlage <strong>de</strong>r Regularien <strong>de</strong>r mit Rom verbun<strong>de</strong>nen (unierten) Ostkirche. Damit konnte <strong>die</strong><br />

bekannte Zölibatsfrage umgangen wer<strong>de</strong>n, da <strong>die</strong> Unierten verheiratete Männer zum<br />

Priesteramt (jedoch nicht im Bischofsamt) zulässt. In „normalen“ Zeiten wür<strong>de</strong> man <strong>die</strong>se<br />

„Son<strong>de</strong>rfälle“ in <strong>die</strong> unierte Kirche inkardinieren, d.h. in <strong>de</strong>ren Klerus einfügen können.<br />

Über <strong>die</strong> Rechtmäßigkeit <strong>die</strong>ser geheimen Priesterweihen kam es nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong><br />

zu nicht unerheblichen Spannungen zwischen <strong>de</strong>n Betroffenen und „Rom“. Waren sie regulär,<br />

lag <strong>die</strong> „fakultates“ vor, war bei <strong>de</strong>n Geheimbischöfen <strong>die</strong> Apostolische Sukzession garantiert,<br />

also <strong>de</strong>r Nachweis <strong>de</strong>r oberhirtlichen Autorität in <strong>de</strong>r Nachfolge <strong>de</strong>r Apostel erbracht? Fragen,<br />

<strong>die</strong> mit <strong>de</strong>m Blick auf <strong>die</strong> Zeit, in <strong>de</strong>r ein Teil <strong>de</strong>r Kirche in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei in <strong>de</strong>r<br />

„Katakombe“ überlebt hatte, nicht wenige verletzen musste. War nicht letztlich Jesus<br />

Chr<strong>ist</strong>us, <strong>de</strong>r Herr, <strong>de</strong>m sie Gehorsam gelobt hatten: statt sich unter <strong>de</strong>m „Roten Stern“ zu<br />

beugen, <strong>de</strong>m „<strong>de</strong>m Stern von Bethlehem“ zu folgen. Das Diktum erinnert an ein Wort von<br />

Joachim Meisner, <strong>de</strong>r selbst – als Weihbischof in Erfurt – tschechische Theologen hinter<br />

verschlossenen Türen geheim zu Priestern geweiht hatte. Bei ihm freilich bestan<strong>de</strong>n ja keine<br />

Zweifel an <strong>de</strong>r Legalität seiner Amtshandlungen.<br />

Jan, um zu <strong>de</strong>m ehemaligen Mitglied <strong>de</strong>r Untergrundkirche in Prag zurückzukehren, war Sohn<br />

eines leiten<strong>de</strong>n Beamten aus <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r kurzlebigen „Zweiten Republik“ (1938/39). Er selbst<br />

stu<strong>die</strong>rte Agrarwissenschaften und schloss mit <strong>de</strong>m Ingenieurs-Diplom ab. Als<br />

bekennen<strong>de</strong>rChr<strong>ist</strong> hat er bald keine Chance mehr im kommun<strong>ist</strong>ischen Staat und schlägt sich<br />

als Bibliothekar, Übersetzer von Fachliteratur und schließlich auch als Fensterputzer durch.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXII.<br />

Dabei befin<strong>de</strong>t er sich in guter Gesellschaft mit Priestern und Bischöfen, <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r<br />

„sozial<strong>ist</strong>ische“ Staat ebenfalls keine an<strong>de</strong>re Tätigkeit erlaubt.<br />

Weihe in <strong>de</strong>r Wohnung <strong>de</strong>s Onkels<br />

Mit Gleichgesinnten, Glaubensbrü<strong>de</strong>rn lebt Jan in einer Gemeinschaft, <strong>de</strong>r Prager<br />

Kommunität, <strong>die</strong> sich in <strong>de</strong>n 70er Jahren <strong>de</strong>r Ecclesia Silentii – <strong>de</strong>r Kirche <strong>de</strong>s Schweigens,<br />

<strong>de</strong>r Kirche im Untergrund anschließt. Man trifft sich zum Gebet und Gottes<strong>die</strong>nsten in<br />

Privatwohnungen. Bevor jemand vollständig als Mitglied aufgenommen wird, muss er ein<br />

erstes Jahr <strong>de</strong>r „Bewährung“ absolvieren. (Der Staatssicherheit bleiben <strong>die</strong> Katakomben-<br />

Chr<strong>ist</strong>en natürlich nicht verborgen, 1985 wird <strong>die</strong> Gruppe ent<strong>de</strong>ckt.)<br />

Jan widmet sich theologischen Stu<strong>die</strong>n, sein Lehrer <strong>ist</strong> <strong>de</strong>r hoch angesehene Josef Zverina (3)<br />

Ein Gedanke seines verehrten Lehrers, mehr als eine Textzeile, <strong>ist</strong> ihm beson<strong>de</strong>rs haften<br />

geblieben. Menschen, mit <strong>de</strong>nen er gern zusammen kommt, nennt er schon mal „Freund“. Das<br />

erinnert an Zverinas Worte: „In seinem Testament hat uns <strong>de</strong>r Herr Freun<strong>de</strong> genannt. Wir<br />

könnten wir <strong>die</strong>s sein, ohne dass wir uns auch untereinan<strong>de</strong>r als Freund fühlen.“ So auch das<br />

Denken und Han<strong>de</strong>ln von Jan.<br />

Je<strong>de</strong>s Mitglied <strong>de</strong>r Prager Gemeinschaft sollte Führungsaufgaben übernehmen, das heißt,<br />

selbst eine weitere chr<strong>ist</strong>liche Untergrund-Gruppe leiten und, wenn geeignete, auch<br />

priesterliche Funktionen übernehmen können. Jan wird eines Tages angesprochen. „Horch<br />

mal. Merk <strong>die</strong>se Ziffer“. Der Mann, <strong>de</strong>n Jan nicht kennt, nennt eine Zahl. In <strong>de</strong>r Regel war es<br />

<strong>die</strong> Motornummer eines Fahrzeugs, <strong>die</strong> man als Co<strong>de</strong>-Schlüssel wählte. Dann nannte <strong>de</strong>r<br />

Unbekannte noch ein Datum und <strong>die</strong> genaue Stun<strong>de</strong>. Es <strong>ist</strong> <strong>de</strong>r Termin, an <strong>de</strong>m <strong>die</strong> geheime<br />

Weihe stattfin<strong>de</strong>n soll, <strong>die</strong> Weihe zum Diakon, Vorstufe zum Priesteramt. Adresse <strong>ist</strong> <strong>die</strong><br />

Privatwohnung eines entfernten Verwandten, einem Onkel, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Zweiten Republik als<br />

Offizier <strong>die</strong>nte. Ein zuverlässiger, verschwiegener Mann. Datum <strong>ist</strong> <strong>de</strong>r 21. Mai 1980. Die<br />

Weihe vollzieht Fridolin Zahradnik, einer <strong>de</strong>r von Felix Davi<strong>de</strong>k geweihten Geheimbischöfe.<br />

Am 18. August 1988 folgt dann <strong>die</strong> Priesterweihe. „Um 18 Uhr“.<br />

Nach <strong>de</strong>m erweiterten Ritus, d.h. Jan kann sowohl in <strong>de</strong>r „lateinischen“, also römischkatholischen<br />

Kirche <strong>die</strong>nen, wie in <strong>de</strong>r „unierten“ Kirche, einer mit Rom verbun<strong>de</strong>nen<br />

Ostkirche <strong>de</strong>s byzantinischen Ritus, <strong>die</strong> aus <strong>de</strong>r Trennung von <strong>de</strong>r orthodoxen Kirche im 16.<br />

und 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt hervorgegangen und vor allem in <strong>de</strong>r Slowakei beheimatet <strong>ist</strong>.<br />

Teilgemein<strong>de</strong> ex<strong>ist</strong>ieren in Prag und im nordböhmischen Industrie-Revier durch dorthin<br />

umgezogene Arbeiterfamilien. Die Priesterweihe nahm Pavel Hajek vor, Mitkonsekrator<br />

war Jan Konsal, bei<strong>de</strong> Geheimbischöfe, <strong>die</strong> angeblich von Rom nicht anerkannt waren. (Mehr<br />

zu <strong>die</strong>ser Problematik in einer <strong>de</strong>r nächsten Folgen)<br />

Jan´s Frau muss darauf verzichten, bei <strong>de</strong>r Weihe ihres Mannes zugegen zu sein. Sie soll nicht<br />

als Mitwisserin gefähr<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Die Geheimpolizei <strong>ist</strong> bekanntlich allgegenwärtig. Eine<br />

Ent<strong>de</strong>ckung <strong>die</strong>ses konspirativen Treffens kann unübersehbare, ja „tödliche Gefahren“ mit<br />

sich bringen, wie Jan später einmal schreibt. Er verschweigt seiner Frau <strong>die</strong> Weihe und<br />

enthüllt ihr sein Geheimnis erst nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong>. Sein Verhalten empfin<strong>de</strong>t er<br />

auch noch im Nachhinein als Vertrauensbruch, es wühlt ihn lange Zeit auf.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXII.<br />

Spiritualität kann man nicht mimem<br />

Es waren ja in <strong>de</strong>r Regel nicht <strong>die</strong> regulären Agenten <strong>de</strong>r Staatsicherheit, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>ren V-<br />

Leute, <strong>die</strong> in <strong>die</strong> kirchlichen Organe, zumal <strong>die</strong> Substrukturen, eingeschleust wur<strong>de</strong>n. Man<br />

war gewarnt. „Man konnte sie daran erkennen wie sie beteten“, sagt Jan. „Sie kannten zwar<br />

<strong>die</strong> Gebetstexte, wußten, was man in <strong>de</strong>r Kirche betete. Sie konnten das Vaterunser auf Latein<br />

hersagen. Aber wie machten sie das? Spiritualität kann man nicht mimen“. Und dass <strong>de</strong>r<br />

Wagen, <strong>de</strong>r von Zeit zu Zeit auf <strong>de</strong>r gegenüberliegen<strong>de</strong>n Straßenseite vor Jan´s Wohnung<br />

parkte, nicht irgen<strong>de</strong>inem Nachbarn gehörte, und dass <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> sich spontan und<br />

inniglich umarmten, wenn sie sich beobachtet fühlten, kein das Liebespaar waren, son<strong>de</strong>rn<br />

von <strong>de</strong>r Spitzelbehör<strong>de</strong>, war auch klar.<br />

Gleichwohl musste man auf <strong>de</strong>r Hut sein. Versuche <strong>de</strong>r Geheimpolizei, Spione in <strong>die</strong><br />

kirchlichen Organisationen einzuschleusen, zumal in <strong>die</strong> klan<strong>de</strong>stinen Gruppen, davon war<br />

auszugehen. Gewiss, wer um Aufnahme in <strong>die</strong> Kommunität einkam, war grundsätzlich<br />

willkommen. Man war offen für Gleichgesinnte. Aber ein neues Mitglied musste erst, wie<br />

schon erwähnt, eine Probezeit von einem Jahr durchlaufen. „Dann erst sagte man, ja, du b<strong>ist</strong><br />

wirklich <strong>die</strong> Anna (Jan verwen<strong>de</strong>t <strong>die</strong>sen Vornamen) und alle sagten jetzt „Ja“ zu ihr und:<br />

schön, dass du zu uns gehörst“.<br />

Obschon von <strong>de</strong>r Rechtmäßigkeit seiner ersten Weihe überzeugt, erklärt sich Jan unter <strong>de</strong>n<br />

neuen Verhältnissen in Tschechien bereit, seine Weihe unter <strong>de</strong>n römischen Bedingungen,<br />

„sub conditione“, wie<strong>de</strong>rholen zu lassen. Er arbeitet schließlich in einer Schlüsselposition<br />

eines bischöflichen Ordinariats und will je<strong>de</strong> Unruhe und Spannung vermei<strong>de</strong>n, kein<br />

„Ärgernis“, könnte man sagen. Er weiß, dass an<strong>de</strong>re, <strong>die</strong> unter ähnlichen Umstän<strong>de</strong>n geweiht<br />

wur<strong>de</strong>n, und <strong>die</strong> vatikanische For<strong>de</strong>rung als Demütigung empfin<strong>de</strong>n, seine Entscheidung wie<br />

einen „Verrat“ sehen. Das bleibt für ihn nicht ohne Schmerz und er gesteht, dass ihn <strong>die</strong>s<br />

„manchmal umtreibe.“<br />

Dennoch: Jan gibt eine entsprechen<strong>de</strong> Erklärung ab. Aus <strong>de</strong>m Englischen übersetzt lautet sie<br />

(mit leichten Abän<strong>de</strong>rungen zur Wahrung <strong>de</strong>r Schutzwürdigkeit <strong>de</strong>r Person):<br />

„Ich, <strong>de</strong>r unterzeichnete (folgt Name) habe das Angebot <strong>de</strong>r ordinatio sub conditione als<br />

Bedingung für meine öffentliche priesterliche Arbeit akzeptiert. Ungeachtet, dass ich keine<br />

persönliche Zweifel an meiner Weihe habe, nehme ich <strong>die</strong>ses großzügige Angebot an. Nach<br />

einer gegenseitigen Vereinbarung zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Ordinarien (Erzb<strong>ist</strong>um von Prag und<br />

Apostolischem Exarchat) wür<strong>de</strong> ich gern nach <strong>de</strong>m westlichen Ritus <strong>die</strong>nen. Ich möchte gern<br />

in meinem Dienst verbleiben (<strong>die</strong> Position im bischöflichen Ordinariat <strong>ist</strong> in <strong>de</strong>r Erklärung<br />

näher bezeichnet), und zwar <strong>de</strong>shalb weil ich nur eine begrenzten seelsorgliche Tätigkeit für<br />

Menschen im Ruhestand, für Betagte und für Sterben<strong>de</strong> ausüben möchte. Dies wäre eine<br />

logische Fortsetzung meiner früheren Arbeit als Pastoral-Ass<strong>ist</strong>ent unter alten und kranken<br />

Menschen. Mit Dank an <strong>de</strong>n einzigen Hohen Priester unseren Herrn und in <strong>de</strong>m ich mich<br />

seiner Gna<strong>de</strong> und Barmherzigkeit unterstelle.“<br />

Rom anerkennt <strong>die</strong>se Form <strong>de</strong>r Subordination. Am 12. Mai 2008, zwanzig Jahre nach <strong>de</strong>m<br />

ersten Weiheakt, empfängt Jan <strong>die</strong> „bedingungsweise Weihe“. Er notiert: „Es war wirkliche<br />

eine schöne Feierlichkeit.“ – Er fügt hinzu „Deo dante“, will wohl sagen dank einem<br />

Geschenk Gottes, eben doch mehr, als nur <strong>die</strong> Befolgung einer kirchlichen Richtlinie. Damit<br />

versöhnt er <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n Vorgänge, <strong>de</strong>n Weiheakt in <strong>de</strong>r Zeit größter Gefahr und <strong>de</strong>n<br />

Formalismus <strong>de</strong>s Kirchenrechts. Freilich, <strong>die</strong> vatikanische Aufsichtsbehör<strong>de</strong> vergisst nicht,<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXII.<br />

<strong>de</strong>m Weihezertifikat eine Mahnung, o<strong>de</strong>r sollte man sagen: eine Warnung, hinzufügen. Man<br />

erwarte, dass Jan sich „senza scandalo“ verhalte, salopp ausgedrückt, ohne großes Trara, um<br />

<strong>die</strong> Gläubigen nicht zu verwirren.<br />

1)Mexikanische Fakultät. Als <strong>de</strong>r Vertreter <strong>de</strong>s Heiligen Stuhls in Prag , Erzbischof Gennaro Verolino, nach <strong>de</strong>r<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Machtübernahme 1948 überstürzt abreisen musste, hinterließ er ein Schreiben, das <strong>die</strong> so<br />

genannte „facultas specialissimae“ (facultas = Erlaubnis) enthielt, ähnlich <strong>de</strong>r mexikanischen Fakultät. Sie<br />

erteilt ge<strong>ist</strong>liche Vollmachten für hoheitliche Akte, <strong>die</strong> eigentlich einem kirchlichen Oberen vorbehalten sind,<br />

einem ihm unterstehen<strong>de</strong>n klerikalen Rang. Ein „einfacher“ Priester darf bischöfliche Funktionen ausüben.<br />

Auch Bischof Stepán Trochta von Leitmeritz soll solche Son<strong>de</strong>rbefugnisse von Pius XII. erhalten haben.<br />

Kardinal Stepán Trochta (1905-1974), Bischof von Litomerice/Leitmeritz. 1942-1945 in Konzentrationslagern in<br />

Theresienstadt, Mauthausen und Dachau. Unter kommun<strong>ist</strong>ischem Regime einziger resi<strong>die</strong>ren<strong>de</strong>r Bischof in <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei. 1953 verhaftet und zu 25 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Im Zuge <strong>de</strong>r „Mai-Amnestie“ von<br />

1960 freigelassen, nach angeblicher Bereitschaft mit <strong>de</strong>m Staatssicherheits<strong>die</strong>nst StB zusammenzuarbeiten. Eine<br />

Rückkehr in sein bischöfliches Amt <strong>ist</strong> ihm bis 1968 verwehrt. Er muss seinen Lebensunterhalt als einfacher<br />

Handwerker bestreiten. 1969 ernennt ihn Papst Paul VI zum Kardinal „in pectore“; <strong>die</strong> öffentliche<br />

Proklamation erfolgt 1973.<br />

Trochta wirkt auch in <strong>de</strong>r Untergrundkirche mit, vollzieht mehrere geheime Priesterweihen. Obschon bereits<br />

schwer erkrankt, wird er wie<strong>de</strong>rholt Verhören unterzogen, <strong>die</strong> nach außen hin als „Besprechungen“ ausgegeben<br />

wer<strong>de</strong>n. Bei einer solchen „Unterredung“ zu <strong>de</strong>r beim Kreiskirchensekretär einbestellt wor<strong>de</strong>n war, sei <strong>de</strong>r<br />

Parteifunktionär „laut“ gewor<strong>de</strong>n, wird später berichtet. Kurz darauf erlei<strong>de</strong>t Trochta einen Schlaganfall, <strong>de</strong>m<br />

er erliegt.<br />

2) Auf <strong>die</strong>se Kurzformel brachte ein nie<strong>de</strong>rländischer Bischof <strong>die</strong> Überlieferung <strong>de</strong>s Kirchenlehrers Irenäus<br />

einmal in einer Ansprache in <strong>de</strong>n 70er Jahren, als in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n eine starke Reformbewegung von <strong>de</strong>r<br />

Basis ausging. Auch Papst Benedikt XVI, vorher Präfekt <strong>de</strong>r vatikanischen Glaubenskongregation, betonte<br />

anlässlich einer Generalau<strong>die</strong>nz vor Pilgern <strong>die</strong> „Apostolische Tradition“, bei <strong>de</strong>r <strong>die</strong> bischöfliche Nachfolge<br />

<strong>die</strong> „getreue Überlieferung“ <strong>de</strong>s wahren Glaubens garantiere, <strong>de</strong>n „Kanon <strong>de</strong>r <strong>Wahrheit</strong>“, wie <strong>de</strong>r Papst sagte.<br />

Er zitierte <strong>de</strong>n Bischof von Lyon (geb. 135/140 – wahrscheinlich Märtyrertod 202/203) mit <strong>de</strong>n Worten: „Wo <strong>die</strong><br />

Kirche <strong>ist</strong>, dort <strong>ist</strong> <strong>de</strong>r Ge<strong>ist</strong> Gottes, und wo <strong>de</strong>r Ge<strong>ist</strong> Gottes <strong>ist</strong>, dort <strong>die</strong> <strong>die</strong> Kirche und jegliche Gna<strong>de</strong>.“.<br />

(Papst Benedikt XVI., Ansprache während <strong>de</strong>r Generalau<strong>die</strong>nz am 28. März 2007).<br />

3) Josef Zverina (1913-1990), Priester, Theologe, Philosoph. Er hält theologische Seminare in <strong>de</strong>r Untergrund<br />

kirche ab. Zverina hat viele Jahre in Nazi und Stasi-Haft verbracht. Dann wur<strong>de</strong> ihm nur noch eine Stelle als<br />

Hilfsarbeiter in einem Archiv erlaubt.<br />

Eine enge Freundschaft verband ihn, <strong>de</strong>n Mitunterzeichner <strong>de</strong>r Charta 77, mit Karol Wojtyla, <strong>de</strong>n Erzbischof<br />

von Krakau, <strong>de</strong>r 1978 als Johannes Paul II. <strong>die</strong> Leitung <strong>de</strong>r Kirche übernahm. Zwei Theologen, <strong>die</strong><br />

kompromisslos <strong>de</strong>n chr<strong>ist</strong>lichen Glauben gegen <strong>de</strong>n Anspruch <strong>de</strong>s Atheismus verteidigten. Zverina hatte wohl<br />

auch <strong>de</strong>n Dialog mit <strong>de</strong>n Marx<strong>ist</strong>en gesucht, freilich auf einer an<strong>de</strong>ren Ebene, als <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s vulgären<br />

Kommunismus <strong>de</strong>r Apparatschiki. Den Kirchenoberen schienen solche Experimente offensichtlich zu riskant.<br />

Zverinas Dissertation „Der junge Marx und sein Verhältnis zur Religion“ wur<strong>de</strong> abgelehnt. Nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong><br />

begrün<strong>de</strong>t er <strong>die</strong> Tschechische chr<strong>ist</strong>liche Aka<strong>de</strong>mie (Ceska krest´anska aka<strong>de</strong>mie) in Prag, in Anlehnung an<br />

Vorkriegs-institutionen und <strong>de</strong>n Universitätsbetrieb im Untergrund. Seine Nachfolge als Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r CKA<br />

übernahm Thomás Halik.<br />

Tomás Halik, Jg. 1948, einer <strong>de</strong>r angesehensten tschechischen Ge<strong>ist</strong>eswissenschaftler von internationalem Ruf.<br />

Soziologe, Philosoph. Theologische Stu<strong>die</strong>n im Untergrundseminar von Josef Zverina und Schüler <strong>de</strong>s<br />

be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Philosophen Jan Patocka. (4) In <strong>de</strong>r Verbotszeit als Psychologe und Psychotherapeut um Drogen-<br />

und Alkoholabhängige in einer Prager Klinik. 1978 geheim zum Priester geweiht, in Erfurt von Bischof Hugo<br />

Auf<strong>de</strong>rbeck. Mitglied <strong>de</strong>r Untergrundkirche.<br />

In <strong>de</strong>n 8er Jahren enger Mitarbeiter <strong>de</strong>s Prager Erzbischofs, Kardinal Frantisek Tomasek. Er gibt geheime<br />

Seminare in Privatwohnungen, organisiert eine „Ökumenische Deka<strong>de</strong> <strong>de</strong>r ge<strong>ist</strong>lichen Erneuerung“, tritt als<br />

Autor von Samisdat-Literatur in Erscheinung, publiziert und verbreitet illegale Bücher zu theologischen und<br />

philosophischen Themen. Er zählt zum Kreis <strong>de</strong>r Dissi<strong>de</strong>nten um Vaclav Havel. Geheimpolizei erklärt ihn zum<br />

Seite 118


Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXII.<br />

„Feind <strong>de</strong>s Regimes“. Nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> übernimmt er von 1990-93 <strong>die</strong> Funktion <strong>de</strong>s Generalsekretärs <strong>de</strong>r<br />

Tschechischen Bischofskonferenz<br />

4) Jan Patocka (1907-1977), tschechischer Philosoph, Schüler von Husserl und Hei<strong>de</strong>gger, Berufsverbot unter<br />

<strong>de</strong>n Nazis und (ausgenommen <strong>die</strong> Jahre 145-1950) unter <strong>de</strong>n Kommun<strong>ist</strong>en. Er unterrichtet, wie Zverina und<br />

an<strong>de</strong>re Ge<strong>ist</strong>eswissenschaftler, in Privaträumen. 1968 Professur an <strong>de</strong>r Karls-Universität; 1972 zwangsweise<br />

emeritiert. Zusammen mit Vaclav Havel und Jiri Hajek <strong>ist</strong> er einer <strong>de</strong>r Sprecher <strong>de</strong>r Charta 77. Wie<strong>de</strong>rholt von<br />

<strong>de</strong>r Staatssicherheit vernommen. Er erliegt einem Schlaganfall, man sagt, als Folge eines <strong>die</strong>ser scharfen<br />

Verhöre. Die Umstän<strong>de</strong> seines To<strong>de</strong>s erinnern an Kardinal Stepán Trochta, <strong>de</strong>n Bischof von Litomerice/<br />

Leitmeritz, <strong>de</strong>r nach einer mehrstündigen „Unterredung“ mit <strong>de</strong>m Kreiskirchen-Sekretär in ein Krankenhaus<br />

eingeliefert wer<strong>de</strong>n musste, wo er ebenfalls an einem Schlaganfall starb.<br />

Seite 119


Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXIII.<br />

XXIII. Komplott im Namen Gottes<br />

Sie trafen sich an geheimen Orten, in verschwiegenen Wohnungen, auf Zuruf mit einem<br />

Co<strong>de</strong>-Wort. Selbst <strong>die</strong> Namen <strong>de</strong>r Beteiligten blieben bis zum Moment, da man sich<br />

gegenüberstand, anonym. Wenn das Szenarium einem konspirativen Treffen geglichen haben<br />

sollte, was <strong>die</strong> Staatsmacht zum Anlass für Verhaftungen und Verurteilungen nahm, dann war<br />

es eine Verschwörung. Ein Komplott im Namen Gottes. Der Termin <strong>die</strong>nte einem einzigen<br />

Zweck: einen Mann, <strong>de</strong>r seinem Glauben treu geblieben war, zum Priester zu weihen. Es war<br />

gewissermaßen <strong>die</strong> Geburtsstun<strong>de</strong> ein Gemeinschaft von Gläubigen, <strong>die</strong> sich unter <strong>de</strong>m Druck<br />

<strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen Regimes in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei entschied, in <strong>de</strong>n Untergrund zu<br />

gehen. Sie bil<strong>de</strong>ten keine geschlossene Organisation son<strong>de</strong>rn einzelne Gruppen, Zellen gleich<br />

gesinnter Chr<strong>ist</strong>en, kein eng geflochtenes Netzwerk schon aus Sicherheitsgrün<strong>de</strong>n, eher hier<br />

und da in Kontakt miteinan<strong>de</strong>r.<br />

Aus <strong>de</strong>n Anfängen entwickelte sich eine zwar nicht <strong>die</strong> Mehrheit erfassen<strong>de</strong>, wohl aber eine<br />

Elite unter <strong>de</strong>n Gläubigen ansprechen<strong>de</strong> Bewegung, <strong>die</strong> sich <strong>de</strong>n Namen „Ecclesia Silentii“<br />

gab. (s.a. Folge 22). Und doch war sie alles an<strong>de</strong>re als eine Kirche <strong>de</strong>s Schweigens, alles<br />

an<strong>de</strong>re als stumm, eher eine Gemeinschaft <strong>de</strong>r Verschwiegenheit. Der Verteidigung, <strong>de</strong>s<br />

Erhalts und <strong>de</strong>r Verbreitung <strong>de</strong>r <strong>Wahrheit</strong> <strong>de</strong>s Evangeliums getarnt gegenüber ihren<br />

Verfolgern. Wie sonst hätten <strong>die</strong> staatlichen „Sicherheitsorgane“ und ihre Helfershelfer<br />

beson<strong>de</strong>rs Jagd auf <strong>die</strong>se Wi<strong>de</strong>rsacher ihrer I<strong>de</strong>ologie gemacht.<br />

Erste Ansätze für <strong>die</strong>se klan<strong>de</strong>stinen Gruppierungen formten sich schon in <strong>de</strong>n ersten Jahren<br />

nach <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Machtübernahme, ohne dass man sich auf eine bestimmte Jahres-<br />

zahl festlegen sollte. Diese Entwicklung verstärkte sich in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Jahrzehnten.<br />

Priester-Theologen, insbeson<strong>de</strong>re Or<strong>de</strong>nsleute, <strong>die</strong> aus <strong>de</strong>r Haft entlassen wor<strong>de</strong>n waren, (u.a.<br />

im Rahmen <strong>de</strong>r Amnestien von 1960 und 1962), <strong>de</strong>nen aber <strong>die</strong> Rückkehr in ihre Pfarreien<br />

verwehrt wur<strong>de</strong>, begannen, ihre seelsorgliche Arbeit geheim fortzusetzen. Auch nach <strong>de</strong>m<br />

En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Prager Frühlings von 1968 kapitulierten nicht alle. <strong>Kath</strong>olische Theologen, <strong>die</strong><br />

Dubceks Reformkurs mittragen wollten, schlossen sich nun <strong>de</strong>r Untergrundkirche an.<br />

Es wur<strong>de</strong>n Glaubenskurse angeboten, Seminare für theologische Stu<strong>die</strong>n, Exerzitien und<br />

Begegnungen für Jugendliche an. Alles in <strong>de</strong>n Abendstun<strong>de</strong>n und zu mancher Nachtzeit.<br />

Tagsüber ging man „unverdächtigen“ Tätigkeiten „zivilen“ Berufen, nach: Priestern, <strong>die</strong> bei<br />

<strong>de</strong>r Stasi notiert waren, blieben ohnehin nur „einfache“ handwerkliche Arbeiten übrig, vom<br />

Archivar (immerhin in einer warmen Stube) bis zum landwirtschaftlichen Gehilfen und<br />

Bauarbeiter, Straßenfeger und Fensterputzer. Für <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>en ein Sieg <strong>de</strong>s Proletariats.<br />

Die Beson<strong>de</strong>rheit <strong>de</strong>r kirchlichen Situation in <strong>de</strong>r Sozial<strong>ist</strong>ischen Tschechoslowakischen<br />

Sozial<strong>ist</strong>ischen Republik bestand darin, dass weiterhin <strong>die</strong> „sichtbare“ Kirche mit ihren<br />

Ordnungsstrukturen ex<strong>ist</strong>ierte, allerdings gespalten in jenen Teil, <strong>de</strong>r sich, um zu überleben,<br />

<strong>de</strong>n politischen Gegebenheiten mehr o<strong>de</strong>r weniger fügte, bzw. anpasste, und jenen, <strong>de</strong>r über<br />

das erzwungene Maß hinaus zur Kollaboration mit <strong>de</strong>m Regime bereit war. Es wäre vielleicht<br />

zu gewagt, an neronische Zeiten zu erinnern – an römische Katakomben. Chr<strong>ist</strong>en wur<strong>de</strong>n<br />

nicht in einem Circus Maximus <strong>de</strong>n Löwen vorgeworfen – aber Blut floss in Folterkellern und<br />

es gab To<strong>de</strong>sfälle, <strong>die</strong> bis heute nicht vollständig aufgeklärt sind, wie aus Berichten von<br />

Zeitzeugen zu entnehmen <strong>ist</strong>.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXIII.<br />

Je<strong>de</strong>r Pfarrer ein Papst<br />

Einen Schwerpunkt <strong>de</strong>r Arbeit in <strong>de</strong>n Gruppen <strong>de</strong>r Ecclesia Silentii bil<strong>de</strong>te, angesichts <strong>de</strong>s<br />

Mangels an Priestern, je<strong>de</strong>nfalls an allein <strong>de</strong>m Papst und Kirche treuen, <strong>die</strong> Vorbereitung und<br />

Weihe von geeigneten Männern – selbst verständlich unter strengster Geheimhaltung. Man<br />

berief sich, um <strong>de</strong>n kirchenrechtlichen Bedingungen zu genügen, auf <strong>die</strong> beson<strong>de</strong>ren<br />

Vollmachten in Anlehnung an <strong>die</strong> so genannten „Mexikanischen Fakultäten“ (s.a. Folge 22).<br />

Sie <strong>die</strong>nten in erster Linie, um Bischofe unter <strong>de</strong>n Bedingungen einer Notsituation zu weihen,<br />

<strong>die</strong> Zustimmung „Roms“ voraussetzend und damit <strong>die</strong>se Geheimbischöfe wie<strong>de</strong>rum in <strong>die</strong><br />

Lage zu versetzen, ebenfalls Bischöfe und Priester zu weihen. Bestimmte Vollmachten<br />

konnten in einer extremen Situation sozusagen einem „einfachen“ Priester übertragen wer<strong>de</strong>n.<br />

„Damit war je<strong>de</strong>r Pfarrer sein eigener Bischof, ja sein eigener Papst“, wie <strong>de</strong>r österreichische<br />

Buchautor Franz Ganzrigler schreibt. (1)<br />

Die Bezeichnung „Mexikanische Fakultät“ leitet sich von Son<strong>de</strong>rregelungen ab, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r<br />

Heilige Stuhl als Reaktion auf <strong>de</strong>n Kirchenkampf in Mexico (1917-1932) erlassen hat. Sie<br />

betreffen a) Vollmachten, <strong>die</strong> sonst <strong>de</strong>m Vatikan zustehen an Diözesanbischöfe, b) wo keine<br />

legitime kirchliche Obrigkeit verfügbar, also Bischöfe, haben Pfarrer jene Vollmachten, <strong>die</strong><br />

sonst nur <strong>de</strong>n Ordinarien zu kommen.<br />

Eine ähnliche Notsituation, wie sie Papst Pius XII. in <strong>de</strong>n Zwanziger Jahren erkannte, sah sein<br />

Nachfolger Pius XII. nach <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Machtübernahme im Februar 1948 in <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei gegeben. Die päpstliche Erlaubnis bestand darin, dass in akuten Fällen,<br />

wenn <strong>die</strong> Verbindung <strong>de</strong>r Ortskirche mit Rom abreißt, <strong>die</strong> Weihe eines Bischofs in Erwägung<br />

gezogen wer<strong>de</strong>n kann, ohne ausdrückliche Zustimmung durch <strong>de</strong>n Heiligen Stuhl. Dabei<br />

wur<strong>de</strong> angestrebt, möglichst je zwei Bischöfe für einen Jurisdiktionsbereich zu bestimmen,<br />

einen, <strong>de</strong>r öffentlich bekannt wird, als Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ablenkung, und einen, <strong>de</strong>r aktiv im<br />

Untergrund wirkt. Auf <strong>die</strong>se Weise sollte <strong>de</strong>r Fortbestand <strong>de</strong>r bischöflichen Hierarchie<br />

sichergestellt wer<strong>de</strong>n – <strong>die</strong> Grundordnung <strong>de</strong>r Kirche nach römisch-katholischem<br />

Verständnis. Auch Frauen erhielten angeblich <strong>die</strong> Bischofsweihe. Bekannt gewor<strong>de</strong>n sind<br />

je<strong>de</strong>nfalls Fälle, in <strong>de</strong>nen Frauen zu Priesterinnen ordiniert wur<strong>de</strong>n. Von ihnen erhoffte man,<br />

dass sie <strong>die</strong> Seelsorge in Bereichen übernehmen wür<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> Männer verschlossen blieben,<br />

zum Beispiel in Frauen-Haftanstalten. Die für <strong>die</strong> Untergrundkirche gelten<strong>de</strong>n Fakultäten<br />

mussten auswendig gelernt, auf Latein selbstverständlich und mündlich an <strong>die</strong><br />

Vertrauensleute im Untergrund weitergegeben wer<strong>de</strong>n.<br />

Männer, auch verheiratete, und in Einzelfällen auch Frauen, wur<strong>de</strong>n unter strenger<br />

Geheimhaltung geweiht. Es ging nicht darum, <strong>de</strong>n Zölibat o<strong>de</strong>r <strong>die</strong> katholische Tradition <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>n Männern vorbehaltenen Ordination zu unterlaufen. Die Grün<strong>de</strong> für <strong>die</strong> Ausnahme-<br />

Situation lagen auf <strong>de</strong>r Hand. Frauen etwa wür<strong>de</strong>n auch dort ver<strong>de</strong>ckt in <strong>de</strong>r Seelsorge tätig<br />

sein können, wo Männern <strong>de</strong>r Zugang von vorn herein verwehrt wäre, zum Beispiel in<br />

Frauenhaftanstalten.<br />

Selbst <strong>die</strong> interne war Kommunikation unterlag strengsten Vorsichtsmaßnahmen. Weihekan<br />

didaten wur<strong>de</strong>n in letzter Minute verständig. Die Konsekratoren – jene Personen also, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

Weihe vollziehen – wur<strong>de</strong>n nicht namentlich vorgestellt. Die Anschrift <strong>de</strong>s Weihe-Ortes<br />

wur<strong>de</strong> unter einem Co<strong>de</strong>-Wort weitergegeben. (s.a. Folge 22). Nach Rom gingen nur bei<br />

absoluter Gewährle<strong>ist</strong>ung <strong>de</strong>r Verschwiegenheit bestimmte Informationen. Im Übrigen galt<br />

auch für <strong>de</strong>n Kontakt zur Kurie das Gesetz einer Kirche <strong>de</strong>s Schweigens. Man wusste: „<strong>de</strong>r<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXIII.<br />

Vatikan war durchlöchert, wie ein holländischer Gouda.“ Die Stasi war allgegenwärtig mit<br />

Augen und Ohren – wenn <strong>die</strong> Gerüchte stimmen, mit „Wanzen“ bis in das Staatssekretariat.<br />

Ähnlich vorsichtig waren auch <strong>die</strong> Or<strong>de</strong>nsgemeinschaften, <strong>die</strong> nach <strong>de</strong>m „Klostersturm“ von<br />

1950 ihre eigenen Erfahrungen mit <strong>de</strong>r Staatssicherheit und <strong>de</strong>ren Spitzeln gemacht hatten.<br />

Die Dominikaner zum Beispiel gaben ihre Papiere nicht direkt an <strong>die</strong> Or<strong>de</strong>nsleitung in Rom,<br />

son<strong>de</strong>rn über ihre polnische und west<strong>de</strong>utsche Provinz weiter. Diese bei<strong>de</strong>n Konferenzen<br />

hatten das Patronat über <strong>die</strong> tschechischen Dominikaner übernommen. Nie<strong>de</strong>rlassungen in<br />

an<strong>de</strong>ren Ostblocklän<strong>de</strong>rn, etwa in Ungarn, kamen nicht in Frage. Anfragen aus Rom, <strong>die</strong><br />

Situation in Prag betreffend, wur<strong>de</strong>n lakonisch beantwortet: „Die tschechische Seite <strong>ist</strong><br />

geregelt“. Die Dominikaner wollten nicht das Schicksal teilen, das zum Beispiel <strong>die</strong><br />

Franziskaner traf. Dort war es <strong>de</strong>m Staatssicherheits<strong>die</strong>nst StB gelungen, sich in <strong>die</strong><br />

Or<strong>de</strong>nshäuser einzuschleusen und alles Material zu kassieren.<br />

Priester-Weihen hinter verschlossenen Türen<br />

Es wür<strong>de</strong> zu weit führen, Namen, Daten und Orte geheimer Priester- und Bischofsweihen<br />

aufzul<strong>ist</strong>en. Anzumerken sei, dass solche Weihen hinter verschlossenen Türen nicht nur<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Tschechoslowakei vorgenommen wur<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch jenseits <strong>de</strong>r Grenzen,<br />

aus nahe liegen<strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n zum Beispiel in einem <strong>de</strong>r „sozial<strong>ist</strong>ischen Bru<strong>de</strong>rlän<strong>de</strong>r“. Eine<br />

Reise nach Krakau, Erfurt o<strong>de</strong>r Görlitz <strong>de</strong>s Weihekandidaten konnte weniger auffällig<br />

arrangiert wer<strong>de</strong>n, als in <strong>de</strong>n „kapital<strong>ist</strong>ischen Westen.“<br />

Es wird berichtet, dass <strong>de</strong>r Erzbischof von Krakau, Kardinal Karol Wojtyla (zur Erinnerung:<br />

ab 1978 Papst Johannes Paul II.) solche geheime Weihen erteilte. Aus <strong>de</strong>r damaligen DDR<br />

wer<strong>de</strong>n genannt: Gerhard Schaffran (Weihbischof in Görlitz, dann Bischof von Dres<strong>de</strong>n,<br />

resp. Dres<strong>de</strong>n-Meißen) sowie <strong>de</strong>r Bischof Hugo Auf<strong>de</strong>rbeck (Apostolischer Admin<strong>ist</strong>rator <strong>de</strong>s<br />

Bischöflichen Amtes Erfurt-<strong>Mein</strong>ingen) und Weihbischof Joachim Meisner (Erfurt, später<br />

Bischof von Berlin mit Sitz in Ostberlin). Aus <strong>de</strong>n diversen „Weihelinien“ <strong>de</strong>s tschechoslo<br />

wakischen Klerus in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen Staates fällt <strong>die</strong> so genannte „Brünner<br />

Kirche“ <strong>de</strong>s Geheimbischofs Felix Davi<strong>de</strong>k heraus. (Einzelheiten zu <strong>de</strong>n Bischofsweihen dazu<br />

in <strong>de</strong>r nächsten Folge).<br />

Von <strong>de</strong>n Priestern aus <strong>die</strong>ser Gruppierung seien stellvertretend erwähnt:<br />

1. P. Josef Kolácek, S.J., Direktor <strong>de</strong>r tschechischen Sektion von Radio Vatikan. Der<br />

Jesuitenpater stammt aus Brünn. Er wird „im Kreis von Felix Davi<strong>de</strong>k“ geweiht. Er lässt<br />

1983, dann schon im römischen Exil, <strong>die</strong> Weihe wie<strong>de</strong>rholen, „sub conditione“. Konsekrator<br />

<strong>ist</strong> sein Landsmann Jaroslav Jaroslav Skarvada, <strong>de</strong>r im vatikanischen Staatssekretariat<br />

arbeitet, seit seinem Weggang aus Prag, ebenfalls in Rom verbleibend. Papst Johannes Paul II.<br />

hatte <strong>die</strong>se „Zweitweihe“ gebilligt.<br />

2. Ing. Premyls Coufal, wie Kolacek gebürtig aus Mähren. Geheim geweihter Priester,<br />

„vielleicht auch Bischof“. Im Zivilberuf galt er als „fähiger Architekt“. Selbst <strong>die</strong><br />

Kommun<strong>ist</strong>en hätten ihn „hoch geschätzt“. So sei von <strong>de</strong>r Regierung beauftragt wor<strong>de</strong>n, in<br />

Mittelasien Projekte zu betreuen. Ebenso habe er mehrere Län<strong>de</strong>r Afrikas, sowie Tunesien<br />

und Algerien besucht. Im Herbst 1980 sei er nach Rom gere<strong>ist</strong> und habe verschie<strong>de</strong>ne<br />

Einrichtungen besucht, u.a. Radio Vatikan, das tschechische Kolleg „Nepomucenum“, das<br />

Orientalische Institut, <strong>die</strong> Päpstliche Universität „Gregoriana“. Am 24. 2. 1981 sei er tot in<br />

seiner Wohnung in Bratislava aufgefun<strong>de</strong>n. Weiter heisst es in <strong>de</strong>r Information, er müsse sich<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXIII.<br />

gegenüber seinen Angreifern verzweifelt gewehrt haben, <strong>de</strong>nn nach Zeugenaussagen, seien an<br />

seinem Körper „schreckliche Spuren“ eines Kampfes ent<strong>de</strong>ckt wor<strong>de</strong>n.<br />

Von <strong>de</strong>n Untersuchungsbehör<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sfall als Selbstmord bezeichnet. Der<br />

Vorgang erinnert an <strong>de</strong>n Fall Pavel Svanda, einem Neffen von Tomás Spidlik SJ, (<strong>de</strong>m<br />

damaligen Ge<strong>ist</strong>lichen Leiter <strong>de</strong>s „Nepomucenums“. Er gilt als einer <strong>de</strong>r namhaftesten<br />

Theologen und Kenner <strong>de</strong>r ostkirchlichen Traditionen, seit <strong>de</strong>n Fünfzigern im römischen Exil,<br />

2003 von Johannes Paul II. zum Kardinal ernannt). Auch Svanda war Architekt. Auch er<br />

hatte Rom besucht, ein knappes Jahr später nach Coufal. Er sei nach seiner Rückkehr einem<br />

„grausigen Verhör“ unterzogen wor<strong>de</strong>n. Seinen Leichnam habe man im Abgrund <strong>de</strong>r<br />

Macocha Schlucht aufgefun<strong>de</strong>n.<br />

Die Prager „Ecclesia Silentii“<br />

Prag bil<strong>de</strong>te, neben Brno/Brünn und Bratislava/Pressburg aus verständlichen Grün<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n<br />

Schwerpunkt <strong>de</strong>r chr<strong>ist</strong>lichen Intellektuellen. Auf <strong>die</strong> Hauptstädte Böhmens, Mährens und <strong>de</strong>r<br />

Slowakei flossen <strong>die</strong> ge<strong>ist</strong>ige Strömungen zu und sammelten sich in jenen Gefäßen, aus <strong>de</strong>nen<br />

<strong>die</strong> kirchliche Untergrundbewegung einer Ecclesia Silentii formte. Ein Dossier, das aus Prag<br />

zur Verfügung gestellt wur<strong>de</strong>, zeigt in einer Art Selbstdarstellung <strong>die</strong> Grundgedanken und <strong>die</strong><br />

stufenweise Entwicklung <strong>de</strong>s Netzwerkes auf. Der Auszug aus <strong>die</strong>sem Papier <strong>ist</strong> aus <strong>de</strong>m<br />

Englischen übertragen und, zum besseren Verständnis, leicht verän<strong>de</strong>rt und ergänzt. Dies gilt<br />

auch für <strong>die</strong> Zwischenüberschriften:<br />

Mitentschei<strong>de</strong>nd in <strong>de</strong>n letzten vierzig, fünfzig Jahren war für <strong>die</strong> Geburt und Entwicklung<br />

<strong>de</strong>r Gemeinschaft <strong>die</strong> Zeit <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Diktatur. Die Prager Gemeinschaft begann<br />

spontan. Die Besetzung <strong>de</strong>r Tschechoslowakei durch sowjetische Truppen im Jahre 1968 war<br />

wie<strong>de</strong>rum mit einer neuer Unterdrückung <strong>de</strong>r Kirche verbun<strong>de</strong>n, <strong>die</strong>, verglichen mit <strong>de</strong>r ersten<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Kampagne in <strong>de</strong>n 50ern, mehr ausgeklügelter und nach außen hin weniger<br />

rü<strong>de</strong> verlief. Die me<strong>ist</strong>en kirchlichen Aktivitäten stan<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>r Kontrolle kommun<strong>ist</strong>ischer<br />

Behör<strong>de</strong>n. Einzig und allein erlaubt waren liturgische Feiern in <strong>de</strong>n Kirchen.<br />

Anlass, <strong>die</strong> Prager Kommunität zu schaffen, war <strong>die</strong> Entscheidung <strong>de</strong>r staatlichen Behör<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>m Salesianer-Priester Václav Komárek <strong>die</strong> Genehmigung zu „entziehen“, seelsorglich tätig<br />

sein zu dürfen. Daraufhin begann Komárek, junge Menschen im Alter von 15 bis 25 Jahren<br />

um sich zu versammeln. Unter soziologischen Gesichtspunkten betrachtet, han<strong>de</strong>lte es sich<br />

um eine sehr unterschiedliche Gruppierung, bestehend sowohl aus Arbeitern wie aus<br />

Universitäts-Stu<strong>de</strong>nten. Ihr einziges gemeinsames Ziel bestand darin, unter <strong>die</strong>sen neuen<br />

Bedingungen <strong>die</strong> chr<strong>ist</strong>liche Botschaft authentisch zu leben. Ziemlich spontan entwickelte<br />

sich <strong>die</strong> Gemeinschaft Schritt für Schritt. Es ex<strong>ist</strong>ierte bis dahin kein ähnliches Projekt, von<br />

<strong>de</strong>m man hätte lernen können, wie eine solche informelle Einheit <strong>de</strong>r Kirche errichtet wer<strong>de</strong>n<br />

kann.<br />

Hauptsächlich ging es <strong>de</strong>r Gemeinschaft um folgen<strong>de</strong> Aspekte: Gebet, Liturgie, Koinonia –<br />

Gemeinschaft, Zusammensein, Miteinan<strong>de</strong>r teilen Ausbildung von (praktisch leiteten alle und<br />

je<strong>de</strong>s Mitglied <strong>de</strong>r Gruppe wie<strong>de</strong>rum eine an<strong>de</strong>re Gruppe.)<br />

Freie, spontane Gebete waren gera<strong>de</strong>zu eine neue Erfahrung – verglichen beson<strong>de</strong>rs mit <strong>de</strong>r<br />

klassischen Atmosphäre <strong>de</strong>s traditionellen Stils in tschechischen Barockkirchen. Auch <strong>die</strong><br />

Liturgie in kleinen Gruppen, <strong>die</strong> sich in Privatwohnungen trafen war irgendwie völlig neu.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXIII.<br />

Lesungen, Auslegungen <strong>de</strong>r Schrift und Predigten konnten von je<strong>de</strong>m Mitglied <strong>de</strong>r Gemeinschaft<br />

übernommen wer<strong>de</strong>n. Euchar<strong>ist</strong>ie wur<strong>de</strong> je<strong>de</strong> Woche sonntags gefeiert. Je<strong>de</strong> Woche<br />

traf man sich zum gemeinsamen Gebet. Die kennzeichnete <strong>die</strong> erste Perio<strong>de</strong>, <strong>die</strong> von Enthusiasmus<br />

geprägt war. Doch Schritt für Schritt wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich, wie notwendig theologische<br />

Stu<strong>die</strong>n für alle sein wür<strong>de</strong>n. Guter Wille und Bege<strong>ist</strong>erung reichten nicht aus, um bis zur<br />

Tiefe <strong>de</strong>s Lebens, das im Evangelium wurzelt, vorzudringen. So fan<strong>de</strong>n wir Professoren, <strong>die</strong><br />

aus <strong>de</strong>n Gefängnissen zurückkehrten, <strong>de</strong>nen aber nicht erlaubt war, offen und öffentlich<br />

zu wirken.<br />

Eintritt in <strong>die</strong> Kirche <strong>de</strong>s Schweigens<br />

Die Kirche <strong>de</strong>s Schweigens bil<strong>de</strong>te wahrscheinlich <strong>die</strong> verborgenste Ebene <strong>de</strong>r Kirche, <strong>die</strong><br />

unter <strong>de</strong>m kommun<strong>ist</strong>ischen Regime in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei überlebte. Es wür<strong>de</strong> zu weit<br />

führen, ihre Geschichte und Entwicklung zu erklären. Jene, <strong>die</strong> hinreichend informiert sind,<br />

wissen, wie Verheiratete zu Priestern und Bischöfen geweiht wur<strong>de</strong>n, und dass in einigen<br />

Fällen auch Frauen ordiniert wur<strong>de</strong>n. Da waren <strong>die</strong> Bischöfe Jan Blaha und Felix Maria<br />

Davi<strong>de</strong>k, <strong>die</strong> solche Maßnahmen wagten, (natürlich auf <strong>de</strong>r Grundlage beson<strong>de</strong>rer von Rom<br />

verliehener Fakultäten). Die Vorteile, verheirateten Männern solche Dienste anzuvertrauen,<br />

waren offenkundig. Es ging nicht nur um Fragen <strong>de</strong>r Sicherheit, son<strong>de</strong>rn auch um<br />

Erfahrungen <strong>die</strong>ser Männer im praktischen Leben, sowohl <strong>die</strong> Familie als auch <strong>die</strong><br />

Gesellschaft betreffend.<br />

Im Mai 1977 wur<strong>de</strong> <strong>die</strong> Prager Gemeinschaft Teil <strong>de</strong>r Ecclesia Silentii, in <strong>de</strong>m sie <strong>die</strong> Weihe<br />

eines Mitglieds zum Diakon durch <strong>de</strong>n ebenfalls geheim geweihten Bischof Fridolin Zahradnik<br />

akzeptierte. Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n beauftragt, <strong>die</strong> Lesungen vorzunehmen und<br />

als Akolythen (Min<strong>ist</strong>ranten) zu <strong>die</strong>nen. Die Gemeinschaft insgesamt erhielt gleichzeitig vom<br />

Bischof eine direkte Verantwortlichkeit und sie entwickelte sich schrittweise zu einer<br />

„Koinonia“ <strong>de</strong>s Gebets, <strong>de</strong>r Liturgie und Stätte für theologische Stu<strong>die</strong>n.<br />

Gemeinschaft als koinonia<br />

Teilhabe <strong>de</strong>s Einzelnen am gemeinsamen Leben <strong>de</strong>r Gemeinschaft <strong>ist</strong> einer <strong>de</strong>r wichtigsten<br />

Eigenschaften <strong>de</strong>r Kommunität. Die Menschen, <strong>die</strong> sich hier versammeln, mussten lernen,<br />

Verantwortung für bestimmte Rollen in <strong>de</strong>r Kirche zu übernehmen. Sich bewusst zu sein, was<br />

Kirche <strong>ist</strong>, führte zu einem <strong>de</strong>r kritischen Punkte in <strong>de</strong>r täglichen Erfahrung. Eine kleine<br />

Gruppe ermöglichte ihren Mitglie<strong>de</strong>rn, dass „<strong>de</strong>r Eine <strong>de</strong>s An<strong>de</strong>ren Last“ trage (Gal. 6,2).<br />

Man teilte <strong>die</strong> Sorgen und Nöte miteinan<strong>de</strong>r, <strong>die</strong> ge<strong>ist</strong>lichen wie <strong>die</strong> praktischen o<strong>de</strong>r<br />

materiellen Bedürfnisse. Teilen und Teilhabe hat zu tun mit Gebet, Versöhnung und Liturgie.<br />

Im Anschluss an <strong>die</strong> „Samtene Revolution“ und nach <strong>de</strong>m <strong>die</strong> ex<strong>ist</strong>entielle Gefährdung<br />

beseitigt <strong>ist</strong>, könnte sich <strong>die</strong> Gemeinschaft noch mehr öffnen. Deshalb begann sie sich für <strong>die</strong><br />

Menschen am Rand <strong>de</strong>r Gesellschaft zu öffnen, für jene, <strong>die</strong> ungeachtet ihrer Suche nach<br />

Antworten auf ihre ex<strong>ist</strong>entiellen Fragen, keine Aufnahme in <strong>de</strong>r traditionellen Kirche fin<strong>de</strong>n<br />

konnten…<br />

1) Franz Gansrigler: Je<strong>de</strong>r war ein Papst. Geheimkirchen in Osteuropa. Salzburg 1991<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXIV.<br />

XXIV. „Lästern<strong>de</strong> Fein<strong>de</strong> aller Religion“<br />

„…mit <strong>de</strong>n Jahren war das Leben fast unerträglich gewor<strong>de</strong>n. Ihr Land hatte eine harte Regierung<br />

bekommen, welche autoritär herrschte und <strong>de</strong>n Menschen nicht achtete“. Dieser Satz<br />

aus <strong>de</strong>m Roman von Bernard von Brentano, in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r Hitler-Diktatur geschrieben (1),<br />

könnte auch als Bildunterschrift unter <strong>de</strong>n Panzern auf <strong>de</strong>m Wenzelsplatz im August 1968<br />

stehen.<br />

Wie sollte <strong>de</strong>r einfache Mensch überleben in einem System <strong>de</strong>r „lästern<strong>de</strong>n Fein<strong>de</strong> aller<br />

Religion und Übertrumpfer <strong>de</strong>s Chr<strong>ist</strong>entums“; wenn „keine Süßigkeit“ mehr im Land und<br />

in <strong>de</strong>n Herzen <strong>de</strong>r Menschen war; wo <strong>die</strong> Angst, „<strong>die</strong> sie in <strong>de</strong>n Laboratorien <strong>de</strong>s Staates<br />

züchten“, alles kahl gefressen hat, wie Mehltau. Eine <strong>de</strong>r Schlüsselfiguren in Brentanos<br />

Roman <strong>ist</strong> einer, <strong>de</strong>r seinen Arbeitskollegen bespitzelt, im Auftrag <strong>de</strong>r Gesinnungspolizei.<br />

Um selbst Karriere zu machen. Nicht alle, <strong>die</strong> so etwas taten, waren dazu gezwungen. Wie<br />

sich <strong>die</strong> Zeiten gleichen – unter <strong>de</strong>m Hakenkreuz und <strong>de</strong>m Roten<br />

Stern.<br />

Wie also sollte man sich als „einfacher Bürger“ einrichten, unter <strong>de</strong>r Gewaltherrschaft? Wer<br />

wollte schon in einem <strong>de</strong>r über das Land verteilten Käfige für Wi<strong>de</strong>rgänger lan<strong>de</strong>n? Einigen<br />

gelang es, das Land zu verlassen. Manche konnten es sich le<strong>ist</strong>en. Die Mehrheit nicht.<br />

Wie<strong>de</strong>rum an<strong>de</strong>re nahmen <strong>de</strong>n Kampf auf – geräuschlos, mit <strong>de</strong>r Waffe <strong>de</strong>s Ge<strong>ist</strong>es, im<br />

Untergrund. Sie wollten nicht zulassen, dass <strong>de</strong>r Glaube an Gott erlischt.<br />

Man han<strong>de</strong>lte nicht nach Belieben. Gewisse Strukturen <strong>de</strong>r traditionellen Ordnung sollten<br />

erhalten bleiben. Gottes<strong>die</strong>nste und <strong>die</strong> Weitergabe <strong>de</strong>s Glaubens lag in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n von<br />

allen: Laien und Kleriker. Oberhirten übernahmen <strong>die</strong> „Aufsicht“. Als Folge <strong>de</strong>r ersten,<br />

stalin<strong>ist</strong>ischen Verfolgung wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Grundstein für <strong>die</strong> so genannte „Kirche <strong>de</strong>s<br />

Schweigens“, <strong>de</strong>r Ecclesia Silentii gelegt. Das waren diskret vernetzte Gruppen und<br />

Einrichtungen für theologische Stu<strong>die</strong>n und Glaubensvermittlung. Die erste Generation <strong>de</strong>r<br />

Laien und Priester entstammte <strong>de</strong>r vorkommun<strong>ist</strong>ischen Zeit. Der Klerus <strong>die</strong>ser Provenienz<br />

sicherte <strong>die</strong> Erblinie, durch Weihe hinter verschlossenen Türen.<br />

Geheime Kirche gegen <strong>die</strong> Staatsmacht<br />

Im Mittelpunkt <strong>de</strong>s folgen<strong>de</strong>n Berichts stehen Fridolin Zahradnik, Milan Beran, Stanislav<br />

Kratky: Ein Bischof und zwei Priester. Beson<strong>de</strong>res Augenmerk gilt einem Mann, <strong>de</strong>r –<br />

lei<strong>de</strong>nschaftlich, gera<strong>de</strong>zu militant und am En<strong>de</strong> angeblich psychisch verstört, für seine<br />

Kirche kämpfte und dabei unscharfe Konturen hinterlassen hat: <strong>de</strong>r Geheimbischof Felix<br />

Davi<strong>de</strong>k. Der Beitrag wur<strong>de</strong> im Frühjahr 1995 als Fernsehdokumentation veröffentlicht (2),<br />

spiegelt also <strong>die</strong> Situation in <strong>de</strong>n ersten Jahren nach <strong>de</strong>r erfolgreichen „samtenen Revolution“.<br />

Reichenau an <strong>de</strong>r Knieschna (Rychnov nad Kneznou) in Ostböhmen, am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Adler-<br />

Gebirges. Frühjahr 1995. Zum Abschied überreicht Fridolin Zahradnik ein aus einer<br />

Holzplatte gesägtes und poliertes Kreuz. Es <strong>ist</strong> auf <strong>de</strong>r Rückseite mit einem Loch versehen,<br />

damit man es an einem Nagel aufhängen kann. Auf unseren Wunsch hin schreibt er auf <strong>die</strong><br />

Rückseite auch seinen Vornamen, davor ein Kreuzzeichen, wie es bei einer bischöflichen<br />

Signatur gebräuchlich <strong>ist</strong>. Das Geschenk erinnert an einen Mann, Jahrgang 1935, <strong>de</strong>r in<br />

schwerer Zeit <strong>de</strong>m Unge<strong>ist</strong> wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>n hat und <strong>de</strong>m in <strong>de</strong>r Zeit nach <strong>de</strong>m Kalten Krieg wohl<br />

nicht <strong>die</strong> Mil<strong>de</strong> wi<strong>de</strong>rfahren <strong>ist</strong>, wie er sie von seiner Kirche hätte erwarten mögen.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXIV.<br />

Da er sein Bischofsamt nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong> und <strong>de</strong>n damit wie<strong>de</strong>r hergestellten<br />

„or<strong>de</strong>ntlichen“ kirchlichen Verhältnissen, nicht mehr ausüben darf, grün<strong>de</strong>t er ein Sozialwerk<br />

für Not lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Mitmenschen ins Leben und nennt es „Emmaus“, nach <strong>de</strong>r von Abbé Pierre,<br />

<strong>de</strong>m französischen „Apostel <strong>de</strong>r Armen“ gegrün<strong>de</strong>ten internationalen Bewegung. Zahradnik<br />

<strong>ist</strong> verheiratet, Familienvater.<br />

Milan Beran treffen wir in einer seiner früheren Gemein<strong>de</strong>n, er gehört zur<br />

Nachkriegsgeneration, 1950 geboren. Er besuchte <strong>die</strong> Fachhochschule für Bauwesen, als er<br />

zum ersten Mal mit einem Geheimbischof intensiver über Glauben und Kirche sprach.<br />

Zunächst stu<strong>die</strong>rte Milan zu En<strong>de</strong>, heiratete. Kam aber dann doch wie<strong>de</strong>r auf <strong>die</strong> Frage <strong>de</strong>s<br />

Priestertums zurück. Inzwischen hatte er geheiratet. 1978 empfing er <strong>die</strong> geheime Weihe. „Ich<br />

habe getan, was richtig war“, sagt er rückblickend. „<strong>Mein</strong> <strong>Gewissen</strong> <strong>ist</strong> <strong>die</strong> <strong>Wahrheit</strong>.“<br />

Als Familienvater mit damals drei Söhnen, dazu einen or<strong>de</strong>ntlichen Beruf – das konnte <strong>die</strong><br />

Tarnkappe gegenüber <strong>de</strong>r Staatsmacht sein. Gefasst haben sie ihn dann doch: Vier Jahre Haft,<br />

ohne Gerichtsverfahren, körperlich und seelisch misshan<strong>de</strong>lt. Insgeheim hat er einige<br />

Gemein<strong>de</strong>n betreut. Alle waren mit ihrem Seelsorger einverstan<strong>de</strong>n. Dann kam <strong>die</strong> „Wen<strong>de</strong>“.<br />

Für ihn alles an<strong>de</strong>re als eine „samtene Revolution“. Ein „Jemand“ <strong>de</strong>nunzierte ihn beim<br />

Nuntius. Dieser rief <strong>de</strong>n zuständigen Bischof zur Ordnung. Der wie<strong>de</strong>rum <strong>de</strong>n<br />

verantwortlichen Regionalvikar. Und <strong>die</strong>ser? Nun, <strong>de</strong>r gab <strong>de</strong>n Bescheid zwar weiter an<br />

seinen Freund Milan. Aber er lässt ihn gehen, wenn <strong>die</strong> Menschen nach ihrem ehemaligen<br />

Geheimpriester rufen. Der <strong>de</strong>rzeitige Nachfolger in einer seiner früheren Pfarreien, ein<br />

polnischer Ge<strong>ist</strong>licher, stehe ihm innerlich beson<strong>de</strong>rs nahe, sagt Milan. Unter <strong>de</strong>n jüngeren<br />

Priestern hätten <strong>die</strong> jüngeren ohnehin keine Probleme mit ihren verheirateten Kollegen.<br />

Stanislav Kratky, Jahrgang 1922, wur<strong>de</strong> 1946 zum Priester geweiht. Und am 27. August 1968<br />

– sechs Tage nach <strong>de</strong>r Invasion – zum „Episcopus Ecclesiae silentii“, Bischof <strong>de</strong>r<br />

Schweigen<strong>de</strong>n Kirche. Für seinen Wappenschild hat er als Zeichen <strong>de</strong>n Stacheldraht und <strong>die</strong><br />

griechischen Worte fos (gr. Licht) und zoe (gr. Leben) gewählt, in <strong>de</strong>nen sich das Licht <strong>de</strong>s<br />

ewigen Lebens, <strong>de</strong>r Glaube an Jesus Chr<strong>ist</strong>us ausdrückt. Geweiht hat auch ihn Felix Maria<br />

Davi<strong>de</strong>k, <strong>de</strong>r 1967 von Jan Blaha konsekriert wur<strong>de</strong>, <strong>die</strong>ser ebenfalls 1967 von <strong>de</strong>m<br />

slowakischen Jesuitenpater Petr Dubovsky.<br />

In Kratkys Vita fehlt auch nicht <strong>de</strong>r für Priester seinerzeit übliche Beruf. In seinem Fall:<br />

Kranführer. 1978 erlaubten ihm <strong>die</strong> Behör<strong>de</strong>n, nach Hra<strong>de</strong>k zu gehen, einem bis Kriegsen<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>utschen Dorf, unweit von Znaim (Znojmo) in Südmähren. Dann wur<strong>de</strong> <strong>die</strong> Region zum<br />

Sperrgebiet nahe <strong>de</strong>r österreichischen Grenze erklärt. „Bestens geeignet, einen missliebigen<br />

Menschen dort lebendig zu begraben“, wie Kratky sagt. Vorausgegangen waren insgesamt<br />

zehn Jahre Gefängnis, wegen „Unterwühlung <strong>de</strong>s Staates“. So nannte <strong>die</strong> kommun<strong>ist</strong>ische<br />

Justiz das Sprechen von Gott in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit.<br />

Felix Davi<strong>de</strong>k weiht Männer und auch Frauen<br />

In <strong>de</strong>r „unsichtbaren Kirche“ begann man schon nach Kriegsen<strong>de</strong> im Blick auf das, was<br />

kommen wür<strong>de</strong>, Priester und Bischöfe geheim zu weihen. In <strong>de</strong>n Sechziger Jahren bil<strong>de</strong>te sich<br />

unter slowakischen Jesuiten eine Weihetradition unter geheimen Bedingungen. Von <strong>die</strong>ser<br />

führt eine Linie zu einer Gruppe, <strong>die</strong> ein eigenartiger Mythos umgibt. Es <strong>ist</strong> <strong>de</strong>r Kreis um<br />

Bischof Felix Maria Davi<strong>de</strong>k, <strong>die</strong> so genannte „Brünner Geheimkirche“. Davi<strong>de</strong>k, nach 14<br />

Jahren Haft, am 29. Oktober 1967 im Untergrund zum Bischof geweiht, starb 1988. Seine<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXIV.<br />

letzte Ruhestätte fand er nahe <strong>de</strong>m Grab seiner Eltern auf <strong>de</strong>m Friedhof <strong>de</strong>s mährischen<br />

Marienwallfahrtsortes Turany (Turas) unweit seiner Heimatgemein<strong>de</strong> Chrlice (Chirlitz), wo<br />

Davi<strong>de</strong>k <strong>de</strong>n Brünner Priester Kratky, wie <strong>die</strong>ser selbst bekun<strong>de</strong>t, geweiht hat.<br />

August 1968: Sowjetische Panzer rollen durch Prag. Warschauer Pakt Truppen besetzen das<br />

Land. Davi<strong>de</strong>k sieht <strong>die</strong> Kirche in größter Gefahr. Er setzt gera<strong>de</strong>zu eine Weihewelle in Gang,<br />

wie ihm manche heute vorwerfen. Der ehemalige Geheimbischof Stanislav Kratky, <strong>de</strong>r von<br />

Felix Davi<strong>de</strong>k geweiht wur<strong>de</strong>, beurteilt <strong>die</strong> damalige Lage nicht weniger dramatisch. „Die<br />

sowjetische Armee hatte alles besetzt. Also, dass war eine Situation, dass man nicht wusste,<br />

was morgen sein wür<strong>de</strong>. Ob wir nicht <strong>de</strong>portiert wer<strong>de</strong>n. Darum hat er das gemacht.“<br />

Davi<strong>de</strong>k berief sich auf eine päpstliche Generalvollmacht, wonach Bischöfe<br />

eigenverantwortlich han<strong>de</strong>ln, also auch Weihen vornehmen können, wenn <strong>die</strong> erfor<strong>de</strong>rliche<br />

Zustimmung Roms nicht unmittelbar eingeholt wer<strong>de</strong>n kann. Also eine Art<br />

„Vorabgenehmigung“. Diese Autorität konnte gegebenenfalls einem einfachen Priester<br />

übertragen sein.<br />

Verheiratete Männer wur<strong>de</strong>n, römisch-katholisch, also <strong>de</strong>m lateinischen Ritus zugehörig und<br />

in erster Linie für Chr<strong>ist</strong>en <strong>die</strong>ser Kirche zuständig, auf <strong>de</strong>n Ritus <strong>de</strong>r griechisch-katholischen<br />

Kirche geweiht. Die Kirche <strong>ist</strong> mit Rom verbun<strong>de</strong>n und vor allem in <strong>de</strong>r Slowakei verbreitet.<br />

Sie akzeptiert verheiratete Priester, <strong>de</strong>r orthodoxen Tradition ähnlich. Verheiratete Bischöfe<br />

lehnt sie ab, auch hier <strong>de</strong>r Orthodoxie gleich. Aber da sahen sich Davi<strong>de</strong>k und sein Kreis<br />

ebenfalls privilegiert. Kratky: „Das war doch schon aus <strong>de</strong>r Vergangenheit bekannt.“ Er nennt<br />

Basilius <strong>de</strong>s Grossen, einen <strong>de</strong>r kappadokischen Kirchenväter aus einer Familie von<br />

Bischöfen und Heiligen. Ja, <strong>de</strong>r Vater <strong>de</strong>s Basilius sei ebenfalls Bischof gewesen, ein<br />

verheirateter Mann nach damaligen Verhältnissen. Allerdings – das war vor 1500 Jahren und<br />

<strong>die</strong> Kirche noch im Wer<strong>de</strong>n, gera<strong>de</strong> erst von Konstantin mit <strong>de</strong>m „Mailän<strong>de</strong>r Edikt“ aus <strong>de</strong>r<br />

Katakombe befreit. Insofern auch von gewisser Symbolkraft: Der Großvater <strong>de</strong>s<br />

Kirchenlehrers war noch <strong>de</strong>m Wüten <strong>de</strong>s römischen Kaiser Diokletian zum Opfer gefallen.<br />

Im Sekretariat <strong>de</strong>r tschechischen Bischofskonferenz in Prag liegen 1995 nur geschätzte<br />

Zahlen über <strong>de</strong>n Davi<strong>de</strong>k-Kreis vor: „Hun<strong>de</strong>rtachtzig bis zweihun<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r geheim geweihte<br />

Priester. Aus <strong>die</strong>sem Kreis etwa 60 verheiratete Männer, <strong>die</strong> das Priestertum geheim ausgeübt<br />

haben, in <strong>de</strong>n engen Familienkreisen <strong>de</strong>s Untergrunds“, sagt Pater (Ingenieur) Miroslav Fiala,<br />

<strong>de</strong>r Sprecher <strong>de</strong>r tschechischen Bischofskonferenz: „Man kann von etwa 20 Bischöfen<br />

sprechen, darunter sicher acht verheiratete Männer. Vorher waren <strong>die</strong>se von Bischof Davi<strong>de</strong>k<br />

als Priester im Untergrund geweiht wor<strong>de</strong>n, und dann als Bischöfe in <strong>die</strong>ser Gruppe<br />

fungierend.“ Auch Jaroslav Kratky, 1946 zum Priester geweiht, gehört dazu.<br />

Hat Davi<strong>de</strong>k auch Frauen geweiht? Von zweien <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Re<strong>de</strong>. Das sei nicht bestätigt, sagt<br />

Fiala, weil <strong>die</strong> Frauen, wie Ludmila „Lida“ Javorova, „<strong>die</strong> so genannte Generalvikarin <strong>de</strong>s<br />

Herrn Bischofs Davi<strong>de</strong>k“ in <strong>die</strong>ser Sache immer schweige. Fiala: „Die Beobachtungen sind<br />

unklar. Man kann es nicht bestätigen.“ (In späteren Interviews hat Ludmila Javorava<br />

„enthüllt“: Ja, sie sei Priesterin.)<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXIV.<br />

Innerkirchliche Kontroverse<br />

Der Ausnahmezustand sei been<strong>de</strong>t und wer seinen Status nicht legalisiere gefähr<strong>de</strong> <strong>die</strong> Einheit<br />

<strong>de</strong>r Kirche und <strong>die</strong> Gültigkeit <strong>de</strong>r Sakramente, wur<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Geheimen schon 1992 gewarnt.<br />

Viele <strong>de</strong>r Betroffenen, <strong>de</strong>ren Weihe zweifelhaft erschien, ließen sich „sicherheitshalber“ ein<br />

zweites Mal <strong>die</strong> Hand auflegen „sub conditione“ (nach <strong>de</strong>m Kirchenrecht) An<strong>de</strong>re<br />

empfin<strong>de</strong>n <strong>die</strong>s als ehrenrührig. (Diese Kontroverse wird in <strong>de</strong>n einzelnen Folgen <strong>die</strong>ses<br />

Themenkomplexes wie<strong>de</strong>rholt angesprochen). In einem Fall steht man sich offensichtlich<br />

unversöhnlich gegenüber: Es betrifft <strong>die</strong> Bischofsweihe von Fridolin Zahradnik. Der Sprecher<br />

<strong>de</strong>r Bischofskonferenz: „Er war verheiratet. Auch wenn er als Priester von Felix Davi<strong>de</strong>k<br />

geweiht wor<strong>de</strong>n <strong>ist</strong>. Das war unerlaubt und ungültig. Da Davi<strong>de</strong>k dazu keine Bewilligung,<br />

keine Fakultät von Rom bekommen hat.“<br />

Was also macht man mit einem verheirateten Bischof wie Fridolin Zahradnik? Sein Mitbru<strong>de</strong>r<br />

Kratky sagt: „Das <strong>ist</strong> doch keine Sün<strong>de</strong>, wenn ich Bischof bin. Ja, wenn er ein Verbrecher<br />

wäre, das wäre dann eine Frage. Aber wenn ich Bischof bin, das <strong>ist</strong> doch keine Sün<strong>de</strong>! Und er<br />

hat er hat sich nicht selbst geweiht, das <strong>ist</strong> doch <strong>die</strong> Sache <strong>de</strong>rjenigen, <strong>die</strong> ihn konsekriert<br />

haben.“<br />

Auch Stanislav Kratky, 1946 zum Priester geweiht, gehört zu <strong>de</strong>n geheimen Bischöfen <strong>de</strong>r<br />

„Brünner Kirche“ <strong>de</strong>s Felix Maria Davi<strong>de</strong>k. An <strong>de</strong>r Gültigkeit seiner Priesterweihe hat Rom<br />

keinen Zweifel, nimmt aber an seiner Bischofsweihe Anstoß. Die kirchlichen Vorgesetzten<br />

haben ihm verboten, <strong>die</strong> bischöflichen Insignien zu tragen: (Fischerring, Mitra, Hirtenstab,<br />

Pectorale (Brustkreuz) Piläulus (Scheitelkäppchen) und Zingulum (Gürtel). Folglich darf er<br />

keine oberhirtlichen Funktionen ausüben. Gemein<strong>de</strong>priester zu sein, das <strong>ist</strong> ihm weiterhin<br />

erlaubt. Er hat, so sagt er, ein entsprechen<strong>de</strong>s Papier unterschrieben, ohne sich darüber im<br />

Klaren gewesen zu sein, dass er damit seinen Rücktritt selbst bestimmt hat. Er sei nach Rom<br />

gere<strong>ist</strong>, um <strong>die</strong>ses, sein Missverständnis zu klären. Erfolglos. Er wur<strong>de</strong> abgeschoben. Aus.<br />

En<strong>de</strong>. So Kratkys bitteres Fazit.<br />

An <strong>de</strong>r Schlosskirche von Reichenau verabre<strong>de</strong>n wir uns mit Milan Beran und seiner Familie.<br />

Sein Lebensalltag heute: Mit einem Partner betreibt er eine Baufirma für Fassa<strong>de</strong>n- und<br />

Dacharbeiten, spezialisiert auf Bergsteiger-Technik. Vier Jahre hat er unter <strong>de</strong>n Kommun<strong>ist</strong>en<br />

in Untersuchungshaft verbracht. Bis heute weiß er nicht warum. Allein seiner Frau verdanke<br />

er, <strong>die</strong>se Zeit überstan<strong>de</strong>n zu haben. Maria hat, als ihr Mann seinerzeit davon sprach, sich zum<br />

Priester weihen zu lassen, ihre schriftliche Zustimmung gegeben. Das sei Voraussetzung<br />

gewesen. Und heute? Es sei doch wohl besser, wenn ein Priester verheiratet <strong>ist</strong>, sagt sie. Es<br />

habe sich gezeigt, dass er mehr Vertrauen fin<strong>de</strong>t, beson<strong>de</strong>rs bei <strong>de</strong>nen, <strong>de</strong>ren Lebenserfahrung<br />

er teilt.<br />

Zurück zu Fridolin Zahradnik. In Kasernen, <strong>die</strong> nach 1968 von russischen Truppen belegt<br />

waren, hat er zentrale Sammellager seiner Emmaus-Aktion für Spen<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m In- und<br />

Ausland eingerichtet. Den Roma gilt seine beson<strong>de</strong>re Sorge. Sie sind auch in Tschechien von<br />

Rass<strong>ist</strong>en bedroht. Eine an<strong>de</strong>re Gruppe <strong>ist</strong> hinzugekommen: Tschechen aus Wolhynien in <strong>de</strong>r<br />

Ukraine. Sie wur<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>r Tschernobyl-Katastrophe evakuiert.<br />

Erst kam <strong>die</strong> Gestapo, dann <strong>die</strong> Stasi<br />

Fridolins Biographie <strong>ist</strong> <strong>die</strong> eines Mannes, <strong>de</strong>ssen Familie unter zwei Diktaturen gelitten hat.<br />

Erst kam <strong>die</strong> Gestapo und hat <strong>de</strong>n Onkel ins KZ <strong>de</strong>portiert. Dann traten <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>en<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXIV.<br />

auf. Fridolin wollte Theologie und Medizin stu<strong>die</strong>ren und in <strong>die</strong> Mission gehen. Der Mutter<br />

zuliebe blieb er daheim. Er heiratete und wur<strong>de</strong> Familienvater. Er arbeitete als Dach<strong>de</strong>cker<br />

und Klempner für <strong>de</strong>n Lebensunterhalt. Im Untergrund lernte er bei <strong>de</strong>n besten Theologen <strong>de</strong>s<br />

Lan<strong>de</strong>s, weil auch <strong>die</strong>se von <strong>de</strong>n Universitäten verbannt waren. 1969 wur<strong>de</strong> er zum Priester,<br />

am 24. Oktober 1970 von Davi<strong>de</strong>k zum Bischof geweiht, nach <strong>de</strong>m griechisch-katholischen<br />

Ritus. In <strong>de</strong>r Folgezeit hat er selbst Priester geweiht. (1977 wur<strong>de</strong> er von <strong>de</strong>r Staatssicherheit<br />

„enttarnt“, wie 2006 aus zuverlässiger Prager Quelle zu erfahren war.) 15 Jahre Gefängnis hat<br />

man ihm, <strong>de</strong>m „Klassenfeind“, gegeben, sechs Jahre musste er davon absitzen, 1988 wur<strong>de</strong><br />

das Urteil aufgehoben: sozial<strong>ist</strong>ische Strafjustiz.<br />

In <strong>de</strong>r Zelle haben sie heimlich Gottes<strong>die</strong>nst gefeiert. Irgendjemand hat Rosinen besorgt und<br />

in <strong>de</strong>n Gefangenentrakt geschmuggelt. Die Rosinen wur<strong>de</strong>n in Wasser aufgelöst. Ein an<strong>de</strong>rer<br />

hat etwas Brot mitgebracht, versteckt in <strong>de</strong>r Jackentasche. Das waren „Brot und Wein“ für <strong>die</strong><br />

Euchar<strong>ist</strong>iefeier in <strong>de</strong>r Katakombe. Hinter Gittern hat er getauft und Beichte gehört. Nicht so,<br />

wie in <strong>de</strong>r Pfarrkirche. Das hier, war nicht selten eine Lebensbeichte. Sechzig <strong>ist</strong> er, als wir<br />

ihn in seinem Büro und auf <strong>de</strong>m Lagerplatz treffen. „Gefängnisjahre zählen schwerer“, sagt<br />

er.<br />

Nichts sollte <strong>die</strong> Kirche <strong>de</strong>s Schweigens verraten. Die me<strong>ist</strong>en Geheimpriester hatten nur<br />

kleine Gemein<strong>de</strong>n um sich versammelt, öffentliche Mission wäre lebensgefährlich gewor<strong>de</strong>n.<br />

Es ging zunächst um innere Festigung, Aufbau und Erhalt chr<strong>ist</strong>licher Zellen. Aber<br />

Geheimpriester sind sind keine Geheim<strong>die</strong>nst-Experten. Selbst <strong>die</strong> geheimsten Aktivitäten<br />

blieben <strong>de</strong>r Staatssicherheit nicht verborgen. Fast alle geheim geweihten Priester und Bischöfe<br />

wur<strong>de</strong>n enttarnt und vor Gericht gestellt. Bestenfalls konnten sie später ein Pfarramt<br />

übernehmen, sofern sie zumin<strong>de</strong>st <strong>de</strong>n Eindruck erweckten, sich gegenüber <strong>de</strong>m Regime nicht<br />

feindlich zu verhalten.<br />

Dass sie versuchten, ungeachtet selbst frühester Warnzeichen, eine Gegenwelt zur<br />

sozial<strong>ist</strong>ischen Realität zu schaffen, zählt vielleicht als stärkster Beweis <strong>de</strong>s Heroismus <strong>de</strong>r<br />

Chr<strong>ist</strong>en <strong>de</strong>r Kirche <strong>de</strong>s Schweigens. Sie waren gewarnt: Schon 1950, im Prozess gegen Abt<br />

Anastáz Opasek und mitangeklagte Ge<strong>ist</strong>liche (3) sagt <strong>de</strong>r Anklagevertreter: „Nach <strong>de</strong>m alle<br />

verbrecherischen Aktionen, inspiriert vom Vatikan und durchgeführt von <strong>de</strong>r hohen kirchlichen<br />

Hierarchie und <strong>de</strong>n Beschuldigten als direkten Tätern fehlgeschlagen waren“, habe er Vatikan<br />

„zu neuen Formen <strong>de</strong>s tückischen Kampfes gegen das volks<strong>de</strong>mokratische System in <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei“ gegriffen. „Nach <strong>de</strong>r Entlarvung <strong>de</strong>r hervorragendsten Agenten <strong>de</strong>s<br />

vatikanischen Spionage<strong>die</strong>nstes aus <strong>de</strong>n Reihen <strong>de</strong>r hohen kirchlichen Hierarchie“ sei <strong>de</strong>r<br />

Vatikan zu <strong>de</strong>m „System <strong>de</strong>r so genannten Fakultäten, d.h. Vollmachten zur Schaffung <strong>de</strong>s<br />

neuen Destruktions- und Spionagenetzes übergegangen.“<br />

Die Vollmachten / Fakultäten „welche <strong>die</strong> Bezeichnung – unter <strong>de</strong>m strengen päpstlichen<br />

Geheimnis – trugen – „sei ein Auftrag zur absoluten Geheimhaltung <strong>die</strong>ser verbrecherischen<br />

Aktion <strong>de</strong>s Vatikans“ gewesen. Diese Vollmachten seien En<strong>de</strong> 1949 erteilt wor<strong>de</strong>n. Die<br />

bischöfliche Gewalt in <strong>de</strong>n Diözesen sei durch <strong>die</strong>se Fakultäten auf eine neue geheime<br />

Hierarchie übertragen wor<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> aus <strong>de</strong>n Reihen <strong>de</strong>r verlässlichsten Diener <strong>de</strong>s Vatikans<br />

ausgewählt wor<strong>de</strong>n seien. Der Staatsanwalt nennt auch <strong>die</strong> Namen <strong>de</strong>r geheim geweihten<br />

Oberhirten: <strong>de</strong>n Erzbischof von Olmütz, Josef Karel Matocha (von 1948 bis 1961), <strong>de</strong>ssen<br />

Weihbischof Frantisek Tomásek (von 1949 bis 1965, anschließend Apostolischer<br />

Admin<strong>ist</strong>rator und von 1977 bis 1991 Erzbischof von Prag (1976 Kardinal, 1977 publiziert)<br />

sowie <strong>de</strong>n Prager Weihbischof Kajetán Matousek (1949 bis 1992).<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXIV.<br />

1) Bernard von Brentano: Prozeß ohne Richter. Roman. suhrkamp taschenbuch 42 / Suhrkamp Verlag, Frankfurt<br />

am Main 1978. Die Originalausgabe erschien 1937 im Querido-Verlag 1937, <strong>de</strong>r zahlreiche Autoren <strong>de</strong>utscher<br />

Exilliteratur betreute.<br />

2) Werner Kaltefleiter: „Priester in geheimer Mission“. 3sat – Sendung vom 31. Mai 1995 / vgl. auch: Franz<br />

Gamsriegler: „Je<strong>de</strong>r war ein Papst. Geheimkirchen in Osteuropa“. Salzburg 1991<br />

3) Der Prozess gegen <strong>die</strong> Vatikan-Agenten in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei, Herausgegeben vom tschechoslowakischen<br />

Justizmin<strong>ist</strong>erium, Prag 1951<br />

Jan Opasek, Or<strong>de</strong>nsname: Anastaz (1913-199). Benediktinermönch, Erzabt <strong>de</strong>s Klosters Prag-Brevnov<br />

(Breuneu), 1939 Prior <strong>de</strong>s Klosters, <strong>de</strong>m ältesten böhmischen Männerkloster, 1947 Abt, 1949 verhaftet, 1950<br />

Hochverratsprozess vor <strong>de</strong>m (kommun<strong>ist</strong>ischen) Staatsgerichtshof, lebenslange Freiheitsstrafe, 1960 amnestiert,<br />

1969 nach Deutschland emigriert, grün<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>r Benediktiner-Abtei Rohr (Nie<strong>de</strong>rbayern) eine tschechische<br />

Kommunität, <strong>die</strong> sich zur Begegnungsstätte <strong>de</strong>s tschechischen Exils entwickelt. Anfang 1990 Rückkehr nach<br />

Prag. Abt Opasek setzte sich für <strong>die</strong> tschechisch-<strong>de</strong>utsche Aussöhnung ein, Während eines Besuchs in Rohr im<br />

August 1999 im Alter von 86 Jahren gestorben.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXV.<br />

XXV. Überleben wie <strong>die</strong> ersten Chr<strong>ist</strong>en<br />

Bei <strong>de</strong>r Bekämpfung <strong>de</strong>r sichtbaren Strukturen <strong>de</strong>r katholischen Kirche, <strong>de</strong>r Ausschaltung<br />

regimekritischer Kleriker, <strong>de</strong>r Unterwan<strong>de</strong>rung von Pfarrgemein<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Bedrohung<br />

aktiver Laien, hatten <strong>de</strong>r Staat und seine „Sicherheitsorgane“ wenig Mühe. Dazu genügte <strong>de</strong>r<br />

Unterdrückungsapparat <strong>de</strong>s Systems. Eine größere Herausfor<strong>de</strong>rung stellten <strong>die</strong> kirchlichen<br />

Strukturen im „Untergrund“ dar – <strong>die</strong> geheimen Seminare, <strong>die</strong> vertraulichen Gesprächsrun<strong>de</strong>n<br />

und Gebetstreffen und <strong>die</strong> Personen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Ecclesia silentii leiteten, Priester und Bischöfe,<br />

<strong>die</strong> aus <strong>de</strong>r vorkommun<strong>ist</strong>isschen Zeit stammten und solche, <strong>die</strong> nach <strong>de</strong>m Machtwechsel<br />

geheim geweiht wor<strong>de</strong>n waren.<br />

Der klerikale Nachwuchs rekrutierte sich zu einem Teil aus <strong>de</strong>m Kreis <strong>de</strong>r<br />

Theologiestu<strong>de</strong>nten, <strong>die</strong> konsequent ihr Ziel verfolgten, Priester zu wer<strong>de</strong>n. Dazu zählten<br />

Angehörige <strong>de</strong>r Männeror<strong>de</strong>n. Vor allem aber kam es darauf an, verheiratete Männer für das<br />

Priesteramt zu gewinnen, in <strong>de</strong>r Annahme, dass auf einen Familienvater, <strong>de</strong>r tagsüber einer<br />

„normalen“ Arbeit nachging, möglichst in einem Tätigkeitsbereich, <strong>de</strong>r mit Handarbeit o<strong>de</strong>r<br />

Technik zu tun hatte und somit <strong>de</strong>m Berufsbild <strong>de</strong>s sozial<strong>ist</strong>ischen Gesellschaftssystems<br />

entsprach, auf einen solchen Mann also nicht von vornherein <strong>de</strong>r Verdacht <strong>de</strong>r Geheimpolizei<br />

fallen wür<strong>de</strong>.<br />

Wer sich im Nachhinein mit <strong>de</strong>n komplizierten Zusammenhängen und Hintergrün<strong>de</strong>n <strong>die</strong>ser<br />

geheimen Weihen beschäftigt sieht sich einem schwer durchschaubaren Beziehungsgeflecht<br />

<strong>de</strong>r han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Personen gegenüber. Insbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong> eher innerkirchlich geführte<br />

Diskussion, welche Weihen zwar gültig, weil sakramental gespen<strong>de</strong>t, aber (kirchenrechtlich)<br />

nicht erlaubt waren, wer sich auf beson<strong>de</strong>re päpstliche Befugnisse in Anlehnung an <strong>die</strong> so<br />

genannten „Mexikanischen Fakultäten“ berufen konnte, wem sie erteilt wur<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r wer sie<br />

nur in Anspruch nahm - <strong>die</strong>s bleibt im Einzelfall, und weil <strong>de</strong>r eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Betroffene<br />

nicht mehr unter <strong>de</strong>n Leben<strong>de</strong>n weilt, eine ungeklärte Frage. (1) Manche Dinge seien mit <strong>de</strong>n<br />

Hauptakteuren ins Grab gesunken und wür<strong>de</strong>n sich wohl nie vollständig enträtseln lassen,<br />

stellt Franz Gansrigler in seinem Buch abschließend fest.(2)<br />

Die Angelegenheit wur<strong>de</strong> insofern „von oben“ bereinigt, nach<strong>de</strong>m einige Geheimbischöfe und<br />

Geheimpriester nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong> auf ihren Status verzichtet, an<strong>de</strong>re sich<br />

„sicherheitshalber“ ein zweites Mal haben weihen lassen: sub conditione, nach <strong>de</strong>n<br />

Bedingungen <strong>de</strong>r Amtskirche. In welchem Zustand sich <strong>die</strong> katholische Hierarchie (das<br />

Kollegium <strong>de</strong>r Bischöfe) in <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Tschechoslowakei befand, kann hier nur in<br />

wenigen Zügen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, dargestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

Bis Dezember 89 von 13 Diözesen waren nur fünf or<strong>de</strong>ntlich mit Bischöfen besetzt. Als<br />

prominentester Kirchenführer war Josef Beran, Erzbischof von Prag nach langem<br />

Gefängnisaufenthalt 1964 ins römische Exil gezwungen wor<strong>de</strong>n. Sein Nachfolger Frantisek<br />

Tomásek, zuvor geheim geweihter Weihbischof in Olmütz, übernahm <strong>de</strong>n Prager Stuhl als<br />

Apostolischer Admin<strong>ist</strong>rator. In Leitmeritz resi<strong>die</strong>rte, unterbrochen durch lange zwischenzeitliche<br />

Haft, Stepán Trochta. (Bei<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n zu Kardinälen ernannt: Trochta 1969 „in<br />

pectore“ und 1973 publiziert; Tomásek 1976 „in pectore“ und 1977 publiziert.) Zu erwähnen<br />

wären <strong>die</strong> Apostolischen Admin<strong>ist</strong>ratoren von Olomouc (Olmütz) und Trnava (Turnau), Josef<br />

Vrana und Jan Sokol, <strong>de</strong>r Mitglied <strong>de</strong>r Priestervereinigung Pacem-in-terris angehörend, <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>re nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong> in Verdacht geraten, <strong>de</strong>m Geheim<strong>die</strong>nst Informationen<br />

gegeben zu haben. Letzter <strong>die</strong>ser öffentlich wirken<strong>de</strong>n Bischöfe war, bis zu seiner<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXV.<br />

Internierung, <strong>de</strong>r 1950 geweihte Bischof von Hra<strong>de</strong>c Kralové, Karel Otcenasek. Ab 1951<br />

wur<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Weihen nicht mehr veröffentlicht.<br />

Dem katholischen Prinzip <strong>de</strong>r Apostolischen Sukzession folgend, <strong>de</strong>r Sicherstellung <strong>de</strong>r<br />

Nachfolge <strong>de</strong>r Apostel im Amt <strong>de</strong>s Papstes und <strong>de</strong>m Kollegium <strong>de</strong>r Bischöfe, „in jenen<br />

Funktionen <strong>de</strong>r Apostel, <strong>die</strong> zum Fortbestand <strong>de</strong>r Kirche notwendig sind (3), bil<strong>de</strong>ten sich<br />

verschie<strong>de</strong>ne „Weihelinien“, dabei davon ausgehend, dass <strong>de</strong>r erste Konsekrator in <strong>die</strong>ser<br />

Reihe eine gültige Weihe nachweisen konnte. Den römisch-katholischen Weihelinien gleich<br />

ex<strong>ist</strong>ierte eine solche auch in <strong>de</strong>r griechisch-katholischen (mit Rom unierten) Kirche. Sie geht<br />

führt auf Bischof Pobozny zurück. 1948 hatte <strong>de</strong>r inhaftierte Bischofs Pavel Gojdic <strong>de</strong>r<br />

geheimen Weihe von Jan Kocis zugestimmt. Dieser wur<strong>de</strong> dann 1950 konsekriert, konnte<br />

aber erst ab 1968 sein Amt offiziell ausüben. Ab 1990 war Kocis Generalvikar am Sitz <strong>de</strong>s<br />

Exarchats in Prag.<br />

Die „Jesuiten-Gruppe“, ab 1951:<br />

Robert Pobozny, Bischof von Roznava<br />

Pavel Hnilica , (im römischen Exil)Titularbischof von Rusado<br />

Ján Chryzostom Korec, ab 1990 Bischof von Nitra, 1991 Kardinal<br />

Dominik Kalata, (Exil), ab 1991 Weihbischof in Banská Bystrica (Neusohl)<br />

Petr Dubovsky, (u.a. Bauarbeiter in Prag), 1991-1997 Weihbischof in Banská Bystrica<br />

Nun fließen <strong>die</strong> Quellen in verschie<strong>de</strong>ne Richtungen, wobei sie bei Pobozny und vor allem bei<br />

Hnilica, <strong>de</strong>r in Rom maßgeblichen Einfluss auf <strong>die</strong> tschechische und slowakische Emigration<br />

ausübt, ihren Ausgang nehmen.<br />

Jan Blaha, (u.a.Exil in Augsburg) auf seine Bitte hin von Dubovsky geweiht. Blaha weiht<br />

1967, angeblich unter unklaren Umstän<strong>de</strong>n, Felix Davi<strong>de</strong>k. Dieser gehörte nicht <strong>de</strong>m<br />

Jesuitenor<strong>de</strong>n an. Dubovsky selbst habe Davi<strong>de</strong>ks Weihe abgelehnt und <strong>die</strong>s Blaha anheimgestellt.<br />

Nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r anschließen<strong>de</strong>n innerkirchlichen Diskussion um<br />

<strong>die</strong> „Rechtmäßigkeit“ einiger Geheimweihen, verzichtet Blaha auf eine förmliche römische<br />

Anerkennung.<br />

Die Davi<strong>de</strong>k-Linie (ab 1967):<br />

Um Felix Maria Davi<strong>de</strong>k (geb. 1921- gest.1988, nach einem Unfall) ranken sich so viele<br />

Mythen wie Gerüchte und Unterstellungen. Wie kein an<strong>de</strong>rer Ge<strong>ist</strong>licher wird er zum Opfer<br />

eines Systems, das <strong>die</strong> Kirche zu vernichten trachtet, einer kirchlichen Obrigkeit, <strong>de</strong>ren<br />

Rechtsnormen ihm Grenzen setzen und schließlich fällt er über seine eigenen Vorstellungen<br />

von Kirche, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Zeit vorauseilen. Er habe sich als „Ordinarius <strong>de</strong>r Untergrundkirche“<br />

verstan<strong>de</strong>n, je<strong>de</strong>nfalls <strong>de</strong>r Gruppierung, <strong>die</strong> als „Brünner Kirche“ in <strong>die</strong> Literatur aufgenom-<br />

men wur<strong>de</strong>. Davi<strong>de</strong>k war 1945 zum Priester geweiht wor<strong>de</strong>n, er hatte als Seelsorger gewirkt<br />

und gleichzeitig Medizin, Psychologie und verwandte Fächer stu<strong>die</strong>rt, auf <strong>die</strong><br />

kommun<strong>ist</strong>ische Machtübernahme reagierte er mit <strong>de</strong>r Gründung eines Studiums im Unter-<br />

grund, also illegal. 1952 wur<strong>de</strong> er verhaftet und zu 14 Jahre Gefängnis verurteilt, 1964 ent-<br />

lassen. Zwei Jahre wur<strong>de</strong>n ihm durch Amnestie „geschenkt“.<br />

Davi<strong>de</strong>k war davon überzeugt, <strong>de</strong>n Bestand <strong>de</strong>r Kirche über <strong>die</strong> Zeit <strong>de</strong>r athe<strong>ist</strong>ischen<br />

Staatsdoktrin erhalten zu können, vor allem durch eine funktionieren<strong>de</strong> Hierarchie. Mit <strong>die</strong>ser<br />

Ansicht folgte er durchaus seinem polnischen Nachbarn, <strong>de</strong>m Krakauer Erzbischof Karol<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXV.<br />

Wojtyla, <strong>de</strong>r selbst eine Reihe von Bischöfen geheim weihte. Davi<strong>de</strong>ks eigene Weihe im Jahr<br />

1967 schien – aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r Betroffenen - gesichert, da sich sein Konsekrator Jan Blaha<br />

auf päpstliche Privilegien berief. Ob Davi<strong>de</strong>k mit seiner Bischofsweihe selbst <strong>die</strong>ses spezielle<br />

Mandat <strong>de</strong>s Vatikans erworben hatte, seinerseits Bischöfe zu weihen, wird unterschiedlich<br />

beurteilt. Josef Kolacek, Direktor <strong>de</strong>r tschechischen Sektion von Radio Vatikan, <strong>de</strong>m wir<br />

einige Informationen verdanken und <strong>de</strong>r selbst von Davi<strong>de</strong>k zum Priester geweiht wur<strong>de</strong>,<br />

bestreitet <strong>die</strong>s.<br />

Felix Davi<strong>de</strong>k weiht „massenweise“ Priester und Bischöfe<br />

Zweifellos machte Davi<strong>de</strong>k, sei es aus Sorge um Ent<strong>de</strong>ckung durch <strong>die</strong> Geheimpolizei, sei es<br />

aus einer gewissen Eigenmächtigkeit, viel Geheimnis um seine Weiheaktivitäten. Je<strong>de</strong>nfalls<br />

verpflichtete er alle seine Priester und Bischöfe „unter Eid zum Schweigen“, wie Franz<br />

Gansrigler schreibt. Als <strong>die</strong> Sowjetmacht im August 1968 in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei zuschlägt,<br />

scheint für Davi<strong>de</strong>k sozusagen <strong>die</strong> Endzeit angebrochen zu sein. Noch in <strong>de</strong>r Nacht <strong>de</strong>s<br />

Einmarsches <strong>de</strong>r Warschauer-Pakt-Truppen soll er „viele“ Geheimpriester zu Bischöfen<br />

geweiht haben. Bei <strong>de</strong>n Priesterweihen hatte er, mit Blick auf <strong>die</strong> unierte Kirche, einen<br />

eleganten Ausweg gefun<strong>de</strong>n, um bei verheirateten Kandidaten <strong>die</strong> Zölibatsfrage zu umgehen<br />

wählte er <strong>die</strong> Form <strong>de</strong>s Bi-Ritualismus, Angehörige <strong>de</strong>r „lateinischen“ also römisch-<br />

katholischen Kirche auf <strong>die</strong> griechisch-katholischen Kirche, <strong>die</strong> verheiratete Männer zum<br />

Priesteramt zulässt, zu weihen. Mit seinen „Massenweihen“ entfernte sich Davi<strong>de</strong>k von <strong>de</strong>r in<br />

an<strong>de</strong>ren Gruppen <strong>de</strong>r Geheimkirche geübten Praxis. „Man weihte nur, wenn man einen<br />

Priester benötigte, nicht auf Vorrat“, berichtet ein Gewährsmann in Prag.<br />

Formalismen, römische Dogmen, waren für Davi<strong>de</strong>k nun zweitrangig. Auf einer geheimen<br />

Syno<strong>de</strong>, <strong>die</strong> er 1970 einberief, wur<strong>de</strong> über <strong>die</strong> Frage <strong>de</strong>r Ordination von Frauen, sie zu<br />

Diakoninnen o<strong>de</strong>r Priesterinnen zu weihen, gesprochen und wohl auch entschie<strong>de</strong>n. Für <strong>de</strong>n<br />

Vatikan zwar nicht unmittelbar ein casus belli, mit Rücksicht auf <strong>die</strong> Situation. Dass man<br />

Bescheid wusste, kann vorausgesetzt wer<strong>de</strong>n. Nähere Informationen zu <strong>de</strong>n „Priesterinnen“<br />

<strong>de</strong>s Felix Davi<strong>de</strong>k gehen in erster Linie auf Ludmila Javorová zurück. Davi<strong>de</strong>k soll <strong>die</strong> Dame,<br />

<strong>die</strong> er aus Kindheitstagen kannte, zur „Generalvikarin“ seiner „Brünner Kirche“. Bei<strong>de</strong>s also<br />

außerhalb kirchenrechtlicher Normen, sozusagen nicht ex<strong>ist</strong>ent.<br />

Im Oktober 1970 war Fridolin Zahradnik von Davi<strong>de</strong>k geheim zum Bischof geweiht wor<strong>de</strong>n;<br />

schon <strong>die</strong>s wegen <strong>de</strong>r angeblich fehlen<strong>de</strong>n Vollmacht ein Streitfall, <strong>de</strong>n Zahradnik durch<br />

Verzicht erledigte, im Mai 1982 nahm Davi<strong>de</strong>k, ent gegen <strong>de</strong>r vatikanischen Suspen<strong>die</strong>rung,<br />

zwei weitere Bischofsweihen vor, <strong>die</strong> folglich vom Vatikan nicht anerkannt wor<strong>de</strong>n sind. Für<br />

Außenstehen<strong>de</strong> bleibt <strong>die</strong> Angelegenheit undurchsichtig; je<strong>de</strong>r Fall liegt offenbar an<strong>de</strong>rs. Als<br />

Ersten hatte Davi<strong>de</strong>k 1967 <strong>de</strong>n 1950 geheim geweihten griechisch-katholischen Priester Jan<br />

Kocis zum Bischof geweiht. Diese Weihe wur<strong>de</strong> 2004 vom Vatikan bestätigt; Kocis war<br />

zunächst Weihbischof; 1990 wur<strong>de</strong> er zum Generalvikar <strong>de</strong>s Exarchats <strong>de</strong>r Tschechisch-<br />

<strong>Kath</strong>lolischen Kirche, wie sich <strong>die</strong> Unierten im Nachbarland nennen, bestellt. An<strong>de</strong>re liessen<br />

ihre Weihe pro forma wie<strong>de</strong>rholen, wie<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re zogen sich ins Privatleben zurück. Heute<br />

heißt es, <strong>de</strong>r Vatikan habe eine „zeitliche Grenze“ gezogen, <strong>die</strong> dort verläuft, wo sich bei<br />

Davi<strong>de</strong>k angeblich psychische Störungen eingestellt haben sollen. Was von seinen Anhängern<br />

energisch bestritten wird.<br />

Seite 133


Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXV.<br />

Glaubenspräfekt kritisiert Davi<strong>de</strong>k-Weihen<br />

Wusste Davi<strong>de</strong>k, was er tat. Durfte er sich eines Schutzpatrons sicher sein, nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Pole<br />

Karol Wojtyla auf <strong>de</strong>n Stuhl Petri gewählt wor<strong>de</strong>n war? Wohl eher nicht: 1978 soll er vom<br />

Vatikan aufgefor<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n sein seinen Dienst als Bischof einzustellen. In einem<br />

persönlichen Brief schrieb Kardinal Ratzinger, <strong>de</strong>r Präfekt <strong>de</strong>r römischen Glaubenskongregation,<br />

(seit 2005 Papst Benedikt XVI.) einem <strong>de</strong>utschen Theologen, <strong>de</strong>r sich für <strong>die</strong><br />

betroffenen Geheimpriester einsetzte, dass Davi<strong>de</strong>k zwar menschlich be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>, positive<br />

Qualitäten besitze, aber doch „ein gespaltenes Persönlichkeitsbild bietet, das sich in <strong>de</strong>r<br />

Wi<strong>de</strong>rsprüchlichkeit und <strong>de</strong>r unbestreitbaren Problematik seiner Entscheidungen“ spiegele.<br />

Geheimbischof Stanislav Kratky dagegen in einem Interview im Frühjahr 1995: „Es <strong>ist</strong> für<br />

mich ganz klar, dass er normal war.“ (4)<br />

Im Rahmen unserer Filmarbeiten über <strong>die</strong> Geheimkirche in Böhmen, Mähren und <strong>de</strong>r<br />

Slowakei, haben wir auch das Grab von Felix Davi<strong>de</strong>k auf <strong>de</strong>m Friedhof <strong>de</strong>s südmährigen<br />

Wallfahrtsortes Turany (in <strong>de</strong>r Nähe von Brünn) besucht. Der Verstorbene mag manches<br />

Geheimnis mit in <strong>die</strong> Ewigkeit genommen haben. Wer seinem An<strong>de</strong>nken gerecht wer<strong>de</strong>n will<br />

wird ihm wohl bescheinigen müssen: Er wollte seiner Kirche und auch „Rom“ ein treuer<br />

Diener sein – im Ausnahmezustand. Aber <strong>die</strong> Ge<strong>ist</strong>er, <strong>die</strong> er auf <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>s<br />

weltanschaulichen Gegners rief, lassen ihn auch über seinen Tod hinaus nicht los.<br />

Wie aus zuverlässiger Quelle in Prag verlautet, wur<strong>de</strong> Felix Maria Davi<strong>de</strong>k bereits nach<br />

seiner Entlassung aus <strong>de</strong>m Gefängnis bei <strong>de</strong>r Staatssicherheit StB in Brünn geführt, undzwar<br />

von <strong>de</strong>r 2. Abteilung unter <strong>de</strong>r Nummer 358215. Deckname: David Malik. Er soll eine vom<br />

Sicherheits<strong>die</strong>nst kontrollierte konspirative Wohnung – Deckname „Orava“ geführt haben, <strong>die</strong><br />

unter <strong>de</strong>m Namen seiner „Generalvikarin“ Ludmila Javorová reg<strong>ist</strong>riert wor<strong>de</strong>n sei. Schlüsse<br />

über Art und Umfang <strong>de</strong>r Stasi-Kontakte können aus <strong>de</strong>n vorliegen<strong>de</strong>n Informationen nicht<br />

gezogen wer<strong>de</strong>n.<br />

Wie geheim waren nun <strong>de</strong>r Geheim-Klerus <strong>de</strong>r „Kirche <strong>de</strong>s Schweigens“ in unserem<br />

Nachbarland – in Abgrenzung zu <strong>de</strong>r offiziell „genehmigten Kirche“ und <strong>de</strong>r, sagen wir mal,<br />

regimefreundlichen und entsprechend überwachten Priesterbewegung „Pacem in terris“. Den<br />

„Organen <strong>de</strong>r Staatssicherheit“ – <strong>de</strong>m StB und seinem Geheim<strong>die</strong>nst – blieb nichts verborgen.<br />

Als <strong>de</strong>r Vatikan-Diplomat John Bukovsky, amerikanischer Staatsbürger mit slowakischem<br />

Familien-Hintergrund, von Papst Paul VI. zu Davi<strong>de</strong>k nach Mähren geschickt wur<strong>de</strong>, um nach<br />

<strong>de</strong>m Rechten zu sehen, dürften <strong>die</strong> Spitzel <strong>de</strong>s StB zur Stelle gewesen sein, wie <strong>die</strong><br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Auslandsgeheim<strong>die</strong>nste, voran <strong>die</strong> Ungarn, das vatikanische<br />

Staatssekretariat überwachten und Bukovsky auf <strong>de</strong>r L<strong>ist</strong>e hatten. Man wird abwarten, was<br />

<strong>die</strong> Öffnung <strong>de</strong>r Dokumente, falls sie <strong>de</strong>nn erfolgt, in <strong>die</strong>ser Hinsicht noch alles ans<br />

Tageslicht bringt.<br />

Nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong><br />

Nach <strong>de</strong>m erfolgreichen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r „Samtenen Revolution“, <strong>de</strong>n Geburtswehen bei <strong>de</strong>r<br />

Formung eines politisch wie gesellschaftlich neu orientierten Staats- und Gemeinschaftswesens,<br />

das schließlich zur Trennung und Eigenständigkeit <strong>de</strong>r tschechischen und<br />

slowakischen Nationalitäten führte, sind <strong>die</strong> Zeichen auf Aussöhnung nach innen wie nach<br />

außen gerichtet. Der „Rest“ wird <strong>de</strong>n Untersuchungsbehör<strong>de</strong>n überlassen – wer war in <strong>die</strong><br />

Staatssicherheit verstrickt. Der Prozess <strong>de</strong>r „Lustration“ hat bisher nicht alles dunklen Ecken<br />

ausleuchten können, an<strong>de</strong>rerseits ein grelles Licht auf Menschen gerichtet, <strong>die</strong> sich zu<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXV.<br />

Unrecht entblößt sehen. Die Kirche sah und sieht sich mit eigenen Problemen konfrontiert.<br />

Diese betreffen nicht nur <strong>die</strong> Frage <strong>de</strong>r „Spitzel in <strong>de</strong>r Soutane“, son<strong>de</strong>rn insbeson<strong>de</strong>re auch,<br />

wie mit <strong>de</strong>n Strukturen jener Geheim-Kirche umgegangen wird, <strong>die</strong> in Notzeiten gerechtfertigt<br />

waren. Jetzt aber soll wie<strong>de</strong>r „Ordnung“ herrschen. Da passen Geheimbischöfe, <strong>de</strong>ren<br />

Rechtmäßigkeit zweifelhaft erscheinen, nicht ins Konzept. Gewiss es wur<strong>de</strong>n geschmeidige<br />

Lösungen gesucht: zum Priester geweihten Verheirateten wur<strong>de</strong> <strong>die</strong> Übernahme in <strong>die</strong><br />

ostkirchliche Tradition <strong>de</strong>r Union angeboten, gegebenenfalls mit <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>r<br />

Weihe.<br />

Das Erbe <strong>de</strong>r Kirche <strong>de</strong>s Schweigens<br />

Nach <strong>de</strong>r Wahl Josef Ratzingers, <strong>de</strong>s Präfekten <strong>de</strong>r Kongregation für <strong>die</strong> Glaubenslehre, in<br />

das Papstamt, ging ein Brief <strong>de</strong>r Ecclesia Silentii nach Rom – jetzt an Benedikt XVI.<br />

Unterschrieben war <strong>die</strong> Eingabe von drei „Untergrundbischöfen“ als Sprecher <strong>de</strong>r Bewegung.<br />

Der Tenor <strong>de</strong>s Briefes <strong>ist</strong> von Gehorsam und Treue gegenüber Papst und Kirche bestimmt. Sie<br />

unterstreichen ihren Willen, „ad summus“ („aufs Höchste“, bis zum Äussersten) <strong>de</strong>r Kirche in<br />

ihrem Land zu <strong>die</strong>nen. Der Initiative folgen Verhandlungen mit <strong>de</strong>m Apostolischen Nuntius<br />

in Prag, Diego Causero und <strong>de</strong>m Erzbischof von Prag, Kardinal Miloslav Vlk. Dieser führt<br />

individuelle Gespräche mit <strong>de</strong>n geheim geweihten Priestern <strong>de</strong>r früheren Kirche <strong>de</strong>s<br />

Schweigens.<br />

Jene, <strong>die</strong> sich aus Glaubensüberzeugung gegen <strong>die</strong> vatikanischen Weisungen „stur“ stellten,<br />

blieb allerdings nur <strong>de</strong>r Abschied aus einem Amt und einer Berufung, <strong>de</strong>r sie ungeachteter<br />

Gefahren für Leib und Leben in Treue zu Chr<strong>ist</strong>us, <strong>de</strong>m einzigen Herrn und Me<strong>ist</strong>er, wie sie<br />

sagen, gefolgt waren.<br />

Dass Problem mit <strong>de</strong>n Geheim-Priestern und –Bischöfen löse sich von selbst, sozusagen<br />

biologisch, mögen manche insgeheim gedacht haben. Mag sein, sofern es jene betrifft, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n<br />

Weinberg <strong>de</strong>s Herrn unter widrigsten Bedingungen gepflegt haben. Damit er nicht verdorrte<br />

und Jahr um Jahr Früchte trägt. Stanislav Kratky, einer <strong>de</strong>r Senioren <strong>de</strong>r einstigen „Brünner<br />

Geheimkirche“ hat sich da nie beirren lassen. „Dafür sei Gott gelobt, dass ich <strong>die</strong>s überlebt<br />

habe. Ich sollte liqui<strong>die</strong>rt wer<strong>de</strong>n. Aber es kam ganz an<strong>de</strong>rs. Die Kirchen wur<strong>de</strong>n renoviert.<br />

Alle.“<br />

1)Die „Mexikanische Fakultäten“. Aus <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s Kirchenkampfes in <strong>de</strong>r mittelamerikanischen Republik<br />

während <strong>de</strong>r 20er und 30er Jahre. Es <strong>ist</strong> wohl davon auszugehen, dass <strong>die</strong> beson<strong>de</strong>ren Vollmachten nicht<br />

pauschal, son<strong>de</strong>rn in Einzelfällen erteilt wur<strong>de</strong>n, vermutlich nur mündlich und nicht schriftlich, um von<br />

vornherein auszuschließen, dass solche Dokumente in falsche Hän<strong>de</strong> gerieten. Dass <strong>de</strong>r Heilige Stuhl auf<br />

Ausnahmesituationen im Laufe <strong>de</strong>r Geschichte, in Erinnerung an <strong>die</strong> Kirchenverfolgung unter <strong>de</strong>m römischen<br />

Kaiser Diokletian (285-305), vorbereitet war, kommt auch in <strong>de</strong>n Erklärungen von Papst Pius XI. zur Situation<br />

in Mexico zum Ausdruck.<br />

Bereits in seinem Apostolischen Schreiben „Paterna Sane“ vom 2. Februar 1926) „an <strong>die</strong> Bischöfe, <strong>de</strong>n Klerus<br />

und <strong>die</strong> Gläubigen Mexicos zur For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Bürgerrechte und Gemeinpflichten ohne <strong>de</strong>n Eingriff politischer<br />

Parteien“ hatte <strong>de</strong>r Papst ähnlich heftig auf <strong>die</strong> religiösen Spannungen in Mexico reagiert und von einem<br />

„Krieg gegen <strong>die</strong> katholische Religion“ und <strong>de</strong>n Versuchen, eine „schismatische Nationalkirche zu schaffen“,<br />

gesprochen. (Dies alles hätte ein Papst im Blick auch auf <strong>die</strong> Tschechoslowakei in kommun<strong>ist</strong>ischer Hand<br />

schreiben können.)<br />

Unter <strong>de</strong>m Datum <strong>de</strong>s 20. Juni 1929 kam es zu Vereinbarungen zwischen <strong>de</strong>m Heiligen Stuhl und <strong>de</strong>r<br />

mexikanischen Regierung, <strong>die</strong> es Erzbischof Leopoldo Ruiz y Flores von Morelia ermöglichte, <strong>de</strong>m „modus<br />

vivendi“ mit Präsi<strong>de</strong>nt Portes Gil beizutreten. Nuntius Ruiz war nach Abbruch <strong>de</strong>r diplomatischen Beziehungen<br />

als Apostolischer Delegat im Land verblieben. Die Übereinkunft been<strong>de</strong>te <strong>de</strong>n Aufstand <strong>de</strong>r „Cr<strong>ist</strong>eros“ auf<br />

Seite 135


Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXV.<br />

friedliche Weise, im Gegenzug wur<strong>de</strong> katholischer Gottes<strong>die</strong>nst in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit wie<strong>de</strong>r zugelassen. Die<br />

Bedingungen, auf <strong>die</strong> sich bei<strong>de</strong> Seiten einigten, lauteten: 1. Der Heilige Vater wünscht eine friedliche und<br />

weltliche (laikale) Lösung; 2. vollständige Amnestie für Bischöfe, Priester und Gläubige; 3. Rückgabe <strong>de</strong>r<br />

Bischofs- und Pfarrhäuser und <strong>de</strong>r Seminarien; 4. freie Beziehungen zwischen <strong>de</strong>m Heiligen Stuhl und <strong>de</strong>r<br />

Mexikanischen Kirche. (vgl. José Gutiérrez Casillas, H<strong>ist</strong>oria <strong>de</strong> la Iglesia en México, México D.F.: Editorial<br />

Porrúa 1993)<br />

Die Lage beruhigte sich allerdings nicht. Pius XI. reagierte mit seiner Enzyklika „Firmissimam Constantiam“<br />

vom 28. März 1937 „über <strong>die</strong> religiöse Situation in Mexico“. In <strong>die</strong>sem Rundschreiben wählt <strong>de</strong>r Papst <strong>de</strong>n für<br />

ihn charakter<strong>ist</strong>ischen „offenen“, fast schroffen Ton gegenüber <strong>de</strong>n politischen Machthabern. Diese wür<strong>de</strong>n <strong>die</strong><br />

durch ihre Göttlichkeit herausragen<strong>de</strong> Religion Jesu Chr<strong>ist</strong>i ignorieren und verleum<strong>de</strong>n, sich aber selbst<br />

täuschten, da sie nicht in <strong>de</strong>r Lage seien, Reformen zum Guten <strong>de</strong>s Volkes zu erreichen, es sei <strong>de</strong>nn, in <strong>de</strong>m sie<br />

<strong>die</strong> Religion <strong>de</strong>r großen Mehrheit bekämpften.<br />

Pius XI. for<strong>de</strong>rt er Bischöfe und Priester auf, sich auf <strong>die</strong> Seite <strong>de</strong>r „armen Arbeiter“ zu stellen, „um <strong>die</strong> Wür<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Menschen zu schützen“. Zu bestimmten Zeiten sei es notwendig, „ungerechte und wertlose Lebensbedingun<br />

gen“ mutig beim Namen zu nennen und zu verurteilen. Den Arbeitern drohe, „Beute einer Propaganda <strong>de</strong>r<br />

Entchr<strong>ist</strong>lichung“ zu wer<strong>de</strong>n. Als Gegenle<strong>ist</strong>ung für <strong>de</strong>n Abfall von Gott wer<strong>de</strong> ihnen wirtschaftliches<br />

Fortkommen vorgetäuscht. Pius XI. unterstreicht das Festhalten an <strong>de</strong>r hierarchischen Ordnung, wobei <strong>die</strong><br />

Laien eng mit <strong>de</strong>m Klerus zusammenarbeiten.<br />

Beson<strong>de</strong>rs spricht <strong>de</strong>r Papst das Apostolat <strong>de</strong>r Laien an im Rahmen <strong>de</strong>r von ihm ins Leben gerufenen<br />

<strong>Kath</strong>olischen Aktion. (Die Prager Kommun<strong>ist</strong>en haben nach 1948 versucht, unter Missbrauch <strong>die</strong>ses Titels eine<br />

gleichnamige Organisation zu errichten, mit <strong>de</strong>m Ziel einer von Rom getrennten Nationalkirche – ein Projekt,<br />

das nach wenigen Monaten scheiterte.) Kommentatoren w erteten <strong>die</strong> Enzyklika als klare Aussage für ein<br />

„aktives Wi<strong>de</strong>rstandsrecht gegen ein ungeregeltes Gewaltregime“.<br />

Erinnert sei in <strong>die</strong>sem Zusammenhang an <strong>die</strong> Situation während <strong>de</strong>r 20er Jahre in <strong>de</strong>r Sowjetunion. Nach <strong>de</strong>n<br />

gescheiterten Verhandlungen mit <strong>de</strong>n Bolschew<strong>ist</strong>en (Eugenio Pacelli hatte als Nuntius in Berlin mit <strong>de</strong>m<br />

Volkskommissar für Außenbeziehungen, Grigori Tschitscherin das entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Gespräch geführt, versuchte<br />

<strong>de</strong>r Heilige Stuhl in einem durchaus riskanten Manöver, insgeheim eine kirchliche Hierarchie zu errichten. Der<br />

französische Jesuitenpater Michel d`Herbigny, auf <strong>de</strong>m Weg nach Moskau, wur<strong>de</strong> von Pacelli, in <strong>de</strong>r Nuntiatur,<br />

in <strong>de</strong>r Berliner Rauchstrasse am 29. Mai 1926 zum Bischof geweiht, , „hinter verschlossenen Türen“ und ohne<br />

Mitkonsekrator. Pacelli, von Papst Benedikt XV. zum Bischof geweiht (im Rang eines Titular-Erzbischofs von<br />

Sar<strong>de</strong>s), garantierte also <strong>die</strong> „Apostolische Sukzession“, Voraussetzung für d`Herbigny, selbst in Russland<br />

(geheime) Bischofsweihen vorzunehmen. (Vgl. Werner Kaltefleiter/Hanspeter Oschwald: Spione im Vatikan. S.<br />

109 ff.; München 2006).<br />

2) Franz Gansrigler: Je<strong>de</strong>r war ein Papst. Geheimkirchen in Osteuropa. Otto Müller Verlag, Salzburg. 1991<br />

3)Karl Rahner/Herbert Vorgrimler: Kleines Theologisches Wörterbuch, Her<strong>de</strong>rbücherei Band 108/109.<br />

Freiburg im Breisgau 6. Auflage 1967<br />

4) Werner Kaltefleiter: „Priester in geheimer Mission“ – ZDF/3sat, Sendung v. 31. Mai 1995<br />

Seite 136


Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXVI.<br />

XXVI. „Ein brutaler militärischer Überfall“<br />

Mit <strong>de</strong>m sowjetischen Einmarsch im August 1968 waren <strong>die</strong> alten Machtverhältnisse restituiert<br />

wor<strong>de</strong>n. Pavel Kohout, 1968 noch Mitglied <strong>de</strong>r Kommun<strong>ist</strong>ischen Partei und 1969<br />

ausgeschlossen, hat 40 Jahre später festgehalten: Es sei ein „brutaler militärischer Überfall“<br />

gewesen, nur dadurch „provoziert“, „dass <strong>die</strong> Tschoslowaken nach eigenen Wertvorstellungen<br />

leben wollten“. (1)<br />

Im Kreml wur<strong>de</strong>n entschie<strong>de</strong>n, wie auf <strong>de</strong>m Hradschin zu spuren war. Über kirchliches<br />

Frühlings erwachen zogen wie<strong>de</strong>r dunkle Wolken. Der vatikanischen Diplomatie blieb nicht<br />

viel mehr, als auf <strong>de</strong>n vorherigen Kurs zurückzukehren. Es ging nun wie<strong>de</strong>r um <strong>die</strong> Frage <strong>de</strong>s<br />

Überlebens, als Voraussetzung galt, nach katholischen Kirchenverständnis, eine intakte<br />

Hierarchie.<br />

Erzbischof Casaroli, <strong>de</strong>r „Architekt <strong>de</strong>r vatikanischen Ostpolitik“, habe <strong>die</strong> Möglichkeiten<br />

eines erfolgreichen Abschlussdialogs mit <strong>de</strong>n sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn pessim<strong>ist</strong>isch“<br />

eingeschätzt, berichtet <strong>de</strong>r polnische Nachrichten<strong>die</strong>nst in einer „Information“, <strong>die</strong> in<br />

Ostberlin unter Datum vom 21. August 1974 (also am 6. Jahrestag <strong>de</strong>s Einmarsches in Prag)<br />

zu <strong>de</strong>n Akten genommen wur<strong>de</strong>. (2) Namentlich genannt wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Volksrepubliken Polen,<br />

und Ungarn sowie <strong>die</strong> Tschechoslowakische Sozial<strong>ist</strong>ischen Republik. „Beson<strong>de</strong>re<br />

Schwierigkeiten“ sieht das Staatssekretariat nicht nur mit <strong>de</strong>r CSSR, son<strong>de</strong>rn auch bei <strong>de</strong>n<br />

Verhandlungen mit <strong>de</strong>r ungarischen Regierung. Erzbischof Angelo Sodano (später<br />

Nachfolger Casarolis als Staatssekretär) habe nach seinem Besuch in Budapest berichtet,<br />

„dass es <strong>die</strong> sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r nicht eilig haben, mit <strong>de</strong>r N Normalisierung <strong>de</strong>r<br />

Beziehungen zum Vatikan, aber ihr Dialog mit <strong>de</strong>m Heiligen Stuhl <strong>ist</strong> bedingt durch konkrete<br />

innen- und außenpolitische Notwendigkeiten. Von <strong>de</strong>n Verhandlungen mit <strong>de</strong>r CSSR, <strong>die</strong> auf<br />

<strong>de</strong>n 16. September 1974 verschoben wor<strong>de</strong>n seien, erwarte <strong>de</strong>r Heilige Stuhl keine effektiven<br />

Ergebnisse.<br />

„Informationen“ <strong>die</strong>ser Art mögen auf <strong>de</strong>n ersten Blick von geringem Neuigkeitswert sein.<br />

Gleichwohl: Ihr Inhalt spiegelt <strong>die</strong> Ten<strong>de</strong>nz <strong>de</strong>r ostpolitischen Vorstellungen <strong>de</strong>r<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Seite. So schreiben <strong>die</strong> Polen, dass <strong>die</strong> tschechoslowakische Seite <strong>de</strong>n<br />

Dialog zu nutzen suche, um mit „Hilfe <strong>de</strong>s Vatikans“…“<strong>die</strong> Beseitigung <strong>de</strong>r katholischen<br />

Emigrantenzentren“ zu erreichen. „Ungeachtet <strong>de</strong>ssen, daß <strong>de</strong>r Vatikan Hilfe verspricht“,<br />

habe Casaroli unterstrichen, „daß er oft machtlos“ sei gegenüber „<strong>de</strong>m selbständigen Han<strong>de</strong>ln<br />

solcher Gruppen“. Der Vatikan wer<strong>de</strong> versuchen, das Prager Einverständnis für <strong>die</strong><br />

Ernennung neuer Bischöfe zu erzielen und „<strong>die</strong> Eparchie an <strong>die</strong> tatsächlichen Grenzen <strong>de</strong>r<br />

CSSR zu gewöhnen (gemeint <strong>ist</strong> hier wohl <strong>die</strong> mit Rom unierten griechisch-katholischen<br />

Kirche mit <strong>de</strong>m Hauptverbreitungsgebiet in <strong>de</strong>r Slowakei und in <strong>de</strong>r Ukraine). Auch wer<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Heilige Stuhl <strong>die</strong> Möglichkeit „für eine Teilung <strong>de</strong>r selbständigen Tätigkeit <strong>de</strong>r Kirche in<br />

<strong>de</strong>r Slowakei“ untersuchen. In <strong>die</strong>sem Punkt wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Vatikan vom rechten Flügel, „<strong>de</strong>r von<br />

emigrierten katholischen Gruppierungen inspiriert wird“, unter Druck gesetzt.<br />

Kirche – Mit <strong>de</strong>m Rücken an <strong>de</strong>r Wand<br />

In <strong>de</strong>r Tschechoslowakei stand <strong>die</strong> Kirche, etwa im Vergleich zu Polen mit einem gewissen<br />

h<strong>ist</strong>orisch begrün<strong>de</strong>tem Arrangement zwischen Staat und Kirche, mit <strong>de</strong>m Rücken an <strong>de</strong>r<br />

Wand. Casaroli gelang es, zumin<strong>de</strong>st in einigen Zentren <strong>die</strong> hierarchischen Strukturen durch<br />

<strong>die</strong> Besetzung vakanter Stühle zu sichern, durch or<strong>de</strong>ntliche Bischöfe, respektive<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXVI.<br />

Apostolische Admin<strong>ist</strong>ratoren als Zwischenlösung, allerdings in einigen Fällen nur auf <strong>de</strong>m<br />

Papier o<strong>de</strong>r durch Hinnahme bestimmter Bedingungen, etwa bei <strong>de</strong>r Ernennung von <strong>de</strong>m<br />

Regime genehmer Kandidaten, wie etwa Josef Vrana als Interimsverwalter <strong>de</strong>s Erzb<strong>ist</strong>ums<br />

Olmütz. Vrana war Mitglied <strong>de</strong>r vom Staat abhängigen „Pacem-in-terris“-Vereinigung (von<br />

1973 bis 1987). In <strong>de</strong>r Slowakei konnten für Banska Bystra (Neusohl), Nitra (Neutra) und<br />

Trnava (Turnau) ab 1973 Bischöfe bestellt wer<strong>de</strong>n<br />

In Prag hatte seit 1965 (nach <strong>de</strong>r zwischen Rom und Prag vereinbarten „Ausreise“ von<br />

Erzbischof Josef Beran) <strong>de</strong>r Olmützer Weihbischof Frantisek Tomásek <strong>die</strong> Erzdiözese als<br />

Admin<strong>ist</strong>rator übernommen, (bis 1977, anschließend offiziell Erzbischof, 1976 zum Kardinal<br />

erhoben, 1977 publiziert.) Sein Weihbischof Kjetán Matousek überlebte das Regime<br />

sozusagen von Anfang bis En<strong>de</strong>, (1949 bis 1992), allerdings viele Jahre in seiner<br />

Amtsausübung behin<strong>de</strong>rt. Das gleiche Schicksal teilten Karel Otcenasek, Bischof von Hra<strong>de</strong>c<br />

Kralové / Königgrätz (1950 – 1989) und Stepán Trochta, Bischof von Litomerice/Leitmeritz<br />

(1947 bis 1974). 1969 wur<strong>de</strong> er von Papst Paul VI. zum Kardinal erhoben, 1973<br />

veröffentlicht. (3)<br />

Kardinal Trochta in Rom<br />

Moskau bestimmte auch <strong>die</strong> Prager Kirchenpolitik. Dies wird <strong>de</strong>utlich aus einer „Information<br />

<strong>de</strong>r Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r VR Polen“ , <strong>die</strong> in <strong>de</strong>n Unterlagen <strong>de</strong>r HVA (<strong>de</strong>m Auslandsnach<br />

richten<strong>die</strong>nst <strong>de</strong>s Ostberliner Min<strong>ist</strong>eriums für Staatssicherheit) gefun<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>. (4) Der<br />

polnische Geheim<strong>die</strong>nst berichtet „über <strong>die</strong> Gespräche <strong>de</strong>s Kardinals Trochta im Vatikan“.<br />

Dieser Rombesuch fand wenige Monate vor <strong>de</strong>m plötzlichen Tod <strong>de</strong>s tschechischen<br />

Kirchenfürsten statt. Trochta war <strong>die</strong> Ausreise nach Rom genehmigt wor<strong>de</strong>n, um in einem<br />

geson<strong>de</strong>rten Kons<strong>ist</strong>orium vom 12. April 1973, das einen Monat nach <strong>de</strong>r Ernennung von 30<br />

Kardinälen durch Papst Paul VI. stattfand, <strong>die</strong> Insignien seiner neuen kirchlichen Wür<strong>de</strong> zu<br />

empfangen. Ein Monat Wartezeit auf Reisepapiere war damals „wie nichts“, erinnert sich ein<br />

Prager Gewährsmann. Als Beispiel nennt er einen Antrag für eine Reise in <strong>die</strong><br />

Bun<strong>de</strong>srepublik. Er sei im Juni 1989 nach Köln eingela<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n. Zur Ausreise habe er<br />

sechs Stempel benötigt. Die Genossen hätten offenbar viel Zeit gebraucht, um <strong>die</strong> Frage <strong>de</strong>r<br />

Reiseerlaubnis auf allen Ebenen <strong>de</strong>r Partei zu besprechen. Was in <strong>de</strong>n Monaten kurz vor <strong>de</strong>r<br />

Wen<strong>de</strong> sozial<strong>ist</strong>ische Praxis war – wie viel mehr Anfang <strong>de</strong>r 70er Jahre, in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r<br />

Rückkehr zur scharfen Gangart gegenüber <strong>de</strong>r Kirche.<br />

Trochta hatte seinen Romaufenthalt genutzt, um Gespräche im vatikanischen Staatsekretariat<br />

zu führen, sowohl mit <strong>de</strong>m Substituten, Erzbischof Benelli wie mit Erzbischof Casaroli. Der<br />

drei Seiten umfassen<strong>de</strong> Bericht <strong>de</strong>s polnischen Nachrichten<strong>die</strong>nstes ging nach Moskau und<br />

von dort auch nach Ostberlin. Trochta habe <strong>de</strong>m „Rat für Staatsangelegenheiten <strong>de</strong>r Kirche“<br />

einen „schriftlichen Bericht“ vorgelegt. Darin spreche sich <strong>de</strong>r Leitmeritzer Kardinal für eine<br />

„Normalisierung <strong>de</strong>r Beziehungen zwischen Staat und Kirche in <strong>de</strong>r CSSR“ aus, auf <strong>de</strong>r<br />

Grundlage <strong>de</strong>r Trennung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Bereiche (als „Teilung <strong>die</strong>ser Einrichtungen“ bezeichnet).<br />

Der Papst solle „irgen<strong>de</strong>ine Geste <strong>de</strong>r großen Eröffnung“ gegenüber <strong>de</strong>r Tschechoslowakei<br />

zeigen.<br />

Was <strong>die</strong> etwas holpern<strong>de</strong> Übersetzung im Klartext meint, wird aus <strong>de</strong>m nachfolgen<strong>de</strong>n Satz<br />

<strong>de</strong>utlich. Trochta wird mit <strong>de</strong>n Worten zitiert, daß „sich <strong>die</strong> Behör<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r CSSR“ wie von <strong>de</strong>r<br />

Welt isoliert und verurteilt fühlen, unter an<strong>de</strong>rem infolge <strong>de</strong>r bekannten Ereignisse, <strong>die</strong> mit<br />

<strong>de</strong>r sowjetischen Okkupation zusammenhängen“ und dass (Zitat) „<strong>die</strong> ihnen durch <strong>de</strong>n<br />

Vatikan entgegen gestreckte Hand für <strong>die</strong> Kirche nützliche Resultate bringen kann.“ Eine<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXVI.<br />

solche Geste wäre nach <strong>Mein</strong>ung Trochtas eine entsprechen<strong>de</strong> Re<strong>de</strong> „während <strong>de</strong>r<br />

Feierlichkeit <strong>de</strong>r Überreichung <strong>de</strong>s Kardinalstitels.“<br />

Der Papst habe <strong>die</strong>sem Wunsch entsprochen. Trochta und Casaroli hätten ihm entsprechen<strong>de</strong><br />

Sätze in seine Ansprache geschrieben: „Wir wollen, dass <strong>de</strong>r neu ernannte Kardinal, wenn er<br />

nach Hause zurückkehrt, dort allen in seiner teuren Heimat sagt, daß <strong>de</strong>r Papst mit ihnen <strong>ist</strong>,<br />

daß er sie liebt, schätzt und sie innig als Vater seiner geliebtesten Kin<strong>de</strong>r – aller ohne<br />

Ausnahme, nicht nur <strong>de</strong>r Gläubigen – umarmt.“<br />

Im Wortlaut <strong>de</strong>r Textversion, <strong>die</strong> inzwischen vom Heiligen Stuhl im Internet veröffentlicht<br />

wur<strong>de</strong> (5) lautet <strong>die</strong> entsprechen<strong>de</strong> Passage: Der Kardinal möge bei seiner Rückkehr in <strong>die</strong><br />

Heimat nicht versäumen allen Menschen <strong>de</strong>utlich zu machen, dass <strong>de</strong>r Papst ihnen nahe <strong>ist</strong>,<br />

sie liebt und wertschätzt und sie hinein nimmt in eine einzige ge<strong>ist</strong>liche Umarmung, wie ein<br />

Vater gegenüber seinen „sehr geliebten Kin<strong>de</strong>rn“. Alle, nicht nur <strong>die</strong> Gläubigen, sollten sich<br />

<strong>die</strong>ser Zusicherung gewiss sein.“ An <strong>de</strong>r Übereinstimmung – wenn man <strong>die</strong> Übersetzungen<br />

aus <strong>de</strong>m italienischen Original berücksichtigt – besteht kein Zweifel.<br />

CSSR – Eine Kirche <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>n und Ängste<br />

An <strong>die</strong>sen schönen Seiten <strong>de</strong>r Papstre<strong>de</strong> erfreuten sich offensichtlich auch <strong>die</strong> Ost-Agenten,<br />

während sie <strong>die</strong> „Zwischentöne“ wohlweislich unterschlagen. Paul VI. nutzte <strong>die</strong><br />

Gelegenheit, direkt o<strong>de</strong>r auch „zwischen <strong>de</strong>n Zeilen“ <strong>die</strong> bedrängte Situation <strong>de</strong>r Kirche in <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei anzusprechen. Dabei unterschied er <strong>de</strong>utlich zwischen <strong>de</strong>r Nation, also<br />

<strong>de</strong>m Volk und <strong>de</strong>n kommun<strong>ist</strong>ischen Usurpatoren. Er wandte sich an Trochta mit <strong>de</strong>n<br />

Worten, <strong>de</strong>r Respekt, <strong>de</strong>r <strong>die</strong>sem als Person gezollt <strong>ist</strong>, möge er über seine Person hinaus als<br />

Geste <strong>de</strong>r Umarmung verstehen, <strong>die</strong> das „geliebte Vaterland“ <strong>de</strong>s Kardinals einbezieht. Und<br />

noch mal: als ein „Zeichen <strong>de</strong>s Wohlwollens und <strong>de</strong>r Liebe“ … gegenüber <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei…, „<strong>die</strong> immer so nah Unserem päpstlichen Herzens <strong>ist</strong>.“<br />

Das waren zwar <strong>die</strong> üblichen „Fioretti“, <strong>die</strong> „Blümchen“, mit <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r höfischen Sprache<br />

<strong>de</strong>r römischen Kurie päpstliche Verlautbarungen verziert wer<strong>de</strong>n, aber Paul VI. wusste, mit<br />

Rücksicht auf <strong>die</strong> heikle Situation seines Kardinals aus <strong>de</strong>m Osten, auch zwischen <strong>de</strong>n Zeilen<br />

<strong>de</strong>utlich zu sprechen. Er erinnerte „an <strong>die</strong> nicht leichten Jahre“, in <strong>de</strong>nen Stepán Trochta<br />

„Priester gewor<strong>de</strong>n und geblieben <strong>ist</strong>.“ Die Tschechoslowakei habe „große Heiligenfiguren“<br />

hervorgebracht, wie Wenzel und Adalbert und ebenso beispielhafte Bischöfe und Kardinäle,<br />

„<strong>de</strong>nen Sie, Herr Kardinal“ ein würdiger Nachfolger sein wer<strong>de</strong>n“.<br />

Auch <strong>die</strong> weiteren Sätze dürften in <strong>de</strong>n Politbüros wenig Anklang gefun<strong>de</strong>n haben. Der<br />

Kardinal, so Paul VI., möge <strong>de</strong>m Klerus und allen in <strong>de</strong>r Kirche, <strong>die</strong> <strong>de</strong>m Papst nahe seien<br />

versichern, dass er an ihren Freu<strong>de</strong>n und Lei<strong>de</strong>n teilnehme, an ihren Hoffungen und Ängsten,<br />

um sie zu trösten und sie auf ihrem Weg <strong>de</strong>s Glauben zu Chr<strong>ist</strong>us, <strong>de</strong>m Herrn, hin zu<br />

ermutigen.<br />

„Lei<strong>de</strong>n und Ängste“ – was konnte daran missverständlich sein. So wird auch verständlich,<br />

dass Paul VI. gegen En<strong>de</strong> seiner Ansprache auf <strong>die</strong> von ihm und seinem „Außenmin<strong>ist</strong>er“<br />

Agostino Casaroli verfolgte „vatikanische Ostpolitik“ zu sprechen kam. (Casaroli hat es stets<br />

vorgezogen, von einer „Diplomatie <strong>de</strong>r Seelsorge“ zu sprechen). Die Kardinalserhebung und<br />

ihre Veröffentlichung im Kons<strong>ist</strong>orium vom 5. März sowie <strong>die</strong> Nominierung von vier neuen<br />

Bischöfen bezeichnete <strong>de</strong>r Papst als einen ersten Schritt, um eine Normalisierung <strong>de</strong>r<br />

Situation <strong>de</strong>r Kirche in <strong>de</strong>r Tschechoslowakischen Republik und eine Verwaltung <strong>die</strong>ser<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXVI.<br />

Diözesen nach <strong>de</strong>m Kirchenrecht einzuleiten. Die zivilen Autoritäten <strong>de</strong>r Tschechoslowakei<br />

sollten <strong>die</strong> Aufnahme Trochtas in <strong>de</strong>n Senat <strong>de</strong>s Papstes als ein Signal <strong>de</strong>r Wertschätzung<br />

verstehen und <strong>die</strong>ses zum Anlass nehmen, in <strong>de</strong>n Verhandlungen über pastorale<br />

Arbeitsmöglichkeiten <strong>de</strong>r Kirche entgegenzukommen. Immerhin wird <strong>die</strong>se Textpassage<br />

auch in <strong>de</strong>r „Information“ <strong>de</strong>s polnischen Geheim<strong>die</strong>nstes fast gleichlautend wie<strong>de</strong>rgegeben.<br />

Auch dort heißt es, <strong>die</strong> Ernennung <strong>de</strong>r vier neuen tschechoslowakischen Bischöfe sei „für <strong>de</strong>n<br />

Vatikan <strong>de</strong>r erste Schritt in <strong>de</strong>m sich gegenwärtig vollziehen<strong>de</strong>n Prozesss… <strong>de</strong>r zur<br />

Normalisierung <strong>de</strong>r Lage <strong>de</strong>r katholischen Kirche in <strong>de</strong>r CSSR führen soll.“<br />

Der Schlüssel liegt in Moskau<br />

Beson<strong>de</strong>re Aufmerksamkeit aber ver<strong>die</strong>nen <strong>die</strong> „Informationen“ über weitere Einzelheiten aus<br />

<strong>de</strong>n Gesprächen, <strong>die</strong> Trochta im Vatikan führte, weil sie <strong>de</strong>n Kern <strong>de</strong>s sozial<strong>ist</strong>ischen Gefüges<br />

erhellen: Die Vormundschaft <strong>de</strong>s Kreml. Sie nimmt breiten Raum in <strong>de</strong>m<br />

Geheim<strong>die</strong>nstbericht ein. Die Agenten zitieren aus <strong>de</strong>m Bericht <strong>de</strong>s Leitmeritzer Bischofs:<br />

„Der Schlüssel zu unseren Problemen befin<strong>de</strong>t sich nicht in Prag son<strong>de</strong>rn in Moskau.“.<br />

Trochta habe erklärt, „daß <strong>die</strong> tschechoslowakischen Behör<strong>de</strong>n nicht genügend selbständig in<br />

politischer Hinsicht sind, um einen Vertrag mit <strong>de</strong>m Vatikan abzuschliessen“. Seiner<br />

<strong>Mein</strong>ung nach müsse <strong>de</strong>r Vatikan „um in Prag einbrechen zu können, zuerst eine Art <strong>de</strong>r<br />

Abstimmung <strong>die</strong>ser Fragen mit Moskau fin<strong>de</strong>n.“ Und an an<strong>de</strong>rer Stelle: Trochta habe von<br />

einer Strategie gesprochen, <strong>die</strong> darin bestehe, Kontakte mit <strong>de</strong>r UdSSR-Regierung<br />

herzustellen, „da solche Kontakte in <strong>de</strong>r Vergangenheit von <strong>de</strong>n katholischen Hierarchien<br />

(gemeint sind <strong>die</strong> Bischöfe) in verschie<strong>de</strong>nen sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn ausgenutzt“ wur<strong>de</strong>n<br />

„wo in einer bestimmten Perio<strong>de</strong> „<strong>die</strong> Eröffnung“ bezüglich <strong>de</strong>r Kirche breite Ausmaße“<br />

angenommen habe. (Gemeint <strong>ist</strong> wohl eine „Öffnung“ <strong>de</strong>r Kirche, sprich Akzeptierung und<br />

begrenzte Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Regimes). Der tschechische Bischof habe<br />

<strong>die</strong> „wichtigsten Kurieeinrichtungen“ (genannt wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Kongregation für <strong>die</strong> Bischöfe<br />

sowie das Staatssekretariat und hier in erster Linie <strong>die</strong> Sektion für <strong>die</strong> diplomatischen<br />

Beziehungen <strong>de</strong>s Vatikans) „vor Illusionen“ gewarnt, „dass sich <strong>die</strong> Politik <strong>de</strong>r CSSR-<br />

Behör<strong>de</strong>n gegenüber <strong>de</strong>r Kirche verän<strong>de</strong>rn“ könne, „vor <strong>de</strong>r Anbahnung neuer Ereignisse<br />

zwischen <strong>de</strong>m Vatikan und <strong>de</strong>r UdSSR.“ Er sich jedoch als „Pessim<strong>ist</strong>“ in <strong>de</strong>n „Fragen <strong>de</strong>r<br />

Kontakte zwischen <strong>de</strong>m Vatikan und <strong>de</strong>r CSSR bezeichnet, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Heilige Stuhl wer<strong>de</strong><br />

sich in seinen Beziehungen mit <strong>de</strong>r UdSSR „vorläufig nicht“ festlegen.<br />

Mit einem „Auftrag“ <strong>de</strong>r Stasi?<br />

Wie häufig in <strong>de</strong>n so genannten „Informationen“, <strong>die</strong> zwischen <strong>de</strong>n Nachrichten<strong>die</strong>nsten <strong>de</strong>s<br />

Ostens kursierten, wird nie ganz klar, was authentische Wi<strong>de</strong>rgabe, Kommentierung o<strong>de</strong>r<br />

„Inspiration“ <strong>de</strong>r Berichterstatter <strong>ist</strong>, was sie mit ihren Meldungen bezwecken wollten. O<strong>de</strong>r<br />

hatte, im vorliegen<strong>de</strong>n Fall, <strong>de</strong>r Bischof von Leitmeritz einen „Auftrag“ <strong>de</strong>r Staatssicherheit?<br />

War Trochta selbst weltpolitisch so versiert, dass er glaubte erklären zu müssen, „dass <strong>die</strong><br />

Abkühlung in <strong>de</strong>n Beziehungen zwischen <strong>de</strong>m Vatikan und <strong>de</strong>r UdSSR teilweise mit <strong>de</strong>m<br />

Konflikt zwischen Moskau und Peking und mit <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>r Papstdiplomatie zugunsten<br />

<strong>de</strong>r Annäherung zwischen <strong>de</strong>m Westen und <strong>de</strong>r VR China zusammenhängt.“ Und schließlich<br />

wie <strong>de</strong>r Agentenbericht behauptet, <strong>die</strong> vatikanische Diplomatie kritisierte: „Dies war eine<br />

fehlerhafte Politik, <strong>de</strong>nn sie brachte nicht <strong>die</strong> erwarteten Ergebnisse in Asien, vielleicht nur<br />

mit Ausnahme <strong>de</strong>r DRV…“ (gemeint <strong>ist</strong> <strong>die</strong> kommun<strong>ist</strong>ische „Demokratische Republik<br />

Vietnam). Diese Politik habe <strong>de</strong>r Position <strong>de</strong>r Kirche in Osteuropa gescha<strong>de</strong>t.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXVI.<br />

„Nichts<strong>de</strong>stoweniger“ bestehe jedoch immer noch <strong>die</strong> Möglichkeit, <strong>de</strong>n Fehler zu korrigieren,<br />

„<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Papstdiplomatie gegenüber <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Warschauer Paktes begangen“ habe.<br />

Sollte Trochta Gespräche solchen Inhalts geführt haben, dann <strong>de</strong>utet vieles darauf hin, dass<br />

ihm an<strong>de</strong>re <strong>die</strong> Fe<strong>de</strong>r geführt haben. Dies galt beson<strong>de</strong>rs für das Top-Thema Mitte <strong>de</strong>r 70er<br />

Jahre. Im Vorfeld <strong>de</strong>s Abschlusstreffens <strong>de</strong>r Konferenz für Sicherzeit und Zusammenarbeit in<br />

Europa (KSZE), <strong>die</strong> 1975 in Helsinki stattfand, unternahm <strong>de</strong>r Osten einige Anstrengungen,<br />

<strong>de</strong>n Vatikan für <strong>die</strong> „frie<strong>de</strong>nspolitischen“ Ziele Moskaus und seiner Satelliten einzuspannen.<br />

Trochta wird zitiert, <strong>de</strong>r Heilige Stuhl könne eine wichtige Rolle spielen, „sowohl im letzten<br />

Stadium <strong>de</strong>r Vorbereitungsgespräche in Helsinki, als auch in <strong>de</strong>n Fragen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Genfer und<br />

Wiener Verhandlungen betreffen.“ (Gemeint sind <strong>die</strong> Abrüstungsgespräche). „Gera<strong>de</strong> darin“<br />

sehe Trochta „<strong>die</strong> Möglichkeit einer Annäherung zwischen <strong>de</strong>r UdSSR und <strong>de</strong>m Vatikan.“<br />

Wie <strong>die</strong> Polen weiter mitteilten, wur<strong>de</strong> auch allgemein über „<strong>die</strong> Beziehungen zwischen <strong>de</strong>m<br />

Vatikan und <strong>de</strong>n sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn“ gesprochen. Trochta habe (offenbar sich auf <strong>die</strong><br />

Ostverträge von 1970 beziehend) davon gesprochen, „daß <strong>die</strong>se Län<strong>de</strong>r gegenwärtig<br />

beschlossen haben, <strong>de</strong>n Kontakten zwischen <strong>de</strong>m Heiligen Stuhl und <strong>de</strong>r DDR <strong>de</strong>n Vorrang<br />

zu geben. Auch <strong>die</strong> Regierung <strong>de</strong>r VR Polen wolle Verhandlungen mit <strong>de</strong>m Vatikan<br />

beginnen. Casaroli zweifele jedoch „an <strong>de</strong>m guten Willen <strong>de</strong>r polnischen Behör<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> schon<br />

kürzlich begonnenen Verhandlungen positiv und schnell zu been<strong>de</strong>n“.<br />

Trochta wur<strong>de</strong> post mortem nachgesagt, unter <strong>de</strong>m Druck <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m<br />

Geheim<strong>die</strong>nst StB kollaboriert zu haben. Wenn es zutreffen sollte, wür<strong>de</strong> sich sogleich <strong>die</strong><br />

Frage stellen: Wur<strong>de</strong> er „instrumentalisiert“? Vorstellbar wäre ein solcher Versuch. Ob o<strong>de</strong>r<br />

wie weit <strong>de</strong>r Kardinal solchen Pressungen erlegen sein könnte, steht auf einem an<strong>de</strong>ren Blatt.<br />

Der Agentenbericht lässt eher <strong>de</strong>n Schluss zu, dass er einer allzu weichen Haltung <strong>de</strong>r<br />

vatikanischen Ostpolitiker kritisch gegenüber stand. So habe er sich gegen „je<strong>de</strong> Art von<br />

Kompromissen zwischen <strong>de</strong>m Heiligen Stuhl und <strong>de</strong>r tschechoslowakischen katholischen<br />

Gruppierung Ploichars“ (6) ausgesprochen. „Jeglicher Kompromiss <strong>die</strong>ser Art“ wür<strong>de</strong> <strong>die</strong><br />

„Empörung unter <strong>de</strong>r Ge<strong>ist</strong>lichkeit und <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Pfarrgemein<strong>de</strong>n hervorrufen, so<br />

wie <strong>die</strong> Ernennung <strong>de</strong>s Bischofs Vrana empörte“. (Josef Vrana, von Rom zum Apostolischer<br />

Admin<strong>ist</strong>rator <strong>de</strong>s Erzb<strong>ist</strong>ums Olomouc/Olmütz berufen, war gleichzeitig <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

vom Regime abhängigen Priestervereinigung „Pacem-in-terris). Abschließend wird Trochta<br />

noch einmal zu <strong>de</strong>n „letzten Bischofsernennungen“ (von 1973) zitiert. Um sie richtig<br />

einzuschätzen zu können, müssten <strong>die</strong>se <strong>die</strong> „Prüfung <strong>de</strong>r Zeit bestehen.“ (En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zitats).<br />

Wir haben <strong>die</strong>sem Geheim<strong>die</strong>nstbericht breiteren Raum gegeben, weil er – ungeachtet seines<br />

<strong>Wahrheit</strong>sgehaltes – <strong>die</strong> Zwangslage <strong>de</strong>r Kirche unter <strong>de</strong>m kommun<strong>ist</strong>ischem Zwangsregime<br />

spiegelt. Sie waren nicht weit entfernt von Gestapo-Praktiken <strong>de</strong>r Verhaftungen, Verhöre und<br />

Willkür-Urteile, von <strong>de</strong>n geheim<strong>die</strong>nstlichen Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Infiltration und Subversion gegen<br />

Papst und Kirche, um Einfluss auf <strong>die</strong> Diplomatie <strong>de</strong>s Heiligen Stuhls zu nehmen, nicht nur in<br />

hinsichtlich <strong>de</strong>s Staat-Kirchen-Verhältnisses innerhalb <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s<br />

Spannungsfel<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r globalen Ost-West- Konfrontation, <strong>de</strong>s Kalten Krieges.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXVI.<br />

1) Pavel Kohout, tschechischer Schriftsteller, einer <strong>de</strong>r Wortführer <strong>de</strong>s „Prager Frühlings“. 1977 verfasste er<br />

mit Vaclav Havel das Gründungsdokument <strong>de</strong>r Bürgerinitiative „Charta 77“. Zitat aus <strong>de</strong>m Beitrag<br />

„Liebesgrüße aus Moskau“ in Cicero 10/2008. S. 35)<br />

2) MfS – HVA/ Abt. X v. 21. 8. 1974 / Tgb.Nr. X/2701 /74<br />

3) Stepán Trochta (1905-1974), 1947 von Pius XII. zum Bischof von Litomerice/Leitmeritz ernannt; am 28. April<br />

1969 von Paul VI „in pectore“ zu Kardinal erhoben, im Kons<strong>ist</strong>orium am 5. März 1973 öffentliche<br />

Proklamation, Kardinalpriester <strong>de</strong>r Titelkirche „San Giovanni Bosco in via Tuscolana“ – Patron <strong>de</strong>s nach ihm<br />

benannten Or<strong>de</strong>ns <strong>de</strong>r Salesianer Boscos SDB, <strong>de</strong>m Trochta angehörte..<br />

4) HVA MfS 4/127 v. 15. 6. 1973 / Abt. X, Tgb. Nr. X / 1792 /73<br />

5) vgl. Ansprache von Papst Paul VI. anlässlich <strong>de</strong>r Überreichung <strong>de</strong>r Kardinalsinsignien an <strong>de</strong>n Bischof von<br />

Litomerice (Insegne cardinalizie di Paolo VI. al Vescovo di Litomerice) vom 12.<br />

April 1973 / (www.vatican.va/holy_father/paul_vi/speeches/1973)<br />

6) gemeint <strong>ist</strong> <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschstämmige, aus Böhmisch-Budweis (Ceske Bu<strong>de</strong>jovice) stammen<strong>de</strong> Priester und<br />

Politiker Josef Plojhar (1902-1981). Abgeordneter <strong>de</strong>r (katholischen) Volkspartei (Lidová strana), 1968 <strong>de</strong>ren<br />

Ehrenvorsitzen<strong>de</strong>r; Gesundheitsmin<strong>ist</strong>er (von 1948 bis 1968) ab <strong>de</strong>r ersten Regierung <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>isch<br />

beherrschten Nationalen Front. Seit 1951 Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r „Frie<strong>de</strong>nsbewegung (Frie<strong>de</strong>nsverband) <strong>de</strong>r<br />

katholischen Ge<strong>ist</strong>lichen“, <strong>de</strong>r Vorläuferin <strong>de</strong>r Pacem-in-terris-Frie<strong>de</strong>nspriester. Bereits 1948 von Erzbischof<br />

Josef Beran, Prag, und <strong>de</strong>m Bischof Josef Hlouch, Böhmisch-Budweis (7) von seinen priesterlichen Funktionen<br />

entbun<strong>de</strong>n.<br />

Nach Verhaftung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Oberhirten wur<strong>de</strong> <strong>die</strong> Disziplinarstrafe von <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n amtieren<strong>de</strong>n<br />

Kapitularvikaren zwar aufgehoben, Plojhar zelebrierte allerdings nur zu wenigen Anlässen. Allerdings trat er<br />

öffentlich und im Parlament in priesterlicher Kleidung auf, aus propagand<strong>ist</strong>ischen Grün<strong>de</strong>n, wie es heißt.<br />

Zeitzeugen, <strong>die</strong> ihn kannten, bezeichnen ihn als einen begabten Mann, mit Sinn für Humor und einer gewissen<br />

Trinkfreudigkeit, <strong>de</strong>r er angeblich bei einem Empfang in <strong>de</strong>r Sowjetischen Botschaft erlag.<br />

7) Josef Hlouch (1902-1971. Ab 1947 Bischof von Böhmisch-Budweis, 1959 in seiner Resi<strong>de</strong>nz interniert, ab<br />

1952 außerhalb <strong>de</strong>r Diözese, bis 1968 amtsbehin<strong>de</strong>rt. Sein Sekretär war von 1968-1971 Miloslav Vlk, <strong>de</strong>r dann<br />

ebenfalls von <strong>de</strong>r Staatsmacht aus <strong>de</strong>m kirchlichen Dienst entfernt wur<strong>de</strong> und u.a. als Fensterputzer seinen<br />

Lebensunterhalt bestreiten musste. Vlk wur<strong>de</strong> 1990 Bischof seiner Heimatdiözese Böhmisch-Budweis und<br />

übernahm 1991, nach <strong>de</strong>m Tod von Kardinal Tomásek, das Erzb<strong>ist</strong>um Prag.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXVII.<br />

XXVII. Ein Hauch von Kaltem Krieg<br />

Regierungen lösen einan<strong>de</strong>r ab, Systeme wechseln, Staatsi<strong>de</strong>ologien wer<strong>de</strong>n ausgetauscht –<br />

aber <strong>die</strong> „Dienste“ bleiben. Unter an<strong>de</strong>ren Vorzeichen gehen sie ihrer gewohnten Arbeit nach:<br />

Aufklärung und Abwehr. Bei<strong>de</strong> Operationsbereiche machen vor befreun<strong>de</strong>ten Län<strong>de</strong>rn nicht<br />

halt. Die Entwicklung nach <strong>de</strong>m Zerfall <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Allianz, insbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong><br />

Sympathie ehemaliger „Bru<strong>de</strong>rnationen“ für <strong>de</strong>n Westen, für <strong>de</strong>n ehemaligen Erzfeind<br />

NATO, reizt <strong>de</strong>n russischen Bären, <strong>de</strong>r nun nicht mehr Herr in seinen ausge<strong>de</strong>hnten Wäl<strong>de</strong>rn<br />

sein soll. Zumal über seinem Revier <strong>de</strong>r amerikanische Adler kre<strong>ist</strong>. Län<strong>de</strong>r wie Polen und <strong>die</strong><br />

Tschechoslowakei bekommen <strong>die</strong> Zugluft zu spüren, <strong>die</strong> an <strong>de</strong>n Kalten Krieg erinnern.<br />

Anlass: <strong>die</strong> Aufstellung von Systemen eines Raketenabwehr-Systems, dass gegen sogenannte<br />

Schurkenstaaten mit terror<strong>ist</strong>ischem Potential gerichtet seien, jedoch von Moskau als<br />

Bedrohung empfun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Der „Bär“ droht zurück.<br />

Aus <strong>de</strong>m Jahresbericht für 2007 <strong>de</strong>s tschechischen Nachrichten- und Informations<strong>die</strong>nst<br />

(BIS) geht hervor, dass russische Agenten „tüchtig an ihrem Ziel gearbeitet haben“, wie Radio<br />

Prag mel<strong>de</strong>te, <strong>die</strong> öffentliche <strong>Mein</strong>ung in Tschechien gegen <strong>die</strong> geplante Stationierung eines<br />

US-amerikanischen Raketenabwehrradars aufzubringen. Die Metho<strong>de</strong>n sollen nach <strong>de</strong>m<br />

bekannten Muster abgelaufen sein: Infiltrieren und „differenzieren“, das heißt, eigene Leute in<br />

Gruppen, <strong>die</strong> gegen <strong>die</strong>se militärischen Einrichtungen sind, einzuschleusen. Deren Aufgabe<br />

sei es gewesen, Politiker und Me<strong>die</strong>n zu beeinflussen.<br />

Blen<strong>de</strong>n wir in <strong>die</strong> 70er Jahre zurück. Nach <strong>de</strong>r sowjetischen Besetzung <strong>de</strong>r Tschecho<br />

slowakei kehrt <strong>de</strong>r Unterdrückungsapparat zurück mit seinen Operationen gegen bestimmte<br />

Personen und Organisationen, auch kirchlichen. Darüber hinaus wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Maßnahmen, <strong>die</strong><br />

sich gegen <strong>de</strong>n Vatikan richten, verstärkt fortgesetzt, <strong>die</strong> Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r CSSR sind<br />

wie<strong>de</strong>r fest in <strong>die</strong>se Planungen einbezogen, wie Dokumente aus <strong>die</strong>ser Zeit belegen. So heißt<br />

es in einem internen Arbeitspapier <strong>de</strong>r HA XX <strong>de</strong>s MfS zur Vorbereitung <strong>de</strong>r „Zusammen<br />

arbeit mit <strong>de</strong>n Sicherheitsorganen <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r im Jahre 1975“, nach<strong>de</strong>m eine<br />

für 1974 vereinbarte multilaterale Besprechung „auf <strong>de</strong>r Linie XX/4“ (1) nicht zustan<strong>de</strong> kam:<br />

Nach wie vor bestehe das gemeinsame Anliegen aller sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r, <strong>die</strong> politischoperativen<br />

Maßnahmen abzustimmen. Es wer<strong>de</strong>n dann <strong>die</strong> „Probleme“ beschrieben. An<br />

erster Stelle: „Die gegenwärtige Ostpolitik <strong>de</strong>s Vatikans, <strong>die</strong> vor allem darauf ausgerichtet <strong>ist</strong>,<br />

verstärkt Kontakte in <strong>die</strong> sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn auf- und auszubauen mit <strong>de</strong>m Ziel, <strong>die</strong> dort<br />

vorhan<strong>de</strong>ne Substanz <strong>de</strong>r katholischen Kirche zu erhalten und mach Möglichkeit noch zu<br />

erweitern.“ (2)<br />

Auch <strong>de</strong>r Ökumenische Rat <strong>de</strong>r Kirchen wird in <strong>die</strong> Maßnahmen zur Bekämpfung <strong>de</strong>r<br />

Kirchen einbezogen. Der Genfer Zentrale wer<strong>de</strong>n „feindliche Aktivitäten“ bei seiner<br />

„subversiven Tätigkeit in Richtung sozial<strong>ist</strong>ische Län<strong>de</strong>r“ unterstellt. Und wie <strong>de</strong>r Vatikan<br />

gilt <strong>de</strong>r Weltrat als ein politisches Instrument <strong>de</strong>s Westens. Die USA versuchten, „leiten<strong>de</strong><br />

Positionen im Weltkirchenrat zu besetzen, bzw. zurückzugewinnen.“<br />

Kritische westliche Beobachter haben stets auf <strong>die</strong> diffuse Rolle <strong>de</strong>s Prager Chr<strong>ist</strong>lichen<br />

Frie<strong>de</strong>nskonferenz CFK und <strong>de</strong>r Berliner Konferenz katholischer Chr<strong>ist</strong>en in Europa BK (<strong>die</strong><br />

von <strong>de</strong>r Kirche nicht anerkannt wur<strong>de</strong>) hingewiesen. Das Arbeitspapier <strong>de</strong>s MfS belegt <strong>die</strong>se<br />

Vermutung, wenn davon <strong>die</strong> Re<strong>de</strong> <strong>ist</strong>, „<strong>die</strong> politische Ausstrahlungskraft <strong>de</strong>r CFK und BK im<br />

Sinne <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>nspolitik <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn operativ wirksam zu unterstützen.“<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXVII.<br />

Mit <strong>de</strong>n „Sicherheitsorganen <strong>de</strong>r CSSR“ sollen „gemeinsame Maßnahmen zur koordinierten<br />

operativen Kontrolle bestimmter Personen aus <strong>de</strong>r BRD“ (Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland), „<strong>die</strong><br />

z.B. in <strong>de</strong>r Chr<strong>ist</strong>lichen Frie<strong>de</strong>nskonferenz Schlüsselpositionen einnehmen, sowie zur<br />

besseren Unterstützung progressiver Kräfte innerhalb <strong>de</strong>r CFK“ festgelegt wer<strong>de</strong>n. Ebenso<br />

sollen gemeinsame Maßnahmen getroffen wer<strong>de</strong>n, „um illegale Zusammenkünfte von<br />

Wehr<strong>die</strong>nstverweigerern aus <strong>de</strong>r DDR und <strong>de</strong>r BRD unter operative Kontrolle zu bringen.“<br />

Von <strong>de</strong>rartigen Zusammenkünften gingen Aktionen aus mit <strong>de</strong>m Ziel, <strong>die</strong> Kampfbereitschaft<br />

<strong>de</strong>r NVA (Nationale Volksarmee <strong>de</strong>r DDR) zu zersetzen.<br />

Die „neue Ostpolitik“ <strong>de</strong>s Vatikans<br />

Vom 11. bis 14. Februar 1975 wird in Warschau <strong>die</strong> im vorausgegangene gemeinsame<br />

„Beratung“ nachgeholt. Es nehmen daran teil Vertreter <strong>de</strong>r „Sicherheitsorgane“ <strong>de</strong>r<br />

Sowjetunion, <strong>de</strong>r Volksrepublik Polen, <strong>de</strong>r CSSR, <strong>de</strong>r Volksrepublik Ungarn, <strong>de</strong>r<br />

Volksrepublik Bulgarien, <strong>de</strong>r DDR und Kubas. (3)<br />

Wie schon in <strong>de</strong>m Arbeitspapier <strong>de</strong>s MfS vom vergangenen November wird an erster Stelle<br />

<strong>die</strong> „vatikanische Ostpolitik“ in Ziel genommen. Die ausführlichere Stellungnahme zu <strong>die</strong>sem<br />

Thema spiegelt sowohl <strong>de</strong>n Kenntnisstand <strong>de</strong>r östlichen Geheim<strong>die</strong>nste sowie <strong>de</strong>ren politische<br />

Einschätzung <strong>de</strong>r Diplomatie <strong>de</strong>s Heiligen Stuhls, wie auch beabsichtigten Gegenmaßnahmen.<br />

„Mit Erstarken <strong>de</strong>s sozial<strong>ist</strong>ischen Lagers sah sich <strong>de</strong>r Vatikan gezwungen, seine militante<br />

antikommun<strong>ist</strong>ische Haltung zu revi<strong>die</strong>ren und eine flexiblere Politik gegenüber <strong>de</strong>n<br />

sozial<strong>ist</strong>ischen Staaten zu betreiben“, heißt einleitend. Aus <strong>die</strong>sem Grun<strong>de</strong> sei <strong>die</strong> so genannte<br />

„neue Ostpolitik“ <strong>de</strong>s Vatikans begonnen wor<strong>de</strong>n. Diese sei gekennzeichnet durch (es wer<strong>de</strong>n<br />

dann drei Punkte genannt):<br />

1. Vermeidung <strong>de</strong>s offenen Antikommunismus<br />

2. Aufnahme von Kontakten zu Repräsentanten sozial<strong>ist</strong>ischer Län<strong>de</strong>r<br />

3. Bekenntnis zum Frie<strong>de</strong>n.<br />

Nach wie vor sei es jedoch das Ziel <strong>de</strong>s Vatikans, „ohne Verschärfung <strong>de</strong>r Spannungen<br />

zwischen Staat und Kirche in <strong>de</strong>n einzelnen sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn <strong>die</strong> Positionen <strong>de</strong>r<br />

katholischen Kirche zu festigen und auszubauen“. Deshalb sei <strong>de</strong>r Vatikan an <strong>de</strong>r<br />

„Herstellung besserer Beziehungen im Interesse <strong>de</strong>r nationalen katholischen Kirchen in <strong>de</strong>n<br />

sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn interessiert und bestrebt, Verhandlungen mit sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn<br />

zu führen.<br />

Die vatikanische Ostpolitik wer<strong>de</strong> „wesentlich“ durch <strong>die</strong> Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland<br />

unterstützt, heißt es weiter, wobei sich <strong>de</strong>r Vatikan sowohl auf <strong>die</strong> „ökonomische Stärke<br />

West<strong>de</strong>utschlands stütze“, als auch auf <strong>die</strong> „grundsätzliche i<strong>de</strong>ologische Übereinstimmung im<br />

Hinblick auf <strong>de</strong>n Antikommunismus und <strong>die</strong> Taktik <strong>de</strong>s politischen Vorgehens“.<br />

Dialog mit Marx<strong>ist</strong>en und Athe<strong>ist</strong>en<br />

Das Protokoll <strong>de</strong>r Warschauer Geheim<strong>die</strong>nst-Konferenz fasst <strong>die</strong> Berichte aus <strong>de</strong>n einzelnen<br />

Teilnehmerstaaten zusammen. In <strong>de</strong>n allgemeinen Bemerkungen zum Vatikan wird konkret<br />

das „Sekretariat für <strong>die</strong> Nichtglauben<strong>de</strong>n“ (4) genannt. Dies sei zur „Unterstützung <strong>de</strong>r neuen<br />

Ostpolitik“ geschaffen wor<strong>de</strong>n. Die „strategische und taktische Zielsetzung“ <strong>die</strong>ses<br />

Kurienbüros richte „sich ein<strong>de</strong>utig gegen <strong>die</strong> sozial<strong>ist</strong>ische Weltanschauung und damit gegen<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXVII.<br />

das Fundament <strong>de</strong>s sozial<strong>ist</strong>ischen Staates.“ Es <strong>die</strong>ne „<strong>de</strong>r Stärkung <strong>de</strong>r katholischen Kirche<br />

in <strong>de</strong>n sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>r Schaffung von Kontakten und Stützpunkten und <strong>de</strong>r<br />

Untergrabung <strong>de</strong>r Einheitlichkeit und Geschlossenheit <strong>de</strong>s sozial<strong>ist</strong>ischen Lagers.“<br />

Vom Sekretariat für <strong>die</strong> Nichtglauben<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r Dialog zwischen Chr<strong>ist</strong>en und<br />

Marx<strong>ist</strong>en geför<strong>de</strong>rt, „über <strong>de</strong>n raffinierte Angriffe gegen <strong>die</strong> sozial<strong>ist</strong>ische Weltanschauung<br />

vorgetragen wer<strong>de</strong>n.“ Ein vom Sekretariat erarbeitetes Dokument über das „Studium <strong>de</strong>s<br />

Atheismus und <strong>die</strong> Ausbildung zum Dialog mit <strong>de</strong>n Nicht glauben<strong>de</strong>n“, das allen nationalen<br />

Bischofskonferenzen übergeben wor<strong>de</strong>n sei,, stecke „genau <strong>die</strong> Richtung und <strong>die</strong> Metho<strong>de</strong>n<br />

ab, mit <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Vatikan unter <strong>de</strong>n gegenwärtigen Bedingungen <strong>de</strong>s weltweiten Übergangs<br />

vom Kapitalismus zum Sozialismus gegen <strong>die</strong> Grundfesten <strong>de</strong>s Sozialismus wirken will. In<br />

<strong>de</strong>m Dokument wer<strong>de</strong> empfohlen, sich <strong>de</strong>r „Theorien <strong>de</strong>r Revision<strong>ist</strong>en“ beson<strong>de</strong>rs<br />

anzunehmen.“<br />

An <strong>die</strong>ser Stelle <strong>de</strong>s von <strong>de</strong>r HA XX erstellten Berichts, <strong>de</strong>r wie üblich durchsetzt <strong>ist</strong> von<br />

staatsi<strong>de</strong>ologischen und propagand<strong>ist</strong>isch geprägten Formeln, erschließt sich <strong>die</strong> Raffinesse<br />

<strong>de</strong>s geheim<strong>die</strong>nstlichen Vorgehens. Die beson<strong>de</strong>rs von <strong>de</strong>n „Progressiven“ im Westen<br />

gefeierten Protagon<strong>ist</strong>en <strong>de</strong>s „chr<strong>ist</strong>lich-marx<strong>ist</strong>ischen Dialogs“ sind in <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r<br />

östlichen Sicherheitsorgane nichts an<strong>de</strong>res als trojanische Pfer<strong>de</strong>, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Sozialismus<br />

intellektuell unterminieren. An<strong>de</strong>rerseits könnte man sie sich <strong>die</strong>nstbar machen, durch<br />

Infiltration, das heißt das Einschleusen o<strong>de</strong>r von geheimen Mitarbeitern o<strong>de</strong>r <strong>die</strong><br />

Verpflichtung von Angehörigen <strong>die</strong>ser Kreise.<br />

In <strong>de</strong>r Einschätzung und daraus folgen<strong>de</strong>n Ablehnung solcher Dialog-Versuche kam es zu<br />

merkwürdigen (natürlich ungewollten) Koalitionen zwischen hartleibigen Funktionären von<br />

Partei und Kirche. Diese, im Osten, sahen keinen Sinn im chr<strong>ist</strong>lich-marx<strong>ist</strong>ischen Dialog,<br />

und taten ihn ab (im Westen) als Illusion und Phantasiegebil<strong>de</strong>. Offiziell wur<strong>de</strong>n <strong>die</strong>se<br />

Experimente schließlich abgeblasen.<br />

Bis dahin traf man sich auf Symposien, führte „Streitgespräche“ etwa unter <strong>de</strong>r Überschrift<br />

„Sind Marx<strong>ist</strong>en <strong>die</strong> besseren Chr<strong>ist</strong>en?“(<strong>de</strong>r amerikanische Jesuit Quentin Lauer mit <strong>de</strong>m<br />

französischen Philosophen Roger Garaudy); Iring Fetscher und Milan Machovec gaben eine<br />

mit Sammlung von Beiträgen unter <strong>de</strong>m Titel „Marx<strong>ist</strong>en und <strong>die</strong> Sache Jesu“ heraus; <strong>de</strong>r<br />

Prager Philosoph Machovec wagte sich an ein Buch „Jesus für Athe<strong>ist</strong>en“, mit einem<br />

Geleitwort von Helmut Gollwitzer, Johannes Bapt<strong>ist</strong> Metz, einer <strong>de</strong>r Väter <strong>de</strong>r „Politischen<br />

Theologie“, schrieb im Neuen Forum über „Religion und Revolution“.<br />

Ihr Thema war nicht <strong>die</strong> vorrangig <strong>die</strong> Klage über <strong>die</strong> materielle Ausbeutung – nun auch in<br />

<strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Planwirtschaft alltägliche Erfahrungen in <strong>de</strong>n Fabrik-Kollektiven und<br />

Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften - son<strong>de</strong>rn Erniedrigung und Beleidigung<br />

<strong>de</strong>s Menschen, das „metaphysische Bedürfnis“, wie Ernst Bloch es nannte. (5)<br />

In <strong>de</strong>r Kirche riefen sie zum Dialog mit <strong>de</strong>n An<strong>de</strong>ren auf – als Lehre aus <strong>de</strong>m Versagen in <strong>de</strong>r<br />

eigenen Geschichte. „Hoffnung auf <strong>die</strong> Zukunft“ berief sich nun auf das, was „vom Besten im<br />

Chr<strong>ist</strong>entum, vom Verfolgtesten in <strong>de</strong>r Bibel verwaltet wor<strong>de</strong>n <strong>ist</strong>“. Bloch erkannte darin das<br />

athe<strong>ist</strong>ische Element im Chr<strong>ist</strong>entum, manche Chr<strong>ist</strong>en ent<strong>de</strong>ckten vielleicht das chr<strong>ist</strong>liche<br />

Element im Marxismus.<br />

Es waren nicht nur <strong>die</strong> politischen und kirchlichen Dogmatiker, <strong>die</strong> je<strong>de</strong>m Annäherungsversuch<br />

misstrauten, son<strong>de</strong>rn auch <strong>die</strong> Real<strong>ist</strong>en, <strong>die</strong> das Moskauer System hautnah zu spüren<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXVII.<br />

bekommen hatten, zeigen sich alles an<strong>de</strong>re als bege<strong>ist</strong>ert von <strong>die</strong>ser ge<strong>ist</strong>igen und moralischen<br />

Schützenhilfe aus <strong>de</strong>m Westen. Der Prager Philosoph Jan Sokol erinnert sich an <strong>de</strong>n Besuch<br />

eines west<strong>de</strong>utschen Theologen in <strong>de</strong>n 70er Jahren. „Die wollten uns etwas über <strong>de</strong>n<br />

Sozialismus erzählen.“ Es sei zum Streit gekommen. En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gesprächs.<br />

Die Staatsmacht nicht provozieren<br />

Zurück zum Protokoll <strong>de</strong>r „Beratung“ <strong>de</strong>r Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r Warschauer Pakt-Staaten<br />

von November 1975. Der dort vorgelegte Bericht aus <strong>de</strong>r Tschechoslowakei lässt für<br />

Illusionen keinen Spielraum: In <strong>de</strong>r CSSR verhalte sich <strong>die</strong> Kirche „im wesentlichen loyal.“<br />

Ihr sei „keine Möglichkeit gegeben, sich an <strong>de</strong>r staatlichen Macht zu beteiligen.“<br />

Rückblickend wird festgehalten, daß 1948, „als <strong>die</strong> reaktionären Kräfte, in <strong>die</strong> Offensive“<br />

gegangen seien, <strong>die</strong> katholische Kirche „eine große Rolle“ gespielt habe. „Nach <strong>de</strong>r<br />

Zerschlagung <strong>die</strong>ser Offensive“ sei sie isoliert gewesen. 1968/69 habe sie einige Positionen<br />

zurückgewonnen und sei bestrebt, <strong>die</strong> Staatsmacht nicht zu provozieren, um <strong>die</strong>se Positionen<br />

nicht wie<strong>de</strong>r zu verlieren. Inzwischen seien vier neue B<strong>ist</strong>ümer entstan<strong>de</strong>n (gemeint <strong>ist</strong> <strong>die</strong><br />

Ernennung und Besetzung vakanter Stühle), wobei es <strong>de</strong>m Vatikan nicht gelungen sei, seine<br />

Kandidaten als Bischöfe einzusetzen, „sie wur<strong>de</strong>n vom Staat bestimmt.“<br />

„Frie<strong>de</strong>nspriester“<br />

„Im wesentlichen loyal“ verhielten sich nicht zuletzt jene, <strong>die</strong> – vergleichbar mit <strong>de</strong>r Situation<br />

in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Staaten <strong>de</strong>s Moskauer Imperiums – von einem Jahrhun<strong>de</strong>rt-Zeitraum <strong>de</strong>r<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Lebensdauer ausgingen. Als einziger Weg, einen modus vivendi zu fin<strong>de</strong>n,<br />

blieb <strong>die</strong> Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>m Staat in gewissen Grenzen. Diese hatten <strong>die</strong> Bischöfe<br />

schon 1949 gezogen, als <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>en erste Schritte auf eine katholische Nationalkirche<br />

unternahmen, in <strong>de</strong>m sie <strong>die</strong> ihnen genehmen Kräfte unter irreführen<strong>de</strong>n Bezeichnung<br />

„<strong>Kath</strong>olische Aktion“ zu sammeln suchten in <strong>de</strong>r klaren Absicht, <strong>die</strong> „fortschrittlichen“ von<br />

<strong>de</strong>n „reaktionären“ Priestern zu trennen, <strong>de</strong>n Klerus und mithin <strong>die</strong> Kirche zu spalten. 1951<br />

wird von <strong>de</strong>r Partei <strong>de</strong>r Gesamtstaatliche Ausschuss <strong>de</strong>r katholischen Ge<strong>ist</strong>lichen, kurz:<br />

„Frie<strong>de</strong>nsbewegung <strong>de</strong>r katholischen Ge<strong>ist</strong>lichen“ ins Leben gerufen. Den Anlass bot <strong>de</strong>r<br />

Aufruf <strong>de</strong>s Ständigen Komitees <strong>de</strong>s Weltfrie<strong>de</strong>nskongresses vom 19.3. 1950 zur Ächtung <strong>de</strong>r<br />

Atomwaffen und <strong>die</strong> Unterzeichnung <strong>die</strong>ses „Stockholmer Appells“(6) durch <strong>die</strong> CSSR.<br />

Mitgliedschaft bei <strong>de</strong>n „Frie<strong>de</strong>nspriestern“ wur<strong>de</strong> als Loyalität gegenüber <strong>de</strong>m Regime<br />

gewertet.<br />

Der „Prager Frühling“ 1968 stellte <strong>die</strong> „Frie<strong>de</strong>nspriester“ zunächst ruhig, <strong>die</strong> sowjetischen<br />

Panzer been<strong>de</strong>n auch <strong>die</strong> Aktivität <strong>de</strong>r Organisation. Endgültig verstummte sie jedoch nicht,<br />

son<strong>de</strong>rn lebte 1971 wie<strong>de</strong>r auf, nun unter <strong>de</strong>r Bezeichnung „Vereinigung <strong>de</strong>r katholischen<br />

Ge<strong>ist</strong>lichen „Sdruzeni katolického duchovenstva – Pacem in terris – SKD- PIT). Sie umfasste<br />

mehrere hun<strong>de</strong>rt Mitglie<strong>de</strong>r. Ihr endgültiges En<strong>de</strong> wird durch zwei Daten markiert: 1982 wird<br />

sie unter Johannes Paul II durch <strong>die</strong> vatikanische Glaubenskongregation verboten, mit <strong>de</strong>r<br />

Folge, dass viele Priester ihre Mitgliedschaft aufgeben. 1990, als Konsequenz <strong>de</strong>r samtenen<br />

Revolution, erfolgt <strong>die</strong> Selbstauflösung.<br />

Es folgt dann ein erster Hinweis auf <strong>die</strong> geheimen Strukturen <strong>de</strong>r Schweigen<strong>de</strong>n Kirche<br />

„Ecclesia Silentii“, <strong>die</strong> aber nicht mit <strong>die</strong>ser Bezeichnung genannt wird. Es zeigten sich jetzt<br />

Anfänge einer „neuen illegalen Tätigkeit“. Dafür wür<strong>de</strong>n „alle Kräfte eingesetzt, von <strong>de</strong>nen<br />

sich <strong>de</strong>r Vatikan früher losgesagt hätte. Ausdrücklich erwähnt wer<strong>de</strong>n „illegale B<strong>ist</strong>ümer“<br />

(gemeint sind <strong>die</strong> geheimen Bischofsweihen, vielleicht auch <strong>die</strong> „Brünner Kirche“ Felix<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXVII.<br />

Davi<strong>de</strong>ks), „illegale Priester“ und „illegale Stu<strong>de</strong>ntengruppen“. Mit Hilfe „so genannter<br />

philosophischer Zirkel“ wer<strong>de</strong> insbeson<strong>de</strong>re unter <strong>de</strong>n Stu<strong>de</strong>nten und <strong>de</strong>r Intelligenz Aktivität<br />

entwickelt.“ Sie for<strong>de</strong>rten, wie aus <strong>de</strong>r Zeit von 1968, „Religionsunterricht in ihren eigenen<br />

Objekten.“<br />

Einige weitere Details: Der Vatikan habe <strong>die</strong> katholische Kirche in <strong>de</strong>r CSSR als Orientierung<br />

vorgegeben, „dass sie mit <strong>de</strong>m Sozialismus noch mehrere Jahrzehnte leben müsse.“ Im Osten<br />

<strong>de</strong>r Slowakei hätten <strong>die</strong> Bischöfe ein Informationsbüro „mit einer Kommunismus-Abteilung“<br />

eingerichtet, das Verbindung zu tschechischen Emigranten in Kanada und zur Ackermann-<br />

Gemein<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland unterhalte. 1970 seien 190.000 Bücher, zum<br />

Teil über Ungarn und Polen, eingeschleust wor<strong>de</strong>n, viele davon in russischer Sprache, um sie<br />

später in <strong>die</strong> Sowjetunion einzuschleusen. – Ob <strong>de</strong>r Bericht <strong>de</strong>s Prager StB im Detail als<br />

zutreffend o<strong>de</strong>r ungenau erwe<strong>ist</strong> – er lässt keinen Zweifel daran, wie umfassend <strong>die</strong><br />

Geheimpolizei auch über <strong>die</strong> vermeintlich geheimen kirchlichen Unternehmungen, <strong>die</strong> so<br />

genannte Untergrundkirche informiert war, in welcher Gefahr sich <strong>die</strong> Beteiligten insofern<br />

von Minute zu Minute befan<strong>de</strong>n.<br />

Zu <strong>de</strong>n Verhandlungen zwischen <strong>de</strong>r CSSR und <strong>de</strong>m Vatikan wird lapidar festgestellt, <strong>die</strong>se<br />

seien für <strong>de</strong>n Vatikan bisher „nicht angenehm“ verlaufen und Casaroli wer<strong>de</strong> kritisiert<br />

(„beschuldigt“), nichts für <strong>de</strong>n Vatikan erreicht zu haben. Die CSSR wer<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m Vatikan<br />

keine konkreten Verträge abschließen, jedoch von Rom for<strong>de</strong>rn, „<strong>die</strong> illegalen Kirchen zu<br />

beseitigen“ Schließlich: Die Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r CSSR hätten einen langfr<strong>ist</strong>igen Plan zur<br />

Bearbeitung <strong>de</strong>r katholischen Kirche, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>s Sekretariats für <strong>die</strong> Nichtglauben<strong>de</strong>n<br />

mit Kardinal König, Wien. Prag sei an einem „Erfahrungsaustausch mit <strong>de</strong>n Genossen aus <strong>de</strong>r<br />

DDR interessiert.“ Für Mitte <strong>de</strong>r 70er Jahre konnte das Fazit nur lauten: Die Tschek<strong>ist</strong>en<br />

hatten das Land zwischen Riesengebirge und Hoher Tatra wie<strong>de</strong>r vollständig unter Kontrolle.<br />

1) Hauptabteilung XX (HA XX). Aufgabenbereich: Staatsapparat, Kunst, Kultur, Kirche, Untergrund.<br />

Abteilung 4: Aufklärung, Bearbeitung und Sicherung <strong>de</strong>r Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie<br />

Unterbindung von Erscheinungsformen <strong>de</strong>r politischen Untergrundtätigkeit (im Sprachgebrauch <strong>de</strong>s MfS:<br />

„Verhin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Missbrauchs <strong>de</strong>r Kirchen“) – nach: „Organisationsstruktur <strong>de</strong>s Min<strong>ist</strong>eriums für<br />

Staatssicherheit 1989. Vorläufiger Aufriss nach <strong>de</strong>m Erkenntnisstand von Juni 1993. Reihe A. Dokumente. Nr.<br />

2/93. Hrsg.: Der Bun<strong>de</strong>sbeauftragte für <strong>die</strong> Unterlagen <strong>de</strong>s Staatssicherheits<strong>die</strong>nstes <strong>de</strong>r ehemaligen Deutschen<br />

Demokratischen Republik. Berlin. 2. Auflage 1993. Wi<strong>de</strong>rsinn <strong>die</strong>ser Dialektik: <strong>de</strong>m Regime genehme, von ihm<br />

gelenkte Organisationen, wie <strong>die</strong> CFK o<strong>de</strong>r <strong>die</strong> BK, wer<strong>de</strong>n instrumentalisiert. Aus kontroverser Sicht:<br />

„missbraucht“.<br />

2) BStU – MfS HA XX v. 13. November 1974<br />

3) BStU – MfS HA XX/4 – 289 v. 19. November 1975<br />

4) Sekretariat für <strong>die</strong> Nichtglauben<strong>de</strong>n. 1965 von Papst Paul VI. eingerichtet, als Konsequenz <strong>de</strong>s Zweiten<br />

Vatikanischen Konzils, das in „Gaudium et spes“ <strong>de</strong>n „aufrichtigen und klugen Dialog“ auch mit Athe<strong>ist</strong>en<br />

bejahte, um „gegen <strong>die</strong> Übel <strong>die</strong>ser Welt“ vorzugehen. 1967 zum Päpstlichen Rat aufgewertet (ab 1993, unter<br />

Johannes Paul II zum Päpstlichen Kulturrat erweitert, hervorgegangen aus <strong>de</strong>n Rat für <strong>die</strong> Nichtglauben<strong>de</strong>n<br />

und <strong>de</strong>m Rat für <strong>die</strong> Kultur. / Kardinal Franz König (1905-2004); von 1956-1985 Erzbischof von Wien, erster<br />

Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s Sekretariats/Rates für <strong>die</strong> Nichtglauben<strong>de</strong>n (bis 1981). Das Stasidokument vom 19. November<br />

1975 erwähnt <strong>die</strong> „Nota“ vom 24. November 1970 „Über das Studium <strong>de</strong>s Atheismus und <strong>de</strong>n Dialog mit <strong>de</strong>n<br />

Nichtglauben<strong>de</strong>n“.<br />

5) Ernst Bloch: Im Chr<strong>ist</strong>entum steckt <strong>die</strong> Revolte. „Hoffnung <strong>de</strong>r Zukunft bezeichnet <strong>de</strong>n Rayon, <strong>de</strong>r<br />

bisher….vom Besten im Chr<strong>ist</strong>entum, vom Verfolgtesten in <strong>de</strong>r Bibel verwaltet wor<strong>de</strong>n <strong>ist</strong>.“ Edition >Arche<br />

Nova


Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXVII.<br />

6) Am 19. März 1950 veröffentlichte das (kommun<strong>ist</strong>isch gelenkte) Ständige Komitee <strong>de</strong>s<br />

„Weltfrie<strong>de</strong>nskongresses“ in <strong>de</strong>r schwedischen Hauptstadt <strong>de</strong>n „Stockholmer Appell“, einen Aufruf zur Ächtung<br />

<strong>de</strong>r Nuklearwaffen angesichts <strong>de</strong>r Gefahr eines atomaren Krieges <strong>de</strong>r Supermächte. Vier Jahre nach <strong>de</strong>m<br />

amerikanischen Atombomben-Abwurf über Hiroshima und Nagasaki im August 1945 hatte <strong>die</strong> Sowjetunion ihre<br />

erste Testbombe gezün<strong>de</strong>t.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXVIII.<br />

XXVIII. Perspektivplan zur Bekämpfung <strong>de</strong>r Kirchen<br />

We<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Papst in Rom noch <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s Weltkirchenrats in Genf dirigieren<br />

Panzerdivisionen und Luftwaffen-Geschwa<strong>de</strong>r und doch gelten sie als feindliche Mächte,<br />

nicht nur aus i<strong>de</strong>ologischer Sicht, son<strong>de</strong>rn als weltanschaulich-politischer Komplex und<br />

Instrument <strong>de</strong>s westlichen Revanchismus und Imperialismus, voran <strong>die</strong> USA und <strong>de</strong>ren<br />

botmäßiger Verbün<strong>de</strong>ter, <strong>die</strong> Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland.<br />

Kein Basisdokument östlicher Geheim<strong>die</strong>nste, das auf <strong>die</strong>se Vokabeln verzichtet. Der<br />

„Klassenfeind“ mit <strong>de</strong>m Kreuzzeichen Chr<strong>ist</strong>i am Revers war also ausgemacht. Ihn zu<br />

„bekämpfen“, war Auftrag und Pflicht, wie gängig aus <strong>de</strong>m Mund von Stasi-Offizieren zu<br />

hören war.<br />

Aus <strong>de</strong>m Archiv <strong>de</strong>r HA XX/4 (<strong>de</strong>m „Kirchenreferat“ <strong>de</strong>s MfS) ein Dokument vom 19.<br />

Februar 1975: Es bezieht sich auf das Symposium, das eine Woche zuvor in Warschau<br />

„Genossen <strong>de</strong>r Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r Sowjetunion, <strong>de</strong>r VR Polen, <strong>de</strong>r CSSR, <strong>de</strong>r VR Ungarn,<br />

VR Bulgarien, <strong>de</strong>r DDR und Kubas“ versammelt hatte. (1) „Behan<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong>n Probleme <strong>de</strong>r<br />

subversiven Tätigkeit <strong>de</strong>r Kirchen und Religionsgemeinschaften gegen <strong>die</strong> sozial<strong>ist</strong>ischen<br />

Län<strong>de</strong>rn“ (Zitat aus <strong>de</strong>m Protokoll, s.a. Folge 27).<br />

Dem Bericht <strong>ist</strong>, als Ergebnis <strong>de</strong>r „Beratung“ eine „Perspektivplanung für <strong>die</strong> koordinierte<br />

Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n Sicherheitsorganen <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Staaten auf <strong>de</strong>r Linie Kirchen<br />

und Religionsgemeinschaften (Linie XX/4“ beigefügt. (2) Sie wird mit <strong>de</strong>r Behauptung<br />

begrün<strong>de</strong>t, „daß immer mehr <strong>die</strong> imperial<strong>ist</strong>ischen Kräfte versuchen, (handschriftlich<br />

nachträglich hinzugefügt; „bes. von BRD aus“), internationale kirchliche Weltorganisationen<br />

verstärkt in <strong>de</strong>n antikommun<strong>ist</strong>ischen Kampf einzubeziehen.“ Dies wer<strong>de</strong> „am <strong>de</strong>utlichsten in<br />

<strong>de</strong>r Tatsache, daß spezifische kirchliche Organisationen“ gebil<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n seien, <strong>die</strong> sich mit<br />

<strong>de</strong>m „koordinierten Vorgehen aller subversiven Aktivitäten gegen <strong>die</strong> sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r<br />

befassen.<br />

Um welche „spezifischen kirchlichen Organisationen“ es sich nach Auffassung <strong>de</strong>r östlichen<br />

Geheim<strong>die</strong>nste han<strong>de</strong>lt und um welche „politisch-klerikalen Aktivitäten gegen <strong>die</strong><br />

(nachgetragen „DDR u.a.“) sozial<strong>ist</strong>ischen Staaten“ han<strong>de</strong>lt, wird ebenfalls eingangs<br />

festgestellt: an erster Stelle „<strong>de</strong>r Vatikan, speziell das Sekretariat für <strong>die</strong> Nichtgläubigen“<br />

(richtig: „Nicht glauben<strong>de</strong>n), „mit Sitz in Wien (nachgetragen: „Kard. König (gemeint: <strong>de</strong>r<br />

Wiener Erzbischof Kardinal Franz König als Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s Sekretariats). An zweiter Stelle<br />

wird genannt „<strong>de</strong>r Weltkirchenrat, speziell <strong>die</strong> sog. Koordinierungsstelle <strong>de</strong>r Ostforschung, 2.<br />

Welt, nachträglich korrigiert in „Glaube in <strong>de</strong>r 2. Welt. (Schweiz)“<br />

Als „Angriffsrichtungen politisch-klerikaler Aktivitäten“ wer<strong>de</strong>n u.a. bezeichnet:<br />

„1. Die zielgerichtete Verbreitung imperial<strong>ist</strong>ischer I<strong>de</strong>ologien, <strong>die</strong> auf eine<br />

Massenwirksamkeit unter <strong>de</strong>r Bevölkerung in“ (nachgetragen: d. DDR u.a.) „in <strong>de</strong>n<br />

sozial<strong>ist</strong>ischen Staaten hinauslaufen, z.B. Diskussionen über sog. Menschenrechtsverletzungen<br />

in <strong>de</strong>n sozial<strong>ist</strong>ischen Staaten, Verbreitung von konvergenztheoretischen und<br />

plural<strong>ist</strong>ischen I<strong>de</strong>ologien u.a..“<br />

„2. Verstärkte Einschleusung und Verbreitung religiöser und antikommun<strong>ist</strong>ischer Schriften<br />

und Literatur.“<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXVIII.<br />

Deutlicher als in keinem westlichen Lehrbuch kann das Feindbild <strong>de</strong>s Ostens gegenüber <strong>de</strong>n<br />

chr<strong>ist</strong>lichen Kirchen nicht belegt wer<strong>de</strong>n, als mit solchen Dokumenten aus <strong>de</strong>n Stasi-Archiven<br />

<strong>de</strong>r ehemaligen DDR.<br />

Chr<strong>ist</strong>liche Organisationen im Dienst <strong>de</strong>r Stasi<br />

Aufschlussreich auch <strong>die</strong> Beschreibung <strong>de</strong>r „Hauptaufgaben“ für das „gemeinsame Vorgehen<br />

aller sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r“. Zunächst sollen „2 von <strong>de</strong>n sozial<strong>ist</strong>ischen Staaten geschaffene<br />

chr<strong>ist</strong>liche Organisationen, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>nskampf <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Staaten unterstützen“,<br />

in <strong>die</strong> Maßnahmen einbezogen wer<strong>de</strong>n. Die sind <strong>die</strong> Prager „Chr<strong>ist</strong>liche Frie<strong>de</strong>nskonferenz“<br />

und <strong>die</strong> „Berliner Konferenz katholischer Chr<strong>ist</strong>en aus sozial<strong>ist</strong>ischen Staaten“. Mit ihnen<br />

sollen „ständige multilaterale Beratungen“ zum gemeinsamen Vorgehen vorgenommen<br />

wer<strong>de</strong>n, „für <strong>die</strong> Erhöhung <strong>de</strong>r Wirksamkeit“ <strong>die</strong>ser Organisationen. – Wer <strong>die</strong>se Zeilen liest<br />

und <strong>die</strong> 70er Jahre in Erinnerung hat, <strong>de</strong>m sind gewisse Sympathien und Sympathisanten<br />

Westeuropa, <strong>die</strong> sich um intensive „Dialoge“ mit <strong>die</strong>sen Kreisen bemühten, durchaus<br />

gegenwärtig.<br />

Auf <strong>die</strong> CSSR bezogen, <strong>de</strong>m Kernthema <strong>die</strong>ser Serie, sollen mit <strong>de</strong>n „Sicherheitsorganen“<br />

(also <strong>de</strong>m StB) gemeinsame Maßnahmen „zur Aufklärung feindlicher Pläne und Absichten<br />

gegen politisch-klerikale Kräfte in <strong>de</strong>r BRD und Westberlin,…<strong>die</strong> eine verstärkte Tätigkeit<br />

zur Unterwan<strong>de</strong>rung und Störung <strong>de</strong>r „Chr<strong>ist</strong>lichen Frie<strong>de</strong>nskonferenz“ organisieren“, beraten<br />

und abgestimmt wer<strong>de</strong>n.“ In einem weiteren Arbeitspapier wird <strong>die</strong>ser Auftrag spezifiziert:<br />

„Koordinierung gemeinsamer Maßnahmen gegen Personen <strong>de</strong>r BRD, <strong>die</strong> in <strong>de</strong>r CFK“<br />

(gemeint: <strong>die</strong> Chr<strong>ist</strong>liche Frie<strong>de</strong>nskonferenz) eine Schlüsselposition einnehmen und von<br />

<strong>de</strong>nen bekannt <strong>ist</strong>, daß sie <strong>die</strong> CFK benutzen, um in <strong>de</strong>r CSSR feindlich tätig zu wer<strong>de</strong>n.“<br />

Ferner sollen gemeinsame Maßnahmen „zur operativen Kontrolle über illegale<br />

Zusammenkünfte sog. Wehr<strong>die</strong>nstverweigerer aus <strong>de</strong>r DDR und <strong>de</strong>r BRD in <strong>de</strong>r CSSR“<br />

festgelegt wer<strong>de</strong>n sowie gemeinsame Maßnahmen „gegen <strong>die</strong> Kurier“ – und<br />

Zersetzungstätigkeit <strong>de</strong>r Zentrale <strong>de</strong>r „Zeugen Jehova“ in Wiesba<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> in <strong>de</strong>r CSSR<br />

Treffen mit leiten<strong>de</strong>n Funktionären aus <strong>de</strong>r DDR organisiert.“ Der Kalte Krieg gegen<br />

Glauben und Religion richtete sich also nicht nur gegen <strong>die</strong> chr<strong>ist</strong>lichen Großkirchen. Als<br />

Termin zur Erledigung <strong>die</strong>ser „Hauptaufgaben“ wird das „III. Quartal 1975 in Berlin“<br />

vorgegeben, also <strong>die</strong> nächste gemeinsame Arbeitssitzung <strong>de</strong>r für <strong>die</strong> Überwachung und<br />

Bekämpfung <strong>de</strong>r Kirchen und Religionsgemeinschaften zuständigen Abteilungen <strong>de</strong>r<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Staatssicherheitsorgane.<br />

Eine „kirchliche Feindorganisation“<br />

Der i<strong>de</strong>ologische Kalte Krieg hat in <strong>de</strong>m Jahrzehnt nach <strong>de</strong>m Einmarsch in Prag wie<strong>de</strong>r volle<br />

Fahrt aufgenommen. Das MfS schießt sich vor allem auf <strong>die</strong> als „kirchliche<br />

Feindorganisation“ bezeichnete „Ostpriesterhilfe“ in Königstein ein. Diese Aktion verbin<strong>de</strong>t<br />

sich mit <strong>de</strong>m katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“, das in <strong>de</strong>r Nachkriegszeit von <strong>de</strong>m<br />

nie<strong>de</strong>rländischen Prämonstratenserpater Werenfried van Straaten gegrün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong> und sich<br />

im Verlauf <strong>de</strong>r Jahre wachsend auf <strong>die</strong> Kirchen in Osteuropa konzentrierte. (3)<br />

Beson<strong>de</strong>re „Aufmerksamkeit“ fin<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>n 80er Jahren <strong>de</strong>r Präfekt <strong>de</strong>r Kongregation für <strong>die</strong><br />

Glaubensverbreitung („Propaganda Fi<strong>de</strong>“), <strong>de</strong>r slowakische Kurienkardinal Josef Tomko. (4)<br />

Dieser sei für seine negative Haltung zu <strong>de</strong>n sozial<strong>ist</strong>ischen Staaten, darunter auch Ungarn<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXVIII.<br />

bekannt. In <strong>de</strong>r „Information“ <strong>de</strong>s ungarischen Nachrichten<strong>die</strong>nstes wird Tomko (wie auch<br />

Erzbischof Eduardo Somalo Martinez (5) aus <strong>de</strong>m Staatssekretariat) als mögliche Nachfolger<br />

von Kardinalstaatssekretär Sodano genannt. Bei<strong>de</strong> hielten sich an <strong>de</strong>n Kurs <strong>de</strong>s Papstes.<br />

Tomko gehöre „zum engen und vertraulichen Kreis <strong>de</strong>s Papstes.“ (Nachfolger Casarolis<br />

wur<strong>de</strong> Angelo Sodano (6). Die in Rom platzierten Agenten <strong>de</strong>r östlichen Spionage gaben<br />

wohl nicht viel mehr als <strong>die</strong> in <strong>de</strong>n italienischen Me<strong>die</strong>n sozusagen täglich gehan<strong>de</strong>lten<br />

Produkte aus <strong>de</strong>m vatikanischen Kaffeesatz weiter. Als Beleg für bestimmte „operative<br />

Maßnahmen“ ver<strong>die</strong>nen sie eine gewisse Beachtung. (7)<br />

Wien – zentraler Verkehrsknotenpunkt europäischer Wechselbeziehungen von West nach Ost<br />

und umgekehrt, Drehscheibe <strong>de</strong>r Begegnungen, Erinnerungen an <strong>die</strong> Donaumonarchie, Linien<br />

wer<strong>de</strong>n ausgezogen nach München, Paris, Rom – nach Pressburg, Prag, Berlin, Warschau,<br />

nach Budapest, Bukarest und Sofia. Schauplatz für <strong>die</strong> große Welt und für <strong>die</strong> im Dunkeln.<br />

Orson Welles spielt <strong>de</strong>n Dritten Mann. Szenarium für manchen Spionagethriller. Europäische<br />

Geschichte an je<strong>de</strong>m Platz in je<strong>de</strong>r Gasse. Auch <strong>die</strong> dunkelsten Seiten kommen ins<br />

Gedächtnis.<br />

An <strong>de</strong>r Außenfassa<strong>de</strong> links vom Eingang vom Hawelka in <strong>de</strong>r Dorotheergasse - etwas<br />

verblichener Glanz <strong>de</strong>r Wiener Literaten und Malerszene - erinnert eine Schrifttafel an Adolf<br />

Frankl, geboren 1903 in Pressburg, gestorben 1983. Zwischen <strong>die</strong>sen Jahren liegen <strong>die</strong> Jahre,<br />

in <strong>de</strong>nen sich <strong>de</strong>r Abgrund <strong>de</strong>r Hölle auftat. Frankl und seine Familie wer<strong>de</strong>n im September<br />

1944 verhaftet. Er wird zunächst in das slowakische KZ Sered eingeliefert. Zu <strong>die</strong>ser Zeit<br />

stand <strong>de</strong>r katholische Pfarrer Josf Tiso an <strong>de</strong>r Spitze eines Staates von Hitlers Gna<strong>de</strong>n. Anfang<br />

November wird er nach Auschwitz-Birkenau transportiert. Er überlebt in <strong>de</strong>r Typhus-Baracke<br />

<strong>de</strong>s Außenlagers Stará Kuznia (Althammer). Die Bil<strong>de</strong>r, <strong>die</strong> sich ihm eingebrannt haben, er<br />

muss sie malen. Es sind Gefühlsausbrüche. „Visionen aus <strong>de</strong>m Inferno – Kunst gegen das<br />

Vergessen“. Er habe mit seinen Werken „allen Völkern <strong>die</strong>ser Welt ein Mahnmal gesetzt. Es<br />

soll nieman<strong>de</strong>m, egal welche Religion, Rasse o<strong>de</strong>r politische Anschauung er vertritt, <strong>die</strong>ses<br />

o<strong>de</strong>r ähnliches wi<strong>de</strong>rfahren“.<br />

Sowjetische Truppen hatten Auschwitz befreit. Fortan bestimmte Moskau <strong>de</strong>n Kurs in <strong>de</strong>n<br />

befreiten Län<strong>de</strong>rn weiter geht. Frankl, <strong>de</strong>r zunächst in seine Heimatstadt Pressburg<br />

zurückgekehrt war, verließ 1949, ein Jahr nach <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Machtübernahme, sein<br />

Vaterland, emigrierte zunächst nach Wien.<br />

„Kundschafter“ in <strong>de</strong>r Soutane<br />

Wien 2008: Im Stadtheurigen zu <strong>de</strong>n Zwölf Aposteln freut sich <strong>die</strong> Kellnerin über <strong>die</strong> Frage<br />

nach ihrer Herkunft. Aus Rumänien sei sie, aus Siebenbürgen. Vom Nebentisch sind<br />

tschechische Stimmen vernehmbar. An <strong>de</strong>n Donaubrücken machen Fahrgastschiffe,<br />

schwimmen<strong>de</strong> Hotels unter ukrainischer und bulgarischer Flagge fest. Im Prater pre<strong>ist</strong> ein<br />

Lokal seine kroatische Spezialitäten an. Böhmisches Bier, Budapester Wurst. Die<br />

Donaumonarchie lässt grüssen. In Grinzing, im Heurigen, spielen Geige und Akkor<strong>de</strong>on zum<br />

wie<strong>de</strong>rholten Mal das Lied vom Dritten Mann.<br />

Zufallsbegegnung auf <strong>de</strong>m Heimweg. Ja, man erinnere sich. Da sei ein katholischer Priester<br />

aus Tschechien nach Wien gekommen. En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 70er Jahre müsse das gewesen sein. Man<br />

habe sich schon gewun<strong>de</strong>rt, weil man irgendwie gehört hatte, dass <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>en mit <strong>de</strong>r<br />

Kirche nicht gera<strong>de</strong> sanft umgesprungen seien. Ein österreichischer Diplomat habe sich wohl<br />

für <strong>de</strong>n ge<strong>ist</strong>lichen Herrn verbürgt. Dieser habe ein auffallen<strong>de</strong>s Interesse für einen Wiener<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXVIII.<br />

Arzt gezeigt, <strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rum mit einem Mediziner aus Afghan<strong>ist</strong>an bekannt war. Einen Reim<br />

habe man sich zunächst nicht daraus machen können. Wer wäre schon auf <strong>die</strong> I<strong>de</strong>e gekommen,<br />

dass etwa „<strong>die</strong> Russen“, <strong>die</strong> ja gera<strong>de</strong> am Hindukusch stan<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n tschechischen<br />

Geheim<strong>die</strong>nstgenossen einen Auftrag erteilt haben könnten, sich in Wiener Exilgruppen<br />

umzuhören, zum Beispiel unter dort leben<strong>de</strong>n Afghanen.<br />

Nun ja, <strong>de</strong>r ge<strong>ist</strong>liche Herr hätte vielleicht ein solcher „Kundschafter“, o<strong>de</strong>r sagen wir besser<br />

Auskundschafter, sein können. Leicht anzuwerben, zumal ihm ein amouröses Verhältnis<br />

nachgesagt wor<strong>de</strong>n sei. Aber nichts Genaues wisse man nicht. Ein Dutzendschicksal,<br />

vielleicht: Hochwür<strong>de</strong>n hatte sich o<strong>de</strong>r war <strong>de</strong>r Stasi ausgeliefert. Deutlicher tritt <strong>die</strong>s in <strong>de</strong>r<br />

Geschichte <strong>de</strong>s Salesianerpaters M. zutage, einem Seelsorger <strong>de</strong>r Tschechen in <strong>de</strong>r<br />

Donaumetropole.<br />

Eines Tages habe ihm ein Informant <strong>die</strong> Warnung „gesteckt“, er möge auf <strong>de</strong>r Hut sein, <strong>de</strong>nn<br />

<strong>de</strong>r Geheim<strong>die</strong>nst wolle ihn entführen, erzählt einer, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Sache etwas genauer kennt. Der<br />

Mitbru<strong>de</strong>r sei eigentlich ein „lieber Mensch“ gewesen und habe Wien völlig verängstigt<br />

verlassen, sei in <strong>die</strong> USA ausgewan<strong>de</strong>rt mit endgültigem Abschied aus <strong>de</strong>r<br />

Or<strong>de</strong>nsgemeinschaft.<br />

Aus an<strong>de</strong>rem Holz war da wohl Pater B. geschnitzt. Er leitete <strong>die</strong> Gemein<strong>de</strong> <strong>de</strong>r tschechischen<br />

<strong>Kath</strong>oliken in Wien. Es sei aufgefallen, über welche Geldmittel er gelegentlich verfügte. Auch<br />

seine häufigen Heimreisen in <strong>die</strong> Tschechoslowakei seien nicht unbemerkt geblieben, weil<br />

aus <strong>de</strong>m Rahmen <strong>de</strong>r üblichen Besuchsreisen für <strong>die</strong> man nur unter Mühen eine Einreise- und<br />

Aufenthaltsgenehmigung erhielt. Weitergehen<strong>de</strong>n Verdacht schöpften seine Konfratres<br />

allerdings nicht. Erst nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong> kam heraus, dass er für <strong>de</strong>n kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Geheim<strong>die</strong>nst spioniert haben soll. Einzelheiten? Lei<strong>de</strong>r nein. Nur soviel: „Er war ein<br />

großes Übel.<br />

Alles <strong>ist</strong> schon lange her, aber nicht vergessen. Nicht <strong>die</strong> Geschichte <strong>de</strong>r drei Geschw<strong>ist</strong>er, <strong>de</strong>r<br />

zwei Or<strong>de</strong>nfrauen und ihrem Bru<strong>de</strong>r, einem Or<strong>de</strong>nspriester. Sie verbrachten viele Jahre in <strong>de</strong>r<br />

Ostasien-Mission in Japan und Taiwan. Auf ihre alten Tage, sie hatten <strong>die</strong> 80 überschritten,<br />

wollten sie noch einmal ihre Heimat in Mähren besuchen. Kaum hatten sie <strong>die</strong> Passkontrolle<br />

passiert wur<strong>de</strong>n sie von Grenzposten festgehalten. Es wur<strong>de</strong> ihnen vorgeworfen, Rosenkränze<br />

und Gebetbücher mitzuführen. Alles sei ihnen abgenommen wor<strong>de</strong>n. Anschließend habe man<br />

sie für <strong>die</strong>ses „Verbrechen“ eingesperrt. Ein an<strong>de</strong>rer Mitbru<strong>de</strong>r, so erinnert sich ein Wiener<br />

Salesianerpater, habe sich „drüben“ in <strong>de</strong>r Jugendarbeit engagiert. Eben ein „Don Giovanni<br />

Bosco“ unserer Tage, ein tapferer Nachfolger <strong>de</strong>s Turiner Patrons <strong>de</strong>r Kongregation. Die<br />

Quittung für <strong>de</strong>n Or<strong>de</strong>nsmann, nach<strong>de</strong>m <strong>die</strong> Stasi ihn wie<strong>de</strong>r einmal beobachtet hatte, wie er<br />

mit Jugendlichen unterwegs war: drei Jahre Gefängnis.<br />

1) BStU – MfS/ HA XX/4 – 289 – Beratung von Vertretern <strong>de</strong>r Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r Sowjetunion, <strong>de</strong>r VR Polen,<br />

<strong>de</strong>r CSSR, <strong>de</strong>r VR Ungarn, <strong>de</strong>r VR Bulgarien, <strong>de</strong>r DDR und Kubas vom 11. bis 14. 2. 1975 in Warschau. Berlin,<br />

<strong>de</strong>n 19. Februar 1975. (VR = Volksrepublik).<br />

2) BStU –MfS HA XX/4 – 289 – Perspektivplanung für <strong>die</strong> koordinierte Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n<br />

Sicherheitsorganen <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Staaten auf <strong>de</strong>r Linie Kirchen und Religionsgemeinschaften (Linie XX/4),<br />

Hauptabeilung XX, Berlin, <strong>de</strong>n 19. Februar 1975.<br />

3) BStU –MfS HA XX / 16922 / Abteilung X v. 14. 02. 85 / X/9143/85<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXVIII.<br />

4) Jozef Tomko (Jg. 1924), von 1950 bis 1965 Vize-Rektor <strong>de</strong>s Päpstlichen Kollegs „Nepomucenum“ für<br />

Tschechen und Slowaken. Ab 1962 Verwendung in verschie<strong>de</strong>nen vatikanischen Dikasterien (Kongregation für<br />

<strong>die</strong> Glaubenslehre, Kongregation für <strong>die</strong> Bischöfe, Generalsekretär <strong>de</strong>r Weltbischofs-Syno<strong>de</strong>n), Dozent an<br />

kirchlichen Universitäten in Rom, auf zahlreichen Auslandsmissionen für <strong>de</strong>n Apostolischen Stuhl, am 25. Mai<br />

1985 zum Kardinal ernannt. Im selben Jahr (bis 2001) Präfekt <strong>de</strong>r Kongregation für <strong>die</strong> Evangelisierung <strong>de</strong>r<br />

Völker.<br />

5) Eduardo Somalo Martinez (Jg. 1927). emeritierter spanischer Kurienkardinal, 1979 Substitut (Leiter <strong>de</strong>r 1.<br />

Abteilung <strong>de</strong>s Staatssekretariats), 1988 Kardinal und bis 1992 Präfekt vatikanischer Kongregationen<br />

(Gottes<strong>die</strong>nste, Institute geweihten Lebens). 1993 Camerlengo (Kardinalkämmerer)<br />

6) Angelo Sodano (Jg. 1927), emeritierter italienischer Kurienkardinal, ab 1968 in Diensten <strong>de</strong>s<br />

Staatssekretariats, 1977 bis 1988 Apostolischer Nuntius in Chile (umstrittene Rolle während <strong>de</strong>r Pinochet-<br />

Militärdiktatur), 1990 Pro-Sekretär, 1991 Kardinal und (bis 2006) Staatssekretär Seiner Heiligkeit.<br />

7) BStU – MfS HA Xx / 16922 / Abteilung X v. 12.12. 85 / X/9787/85<br />

Mut zur <strong>Wahrheit</strong>: Vaclav Havel – Johannes Paul II.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXIX.<br />

XXIX. Die „Firma“ war kein Spass<br />

Was manchen Zeitgenossen beson<strong>de</strong>rs witzig zu sein scheint, lässt bei an<strong>de</strong>ren das Lachen<br />

gefrieren. So geschehen durch eine Zeitungsmeldung aus Berlin wonach <strong>die</strong> Besitzer einer<br />

„Kneipe“ in <strong>de</strong>r Normannenstrasse ihr Lokal mit Memorabilia aus <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r Stasi-<br />

Herrschaft <strong>de</strong>korierten. Über einem Fenster <strong>de</strong>r Spruch „Kommen Sie zu uns – sonst kommen<br />

wir zu Ihnen“, daneben ein Zeichen, das <strong>de</strong>m Emblem <strong>de</strong>s Min<strong>ist</strong>eriums für Staatssicherheit<br />

nachempfun<strong>de</strong>n <strong>ist</strong>, mit <strong>de</strong>r Umschrift „Min<strong>ist</strong>erium für Horch und Guck“. Die Absicht sollte<br />

klar erkennbar sein, auch <strong>die</strong> Ironie in <strong>die</strong>sem Possenspiel, unter Anspielung auf <strong>die</strong><br />

Örtlichkeit. Von <strong>de</strong>r Normannenstrasse aus dirigierte Armeegeneral Erich Mielke sein<br />

Hun<strong>de</strong>rtausendmann-Heer von Agenten und „Inoffiziellen Mitarbeitern“.<br />

Die geschäftstüchtig erfin<strong>de</strong>rischen Gastronomen gaben ihrem Ausschank <strong>de</strong>n anzüglichen<br />

Namen „Der konspirative Treff – Zur Firma“. Den Spitznamen haben sie <strong>de</strong>m Volksmund<br />

abgehört. Was sich hinter <strong>die</strong>ser Bezeichnung verbarg, fan<strong>de</strong>n „DDR-Bürger“ vor nicht allzu<br />

langer Zeit alles an<strong>de</strong>re als spaßig. – Einer <strong>de</strong>r Wirte <strong>die</strong>ser „Kneipe“ wird mit <strong>de</strong>r<br />

erstaunlichen Wissensbekundung zitiert: <strong>die</strong> Staatssicherheit sei „im En<strong>de</strong>ffekt ein<br />

Geheim<strong>die</strong>nst, genau wie <strong>de</strong>r BND o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Mossad“ – ein Vergleich also mit <strong>de</strong>m<br />

bun<strong>de</strong>s<strong>de</strong>utschen und <strong>de</strong>m israelischen Geheim<strong>die</strong>nst. Den sowjetischen KGB, <strong>de</strong>n<br />

polnischen SB, <strong>de</strong>n tschechoslowakischen StB, <strong>de</strong>n bulgarischen DS und an<strong>de</strong>re<br />

„sozial<strong>ist</strong>ische Staatssicherheitsorgane“ hielt er, <strong>de</strong>r Meldung zufolge, offenbar nicht für<br />

erwähnenswert. (1)<br />

Drei Jahrzehnte zurückgeblen<strong>de</strong>t, sozusagen „mitten im Kalten Krieg“: In Prag kommt es<br />

vom 26. bis 29. September 1977 zu einer „Internationalen Beratung von Vertretern <strong>de</strong>r<br />

befreun<strong>de</strong>ten Abwehrorgane zu Fragen <strong>de</strong>r Chr<strong>ist</strong>lichen Frie<strong>de</strong>nskonferenz, zum Vatikan und<br />

zur Berliner Konferenz.“ (2) In seiner „Begrüßungsansprache“ pre<strong>ist</strong> <strong>de</strong>r 1. Stellvertreter <strong>de</strong>s<br />

Min<strong>ist</strong>ers <strong>de</strong>s Innern <strong>de</strong>r CSSR, Generalmajor Ing. Jan Hanuljak pflichtschuldig und in<br />

höchsten Tönen zunächst <strong>de</strong>n 60. Jahrestag „<strong>de</strong>s Sieges <strong>de</strong>r Großen Sozial<strong>ist</strong>ischen<br />

Oktoberrevolution“ als einen „Sieg <strong>de</strong>r Arbeiterklasse, <strong>de</strong>n Sieg <strong>de</strong>s Marxismus-Leninismus,<br />

<strong>de</strong>n Sieg einer neuen Etappe <strong>de</strong>r Menschheit – <strong>de</strong>m Sozialismus und Kommunismus, <strong>de</strong>m <strong>die</strong><br />

Völker <strong>de</strong>r ganzen Welt entgegenstreben.“<br />

Tschek<strong>ist</strong>en bekämpfen <strong>die</strong> Kirche<br />

Im weiteren Verlauf folgt dann das übliche Einschwören <strong>de</strong>r „sozial<strong>ist</strong>ischen<br />

Sicherheitsorgane“, wenn Hanuljak unterstreicht: „Eine vorrangige Aufgabe aller<br />

Kommun<strong>ist</strong>en, beson<strong>de</strong>rs von uns Tschek<strong>ist</strong>en, muss <strong>die</strong> allseitige und aktive Gewährle<strong>ist</strong>ung<br />

<strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>nspolitik sein, wie das im Programm <strong>de</strong>s XXV. Parteitages <strong>de</strong>r KPdSU gesagt wird,<br />

ein Beschluss, <strong>de</strong>m sich alle Bru<strong>de</strong>rparteien angeschlossen haben.“ Damit dann auch<br />

klargestellt, in welchem Ge<strong>ist</strong> und unter welchem Kommando <strong>die</strong> Nachrichten<strong>die</strong>nste und <strong>die</strong><br />

Geheimpolizei <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Allianz operieren. Folgerichtig benennt <strong>de</strong>r Redner <strong>de</strong>n<br />

Feind, <strong>de</strong>s es im Sprachgebrauch <strong>de</strong>r Tschek<strong>ist</strong>en zu „bekämpfen“ gilt: „Der Vatikan, <strong>de</strong>r<br />

Weltkirchenrat und an<strong>de</strong>re kirchliche Zentren, wer<strong>de</strong>n sich nie mit <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen<br />

Wirklichkeit abfin<strong>de</strong>n können. Für <strong>de</strong>n Aufklärungsapparat <strong>de</strong>r kapital<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r wird<br />

<strong>die</strong> Kirche im Kampf gegen <strong>die</strong> sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn auch weiterhin einen be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n<br />

Platz einnehmen, sie bil<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Basis auf <strong>die</strong> sich <strong>die</strong> religiös-fanatischen Vertreter im Kampf<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXIX.<br />

gegen das eigene Volk und <strong>die</strong> sozial<strong>ist</strong>ischen Gesellschaft stützen und <strong>die</strong> sie ausnutzen.“<br />

Die Diktion <strong>ist</strong> ebenso ein<strong>de</strong>utig wie militant: Der Vatikan als Bündnispartner <strong>de</strong>s westlichen<br />

Imperialismus.<br />

Auf <strong>die</strong> Arbeit <strong>de</strong>s eigenen „Aufklärungsapparats“ zu sprechen kommend, versichert <strong>de</strong>r<br />

Min<strong>ist</strong>er in einem Bandwurmsatz: „Die tschechoslowakischen Abwehrorgane wer<strong>de</strong>n nach<br />

einer Analyse <strong>de</strong>r zur Verfügung stehen<strong>de</strong>n Materialien über <strong>die</strong> Tätigkeit <strong>de</strong>r westlichen<br />

i<strong>de</strong>ologischen Diversions- und Aufklärungszentren, <strong>die</strong> bemüht sind, wie zu sehen <strong>ist</strong>, <strong>die</strong><br />

CFK“ (gemeint <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Prager Chr<strong>ist</strong>liche Frie<strong>de</strong>nskonferenz) „ für ihre subversiven Ziele<br />

auszunutzen, Maßnahmen treffen, um in <strong>de</strong>r Perio<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Vorbereitung und Durchführung <strong>de</strong>r<br />

5. Allchr<strong>ist</strong>lichen Frie<strong>de</strong>nskonferenz <strong>die</strong> Möglichkeit zu schaffen, eine neue Leitung <strong>de</strong>r CFK<br />

zu wählen und ein neues Arbeitsprogramm anzunehmen, das <strong>de</strong>n Interessen <strong>de</strong>r<br />

sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn und <strong>de</strong>r progressiven Kirchenbewegung entspricht.“ (Ob wörtliche<br />

Übersetzung o<strong>de</strong>r ein Kunstwerk <strong>de</strong>s Dolmetschers, bei<strong>de</strong>s entsprach wohl <strong>de</strong>m üblichen<br />

Parteichinesisch).<br />

Beim nächsten Satz dürften <strong>die</strong> Funktionäre aufgewacht sein. „Wir dürfen nicht zulassen, daß<br />

<strong>die</strong> Spezial<strong>die</strong>nste <strong>de</strong>s Gegners, <strong>de</strong>s Vatikans und an<strong>de</strong>rer reaktionärer Kirchenkreise,<br />

versuchen, <strong>die</strong> CFK zu subversiven Aktionen gegen <strong>die</strong> sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r und <strong>die</strong><br />

progressiven Kräfte in <strong>de</strong>r Welt auszunutzen.“ Man wusste, <strong>die</strong> Prager Genossen, stan<strong>de</strong>n<br />

ganz vorn, wenn es gegen <strong>die</strong> Kirche ging. „Es wäre wünschenswert“, so <strong>de</strong>r Stasi-Min<strong>ist</strong>er,<br />

„<strong>die</strong> Situation im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r so genannten Ostpolitik <strong>de</strong>s Vatikans zu erörtern<br />

und zu untersuchen und gemeinsame Maßnahmen, <strong>die</strong> gegen <strong>de</strong>n Vatikan gerichtet sind, zu<br />

vereinbaren.“ Das war <strong>de</strong>utlich genug.<br />

In seinem Schlusswort zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r „Beratungen“ legte Hanuljak noch einmal nach: „Der<br />

effektive Kampf gegen <strong>die</strong> Übergriffe <strong>de</strong>r Kirchen, <strong>die</strong> religiösen Vereinigungen und<br />

ausländischen Zentren, welche gegen unsere Län<strong>de</strong>r auftreten“, wer<strong>de</strong> immer aktueller. Denn:<br />

„Gegenwärtig entwickeln sich <strong>die</strong> Kirchen zu einer <strong>de</strong>r Hauptbasen <strong>de</strong>s i<strong>de</strong>ologischen<br />

Kampfes in <strong>de</strong>n sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn. Der Feind beabsichtigt <strong>die</strong> Kirchen zur<br />

Konzentration <strong>de</strong>r antisozial<strong>ist</strong>ischen Kräfte auszunutzen, um auf <strong>die</strong>ser legalen Grundlage<br />

Bedingungen für das Auftreten oppositioneller Gruppierungen zum Zwecke <strong>de</strong>s Kampfes<br />

gegen <strong>de</strong>n Sozialismus-Leninimus und unsere kommun<strong>ist</strong>ischen – und Arbeiterparteien zu<br />

schaffen.“ (Eine ausführliche Zitierung solcher Erklärungen scheint angebraucht, um <strong>die</strong>se<br />

Phase <strong>de</strong>s antikirchlichen Kalten Krieges in Erinnerung zu bringen.)<br />

Prag – Wenzelsplatz: Erinnerungen. Ge<strong>de</strong>nkstätte für <strong>de</strong>n Stu<strong>de</strong>nten Jan Palach, <strong>de</strong>r mit seiner<br />

Selbstverbrennung am 16. Januar 1969 (er starb drei Tage später) ein Zeichen gegen <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r<br />

Sowjetunion befohlenen Einmarsch in seine Heimat setzen wollte. (linkes Bild). Den Sieg <strong>de</strong>r<br />

Freiheit brachte <strong>die</strong> Samtene Revolution im November 1989. © Fotos: Werner Kaltefleiter<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXIX.<br />

„Angriffe <strong>de</strong>s Fein<strong>de</strong>s“ sind <strong>de</strong>m Prager Min<strong>ist</strong>er zufolge, wenn im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r<br />

„Verteidigung <strong>de</strong>r Rechte und Freiheiten <strong>de</strong>s Menschen“ auf <strong>die</strong> „Einschränkung <strong>de</strong>r so<br />

genannten „religiösen Freiheit“ hingewiesen wer<strong>de</strong>. Dies gelte auch für „<strong>die</strong> Verbreitung <strong>de</strong>r<br />

religiösen I<strong>de</strong>ologie unter Anwendung immer breiterer Formen <strong>de</strong>r praktischen Tätigkeit, um<br />

Konfliktsituationen zu schaffen, <strong>die</strong> einer <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong> für i<strong>de</strong>ologische Zusammenstöße sind.“<br />

„Reaktionäre und antisozial<strong>ist</strong>ische Kräfte“, aber auch „feindliche Nachrichten-, Emigranten<br />

und sog. Dissi<strong>de</strong>ntenzentren versammeln sich in <strong>die</strong>sem von Prager Staatssicherheitsmin<strong>ist</strong>er<br />

gezeichneten Feindbild. Darum könne man sagen, „dass in <strong>de</strong>r Zukunft <strong>die</strong> Kirchenproblematik<br />

noch mehr in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund unserer abwehrmäßigen Maßnahmen im Kampf<br />

gegen <strong>die</strong> i<strong>de</strong>ologische Diversion, <strong>die</strong> von ausländischen Zentren und inneren antisozial<strong>ist</strong>isch<br />

eingestellten Elementen gegen unsere Län<strong>de</strong>r geführt wird, rückt.“<br />

Ausführlich widmet sich Min<strong>ist</strong>er Hanuljak abschließend <strong>de</strong>m Vatikan. Es sei eine positive<br />

Seite <strong>de</strong>r Tagung, „daß in allen Re<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Delegationsleiter Einstimmigkeit über<br />

Betrachtungsweise und Einschätzung <strong>de</strong>r gegenwärtigen so genannten „Ostpolitik“ <strong>de</strong>s<br />

Vatikans zu bemerken war“. Unter Beachtung <strong>de</strong>r konkreten Bedingungen „in je<strong>de</strong>m unserer<br />

Län<strong>de</strong>r“ sei es notwendig, <strong>de</strong>n Vatikan auch weiterhin als eines <strong>de</strong>r feindlichen Hauptzentren<br />

auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ologie, als eine starke i<strong>de</strong>ologisch-theoretische Organisation im Kampf<br />

gegen <strong>de</strong>n Marxismus-Leninismus, <strong>die</strong> man niemals unterstützen darf, anzusehen.“<br />

Im Ostblock kein Aggiornamento<br />

Man dürfe sich niemals von <strong>de</strong>m vom Vatikan verkün<strong>de</strong>ten „Aggiornamento“ (3), das vom<br />

Ge<strong>ist</strong> <strong>de</strong>s Antikommunismus durchdrungen sei, in <strong>die</strong> Irre führen lassen. Dies habe „<strong>die</strong><br />

Praxis unserer Arbeit“, aber auch <strong>de</strong>r Verlauf <strong>de</strong>r Tagung gezeigt. Der Vatikan richte seine<br />

Tätigkeit gegen <strong>die</strong> sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r und ihre kommun<strong>ist</strong>ischen Parteien, „unter <strong>de</strong>ren<br />

Führung <strong>die</strong> Völker unserer Län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Sozialismus aufbauen.“ Die Phraseologie <strong>de</strong>s<br />

Min<strong>ist</strong>er-Funktionärs will nicht en<strong>de</strong>n. Es geht weiter im Text: Den Vatikan dürfe man nicht<br />

als neutrale Kraft in <strong>de</strong>r gegenwärtigen Welt betrachten. Gegen <strong>de</strong>n Vatikan müsse „ein<br />

pausenloser aktiver Kampf geführt wer<strong>de</strong>n. „Damit erfüllen wir <strong>die</strong> Politik unserer Parteien<br />

mit Leben.“<br />

„Die Praxis zeigt“, fährt <strong>de</strong>r Redner fort, „wie <strong>de</strong>r Vatikan seine Beziehungen zu <strong>de</strong>n<br />

einzelnen sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn differenziert gestaltet und bestrebt <strong>ist</strong> dort einzudringen.“<br />

„Bei <strong>de</strong>r Betrachtung <strong>de</strong>r Politik und Taktik <strong>de</strong>s Vatikans bezüglich <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen<br />

Län<strong>de</strong>r“ müsse von <strong>de</strong>r „Einschätzung <strong>de</strong>r allgemeinen Weltlage, von <strong>de</strong>r Handlungsrichtung<br />

und Aktivität <strong>de</strong>r feindlichen und reaktionären Kräfte, <strong>die</strong> vom Weltimperialismus und<br />

fasch<strong>ist</strong>ischen Elementen unterstützt wer<strong>de</strong>n“, ausgegangen wer<strong>de</strong>n. Der Vatikan bleibe auch<br />

weiterhin in je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r „Zentrum <strong>de</strong>r Schwierigkeiten und<br />

Hauptrichtung in <strong>de</strong>r abwehrmässigen Arbeit“. Es dürfe nicht zugelassen wer<strong>de</strong>n, daß <strong>de</strong>r<br />

Vatikan ein sozial<strong>ist</strong>isches Land gegen ein an<strong>de</strong>rs ausspiele. Der Redner schließt <strong>die</strong>ses<br />

Kapitel mit <strong>de</strong>r Auffor<strong>de</strong>rung: „Unsere Kräfte im Kampf mit <strong>de</strong>m Vatikan müssen auf <strong>de</strong>r<br />

Basis <strong>de</strong>r internationalen Einheit und gemeinsamer Maßnahmen in Übereinstimmung mit <strong>de</strong>r<br />

Politik unserer Parteien vermehrt wer<strong>de</strong>n.“<br />

Im Oktober 1988 trafen sich in Warschau wie<strong>de</strong>r einmal Staatssicherheitsoffiziere zu einer<br />

„multilateralen Beratung <strong>de</strong>r Bru<strong>de</strong>rorgane“ zu Fragen „auf <strong>de</strong>r Linie Kirchen“. Einziger<br />

Tagesordnungspunkt : „Die Ostpolitik <strong>de</strong>s Vatikans und <strong>die</strong> sich daraus ergeben<strong>de</strong>n<br />

politischoperativen Aufgaben“. (4) An <strong>de</strong>r Besprechung nehmen ranghohe Militärs teil,<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXIX.<br />

ass<strong>ist</strong>iert von ihren Kirchenspezial<strong>ist</strong>en, Es sind Führungska<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Auslandsnachrichten<strong>die</strong>nste (Aufklärung und Abwehr) aus Bulgarien, <strong>de</strong>r CSSR, <strong>de</strong>r DDR,<br />

Kuba, Ungarn, <strong>de</strong>r Sowjetunion, Polen, und Vietnam und <strong>de</strong>r DDR. Als Gastgeber fungiert<br />

<strong>de</strong>r für <strong>die</strong> Staatssicherheit zuständige polnische Stellvertreten<strong>de</strong> Innenmin<strong>ist</strong>er,<br />

Briga<strong>de</strong>general Dankowski. Die einzelnen Delegationen berichten im Rahmen eines<br />

Symposiums; <strong>de</strong>r „Extrakt“ <strong>de</strong>r Vorträge (ausgenommen <strong>de</strong>r Wortlaut <strong>de</strong>s Beitrages <strong>de</strong>r<br />

DDR) wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Hauptabteilung XX <strong>de</strong>s MfS in einem mehrseitigen Protokoll<br />

zusammengefasst.<br />

Das Symposium fin<strong>de</strong> zu einem Zeitpunkt <strong>de</strong>s Entspannungsprozesses statt, tragen <strong>die</strong><br />

gastgeben<strong>de</strong>n Polen zunächst vor. Dabei heben sie <strong>die</strong> „Frie<strong>de</strong>nspolitik <strong>de</strong>r Sowjetunion“ und<br />

<strong>de</strong>n „tiefgreifen<strong>de</strong>n Wandlungsprozess in <strong>de</strong>r UdSSR und <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren sozial<strong>ist</strong>ischen<br />

Län<strong>de</strong>rn“ hervor. Diese Entwicklung gelte das „lebhafte Interesse <strong>de</strong>s Vatikans.“. Der Papst<br />

wie<strong>de</strong>rum „habe wesentliche Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>n vatikanischen Strukturen herbeigeführt.<br />

Die internationale Stellung <strong>de</strong>s Vatikans sei wesentlich gewachsen und spiele ein zentrale<br />

politische rolle. Bemerkenswert sei <strong>die</strong> moralische Autorität <strong>de</strong>s Papstes, <strong>die</strong><br />

gesellschaftspolitische Doktrin <strong>de</strong>s Vatikans und <strong>die</strong> universale Diplomatie. Dem offensiven<br />

Charakter und <strong>de</strong>n globalen Interessen <strong>de</strong>s Vatikans untergeordnet <strong>ist</strong> seine Zielstellung, <strong>die</strong><br />

Welt zu evangelisieren.“ Soweit das Zitat bis zu dahin eher mo<strong>de</strong>raten Ausführungen, <strong>die</strong><br />

auch in einem Dossier westlicher Dienste gestan<strong>de</strong>n haben könnten.<br />

Weniger verständnisvoll gehen <strong>die</strong> Staatsschützer mit ihrem Landsmann auf <strong>de</strong>m Papstthron<br />

in <strong>de</strong>n nachfolgen<strong>de</strong>n Zeilen um: Der Sozialismus wer<strong>de</strong> als nicht humane Doktrin<br />

beschuldigt, das Volkseigentum an <strong>de</strong>n Produktionsmitteln wer<strong>de</strong> abgelehnt und vom Vatikan<br />

wür<strong>de</strong>n „antisozial<strong>ist</strong>ische Äußerungen gegen <strong>die</strong> sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>r mit reform<strong>ist</strong>ischen<br />

und aggressiven Aspekten entsprechend <strong>de</strong>r internationalen Situation versehen.“<br />

Die Ostpolitik <strong>de</strong>s Vatikans sei „keine Regelung eines Papstes, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Vatikanpolitik.<br />

Das Verhältnis Kirche-Marxismus-Leninismus sei kompromisslos gestaltet, sei <strong>die</strong><br />

Grundfrage <strong>de</strong>r Ostpolitik <strong>de</strong>s Vatikans Für <strong>die</strong> Kirche sei <strong>die</strong> i<strong>de</strong>ologische Selbständigkeit in<br />

<strong>de</strong>n sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn zu bewahren, <strong>die</strong> in <strong>de</strong>n kapital<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn nicht gefähr<strong>de</strong>t<br />

sei. Daher führe <strong>die</strong> Kirche zu Bewahrung <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ologischen Selbständigkeit einen ständigen<br />

i<strong>de</strong>ologischen Kampf in <strong>de</strong>n sozial<strong>ist</strong>ischen Län<strong>de</strong>rn und gegen sie mit <strong>de</strong>m Ziel, eine<br />

Zunahme <strong>de</strong>r Kraft, Stärke und Anzahl <strong>de</strong>r Kirchen zu erreichen und das Prestige, das<br />

internationale Niveau und das Bewusstsein <strong>de</strong>r Völker zu <strong>de</strong>n Kirchen zu erhöhen. (Soweit<br />

ein Auszug aus <strong>de</strong>m polnischen Re<strong>de</strong>beitrag, mit leicht verän<strong>de</strong>rter Syntax, jedoch unter<br />

Beibehaltung <strong>de</strong>r Diktion und <strong>de</strong>s Vokabulars übernommen.)<br />

Der Beitrag <strong>de</strong>s tschechoslowakischen Nachrichten<strong>die</strong>nstes war in schärfer kämpferischem<br />

Ton gehalten und konzentrierte sich vor allem auf chr<strong>ist</strong>liche Gruppierungen und <strong>de</strong>ren vor<br />

<strong>de</strong>n Sicherheitsorganen geheim gehaltene Aktivitäten. Einleitend behauptete <strong>de</strong>r Referent,<br />

„<strong>die</strong> Verän<strong>de</strong>rungen und <strong>die</strong> Demokratisierung <strong>de</strong>s Lebens“ wer<strong>de</strong> „vom Feind zur<br />

Destabilisierung <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen Verhältnisse genutzt, wobei er sich auf <strong>die</strong> katholische<br />

Kirche stützt“. Dabei gebe es zwei Ten<strong>de</strong>nzen:<br />

1. Unterstützung antisozial<strong>ist</strong>ischer Kräfte, <strong>de</strong>ren Ziel <strong>die</strong> Liqui<strong>die</strong>rung <strong>de</strong>s Sozialismus<br />

<strong>ist</strong><br />

2. Entwicklung religiöser Kräfte, <strong>die</strong> antisozial<strong>ist</strong>ische und klerikale verbin<strong>de</strong>t.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXIX.<br />

Konkret befasst sich <strong>de</strong>r Vortrag mit <strong>de</strong>r „illegalen Kirche, <strong>die</strong> sich aus Elementen <strong>de</strong>r<br />

politischen Untergrundtätigkeit“ zusammensetze, „<strong>die</strong> vom Staat ungenehmigt illegal Priester<br />

weiht, <strong>die</strong> Arbeit von Or<strong>de</strong>n illegal organisiert und eine Laienorganisation entwickelt.“ Es<br />

gebe enge Verbindungen zur Charta 77, <strong>de</strong>r „Demokratischen Initiative“ und „unabhängigen<br />

Frie<strong>de</strong>nsgruppen“. Der Stasi-Bericht bestätigt <strong>die</strong> schon in <strong>de</strong>n vorausgegangenen Folgen<br />

vorgetragene Vermutung, dass <strong>die</strong> Staatsorgane umfassend über <strong>die</strong> „Geheimkirche“ in <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei informiert, <strong>die</strong> in <strong>de</strong>r Ecclesia Silentii engagierten Chr<strong>ist</strong>en, Laien wie<br />

Kleriker entsprechend gefähr<strong>de</strong>t waren.<br />

Im Einzelnen beschreibt <strong>de</strong>r Stasi-Bericht aus Prag verschie<strong>de</strong>ne „Tätigkeitsformen“, <strong>die</strong> in<br />

<strong>die</strong> Struktur <strong>de</strong>r Kirchen eingeführt wor<strong>de</strong>n seien, „um eine Destabilisierung <strong>de</strong>s Sozialismus<br />

zu erreichen. Dazu zählten: Dialog mit <strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>n, politische Streiks, Petitionen, religiöse<br />

Kundgebungen und Wallfahrten, „um damit Positionen auszubauen.“ Die Kirche entwickle<br />

zunehmend Interesse an traditionellen Veranstaltungen <strong>de</strong>r Gesellschaft und <strong>de</strong>r legalen<br />

Kirche. Der militante Ton <strong>de</strong>s Vortrags steigert sich: „Der Feind geht von <strong>de</strong>r ver<strong>de</strong>ckten zur<br />

offenen Arbeit über.“<br />

Als Beispiel wird <strong>die</strong> lan<strong>de</strong>sweite Unterschriftenaktion <strong>de</strong>r „Moralkatholiken“ ab November<br />

1987 angeführt. Diese sei illegal erfolgt, von Kardinal Tomásek aber „offizialisiert“ wor<strong>de</strong>n.<br />

Diese Aktion ziele darauf ab, „<strong>die</strong> Religion und Frommheit“ zu erhöhen, „um damit politische<br />

Grundlagen zu schaffen für <strong>die</strong> Losung „ge<strong>ist</strong>ige Erhöhung <strong>de</strong>r Nation“. Sie langfr<strong>ist</strong>ig<br />

angelegt, „<strong>die</strong> ihren Höhepunkt 1998 zum Jubiläum haben soll“. (Gemeint <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Erinnerung<br />

an <strong>die</strong> Staatsgründung vor hun<strong>de</strong>rt Jahren durch <strong>die</strong> Ausrufung <strong>de</strong>s ersten selbständigen<br />

Staates <strong>de</strong>r Tschechen und Slowaken am 25. Oktober 1918.) „Bis dahin“, so <strong>de</strong>r<br />

„Kirchespezial<strong>ist</strong>“ <strong>de</strong>r Prager Staatssicherheit, „sollen religiöse Kräfte massenhaft auftreten<br />

und politische For<strong>de</strong>rungen stellen.“ Es wür<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Erfahrungen <strong>de</strong>r Ereignisse von 1968/69<br />

genutzt (gemeint sind Reformversuche <strong>de</strong>s „Prager Frühlings“); es gehe um ein<br />

„ökumenisches Ganzes unter Leitung <strong>de</strong>s Vatikan.“ Tomásek wolle unter seiner<br />

Repräsentation eine ökumenische Einheit bil<strong>de</strong>n.<br />

Tatsächlich. Eine Gruppe „katholischer Aktiv<strong>ist</strong>en“ (wie sie im Parteijargon hießen )und <strong>die</strong><br />

in <strong>de</strong>r „Untergrundkirche“ engagiert waren, hatten unter <strong>de</strong>m Leitwort „Jahrzehnt <strong>de</strong>r<br />

ge<strong>ist</strong>igen Erneuerung <strong>de</strong>r Nation“ einen Pastoralplan entworfen. Für <strong>de</strong>n Auftakt sorge Josef<br />

Navratil (5), ein aus Mähren stammen<strong>de</strong>r Bürgerrechtler (in <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r Staatsmacht ein<br />

„Dissi<strong>de</strong>nt“) mit einer Petition „für <strong>die</strong> Freiheit <strong>de</strong>s religiösen Lebens“, wie <strong>die</strong>s Tomás Halik<br />

(6) später formulierte.<br />

Die „größte Unterschriftenaktion im kommun<strong>ist</strong>ischen Block“ (Halik) hatte Navratil mit<br />

Gleichgesinnten aus Mähren am 29. November 1987 begonnen. Sie umfasste 31 Punkte und<br />

for<strong>de</strong>rte u.a. <strong>die</strong> Trennung von Kirche und Staat sowie <strong>die</strong> Aufhebung antikirchlicher Gesetze<br />

aus. Kardinal Frantisek Tomásek, <strong>de</strong>r Erzbischof von Prag, hatte in einem Hirtenbrief vom 4.<br />

Januar 1988 <strong>die</strong> Gläubigen aufgerufen, „<strong>die</strong> eines Chr<strong>ist</strong>en unwürdige Angst und Mutlosigkeit<br />

abzuschütteln“ und <strong>die</strong> Petition zu unterschreiben. Bis En<strong>de</strong> 1988 kamen über 500.000<br />

Unterschriften aus Böhmen, Mähren und <strong>de</strong>r Slowakei zusammen, auch <strong>de</strong>m Glauben und <strong>de</strong>r<br />

Kirche Fernstehen<strong>de</strong> solidarisierten sich mit <strong>de</strong>r Aktion, Protestanten stellten sich an <strong>die</strong> Seite<br />

<strong>de</strong>r <strong>Kath</strong>oliken.<br />

Eine eindrucksvolle Demonstration gegen das bestehen<strong>de</strong> System. Die Staatsmacht reagierte<br />

auf ihre Weise. Augustin Navrátil wur<strong>de</strong> verhaftet und nach einem Urteil <strong>de</strong>s Berufungs-<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXIX.<br />

gerichts in Brünn in <strong>die</strong> psychiatrische Abteilung eines Militärkrankenhauses eingeliefert. Am<br />

Tag seiner Einlieferung, am 28. Oktober 1988 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Jesuit Frantisek Lizna von <strong>de</strong>r<br />

Staatsicherheit verhaftet. Ihm wur<strong>de</strong> vorgeworfen, in seinem Personenwagen Flugblätter, <strong>die</strong><br />

an <strong>de</strong>n 70. Jahrestag <strong>de</strong>r Unabhängigkeit <strong>de</strong>r Tschechoslowakei erinnerten, transportiert zu<br />

und sich staatsfeindlicher Hetze schuldig gemacht zu haben. (7)<br />

In <strong>de</strong>r vom MfS gefertigten Zusammenfassung wer<strong>de</strong>n schließlich stichwortartig weitere<br />

Punkte angeführt: zunehmen<strong>de</strong> „traditionelle Treffen <strong>de</strong>r männlichen Or<strong>de</strong>n“; Franziskaner<br />

versammeln sich auch in Berlin, bestätigt wür<strong>de</strong> das Vorgehen feindlicher Kräfte von außen<br />

über diplomatische Kanäle, Emissäre; <strong>de</strong>r Einfluss von Feindsen<strong>de</strong>rn. Der Papst verfüge in<br />

<strong>de</strong>r CSSR über eine hohe Autorität und strebe einen Besuch an. Möglich wäre <strong>die</strong>s anlässlich<br />

<strong>de</strong>s katholischen Festes <strong>de</strong>r heiligen Anna. (8)<br />

Zu <strong>de</strong>n Beziehungen <strong>de</strong>s Staates zum Heiligen Stuhl wird gesagt, <strong>die</strong> CSSR wer<strong>de</strong> <strong>die</strong><br />

Verbindungen zum Vatikan „normal gestalten und sich nicht unter Druck setzen lassen.“<br />

So sei <strong>die</strong> Ernennung von drei neuen Bischöfen vom Staat abgelehnt wor<strong>de</strong>n. Von 13<br />

Diözesen seien 8 nicht mit einem Bischof besetzt. Dann wie<strong>de</strong>r Schärfe im Ton: „Die<br />

Mehrheit <strong>de</strong>r Kandidaten sind reaktionäre vom Vatikan gelenkte feindliche Personen, <strong>die</strong><br />

nicht akzeptiert wer<strong>de</strong>n.“ Schließlich: „Die gemeinsamen operativen Anstrengungen“<br />

wür<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Probleme verringern. Es gelte, „<strong>die</strong> Differenzen im Vatikan zu berücksichtigen“,<br />

(womit wohl gemeint war, <strong>die</strong> unterschiedlichen Positionen in <strong>de</strong>r vatikanischen „Ostpolitik“<br />

gegeneinan<strong>de</strong>r auszuspielen), „<strong>die</strong> Koordinierung weiter zu verbessern und <strong>de</strong>n<br />

Informationsaustausch zu verstärken“. Die Prager Genossen empfehlen: „Mit zweiseitigen<br />

operativen Maßnahmen <strong>ist</strong> verstärkt <strong>die</strong> Taktik <strong>de</strong>s Vatikans bloßzustellen. Es sollten<br />

einheitlich Desinformationen organisiert wer<strong>de</strong>n. Eine Internationalisierung <strong>de</strong>r feindlichen<br />

Angriffe <strong>ist</strong> zu verhin<strong>de</strong>rn.“ Ein Jahr vor <strong>de</strong>m Zusammenbruch <strong>de</strong>s sozial<strong>ist</strong>ischen Lagers<br />

herrschte <strong>die</strong> alte antireligiöse und antikirchliche Kampfstimmung.<br />

1) vgl. „Stasi-Kneipe pflegt IM-Kult“, Wiesba<strong>de</strong>ner Kurier v. 7. August 2008<br />

2) BStU – MfS HA XX/4 Nr. 565. Internationale Beratung von Vertretern <strong>de</strong>r befreun<strong>de</strong>ten Abwehrorgane zu<br />

Fragen <strong>de</strong>r Chr<strong>ist</strong>lichen Frie<strong>de</strong>nskonferenz, zum Vatikan und zur Berliner Konferenz, Prag, vom 26.-29.<br />

September 1977<br />

3) „Aggiornamento“ – „Heutigwer<strong>de</strong>n“, ein von Papst Johannes XXIII. geprägter Begriff. Die Kirche öffnet<br />

sich <strong>de</strong>r „Welt“ in wechselseitiger Begegnung. Leitmotiv <strong>de</strong>s Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965)<br />

4) BStU – MfS HA XX/4 Nr. 2145 – „Multilaterale Beratung <strong>de</strong>r Bru<strong>de</strong>rorgane vom 17. bis 21.10. 1988 in <strong>de</strong>r<br />

VR Polen auf <strong>de</strong>r Linie Kirchen“. Hauptabteilung XX, Berlin, 26. Oktober 1988.<br />

5) Josef Navratil (1928-2003), ein Eisenbahnarbeiter, aus Mähren stammend, katholischer Bürgerrechtlicher,<br />

Mit begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Initiative für soziale Rechte (im Oktober 1988).<br />

6) Tomás Halik (Jg. 1948, Theologe, Philosoph, Soziologe, Universitätsprofessor, Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Tschechischen<br />

Chr<strong>ist</strong>lichen Aka<strong>de</strong>mie, 1990-1993 Generalsekretär <strong>de</strong>r Tschechischen Bischofskonferenz, Konsultor <strong>de</strong>s<br />

Päpstlichen Rates für <strong>de</strong>n Dialog mit <strong>de</strong>n Nichtglauben<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>n 70er Jahren nach eigener Aussage in <strong>de</strong>n<br />

„illegalen Strukturen <strong>de</strong>r katholischen Kirche aktiv“.<br />

7) New York Times v. 25. 11. 1988<br />

8) Heilige Anna, (hebr. Hanna). Gemeinsam mit Joachim (hebr. Jojakim) als Eltern <strong>de</strong>r Gottesmutter Maria und<br />

als Großeltern Jesu verehrt. Ge<strong>de</strong>nktag (seit 1584) <strong>de</strong>r 26. Juli. In <strong>de</strong>n römischen Kalen<strong>de</strong>r bereits 1481<br />

aufgenommen<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXX.<br />

XXX. Ein totalitärer Sicherheitsapparat<br />

Seit 1948, also nach <strong>de</strong>r Machtübernahme <strong>de</strong>r Kommun<strong>ist</strong>en, än<strong>de</strong>rten sich Hauptaufgabe und<br />

Zielsetzung <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>n für „Öffentliche Sicherheit“ im Rahmen <strong>de</strong>r Nationalen Sicherheit<br />

entsprechend <strong>de</strong>n i<strong>de</strong>ologischen und politischen Vorgaben <strong>de</strong>r neuen Herren „signifikant“.<br />

Nicht nur wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Staatspolizei und ihren Agenten ein Katalog neuer Aufgaben übertragen;<br />

ihre Metho<strong>de</strong>n und ihre Arbeitstechniken hatten sich an <strong>die</strong> Prioritäten <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Regimes anzupassen. Zwar war hatte <strong>die</strong> „Nationale Sicherheit“ in erster Linie <strong>die</strong><br />

„öffentliche Ordnung“ zu verteidigen, kriminelle Aktivitäten zu bekämpfen und nationales<br />

wie persönliches Eigentum zu schützen. Allerdings kam es in <strong>die</strong>ser Zeit, in <strong>de</strong>r ein ganzes<br />

Volk in „Polizeigewahrsam“ genommen wur<strong>de</strong>, kaum zu Störungen <strong>de</strong>r öffentlichen Ordnung<br />

o<strong>de</strong>r öffentlichen Äußerungen <strong>de</strong>r Unzufrie<strong>de</strong>nheit (etwa in Verbindung mit <strong>de</strong>r<br />

Währungsreform).<br />

Wo sich Unruhe im Volk zeigte, stellte <strong>die</strong> „Nationale Sicherheit“, sprich Staatspolizei,<br />

„Unruhestifter“ kurzerhand „still“ – frei übersetzt aus einem Bericht über <strong>die</strong> organisatorische<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r für <strong>die</strong> öffentliche Ordnung zuständigen Diensteinheiten, <strong>die</strong> <strong>de</strong>m Bereich<br />

<strong>de</strong>r Nationalen Sicherheit zugeordnet war, bei <strong>de</strong>m Prager Innenmin<strong>ist</strong>erium unterstellt. Das<br />

Material <strong>ist</strong> <strong>de</strong>m Beiträgen <strong>de</strong>s Archivs <strong>de</strong>s Innenmin<strong>ist</strong>eriums <strong>de</strong>r Tschechischen Republik<br />

entnommen. (1) Mehr Aufmerksamkeit ver<strong>die</strong>nt, vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r Dokumentationsserie,<br />

eine weitere Erkenntnis <strong>de</strong>r Untersuchung, <strong>die</strong> nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong> vom Archiv<br />

<strong>de</strong>r Regierungsbehör<strong>de</strong> herausgegeben wur<strong>de</strong>. Sie stellt fest, an<strong>de</strong>rerseits sei <strong>die</strong> Nationale<br />

Sicherheit ein integraler Bestandteil <strong>de</strong>s totalitären Sicherheitsapparates gewesen, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r<br />

Staatssicherheit kooperierte und an verschie<strong>de</strong>nen Aktionen und Maßnahmen <strong>de</strong>r<br />

Staatssicherheitsorgane mitwirkte. Kurz gesagt: Ob Polizei mit ihren diversen Einrichtungen<br />

o<strong>de</strong>r Überwachung im In- und Ausland, Nachrichten<strong>die</strong>nst und militärische Aufklärung und<br />

Abwehr - <strong>de</strong>r Sicherheitsapparat war total. Das Netz, das über <strong>die</strong> Menschen gelegt wur<strong>de</strong>,<br />

machte je<strong>de</strong>s Entrinnen nahezu unmöglich.<br />

Es <strong>ist</strong> hier nicht <strong>de</strong>r Ort einen Schematismus <strong>de</strong>r staatlichen Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r ehemaligen<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Tschechoslowakei zu erstellen. Im Verlauf <strong>de</strong>r Jahrzehnte und bis zur<br />

Wen<strong>de</strong> än<strong>de</strong>rn sich <strong>die</strong> Strukturen und Aufgabenstellungen <strong>de</strong>r Dienststellen wie<strong>de</strong>rholt.<br />

Aktiv waren <strong>die</strong> Wachtposten <strong>de</strong>s Systems sozusagen bis zur letzten Minute. In <strong>de</strong>n<br />

Archivunterlagen <strong>de</strong>r Prager Staatspolizei, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n operativen Bereich betreffen wur<strong>de</strong> nach<br />

<strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> eine seit 1957 geführte spezielle Sammlung von Unterlagen mit <strong>de</strong>m<br />

Aktenzeichen „Z“ vorgefun<strong>de</strong>n. Allerdings nur in Fragmenten. Die Aufzeichnungen betreffen<br />

unter an<strong>de</strong>rem Operationen <strong>de</strong>r Gegenspionage, d.h. verdächtigte Personen und <strong>de</strong>ren<br />

Überwachung. D ie letzte „reguläre“ Archivierung solcher Materialien in <strong>die</strong> Ablage „Z“ sei<br />

noch im Januar und Februar 1990, also nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Vorherrschaft<br />

im Dezember 1989 erfolgt.<br />

Als Stationen <strong>de</strong>s Sicherheitsapparates in <strong>de</strong>n zurückliegen<strong>de</strong>n 40 Jahren soviel: Im Mai 1950<br />

wird mit Hilfe sowjetischer Berater das Min<strong>ist</strong>erium für Nationale Sicherheit eingerichtet. Die<br />

Überwachung <strong>de</strong>s Volkes übernimmt <strong>de</strong>r neue Staatssicherheits<strong>die</strong>nst StB. Dieses<br />

Spinnennetz legt seine Fä<strong>de</strong>n über alle aus, ob einheimische Bürger o<strong>de</strong>r ausländische Gäste.<br />

Hausdurchsuchungen und Arreste gehören ebenso zu ihrem Operationsbereich, wie Pass- und<br />

Briefzensur. In <strong>de</strong>n 60er Jahren wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Aufgaben spezifiziert, <strong>die</strong> Aufklärung (Auslands-<br />

Nachrichten<strong>die</strong>nst) als operative Einheit mit eigenem Apparat von <strong>de</strong>r Überwachung, also <strong>de</strong>r<br />

„Geheimpolizei“ <strong>de</strong>s StB, organisatorisch getrennt, freilich unter Beibehaltung enger<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXX.<br />

Koordination und Kooperation. Mit <strong>de</strong>r Samtenen Revolution schlägt <strong>die</strong> letzte Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

„sozial<strong>ist</strong>ischen Sicherheitsorgane“.<br />

1952 waren <strong>die</strong> Gefängniswachen vom Justizmin<strong>ist</strong>erium zum Sicherheitsmin<strong>ist</strong>erium<br />

überstellt wor<strong>de</strong>n. 1970 – in Folge <strong>de</strong>r Militärintervention von 1968 – erhielten <strong>die</strong><br />

Polizeikräfte eigene Eingreifeinheiten. Diese tun sich durch beson<strong>de</strong>rs brutales Vorgehen<br />

gegen <strong>de</strong>monstrieren<strong>de</strong> Stu<strong>de</strong>nten am 17. November 1989 in Prag hervor. Die Menge<br />

skan<strong>die</strong>rt: „Jakes Gestapo“, unter Anspielung auf KP-Generalsekretär Milous Jakes, <strong>de</strong>r<br />

schließlich, wie an<strong>de</strong>re Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Politbüros, am 24. November zurücktrat. Ím<br />

Januar/Februar 1990 wur<strong>de</strong>n dann auch <strong>die</strong> Polizei-Son<strong>de</strong>reinheiten aufgelöst.<br />

In <strong>de</strong>n Anmerkungen, <strong>die</strong> ich als einen „Zwischentext“ bezeichnen möchte, sei kurz an das<br />

so genannte Lustrationsgesetz von 1991 hingewiesen. Man könnte es <strong>de</strong>n Versuch einer<br />

nationalen <strong>Kath</strong>arsis bezeichnen, nicht ganz gelungen – mangels hinreichen<strong>de</strong>r Unterlagen,<br />

<strong>de</strong>nn vieles wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n vorausgegangenen Seilschaften in <strong>de</strong>n 80er Jahren wohl<br />

vorausahnend „entsorgt“; an<strong>de</strong>rerseits durch manches von Übereifer getriebenes, wenig<br />

sensibles öffentliches Vorpreschen mit Personalien und fragwürdigen Protokollen<br />

vermeintlicher Stasi-Funktionäre und Kollaborateure.<br />

Überraschend auftauchen<strong>de</strong> L<strong>ist</strong>en mit <strong>de</strong>n Namen angeblich „Geheimer Mitarbeiter“ <strong>de</strong>r<br />

Staatssicherheit warfen auch manchen Schatten auf <strong>die</strong> Lustration selbst. Zunächst ging es<br />

nach <strong>de</strong>m Gesetz darum dafür Sorge zu tragen, dass im öffentlichen Dienst <strong>de</strong>s wie<strong>de</strong>r<br />

erstan<strong>de</strong>nen freien Staatswesens nur eine Anstellung fin<strong>de</strong>n sollte, <strong>de</strong>r eine entsprechen<strong>de</strong><br />

Unbe<strong>de</strong>nklichkeitsbescheinigung vorlegen konnte. Dies sollte insbeson<strong>de</strong>re für <strong>die</strong><br />

sicherheitsrelevanten Einrichtungen wie Polizei und Militär gelten.<br />

Die Aufarbeitung <strong>de</strong>r Vergangenheit sollte nicht allein <strong>de</strong>n Nachfolge-Behör<strong>de</strong>n überlassen<br />

wer<strong>de</strong>n. Musste nicht mit intakten „Seilschaften“ gerechnet wer<strong>de</strong>n, wie auch in <strong>de</strong>n<br />

ehemaligen sozial<strong>ist</strong>ischen „Bru<strong>de</strong>rlän<strong>de</strong>rn“. Unter nicht geringen politischen Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong>n<br />

nahme zunächst <strong>die</strong> Son<strong>de</strong>rbehör<strong>de</strong> „für Dokumentation und Untersuchung <strong>de</strong>r Verbrechen<br />

<strong>de</strong>s Kommunismus UDV (Urad documentace a vysertrovani zlocinu komunismu- sluzby<br />

kriminalnu policie a vysotrovanvi) in <strong>de</strong>r Regie <strong>de</strong>s Innenmin<strong>ist</strong>eriums ihre Arbeit auf. Im<br />

Rahmen <strong>de</strong>s Projektes „Neue Offenheit“ hinsichtlich <strong>de</strong>r Vergangenheit, sollte<br />

<strong>die</strong>sbezügliches Material zentral gesammelt und veröffentlicht wer<strong>de</strong>n. Allerdings unter <strong>de</strong>m<br />

Vorbehalt <strong>de</strong>r „nationalen Sicherheit“ – womit bestimmte Dokumente weiterhin unter<br />

Verschluss zu bleiben hatten – etwa auch ehemalige Agenten und Informanten im Ausland<br />

betreffend.<br />

Auf Drängen <strong>de</strong>r parteipolitischen Linken wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Untersuchungszeitraum auf <strong>die</strong> Perio<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges ausge<strong>de</strong>hnt – wohl nicht zuletzt aus parteitaktischen Überlegungen,<br />

nicht nur <strong>die</strong> Linke und ihr Wirken in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Funktionärsherrschaft an<br />

<strong>de</strong>n Pranger zu stellen, son<strong>de</strong>rn auch nach Kollaborateuren während <strong>de</strong>r Nazi-Okkupation zu<br />

suchen. Diesem Auftrag soll nun das „Institut für das Studium <strong>de</strong>r totalitären Regime“<br />

(USTR) gerecht wer<strong>de</strong>n.<br />

Eine „unselige Erbschaft“ für <strong>die</strong> Kirche<br />

An mancher Stelle scheint auch <strong>de</strong>r katholischen Kirche, obschon selbst Opfer genug, <strong>die</strong><br />

Kraft zu fehlen, <strong>die</strong> eigenen Reihen zu durchleuchten. Wenn schon Verdachtsmomente zur<br />

Entlassung eines kirchlichen Mitarbeiters ausreichen sollten, wür<strong>de</strong> es vielleicht nicht lange<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXX.<br />

dauern, bis <strong>die</strong> Kirche sich „entklerikalisiere“, <strong>die</strong> Seelsorge „lahmgelegt“ wer<strong>de</strong> , war – wohl<br />

leicht übertrieben – als Argument zu vernehmen. Je<strong>de</strong>r Einzelfall sei durch <strong>de</strong>n (hoffentlich<br />

unbelasteten) amtieren<strong>de</strong>n Bischof zu prüfen. Dieser soll befugt sein, Sanktionen gegen<br />

Mitarbeiter zu verfügen, falls kirchliche Mitarbeiter, Kleriker o<strong>de</strong>r Laien, für <strong>die</strong> Stasi<br />

gearbeitet haben, nicht zuletzt wenn <strong>die</strong>s zum eigenen Vorteil geschah. Daß <strong>die</strong> Kirche<br />

zunächst <strong>de</strong>n internen Weg <strong>de</strong>r „Lustration“ wählt, auf Unbe<strong>de</strong>nklichkeitsbescheinigungen<br />

<strong>de</strong>s Staates verzichtet – fin<strong>de</strong>t nicht ungeteilte Zustimmung. Aufklärung hinter<br />

verschlossenen Türen - ob da nicht wie<strong>de</strong>r Geheimniskrämerei und was sonst noch im Spiel<br />

sei, konterten kritische Stimmen. Eine dre<strong>ist</strong>ellige Zahl von Stasi-Kollaborateuren saßen<br />

angeblich in leiten<strong>de</strong>n Positionen in <strong>de</strong>r Hälfte <strong>de</strong>r Vikariate. Wie viele es tatsächlich waren,<br />

wird wohl nie vollständig ermittelt wer<strong>de</strong>n können. Die Zeit, das heißt <strong>die</strong> Lebenszeit <strong>de</strong>r<br />

Betreffen<strong>de</strong>n, wird darüber vergangen sein.<br />

Jiri Plachý, Mitarbeiter <strong>de</strong>r Prager Stasi-Untersuchungsbehör<strong>de</strong> UDV kam in einer ersten<br />

Bilanzierung zu <strong>de</strong>m Schluss, <strong>die</strong> „unselige Erbschaft“, sei weiterhin nicht verarbeitet,<br />

politisch nicht und auch nicht auf kirchlicher Seite. Die „Schatten <strong>de</strong>r Geschichte“ seien noch<br />

nicht gewichen. (2)<br />

Johannes Paul I: „Die Fehler <strong>de</strong>r Vergangenheit wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Gegenwart zu etwas Gutem“ – Johannes Paul II<br />

besuchte 1990 <strong>die</strong> Tschechische und Slowakische Fö<strong>de</strong>rative Republik und 1997 <strong>die</strong> Tschechische Republik.<br />

„Dass jemand aus einem kommun<strong>ist</strong>ischen Land überhaupt Papst wird, war ein be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>s Signal für <strong>die</strong> ganze<br />

Welt – auch für <strong>die</strong>se Län<strong>de</strong>r nach innen“. (Staatspräsi<strong>de</strong>nt Vaclav Klaus in einem Interview mit Radio Praha am<br />

8. April 2005 über <strong>de</strong>n Beitrag <strong>de</strong>s „polnischen“ Papstes zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s kommun<strong>ist</strong>ischen Herrschafts-Systems.)<br />

© Fotos: Werner Kaltefleiter<br />

Auf <strong>die</strong> „feierliche Reinigung durch Sühne“ (nach <strong>de</strong>m religiösen Sinngehalt <strong>de</strong>s lateinischen<br />

Begriffs ) warten manche, <strong>die</strong> auch durch priesterliches Fehlverhalten zwischen <strong>die</strong> Mühlen<br />

staatlicher Gewalttätigkeit geraten sind. Von einer grundsätzlichen Abstinenz kann freilich<br />

nicht <strong>die</strong> Re<strong>de</strong> sein. Der Prager Erzbischof Kardinal Miloslav Vlk will saubere Verhältnisse,<br />

einen reinen Tisch auch im Altarraum. So for<strong>de</strong>rte er Priester auf, <strong>die</strong> mit <strong>de</strong>m StB<br />

kollaboriert hatten – aus welchen Grün<strong>de</strong>n auch immer - sich öffentlich zu entschuldigen. Als<br />

nichts geschah, setzte <strong>de</strong>r Prager Oberhirte, selbst Opfer <strong>de</strong>r Verfolgung durch das<br />

Unrechtsregime, ein Zeichen. Er bekannte das Fehlverhalten mancher seiner Mitbrü<strong>de</strong>r und<br />

bat um Vergebung. (3)<br />

Mit <strong>de</strong>m tschechischen Innenmin<strong>ist</strong>erium vereinbarte Vlk, eine H<strong>ist</strong>orikerkommission<br />

einzurichten, <strong>die</strong> untersuchen soll, „ob tschechische Ge<strong>ist</strong>liche mit <strong>de</strong>m kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Geheim<strong>die</strong>nst StB kollaboriert haben“. Den Anlass gab <strong>die</strong> Stasi-Vergangenheit <strong>de</strong>s<br />

Warschauer Erzbischofs Stanislaw Wilgus, das „Schweigen“ <strong>de</strong>s polnischen Amtsbru<strong>de</strong>rs und<br />

<strong>de</strong>ssen anfängliche Dementis. In <strong>de</strong>r öffentlichen Debatte wur<strong>de</strong> beklagt, „dass sich einstige<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXX.<br />

Agenten mit Hilfe von Gerichten aus <strong>de</strong>n Akten stehlen konnten und so ihre Vergangenheit<br />

reinwuschen.“ An <strong>die</strong> energischen Schritte <strong>de</strong>s Prager Erzbischofs für eine tatsächliche<br />

Lustration knüpfte sich <strong>die</strong> Erwartung, dass <strong>die</strong> Selbstreflexion von betroffenen Ge<strong>ist</strong>lichen<br />

„frischen Wind“ in <strong>die</strong> Beschäftigung mit „unserer Vergangenheit“ bringen könnte, wie es ein<br />

tschechischer Kommentator formulierte. (4)<br />

Mit <strong>de</strong>m zeitlichen Abstand zum Geschehen verän<strong>de</strong>rn sich <strong>die</strong> Bedingungen <strong>de</strong>r<br />

zeitgeschichtlichen Forschung. Zeitzeugen, Täter wie Opfer, fallen zunehmend aus,<br />

belasten<strong>de</strong>s Material wird unauffindbar, an<strong>de</strong>res taucht in neuen Faszikeln aber nur<br />

bruchstückhaft auf. Ein weiteres: Geheim<strong>die</strong>nstpapiere unterschei<strong>de</strong>n sich von<br />

Korrespon<strong>de</strong>nzen <strong>de</strong>r Min<strong>ist</strong>erialbürokratie sowie privaten und amtlichen Tagebuch<br />

aufzeichnungen durch ihre eigene Genesis. Nach <strong>de</strong>r Lektüre <strong>de</strong>r Stasi-Unterlagen, speziell<br />

<strong>de</strong>r Informanten-Protokolle, bleibt ein Rest von Misstrauen. Inhalt und Zielrichtung –welchen<br />

Zwecken <strong>die</strong>nten „Dokumente“ aus <strong>de</strong>r Werkstatt <strong>die</strong>ser „Organe“ <strong>die</strong> Züge eines Staates im<br />

Staate trugen.<br />

Die Problematik alter „Fun<strong>de</strong>“ zeigte sich Mitte Oktober 2008 am Fall <strong>de</strong>s mährischen, in<br />

Paris leben<strong>de</strong>n Schriftstellers Milan Kun<strong>de</strong>ra. Einem Polizeiprotokoll zufolge soll er 1950,<br />

damals Stu<strong>de</strong>nt und angeblich noch ein „überzeugter Kommun<strong>ist</strong>“, einen Kommilitonen<br />

<strong>de</strong>nunziert haben. Dieser wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Staatssicherheit verhaftet und zu langjähriger<br />

Kerkerhaft, verbun<strong>de</strong>n mit Zwangsarbeit in einem Uran-Bergwerk, verurteilt. Der<br />

Staatsanwalt habe seinerzeit <strong>die</strong> To<strong>de</strong>sstrafe gefor<strong>de</strong>rt, heißt es in Me<strong>die</strong>nberichten. Das<br />

Prager „Institut zum Studium totalitärer Regime“ ging mit <strong>de</strong>m belasten<strong>de</strong>n Material an <strong>die</strong><br />

Öffentlichkeit mit <strong>de</strong>r Begründung, über <strong>de</strong>n Ablauf <strong>de</strong>s Geschehens bestehe kein Zweifel.<br />

Kun<strong>de</strong>ra hat <strong>de</strong>n Vorwürfen entschie<strong>de</strong>n wi<strong>de</strong>rsprochen. Der Vorgang wirft <strong>die</strong> im<br />

Zusammenhang und im Umgang mit Unterlagen <strong>de</strong>r „sozial<strong>ist</strong>ischen Sicherheitsorgane“<br />

immer wie<strong>de</strong>r gestellten Fragen auf. Wie zutreffend sind <strong>die</strong> Inhalte; <strong>die</strong>nten <strong>die</strong> Stasi-<br />

Berichte an<strong>de</strong>ren als jur<strong>ist</strong>ischen Zwecken; konnte <strong>de</strong>r Name Kun<strong>de</strong>ras nicht auch von einem<br />

an<strong>de</strong>ren Stasi-Informanten missbraucht wor<strong>de</strong>n sein, <strong>de</strong>r ja vielleicht als nicht ganz so<br />

„zuverlässig“ galt, wie von <strong>de</strong>r Partei erwartet? 1975 kehrte Kun<strong>de</strong>ra seiner Heimat <strong>de</strong>n<br />

Rücken, <strong>die</strong> stalin<strong>ist</strong>ischen Schauprozesse und <strong>die</strong> sowjetische Intervention von 1968 dürften<br />

ihm <strong>die</strong> Augen vollends geöffnet haben. In seinen schriftstellerischen Arbeiten äußerte sich<br />

<strong>de</strong>r international renommierte Autor als einer <strong>de</strong>r schärfsten Kritiker <strong>de</strong>s Systems. (5)<br />

Aus Fehlern kann Gutes erwachsen<br />

Dieser Themenabschnitt, <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>r Frage von „Schuld und Sühne“ anzunähern versuchte,<br />

soll mit Gedanken abschließen, <strong>die</strong> Papst Johannes Paul I. einmal geäußert hat. Unter <strong>de</strong>m<br />

Titel „Illustrissimi“ erschienen 1976 erstmals, in einem Buch zusammengefasst, „vierzig<br />

fiktive Briefe an illustre Persönlichkeiten“ (Klappentext), <strong>die</strong> <strong>de</strong>r damalige Patriarch von<br />

Venedig, Albino Luciani an Persönlichkeiten <strong>de</strong>r Geschichte und schließlich an Jesus schrieb.<br />

uciani hatte <strong>die</strong> „Briefe“ ursprünglich für eine Serie in <strong>de</strong>r Monatszeitschrift Messagero di S.<br />

Antonio in Padua verfasst. Aus Albino Luciano wur<strong>de</strong> zwei Jahre später, im Drei-Päpste-Jahr<br />

1978, Johannes Paul I. Er regierte nur 33 Tage. Dann erlag er einem Herzanfall. War er Opfer<br />

einer Kabale bei Hofe gewor<strong>de</strong>n, einer Liqui<strong>die</strong>rung nach Art mancher Geheim<strong>die</strong>n<br />

ste? Die Spekulationen über <strong>die</strong> Umstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s plötzlichen Tod <strong>de</strong>s „lächeln<strong>de</strong>n Papstes“<br />

schossen ins Kraut. Alle düsteren Behauptungen en<strong>de</strong>ten im Nichts fehlen<strong>de</strong>r Belege und<br />

überzeugen<strong>de</strong>r Argumente. In seinem „Brief“ an Charles Péguy steht er Satz: „Die Fehler <strong>de</strong>r<br />

Vergangenheit wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Gegenwart zu etwas Gutem, wenn sie uns dazu bringen, <strong>die</strong><br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXX.<br />

Heilmittel für unsere Besserung zu suchen.“ Man möchte hinzufügen: vorausgesetzt, <strong>die</strong><br />

Fehler <strong>de</strong>r Vergangenheit wer<strong>de</strong>n von bei<strong>de</strong>n Seiten erkannt, von Tätern und Opfern, bereit<br />

zur Umkehr und, eine nicht unwichtiges Element, zur Vergebung. (6)<br />

1) entnommen und zusammengestellt aus: Sbornik Archivu Min<strong>ist</strong>erstva Vnitra/ Odbor Archivni a Spisové Sluzby<br />

Min<strong>ist</strong>erstva Vnitra CR, 2/2004 und 3/2005<br />

2) vgl.: Jiri Plachý: Die katholische Kirche in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei – das problematische Erbe<br />

<strong>de</strong>r Jahre 1948-1989. In „Ost-West. Europäische Perspektiven 8 (2007), Heft 3. Hrsg.: Renovabis.<br />

Solidaritätsaktion <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen <strong>Kath</strong>oliken mit <strong>de</strong>n Menschen in Mittel- und Osteuropa,<br />

Freising und Zentralkomitee <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen <strong>Kath</strong>oliken (ZdK), Bonn.<br />

3) vgl F.A.Z. v. 14. 4. 2005, Nr. 86, Seite 10/ in FAZ.NET. Mittel- und Osteuropa: Feuer <strong>de</strong>r Freiheit.<br />

4) Geheim<strong>die</strong>nst-Vergangenheit tschechischer <strong>Kath</strong>oliken. In: Presseschau <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>szentrale für Politische<br />

Bildung v. 7. Februar 2007.<br />

5) vgl.- SPIEGEL ONLINE . 14. Oktober 2008 „Geheimpolizei-Protokoll“ – Streit um Spitzel-Verdacht gegen Milan<br />

Kun<strong>de</strong>ra / FAZ v. 16. Oktober 2008 „Was geschah an jenem 14. März 1950?“<br />

6)„Illustrissimi“ (Berühmtheiten) – <strong>de</strong>utsche Ausgabe: Albino Luciani: Ihr ergebener + Albino Luciani. Briefe<br />

an Persönlichkeiten. Verlag Neue Stadt. 9. Auflage. München 1997. / Charles Peguy (1873-1914), war als<br />

Dichter und Publiz<strong>ist</strong> eine <strong>de</strong>r herausragen<strong>de</strong>n Stimmen <strong>de</strong>r literarisch-politischen Szene vor <strong>de</strong>m Ersten<br />

Weltkrieg. Als er geboren wur<strong>de</strong> war gera<strong>de</strong> erst <strong>de</strong>r Deutsch-Französische Krieg zu En<strong>de</strong> gegangen, <strong>de</strong>m statt<br />

Versöhnung <strong>die</strong> Fortsetzung <strong>de</strong>r „Erbfeindschaft“ folgen sollte, mit noch fürchterlicherem Gemetzel.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXI.<br />

XXXI. Justiz unter <strong>de</strong>m Roten Stern<br />

„JEMAND MUSSTE Josef K. verleum<strong>de</strong>t haben, <strong>de</strong>nn ohne daß er etwas Böses getan hätte,<br />

wur<strong>de</strong> er eines Morgens verhaftet.“<br />

(Franz Kafka: Der Process. Erstes Kapitel. Erster Satz. Nach <strong>de</strong>m von Max Brod geordneten<br />

und herausgegebenen Manuskriptseiten <strong>de</strong>s Romans, an <strong>de</strong>m Kafka in <strong>de</strong>n Anfangsjahren <strong>de</strong>s<br />

Ersten Weltkrieges geschrieben hat.)<br />

19. September 1949. Ein Zeitprotokoll vermerkt: Abt Anastáz Opasek hatte um zehn Uhr<br />

eine Trauung in <strong>de</strong>r Wallfahrtskirche auf <strong>de</strong>m Weißen Berg und kehrte kurz nach elf Uhr<br />

zurück. Nur wenig später verlangten zwei Männer in Zivil an <strong>de</strong>r Pforte <strong>de</strong>r Benediktiner-<br />

Abtei Brevnov (Breunau), in einem Außenbezirk von Prag, mit ihm sprechen zu dürfen.<br />

Kaum hatte man ihnen das Tor geöffnet, drängten weitere Männer hinein. Insgesamt vierzehn<br />

Poliz<strong>ist</strong>en waren gekommen, um <strong>de</strong>n Abt zu verhaften.<br />

Pfingstmontag 1991: Die spanische Königin Sophia besucht <strong>die</strong> Basilika <strong>de</strong>s Klosters. Abt<br />

Opasek zeigt <strong>de</strong>r Monarchin seine ehemaligen Privaträume. Er erzählt von seiner Verhaftung.<br />

„Lebenslänglich“ habe er bekommen. Die Königin „verwun<strong>de</strong>rt“: Was er <strong>de</strong>nn verbrochen<br />

habe. In Spanien sei <strong>die</strong>s <strong>die</strong> Strafe für jeman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r einen Menschen ermor<strong>de</strong>t habe. Der<br />

Mönch erläutert <strong>de</strong>m hohen Besuch aus <strong>de</strong>m fernen Spanien: Die roten Richter hätten ihn<br />

zum Spion <strong>de</strong>s Vatikans erklärt, in und acht weitere katholische Ge<strong>ist</strong>liche. Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

„Monsterprozesses“, am sechsten Tag <strong>de</strong>r Hauptverhandlung (<strong>die</strong> vom 27. November bis zum<br />

2. Dezember 1950 dauerte), sei das Urteil gesprochen wor<strong>de</strong>n: Von zehn Jahren aufwärts bis<br />

zu seinem „Lebenslänglich“. Bis zum Prozess habe er in Einzelhaft gesessen, berichtete <strong>de</strong>r<br />

Or<strong>de</strong>nsmann <strong>de</strong>r spanischen Königin. Und <strong>die</strong>se Einzelhaft sei auch nach <strong>de</strong>r Urteilsverkün<br />

digung zunächst beibehalten wor<strong>de</strong>n, bis zum Februar <strong>de</strong>s folgen<strong>de</strong>n Jahres. Der Prozess<br />

hätten <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>en zwei Monate vorher mit <strong>de</strong>n Inhaftierten „eingeübt.“<br />

„Der Prozess gegen <strong>die</strong> Agenten <strong>de</strong>s Vatikans in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei – Bischof Zela und<br />

Komplizen“, so <strong>de</strong>r Titel <strong>de</strong>s im Februar 1951 vom tschechoslowakischen Justizmin<strong>ist</strong>erium<br />

veröffentlichten Protokolls) wur<strong>de</strong> gegen eine „aus neun Mitglie<strong>de</strong>rn bestehen<strong>de</strong>n Gruppe von<br />

Hochverrätern und Spionen aus <strong>de</strong>n Reihen <strong>de</strong>r hohen Kirchenhierarchie“ geführt. (1) Ihnen<br />

wur<strong>de</strong>n vor <strong>de</strong>m Staatsgerichtshof in Prag „schwere Strafhandlungen zur Last“ gelegt wur<strong>de</strong>n,<br />

„und zwar nicht nur solche nach <strong>de</strong>m Gesetz zum Schutz <strong>de</strong>r volks<strong>de</strong>mokratischen Republik,<br />

son<strong>de</strong>rn auch rein kriminelle Handlungen“, wie <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Fünfersenats <strong>de</strong>s<br />

Staatsgerichtshofes Dr. Jaroslav Novák <strong>de</strong>m Beschuldigten ThDr. Stanislav Zela. vorhielt.<br />

Gegen Zela, seit September 1941 Weihbischof und Generalvikar <strong>de</strong>r Erzdiözese Olmütz<br />

(Olomouc), war bereits im Jahre 1946 ein Untersuchungsverfahren beim „außeror<strong>de</strong>ntlichen<br />

Volksgericht“ in Olmütz geführt wor<strong>de</strong>n, „wegen Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n Deutschen“,<br />

konkret, mit <strong>de</strong>r örtlichen Gestapo-Leitstelle. In seiner Vernehmung durch <strong>de</strong>n Vorsitzen<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>s Prager Staatsgerichtshofes wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich, warum Zela während <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />

Okkupation von <strong>de</strong>r Gestapo unter Druck gesetzt wor<strong>de</strong>n war und ihm in seinem Amt wohl<br />

auch nichts an<strong>de</strong>res übrig blieb, als für seinen Bischof „<strong>de</strong>n Kopf hinzuhalten“. Erzbischof<br />

Josef Karel Matocha (2) hatte „nach einer Weisung, <strong>die</strong> er vom Vatikan erhalten hatte, für <strong>de</strong>n<br />

Fall, daß er selbst nicht in <strong>de</strong>r Lage wäre, <strong>die</strong> Diözese zu leiten, seinen Weihbischof zu<br />

seinem Vertreter bestimmt. Diese Ermächtigung durch Papst Pius XII. wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Olmützer<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXI.<br />

Metropoliten mit Schreiben <strong>de</strong>s Staatssekretariats <strong>de</strong>s Heiligen Stuhles (Protokoll Nr. 2432)<br />

im März 1950 übermittelt, unter <strong>de</strong>m Siegel <strong>de</strong>s „päpstlichen Geheimnisses“. Unterschrieben<br />

von Kardinalstaatssekretär Domenico Tardini. Ein weiteres Beispiel, <strong>de</strong>r in <strong>die</strong>ser Reihe<br />

häufiger erwähnten vatikanischen Son<strong>de</strong>rregelungen nach <strong>de</strong>m Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r „mexikanischen<br />

Fakultäten.“ Auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>die</strong>ser außeror<strong>de</strong>ntlichen päpstlichen Ermächtigung wur<strong>de</strong><br />

Zela „in geheimer Weise und ohne Wissen <strong>de</strong>r Regierung mit <strong>de</strong>r Verwaltung <strong>de</strong>r Erzdiözese<br />

Olmütz betraut“.<br />

Wie Zela berichtete, war er am 1. September 1939, (am Tag <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Überfalls auf<br />

Polen), von <strong>de</strong>r Gestapo „zusammen mit vielen an<strong>de</strong>ren tschechischen Leuten aus <strong>de</strong>n<br />

verschie<strong>de</strong>nen Gesellschaftsklassen als Geisel verhaftet wor<strong>de</strong>n.“ Er wur<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m<br />

Sammellager in Stepánov bei Olmütz nach Dachau abtransportiert, „von wo wir nach<br />

vierzehn Tagen, ungefähr am 28. September <strong>de</strong>s gleichen Jahres, alle wie<strong>de</strong>r in das<br />

Konzentrationslager in Buchenwald geschafft wur<strong>de</strong>n.“ En<strong>de</strong> November <strong>de</strong>s gleichen Jahres<br />

sei er aus <strong>die</strong>sem Konzentrationslager entlassen wor<strong>de</strong>n.<br />

Vor- und Hauptverfahren lassen keinen Zweifel aufkommen: Das war ein inszeniertes Justiz-<br />

Theater, um ein Exempel zu statuieren - nach innen; um ein propagand<strong>ist</strong>isch aufgeblähtes<br />

Spektakel nach außen zu zelebrieren. Auf <strong>de</strong>r Anklagebank nicht nur einige hilflose<br />

Ge<strong>ist</strong>liche, wie <strong>de</strong>r Weihbischof und <strong>de</strong>r Benediktiner-Abt, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>r Papst im fernen<br />

Rom. Einige Fragen <strong>de</strong>s Anklagevertreters (Staatsprokurators) zielen in <strong>die</strong>se Richtung. Nach<br />

<strong>de</strong>m vom Justizmin<strong>ist</strong>erium veröffentlichten Wortlaut:<br />

Prokurator: „Ist Ihnen bekannt, wer als erster mit Hitler einen internationalen Vertrag<br />

abschloß?“<br />

Zela: „Der Vatikan“<br />

Prokurator: „Ist Ihnen bekannt, welche Haltung <strong>de</strong>r Vatikan gegenüber <strong>de</strong>m Diktat von<br />

München und <strong>de</strong>r Okkupation <strong>de</strong>r Tschechoslowakei einnahm?“<br />

Zela: „Der päpstliche Gesandte wur<strong>de</strong> aus Prag abberufen und <strong>die</strong><br />

Kirchenangelegenheiten <strong>de</strong>s sogenannten Protekorates wur<strong>de</strong>n von Berlin aus geleitet.“<br />

Prokurator: „Be<strong>de</strong>utet <strong>die</strong>s also, daß <strong>de</strong>r Vatikan <strong>die</strong> Okkupation <strong>de</strong>r Tschechoslowakei<br />

ganz offiziell anerkannte?“<br />

Zela: „Jawohl“.<br />

Mit To<strong>de</strong>sfolge<br />

Die Kirchenverfolgung nach stalin<strong>ist</strong>ischem Muster nahm in <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Tschechoslowakei ihren Lauf, hinter <strong>de</strong>n Maßnahmen stan<strong>de</strong>n <strong>die</strong> „Berater“ <strong>de</strong>s sowjetischen<br />

KGB. Die Prager „Lubljanka“ , kurz „Bart´ák“ genannt, befand sich in <strong>de</strong>r Bartolomejská; als<br />

Kerker wur<strong>de</strong>n Räume <strong>de</strong>r Bartholomäuskirche benutzt. Die Bespitzelung von Priestern ging<br />

bis in das Frühjahr 89, <strong>die</strong> letzte Meldungen wer<strong>de</strong>n im Juli 1990 in <strong>de</strong>n Archiven gefun<strong>de</strong>n.<br />

Jesuitenpater Frantisek Lizna wird 1981 vom Gericht in Prag-Dejvice verurteilt. Wegen<br />

Verbreitung von unwahren Nachrichten über <strong>die</strong> Religions- und politische Lage in <strong>de</strong>r CSSR.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXI.<br />

Er wird im Gefängnis Pilsen-Bory inhaftiert, in <strong>de</strong>r geschlossenen Abteilung, unter<br />

erschwerten Bedingungen, d.h. in einer abgedunkelten Zelle. Der Or<strong>de</strong>nspriester berichtet<br />

über <strong>de</strong>n gewaltsamen Tod eines Or<strong>de</strong>nsbru<strong>de</strong>rs, einem geheim zum Priester geweihten<br />

Ingenieur. Die staatliche Untersuchung behauptet, es habe sich um Selbstmord gehan<strong>de</strong>lt. Die<br />

Umstän<strong>de</strong> bleiben unklar.<br />

Mysteriöse To<strong>de</strong>sfälle, Angriffe „mit To<strong>de</strong>sfolge“ und wie immer man auch <strong>die</strong> Metho<strong>de</strong>n<br />

physischer Vernichtung nennen mag – sie hatten das eine Ziel: zunächst <strong>die</strong> Strukturen <strong>de</strong>r<br />

Kirche zu erledigen auf <strong>de</strong>m Weg, <strong>de</strong>n Glauben zu entwurzeln. Mit <strong>de</strong>n Or<strong>de</strong>nsfrauen ging<br />

man nur auf <strong>de</strong>n ersten Blick schonen<strong>de</strong>r um; sie wur<strong>de</strong>n in Konzentrationsklöstern, wie zum<br />

Beispiel im nordböhmischen Osek, und zu pflegerischen Diensten herangezogen (abgesehen<br />

<strong>de</strong>n Fällen von Verurteilung durch politische Gerichtsverfahren). Von Nachwuchs konnte<br />

keine Re<strong>de</strong> sein, <strong>die</strong> Or<strong>de</strong>nsgemeinschaften sollten aussterben. Sie haben es allerdings nicht<br />

verwirklichen können.<br />

Über <strong>de</strong>n „Kreuzweg“ <strong>de</strong>r Kirche in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei in <strong>die</strong>ser Zeit „<strong>de</strong>s gelebten<br />

Materialismus und in einer I<strong>de</strong>ologie <strong>de</strong>r Unversöhnlichkeit“ haben wir mit einigen<br />

Beispielen geschrieben. Es war <strong>die</strong> Zeit, als für Hun<strong>de</strong>rttausen<strong>de</strong> „<strong>die</strong> Käfiggitter“ heruntergingen.<br />

Priester und kirchlich engagierte Laien wur<strong>de</strong>n verhaftet und zu langjährigen<br />

Freiheitsstrafen verurteilt, unter härtesten Bedingungen in Arbeitslager, Konzentrations<br />

klöstern, im Kohle –und Uranbergbau. Sie wur<strong>de</strong>n als „Personen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Innenordnung und<br />

Staatssicherheit bedrohten“ vom Regime verfolgt. Dazu gehörten auch Verbindungen, <strong>die</strong><br />

Bischöfe zum Apostolischen Stuhl unterhielten. Die Geheimpolizei griff zu, aber auch<br />

Agenten <strong>de</strong>r „Kontererkundung“. Weil man <strong>de</strong>m Klerus vorwarf, „Spionage für <strong>de</strong>n Vatikan“<br />

zu betreiben.<br />

Hun<strong>de</strong>rten von Priestern wur<strong>de</strong> Seelsorge untersagt o<strong>de</strong>r bis an <strong>die</strong> materiellen und<br />

physischen Grenzen erschwert. Sie galten als „Schmarotzer“, Schädlinge <strong>de</strong>s werktätigen<br />

Volkes. Sollten selbst zu Hacke und Schaufel greifen, möglichst schwerste und „niedrigste“<br />

Arbeiten verrichten. Zu Strafhaft und Internierung Verurteilte lan<strong>de</strong>ten in <strong>de</strong>n 50er Jahren als<br />

Zwangsarbeiter in <strong>de</strong>n Schächten von Kladno o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Uran-Minen von Jachymov /<br />

Joachimsthal.<br />

Heiligabend 1952 im Konzentrationslager „Rovnost“: Häftlinge singen das böhmische<br />

Weihnachtslied „Narodil se Kr<strong>ist</strong>us Pán“. Warnschüsse <strong>de</strong>r Wärter bringen sie nicht zum<br />

Verstummen. Die Bestrafung folgt auf <strong>de</strong>m Fusse. Bis zum Morgen müssen sie, bei <strong>de</strong>r<br />

Eiseskälte schneebe<strong>de</strong>ckt und halb erfroren, draußen auf <strong>de</strong>m Platz stehen bleiben.<br />

Neben <strong>de</strong>n drakonischen Strafen machten auch <strong>die</strong> Alltagserfahrungen das Leben eines<br />

Chr<strong>ist</strong>en im athe<strong>ist</strong>ischen Staat zu einer täglichen Prüfung: <strong>die</strong> „kleinen“ Demütigungen,<br />

Erniedrigungen und Schikanen. Darin offenbarte sich, <strong>die</strong> unmoralische und antireligiöse<br />

I<strong>de</strong>ologie <strong>die</strong>ses Systems, bis hin zu <strong>de</strong>n abartigsten Äußerungen ihre Feindschaft gegenüber<br />

Glauben und Kirche.<br />

In <strong>de</strong>r Schriftenreihe „Kaminky“, eine „Zusammenstellung von authentischen Zeugnissen<br />

über <strong>die</strong> Verfolgung von Gläubigen und Human<strong>ist</strong>en in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Diktatur in <strong>de</strong>n Jahren 1948 – 1989“, lässt Bischof Karel Otcenasek, <strong>de</strong>r emeritierte Bischof<br />

von Königgrätz (Hra<strong>de</strong>c Kralové), viele Opfer zu Wort kommen, Priester und Laien. (3)<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXI.<br />

Ein Bischof kehrt zurück<br />

Hra<strong>de</strong>c Kralové (Königgrätz), 27. Januar 1990: Während eines Fernsehinterviews, (4) das ich<br />

mit Bischof Otcenasek nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong> führe, zeigt er plötzlich zur Decke hin,<br />

wo <strong>de</strong>r Kronleuchter hängt. „Dieses schöne Teil haben wir gemacht, politische Häftlinge im<br />

Gefängnis von Valdice. Manche saßen dort in Einzelhaft. Man nannte <strong>die</strong> Abteilung, in <strong>de</strong>r<br />

hauptsächlich katholische Priester gefangen gehalten wur<strong>de</strong>n: Vatikan.<br />

Vierzig Jahre nach seiner Bischofsweihe kann er nun endlich offizielle sein B<strong>ist</strong>um<br />

übernehmen. 1950 war er von seinem Vorgänger geheim geweiht und zum Apostolischen<br />

Admin<strong>ist</strong>rator bestellt wor<strong>de</strong>n. Kommun<strong>ist</strong>en hin<strong>de</strong>rten ihn jedoch daran, sein Amt<br />

auszuüben. Wegen angeblichen Hochverrats verurteilten sie ihn zu elf Jahren Gefängnis und<br />

anschließen<strong>de</strong>r Zwangsarbeit. Später durfte er als Pfarrer außerhalb seiner Diözese tätig sein.<br />

„Als Chr<strong>ist</strong> muss man zum Verzeihen bereit sein“, sagte Karel Otcenasek rückblickend. „Ich<br />

versuche es mit allen zu tun, um mit allen von Neuem zusammen zu kommen. Denn es waren<br />

am me<strong>ist</strong>en meine Diözesankin<strong>de</strong>r, welche mich verurteilten. Es sind meine ge<strong>ist</strong>lichen<br />

Kin<strong>de</strong>r. Man erinnert sich besser nicht an das Schlechte und an das Unrecht, um mit ihnen<br />

umgehen zu können.“ (Er wird später aber doch in seinen „Kaminky – Mosaiksteinchen“ <strong>die</strong><br />

Aussagen von Zeugen aus <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>nszeit sammeln).<br />

Im Kommentar zu <strong>de</strong>r Fernsehdokumentation halte ich fest: Im Beisein <strong>de</strong>s Son<strong>de</strong>rnuntius für<br />

Osteuropa, EB Francesco Colasuonno, legt Bischof Otscenasek im Empfangsraum <strong>de</strong>s<br />

erzbischöflichen Hauses <strong>de</strong>n Treueid auf Glauben, Kirche und Papst ab. Die Zeremonie<br />

entzieht sich <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r Öffentlichkeit. Nur wenige Zeugen sind anwesend. Wer <strong>die</strong> Jahre<br />

zuvor erlebt hat, meint immer noch einen Hauch <strong>de</strong>s Konspirativen zu verspüren. Colasuonno,<br />

hatte sich als vatikanischer Unterhändler schon vor <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong> bemüht, <strong>die</strong> Rechte<br />

<strong>de</strong>r Kirche zurück zu erlangen. Die or<strong>de</strong>ntliche Besetzung <strong>de</strong>s bischöflichen Stuhls von<br />

Königgrätz im Beisein von Bischöfen aus Polen, Frankreich, Österreich und Deutschland,<br />

wird als gutes Zeichen für <strong>de</strong>n geplanten Besuch <strong>de</strong>s Papstes im April 1990 in <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei gewertet. Es wird <strong>die</strong> erste Reise in ein osteuropäisches Land,<br />

ausgenommen seine polnische Heimat.<br />

Staaspräsi<strong>de</strong>nt Vaclav Havel nimmt an <strong>de</strong>r kirchlichen Zeremonie teil. Er kommt ohne großes<br />

Protokoll, als Bürger unter Bürgern. Offiziell zwar als „Privatmann“, aber niemand unter <strong>de</strong>r<br />

Menge, <strong>de</strong>r <strong>die</strong>s missverstehen wür<strong>de</strong>. Havel bringt seinen Innenmin<strong>ist</strong>er Richard Sacher mit.<br />

Normalisierung <strong>de</strong>s Verhältnisses zwischen Staat und Kirche, <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n „Welten“<br />

respektieren sich gegenseitig. Der Innenmin<strong>ist</strong>er, <strong>de</strong>r zuvor als Polizei- und Geheim<strong>die</strong>nst-<br />

Min<strong>ist</strong>er fungierte, trägt im Gottes<strong>die</strong>nst <strong>die</strong> Lesung vor. Man weiß nicht so recht. Die<br />

Situation kommt einem irgendwie „kafkaesk“ vor. In <strong>die</strong>sen Tagen schwirrt das Gerücht<br />

durch das Land, Polizei und Militär planten einen Putsch. Sind immer noch Ex-Stasi-<br />

Spezial<strong>ist</strong>en für Desinformation am Werk?<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXI.<br />

Titular-Erzbischof Karel Otcenásek, emeritierter Bischof von Hra<strong>de</strong>c Kralové (Königgrätz), von Johannes Paul<br />

II mit <strong>de</strong>m Titel Erzbischof ad personam gewürdigt. Emeritierter Bischof von Hra<strong>de</strong>c Kralové / Königgrätz, eh.<br />

Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Kommission Iustitia et Pax bei <strong>de</strong>r Tschechischen Bischofskonferenz. Das Bild wur<strong>de</strong> am Tag<br />

seiner Amtseinführung, am 27. Januar 1990, aufgenommen. An <strong>de</strong>r Feier nahmen Staatspräsi<strong>de</strong>nt Vaclav Havel<br />

und Innenmin<strong>ist</strong>er Richard Sacher teil. Mit Zustimmung von Papst Pius XII. war Otcenásek Im Jahr 1950<br />

geheim zum Bischof geweiht und zum Weihbischof von Hra<strong>de</strong>c Kralové bestimmt wor<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>r Maßgabe bei<br />

Amtsbehin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Ortsbischofs <strong>de</strong>ssen Funktion zu übernehmen. Die kommun<strong>ist</strong>ischen Behör<strong>de</strong>n<br />

untersagten <strong>de</strong>m Bischof jedoch <strong>die</strong> Leitung <strong>de</strong>r Diözese. Er wur<strong>de</strong> interniert, musste u.a. als landwirtschaft<br />

licher Gehilfe arbeiten und nach seiner Entlassung aus <strong>de</strong>m staatlichen Gewahrsam nur als Seelsorger in einer<br />

Pfarrei tätig sein. © Fotos: Werner Kaltefleiter<br />

Bischof Otcenasek dankt Bürgerrechtsbewegungen und vor allem Charta 77, <strong>die</strong> er mit<br />

unterzeichnet hat. Diese Menschen hätten selbst in schwerer Zeit <strong>de</strong>n Mut nicht verloren.<br />

Tausen<strong>de</strong> füllen <strong>de</strong>n Platz und <strong>die</strong> Strassen vor <strong>de</strong>r <strong>Kath</strong>edrale. Der Gottes<strong>die</strong>nst <strong>ist</strong> been<strong>de</strong>t.<br />

Sie stimmen <strong>die</strong> Nationalhymne an und <strong>de</strong>n alten Kirchen-Choral, <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n ersten Märtyrer<br />

<strong>de</strong>r Nation erinnert, an Herzog Wenzel/Vaclav, <strong>de</strong>r vor tausend Jahren von seinem Bru<strong>de</strong>r im<br />

Kampf um <strong>die</strong> Macht ermor<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n war. „Heiliger König Wenzel, Schutzpatron unseres<br />

Lan<strong>de</strong>s, unser Fürst, bitte für uns Arme, das Gott sich erbarme, Chr<strong>ist</strong>e eleison.“<br />

Ein erstes Fazit zum Jahresbeginn 1990, wenige Wochen nach <strong>de</strong>r erfolgreichen Samtenen<br />

Revolution. Die Freu<strong>de</strong> über <strong>die</strong>sen Tag kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß <strong>die</strong> Kirche<br />

in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei einen schweren Weg vor sich hat, in wenigen an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Blocks hat <strong>de</strong>r Kahlschlag so gewütet und vor allem <strong>de</strong>r Jugend <strong>de</strong>n<br />

chr<strong>ist</strong>lichen Glauben genommen. Der gesellschaftliche Umbruch stellt sie vor neue<br />

Herausfor<strong>de</strong>rungen. Karel Otcenasek, Jaroslav Duka, Vaclav Maly, und <strong>die</strong> vielen ungenannten<br />

Frauen und Männer <strong>de</strong>r Kirche in <strong>de</strong>r Verfolgung sind Vorbil<strong>de</strong>r. Sie haben <strong>de</strong>n<br />

aufrechten Gang unter <strong>de</strong>r Knute bewahrt. Und damit vielen im Volk Mut und Kraft gegeben.<br />

Stärker und wi<strong>de</strong>rstandsfähiger war das Wort, mit <strong>de</strong>m Kardinal Beran von <strong>de</strong>n Kommun<strong>ist</strong>en<br />

gefor<strong>de</strong>rte Zusammenarbeit zurückgewiesen hatte. „Non possumus“ – Wir können nicht“.<br />

1) Der Prozess gegen <strong>die</strong> Agenten <strong>de</strong>s Vatikans in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei / Bischof Zela und Komplizen. I.<br />

Auflage in einer Anzahl von 2100 Exemplaren, herausgegeben im Februar 1951 vom tschechoslowakischen<br />

Justizmin<strong>ist</strong>erium im Verlag Orbis. (In I<strong>de</strong>al-Typen gedruckt bei Orbis, Druckerei-Unternehmungen, Betrieb Nr.<br />

1 in Prag XII, Stalinova 46)<br />

2)Josef Karel Matocha (1888-1961), von Papst Pius XII. im Jahre 1948 zum Erzbischof von Olmütz (Olomouc)<br />

ernannt, vom Prager Erzbischof Josef Beran geweiht, Metropolit von Mähren. 1950 von <strong>de</strong>n Kommun<strong>ist</strong>en<br />

interniert und in seiner Wohnung isoliert. Nach seinem Tod von <strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>n kein Nachfolger erlaubt. 1973<br />

übernimmt <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Regime genehme Josef Vrana <strong>die</strong> Verwaltung <strong>de</strong>r Diözese.<br />

Seite 169


Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXI.<br />

3) - „Kaminky“ – Mosaiksteinchen. „Kleine Zeugnisse über <strong>die</strong> Chr<strong>ist</strong>enverfolgung in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Totalität und über ihre Bemühungen um <strong>die</strong> Freiheit und das Wohl <strong>de</strong>s Vaterlan<strong>de</strong>s.“ Seit<br />

1999 gesammelte Berichte, <strong>die</strong> me<strong>ist</strong>en in Briefform, in fünf Bän<strong>de</strong>n zusammengefasst. Herausgegeben unter <strong>de</strong>r<br />

Patronanz <strong>de</strong>s Mons. Th.Lic. Karel Otcenásek, Initiator <strong>de</strong>r Arbeit. Hra<strong>de</strong>c Kralové. 2001-2006.<br />

4) Quelle: „Der Spitzel war immer dabei“. Fernsehdokumentation von Werner Kaltefleiter in <strong>de</strong>r ZDF-Reihe<br />

„Kontext“. v. 7. Februar 1990.<br />

Seite 170


Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXII.<br />

XXXII. Gottes<strong>die</strong>nst als Straftat<br />

Dominik Duka (1) erzählt von einem Vorgang, <strong>de</strong>r im Nachhinein nicht ohne gewisse<br />

Pikanterie <strong>ist</strong>, wenn man das Finale <strong>de</strong>r Geschichte vor Augen hat. Eines Tages erhält <strong>de</strong>r<br />

Dominikanerpater Besuch: unangemel<strong>de</strong>t und zu einer Zeit, in <strong>de</strong>r es auf <strong>de</strong>r Straße vor <strong>de</strong>m<br />

Haus mehr o<strong>de</strong>r weniger menschenleer <strong>ist</strong>. Die Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Geheimpolizei. Uniformierte<br />

Beamte <strong>de</strong>r Staatssicherheitsgruppe for<strong>de</strong>rn Einlass in <strong>die</strong> Wohnung <strong>de</strong>s Or<strong>de</strong>nsmannes. Sie<br />

beschlagnahmen Schriften, <strong>die</strong> in <strong>de</strong>r Untergrundkirche zirkulieren: Samisdat-Material. Ein<br />

Agten <strong>de</strong>s Staatssicherheits<strong>die</strong>nstes StB überwacht <strong>die</strong> Aktion. Seinen Pkw, ein Fahrzeug in<br />

ziviler Aufmachung, ohne polizeiliche Kennzeichen, hat <strong>de</strong>r Stasi-Mann in einer Seitenstrasse<br />

geparkt. Bevor er zu seinem Wagen zurückgeht hält er P. Duka triumphierend entgegen: „Wir<br />

haben gesiegt.“<br />

Im September 1998 wur<strong>de</strong> Dominik Duka zum Bischof von Hra<strong>de</strong>c Kralové ernannt, <strong>de</strong>r<br />

geschichtsträchtigen Stadt mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschsprachigen Namen Königgrätz. Die Episo<strong>de</strong>, über<br />

<strong>die</strong> er berichtet, geht auf jene dunklen Jahre zurück, über <strong>die</strong> in <strong>de</strong>n vorausgegangenen<br />

Folgen umfangreiches Material zusammengetragen wur<strong>de</strong>. Schon kurz nach <strong>de</strong>r politischen<br />

Wen<strong>de</strong> kam es zu einer ersten Begegnung mit Pater Duka. Seine Erfahrungen mit <strong>de</strong>m<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Willkür-Regime in <strong>de</strong>n Jahren nach <strong>de</strong>m gescheiterten „Prager Frühling“<br />

und <strong>de</strong>r sowjetischen Militär-Intervention sollten in einer Fernsehdokumentation auch einem<br />

Publikum „im Westen“ zugänglich gemacht wer<strong>de</strong>n. Der Kommentar, <strong>de</strong>r <strong>die</strong>se Sendung<br />

begleitete, <strong>ist</strong> aus <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rschrift zu verstehen. Er wur<strong>de</strong> aber nachträglich durch<br />

wenige Zusätze ergänzt: (2)<br />

Bischof Dominik Duka O.P., / Hl. Ge<strong>ist</strong>-<strong>Kath</strong>edrale in Hra<strong>de</strong>c Kralové / St. Stephans-Dom in Litomerice<br />

Fotos: Miroslav Kut`ák, Prazak, Karelj (Wikipedia GNU Free Documentation License)<br />

Jaroslav Duka <strong>ist</strong> Facharbeiter bei <strong>de</strong>n Skoda-Werken in Pilsen, Abteilung Maschinenbau. Er<br />

arbeitet in <strong>de</strong>r Schlosserei als so genannter Reißer, d.h. er bereitet Werkstücke für <strong>die</strong><br />

Herstellung von Horizontalbohrmaschinen vor. Das macht er fachmännisch – und doch <strong>ist</strong><br />

<strong>die</strong>s nicht sein eigentlicher Beruf. Bis vor kurzem galt er als „staatsgefähr<strong>de</strong>nd“. Die<br />

Geheimpolizei ließ ihn nie aus <strong>de</strong>n Augen.<br />

Dominik Duka <strong>ist</strong> Priester, er gehört <strong>de</strong>m Or<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Predigerbrü<strong>de</strong>r an, also <strong>de</strong>n Domini<br />

kanern und <strong>ist</strong> Oberer seiner Or<strong>de</strong>nsgemeinschaft in <strong>de</strong>r CSSR. Nach <strong>de</strong>r Schule wollte er das<br />

Priesterseminar besuchen, musste aber auf Grund <strong>de</strong>r scharfen Kirchengesetze zunächst einen<br />

Handwerksberuf erlernen und <strong>de</strong>n Wehr<strong>die</strong>nst absolvieren. 1970 wur<strong>de</strong> er zum Priester<br />

geweiht. Sein Konsekrator war Kardinal Stepán Trochta, <strong>de</strong>r 1974, vermutlich als Folge eines<br />

„strengen“ Verhörs durch <strong>de</strong>n örtlichen Parteisekretär, einem Herzanfall erlag.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXII.<br />

Nach <strong>de</strong>r Priesterweihe ging Pater Duka zunächst in <strong>die</strong> Pfarrseelsorge. 1975 wur<strong>de</strong> ihm <strong>die</strong><br />

staatliche Genehmigung entzogen, weil er es abgelehnt hatte, <strong>de</strong>r vom Regime geför<strong>de</strong>rten<br />

und von Rom verbotenen Priestervereinigung „Pacem in terris“ mitzuarbeiten. Seit <strong>die</strong>ser Zeit<br />

arbeitet er bei Skoda.<br />

Unter <strong>de</strong>n Kollegen verspürt er eine starke persönliche Solidarität. Sie zeigen sich beein<br />

druckt, dass einer, <strong>de</strong>r so viel durchgemacht hat, „ein guter Mensch geblieben <strong>ist</strong>“, wie sie<br />

sagen. Sie warnten ihn rechtzeitig, wenn <strong>die</strong> <strong>die</strong> Staatssicherheit wie<strong>de</strong>r einmal aufkreuzte,<br />

um Informationen über <strong>die</strong>sen o<strong>de</strong>r jenen einzuholen.<br />

Nach <strong>de</strong>r erfolgreichen Samtenen Revolution konnte Pater Duka <strong>de</strong>n „Blaumann“ ausziehen.<br />

Er wur<strong>de</strong> nun nicht mehr in <strong>de</strong>r Autofabrik „benötigt“ und kündigte im Januar 1990,<br />

sicherlich „im bei<strong>de</strong>rseitigen Einvernehmen“, seinen Arbeitsvertrag. Rückblickend meint <strong>de</strong>r<br />

Or<strong>de</strong>nspriester, es sei eine Zeit gewesen, <strong>die</strong> ihm ganz neue seelsorgliche Erfahrungen<br />

vermittelt habe. „Früher war es doch so. Kamen <strong>die</strong> Leute aufs Pfarramt, dann wur<strong>de</strong> ganz<br />

offiziell mit ihnen gesprochen. In <strong>de</strong>r Fabrik aber habe ich gelernt, <strong>die</strong> Menschen so zu sehen,<br />

wie sie sind. Umgekehrt haben auch meine Arbeitskollegen <strong>de</strong>n Priester als einen Menschen<br />

kennen gelernt, wie er arbeitet, welche Probleme er hat und wie er damit umgeht und welchen<br />

verschie<strong>de</strong>nen Belästigungen er ausgesetzt war.<br />

Pater Duka und zwei Mitbrü<strong>de</strong>r leben in einer Privatwohnung in einem Arbeiterstadtteil. Im<br />

Keller <strong>de</strong>s Hauses haben sie eine Privatkapelle eingerichtet, eine Kirche in <strong>de</strong>r Katakombe.<br />

Auch <strong>die</strong> Mitbrü<strong>de</strong>r gehen tagsüber in <strong>die</strong> Fabrik. Der eine ebenfalls bei Skoda, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re als<br />

Elektro-Ingenieur in <strong>de</strong>r Nachbarstadt. Nach einer internen Anweisung <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Partei, sollten Priester mit Berufsverbot harte körperliche Arbeit le<strong>ist</strong>en.<br />

„Kriminelle Instrumente im Gottes<strong>die</strong>nst“<br />

Dominik Dukas Mitbru<strong>de</strong>r, Pater Vojtech, stammt aus <strong>de</strong>r Slowakei. Er wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n 80er<br />

Jahren zum Priester geweiht, hat <strong>die</strong>s aber seinem Vater verschwiegen. Er glaubt, dass <strong>de</strong>r<br />

Vater Angst um seinen Sohn gehabt hätte. - Die Privatgottes<strong>die</strong>nste in <strong>de</strong>r Kapelle blieben <strong>de</strong>n<br />

Spitzeln nicht lange verborgen. 1981 griff <strong>die</strong> Geheimpolizei zu. Nach einer Euchar<strong>ist</strong>iefeier,<br />

an <strong>de</strong>r eine Familie aus Pilsen sowie zwei Priester aus <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland<br />

teilgenommen hatten. Das Mobiliar, <strong>die</strong> liturgischen Geräte und selbst <strong>die</strong> Or<strong>de</strong>nstracht<br />

wur<strong>de</strong>n beschlagnahmt, mit <strong>de</strong>r Begründung, es han<strong>de</strong>le sich um „Instrumente zur<br />

Vorbereitung einer kriminellen Handlung.“<br />

Am 24. Juli 1981 war Pater Duka verhaftet wor<strong>de</strong>n. Nach vier Monaten kam es zum Prozess.<br />

Die Anklage: Er habe gegen <strong>die</strong> Aufsicht <strong>de</strong>s Staates über <strong>die</strong> Kirchen und Religionsgemeinschaften<br />

verstoßen. Das Urteil: 15 Monate Gefängnis, unter Anrechung <strong>de</strong>r<br />

Untersuchungshaft.<br />

Neun Jahre später – „Glasnost“ in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei: En<strong>de</strong> Januar 1990 begleiten wir<br />

Pater Duka in <strong>die</strong> berüchtigte Haftanstalt Bory in einem Vorort von Pilsen, wo er seine Strafe<br />

abgesessen hat. Wir möchten <strong>die</strong> Zelle zeigen, in <strong>de</strong>r sie <strong>de</strong>n Priester eingesperrt hatten und<br />

mit <strong>de</strong>n heute Verantwortlichen sprechen. Eine Fernsehkamera aus <strong>de</strong>m Westen. Hier? An<br />

<strong>die</strong>sem Ort? Vor kurzem noch unvorstellbar. Jetzt <strong>die</strong> wun<strong>de</strong>rsame Wandlung: Die<br />

Gefängn<strong>ist</strong>ore öffnen sich. Der stellvertreten<strong>de</strong> Direktor, ein Major, war damals für <strong>die</strong><br />

Erziehung <strong>de</strong>r Gefangenen zuständig. Auch für <strong>de</strong>n Or<strong>de</strong>nspriester Dominik Duka. „Sie<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXII.<br />

wollten aus uns einen neuen Menschen sozial<strong>ist</strong>ischen Typs machen. Man sprach nie von<br />

einem Gefängnis, son<strong>de</strong>rn von einer Besserungsanstalt.“<br />

Zellennachbar Pater Dukas war <strong>de</strong>r heutige Staatspräsi<strong>de</strong>nt Vaclav Havel. Man kam<br />

miteinan<strong>de</strong>r ins Gespräch. Nach <strong>de</strong>r Arbeit, beim Spaziergang. Man besuchte sich gegenseitig<br />

in <strong>de</strong>n Zellen. „Er war <strong>de</strong>r erste, <strong>de</strong>r mit geholfen hat“, erinnert sich Duka. „Mit Tee und mit<br />

<strong>de</strong>m so genannten Bory-Geld. Wir sprachen über Literatur, Geschichte, Religion und so<br />

weiter. Der ge<strong>ist</strong>ige Austausch war das Wichtigste. Das hat <strong>die</strong> Haft erleichtert. Wir sahen uns<br />

nicht als Privilegierte, aber auch nicht als diskriminiert, weil wir mit „normalen´“ Kriminellen<br />

weggeschlossen wor<strong>de</strong>n waren. Wir waren solidarisch mit allen Häftlingen. Die unpolitischen<br />

Häftlinge wie<strong>de</strong>rum solidarisierten sich mit uns. Sie haben uns vor allem bei <strong>de</strong>r Arbeit<br />

geholfen. Me<strong>ist</strong>ens saßen sie ja länger ein und hatten spezielle Gefängniserfahrungen. Sie<br />

haben uns wirklich geholfen und vor <strong>de</strong>n echten Kriminellen geschützt. Aber das waren nur<br />

sehr wenige.“<br />

Einzelhaft im „Keller“<br />

Während <strong>de</strong>r Haftzeit musste <strong>de</strong>r Staats-Häftling Pater Duka leichtere Arbeit verrichten, im<br />

Auftrag <strong>de</strong>r Skoda-Werke Elemente für Telefonzentralen fertigen. Das waren kleinste<br />

Einzelteile. „Schlimm war, dass wir Akkord arbeiten mussten. Das waren wir natürlich nicht<br />

gewohnt.“ Die Normen waren hoch. Wer sie nicht erfüllte, wur<strong>de</strong> bestraft. Dann ging es ab<br />

in <strong>de</strong>n „Keller“. Einzelhaft. Das be<strong>de</strong>utete: Eine kleine Betonzelle, Pritsche aus Holz.<br />

Auch Pater Duka bekam <strong>die</strong>se „Son<strong>de</strong>rbehandlung“ zu spüren. Nicht wegen zu langsamer<br />

Arbeit, son<strong>de</strong>rn aus einem an<strong>de</strong>ren Grund: Weil er ein Brevier bei sich hatte sowie ein<br />

Lehrbuch in spanischer Sprache. Der Besitz solcher Literatur war nicht erlaubt. Der<br />

zuständige Wachtme<strong>ist</strong>er habe ihn aber nicht schlecht behan<strong>de</strong>lt, sagt Pater Duka nachsichtig.<br />

Das gelte im übrigen für <strong>die</strong> Mehrheit <strong>de</strong>r Gefängnisbeamten. „Auch <strong>die</strong> Kapos waren auf<br />

unserer Seite. Nicht alle, aber überwiegend.“<br />

Nach zwei Stun<strong>de</strong>n <strong>ist</strong> <strong>de</strong>r Gefängnisbesuch been<strong>de</strong>t. „Auf Wie<strong>de</strong>rsehen“ sagt man an einem<br />

solchen Ort natürlich nicht. Auch <strong>de</strong>r leiten<strong>de</strong> Gefängnisdirektor verzichtet auf <strong>die</strong>sen Spruch<br />

son<strong>de</strong>rn erinnert sich an das volkstümliche: „S´Bohem – Geh mit Gott“. Wir wun<strong>de</strong>rn uns,<br />

erfahren aber dann, <strong>die</strong>ser Gruss habe auch im sozial<strong>ist</strong>ischen Sprachgebrauch gegolten.<br />

„Chr<strong>ist</strong>lich sehr belastet“<br />

Am 24. Oktober 1982 wird Pater Duka aus <strong>de</strong>r Haft entlassen. In seiner Beurteilung heißt es:<br />

„Da er chr<strong>ist</strong>lich sehr belastet <strong>ist</strong> und dafür bestraft wur<strong>de</strong>, muss man annehmen, dass er seine<br />

Umwelt negativ beeinflussen wird. Aus <strong>die</strong>sem Grund <strong>ist</strong> es nötig, eine erhöhte Kontrolle<br />

über ihn auszuüben.“ Sein ständiger Aufpasser hat ihn nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> um Verzeihung<br />

gebeten. Die Wachtme<strong>ist</strong>er und Geheim<strong>die</strong>nstler seien selbst Sklaven <strong>de</strong>s Systems gewesen,<br />

sagt P. Duka. Er habe seinen Bewachern verziehen.<br />

Mit <strong>die</strong>ser Folge über <strong>de</strong>n Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei en<strong>de</strong>t <strong>die</strong> Serie im<br />

Zusammenhang mit <strong>de</strong>n bereits veröffentlichten Arbeiten zur Religionspolitik im ehemaligen<br />

kommun<strong>ist</strong>ischen Ostblock. Es war nicht <strong>die</strong> Absicht, ein mediales Tribunal zu schaffen,<br />

son<strong>de</strong>rn mit <strong>de</strong>n zusammengestellten und kommentierten Materialien (in erster Linie aus <strong>de</strong>n<br />

von <strong>de</strong>r zuständigen Bun<strong>de</strong>sbehör<strong>de</strong> (Der/Die Bun<strong>de</strong>sbeauftragte für <strong>die</strong> Unterlagen <strong>de</strong>s<br />

Min<strong>ist</strong>eriums für Staatssicherheit <strong>de</strong>r ehemaligen DDR freigegebenen Dokumenten sowie<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXII.<br />

anhand von persönlichen Hintergrundgesprächen) einen tieferen Einblick in Ziele und<br />

Praktiken <strong>de</strong>r „sozial<strong>ist</strong>ischen Staatssicherheitsorgane“ zu bieten. Sie planten und operierten<br />

als ein <strong>de</strong>m „internationalen Tschekismus“ verpflichteter Verbund unter sowjetischer<br />

Führung.<br />

Einige Zitate, nicht ganz unabsichtlich mit einer Dosis Ironie aufbereitet, könnten kaum<br />

treffen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Exkurs in <strong>die</strong>ses Kapitel <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen und europäischen Nachkriegsgeschichte<br />

beschließen:<br />

Für Großvater „Alter John“ war <strong>die</strong> Befreiung aus einem <strong>de</strong>utschen Kerker während <strong>de</strong>r<br />

Okkupationszeit durch <strong>die</strong> Rote Armee „<strong>die</strong> Befreiung aus einem Höllenverlies.“ Da sei noch<br />

nicht klar gewesen, „was <strong>die</strong> Russen nach <strong>de</strong>r Befreiung mit <strong>de</strong>n Tschechen machen wür<strong>de</strong>n,<br />

sowohl politisch als auch mit politischen Gegnern“. (Aus Peter Härtlings Roman „Alter John“)<br />

„In <strong>de</strong>r Stalinzeit wäre nichts einfacher gewesen: verschwun<strong>de</strong>n und fertig. Keiner fragt<br />

danach“. (Alexan<strong>de</strong>r Solschenizyn, Autor <strong>de</strong>s „Archipel Gulag“). (3)<br />

„Wenn Menschen ohne Grund inhaftiert und gegängelt wer<strong>de</strong>n, wenn es keine politische<br />

Freiheit mehr gibt, keine freie <strong>Mein</strong>ungsäußerung, keine freien Wahlen, keine<br />

Gewaltenteilung.“ (Sarah Wagenknecht, auf <strong>die</strong> Frage: Wann nennen Sie ein politisches System<br />

Diktatur?) (4)<br />

„Weil <strong>die</strong>ser Sozialismus nie eingelöst hat, eine in je<strong>de</strong>r Hinsicht menschliche Gesellschaft zu<br />

sein“. (Die Fernsehjournal<strong>ist</strong>in Maybrit Illner, ehemaliges SED-Mitglied, über ihren Gesinnungs<br />

wan<strong>de</strong>l. (5)<br />

1) Dominik Duka, OP. (Jg. 1943). Pater Duka, Angehöriger <strong>de</strong>s Dominikaner-Or<strong>de</strong>ns, wur<strong>de</strong> 1970 zum Priester<br />

geweiht, am 6. Juni 1998 zum Bischof von Hra<strong>de</strong>c Kralové/Königgrätz ernannt. Am 26. September erhielt er <strong>die</strong><br />

Bischofsweihe. Hauptkonsekrator war sein Vorgänger, Titular-Erzbischof Karel Otcenásek; ferner erteilten <strong>die</strong><br />

Weihe <strong>de</strong>r Prager Erzbischof Kardinal Miloslav Vlk und <strong>de</strong>r Apostolische Nuntius in Tschechien Erzbischof<br />

Giovanni Coppa. 2004 wur<strong>de</strong> Duka zum Apostolischen Admin<strong>ist</strong>rator <strong>de</strong>s B<strong>ist</strong>ums Litomerice/Leitmeritz<br />

ernannt, um <strong>de</strong>n erkrankten Diözesanbischof Pavel Posád zu unterstützen. Posád wur<strong>de</strong> am 26. Januar 2008<br />

zum Weihbischof in Ceské Bu<strong>de</strong>jovice/Böhmisch Budweis ernannt; das B<strong>ist</strong>um Leitmeritz leitet ab <strong>de</strong>m 22.<br />

November 2008, <strong>de</strong>m Tag seiner Bischofsweihe, Jan Baxant, vorher Generalvikar von Ceské Bu<strong>de</strong>jovice.<br />

2) Quelle: Werner Kaltefleiter: Der Spitzel war immer dabei. Fernsehdokumentation in <strong>de</strong>r Reihe „Kontext“,<br />

ZDF v. 7. 2. 1990<br />

3) Der russische Schriftsteller gegenüber westlichen Korrespon<strong>de</strong>nten am 30. März 1972, in <strong>de</strong>r Sowjetunion<br />

durch <strong>de</strong>n Samisdat (Untergrundschrift) verbreitet, <strong>de</strong>utsche Fassung auszugsweise nachgedruckt in Alexan<strong>de</strong>r<br />

Solschenizyn: Von <strong>de</strong>r Unbeugsamkeit <strong>de</strong>s Ge<strong>ist</strong>es. …es wird nicht gelingen, endlos gegen <strong>die</strong> <strong>Wahrheit</strong><br />

anzugehen.“ Alexan<strong>de</strong>r Solschenizyn. Deklarationen zu Kultur und Politik. Verlag Die Arche, Zürich 1974<br />

4) Sahra Wagenknecht, ehemaliges Mitglied <strong>de</strong>r SED, <strong>de</strong>r PDS (im Parteivorstand sowie in <strong>de</strong>r Leitung <strong>de</strong>r<br />

Kommun<strong>ist</strong>ischen Plattform) bzw. <strong>de</strong>r „Linkspartei. PDS“ an. Sie <strong>ist</strong> Vorstandsmitglied <strong>de</strong>r Partei „Die Linke“<br />

und vertritt <strong>die</strong>se als Abgeordnete im Europäischen Parlament. in „Cicero“, Ausgabe 11/2008.<br />

5) Maybrit Illner, mit 21 in <strong>die</strong> SED ein- und mit <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r DDR aus <strong>de</strong>r Partei ausgetreten, in „Cicero“,<br />

Ausgabe 11/2008.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXIII.<br />

XXXIII. „Der Kurs war auf Vernichtung“<br />

„Wenn eine Nation ihr h<strong>ist</strong>orisches Gedächtnis verliert, geht sie neuen<br />

Katastrophen entgegen.“<br />

(Vaclav Havel, Bürgerrechtler und Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r ersten <strong>de</strong>mokratischen Republik <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei, nach <strong>de</strong>r „Samtenen Revolution“ von 1989)<br />

Deutsche, Tschechen und Slowaken sowie <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren Ethnien in <strong>die</strong>sem Teil Europas sind<br />

miteinan<strong>de</strong>r verwoben. Sie blicken auf eine gemeinsame Geschichte zurück, in <strong>de</strong>r öfter das<br />

Schwert als <strong>de</strong>r Palmenzweig Regie führte. Zu <strong>de</strong>n dunkelsten Kapiteln <strong>de</strong>r Vergangenheit<br />

zählen <strong>die</strong> Jahre <strong>de</strong>r nationalsozial<strong>ist</strong>ischen Gewaltherrschaft und <strong>de</strong>r sowjetkommun<strong>ist</strong>ischen<br />

Diktatur. Dem Wunsch nach Versöhnung und <strong>de</strong>r Bitte um Vergebung tritt immer wie<strong>de</strong>r <strong>die</strong><br />

Erinnerung ent gegen. Wun<strong>de</strong>n mögen vernarbt sein, aber sie mel<strong>de</strong>n sich schmerzhaft zurück,<br />

wenn das „Wetter“ umschlägt, um <strong>die</strong>s mit einem medizinischem Phänomen zu vergleichen.<br />

Der ehemalige Bun<strong>de</strong>skanzler Helmut stellte im Herbst 2008 fest: „ Das Verhältnis zwischen<br />

<strong>de</strong>n Polen und <strong>de</strong>n Deutschen <strong>ist</strong> nicht sehr gut, das Verhältnis zwischen <strong>de</strong>n Tschechen und<br />

<strong>de</strong>n Deutschen <strong>de</strong>sgleichen.“ (1).<br />

Warum gestalten sich <strong>die</strong> Beziehungen so schwierig? Es mag viele Anlässe geben, wie <strong>die</strong><br />

Geschichte lehrt, bei kleinen Streitereien, wie sie unter Nachbarn offenbar unvermeidlich<br />

sind, ob im Privaten o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r „großen Politik. Alte und neue gesellschaftliche Vorurteile<br />

können <strong>die</strong> Atmosphäre vergiften. Und schließlich, auf hoher Ebene, <strong>die</strong>se und jene<br />

internationalen Bündnisverpflichtungen, <strong>die</strong> dann und wann, wohl o<strong>de</strong>r übel, <strong>die</strong> einen und<br />

<strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren, in Konflikte hineinziehen.<br />

Der Prager Philosoph Jan Sokol, Stimme <strong>de</strong>r Aussöhnung zwischen Tschechen und<br />

Deutschen, (2) bemerkte in einem Gespräch mit <strong>de</strong>m Autor, als wir vom Hradschin auf <strong>die</strong><br />

Stadt an <strong>de</strong>r Moldau schauten, in <strong>de</strong>r doch auch große Ge<strong>ist</strong>er Brücken zwischen <strong>de</strong>n Kulturen<br />

errichtet haben: „Unter Nachbarn sind <strong>die</strong> Beziehungen immer etwas schwieriger. Mit<br />

Kolumbien hatte <strong>die</strong> CSSR nie Probleme. Auch <strong>de</strong>r Größenunterschied spielt eine Rolle.“<br />

In einem Abriss <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r Tschechoslowakei, von <strong>de</strong>n Nachkriegsjahren bis zu <strong>de</strong>n<br />

„August-Ereignissen“ von 1968 markiert Jan Sokol einige <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong>punkte. Zunächst aber<br />

erinnert er daran, wie „<strong>die</strong> Befreiung durch <strong>die</strong> sowjetische Armee“ als „echte Befreiung mit<br />

tiefgreifen<strong>de</strong>r Wirkung“ verstan<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>. Dieses Votum erinnert an einen Satz aus Peter<br />

Härtlings Roman „Alter John“, <strong>de</strong>ssen Schlüsselfigur, <strong>de</strong>r Großvater, <strong>die</strong> Befreiung aus<br />

<strong>de</strong>utscher Kerkerhaft durch Rotarm<strong>ist</strong>en als „Befreiung aus <strong>de</strong>r Hölle“ empfand, zu einem<br />

Zeitpunkt allerdings, als er noch nicht wusste, was <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>en mit <strong>de</strong>n Tschechen<br />

machen wür<strong>de</strong>n, politisch und mit <strong>de</strong>n politisch Verfolgten.<br />

Der Ausgang <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges mit <strong>de</strong>r Vernichtung <strong>de</strong>r Hitlerdiktatur hatte für<br />

Tschechen und Slowaken das „Debakel“ von 1938/39, d.h. das Münchener Abkommen, <strong>die</strong><br />

Zerschlagung <strong>de</strong>r Tschechoslowakei, <strong>die</strong> Separation <strong>de</strong>r Slowaken in einen Vasallenstaat von<br />

Hitlers Gna<strong>de</strong>n und <strong>die</strong> Unterwerfung <strong>de</strong>r „Resttschechei“ in ein „Reichsprotektorat“ been<strong>de</strong>t.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXIII.<br />

Auf Schul<strong>de</strong>nl<strong>ist</strong>e, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Deutschen noch zu präsentieren war, stan<strong>de</strong>n „hun<strong>de</strong>rttausen<strong>de</strong><br />

von Opfern“. Wer konnte „<strong>die</strong> unglaublichen Schrecken <strong>de</strong>r Konzentrationslager“ vergessen.<br />

Niemand niemals! Schon in <strong>de</strong>r Vorkriegszeit haben „<strong>de</strong>r Wind von links geweht“, schreibt<br />

Sokol, „mit einer starken linken und zum Teil auch kommun<strong>ist</strong>ischen Bewegung.“ So habe<br />

Stalin seines künftigen Erfolgs in <strong>de</strong>r damaligen Tschechoslowakei sicher sein können. Es<br />

bedurfte keiner Bajonette, <strong>die</strong> das Regime von 1948 stützten.<br />

Nationalkommunismus an <strong>de</strong>r Moldau auf <strong>de</strong>r 100-Kronen-Note: Auf <strong>de</strong>r Vor<strong>de</strong>rseite das klassische<br />

Pragmotiv: Karlsbrücke, Hradschin, überragt vom St. Veitsdom – auf <strong>de</strong>r Rückseite <strong>de</strong>r zweite Nach<br />

kriegspräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Tschechoslowakei, <strong>de</strong>r Kommun<strong>ist</strong> Klement Gottwald, <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m<br />

Rücktritt von Edvard Benes von 1948 bis zu seinem Tod im Jahr 1953 das Amt übernahm. 1960<br />

erklärte sich <strong>de</strong>r Staat zur Tschechoslowakischen Sozial<strong>ist</strong>ischen Republik (CSSR)<br />

© Fotos: Werner Kaltefleiter<br />

Nach <strong>de</strong>m Abzug <strong>de</strong>r Roten Armee im Jahr 1946 stand „kein russischer Soldatenstiefel<br />

zwischen Erzgebirge und Karpaten“. Bis 1968. Jan Sokol übersieht nicht <strong>die</strong> „Kehrseite“ <strong>de</strong>r<br />

„Befreiung“, <strong>die</strong> „dunkle Zeit echter und zielbewusster Verfolgung.“. Er legt mit Messers<br />

Schärfe <strong>die</strong> fauligen Seiten <strong>de</strong>s roten Para<strong>die</strong>s-Apfels frei: Sie bil<strong>de</strong>n sich ab in <strong>de</strong>n ersten<br />

Schauprozessen nach <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Machtübernahme, gegen jene gerichtet, <strong>die</strong> als<br />

„Staatsfein<strong>de</strong>“ und i<strong>de</strong>ologische Gegner <strong>de</strong>s Regimes ausgemacht wur<strong>de</strong>n: politische<br />

Oppositionelle, auch „Dissi<strong>de</strong>nten“ aus <strong>de</strong>n eigenen Reihen sowie, aus <strong>de</strong>m kirchlichen<br />

Bereich, <strong>de</strong>r Klerus, vor allem Bischöfe und Or<strong>de</strong>nsleute aber auch engagierte Laien. Jan<br />

Sokol: „Der Kurs war auf Vernichtung.“<br />

Dann kam <strong>die</strong> „Zeit <strong>de</strong>r Lockerung“, <strong>die</strong> „verführerischen“ 60er Jahre. „Aufgeklärte“<br />

Parteimitglie<strong>de</strong>r, nicht zuletzt aus <strong>de</strong>m Kreis <strong>de</strong>r Intellektuellen, suchten - ohne <strong>de</strong>m<br />

Kommunismus <strong>de</strong>n Laufpass zu kommen, eine Rückkehr zur reinen Lehre, <strong>de</strong>ren äußere<br />

Gestalt „menschliche Züge“ annehmen sollte. Jan Sokol schreibt: Die Kirche habe sich zwar<br />

weiterhin in einem „Zustand <strong>de</strong>r Belagerung“ befun<strong>de</strong>n. „Aber <strong>de</strong>r Wind blies weniger<br />

scharf“.<br />

Man konnte leichter ins Ausland reisen. Allerdings nur innerhalb <strong>de</strong>s Ostblocks. Für Chr<strong>ist</strong>en<br />

öffneten sich neue Möglichkeiten sich auf ökumenischer Ebene zu begegnen. Auch aus Rom<br />

schien ein neuer Wind zu wehen, „ließ Hoffnung keimen“. Einige Bischöfe durften mit<br />

staatlicher Erlaubnis nach Rom reisen, um am Zweiten Vatikanischen Konzil teilzunehmen.<br />

Eine solches „Entgegenkommen“ <strong>de</strong>r Partei wur<strong>de</strong> schon als ein Zeichen einer Entspannung<br />

im Staat-Kirche-Verhältnis gewertet. Muss <strong>de</strong>r „Fall Beran“ aus <strong>de</strong>m Jahre 1965 in <strong>die</strong>sem<br />

Kontext gesehen wer<strong>de</strong>n – <strong>de</strong>r Kardinalspurpur für <strong>de</strong>n Prager Erzbischof Josef Beran (ohne<br />

Wi<strong>de</strong>rspruch <strong>de</strong>r Staatsmacht); seine „Reiseerlaubnis“ für einen Rom-Aufenthalt (ohne<br />

Rückkehr in seine Heimat, <strong>de</strong>nn zwischenzeitlich erfolgte eine Ausweisung durch das<br />

Novotny-Regime).<br />

War <strong>de</strong>r tapfere Beran zur „Belastung“ in <strong>de</strong>n zwischenstaatlichen Beziehungen gewor<strong>de</strong>n,<br />

<strong>die</strong> „Lösung“ das Opfer auf <strong>de</strong>m Altar <strong>de</strong>r neuen vatikanischen Ostpolitik unter Paul VI.?<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXIII.<br />

Gehörte ein nachsichtiger Umgang mit <strong>de</strong>n „Frie<strong>de</strong>nspriestern“, <strong>de</strong>n „schlimmsten<br />

Kollaboranten“ hohe Auszeichnungen umzuhängen, zur vatikanischen Strategie <strong>de</strong>s modus<br />

vivendi. Römische Interessen und örtliche Realitäten blieben, ob Prag, Warschau o<strong>de</strong>r<br />

Budapest betreffend, bisweilen wi<strong>de</strong>rsprüchlich und bei<strong>de</strong>rseits uneinsichtig.<br />

Nach Josef Beran übernahm Frantisek Tomásek, <strong>de</strong>r geheim geweihte bisherige Weihbischof<br />

in Olmütz, übernahm als Apostolischer Admin<strong>ist</strong>rator <strong>de</strong>n Prager Stuhl. „Auf ihn ruhte <strong>die</strong><br />

Hauptlast <strong>de</strong>r Verantwortung für <strong>die</strong> Kirche während <strong>de</strong>s Prager Frühlings“, schreibt Jan<br />

Sokol.<br />

Die politischen Wetterbedingungen hielten, von temporären Klimaschwankungen abgesehen<br />

an. Man hatte seine Kleidung entsprechend angepasst, an<strong>de</strong>rs ausgedrückt: Chr<strong>ist</strong>en, hier <strong>die</strong><br />

<strong>Kath</strong>oliken hielten sich an <strong>die</strong> in <strong>de</strong>r Familie gepflegte Ordnung, zum Beispiel sonntags<br />

Besuch <strong>de</strong>s Gottes<strong>die</strong>nstes. Darüber hinaus aber „absolute Unauffälligkeit“. Jan Sokol<br />

bemüht in <strong>die</strong>sem Zusammenhang ein bekanntes tschechisches Sprichwort, wonach man<br />

„sogar an <strong>de</strong>n Galgen gewöhnen“ kann. Hören wir da etwa <strong>de</strong>n braven Soldaten Schwejk<br />

heraus?<br />

Zusammengefasst: Die Erwartung, dass <strong>de</strong>r Putsch von Februar 48 schon im Herbst platzen<br />

wür<strong>de</strong>, habe sich als frommer Wunsch erwiesen, schreibt Sokol. Die Kommun<strong>ist</strong>en hätten<br />

sich etabliert. Die harte Probe <strong>de</strong>r fünfziger Jahre habe man jedoch gut bestan<strong>de</strong>n. Aus <strong>die</strong>ser<br />

Prüfung seien „Tausen<strong>de</strong> von unbekannten Hel<strong>de</strong>n“ hergegangen. Im Verlauf <strong>de</strong>r<br />

kommen<strong>de</strong>n Jahre mil<strong>de</strong>rte sich <strong>de</strong>r Druck <strong>de</strong>r Staatsmacht, auch <strong>die</strong> Oberaufsicht verhielt<br />

sich eher zurückhaltend. „Der russische Bär mochte brummen, aber er zeigte seine Tatzen<br />

nicht“.<br />

Die Welt, von zwei Supermächten umklammert setzte auf Entspannung und friedliche<br />

Koex<strong>ist</strong>enz, ein Hauch, <strong>de</strong>r auch <strong>die</strong> Menschen zwischen Böhmerwald und Riesengebirge,<br />

Erzgebirge und Hoher Tatra erfasste. Das wür<strong>de</strong> nicht ohne Folgen für <strong>die</strong> gesellschaftliche<br />

Position <strong>de</strong>r Kirche bleiben. Wie sollten gläubige Chr<strong>ist</strong>en <strong>de</strong>m politischen Regime begegnen.<br />

In dauerhafter Konfrontation? „Die <strong>Kath</strong>oliken gerieten ins Schwimmen“, stellt Jan Sokol<br />

fest. Da sei nicht mehr „<strong>die</strong> Abwehrmauer, <strong>die</strong> Solidarität <strong>de</strong>s Lei<strong>de</strong>ns wie unter <strong>de</strong>r<br />

Verfolgung in <strong>de</strong>n 50er Jahren“ gewesen.<br />

Welcher Kommunismus stand <strong>de</strong>r Kirche jetzt entgegen?, fragt Sokol im Blick auf <strong>die</strong>se<br />

mittleren Jahre. Gewiss, es lebten noch „<strong>die</strong> Apparatschiks, <strong>die</strong> einem das Leben mehr o<strong>de</strong>r<br />

weniger schwer machten“. Aber das seien „keine überzeugten Kommun<strong>ist</strong>en“ gewesen, „mit<br />

<strong>de</strong>nen man sich nicht um <strong>de</strong>n Kern ihrer Orientierung streiten musste“. Mochten <strong>die</strong>se auf<br />

Parteitagen pflichtschuldige Lippenbekenntnisse ablegen, man hätte sie <strong>de</strong>nnoch wohl nicht<br />

als „i<strong>de</strong>ologische Fein<strong>de</strong>“ bezeichnen wollen. Die Dogmatiker hatten das Exil gesucht,<br />

an<strong>de</strong>re selbst von <strong>de</strong>n Apparatschiki inhaftiert wor<strong>de</strong>n. Fazit: „Hielt man sich als Chr<strong>ist</strong><br />

unauffällig, blieb noch etwas zum Leben.“ Der brave Soldat Schwejk im chr<strong>ist</strong>lichsozial<strong>ist</strong>ischen<br />

Alltag. Wie<strong>de</strong>rum nicht ohne Folgen für <strong>de</strong>n Aufbruch, <strong>de</strong>r im so genannten<br />

Prager Frühling“ gipfelt.<br />

Die Dissentenbewegung sei von <strong>de</strong>n me<strong>ist</strong>en Bürgern etwas „Stören<strong>de</strong>s und Befremdliches“<br />

angesehen wor<strong>de</strong>n, meint Sokol. Einer <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong>: Die Bewegung „wird von ehemaligen<br />

Kommun<strong>ist</strong>en“ getragen. Die Verän<strong>de</strong>rungen seien nicht „von unten“ gekommen, an<strong>de</strong>r als<br />

im Herbst 1989. En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 60er Jahre sei <strong>die</strong>s Sache <strong>de</strong>r „städtischen Intellektuellen gewesen,<br />

„ja sogar eine Prager Angelegenheit“.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXIII.<br />

Sokol erinnert an <strong>die</strong> „Initiative einiger entlassener katholischer Häftlinge, <strong>die</strong> im Mai 68 mit<br />

einem Offenen Brief mit rund 140 Unterschriften und „zusammen über 450 abgesessenen<br />

Jahren“ <strong>die</strong> Entwicklung unterstützte und Vergebung und Versöhnung angeboten habe. In<br />

Velehrad (3) tagte das soeben gegrün<strong>de</strong>te „Werk <strong>de</strong>r konziliaren Erneuerung“, eine von <strong>de</strong>m<br />

Prager Psychologe Jiri Nemec ausgehen<strong>de</strong> Laieninitiative, <strong>die</strong> im weiteren Verlauf von <strong>de</strong>n<br />

Bischöfen unterstützt wur<strong>de</strong>. Auch „<strong>de</strong>r erste Gedanke“ <strong>de</strong>r zur Charta 77 geführt habe, sein<br />

von Nemec gekommen. Sokol bleibt kritisch, schont we<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Geschichte noch <strong>die</strong> Person,<br />

<strong>die</strong> in <strong>die</strong>ser Zeit han<strong>de</strong>ln. Da <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Enttäuschung beson<strong>de</strong>rs über „<strong>die</strong> Anführer von 1968“,<br />

also aus <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s Schriftstellerkongresses von 1967 und <strong>de</strong>r Monate bis zur Sowjetinter-<br />

vention, „<strong>die</strong> das Ganze <strong>de</strong>savouieren“. Es sind für ihn auch jene, <strong>die</strong> – an<strong>de</strong>rs als <strong>de</strong>r Prager<br />

Jan Sokol – „ein Leben im Westen vorziehen“. 200 000 Exulanten hätten einen<br />

„gesellschaftlicher A<strong>de</strong>rlass“ verursacht.<br />

Den dunklen Nächten und schweren Tagen folgt ein neuer Morgen. Aus Polen <strong>die</strong><br />

„Solidarnosc“, aus Moskau <strong>die</strong> „Perestrojka“ – wie ein „Weckruf“ holt sie <strong>die</strong> Menschen an<br />

<strong>de</strong>r Moldau aus ihrer Dämmerung. Im eigenen Land bewegt sich etwas. 150 000 Pilger<br />

machen sich 1985 auf nach Velehrad. Statt Beifall hinter verschlossenen Türen ernten<br />

Parteiredner auf offenem Feld gellen<strong>de</strong> Pfiffe. Eine halbe Million Unterschriften wer<strong>de</strong>n als<br />

Petition für Religionsfreiheit an <strong>die</strong> Staatsmacht adressiert.<br />

Auf <strong>de</strong>m Wenzelsplatz: Ehre <strong>de</strong>n Opfern <strong>de</strong>r Zwangsherrschaft –<br />

Auf <strong>de</strong>r Prager Burg: Wachablösung vor<br />

<strong>de</strong>m Präsi<strong>de</strong>nten-Palast.<br />

© Fotos: Werner Kaltefleiter<br />

Am 12. November 1989 spricht Papst Johannes Paul II. <strong>die</strong> tschechische Königstochter<br />

Agnes von Böhmen heilig. Ihr Leben war von Frömmigkeit und Dienst an <strong>de</strong>n Armen<br />

gezeichnet. Die einzige Or<strong>de</strong>nsgemeinschaft böhmischen Ursprungs, <strong>die</strong> Kreuzherren vom<br />

Roten Stern geht auf Agnes zurück. Ein Zeichen aus Rom , am Vorabend jener Wochen, in<br />

<strong>de</strong>nen das noch in einem gemeinsamen Staat vereinte Volk von Tschechen und Slowaken in<br />

eigener Sache entschei<strong>de</strong>t.<br />

Der politischen und gesellschaftlichen Renovierung gehen Ortsbesichtigungen voraus. Der<br />

Flurscha<strong>de</strong>n <strong>ist</strong> unübersehbar. Die Kirche, traditionell stärker in <strong>de</strong>n ländlichen Gebieten als<br />

in <strong>de</strong>n Städten verwurzelt, <strong>ist</strong> von einem Kahlschlag getroffen. Eine Stat<strong>ist</strong>ik lässt vor <strong>de</strong>m<br />

Ausmaß erschrecken, <strong>die</strong> das Wüten <strong>de</strong>r kommun<strong>ist</strong>ischen Gesinnungslehre hinterlassen hat.<br />

So gilt <strong>die</strong> Tschechische Republik mit ihren rund 10,2 Millionen Einwohnern als eines <strong>de</strong>r<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXIII.<br />

me<strong>ist</strong> säkularisierten Län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Welt. Gemäß einer Volkszählung aus <strong>de</strong>m Jahr 2001 sind 59<br />

Prozent <strong>de</strong>r Gesamtbevölkerung ohne Bekenntnis. Die <strong>Kath</strong>oliken machen rund 26,8 Prozent<br />

an <strong>de</strong>r Bevölkerung aus, <strong>die</strong> Protestanten stellen einen Anteil von 2,1 Prozent.<br />

Wie bei <strong>de</strong>m langen und oft steinigen Weg <strong>de</strong>r Aussöhnung mit Franzosen und Polen, gehen<br />

auch Tschechen und Slowaken auf <strong>die</strong> Deutschen zu. Pfarrgemein<strong>de</strong>n, chr<strong>ist</strong>liche<br />

Organisationen und Konferenzen le<strong>ist</strong>en Schrittmacher<strong>die</strong>nste.<br />

Der Prager Erzbischof Kardinal Frantisek Tomásek, rief <strong>die</strong> Menschen im eigenen Land zur<br />

Rückbesinnung auf. In einer Stellungnahme (am 11. Januar 1990) zu <strong>de</strong>n Zwangsmaßnahmen,<br />

„<strong>die</strong> sich gegen <strong>die</strong> Deutschen in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei richteten“, bezeichnete er <strong>die</strong>se als<br />

„Akte <strong>de</strong>r Rachgier und <strong>de</strong>r Verfolgung“. Sie bil<strong>de</strong>ten einen „Schandfleck auf unserer<br />

nationalen Ehre“. Dieses Wort traf sich mit einer Äußerung von Staatspräsi<strong>de</strong>nt Vaclav<br />

Havel, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Vertreibung eine „zutiefst unmoralische Tat“ nannte. Auf <strong>de</strong>utscher Seite<br />

reagierten <strong>die</strong> Bischöfe mit einer Erklärung „zur Versöhnung mit <strong>de</strong>m tschechischen Volk“<br />

unter <strong>de</strong>r Überschrift „Die <strong>Wahrheit</strong> und <strong>die</strong> Liebe machen uns frei“.<br />

Am 8. März, auf <strong>de</strong>r Frühjahrsvollversammlung <strong>de</strong>r Deutschen Bischofskonferenz in<br />

Augsburg beschlossen <strong>die</strong> Teilnehmer einstimmig ein Dokument, dass sich mit „Scham“ zu<br />

<strong>de</strong>m schuldhaften Verhalten auch vieler Chr<strong>ist</strong>en in <strong>de</strong>n Jahren <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Diktaturen bekennt.<br />

Die Wun<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> <strong>de</strong>utsche Anmaßung <strong>de</strong>n Nachbarn zugefügt hat, lässt <strong>die</strong> Erklärung <strong>de</strong>s<br />

Episkopats an einigen Punkten <strong>de</strong>utlich wer<strong>de</strong>n: Missachtung <strong>de</strong>s Selbstbestimmungsrechtes<br />

<strong>de</strong>s tschechischen Volkes, Bedrohung seiner nationalen Ex<strong>ist</strong>enz, Unterdrückung während <strong>de</strong>r<br />

Okkupation. Missbrauch <strong>de</strong>s Verlangens <strong>de</strong>s slowakischen Volkes nach nationaler<br />

Eigenständigkeit für <strong>die</strong> Zwecke <strong>de</strong>r Machtpolitik <strong>de</strong>r nationalsozial<strong>ist</strong>ischen Führung,<br />

Unrecht an Tschechen durch erzwungene und geplante Umsiedlung seit 1938. Und,<br />

fürchterlicher als alles an<strong>de</strong>re: <strong>die</strong> Ermor<strong>de</strong>ten und Vertriebenen <strong>de</strong>s nationalsozial<strong>ist</strong>ischen<br />

Terrors. Die Oberhirten <strong>de</strong>r Berliner Bischofskonferenz ergänzten <strong>die</strong>ses mutige, vermutlich<br />

nicht ungeteilte Zustimmung (etwa seitens <strong>de</strong>r Uneinsichtigen) fin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Bekenntnis, in <strong>de</strong>m<br />

sie „zutiefst“ <strong>die</strong> Teilnahme <strong>de</strong>r Nationalen Volksarmee <strong>de</strong>r DDR an <strong>de</strong>r gewaltsamen<br />

Unterdrückung <strong>de</strong>s „Prager Frühlings“ im August 1968 bedauerten.<br />

Was bliebe zu sagen am En<strong>de</strong> <strong>die</strong>ser Dokumentationsreihe, <strong>die</strong> sich nicht als ein spätes<br />

Tribunal versteht, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>m Bemühen geleitet <strong>ist</strong>, <strong>de</strong>r <strong>Wahrheit</strong> zu <strong>die</strong>nen. Nicht einer<br />

beliebigen <strong>Wahrheit</strong>. Die Antwort bün<strong>de</strong>lt sich in <strong>de</strong>m Brief, mit <strong>de</strong>m <strong>die</strong> Bischöfe <strong>de</strong>r<br />

katholischen Kirche in <strong>de</strong>r (noch gemeinsamen) Tschechischen und Slowakischen<br />

Fö<strong>de</strong>rativen Republik am 5. September 1990 ihrer <strong>de</strong>utschen Amtsbrü<strong>de</strong>rn antworteten.<br />

Ihre Botschaft überschrieben sie mit <strong>de</strong>r Zusage, <strong>die</strong> Wun<strong>de</strong>n heilt, Gräben aufhebt und Zäune<br />

nie<strong>de</strong>rlegt: „Chr<strong>ist</strong>us <strong>ist</strong> unsere gemeinsame Hoffnung“. (4)<br />

1) Der ehemalige Bun<strong>de</strong>skanzler Helmut Schmidt in <strong>de</strong>r Zeit v. 30. Oktober 2008 „Was uns wirklich angeht –<br />

und was nicht“. Politik, S. 3)<br />

2) Prof. Jan Sokol (Jg. 1936). Philosoph, Phänomenologe; <strong>de</strong>r früheren „politischen Umstän<strong>de</strong>“ wegen,<br />

gelernter Goldschmied, Mechaniker, Mathematiker (Programmierer im Forschungsinstitut für mathematische<br />

Maschinen), Übersetzer. Mitunterzeichner <strong>de</strong>r „Charta 77“ , Mitarbeit an einer ökumenischen Bibelübersetzung<br />

63-79; nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> von 1990-92 Stellvertreten<strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Parlaments <strong>de</strong>r CSFR, 1998 Bildungs<br />

min<strong>ist</strong>er <strong>de</strong>r Tschechischen Republik. 2003 parteiloser Kandidat für das Amt <strong>de</strong>s tschechischen Staatspräsi<br />

<strong>de</strong>nten. Pro-Dekan (und Mitbegrün<strong>de</strong>r) <strong>de</strong>r Humanwissenschaftlichen Fakultät an <strong>de</strong>r Karlsuniver sität in Prag<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXIII.<br />

und Vize-Dekan für Internationale Beziehungen. vgl. auch Jan Sokol: Zeugnis und Abkapselung. „Concilium“<br />

Nr. 36/3, Juni 2000 - Internet-Fassung vom 21. Juni 2007.<br />

3) Velehrad (Welehrad) – be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>s mährisches Wallfahrtszentrum. Herrschersitz in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s Großmähri<br />

schen Reiches, im 13. Jahrhun<strong>de</strong>rt Z<strong>ist</strong>erzienserkloster, von Kaiser Joseph II. im Jahre 1784 aufgelöst.<br />

Höhepunkt im April 1990 <strong>de</strong>r Pastoralbesuch von Papst Johannes Paul II. Am Gottes<strong>die</strong>nst unter freiem Himmel<br />

nahm eine halbe Million Gläubige teil. In Velehrad wer<strong>de</strong>n Kyrill (Konstantin) und Methodius (erster<br />

mährischer Bischof) verehrt. Die aus Thessaloniki stammen<strong>de</strong>n Brü<strong>de</strong>r (9. Jh.) gelten als „Apostel <strong>de</strong>r Slawen“<br />

und „Patrone Europas“, 1980 von Johannes Paul II. ernannt. Der „polnische Papst“ machte <strong>die</strong> Annäherung<br />

zwischen <strong>de</strong>n Kulturen <strong>de</strong>s Ostens und <strong>de</strong>s Westens zu einem beson<strong>de</strong>ren persönlichen Anliegen. Europa müsse<br />

mit „zwei Lungenflügeln“ atmen.<br />

4) Quelle: Stimmen <strong>de</strong>r Weltkirche. Nr. 30. Worte <strong>de</strong>r Versöhnung. Erklärungen <strong>de</strong>r Bischöfe Deutschlands und<br />

<strong>de</strong>r CSFR. Hrsg.: Sekretariat <strong>de</strong>r Deutschen Bischofskonferenz. 5. September 1990. Bonn.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXIV.<br />

XXXIV. Zeittafel<br />

1918: Zerfall <strong>de</strong>r Wiener Donau-Monarchie als Folge <strong>de</strong>s Ersten Weltkriegs. Tschechen und<br />

Slo waken proklamieren am 28. Oktober <strong>de</strong>n neuen Staat, <strong>die</strong> Tschechoslowakische Republik CSR<br />

(bis 1939), bestätigt durch <strong>die</strong> Verträge von Saint Germain und Trianon von 1919. Das Staatsgebiet<br />

umfasst Böhmen, Mähren, <strong>de</strong>n Großteil von Mährisch-Schlesien, <strong>die</strong> Slowakei und <strong>die</strong> Karpato-<br />

Ukraine. Ein Drittel <strong>de</strong>r Bevölkerung gehört an<strong>de</strong>ren Ethnien an. 14 Prozent sind <strong>de</strong>utschsprachig.<br />

Die geschlossen besie<strong>de</strong>lten Gebiete sind unter <strong>de</strong>m Sammelbegriff Su<strong>de</strong>tenland zusammengefasst.<br />

Strömungen <strong>de</strong>s Nationalismus begleiten <strong>die</strong> Geburt das neuen Staates. Die Erste Republik stellt sich<br />

zwar als ein multiethnischer Staat vor, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen, ungarischen, ruthenischen und auch <strong>de</strong>n<br />

slowakischen Volksgruppen wird jedoch das Recht auf Selbstbestimmung bestritten.<br />

Auf religiös-kirchlichem Gebiet: Los-von-Rom-Bewegung und Nationalkirche in Böhmen. Erstarkung<br />

<strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen I<strong>de</strong>e in <strong>de</strong>r Arbeiterschaft, Folge <strong>de</strong>r engen Verflechtung von „Thron und Altar“<br />

und Nähe <strong>de</strong>r katholischen Kirche zur Bourgeoisie in <strong>de</strong>r Geschichte. In Pilsen, Hochburg <strong>de</strong>r<br />

hussitischen Bewegung, tritt <strong>die</strong> Hälfte <strong>de</strong>r <strong>Kath</strong>oliken aus <strong>de</strong>r katholischen Kirche aus.<br />

1938: Adolf Hitler kündigt in einer Reichstagsre<strong>de</strong> am 20. Februar an, „alle Deutschen in Mitteleuropa<br />

in einem Staat zu vereinigen“. Nach <strong>de</strong>m Anschluss Österreichs for<strong>de</strong>rt er im März 1938, <strong>die</strong> Su<strong>de</strong>ten.<br />

Am 21. April Vorbereitung für „Unternehmen Grün“, <strong>die</strong> Besetzung <strong>de</strong>r Tschechoslowakei. Am 30.<br />

Mai gegenüber <strong>de</strong>m Chef <strong>de</strong>s OKW, General Wilhelm Keitel: „Es <strong>ist</strong> mein unabän<strong>de</strong>rlicher<br />

Entschluss, <strong>die</strong> Tschechoslowakei durch militärische Maßnahmen in naher Zukunft zu zerschlagen.<br />

Spätestens am 1. Oktober 1938.“<br />

Staatspräsi<strong>de</strong>nt Edvard Benes ordnet Teilmobilmachung an. Er hofft auf England und Frankreich.<br />

Diese aber wollen Hitler besänftigen, (appease) und einen Weltkrieg vermei<strong>de</strong>n. Die<br />

Tschechoslowakische Regierung bietet Abtretung kleinerer Teile <strong>de</strong>r Su<strong>de</strong>ten an, <strong>de</strong>utschsprachige<br />

Bevölkerung <strong>de</strong>r CSR soll zwangsweise aus von Tschechien beanspruchten „<strong>de</strong>utschen<br />

Stammgebieten“ ausgesie<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>n Su<strong>de</strong>tengebieten wird das Standrecht eingeführt, <strong>die</strong><br />

Su<strong>de</strong>ten<strong>de</strong>utsche Partei verboten. Deutsche und Österreicher, <strong>die</strong> von <strong>de</strong>n Nazis gejagt wer<strong>de</strong>n,<br />

erhalten Pässen, um Emigration zu ermöglichen.<br />

„Münchner Abkommen“ vom 29. September 1938, ohne Beteiligung <strong>de</strong>r Tschechoslowakei.<br />

Deutschland und Italien einigen sich mit Großbritannien und England. Gebiete mit mehrheitlich<br />

<strong>de</strong>utscher Bevölkerung wer<strong>de</strong>n, ohne Volksabstimmung, <strong>de</strong>m Deutschen Reich zugesprochen.<br />

Propagandamin<strong>ist</strong>er Joseph Goebbels über Staatspräsi<strong>de</strong>nt Edvard Benesch: „Den Jungen haben wir<br />

fertiggemacht“ und weiter in seinem Tagebuch: „Wir ordnen an, dass <strong>de</strong>r Name Tschechoslowakei<br />

nicht mehr gebraucht wird. Wir sprechen von Böhmen und Mähren als ur<strong>de</strong>utschen Gebieten.“ (Auf<br />

<strong>de</strong>utschen Druck hin fallen <strong>die</strong> Südslowakei und <strong>die</strong> Karpato-Ukraine zunächst durch Wiener<br />

Schiedsspruch von 1940 an Ungarn (wie auch das rumänische Nord-Siebenbürgen; Teschener<br />

Gebietsteile wer<strong>de</strong>n von Polen besetzt) Am 1. Oktober Besetzung <strong>de</strong>s Su<strong>de</strong>tenlan<strong>de</strong>s; am 5. Oktober<br />

Rücktritt von Staatspräsi<strong>de</strong>nt Benes.<br />

1939: Hitler setzt Staatspräsi<strong>de</strong>nt Emil Hácha „<strong>die</strong> P<strong>ist</strong>ole auf <strong>die</strong> Brust“ (14. März). Am Abend<br />

<strong>de</strong>sselben Tages „Marsch auf Prag“ <strong>de</strong>utscher Truppen. Am Tag darauf <strong>ist</strong> <strong>die</strong> „Rest-Tschechei“<br />

endgültig von Deutschen besetzt. Ab 16. März als „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“ unter<br />

<strong>de</strong>utsche Verwaltung gestellt. Prag bleibt Hauptstadt, soll im Zuge <strong>de</strong>r „Lösung <strong>de</strong>r tschechischen<br />

Frage“ zu ihren angeblich <strong>de</strong>utschen Ursprüngen zurückkehren. Es beginnt <strong>die</strong> „Ein<strong>de</strong>utschung“ und<br />

„Umvolkung“ <strong>de</strong>r „brauchbaren“ sowie „Son<strong>de</strong>rbehandlung“, d.h. Vernichtung, <strong>de</strong>r „rassisch<br />

unbrauchbaren“ Tschechen, namentlich Ju<strong>de</strong>n und Zigeuner. Die ehemalige k.u.k. Festung<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXIV.<br />

Theresienstadt (Terezin) wird in ein Son<strong>de</strong>r-KZ vor allem für ältere Personen und zum Umschlagplatz<br />

für <strong>de</strong>n Weitertransport in <strong>die</strong> Vernichtungslager im Osten verwen<strong>de</strong>t. Den inhaftierten Tschechen<br />

folgen bald Ju<strong>de</strong>n aus an<strong>de</strong>ren europäischen Län<strong>de</strong>rn, auch aus Deutschland.<br />

Abtrennung <strong>de</strong>r Slowakei. Im Südosten entsteht, „unter <strong>de</strong>utschem Schutz“, <strong>die</strong> Erste Slowakische<br />

Republik (bis 1944). Der Marinonettenstaat Hitlers wird von katholischen Klerikern geführt: <strong>de</strong>m<br />

Priester Jozef Tiso als Staatspräsi<strong>de</strong>nt (als „vodca“ – Führer verehrt), und <strong>de</strong>m Bischof <strong>de</strong>r Zips (Spis),<br />

Ján Vojtassák als stellvertreten<strong>de</strong>m Vorsitzen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Staatsrates. Edvard Benes bil<strong>de</strong>t in London<br />

eine Exilregierung. Tschechen und Slowaken kämpfen an <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>r Alliierten gegen Hitler-<br />

Deutschland.<br />

Winston Churchill notiert: „Jetzt <strong>ist</strong> alles vorbei. Schweigend, traurig, verlassen und ge<strong>de</strong>mütigt zieht<br />

<strong>die</strong> Tschechoslowakei in <strong>die</strong> Finsternis zurück. / Ihre Bindungen an <strong>die</strong> westlichen Demokratien<br />

haben ihr in je<strong>de</strong>r Hinsicht gescha<strong>de</strong>t.“<br />

1941: Der ehemalige Chef <strong>de</strong>s Reichssicherheitshauptamtes, SS-Obergruppenführer Reinhard<br />

Heydrich, wird Stellvertreten<strong>de</strong>r Reichsprotektor. Er verhängt am 28. September Ausnahmezustand.<br />

Es folgt eine Verhaftungs- und Hinrichtungswelle.<br />

1942: Am 27. Mai 1942 Attentat auf Heydrich, von Exilregierung in London gesteuert. Der<br />

„To<strong>de</strong>sengel“ erliegt am 4. Juni seinen Verletzungen. Die Ortschaften Lidice und Lezaky wer<strong>de</strong>n im<br />

Juni <strong>de</strong>m Erdbo<strong>de</strong>n gleichgemacht, <strong>die</strong> männlichen Einwohner erschossen. Es folgen weitere<br />

Repressalien, als <strong>de</strong>ren Folge unzählige Menschen verfolgt und ermor<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />

„Ihm ging es in <strong>Wahrheit</strong> um <strong>die</strong> Vernichtung <strong>de</strong>s Chr<strong>ist</strong>entums, da seinen, Himmlers, biologisch-völkischen<br />

Zielsetzungen entgegenstand.“(Peter Longerich: Heinrich Himmler. Biographie. München 2008)/ Erinnerung an<br />

<strong>die</strong> verschleppten und <strong>die</strong> ermor<strong>de</strong>ten Kin<strong>de</strong>r von Lidice. © Fotos: Werner Kaltefleiter<br />

1944: In <strong>de</strong>r Slowakei organisiert <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>ische Partei einen Nationalaufstand<br />

1945: Mit Kriegsen<strong>de</strong> wird <strong>die</strong> Tschechoslowakische Republik wie<strong>de</strong>r hergestellt. (<strong>die</strong> Karpatoukraine<br />

fällt an <strong>die</strong> Sowjetunion). Edvard Benesch übernimmt <strong>die</strong> Führung <strong>de</strong>s Staates, an einer Regierung <strong>de</strong>r<br />

Nationalen Front sind auch <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>en beteiligt. Erste Welle <strong>de</strong>r Verfolgung und Vertreibung<br />

<strong>de</strong>r Bürger <strong>de</strong>utscher und ungarischer Nationalität. „Bestraft“ wer<strong>de</strong>n sollen jene, „<strong>die</strong> mit Nazi-<br />

Deutschland kollaboriert“ haben: Aberkennung <strong>de</strong>r Staatsbürgerschaft, Enteignung von Haus- und<br />

Grund-Besitz und Kapitalvermögen.<br />

Es beginnen „wil<strong>de</strong> Austreibungen“, dann organisierte bzw. gedul<strong>de</strong>te, begleitet von brutalen<br />

Übergriffen <strong>de</strong>r tschechischen Bevölkerung. Präsidiale Erlasse von Mai bis Dezember 1945, <strong>die</strong> sog.<br />

„Benes-Dekrete“ (x). Deutsche und Madyaren wer<strong>de</strong>n nicht nur enteignet, son<strong>de</strong>rn sie auch <strong>de</strong>r<br />

Vertreibung preisgegeben. Betroffen von <strong>de</strong>n Maßnahmen sind letztlich in <strong>de</strong>r Mehrheit auch<br />

<strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> für ihre Loyalität gegenüber <strong>de</strong>m tschechischen Staat verschont wer<strong>de</strong>n sollten. Der<br />

„Austreibung“, von <strong>de</strong>n Alliierten ohne Wi<strong>de</strong>rspruch hingenommen, fallen nach einer Schätzung rund<br />

2,5 Millionen Bürger zum Opfer. (In <strong>de</strong>r Deutsch-Tschechische Erklärung v. 21. Januar 1997 bedauert<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXIV.<br />

<strong>die</strong> tschechische Seite „<strong>die</strong> Vertreibung sowie zwangsweise Aussiedlung, Enteignung und<br />

Ausbürgerung unschuldiger Menschen.“)<br />

1947: Mit Hilfe Moskaus wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> <strong>de</strong>mokratischen Kräfte zunehmend entmachtet.<br />

1948: Demission <strong>de</strong>r Min<strong>ist</strong>er <strong>de</strong>r bürgerlichen Parteien im Kabinett Benesch. Dieser übergibt am 25.<br />

Februar praktisch <strong>die</strong> Macht an <strong>die</strong> Kommun<strong>ist</strong>en, an<strong>de</strong>re sprechen von einem „Putsch“. Benesch will<br />

<strong>die</strong> Verfassung nicht unterschreiben und tritt am 7. Juni zurück. Sein Nachfolger wird <strong>de</strong>r<br />

Altkommun<strong>ist</strong> Klement Gottwald. Die Kommun<strong>ist</strong>en rechnen, ab auch parteiintern. Es kommt, wie<br />

selbst heutige Apologeten <strong>de</strong>s sozial<strong>ist</strong>ischen Systems einräumen, zu massiven Verletzungen <strong>de</strong>r<br />

sozial<strong>ist</strong>ischen Gesetzlichkeit, im Klartext zu „Schauprozessen“ nach stalin<strong>ist</strong>ischem Muster. Diese<br />

Willkürmetho<strong>de</strong>n einer politischen Justiz halten bis in <strong>die</strong> 60er Jahre an. Bei <strong>de</strong>n Maiwahlen stimmten<br />

nur zehn Prozent <strong>de</strong>r Tschechoslowaken stimmen gegen <strong>die</strong> aufziehen<strong>de</strong> Gefahr <strong>de</strong>r bolschew<strong>ist</strong>ischen<br />

Diktatur. Churchill: „Der Eiserne Vorhang funktioniert in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei bereits“.<br />

1949: Staatliche Kirchengesetze. Religiöse Erziehung <strong>ist</strong> öffentlich verboten, fin<strong>de</strong>t nur in privaten<br />

Zirkeln, hinter verschlossenen Türen, statt. „Kirche <strong>de</strong>r Katakombe“ in Wohnzimmern und an<strong>de</strong>ren<br />

heimlichen Treffpunkten, insbeson<strong>de</strong>re, um <strong>die</strong> Jugend an <strong>de</strong>n chr<strong>ist</strong>lichen Glauben zu bin<strong>de</strong>n.<br />

Staatliche Reaktion: Bildung regimefreundlicher Organisationen, Spaltung <strong>de</strong>s Klerus in<br />

fortschrittliche und reaktionäre Kräfte. Eine vom Staat kontrollierte „<strong>Kath</strong>olische Aktion“ soll <strong>die</strong><br />

Bildung einer Nationalkirche vorbereiten, sie scheitert kurz nach ihrer Gründung am Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r<br />

Bischöfe.<br />

1950: Klement Gottwald verkün<strong>de</strong>t am 26. Februar <strong>die</strong> Liqui<strong>die</strong>rung <strong>de</strong>r ge<strong>ist</strong>lichen Männeror<strong>de</strong>n.<br />

Das Amt für <strong>die</strong> religiösen Angelegenheiten und <strong>die</strong> Polizei <strong>de</strong>portieren in ver<strong>de</strong>ckten<br />

Verhaftungsaktionen <strong>die</strong> Ge<strong>ist</strong>lichen an geheim gehaltene Orte, wo sie interniert wer<strong>de</strong>n. (u.a. das<br />

ehemalige Kartäuser-Kloster bei Valdice nahe Jitschin (Jicin) , einer weitläufigen Klosteranlage.<br />

Unter Kaiser Josef II. wie alle kontemplativen als „unproduktiv“ bezeichneten Klöster aufgehoben.<br />

Seit 1875 als Zuchthaus genutzt.<br />

1951: Gesamtstaatlicher Ausschuss <strong>de</strong>r katholischen Ge<strong>ist</strong>lichen. Vom Regime als<br />

„Einflussorganisationen“ instrumentalisiert, sollen staatliche genehmigte kirchliche Vereinigungen<br />

nach außen <strong>de</strong>n Eindruck von Religionsfreiheit wecken, jedoch wird erwartet, dass ihre Vertreter, auf<br />

internationaler Ebene, nicht zuletzt bei Begegnungen mit <strong>de</strong>m westlichen Ausland, <strong>die</strong> Linie ihrer<br />

politischen Auftraggeber vertreten. Ein bevorzugter Bereich <strong>ist</strong> <strong>die</strong> von Moskau vorgegebene<br />

Frie<strong>de</strong>nsdoktrin. Auf katholischer Seite entwickelt sich in <strong>de</strong>n 70er Jahren <strong>die</strong> <strong>de</strong>m Regime hörige<br />

„Frie<strong>de</strong>nspriesterbewegung“ unter <strong>de</strong>r Bezeichnung „Pacem in terris“ – prominente protestantische<br />

Theologen sind in <strong>de</strong>r Prager Chr<strong>ist</strong>lichen Frie<strong>de</strong>nskonferenz anzutreffen, <strong>die</strong> enge Kontakte<br />

insbeson<strong>de</strong>re nach West<strong>de</strong>utschland sucht.<br />

1967: Schwerwiegen<strong>de</strong> Wirtschaftskrise. Auf <strong>de</strong>m IV. Schriftstellerkongress 1967 in Prag tritt <strong>de</strong>r<br />

Chefredakteur <strong>de</strong>r Literaturzeitschrift Liternarni noviny, Ludvig Vaculik als Wortführer <strong>de</strong>r kritischen<br />

Intellektuellen auf und beklagt das „Verhältnis zwischen Staatsbürger und Macht, zwischen Macht<br />

und Kultur.“<br />

1968: Min<strong>ist</strong>erpräsi<strong>de</strong>nt Alexan<strong>de</strong>r Dubcek proklamiert einen „Sozialismus mit menschlichem<br />

Antlitz“. Er leitet <strong>de</strong>n „Prager Frühling“ ein. Sein Gegenspieler Vasil Bilak, Erster Sekretär <strong>de</strong>r KP <strong>de</strong>r<br />

Slo wakei, sen<strong>de</strong>t einen „Hilferuf“ nach Moskau. Militärische Intervention durch Truppen einiger<br />

Staaten <strong>de</strong>s Warschauer Vertrages, begrün<strong>de</strong>t mit „Bewahrung <strong>de</strong>r Geschlossenheit <strong>de</strong>r sozial<strong>ist</strong>ischen<br />

Gemeinschaft“, politisch und militärisch ausgedrückt: „Erhaltung <strong>de</strong>s Status quo in Europa“ und <strong>de</strong>s<br />

„Gleichgewichts <strong>de</strong>r Kräfte“.<br />

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Kirchenkampf in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei XXXIV.<br />

1971: Vereinigung katholischer Ge<strong>ist</strong>licher „Sdruzeni katolického duchovenstva – Pacem in terris.<br />

(benannt nach <strong>de</strong>n Anfangsworten <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>ns-Enzyklika von Papst Johannes XXXIII). 1982 Verbot<br />

<strong>de</strong>s Vatikans. 1990 Auflösung.<br />

1973: Dritte Krim-Konferenz <strong>de</strong>r Parteichefs <strong>de</strong>r Warschauer-Pakt-Staaten am 30. und 31. Juli.<br />

Beschlossen wird <strong>die</strong> endgültige Liqui<strong>die</strong>rung <strong>de</strong>r Religion. Die Tschechoslowakei sollte <strong>de</strong>n Anfang<br />

machen.<br />

1977: Kräfte <strong>de</strong>s inneren Wi<strong>de</strong>rstands sammeln sich, insbeson<strong>de</strong>re jene, <strong>die</strong> schon 67 mit Vaculik<br />

sympathisierten. Dieser formuliert das „Manifest <strong>de</strong>r 2000 Worte“. Petition, <strong>die</strong> „Charta 77“, gegen<br />

Verletzung <strong>de</strong>r Menschenrechte durch das Regime. Einer <strong>de</strong>r Wortführer <strong>ist</strong> Vaclav Havel. Der<br />

Wi<strong>de</strong>rspruch wird insbeson<strong>de</strong>re von <strong>de</strong>r Kulturszene (u.a. Musikgruppe „Plastic People of the<br />

Universe“) in <strong>die</strong> Öffentlichkeit getragen. Die Staatsmacht reagiert mit Verhaftungen und<br />

Internierungen. Seit <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rschlagung <strong>de</strong>r Prager Reformbewegung stehen sowjetische Truppen im<br />

Land. Die Generalstäbe <strong>de</strong>r tschechoslowakischen Streitkräfte gelten mehr o<strong>de</strong>r weniger als<br />

Zweigstellen sowjetischer Kommandos und Resi<strong>de</strong>nturen <strong>de</strong>r sowjetischen militärischen Aufklärung.<br />

1988: Weitere politische Aktionen <strong>de</strong>r Opposition. Gorbatschows „Perestroika“ ermutigt <strong>die</strong><br />

Opposition an <strong>de</strong>r Moldau.<br />

1989: Höhepunkt <strong>de</strong>r Demonstrationen Mitte November, in <strong>die</strong> so genannte Samtene Revolution<br />

mün<strong>de</strong>nd. Am 26. November 1989 versammeln sich Hun<strong>de</strong>rttausen<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>r Letna-Anhöhe auf <strong>de</strong>m<br />

Hradschin, in Sichtweite <strong>de</strong>s Veitsdomes. Zwei Angehörige <strong>de</strong>r Sicherheitskräfte entschuldigen sich<br />

bei <strong>de</strong>r Menge für das brutale Vorgehen gegenüber Demonstranten und bitten um Vergebung. Der<br />

Priester Vaclav Maly (heute Weihbischof in Prag), einer <strong>de</strong>r Sprecher <strong>de</strong>r Charta 77, for<strong>de</strong>rt <strong>die</strong><br />

Versammelten spontan auf, mit ihm gemeinsam das „Vaterunser“ mit <strong>de</strong>r Vergebungsbitte zu beten.<br />

En<strong>de</strong> Dezember wird Vaclav Havel zum Staatspräsi<strong>de</strong>nten gewählt<br />

1990: Tschechische und Slowakische Fö<strong>de</strong>rative Republik (CSFR). Die neue Fö<strong>de</strong>ration hält nur zwei<br />

Jahre, zu gravierend <strong>die</strong> diversen politischen Interessen, ethnischen Unterscheidungen und kulturellen<br />

Eigenständigkeiten.<br />

1991: Letztes Gipfeltreffen <strong>de</strong>r Staaten <strong>de</strong>s Warschauer Vertrages in Prag. Vaclav Havel, als Vertreter<br />

<strong>de</strong>s damals vorsitzen<strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>s, verkün<strong>de</strong>t „feierlich“ <strong>de</strong>r Welt, dass <strong>de</strong>r Pakt sich aufgelöst hat.<br />

1992: Das tschechoslowakische Parlament beschließt, ohne Volksbefragung (Referendum), <strong>die</strong><br />

Auflösung <strong>de</strong>r Fö<strong>de</strong>ration zum 31.12. 92. Es entstehen zwei unabhängige souveräne Staaten, <strong>die</strong><br />

Tschechische und <strong>die</strong> Slo wakische Republik mit <strong>de</strong>n Hauptstädten Praha (Prag) und Bratislava<br />

(Pressburg).<br />

x) Dekret Nr. 16 v. 19. Juni 1945 „ Über <strong>die</strong> Bestrafung von NS-Verbrechern, Verrätern sowie <strong>de</strong>ren Helfer und<br />

über <strong>die</strong> Außeror<strong>de</strong>ntlichen Volksgerichte“ (eine Art Standgerichte, <strong>die</strong> schnell und streng urteilen sollten) So<br />

genanntes Retributions<strong>de</strong>kret (Retribution: Vergeltung), zweimal verlängert bis 4. Mai 47 und dann erneuert<br />

durch Gesetz Nr. 33 vom 25. 3. 1948.<br />

© Werner Kaltefleiter, Wiesba<strong>de</strong>n. 2008.<br />

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