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2011 2031 2051 Medizin an den Grenzen des Lebens

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9. Juni <strong>2051</strong>. Ein warmer Freitagnachmittag in<br />

Berlin. Mein name ist Markus Müschenich. Ich<br />

bin Kinderarzt und habe viele Jahre als Zukunftsforscher<br />

und Topm<strong>an</strong>ager im Gesundheitswesen<br />

gearbeitet. heute feiere ich meinen 90. Geburtstag.<br />

Ich gehöre jetzt offiziell zu <strong>den</strong> hochbetagten. Mit<br />

mir sind das über zwei Millionen in diesem L<strong>an</strong>d.<br />

Zum Vergleich: Im Jahr 2010 gab es gerade einmal<br />

400.000 Menschen in der Generation 90 plus. Wir<br />

sind jetzt viele.<br />

Im Gegensatz zu früher ist der Freitag nicht mehr<br />

der letzte Tag vor dem Wochenende. Trotz der<br />

Proteste von Gewerkschaften und Kirchen hat m<strong>an</strong><br />

ab 2025 die feste Einteilung von Wochenarbeitstagen<br />

und Wochenende abgeschafft. Stichwort:<br />

Work-Life-Bal<strong>an</strong>ce. Begonnen hatten damit Firmen,<br />

die schon früh das Thema Familienfreundlichkeit<br />

auf ihre Fahnen schrieben und für die Mitarbeiter<br />

Möglichkeiten schufen, die Arbeitszeiten mit ihrem<br />

Familienleben zu harmonisieren. Berücksichtigt<br />

wurde dabei nicht nur die Versorgung der Kinder,<br />

sondern — die demografie ließ bereits grüßen — auch<br />

die zunehmende Pflege von Angehörigen. 2025<br />

zog eine der großen Volksparteien d<strong>an</strong>n in <strong>den</strong><br />

Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf mit der Aussicht auf ein<br />

Familienarbeitsgesetz.<br />

Was auf <strong>den</strong> ersten Blick schien wie reine Wahlkampftaktik,<br />

hatte tatsächlich einen gesundheitswissenschaftlichen<br />

hintergrund. die Wissenschaft hatte<br />

sich längst auf <strong>den</strong> Weg gemacht, die Mech<strong>an</strong>ismen<br />

<strong>des</strong> Alterns zu erforschen. dabei war m<strong>an</strong> auf die<br />

sogen<strong>an</strong>nten Telomere gestoßen. diese bestehen<br />

aus Proteinen und dnA, sitzen wie Kappen auf <strong>den</strong><br />

En<strong>den</strong> unserer chromosomen und schützen so das<br />

Erbgut jeder einzelnen Zelle vor der Zerstörung<br />

durch äußere Einflüsse. Mit dem Alter wer<strong>den</strong> diese<br />

Telomere immer kürzer. die Geschwindigkeit, mit<br />

der sich die Telomere verkürzen, ist von Person<br />

zu Person unterschiedlich. Forscher f<strong>an</strong><strong>den</strong> heraus,<br />

dass die Länge der Telomere mit der Anzahl<br />

der noch bei guter Gesundheit zu verbringen<strong>den</strong><br />

<strong>Lebens</strong>jahre korreliert. L<strong>an</strong>ge Telomere im mittleren<br />

<strong>Lebens</strong>alter bedeuteten ein von Kr<strong>an</strong>kheiten<br />

wie diabetes und herz-Kreislauf-Erkr<strong>an</strong>kungen<br />

weitgehend freies Leben. nun — so stellte sich bei<br />

weiteren Forschungen heraus — ist die Verkürzung<br />

der Telomere keineswegs nur schicksalshaft und<br />

arithmetisch auf die gelebten Jahre gleich verteilt.<br />

Als erste ursache für eine Verkürzung der Telomere<br />

wurde chronischer Stress i<strong>den</strong>tifiziert. Stress, wie<br />

er <strong>an</strong> <strong>den</strong> Arbeitsplätzen der republik und damit<br />

auch projiziert auf die Familien zu hause von Jahr<br />

zu Jahr zugenommen hatte. diese Entdeckung<br />

war damals eine Sensation, hatte m<strong>an</strong> doch einen<br />

ersten Schlüssel zur <strong>Lebens</strong>verlängerung bei<br />

gleichzeitig guter Gesundheit gefun<strong>den</strong>. und mit<br />

eben dieser Information ausgestattet ging es in<br />

<strong>den</strong> Wahlkampf. nach dem wenig überraschen<strong>den</strong><br />

Wahlsieg wurde das Wahlversprechen tatsächlich<br />

eingelöst. Es kam zur Einführung von Wunscharbeitszeitmodellen.<br />

Praktiziert habe ich meinen Beruf bis 81. und<br />

wie es der Zufall will, hat meine Enkelin Joh<strong>an</strong>ne,<br />

selber Kinderärztin, vor 14 Tagen einen Sohn<br />

geboren. Paulinus heißt er. Wir sind per iView<br />

verabredet. dazu schalte ich mein neo-h<strong>an</strong>dy<br />

ein und aktiviere die iView-Funktion meiner Brille.<br />

Statt ein display oder einen Bildschirm vor sich<br />

zu haben, schaut m<strong>an</strong> heute einfach durch seine<br />

Brille und sieht seinen Gesprächspartner scharf<br />

und <strong>an</strong>genehm großformatig. Joh<strong>an</strong>ne wohnt in<br />

<strong>2051</strong> MArKuS MÜSchEnIch ESSAY 09<br />

« Mit mir gibt es über zwei<br />

Millionen hochbetagte in<br />

diesem L<strong>an</strong>d. Zum Vergleich:<br />

Im Jahr 2010 gab es gerade<br />

einmal 400.000 Menschen<br />

in der Generation 90 plus.<br />

Wir sind jetzt viele. »<br />

dr. Markus Müschenich<br />

ist seit 2009 <strong>Medizin</strong>ischer<br />

Vorst<strong>an</strong>d der<br />

S<strong>an</strong>a Kliniken AG.<br />

der 50-jährige Kinderarzt<br />

und Gesundheitswissenschaftler<br />

ist<br />

Mitbegründer von<br />

«concepthospital»,<br />

das sich mit Szenarien<br />

der Kr<strong>an</strong>kenhäuser<br />

von morgen beschäftigt.

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