finden Sie die Ausgbabe als PDF! - Lesezentrum Steiermark
finden Sie die Ausgbabe als PDF! - Lesezentrum Steiermark
finden Sie die Ausgbabe als PDF! - Lesezentrum Steiermark
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
6<br />
kinder und jugend : literatur<br />
doppel:punkt 2013:4<br />
kröte des monats<br />
<strong>die</strong> besondere empfehlung der stube<br />
kröte der monate<br />
oktober 2013<br />
dirk steinhöfel<br />
<strong>die</strong> kinder im wind<br />
- A - G - N - E - R. Die Buchstaben sind in<br />
W kleine Holzwürfel geprägt, <strong>die</strong> auf eine Schnur<br />
aufgezogen und rund um das Ziffernblatt einer Uhr<br />
arrangiert werden; auf <strong>die</strong>sem Ziffernblatt thront wie<br />
auf einer Art Podest ein Kinderwagen im Stil der<br />
1950er-Jahre. Die Namensgebung <strong>als</strong> zentrales Moment<br />
der Identität wird damit scheinbar an den Beginn<br />
von Lebenszeit gebunden. Scheinbar. Denn <strong>die</strong><br />
Vorgeschichte hat gezeigt, dass Wagner <strong>die</strong> höchst-<br />
möglich unpersönliche Namensvariante für ein Kind<br />
ist, an dem niemand Interesse zeigt.<br />
Mit dem Umblättern entpuppt Wagner sich auch<br />
folgerichtig <strong>als</strong> gebrochene Identität: Der schicke<br />
Kinderwagen ist einem schlichten Holzleiterwagerl gewichen,<br />
<strong>die</strong> Namenskette ist zerrissen, einzelne Holzwürfel<br />
sind durch Steine mit provisorisch aufgemalten<br />
Buchstaben ersetzt worden, <strong>die</strong> dem Namen entsprechende<br />
Buchstabenchronologie ist durcheinandergeraten.<br />
Das anachronistische Verhältnis zwischen<br />
Wagners Geburtsjahr und Styling des Kinderwagens<br />
verweist auf ein Hin und Her zwischen den Zeiten,<br />
eine Form der Gleichzeitigkeit, <strong>die</strong> Dirk Steinhöfels<br />
artifiziellen Bild-Roman prägt. Handlungsebenen wer-<br />
den ebenso durchbrochen wie Bildseiten; verbindende<br />
Schnüre lösen sich, Baumgabeln durchstoßen <strong>die</strong><br />
Seiten, das Meer des Vergessens schwappt über Wagner<br />
zusammen.<br />
Das Moment der Befriedung wird an puppenhafte<br />
Gestalten gebunden, <strong>die</strong> Wagner mit sich nehmen. In<br />
lichtdurchfluteter Naturlandschaft, in der feingliedri-<br />
ges Herbstlaub den Weg weist, trifft Wagner auf das<br />
Sinnbild der Zeitreise: einen Zug. Dessen immer noch<br />
rauchende Lokomotive scheint ebenso gestrandet wie<br />
jene Gestalten, <strong>die</strong> sich in deren Innerem eingerichtet<br />
haben.<br />
Es sind märchenhafte Szenarien, <strong>die</strong> Dirk Steinhöfel<br />
in <strong>die</strong> schäbigen Zugabteile einschreibt, befriedete<br />
ebenso wie geheimnisvolle Momente, wenn sich<br />
Däumlinge an Schwäne schmiegen und Hexenkinder<br />
rote Farbakzente setzen. Die Gesichter all <strong>die</strong>ser Kinder<br />
sind abgewandt - erst nach und nach wenden sie<br />
sich Wagner - und damit den BetrachterInnen - zu und<br />
enthüllen ihre jeweiligen Lebensgeschichten. Es sind<br />
beschädigte Biografien wie jene von Wagner selbst,<br />
Biografien, <strong>die</strong> geprägt sind von Vereinzelung: Biogra-<br />
fien, in denen Erwachsene nur dann auftauchen, wenn<br />
den Kindern Gewalt angetan wird.<br />
Als künstlerisches Gestaltungsmoment nutzt Dirk<br />
Steinhöfel ein Medium, das <strong>als</strong> Inbegriff biografischer<br />
Annäherung zuletzt auch verstärkt im Umfeld der Kinder-<br />
und Jugendliteratur aufgetaucht ist: das Album.<br />
Seinem Wesen nach ist es eine Sammlung einzelner<br />
Bilder oder Fotografien, deren Zusammenhang erst<br />
durch Hintergrundkenntnis, Bildunterschriften, mündliche<br />
Erzählungen hergestellt werden kann. Das dem<br />
Comic innewohnende Moment der Induktion, <strong>die</strong> das<br />
Erkennen des Ganzen meint, obwohl nur Teile davon<br />
wahrgenommen werden können, wird hier auf <strong>die</strong><br />
Spitze getrieben. Die Bilder seiner Alben lässt Dirk<br />
Steinhöfel daher zu Bildsequenzen anwachsen, <strong>die</strong><br />
sehr kursorisch und sehr ausschnitthaft in <strong>die</strong> Lebensgeschichten<br />
der Kinder aus dem Zug hineinführen.<br />
Und das wortwörtlich: Die Möglichkeit, tiefer in<br />
den (Erinnerungs-)Raum des Zuges vorzudringen, führt<br />
der Künstler mit dem Versuch zusammen, seinen Alben<br />
mit den Mitteln der Zweidimensionalität stets Dreidimensionalität<br />
zu verschaffen. Jeder Lebensgeschichte<br />
wird dabei ein eigenes Foto-Design zugeordnet, vom<br />
schweren Pappbild bis zum Polaroid; <strong>die</strong>se Fotos werden<br />
in Alben genietet oder mit Hilfe der guten, alten<br />
Fotoecken auf Kartonseiten geklebt, <strong>die</strong> sich zum Sujet<br />
der jeweiligen Geschichte wandeln, zu Holzverschlä-