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26 KULTUR „Ich halte die Thesen und die kulturpolitischen Zielsetzungen, die diesen Vorschlägen zugrunde liegen, für falsch“, sagt Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Kulturförderung nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage „würde zu einer Kommerzialisierung der gesamten Kultur führen“. Neumanns Fazit: „Die vier Autoren schütten das Kind mit dem Bade aus.“ Bernd Neumann, Staatsminister für Kultur Eine Streichung von 50 Prozent der Zuwendung „geht weit an der Realität einer vielfältigen und länderbezogenen Struktur von Kultur und Kulturförderung vorbei“, sagt Landeskulturministerin Johanna Wanka. Die Debatte müsse mehr „als nur Aspekte der Finanzierung aufgreifen“. Ihr Instrument: das Kulturentwicklungskonzept des Landes. Johanne Wanka, Landeskulturministerin „Das Buch will provozieren und nicht argumentieren. Das ist schade“, sagt Oliver Scheytt zu „Der Kulturinfarkt“ und warnt vor einer „Gespensterdebatte“. „Denkverbote lösen keine Probleme. Wir brauchen bessere Argumente, um öffentliche Kulturausgaben zu begründen und die Bürger davon zu überzeugen“, sagt Scheytt und fordert eine „kluge Revision der kulturellenInfrastruktur“. Oliver Scheytt, Ruhr.2010 KOMPAKT Diesney floppt mit „John Carter“ dpa NEW YORK. Der Flop des Mars-Abenteuers „John Carter“ wird für Disney teuer. Der Film werde im laufenden Quartal voraussichtlich einen operativen Verlust von 200 Millionen Dollar bringen, kündigte der Unterhaltungsriese an. Der Film soll rund 250 Millionen Dollar gekostet haben – plus weitere rund 100 Millionen für Werbung. Weltweit brachte der Film bislang 184 Millionen Dollar ein, an denen auch die Kinos verdienen. „Kulturinfarkt“: Hilft nur der große Schnitt? Buchautoren provozieren: Die Debatte läuft Von Stefan Lüddemann OSNABRÜCK. Steht Deutschlands Kulturszene vor dem Infarkt? Das Buch „Der Kulturinfarkt“ hat eine Debatte ausgelöst. Auf dieser Seite sagen wir, was von dem Buch und seinen Thesen zu halten ist. Wir versammeln Stellungnahmen einflussreicher Kulturmacher und zeigen an drei Beispielen, wie überraschend innovativ Kultur finanziert wird. Die Diagnose: Deutschland steuert auf den „Kulturinfarkt“ zu. Die öffentlich finanzierte Kulturlandschaft erweist sich, fern von Marktgeschehen und Publikumswünschen, als reformunfähig. „Von allem zu viel und überall das Gleiche“: Mit dem Untertitel ihres Buches zielen die Autoren, allesamt Kulturmanager und Kulturberater, auf den ihrer Meinung nach unübersehbaren Stillstand einer öffentlich verantworteten Kultur, die ihre wesentlichen Versprechen nicht hat einlösen können. Emanzipation durch Kultur? Integration von Minderheiten, gar wirtschaftliche Belebung durch Theater, Museen, Konzerthäuser? Alles Fehlschläge – sagen die Autoren. Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz sehen die öffentlich geförderten Kultureinrichtungen als Sachwalter der Vorlieben und Interessen einer Minderheit, als Kartell, das Besitzstände wahrt und Erneuerung blockiert. Die Therapie: Das Autorenquartett rät zum radikalen Schnitt. „Was wäre gefährdet, wenn die Hälfte der Theater und Museen ver- Von Ralf Döring OSNABRÜCK. Am Ende ist es fast wie immer. Aber eben nur fast. Während das Publikum applaudiert, verschwindet Hermann Bäumer in den hinteren Reihen des OsnabrückerSymphonieorchesters, um sich bei Sonja Kettenhofen zu bedanken – sie hatte Montagmorgen noch nicht gewusst, dass sie abends als Solohornistin auf dem Podium der Osnabrückhalle sitzen würde. Sie hat ih- schwände? [. . .] Wäre das wirklich die Apokalypse?“, fragen die Autoren und empfehlen, die „Halbierung der Infrastruktur“. Jede zweite Kultureinrichtung wollen sie geschlossen sehen. Erst der entschiedene Verzicht schafft nach diesem Konzept Freiraum für neue Entwicklungen. Die Diagnostiker des „Kulturinfarkts“ schlagen vor, die frei werdenden Mittel für Laienkultur, die Förderung der digitalen Kulturindustrie, für Kunsthochschulen und kulturelle Bildung zu verwenden. Außerdem sollen ihrem Votum zufolge die verbleibenden öffentlichen Kulturhäuser besser finanziert werden. Die Kritik: Haselbach, Klein, Knüsel und Opitz legen mit „Der Kulturinfarkt“ nicht einfach ein Buch vor, sie werfen ein Pamphlet wie einen Sprengsatz in die Kulturszene. Mit dem Vorschlag, die Kulturszene zu halbieren, lösen sie polemische Reaktionen aus, weil sie an Besitzstände und Identitäten rühren. Diese Streitschrift rüttelt eine Szene auf, die seit Oliver Scheytts Buch „Kulturstaat Deutschland“ (2008) keine nennenswerte Programmatik mehr entwickelt hat. Die Infarkt-Diagnose sorgt für helle Aufregung – mehr aber auch nicht. Die vier Autoren leben als Ausbilder, Berater und Planer von der Kulturszene nicht nur gut, sie sind für ihren nun heftig beklagten Zustand auch mit verantwortlich. Jetzt betreiben sie Kulturverachtung – vor allem deshalb, weil sie ein schlampig geschriebenes und lückenhaft dokumentiertes Werk vorlegen, das erkennbar aus hastig verschraubten Beratertexten gebastelt ist. FINANZ-CHECK: KUNST „Es geht um gute Ideen“ Einnahmen über Sponsoren und Eintritte lü DÜSSELDORF/BREMEN. Öffentliche Vollversorgung? Davon können viele Museen und Kunsthallen nur träumen. Werner Lippert, Ausstellungsmanager des Düsseldorfer NRW-Forums, erhält jährlich 910 000 Euro von Stadt, Land und der Messe Düsseldorf für sein Haus. Der Jahresetat liegt aber bei rund drei Millionen. Den Fehlbetrag besorgt sich Lippert auf dem freien Markt. Das Ausstellungsprogramm wird gar bis zu 85 Prozent über Sponsoren finanziert. „Wir machen aktuelle Themen, haben ein junges Publikum“, sagt Lippert und fügt an: „Es geht nicht immer um das Geld, es geht um gute Ideen.“ Sein Lieblingsbeispiel in der Nachbarschaft: Das Wuppertaler Von-der- Heydt-Museum hat nach seinen Worten unter der neuen Leitung Ausstellungstätigkeit und Besucherzahlen deutlich gesteigert. Lipperts Fazit: Oft machen die richtigen Köpfe den Unterschied. Sponsoren sind auch in Bremen gefragt. 2,4 Millionen erhält die Kunsthalle jährlich von der Stadt – bei einem Jahresetat von mindestens fünf Millionen Euro. Das fehlende Geld erwirtschaftet das vom Kunstverein getragene Haus über Mitgliedsbeiträge, Eintritts- und Shoperlöse sowie Sponsorengelder. Nach den Worten von Ulrich Keller, Rechnungsführer des Kunstvereins, bringen gerade die großen Publikumsausstellungen Geld ins Haus. Das knappe Wirtschaften hat allerdings auch seinen Preis. „Wir sind unterbesetzt“, schildert Keller die personelle Situation der beim Publikum beliebten Kunsthalle. ren erkrankten Kollegen bravourös vertreten – keine Selbstverständlichkeit. Denn in Brahms’ zweiter Sinfonie gibt es einiges zu tun. Anschließend dürfen die weiteren Bläsersolisten den Applaus entgegennehmen; schließlich bedankt sich Bäumer bei den Stimmführern der Streicher, zwängt sich durch die Pulte zum Bratscher Francisco Saezguerra – er hat soeben sein letztes Symphoniekonzert gespielt und verabschiedet sich dem- Die Autoren fordern von der Kultur vehement, sich in der „Wirklichkeit“ des Marktes zu bewähren. Gleichzeitig verraten sie nahezu alle Leistungen, die Kultur und Künste für Menschen wertvoll machen. Bildung, Erfahrung, Kommunikation, Genuss, Erinnerung? Das alles und noch viel mehr findet vor den selbst ernannten Scharfrichtern der Kultur keine Gnade. Wie Ankläger, die nur Belege für die Schuld der insgeheim längst Abgeurteilten suchen, übersehen sie die Bewegung in der Kulturlandschaft selbst, die längst auf dem Weg zu neuen Zielgruppen, alternativen Formaten und kreativen Finanzierungsmodellen ist. Diese Szene interessiert längst nicht mehr, was Haselbach und Co. allen Ernstes noch als Orientierungspunkte der Kulturlandschaft sehen: Adornos „Kulturindustrie“ (1947) und Hilmar Hoffmanns „Kultur für alle“ (1979). Das Autorenquartett kämpft gegen eine abgelebte Vergangenheit, ignoriert zugleich, was den Vorschlag der Kulturhalbierung einem Wirklichkeitscheck aussetzen würde – der Abgleich mit den Erfahrungen, die beim Rückbau der Kulturlandschaft in den neuen Bundesländern zu machen waren. Zuweilen wollen es diese Kulturkritiker nicht allzu genau wissen. Was für ein seltsames Realitätsverständnis. Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel, Stephan Opitz: „Der Kulturinfarkt“. Knaus. 287 Seiten, 19,99 Euro. FINANZ-CHECK: THEATER Das Personal ist bezahlt Fördermittel sichern am Theater die Löhne dab OSNABRÜCK. Rund 17 Millionen Euro kostet das Theater Osnabrück in der aktuellen Spielzeit. Der Löwenanteil davon, erklärt der Kaufmännische Direktor Matthias Köhn, stammt aus öffentlicher Förderung: Von diesen 14,5 Millionen trägt die Stadt rund zwei Drittel, das Land etwa eins. Der Landkreis ist mit 600 000 Euro dabei. „Die Fördermittel betragen in der Regel etwa 80 Prozent vom Gesamtetat“, erklärt Köhn. „Das entspricht in etwa dem Personalkostenanteil.“ Die Mitarbeiter sind also bezahlt. Damit sie dann auch Bühnenbilder bauen, Kostüme schneidern, Programmhefte drucken, sprich: Theater machen können, müssen noch mal zweieinhalb Millionen Euro reingeholt werden. „Und zwar über Eigenein- Farbspiele mit Haarrissen nächst in den Ruhestand. Abschied allerorts gewissermaßen: Zu Beginn des Abends dankten Intendant Ralf Waldschmidt, Ex-GMD Bäumer und Orchestervorstand Matthias Wernecke dem ehemaligen Vorsitzenden des Musikvereins Klaus Laßmann für fast drei Jahrzehnte engagierte Arbeit mit Worten, Blumen und Geschenken. Gesten des Abschieds umrahmten also dieses erste Konzert Hermann Bäumers KOMMENTAR Stichworte für Populisten Von Stefan Lüddemann ultur braucht Debatte. Das haben jene Kultursachwalter ignoriert, die mit Sätzen wie „Theater muss sein“ oder „Wir fördern, was es schwer hat“ Begründungen geliefert haben, die einfach keine sind, oder dem Rückzug in die selbst gewählte Nische gefährlichen Vorschub geleistet haben. Antje Vollmers Vorschlag, alle deutschen Stadttheater als UNESCO-Welterbe un- nahmen“, sagt Köhn: „Über den Kartenverkauf, das Sponsoring und den Verdienst aus Gastspielen.“ Dass Theater nicht unternehmerisch denken, lässt Köhn nicht gelten. Er verweist auf ein funktionierendes Controlling-System, auf eingehaltene Etats und die Entwicklung neuer Angebote wie die Theater-Abo-Busse für das Umland. Die Osnabrücker nutzen das Programm: Die Auslastung beziffert Köhn mit gut 80 Prozent. Das ist wichtig; schließlich steckt die Stadt etwa die Hälfte des Kulturetats in das Haus. Dafür, so Köhn, kriegt sie aber auch viel zurück: „Das Theater leistet etwas, zum Beispiel in der Bildungsarbeit. Ein Drittel unserer Besucher sind Kinder und Jugendliche. Bundesweit ist das ein Spitzenwert.“ als Gastdirigent des OsnabrückerSymphonieorchesters. Und was soll man sagen: Es war ein holpriger Beginn. Max Regers Romantische Suite zählt gewiss nicht zu den Rennern des Orchesterrepertoires. Doch der Komponist aus der Oberpfalz mischt höchst originell zarte impressionistische Farben mit Anklängen an die deutsch-österreichische Musiktradition, wie sie auch Bruckner, Mahler, Strauss pflegten. Nur leider zogen dö OSNABRÜCK. Thomas Albert ist von der Freien Hansestadt Bremen auf Diät gesetzt worden. Mit knapp 900 000 Euro sicherte die Stadt noch vor vier Jahren die Basisfinanzierung des Bremer Musikfestes, dieses Jahr sind es nur noch 550 000 Euro. Die aber sind sicher. Das habe der zuständige Finanzsenator gestern bei der Vorstellung des diesjährigen Musikfest-Programmsversprochen, sagt Albert. Nun lässt sich mit dem Geld der Stadt nicht einmal der laufende Betrieb des Musikfests finanzieren. Ohnehin arbeiten die meisten nur stundenweise fürs Musikfest: eine halbe Stelle Öffentlichkeitsarbeit, eine Viertelstelle für einen Techniker, 25 Stunden Buchhaltung und so weiter. Anderthalb Stellen Künstlerisches Betriebsbüro. sich an diesem Abend etliche Haarrisse durchs pastose Farbspiel. Sicher weiß Bäumer, was sein – nun ja ehemaliges – Orchester kann. So weiß er die dynamische Bandbreite von kaum hörbar bis prachtvoll auftrumpfend abzurufen. Auch zeichnet das Orchester die Linien nach, die Bäumer mit seinen Händen formt. Und doch hörte sich das manchmal an, als tappten die Musiker unsicher und allein gelassen durch die Eichendorff’ schen Welten, MITTWOCH, 21. MÄRZ 2012 Jedes zweite Kulturhaus schließen? Praktisch sähe das so aus wie in dieser – zum Glück ganz und gar fiktiven – Zusammenstellung. Von links oben nach rechts unten: Theater Osnabrück, Kunsthalle Schirn in Frankfurt, Galerie der Gegenwart in Hamburg, Essens Museum Folkwang, Philharmonie in Berlin, Lagerhalle Osnabrück, Thalia-Theater Hamburg, Festspielhaus in Bayreuth. Fotos: dpa, dapd, Archiv FINANZ-CHECK: MUSIK Ein Kanal für Lebenssaft Sockelbetrag von der Kommune Vier ganze Stellen kommen da zusammen, und bereits dafür muss Albert Gelder einwerben. 23 000 Besucher besuchten letztes Jahr rund 30 Konzerte; die Platzauslastung liegt seit Jahren bei 85 Prozent. Dafür bekommt das Publikum große Namen – Rolando Villazón, Diana Damrau und Murray Perahia sind dieses Jahr dabei – und spannende Newcomer. Die musikalische Qualität ist exquisit und kostet: dieses Jahr 3,1 Millionen Euro. Vier Fünftel davon wirbt Albert selbst ein – über Sponsoren, die ihn zum Teil seit über 20 Jahren unterstützen. „Die sind mit Herzblut dabei und dokumentieren ihre gesellschaftliche Verantwortung“, sagt Albert. Denn Kultur ist für den Musikfest-Leiter „ein Kanal für Lebenssaft“. Hermann Bäumer und das Osnabrücker Symphonieorchester bleiben mit Brahms und Reger hinter den Erwartungen zurück K ter Schutz zu stellen, markierte den Gipfelpunkt einer Kulturpolitik als Bestandsschutz um jeden Preis. Mit dem „Kulturinfarkt“ schlägt die Tonlage nun rabiat um. Die Streitschrift liefert Stichworte für Populisten, Mahner und Warner. Die einen wollen am liebsten die ganze Kultur dichtmachen, die anderen sehen selbst mit der kleinsten Einsparung den Untergang des Abendlandes heraufziehen. Beides hilft nicht weiter. Dabei arbeitet die Kulturszene längst an neuen Herausforderungen. Statt Sattheit und Reformstau zu beklagen, hätten die Infarkt- Diagnostiker auch avancierte Beispiele einer erneuerten Kulturarbeit beschreiben können. Das furiose Verdammungsurteil sorgt für Medienecho, der ernst gemeinte Vorschlag nicht. Dabei verdiente Kultur Hingabe und keinen Zynismus. s.lueddemann@noz.de die Reger als Grundlage seiner Komposition heranzog. Gleiches gilt auch für die zweite Sinfonie von Johannes Brahms, die ihrer dunkelgrünen Grundstimmung wegen auch „Pastorale“ genannt wird. Erst ab dem dritten Satz scheinen Orchester und Dirigent zueinandergefunden zu haben, stellt sich die Gespanntheit ein, mit der Orchester und Dirigent oft begeistert haben – zuletzt beim fünften Sinfoniekonzert mit Schostakowitschs Zehnter.
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