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Kulturwissenschaftliches Symposium Wald : Museum : Mensch ...

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16 | „ WIE WÄR’S DENN MIT EINEM WOLF?“<br />

Engagiert daran beteiligt war der 1883 gegründete Bayerische<br />

<strong>Wald</strong>-Verein, der seine neue Zielsetzung im Neujahrsgruß<br />

1931 folgendermaßen zum Ausdruck brachte: „Früher war der<br />

Bayerische <strong>Wald</strong>verein nicht viel mehr als eine Vereinigung<br />

naturliebender Wanderer. Die Zeiten sind vorbei: Heute ist er<br />

zum Schutz- und Trutzbund für alle deutschen Belange der<br />

bayerischen Ostmark geworden.“ 73 Auch der Fremdenverkehr<br />

wurde verstärkt in den Dienst des Vaterlandes eingespannt.<br />

Die Berghäuser der <strong>Wald</strong>vereine wurden als „Bollwerke gegen<br />

Osten“ 74 verstanden und durch das Wandern in den Grenzwäldern<br />

sollte der deutsche Gebietsanspruch gegenüber dem<br />

Nachbarn laufend symbolisch untermauert werden.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel schon bald der Eiserne<br />

Vorhang, so dass sich wenig am Gefühl änderte, in einer Region<br />

zu leben, in der die Welt in den Grenzwäldern zu Ende ist. So<br />

schrieb die in den 1960/70er Jahren in Frauenau aufgewachsene<br />

Kulturwissenschaftlerin Katharina Eisch: „Zur Grenze, oben in<br />

den Grenzwäldern dem alltäglichen Ansehen verborgen, führten<br />

keine Straßen – kaum in der Landschaft und noch weniger im<br />

Bewußtsein der Bevölkerung.“ 75 Der durch die Grenze determinierte<br />

Erfahrungsraum und das entsprechende <strong>Wald</strong>bild<br />

löste sich nach dem Fall des Eisernen Vorhanges im Jahre 1989<br />

allmählich auf. Immer häufiger war vom <strong>Wald</strong> in der Mitte<br />

Europas die Rede oder, wie es der Tourismusverband 1991<br />

formulierte, von einem grenzüberschreitenden „grünen Dach<br />

Europas“. Hier deutet sich eine Umwertung des offiziellen <strong>Wald</strong>bildes<br />

an, zu der auch ökonomische und ökologische Diskurse<br />

beigetragen haben. Dazu gehören die <strong>Wald</strong>sterbensdebatte und<br />

die Gründung des Bayerischen Nationalparks vor vier Jahrzehnten<br />

mit den sich anschließenden Auseinandersetzungen um den<br />

‚richtigen‘ <strong>Wald</strong>, wobei unterschiedlich codierte und kulturell<br />

tradierte <strong>Wald</strong>bilder teilweise heftig aufeinanderprallten.<br />

So unterliegt das <strong>Wald</strong>bild einem laufenden kulturellen Wertewandel.<br />

Das <strong>Wald</strong>bild, wie es in populären Erzählungen<br />

des 19. und 20. Jahrhunderts ausmachbar war, in denen sich<br />

Vorstellungen der breiten Bevölkerung spiegeln, hat sich in den<br />

letzten Jahrzehnten teilweise sicher stark verändert. Aber auch<br />

der mythologische Zauberwald der grimmschen „Kinder- und<br />

Hausmärchen“ unterliegt durch deren Medialisierung laufenden<br />

Veränderungen. Das gilt beispielsweise für das Bild des Wolfes<br />

in der global außerordentlich erfolgreichen Märchenverfilmung<br />

„SimsalaGrimm“ (Sendestart 1999), in der ein Wolfskind sogar<br />

zum überzeugten Vegetarier mutiert und damit kaum mehr<br />

etwas mit dem Wolfsbild des eingangs skizzierten Rotkäppchen<br />

73 Der Bayerwald 1 (1931), S. 2 – 4. Zit. nach Haller: „<strong>Wald</strong> Heil!“ (wie Anm. 72), S. 198.<br />

74 Jörg Haller: „Bayerische Ostmark“. Geschichte einer künstlichen Region in den 20er und 30er<br />

Jahren. Manuskript. Sendereihe „Bayern – Land und Leute“. Bayerischer Rundfunk, Sendung<br />

am 16.5.1999, S. 8.<br />

75 Katharina Eisch: Grenze. Eine Ethnographie des bayerisch-böhmischen Grenzraums. München<br />

1996 (= Bayerische Schriften zur Volkskunde, Bd. 5), S. 97.<br />

Märchens zu tun hat. 76 Vielfach ist das heutige Bild des <strong>Wald</strong>es<br />

und seiner Tiere durch erfolgreiche Filmproduktionen oder die<br />

moderne Phantasieliteratur geprägt, beispielsweise durch Harry<br />

Potters magischen Zauberwald in der Nähe der Zaubererschule<br />

von Hogwarts, bewacht von dem Halbriesen Hagrid, damit<br />

die Schüler nicht unbedacht in den <strong>Wald</strong> gehen, in dem es von<br />

magischen Tieren und diabolischen Mächten wimmelt. Es sind<br />

Zentauren, Einhörner, Werwölfe und Riesenspinnen, die diesen<br />

magischen <strong>Wald</strong> bevölkern und entsprechende <strong>Wald</strong>bilder generieren.<br />

„Der <strong>Wald</strong> birgt viele Geheimnisse.“ 77<br />

Das gilt letztlich auch für den Bayerischen <strong>Wald</strong>, in dem, wenn<br />

man aktuellen Werbeschriften glauben darf, Bär, Wolf und<br />

Luchs die charakteristischen <strong>Wald</strong>bewohner darstellen. So<br />

erweist sich der <strong>Wald</strong> als eine Projektionsfläche von sich laufend<br />

verändernden kulturellen Wertvorstellungen und entsprechenden<br />

menschlichen Sehnsüchten oder Ängsten. Das ist kein homogenes<br />

Bild und das ist kein reales Bild. Im Gegenteil scheint<br />

es gerade die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit zu sein,<br />

die den Reiz des jeweils imaginierten <strong>Wald</strong>es für den <strong>Mensch</strong>en<br />

mit seinen unterschiedlichen Bedürfnissen ausmacht.<br />

Abb. 5 Werbeprospekt von 2005.<br />

76 Vgl. Daniel Drascek: „SimsalaGrimm“. Zur Adaption und Modernisierung der Märchenwelt.<br />

In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 97/2001, Heft 1, S. 79 – 89.<br />

77 Joanne K. Rowling: Harry Potter und der Stein der Weisen. (1. Aufl. 1997) Hamburg 2000,<br />

S. 276.

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