09.11.2012 Aufrufe

Kulturwissenschaftliches Symposium Wald : Museum : Mensch ...

Kulturwissenschaftliches Symposium Wald : Museum : Mensch ...

Kulturwissenschaftliches Symposium Wald : Museum : Mensch ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

92 | EINIGE ÜBERLEGUNGEN ZUM KONZEPT „NATUR NATUR SEIN LASSEN“ …<br />

„in natürliche oder künstliche Lücken im Bestand Buche und<br />

Tanne gepflanzt. Die anderen Mischbaumarten verbreiten sich<br />

auf natürliche Weise.“ 115 Die Jagd auf bevorzugt naturschutzgewünschten<br />

Baumnachwuchs fressendes Wild, bisweilen auch<br />

in den „Kernzonen“, ist eine weitere Maßnahme zugunsten der<br />

„naturnahen Mischwälder“. 116 Langfristig sollen auch die so behandelten<br />

Zonen vollständig sich selbst überlassen werden, um,<br />

wie es das Bundesnaturschutzgesetz für den „überwiegenden<br />

Teil“ eines Nationalparks vorsieht, einen „möglichst ungestörten<br />

Ablauf der Naturvorgänge in ihrer natürlichen Dynamik zu<br />

gewährleisten.“ 117 Bevor die <strong>Wald</strong>natur hier in die Selbsttätigkeit<br />

entlassen wird, soll sie aber die ‚richtige‘ Natur sein. Auch der<br />

Nationalparkplan des Bayerischen <strong>Wald</strong>es sieht zur Unterstützung<br />

der „Entwicklung zu naturnahen Beständen“ außerhalb der<br />

Kernzonen „Pflanzmaßnahmen“ vor. 118 Wolfgang Scherzinger lobt<br />

in seinem hier schon erwähnten Buch Naturschutz im <strong>Wald</strong> im<br />

Zusammenhang mit renaturierenden Maßnahmen ein „eindrucksvolles<br />

Langzeitprojekt“, bei dem versucht wurde, „den monotonen<br />

Kiefernwald der Lüneburger Heide in einen Eichen-Buchen-Kiefern-Mischwald<br />

zurückzuführen, wie er für die armen Sandböden<br />

als potentiell-natürlich eingestuft wird“, erwähnt aber auch etwas<br />

süffisant einen Versuch anderenorts, „einen langweiligen Forst mit<br />

Greifzug und Bulldozer zum ‚Urwald’ hochzufrisieren“. 119 Neben<br />

‚falschen‘ Baumarten ist aus Sicht einiger naturnähebewussten<br />

Positionen auch die Präsenz von Neophyten in den Wäldern,<br />

also in der Neuzeit eingeschleppter Pflanzen, ein Problem. 120 Das<br />

kulturbedingte, aber unkultivierte Wuchern des im Schwarzwald<br />

weit verbreiteten Indischen Springkrautes etwa kann für die kulturelle<br />

Ordnung eines auf unverfälschte Naturheimat bedachten<br />

Naturschutzes nur Gegensatz, also ‚eigentliche‘ Wildnis im oben<br />

erläuterten Sinne, sein. Ein Weg hin zu mehr ‚Natürlichkeit‘ ist<br />

das Entfernen des ‚Unkrauts‘.<br />

Die Kulturpraxis der Renaturierung, die tätige Hervorbringung<br />

von mehr Natürlichkeit im <strong>Wald</strong>, steht quer zum herkömmlichen<br />

Verhältnis von Landschaft und Arbeit. 121 Es ist ja die<br />

Formung durch menschliche Arbeit, die Kulturlandschaft hervorbringt.<br />

Hier dagegen sollen durch Arbeit die Spuren früherer<br />

Arbeit wieder entfernt werden, die früheren Übergriffe der<br />

Geschichte auf die Natur durch neue Übergriffe, Zurichtungen<br />

im Sinne einer als legitim betrachteten Vorstellung von Natur,<br />

115 Detaillierter erläutert dies der entsprechende Nationalparkplan. Vgl. Bayerisches Staatsministerium<br />

für Landesentwicklung und Umweltfragen (Hg.): Nationalpark Berchtesgaden.<br />

Nationalparkplan. München 2001, S. 149 – 156 f.<br />

116 Ebd., S. 22. Vgl. auch ebd. S. 22 f., 98, 145 – 149.<br />

117 § 24 (2) Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG).<br />

118 Vgl. Nationalparkverwaltung Bayerischer <strong>Wald</strong> (Hg.): Nationalparkplan. Kapitel:<br />

<strong>Wald</strong>erhaltungs- und <strong>Wald</strong>pflegemaßnahmen. Entwurf, Stand: März 2010.<br />

119 Scherzinger 1996 (wie Anm. 43), S. 234.<br />

120 Vgl. Ute Eser: Der Naturschutz und das Fremde. Normative und ökologische Grundlagen<br />

der Umweltethik. Frankfurt a. M. 1999.<br />

121 Neben Arbeit im engen Sinne sind Landschaften natürlich auch beispielsweise durch Fortbewegung<br />

im Raum, etwa sportliche Tätigkeit, geprägt. Der Übergang zur Arbeit ist hier<br />

fließend, auch weil die Voraussetzungen für nicht arbeitsmäßige Nutzungen – beispielsweise<br />

das Anlegen und Pflegen von Wegen im <strong>Wald</strong> für Wanderer – Arbeit an der Landschaft<br />

bedeuten. Vgl. Fischer 2009 (wie Anm. 5), S. 101 f.<br />

rückgängig gemacht werden. Nicht um Veranstaltungslosigkeit<br />

geht es hier, sondern um die richtige Choreographie.<br />

Artefakt ist Landschaft dort, wo die Hand in ihr Spuren hinterlassen<br />

hat. Als Artefakte sind Landschaften „historische<br />

Gegenstände“ 122 , aber auch Geschichtsquellen. 123 Die Wälder, die<br />

man in den 1930er Jahren neben Autobahnen nach dem Leitbild<br />

einer Natur, die „Urlandschaft“ hieß, pflanzte, sind als Artefakte<br />

lesbar im Sinne einer Wissenschaftsgeschichte der Pflanzensoziologie.<br />

Die kahlen Bergkuppen in manchen Teilen des Nordschwarzwalds,<br />

die Grinden, verweisen dagegen auf Weidepraxis<br />

und der hohe Anteil an Fichten in den Bannwäldern und Naturwaldreservaten<br />

auf frühere Aufforstungen im Sinne einer rationalisierten<br />

und nachhaltigen <strong>Wald</strong>wirtschaft. In der volkskundlichen<br />

Kulturwissenschaft und auch in der Ethnologie spricht<br />

man im Zusammenhang mit Artefakten oftmals von „materieller<br />

Kultur“ 124 . Martin Scharfe hat in den letzten Jahren gelegentlich<br />

darauf hingewiesen, dass bei der kulturwissenschaftlichen Erforschung<br />

von „materieller Kultur“ – ein Begriff, den er zu Recht<br />

als „theoretisch etwas minderbemittelt“ 125 kritisiert – oftmals die<br />

Dinge selbst, die „kulturellen Objektivationen“, zugunsten der<br />

Kontexte und Sichtweisen auf die Dinge ins Hintertreffen gerieten.<br />

Deshalb gelte es, „die Erschaffung, Erhaltung und Gestaltung<br />

des Werks“ 126 wieder verstärkt in den Mittelpunkt der Betrachtung<br />

zu rücken. Überträgt man diesen Auftrag auf unsere Betrachtung,<br />

steigen wir also hinab in die Sphäre der (materiellen) Produktion<br />

von Landschaft, zur Stofflichkeit von Kultur, heißt das, das „landschaftliche<br />

Auge“ nicht bloß als Sehweise kulturwissenschaftlich<br />

zu befragen – was sehen wir (mit), wenn wir Mischwald, Fichtenwald,<br />

eine Alm betrachten? – Vorstellungen, Kategorisierungen,<br />

Bilder und Interpretationen, die sich mit Landschaften verbinden,<br />

etwa von wünschenswerten und ‚richtigen‘ Naturen nicht bloß<br />

als diskursives Beiwerk, als ledigliches Reden und Denken oder<br />

Erzählung zum ‚Ding‘ Landschaft, sondern auch das Wirksamwerden<br />

dieser scheinbar ‚luftigeren‘ Bereiche in der Modellierung<br />

von Landschaft einzubeziehen. Der Versuch des „Wegkriegen[s]<br />

des Gemachten“ 127 von früherem Werk, durch ein Mehr an Arbeit<br />

am und im <strong>Wald</strong>e schafft selbst Werk. Der renaturierte <strong>Wald</strong> ist,<br />

neben Natur freilich, auch kulturelle Objektivation, Werk, Resultat<br />

von, man könnte sagen, Naturlandschaftspflege.<br />

Das Totalreservat und das Museale<br />

Im Zusammenhang mit dem Naturschutz bezieht sich der<br />

Befund der Musealisierung auf die Formerstarrung historischer<br />

122 Vgl. Hermann Lübbe: Der Fortschritt und das <strong>Museum</strong>. Über den Grund unseres Vergnügens<br />

an historischen Gegenständen. London 1982, S. 5 – 7, 12.<br />

123 Vgl. David Blackbourn: Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft.<br />

München 2007, S. 25 – 30.<br />

124 Exemplarisch und inter- bis transdisziplinär hierzu vgl. Hans Peter Hahn: Materielle Kultur.<br />

Eine Einführung. Berlin 2005.<br />

125 Martin Scharfe: <strong>Mensch</strong>enwerk. Erkundungen über Kultur. Köln/Weimar/Wien 2002, S. 22.<br />

126 Ebd., S. 8 (kursiv im Original).<br />

127 Ebd., S. 328.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!