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Kulturwissenschaftliches Symposium Wald : Museum : Mensch ...

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2.3. Buch-Illustrationen<br />

Nach mehreren Ausgaben und Auflagen von „Die Frau Professorin“<br />

bei den Verlagen Bassermann und Cotta, stiftete schließlich<br />

1885 eine illustrierte Prachtausgabe der Auerbach-Novelle jene<br />

Allianz zwischen Geschichte und Klischee, die unsere heutige<br />

erste Assoziation mit dem Naturraum Schwarzwald darstellt.<br />

Für die Illustration von Auerbachs Novelle nämlich hatte auf<br />

Anraten seines Autors der Stuttgarter Cotta-Verlag Wilhelm<br />

Hasemann (1850–1913) engagiert. Auf der Suche nach Bildmotiven<br />

für die Geschichte fand dieser wiederum auf Vorschlag<br />

Auerbachs in Gutach im Kinzigtal die geeigneten Sujets: Frauen<br />

und Mädchen in der auffälligen Tracht mit den großen Wollkugeln<br />

auf breitkrempigem Strohhut, dem Bollenhut. Die Zeichnungen<br />

Hasemanns erhöhten die Attraktivität und Popularität<br />

der Auerbachschen Erzählung und der erfolgreiche Erzählstoff<br />

erhöhte wiederum den Bekanntheitsgrad der Tracht. Es kam<br />

eins zum andern: das gefundene Gewand wurde zum Synonym<br />

einer ganzen Region. Auerbachs Wirtstochter Lorle wurde zum<br />

Schwarzwaldmädel. 49<br />

2.4. Die Operette<br />

Verstärkt wurde dieser Transfereffekt jedoch noch durch die<br />

weitere spektakuläre Rezeption von Novelle und Bühnenstück.<br />

Denn aus beiden Vorlagen gestaltete August Neidhart 1916 das<br />

Libretto der Operette „Schwarzwaldmädel“. Es war ohnehin nur<br />

eine Frage der Zeit, bis der literarische Stoff auch als durchkomponiertes<br />

musikalisches Werk reüssierte. 50 70 Jahre nach Birch-<br />

Pfeiffers Adaption der Auerbach’schen Novelle für die Bühne<br />

wurde der Stoff als „Schwarzwaldmädel“ neu geboren, und<br />

machte als Operette Weltkarriere. Léon Jessel komponierte eine<br />

Musik und Lieder, die zu Schlagern einer ganzen Generation<br />

wurden. Und wieder waren es besondere Zeitumstände, die dem<br />

musikalischen Erfolg zu Hilfe kamen. Während der Eskalation<br />

des Ersten Weltkrieges verstand man das beschwingte Stück als<br />

idyllischen Gegenentwurf zur Wirklichkeit. Neidhart schrieb<br />

die Handlung Auerbachs und Birch-Pfeiffers nochmals um, änderte<br />

und „modernisierte“ die Struktur der Personen und fügte<br />

neue hinzu. So spielt nun auch ein Berliner mit – „Schmusheim“<br />

genannt – als Reminiszenz an das Premierenpublikum der<br />

spätkaiserzeitlichen Hauptstadt. Dieser Berliner, der Prototyp<br />

des Städters, ist eine wesentliche Neuerung und Erweiterung<br />

gegenüber den literarischen Vorlagen, weil er den Städter im Publikum<br />

unmittelbar anspricht. Des Weiteren wird der alte Dom-<br />

49 Hasemann zog noch weitere befreundete Maler nach Gutach und so entstand die Gutacher<br />

Künstlerkolonie, die die Bollenhuttracht über viele Jahrzehnte so popularisierte, dass sie heute<br />

selbst in Amerika und Japan für „german folklore“ steht. Vgl. dazu: Brigitte Heck: Wilhelm<br />

Hasemanns Auerbach-Illustrationen. Anmerkungen zum Beginn der Gutacher Künstlerkolonie.<br />

In.: Badische Heimat 1/2011, S. 70 – 85.<br />

50 Vgl. dazu: Brigitte Heck/Ulrike Näther/Daniela Reiff/Andreas Seim: Schwarzwaldmädel.<br />

Ein Motiv bewegt die Zeit. Karlsruhe 2010.<br />

WALDKULTUR. EIN RÜCKBLICK AUF 200 JAHRE KULTURELLE ANEIGNUNG | 41<br />

kapellmeister Römer eingeführt. Mit ihm schafft Neidhart eine<br />

schrullige Figur, die dem Stoff eine neue Note verleiht: Der alte,<br />

skurril erotisierte Domkapellmeister erhofft sich mit der plötzlich<br />

in sein Leben tretenden Lorle – jetzt Bärbele genannt – einen späten<br />

Frühling erleben zu können, wird jedoch abgewiesen und fügt<br />

sich selbstmitleidig wieder in sein Einzelgängerschicksal. Léon Jessels<br />

Couplets „Malwine, ach Malwine“, „Erklingen zum Tanze die<br />

Geigen“ und „Mädle aus dem schwarzen <strong>Wald</strong>“ erlangten schnell<br />

Volksliedcharakter – ebenso das heute noch bekannte Duett „Wir<br />

sind auf der Walz“. Bis 1921 kam es zu 5.443 Aufführungen, die<br />

auch im Ausland außerordentlich erfolgreich waren. Sogar der<br />

amerikanische Broadway inszenierte das „Schwarzwaldmädel“.<br />

Offenbar hatten die Amerikaner darin manch Vertrautes wieder<br />

gefunden. Die Schellackplatte und ab 1923 auch Rundfunkübertragungen<br />

trugen ganz erheblich zur weiteren Verbreitung der<br />

Operette bei. Auch daran wird deutlich, wie sehr das „Schwarzwaldmädel“<br />

als künstlerisches Produkt und Kunstprodukt den<br />

Bedarf und Geschmack der in den 1920er Jahren expandierenden<br />

Unterhaltungsindustrie befriedigte.<br />

Abb. 8 Druckschrift mit Gustav Neidharts Libretto zu Léon Jessels Operette<br />

„Schwarzwaldmädel“ aus dem Jahr 1917. Badisches Landesmuseum, Inv. Nr.<br />

2009/697.

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