Kulturwissenschaftliches Symposium Wald : Museum : Mensch ...
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dia discors. Eine solche Harmonie ist die höchste Form der<br />
Schönheit im Sinne eines Ideals. Ihr eignet der Charakter<br />
utopischen Vorscheins. So gesehen, drängt jede Schönheit<br />
insgeheim auf Harmonie, auch die disharmonische Schönheit<br />
der modernen Kunst. Der Gegenbegriff des Schönen ist<br />
nicht das Schreckliche. Der Gegenbegriff des Schönen ist das<br />
Hässliche.<br />
2. Das Hässliche ist Begriff einer Deformation, der Störung<br />
und Zerstörung eines Ordnungsgefüges oder Weltgegenstands.<br />
Wie prinzipiell jedes Weltding und Weltsubjekt – <strong>Mensch</strong>,<br />
Natur, Kultur – als ‚schön’ wahrgenommen werden kann, so<br />
auch als sein Gegenteil: als hässlich. ‚Schön’ und ‚hässlich’ sind<br />
damit auch Kategorien der Wertung, des Standpunkts, der Betrachtungsweise,<br />
der Gestaltung. So ist das Gebirge, in frühen<br />
Zeiten, aber noch in der Aufklärung oft als ‚abscheulich’ wahrgenommen<br />
worden; in der Geschichte der modernen Malerei<br />
(bei Schiele, Picasso, Grosz, Dix) wird das Hässliche zu einer<br />
Zentralkategorie mit sehr unterschiedlicher Bedeutung (die im<br />
Einzelnen zu analysieren ist). Das Hässliche enthüllt sich hier<br />
als Kehrseite der schönen Gestalt. Hässlich, kann man auch<br />
sagen, ist der zerreißende, nicht zu versöhnende Widerspruch.<br />
So ist das Hässliche in der metaphysisch-theologischen Tradition<br />
die ästhetische Gestalt des Bösen (von Shakespeare in der<br />
Figur Richards in Richard III aufgenommen). Die klassische<br />
Metaphysik war gut beraten, diesem keine Substanz zuzuerkennen.<br />
3.2. Das Erhabene und das Schreckliche<br />
1. Zielt Schönheit auf eine überschaubare Ordnung – auch wo<br />
sie den Kosmos meint, nimmt sie diesen als eine solche Ordnung<br />
wahr -, so steht die Erfahrung des Erhabenen dazu im<br />
Gegensatz. In sind die Überschaubarkeit und Konsonanz der<br />
Ordnung aufgehoben. Natur bricht als Übermächtiges in die<br />
Erfahrung des Subjekts ein.<br />
Der Begriff des Erhabenen bezeichnet das Inkommensurable<br />
in der Erfahrung von Natur: ein Gewaltiges, das die Erfahrung<br />
des Schönen übersteigt. Er bezeichnet somit die Erfahrung<br />
einer Grenze. Ihr Ort ist eine Grenzsituation. Der Wildnis ist<br />
solche Erfahrung immanent. Natur zeigt sich als unergründbar,<br />
ihre Kraft als übermächtige Urgestalt, der Kosmos als grenzenlos,<br />
und in dieser Grenzenlosigkeit ‚ohne Begriff ‘, nicht messbar,<br />
nicht vergleichbar, nicht fassbar. Kant unterscheidet das<br />
mathematisch Erhabene, das durch räumlich und zeitlich große<br />
Ausdehnung (Meer, Wüste, Sternenhimmel) vom dynamisch<br />
Erhabenen, das durch Kraft und Macht (Sturm, Gewitter)<br />
gekennzeichnet ist.<br />
Nach Kant ist die Naturerfahrung, die dem Erhabenen zugrunde<br />
liegt, von sich her leer. Einen Inhalt – eine besondere Bedeutung<br />
– gibt ihr allein das diese Erfahrung machende Subjekt. Sie<br />
ÄSTHETIK UND LANDSCHAFT. THEORETISCHE UND HISTORISCHE NOTIZEN | 67<br />
ist Akt der Interpretation: eine Subjektsetzung. 11 Das Erhabene<br />
ist eine „negative Lust“ (Kritik der Urteilskraft, § 23). In seiner<br />
Erfahrung beweist sich die Autonomie des Subjekts, gelangt der<br />
<strong>Mensch</strong> zur unmittelbaren Gewissheit seiner Freiheit; ein Gedanke,<br />
der in den Künsten der Zeit eine politische Bedeutung<br />
erhält. So wird in Joseph Anton Kochs „Schmädlibachfall“ die<br />
erhabene Landschaft zum Symbol politischer Freiheit und der<br />
unbezwingbaren Macht der Revolution (das große Beispiel ist<br />
die Französische Revolution). Die im Erhabenen präsente Übermacht<br />
kann freilich auch als Zerstörung wirken: als Erfahrung<br />
der Nichtigkeit des Ich, seiner metaphysischen Bedeutungslosigkeit.<br />
An diesem Punkt geht die Erfahrung des Erhabenen in<br />
die des Schrecklichen über – ja tritt ideengeschichtlich in die<br />
Geschichte des Nihilismus ein.<br />
In der Sicht eines nichtidealistischen, an der evidenten Materialität<br />
der Welt orientierten Denkens wird der Anteil des Subjektiven<br />
in der Erfahrung des Erhabenen zwar nicht geleugnet, tritt<br />
aber gegenüber dem Moment des Objektiv-Gegebenen zurück.<br />
Seinen Grund hat das Erhabene in der empirisch zugänglichen,<br />
sinnlich-erfahrbaren, gegenständlich gegebenen, begrifflich<br />
fassbaren konkreten Natur, der Besonderheit ihrer strukturellen<br />
Verfasstheit. So bedeutet Erhabenheit der Natur, nach Elmar<br />
Treptow, „daß die selbständige, sich selbst organisierende Natur<br />
unendlich-unerschöpfbar Kreislaufsysteme hervorbringt und<br />
umwandelt“, die „an sich zweckmäßig“, für den <strong>Mensch</strong>en jedoch<br />
„sowohl zweckmäßig wie unzweckmäßig“, weil „Bedingungen<br />
des Lebens und des Todes“ sind. „Die in dieser Weise die Kraft<br />
und den Zeit-Raum des <strong>Mensch</strong>en überragende große Natur<br />
wird von ihm mit den widersprüchlichen Gefühlen der Lust und<br />
Unlust erlebt; sie können die Formen von Bewunderung und<br />
Schaudern, Staunen und Schrecken oder Ehrfurcht und Furcht<br />
annehmen“ (die klassischen Beispiele sind Orkane, Erdbeben,<br />
Hochgebirge). Dies gilt nicht nur für die äußere Natur, sondern<br />
auch für die eigene Natur des <strong>Mensch</strong>en. Die Individuen erleben<br />
„auch ihre eigene Natur – ihre Gattungsnatur – immer wieder<br />
mit Staunen und Schrecken“ (Treptow 2001, S. 10).<br />
Festzuhalten freilich ist, dass die Deutungen von Naturerfahrung,<br />
die im Begriff des Erhabenen ausgesprochen werden,<br />
gesellschaftlich und historisch bedingt sind, nicht zuletzt auch<br />
geprägt von individueller Lebensgeschichte. Immer aber drückt<br />
die Erfahrung des Erhabenen eine Herausforderung aus, der<br />
nicht ausgewichen werden kann, die als Frage unnachgiebig<br />
eine Antwort verlangt. Denn die Grenze, an der das Erhabene<br />
seinen Ort hat, markiert auch die Grenze unseres Erkenntnisvermögens.<br />
Die Erfahrung des Erhabenen enthält, so lässt es<br />
11 Grundlegend ist an diesem Punkt festzuhalten, dass die Kategorien des Schönen und des<br />
Erhabenen Ausdruck einer Subjekt-Objekt-Relation sind: Korrespondenzbegriffe, die als Bestimmungen<br />
einer subjektiven Bewertung im Subjekt (einem Subjektvermögen) ihren Grund<br />
haben, zugleich aber im Ansichsein des Objekts (der objektiven Verfasstheit der Natur) eine<br />
Entsprechung besitzen. Aus diesem Grund kann von ‚schön‘ und ‚erhaben‘ als Attributen der<br />
Natur selbst – ihres vom <strong>Mensch</strong>en unabhängigen Ansich-Seins – im strengen Sinn nicht<br />
gesprochen werden.