09.11.2012 Aufrufe

Kulturwissenschaftliches Symposium Wald : Museum : Mensch ...

Kulturwissenschaftliches Symposium Wald : Museum : Mensch ...

Kulturwissenschaftliches Symposium Wald : Museum : Mensch ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Wildnis ist heute Teil staatlicher Bestrebungen. In der Nationalen<br />

Strategie zur biologischen Vielfalt des Bundesministeriums<br />

für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, die 2007 vom<br />

Bundeskabinett beschlossen wurde, wird beklagt, dass „es in<br />

Deutschland kaum noch Wildnis“ gäbe. Entsprechend müsse<br />

„ein bestimmter Flächenanteil Deutschlands von menschlicher<br />

Einflussnahme freigestellt werden.“ Vorgesehen ist: „Bis zum<br />

Jahre 2020 kann sich die Natur auf mindestens 2 % der Landesfläche<br />

Deutschlands wieder nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten<br />

entwickeln.“ 10 Der angestrebte „Flächenanteil der Wälder<br />

mit natürlicher <strong>Wald</strong>entwicklung“ für 2020 beträgt dabei „5 %<br />

der <strong>Wald</strong>fläche“. 11 Durch Verzicht auf Eingriffe soll in Totalreservaten<br />

– Naturwaldreservate, Kernzonen von Nationalparken<br />

– „neue Wildnis“, letztlich der „Urwald von morgen“ entstehen.<br />

Die folgenden Überlegungen sind zu verstehen als eine kulturwissenschaftliche<br />

Annäherung an das Totalreservat, an die<br />

Kultur der Natur(-belassung), wie sie sich in der Hervorbringung<br />

„neuer Wildnis“ zeigt. Nach einem kleinen fachgeschichtlichen<br />

Rückblick soll zunächst gefragt werden, was die Rede von<br />

„Wildnis“ hier meint. Dem folgt eine kurze Darstellung, die sich<br />

gegenläufigen Konzepten der Hervorbringung und des Schutzes<br />

von ‚Natur‘-Räumen widmet, dem Zurichten des <strong>Wald</strong>es nach<br />

dem Vorbild wissenschaftlich legitimierter Naturbilder, der<br />

kulturellen Logik der Renaturierung. Der darauf folgende Teil<br />

– nicht bloß <strong>Wald</strong>, Wildnis und die sich aus dem Totalreservat<br />

vorgeblich zurückziehenden <strong>Mensch</strong>en, auch das <strong>Museum</strong> im<br />

Tagungstitel gilt es hier zu berücksichtigen – wirft einen Blick<br />

auf das Verhältnis von Totalreservat und der Kategorie des Musealen.<br />

In Bezug auf Natur- und Landschaftsschutz ist Musealisierung<br />

ein sehr oft verwandter Begriff und ein häufiger Befund,<br />

aber nicht immer reflektierte Kategorie.<br />

<strong>Wald</strong>wildnis bei Wilhelm Heinrich Riehl<br />

In der Geschichte der Volkskunde wurde immer wieder Bezug<br />

auf <strong>Wald</strong> und Wildnis genommen. Dies kann hier keineswegs<br />

im Detail erläutert werden. 12 Lohnenswert aber scheint<br />

ein kurzer Blick auf Wilhelm Heinrich Riehls Überlegungen<br />

zu „Feld und <strong>Wald</strong>“ 13 in seiner 1854 erstmals erschienenen<br />

Naturgeschichte des deutschen Volkes, nicht zuletzt auch wegen<br />

Riehls – im Gegensatz zum Ausmaß seiner Bedeutung für die<br />

Herausbildung der Volkskunde als Wissenschaft keineswegs<br />

fraglichen – Einflusses auf die sich in Deutschland Ende des 19.<br />

10 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hg.): Nationale Strategie<br />

zur biologischen Vielfalt. Berlin 2007, S. 40.<br />

11 Ebd., S. 31.<br />

12 Einen Überblick zum <strong>Wald</strong> in der Fachgeschichte bietet Albrecht Lehmann: <strong>Wald</strong>. Über seine<br />

Erforschung aus volkskundlichen Fachtraditionen. In: Zeitschrift für Volkskunde 92/1996,<br />

S. 32 – 47.<br />

13 Wilhelm Heinrich Riehl: Die Naturgeschichte des deutschen Volkes als Grundlage einer<br />

deutschen Social-Politik. Erster Band: Land und Leute. Stuttgart 1867 (zuerst 1854),<br />

S. 41 – 59.<br />

EINIGE ÜBERLEGUNGEN ZUM KONZEPT „NATUR NATUR SEIN LASSEN“ … | 85<br />

Jahrhunderts formierende Naturschutzbewegung 14 und die von<br />

Heinrich von Salisch 1885 begründete Forstästhetik. 15 In Riehls<br />

Ausführungen steht die Identifizierung von <strong>Wald</strong> und „deutschem<br />

Volksthum“ im Vordergrund: <strong>Wald</strong> sei den Deutschen<br />

ein „Lebenselement“. Selbst wenn es keine ökonomischen Gründe<br />

mehr gäbe, den <strong>Wald</strong> zu erhalten, so würden sie „doch den<br />

<strong>Wald</strong> brauchen“. „Das deutsche Volk“, behauptete Riehl, „bedarf<br />

des <strong>Wald</strong>es, wie der <strong>Mensch</strong> des Weines bedarf.“ Und weiter:<br />

„Brauchen wir das dürre Holz nicht mehr, um unseren äußeren<br />

<strong>Mensch</strong>en zu erwärmen, dann wird dem Geschlecht das grüne,<br />

in Saft und Trieb stehende zur Erwärmung seines inwendigen<br />

<strong>Mensch</strong>en um so nöthiger seyn.“ 16 Der eifrige Ethnisierer des<br />

<strong>Wald</strong>es Riehl stellte das Feld als „zahme“ dem <strong>Wald</strong> als „wilde<br />

Cultur“ 17 gegenüber. In Deutschland bestehe dieser Gegensatz<br />

noch gänzlich. England und Frankreich dagegen hätten gar<br />

keinen „ächten <strong>Wald</strong>“ mehr und entsprechend sei das „Volksthum“<br />

dort schon „halbwegs ausgelebt“. 18 „Die Reste uranfänglicher<br />

Gesittung“ 19 hätte sich Deutschland in seinen <strong>Wald</strong>dörfern<br />

und damit seine Vitalität bewahren können. <strong>Wald</strong>wildnis war<br />

für Riehl ein Garant dafür, dass „die Pulse des Volkslebens<br />

warm und fröhlich weiter schlagen, damit Deutschland deutsch<br />

bleibe.“ 20 Der „Gedanke, jeden Fleck Erde von <strong>Mensch</strong>enhänden<br />

umgewühlt zu sehen“, so Riehl (und dies ist für unser Thema<br />

das eigentlich relevante), „hat für die Phantasie jedes natürlichen<br />

<strong>Mensch</strong>en etwas grauenhaft unheimliches; ganz besonders ist<br />

er aber“ – natürlich! – „dem deutschen Geist zuwider. Es wäre<br />

alsdann Zeit, daß der jüngste Tag anbräche.“ 21 Riehl resümierte:<br />

„Jahrhunderte lang war es die Sache des Fortschrittes, das Recht<br />

des Feldes einseitig zu vertreten; jetzt ist es dagegen auch eine<br />

Sache des Fortschrittes, das Recht der Wildniß zu vertreten neben<br />

dem Rechte des Ackerlandes.“ Folglich gelte es zu „kämpfen<br />

auch für das Recht der Wildniß.“ 22<br />

Riehl war, wie Albrecht Lehmann anmerkt, „einer der Begründer<br />

und zugleich einflussreichster Propagandist der politischnationalistischen<br />

<strong>Wald</strong>ideologie des 19. Jahrhunderts“ 23 . Riehls<br />

Spekulationen ließen sich aber auch, folgt man Lehmann weiter,<br />

„heute im Zeichen der Ökologie“ als frühe Thematisierung<br />

von „Landschaftsverbrauch“ lesen. So erweise sich „Riehl als<br />

ein Vorläufer heutiger Landschaftsschützer“. 24 In dieser Lesart<br />

könnte man auch weiter darauf verweisen, dass Riehl, indem er<br />

die „in neuerer Zeit aus Gründen der Not oder kurzblickender<br />

14 Vgl. Konrad Ott [u. a.]: Über die Anfänge des Naturschutzgedankens in Deutschland und<br />

den USA. In: Erke Volkmar Heyen (Hg.): Naturnutzung und Naturschutz in der europäischen<br />

Verwaltungsgeschichte. Baden-Baden 1999, S. 1 – 56, hier S. 4 – 14.<br />

15 Vgl. Heinrich von Salisch: Forstästhetik. Berlin 1902 (zuerst 1885), S. 120 ff.<br />

16 Riehl 1867 (wie Anm. 13), S. 49.<br />

17 Ebd., S. 43.<br />

18 Ebd., S. 47.<br />

19 Ebd., S. 49.<br />

20 Ebd., S. 50.<br />

21 Ebd., S. 48.<br />

22 Ebd., S. 59.<br />

23 Albrecht Lehmann: Von <strong>Mensch</strong>en und Bäumen. Die Deutschen und ihr <strong>Wald</strong>. Hamburg<br />

1999, S. 27.<br />

24 Ebd., S. 29.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!