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Kulturwissenschaftliches Symposium Wald : Museum : Mensch ...

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94 | EINIGE ÜBERLEGUNGEN ZUM KONZEPT „NATUR NATUR SEIN LASSEN“ …<br />

ihrem irdischen Ganzen wie zu einem Garten zu verhalten – zu<br />

einem naturbelassenen Garten freilich und eben dieser Tendenz<br />

entspricht als gartengeschichtlich neueste Epoche, dass nun auch<br />

innerhalb der Gartenzäune bei naturerhaltungsbewußten Zeitgenossen,<br />

die Kultur der Naturbelassung sich als Gartenkultur<br />

durchzusetzen beginnt. <strong>Museum</strong>sgeschichtlich ließe sich dieser<br />

Prozeß als die Entgrenzung des naturhistorischen <strong>Museum</strong>s<br />

beschreiben.“ 144<br />

Die kulturelle Logik des Totalreservats zielt, wie jene der<br />

Musealisierung, auf die Vermeidung aller (weiteren) Übergriffe<br />

der Geschichte. Im Gegensatz zum musealen Objekt darf und<br />

soll sich die Natur im Totalreservat verändern. Nichts soll am<br />

Totalreservat naturhistorisch sein. Dennoch, die Betrachtung<br />

des Verhältnisses des Musters Musealisierung zum Totalreservat<br />

ließe sich mit Jean Baudrillard, bei dem „Musealisierung“<br />

„Museifizierung“ 145 heißt, weitertreiben. Es scheint aussichtsreich,<br />

die oben beschriebene Zurichtung von Landschaft nach<br />

den Vorbildern ‚legitimer’ Naturbilder oder alter Kulturlandschaften<br />

im Sinne Baudrillardscher Museifizierungsbefunde,<br />

entlang der von ihm bestimmten Begriffe von „Simulation“ und<br />

„Verdopplung“, zu befragen. Doch Baudrillard weitet darüber<br />

hinaus seinen Musealisierungsbefund bis auf ‚das Unberührte‘<br />

aus. Er zeigt dies am Beispiel einer indigenen Gruppe. An<br />

anderer Stelle fand hier die Figur des Wilden schon Erwähnung.<br />

Diese kann wie die Wildnis je nachdem für eine gute<br />

und damit heute erhaltenswerte Ursprünglichkeit oder für ein<br />

bedrohliches Gegenüber der Zivilisation stehen. Baudrillard<br />

schildert nun, wie diese Gruppe bis zu ihrer Entdeckung durch<br />

Ethnologen „seit acht Jahrhunderten ohne Kontakt zu allen<br />

übrigen Artgenossen“ 146 gelebt hätte und wie man sich entschied,<br />

sie „in ihrer totalen Natürlichkeit zu belassen und sie<br />

nicht dem Zugriff von Kolonialisten, Touristen und Ethnologen<br />

auszusetzen“ 147 . Dies sei ein Akt der „Museifizierung“. Die<br />

„Wilden“ würden „eingefroren, kryogenisiert, sterilisiert, vor dem<br />

Tod geschützt“. 148 Durch dieses Anlegen eines „Keuschheitsgürtels“<br />

gestatte sich die Ethnologie „den Luxus und die Illusion,<br />

sich in gewisser Weise jenseits ihrer selbst zu verkörpern, in<br />

der ‚nackten Realität’ dieser von ihr wiedererfundenen Indianer<br />

– die nach der Intervention der Wissenschaft immer noch<br />

Wilde“ – unberührte ‚echte’ Wilde – „sein sollen“. 149 Beim Schutz<br />

möglichst naturbelassen gebliebener Landschaft verhält es sich<br />

offensichtlich ähnlich. Auch ein solcher Naturschutz sucht<br />

eine Verkörperung und den Gegenstand seiner Sehnsüchte, die<br />

144 Lübbe 1982 (wie Anm. 122), S. 7.<br />

145 Zur Deckung der Begriffe „Musealisierung“ und „Museifizierung“ vgl. Eva Sturm: Museifizierung<br />

und Realitätsverlust. In: Zacharias 1990 (wie Anm. 134), S. 99 – 113.<br />

146 Jean Baudrillard: Agonie des Realen. Berlin 1978, S. 18.<br />

147 Ebd., S. 18. Es handelte sich hier um die keineswegs unberührten Tasaday auf der philippinischen<br />

Insel Mindanao. Vgl. Thomas, N. Headland (Hg.): The Tasaday Controversy: Assessing<br />

the Evidence. Washington DC 1992.<br />

148 Baudrillard 1978 (wie Anm. 146), S. 18.<br />

149 Ebd., S. 17f.<br />

‚unberührte’ Natur, außerhalb seiner selbst, ja außerhalb der kulturellen<br />

Ordnung, zu welcher er gehört. Sowohl in Baudrillards<br />

Vorstellung von Ethnologie – als Anti-Ethnologie – als auch in<br />

der organisierten Tabuisierung des Eingriffs im Naturschutz ist<br />

der Gegenstand ein Anderes, ein Gegenüber, welches nur durch<br />

Verzicht auf Berührung möglich ist. In der Hervorbringung<br />

„neuer Wildnis“ ist dieses Andere nicht die unberührte Natur,<br />

sondern die zukünftig unberührbare Natur. An dieser Stelle<br />

sei nochmal an die eingangs zitierten Worte Hartmut Böhmes<br />

erinnert: „Kultur als Verräumlichung und Verstetigung ist ein<br />

Akt der Entwilderung“. 150 Hier dagegen verdoppelt die Kultur<br />

gleichsam die Wildnis, das Außerhalb des kulturellen Zugriffs,<br />

indem sie sich – und dies ist hier kulturelle Praxis, Form der<br />

Aneignung von Raum – beschränkt auf das Totalreservat, vorgeblich<br />

selbst abschafft. Und freilich: Musealisierung ist neben<br />

etwa Denkmalschutz, Prädikatisierung von materiellen und<br />

immateriellen Kulturgütern eine Form der Konstruktion von<br />

Erbe, der Kulturtechnik der „Heritage-ifizierung“ 151 , allerdings<br />

eine, deren Bestimmung, betrachtet man Baudrillards Museifizierung<br />

oder auch Jeudys Befund von der Welt als <strong>Museum</strong> 152 ,<br />

im Hinblick auf die Unterscheidbarkeit zu anderen Formen der<br />

Konstruktion von Erbe, reichlich strapaziert scheint. Während<br />

Heritage-ifizierung als kulturelle Praxis in der Pflege historischer<br />

Kulturlandschaft die Verlängerung historischer Formen in<br />

die Gegenwart bedeutet, also die Verstetigung früherer „Verräumlichung<br />

und Verstetigung“, wird Wildnis als „Urwald von<br />

morgen“ zur Hinterlassenschaft, zum Erbe naturschützerischer<br />

Praxis.<br />

Ausblick<br />

Die Ausweisung von Totalreservaten markiert eine Kultur der<br />

Verwilderung, die die Bestimmung von Kultur als „Akt der<br />

Entwilderung“ auf den Kopf zu stellen scheint. Die Zielvorstellung<br />

der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt, bis 2020<br />

auf fünf Prozent der <strong>Wald</strong>fläche in Deutschland Natur Natur<br />

sein zu lassen, ist gleichsam ein Programm der ‚Urbarmachung’<br />

von Kulturland für die Wildnis. Dabei steht Wildnis nicht<br />

für jene Natur, die Hartmut Böhme, hier eingangs zitiert, als<br />

„Sphäre feindlicher Natur“, als „Unraum“, beschreibt. Wildnis ist<br />

hier etwas, was <strong>Mensch</strong>en mit einem Stück Land vorhaben, ihre<br />

Hervorbringung Teil planerischer, landespflegerischer Praxis.<br />

Während für die kulturelle Logik der Renaturierung Arbeit<br />

am und im <strong>Wald</strong> durchaus ein Weg zurück zur Natur ist – die<br />

Zurichtung des <strong>Wald</strong>es nach dem Vorbild ermittelter Natur –,<br />

so zielt die Logik des „Urwalds von morgen“ auf Ausschluss von<br />

150 Böhme 1996 (wie Anm. 1), S. 53.<br />

151 Zur „Heritage-ifizierung“ als kulturelle Praxis vgl. Dorothee Hemme/Markus Tauschek/<br />

Regina Bendix (Hg.): Prädikat „Heritage“. Wertschöpfung aus kulturellen Ressourcen.<br />

Münster 2007.<br />

152 Vgl. Henri-Pierre Jeudy: Die Welt als <strong>Museum</strong>. Berlin 1987.

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