Kulturwissenschaftliches Symposium Wald : Museum : Mensch ...
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22 | „WER HAT DICH, DU SCHÖNER WALD, AUFGEBAUT SO HOCH DA DROBEN …“<br />
unserem Empfinden das Klima verschlechtert, hilft zugleich der<br />
Entwicklung des Arbeitsmarktes. Realität ist ein sehr komplexes<br />
Phänomen, in das erst die <strong>Mensch</strong>en Widersprüche hineindenken,<br />
die aber dann oft in einem erweiterten Überblick auch<br />
wieder verschwinden. So sah Charles Darwin in seiner Evolutionstheorie<br />
keinen Widerspruch zwischen dem symbiotischen<br />
Zusammenleben vieler Lebewesen und dem generellen Kampf<br />
der Arten ums Dasein.<br />
These 8 – Sehen und Bewerten.<br />
Unsere Alltagsrealität ist unlösbar mit unseren verinnerlichten<br />
Normen und Werten sowie unseren Zukunftsahnungen<br />
verknüpft. Für die Übergänge von Sein und Schein, für das,<br />
was wir als real oder als Täuschung ansehen müssen, gibt es<br />
keinen absoluten Maßstab. Entsprechend variabel ist auch<br />
die Bewertung. Etwas sehen und etwas bewerten ist zweierlei<br />
und nicht immer kongruent. Eine negativ besetzte Vorstellung<br />
erscheint vor einem anderen Horizont positiv. Realität, d.h. an<br />
Sachen (lat. res) gebundenes Sein, gewinnt erst im je gegebenen<br />
gesellschaftlichen Lebenskontext ihre Wirklichkeit, d.h. ihre<br />
Ausstrahlungskraft, die so oder so wirkt.<br />
Abb. 10 Marie Marcks: Beseitigung von Wissenslücken (1982).<br />
Was ist <strong>Wald</strong>?<br />
Die Abbildung 10 zeigt einen Experten bei seiner fortschreitenden<br />
Arbeit: Wissen zu gewinnen bzw. Wissenslücken zu schließen.<br />
Die Zeichnung karikiert eine Form von Wissenschaft, die<br />
mit stetig erhöhtem technischen Aufwand aus einer belanglos<br />
erscheinenden Auffälligkeit den gewaltigen Schaden erst hervorruft<br />
(wobei im Übrigen der Einsatz von Frauen nur dazu dient,<br />
das Image der Herren aufzuputzen). Die Beischrift persifliert<br />
darüber hinaus das instrumentelle Denken und die phrasenhafte<br />
Ausdrucksweise der Wissenschaftspolitik.<br />
Die schwedische Schriftstellerin Kerstin Ekman, geboren 1933,<br />
eine große <strong>Wald</strong>kennerin und <strong>Wald</strong>liebhaberin, hat die Summe<br />
ihrer Einsichten in einem enzyklopädischen <strong>Wald</strong>-Buch kon-<br />
densiert. Sie kommt zu dem Schluss: „Ich weiß tatsächlich nicht,<br />
was ein <strong>Wald</strong> ist. Dem Wort entspricht in der Welt der Sinne<br />
nichts. Jeder <strong>Wald</strong> ist Wälder. Er ist Sumpf und Morast, Heide,<br />
Schwende, Kahlschlag, Fällung, Hain und Gehölz.“ Ebenso<br />
erscheint der <strong>Wald</strong> in der Dichtung, z. B. in Stifters Romanen,<br />
und in den Gemälden Courbets oder anderer Maler auf eine je<br />
eigene Weise. Unser begriffliches Wissen stimmt mit unserem<br />
bildlichen Wissen kaum, allenfalls partiell und vage überein.<br />
These 9 – Sehen und Verstehen.<br />
Der <strong>Wald</strong> darf als definiertes Objekt nicht allein auf seine<br />
kognitiv erkundeten Komponenten eingeengt werden. Manches<br />
verstehen wir nur, wenn wir es fühlen, es sinnlich wahrnehmen.<br />
<strong>Wald</strong> bedeutet vielerlei: pflanzlicher und tierischer Lebensraum,<br />
Jagdrevier, Holzreservoir, Schattenspender. Seine Funktion ist<br />
mit Bildern verknüpft, die aus unserem Bildgedächtnis stammen,<br />
das sich (durch neue <strong>Wald</strong>-Erlebnisse) immer wieder<br />
erneuert hat und weiter verändert. Genaues Hinsehen, nicht<br />
nur Nachdenken, schafft uns Einsicht, d.h. Verstehen. Wenn<br />
der reale <strong>Wald</strong> verschwindet – so ist zu befürchten –, verblassen<br />
mit der Zeit auch die von ihm geprägten Bilder in Dichtung und<br />
Kunst und die damit verbundenen Empfindungen und Erkenntnismöglichkeiten.<br />
Folgerungen<br />
Abb. 11 Marie Marcks (1980er Jahre).<br />
Lehren des <strong>Wald</strong>es.<br />
Der Kahlschlag auf der Abbildung 11 demonstriert, dass mit<br />
der Abholzung des <strong>Wald</strong>es auch ein pädagogisches Instrument,<br />
der <strong>Wald</strong>lehrpfad, verschwunden ist. Der Lehrpfad hat sich –<br />
wie hier ironisch dargestellt – in einen „Leerpfad“ verwandelt<br />
und provoziert nun statt einer Sachfrage eine Meta-Frage des<br />
Lehrers: „Hier ist was falsch – wer merkt’s?“ Nicht nur die<br />
Schulkinder im Bild, auch wir Betrachter vor dem Bild sind<br />
gefragt, genauer über den <strong>Wald</strong> nachzusinnen, und mehr noch:<br />
darüber nachzudenken, was uns sein Schicksal lehren kann.