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Kulturwissenschaftliches Symposium Wald : Museum : Mensch ...

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Klassik. In Abkehr von deren „Antikenbegeisterung“ und damit<br />

in Abkehr von der „romanischen Welt“ suchte und erforschte<br />

man nun die eigene Geschichte: die germanische Frühzeit, das<br />

deutsche Mittelalter sowie autochthone Traditionen und Mentalitäten.<br />

7 Als Ausdruck der romantischen Mittelalterverehrung<br />

wurde in den bildenden Künsten das Burgen- und Ruinenmotiv<br />

beliebt und kam es in der Architektur zur Aufnahme historischer<br />

Burgen und Schlösser, aber auch zu historisierenden<br />

Neukreationen in neogotischem Stil. 8 In der Literatur und<br />

Musik entdeckte man die mittelalterlichen Epen wieder und<br />

nicht nur Richard Wagner begeisterte sich für die Naturmystik<br />

des Nibelungenliedes. Diese materiellen und ideellen Zeugnisse<br />

begriff man als „nationale Altertümer“ und man betrachtete sie<br />

auf dem Weg zum Nationalstaat als identitätsstiftend. Germanische<br />

Rechtszeugnisse wurden als Quellen erforscht und<br />

man edierte die ideellen Wurzeln deutscher Kultur, wie Lieder,<br />

Sagen und Märchen. Zugleich betrieb man im engeren Sinn<br />

Denkmalpflege und sicherte bauhistorische Monumente oder<br />

archäologische Funde. So haben die Altertumswissenschaften,<br />

die Denkmalpflege und die deutsche Philologie in der Romantik<br />

ihren Ausgang. Die Befreiungskriege gegen Napoleon schließlich<br />

waren Auslöser und Folie der nach dem Humanismus wieder<br />

auflebenden Begeisterung für den Cheruskerfürsten Arminius.<br />

Zwar führte schon Martin Luther „Arminius“ als „Hermann“ in<br />

die deutsche Sprache ein. Erst die Romantik jedoch verankerte<br />

diesen dann auch fest in der deutschen Kultur. Es bildete sich<br />

ein literarischer Hermann-Kult aus, der in Dramen, Erzählungen<br />

und Liedern Ausdruck und Popularisierung fand. Mit der<br />

Liebe für Armin, den Schrecken Roms, verband sich motivisch<br />

zwingend auch die hymnische Verehrung des <strong>Wald</strong>es – nicht<br />

nur des Teutoburger <strong>Wald</strong>es.<br />

Einen wesentlichen Anteil am ideellen Fundament der Romantik<br />

hatte der schwäbische Philosoph des Idealismus, Friedrich<br />

Wilhelm Schelling (1775 – 1854). Sein Werk beeinflusste den<br />

Kreis der Frühromantiker in Jena stark, und vor seinen dortigen<br />

Studenten führte er 1802 aus seiner „Philosophie der Kunst“<br />

referierend aus: „Was wir Natur nennen, ist ein Gedicht, das<br />

in geheimer wunderbarer Schrift verschlossen liegt. […] Jedes<br />

herrliche Gemälde entsteht dadurch gleichsam, dass die unsichtbare<br />

Scheidewand aufgehoben wird, welche die wirkliche und<br />

ideale Welt trennt […]“. 9 Unter Natur verstand Schelling dabei<br />

7 Den „Triumph des deutschen Grüns über das lateinische Mauerwerk“ nennt Simon Schama<br />

diesen Prozess. Vgl. Simon Schama: Der Traum von der Wildnis. Natur als Imagination.<br />

München 1996, S. 120.<br />

8 Es sind dabei zwei gleichwertige Tendenzen zu beobachten: Man schätzte das historische<br />

Original, initiierte aber auch Rekonstruktionen und mittelalterlich idealisierte Neubauten. Bei<br />

letzterem wurden im Rheintal etwa im Zuge der „Rheinromantik“ Burgen und Schlösser im<br />

neogotischen Burgenstil oder ‚Ruinenstil‘ überbaut, aber auch neu errichtet. Und bis heute werden<br />

die authentische wie die rekonstruierte Architektur gleichermaßen als mythische Orte der<br />

Romantik verehrt. So etwa die authentische Ruine des 1689 zerstörten Heidelberger Schlosses<br />

wie auch der Schlossneubau im romantisch-mittelalterlichen Stil in Neuschwanstein von 1869.<br />

9 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: System des transzendentalen Idealismus. Hg. von Horst<br />

D. Brandt und Peter Müller. Hamburg 1992, S. 299 (6. Hauptabschnitt, § 3, Punkt 2).<br />

WALDKULTUR. EIN RÜCKBLICK AUF 200 JAHRE KULTURELLE ANEIGNUNG | 31<br />

den Urgrund aller Dinge. Und die Kunst betrachtete er als die<br />

am besten geeignete Disziplin, das poetische Wesen der Natur<br />

zu erfassen und in eine verständliche Form zu bringen. Diese<br />

Haltung machten sich Literaten, Musiker und Bildende Künstler<br />

der Romantik zu Eigen und nahmen die ihnen von philosophischer<br />

Warte zugesprochene Mittlerfunktion an. Sie machten<br />

es sich zur Aufgabe, die Welt der Poesie wieder freizulegen,<br />

die sie durch den zivilisatorischen Fortschritt verborgen sahen.<br />

Natur erlebten die „Romantiker“ als genuine, aus sich heraus<br />

schon poetische Erscheinung. Als Musterlandschaft kultivierten<br />

sie Gebirge und <strong>Wald</strong>.<br />

1.1. „Kuckuck, Kuckuck, ruft aus dem <strong>Wald</strong>“ – Das Volkslied<br />

Neben der Philosophie Schellings beeinflusste das Wirken eines<br />

anderen Universalgelehrten das Erscheinungsbild der Romantik.<br />

Mit seiner ab 1778 veröffentlichten Volksliedsammlung<br />

„Stimmen der Völker in Liedern“ gab Johann Gottfried Herder<br />

(1744 – 1803) sozusagen den ‚Startschuss‘ für diese Bewegung.<br />

Das Wort „Volkslied“ freilich hatte er bereits 1771 aus dem<br />

Englischen („popular song“) übernommen und in den deutschen<br />

Wortschatz eingebracht. Herders Liedsammlung beinhaltete<br />

Belege aus ganz Europa. Einer seiner Zuträger war der junge<br />

Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832), den Herder bei<br />

einem Treffen in Straßburg 1770 für das Volkslied als Genre<br />

begeistern und zum Sammeln desselben anregen konnte. In<br />

Herders Sammlung finden sich erzählende Lieder, wie die<br />

Erlkönig-Geschichte (2. Teil, 2. Buch, Lied 27), aber eben auch<br />

Lieder mit Naturimpressionen, wie etwa das später durch die<br />

Schubert-Vertonung so bekannt gewordene „Röschen auf der<br />

Heide“ (2. Teil, 2. Buch, Lied 23). Auch Lieder mit <strong>Wald</strong>motiven<br />

sind darunter, wie die beiden aus Shakespeare-Stücken<br />

abgeleiteten Lieder „<strong>Wald</strong>gesang“ und „<strong>Wald</strong>lied“ (1. Teil, 3.<br />

Buch, Lied 3 und 4).<br />

Volkslieder transportierten für Herder Natürlichkeit und<br />

Einfachheit der menschlichen Empfindung. Die Suche nach<br />

solchen Zeugnissen der Lebenskultur einfacher Leute wurde<br />

zur Triebfeder der Romantik. Als Ausdruck ihres scheinbar<br />

‚unverfälschten‘ Lebens erforschte man Mythen sowie<br />

populäre Lieder und Erzählformen: Lieder und Balladen,<br />

Märchen, Sagen, Schwänke, Sprichwörtliche Redensarten,<br />

Witz, etc. Die Arbeit Herders hatte eine breite Bewegung des<br />

„Sammelns und Rettens“ ausgelöst, die zu großen Volkslied-,<br />

Märchen- und Sageneditionen führte. Eines der bekanntesten<br />

Beispiele ist die Liedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“.<br />

Von 1805 an war sie von den Mitgliedern des „Heidelberger<br />

Kreises“, Achim von Arnim (1781 – 1831) und Clemens<br />

Brentano (1778 – 1842), zusammengetragen worden. Diese<br />

Edition von 723 Liedern fand unter den Zeitgenossen ein<br />

enormes Echo und gilt als zentrales Werk der Hochromantik.<br />

In dessen dritten Teil beginnt das Lied 83, „<strong>Wald</strong>vögelein“, mit

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