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KoBo - Bonstetten

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<strong>KoBo</strong> Kultur<br />

Ohrwürmer-Konzert Geschichte ein<br />

Gemischter Chor Wettswil-Bonstettten<br />

Donnerstagabend, zehn vor acht. Die Tür<br />

des Schulhauses Mettlen II in Wettswil<br />

ist immer noch offen, aber nicht, weil der<br />

Hauswart vergessen hat, sie zu schliessen.<br />

In kleinen Gruppen oder einzeln strömen<br />

Männer und Frauen herbei. Einige sind<br />

schon eine halbe Stunde vorher von zu<br />

Hause losmarschiert und machen aus dem<br />

Weg zum Schulhaus einen entspannenden<br />

Spaziergang, der den anstrengenden Alltag<br />

vergessen lässt. In der Hand oder in der<br />

Mappe einen farbigen Ordner. Deutsche,<br />

französische oder rätoromanische Melodien<br />

vor sich hin summend schreiten sie<br />

die Treppen hoch und treffen im Singsaal<br />

aufeinander. Ein kleiner, stolz glänzender<br />

schwarzer Flügel ist schon aufgeklappt.<br />

Grüssend, schwafelnd, kichernd oder<br />

bloss mit dem Kopf nickend sucht man<br />

sich einen bequemen Platz aus. Wie früher<br />

in der Schule, als man noch Kind war,<br />

haben zwei unzertrennliche Freundinnen<br />

mit Entschlossenheit bereits ihre Position<br />

eingenommen.<br />

Um acht Uhr saust der Dirigent<br />

herein – sein treuer Chauffeur hat ihn<br />

hergefahren. Es werden «Guten Abend»<br />

mit russischem Akzent ausgetauscht, und<br />

die brennende Geschichte muss leider für<br />

das Anfangs-Ritual unterbrochen werden:<br />

aufstehen, den Körper räkeln, die<br />

Hüften fünfmal nach links und dreimal<br />

nach rechts kreisen, auf Zehenspitzen die<br />

Hände zur Decke strecken, anschliessend<br />

die Arme wie eine Möwe im Sturzflug<br />

zu Boden fallen lassen, die Backen sanft<br />

wachklopfen, die Augen weit aufsperren,<br />

die Lippen warmkneten. Es knackst und<br />

quietscht aus verschiedenen Ecken. Stöhnend,<br />

seufzend oder lächelnd und sehr<br />

konzentriert turnen die dreissig Sängerinnen<br />

und Sänger ihren Stimmapparat<br />

locker.<br />

Zufrieden und erleichtert sinken sie auf<br />

den Stuhl zurück, klappen ihren Ordner<br />

auf und blättern durch das Repertoire des<br />

bevorstehenden Konzerts. «Was singen<br />

wir», sprudelt es aus motivierten Mündern.<br />

Der Dirigent schaut in die Menge,<br />

Das Repertoire lässt vieles zu, Bekanntes und weniger Bekanntes, aber an Ohrwürmern fehlt es nicht. (Bild: F. Brüderli)<br />

nimmt blitzschnell die Stimmung wahr<br />

und verkündet den Plan für den Abend.<br />

«Wir singen das EU-Medley einmal<br />

ohne Unterbrechung durch.» Sein Gespür<br />

lag wieder mal richtig, der Vorschlag<br />

trifft sichtbar auf breiten Beifall und wird<br />

mit sofortiger Einsatzbereitschaft beantwortet.<br />

Nach drei Minuten tauchen beim<br />

Dirigenten Erinnerungen an seine Heimat<br />

auf: «Kalinka», mit viel Herzblut in<br />

in den Raum geschmettert, erzeugt ein<br />

warmes Leuchten auf seinem vergnügten<br />

Gesicht. Wenig später tönt beim «Junge<br />

komm bald wieder» ein Gepfeife aus dem<br />

Korridor. Es besteht kein Zweifel. Auch<br />

der jung gebliebene Ehrendirigent hat<br />

das richtige Zeitgefühl und tritt mit geschmeidigem<br />

Schritt und winkend in den<br />

Saal. Alles hat er erlebt seit der Gründung<br />

im Jahre 1943. Einiges kann er erzählen.<br />

Vieles hat er geleistet. Beim «Polenmädchen»,<br />

dem allerschönsten Kind, das nie<br />

küsst, ist leicht erahnbar, worüber die<br />

Mutter beim Blick auf ihre achtzehnjährige<br />

Tochter nachdenkt, die neben ihr singt.<br />

Ob sie denn schon viel küsst Und wen<br />

«Ich hab noch einen Koffer in Berlin» ist<br />

offenbar das Lieblingslied von den zwei<br />

Gastsängern, die den Chor für Konzertzwecke<br />

verstärken. «Arrivederci Roma»<br />

weckt Feriensehnsucht. Der süss-wonnige<br />

Geschmack von Gelati, der milde Duft<br />

von Espresso. Oder wäre eine Sachertorte<br />

aus «Wien du Stadt meiner Träume» gefälliger<br />

Melancholische Blicke während<br />

«Ça va pas change le monde» verdichten<br />

für einen Augenblick die Stimmung in<br />

dieser kleinen singenden Welt. Das letzte<br />

Stück «Es muss was Wunderbares sein»<br />

ist es auch.<br />

Nicht wunderbar hingegen war die Geschwindigkeit.<br />

Die Musikkommission hat<br />

das Medley mit der Stoppuhr gemessen,<br />

und glotzt missbilligend vor sich hin. Das<br />

Tempo muss erhöht werden. Der Dirigent<br />

untersucht kurz die Varianten und schlägt<br />

vor, die Damen aus dem Osten, «Kalinka»<br />

und «Polenmädchen», sollten mehr<br />

Schwung kriegen. Auch der Geigenspieler<br />

im «Du schwarzer Zigeuner» sollte den<br />

Herzschmerz temperamentvoller lindern.<br />

Mit Sprungkraft wird die zweite Runde<br />

eingeleitet. Diesmal ist das Resultat tatsächlich<br />

wunderbar, wenigstens darf man<br />

dies glauben, wenn man die überzeugten<br />

Gesichter betrachtet, die einander anschauen.<br />

Die Musikkommission zettelt<br />

22 <strong>KoBo</strong> 04/08

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