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Wendezeit 1/15 - Herr der Ringe

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Tun im Nicht-Tun<br />

Dr. Beat Imhof<br />

Wir sind es gewohnt, unseren Lebenserfolg<br />

durch rastloses Tätigsein herbeiführen<br />

zu wollen. Stets auf Draht sein,<br />

immer am Ball bleiben, das Heft nie aus<br />

<strong>der</strong> Hand geben, die Zügel nicht lockerlassen,<br />

keinem An<strong>der</strong>en den Vortritt gewähren;<br />

das sind so unsere gängigen<br />

Erfolgsrezepte. In einem Brief, den ich<br />

vor kurzem erhielt, schrieb mir ein<br />

Mann: «Ich habe die Erfahrung gemacht,<br />

dass man auf keinen grünen<br />

Zweig kommt, wenn man sich nicht<br />

wehrt und ständig um sein Glück kämpft.<br />

Je besser und gütiger man ist, desto weniger<br />

wird man von den An<strong>der</strong>en respektiert.»<br />

Die alte chinesische Weisheitslehre des<br />

Wu-Wei lehrt uns aber das gerade Gegenteil<br />

und meint, wir sollten uns nicht<br />

hemdsärmelig mit Ellenbogen und<br />

Fäusten durchsetzen wollen, son<strong>der</strong>n<br />

gelassen gewähren lassen, geschehen<br />

lassen, zulassen. Es ist das Tun im Nicht-<br />

Tun, das Handeln ohne zu handeln. Wer<br />

dies im richtigen Moment anzuwenden<br />

weiss, wird sich eine Menge Ärger und<br />

Anstrengung ersparen und auch zum<br />

Erfolg kommen. In Japan sagt man: «Ein<br />

wahrer Samurai siegt ohne zu kämpfen.».<br />

Freilich ist hier nicht ein gleichgültiges<br />

«Dolce far’niente» o<strong>der</strong> ein lässig-nachlässiges<br />

«laisser-faire» gemeint. Vielmehr<br />

geht es um die vertrauensvolle<br />

Hingabe an den grossen Werdeprozess<br />

des Lebens, <strong>der</strong> keinen Druck und keinen<br />

Zwang verträgt, we<strong>der</strong> eine geschäftige<br />

Hektik, noch das, was die<br />

Amerikaner «action» nennen.<br />

Im Weisheitsbuch Tao Te King, verfasst<br />

vom chinesischen Philosophen Laotse<br />

um 600 v. Chr., heisst es: «Das Nachgiebige<br />

überwindet das Starre, das Unsichtbare<br />

durchdringt das Sichtbare; so<br />

wird das Tätige des Nicht-Tuns ersichtlich.<br />

Etwas aussprechen, ohne ein Wort<br />

zu gebrauchen, etwas sich auswirken<br />

lassen, ohne dass etwas getan wird. Nur<br />

wenigen gelingt es.»<br />

Einer, <strong>der</strong> bei uns im Westen die Kunst<br />

des Wu-Wei begriff und auch lebte, war<br />

<strong>der</strong> grosse Psychologe C. G. Jung. In seinem<br />

Heim in Küsnacht am Zürichsee<br />

stand auf dem Schreibtisch ein antiker<br />

Mörser aus Bronze. Jung benützte ihn<br />

als Aschenbecher. «Brennende Zündhölzer<br />

pflegten darin noch einmal hell<br />

aufzuflammen und alle in dem Gefäss<br />

befindlichen Reste mit zu verbrennen.»<br />

Wer je beflissen den Brand auszublasen<br />

und zu löschen versuchte, wurde spöttisch<br />

o<strong>der</strong> ernsthaft zurechtgewiesen.<br />

Don’t interfere! Jung hatte ihn durchschaut,<br />

denn das Spiel mit dem brennenden<br />

Zündhölzchen war ein von ihm<br />

erdachter Test, mit dem er Menschen<br />

auf die Probe stellte. Mit dieser englischen<br />

Redewendung wollte <strong>der</strong> Gelehrte<br />

bedeuten: greife nicht ein, trete nicht<br />

dazwischen, unternehme nichts. Dieses<br />

Nicht-Tun wurde ihm zur eigentlichen<br />

Lebensphilosophie, wie er in seinem<br />

Buch Das Geheimnis <strong>der</strong> Goldenen Blüte<br />

bekannte: «Das Geschehenlassen,<br />

das Tun im Nicht-Tun, das Sich-Lassen<br />

des Meister Eckhart wurde mir zum<br />

Schlüssel, mit dem es gelingt, die Türe<br />

zum Weg zu öffnen. Man muss psychisch<br />

geschehen lassen können. Das ist<br />

für uns eine wahre Kunst, von welcher<br />

unzählige Leute nichts verstehen, indem<br />

ihr Bewusstsein ständig helfend,<br />

korrigierend und negierend dazwischen<br />

springt und auf alle Fälle das einfache<br />

Werden des psychischen Prozesses nicht<br />

in Ruhe lassen kann.» 1<br />

Oft helfen wir einem Menschen besser,<br />

wenn wir ihm nicht helfen, weil so sein<br />

Wille zur Selbsthilfe herausgefor<strong>der</strong>t<br />

wird. Dies ist vor allem da wichtig, wo<br />

die selbstregulierenden Kräfte des Unbewussten<br />

zum Zuge kommen wollen.<br />

Wie C. G. Jung zu dieser Einsicht gelangte,<br />

erzählt seine langjährige Mitarbeiterin<br />

Barbara Hanna: Als <strong>der</strong> grosse<br />

Psychologe auf seiner Afrikareise am<br />

Ende <strong>der</strong> Ugandabahn auf die Weiterfahrt<br />

mit dem Auto wartete setzte sich<br />

ein alter Englän<strong>der</strong> zu ihm und gab ihm<br />

folgenden Rat: «Sehen Sie mein <strong>Herr</strong>,<br />

dies ist nicht ein Land <strong>der</strong> Menschen,<br />

son<strong>der</strong>n ein Land Gottes. Darum, was<br />

auch immer geschieht, warten Sie ruhig<br />

ab und regen Sie sich nicht auf.» Barbara<br />

Hanna schreibt: «Von diesem Rat und<br />

seiner Tauglichkeit in Afrika war Jung<br />

so beeindruckt, dass er ihn allen seibnen<br />

Schülern weitergab, denen es gegeben<br />

war, eine ‚Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

dem Unbewussten’ zu wagen. Denn was<br />

sich im Dschungel o<strong>der</strong> Busch bewährt,<br />

bewährt sich auch im Unbewussten.» 2<br />

Zum Tun im Nicht-tun gehört auch die<br />

schöpferische Musse. Beim äusseren<br />

Untätigsein kann sich viel in unserem<br />

Inneren ereignen. Die besten Einfälle<br />

werden uns häufig am Morgen nach gesundem<br />

Schlaf geschenkt, zu den klarsten<br />

Einsichten gelangen wir im ruhigen<br />

Nachdenken in entspanntem Da-Sein.<br />

Der schauende Mensch in <strong>der</strong> Kontemplation,<br />

<strong>der</strong> verinnerlichte Mensch in <strong>der</strong><br />

Meditation ist nach aussen in hohem<br />

Masse untätig, in den Tiefen seiner Seele<br />

aber sehr aktiv. Der erfolgreiche<br />

Schriftsteller K. O. Schmidt, Verfasser von<br />

über siebzig lesenswerten Lebens- und<br />

Erfolgsbüchern, umschrieb das Geheimnis<br />

seines unermüdlichen Schaffens mit<br />

dem einfachen Satz: «Ich wirke im Ruhen<br />

und ruhe im Wirken». Ähnlich sagte<br />

es <strong>der</strong> indische Meister Parama hansa Yogananda:<br />

«Ich bin ruhig, wenn ich tätig<br />

bin, ich bin tätig wenn ich ruhig bin.»<br />

Wie sehr die äussere Tatenlosigkeit mit<br />

geistiger Regsamkeit sich verbinden<br />

kann, bestätigte uns <strong>der</strong> Dichter Rainer<br />

Maria Rilke, wenn er fragte: «Ob nicht<br />

die Tage, die wir gezwungen sind, müssig<br />

zu sein, diejenigen sind, die wir in<br />

tiefster Tätigkeit verbringen, ob nicht unser<br />

Handeln, selbst wenn es spät kommt,<br />

nur <strong>der</strong> Nachklang einer grossen Bewegung<br />

ist, die in untätigen Tagen uns geschieht.<br />

Jedenfalls ist es wichtig, mit<br />

Vertrauen müssig zu sein, wenn möglich<br />

mit Freude.»<br />

Im Nicht-Tun liegt oft mehr Wirkungskraft<br />

als im Tun; so im beherrschten<br />

Schweigen mehr als im unpassenden<br />

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