Newsletter Menschenrechte - Jan Sramek Verlag
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NLMR 1/2011-EGMR<br />
Insoweit hatte bereits das Landgericht eingeräumt,<br />
dass die Bf. eine Problematik von öffentlichem Interesse<br />
angesprochen hatten, und es ihnen erlaubt war, ihre<br />
politischen Ziele zu verfolgen, und zwar auch mit Hilfe<br />
von polemischer Kritik.<br />
Das Landgericht hat alle Passagen des Flugblatts,<br />
außer dem Ausspruch »damals: Holocaust / heute: Babycaust«,<br />
als akzeptable Bestandteile einer öffentlichen<br />
Diskussion anerkannt, die sich innerhalb der Grenzen<br />
der freien Meinungsäußerung bewegten. Der GH wird<br />
daher nur die erwähnte Textstelle behandeln.<br />
Nach Meinung der nationalen Gerichte verletzten die<br />
Bf. die persönlichen Rechte des Mediziners besonders<br />
schwerwiegend, indem sie die Durchführung der Abtreibung<br />
mit dem Massenmord während des Holocaust verglichen.<br />
Es hätte von ihnen erwartet werden können,<br />
dass sie ihren Vorwurf auf eine Art und Weise ausdrückten,<br />
die weniger nachteilig für das Ansehen des Mediziners<br />
gewesen wäre.<br />
Das BVerfG hatte außerdem eingeräumt, dass das<br />
Flugblatt der Bf. auf verschiedene Art und Weise interpretiert<br />
werden könne, dabei aber bedacht, dass alle<br />
möglichen Interpretationen auf eine schwerwiegende<br />
Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Mediziners<br />
hinausliefen.<br />
Zudem stellt der GH fest, dass Auswirkungen, die Meinungsäußerungen<br />
auf die Persönlichkeitsrechte eines<br />
Anderen haben, nicht abgelöst vom historischen und<br />
sozialen Kontext, in dem diese getätigt werden, betrachtet<br />
werden können. Der Hinweis auf den Holocaust muss<br />
also im spezifischen Zusammenhang der deutschen<br />
Geschichte betrachtet werden. Daher akzeptiert der GH<br />
die abschließende Erklärung des BVerfG, wonach das<br />
umstrittene Flugblatt eine schwerwiegende Verletzung<br />
der Persönlichkeitsrechte des Mediziners sei.<br />
Die nationalen Gerichte schufen somit einen gerechten<br />
Ausgleich zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung<br />
der Bf. und dem Schutz der Persönlichkeitsrechte<br />
des Arztes. Der Eingriff war »in einer demokratischen<br />
Gesellschaft notwendig«. Die Geldstrafen sind außerdem<br />
als verhältnismäßig zu bezeichnen.<br />
Im Ergebnis ist keine Verletzung von Art. 10 EMRK<br />
festzustellen (einstimmig).<br />
Hoffer und Annen gg. Deutschland<br />
Der GH hat bereits in früheren ähnlichen Fällen eine<br />
Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK festgestellt. Er geht<br />
auch vorliegend von einer Verletzung dieser Bestimmung<br />
aus (einstimmig).<br />
III.<br />
Zu den übrigen behaupteten Verletzungen<br />
Die Bf. behaupten, ihnen wäre die Auslegung ihrer Aussagen<br />
durch die Strafgerichte nicht bewusst gewesen. Sie<br />
hätten folglich nicht den Vorsatz gehabt, eine kriminelle<br />
Handlung zu begehen. Das Verfahren vor dem BVerfG<br />
sei des Weiteren nicht fair gewesen, da nur drei Richter<br />
und nicht ein Senat über die Sache entschieden hätten.<br />
Zudem beschwert sich der ZweitBf. darüber, dass er eine<br />
höhere Strafe bekommen habe, nur weil er seine Adresse<br />
auf dem Dokument angegeben hatte.<br />
Die diesbezüglichen Beschwerden unter Art. 7 Abs. 1,<br />
Art. 10 und Art. 6 EMRK werden als offensichtlich unbegründet<br />
zurückgewiesen (einstimmig).<br />
IV.<br />
Entschädigung nach Art. 41 EMRK<br />
€ 4000,– je Bf. für immateriellen Schaden und € 1000,–<br />
für Kosten und Auslagen (einstimmig).<br />
•<br />
19<br />
II.<br />
Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK<br />
Es wird festgestellt, dass die Beschwerde unter Art. 6<br />
Abs. 1 nicht offensichtlich unbegründet iSv. Art. 35<br />
Abs. 3 EMRK und auch aus keinem anderen Grund<br />
unzulässig ist. Die Beschwerde wird für zulässig erklärt<br />
(einstimmig).<br />
Für die Bf. stellt die Länge des Verfahrens vor dem<br />
BVerfG von fast sechseinhalb Jahren einen Verstoß<br />
gegen ihr Recht auf ein Verfahren innerhalb einer angemessenen<br />
Frist nach Art. 6 Abs. 1 EMRK dar.<br />
Österreichisches Institut für <strong>Menschenrechte</strong><br />
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