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Newsletter Menschenrechte - Jan Sramek Verlag

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NLMR 1/2011-EGMR<br />

35<br />

Diskriminierung unverheirateter Väter beim Sorgerecht<br />

Sporer gg. Österreich, Urteil vom 3.2.2011, Kammer I, Bsw. Nr. 35.637/03<br />

Leitsatz<br />

Angesichts der unterschiedlichen Lebenssituation, in<br />

der sich unehelich geborene Kinder befinden, ist es für<br />

den Fall einer fehlenden Vereinbarung über die gemeinsame<br />

Ausübung des Sorgerechts gerechtfertigt, die elterliche<br />

Obsorge vorerst der Mutter zu übertragen, um zu<br />

gewährleisten, dass das Kind von Geburt an eine Person<br />

hat, die als dessen gesetzlicher Vertreter fungieren kann.<br />

Die Tatsache, dass das österreichische Recht keine<br />

gerichtliche Prüfung der Frage vorsieht, ob ein gemeinsames<br />

Sorgerecht im Interesse des unehelich geborenen<br />

Kindes liegt, und, wenn nein, ob dem Kindeswohl besser<br />

mit der Zuweisung des alleinigen Sorgerechts an die<br />

Mutter oder den Vater gedient wäre, stellt eine diskriminierende<br />

Behandlung außerehelicher Väter dar.<br />

Rechtsquellen<br />

Art. 6 Abs. 1, 8, 14 EMRK<br />

Vom GH zitierte Judikatur<br />

▸ Zaunegger/D v. 3.12.2009<br />

= NL 2009, 348 = EuGRZ 2010, 42 = ÖJZ 2010, 138<br />

Schlagworte<br />

Diskriminierung; Familienleben; Kinder, uneheliche;<br />

Kindeswohl; Privatleben; Sorgerecht; Verhandlung,<br />

mündliche<br />

Sachverhalt<br />

Eduard Christian Schöpfer<br />

Der Bf. lebt in Schalchen, Oberösterreich. Ende Mai 2000<br />

wurde er Vater des unehelich geborenen Sohnes K. Die<br />

Kindesmutter hielt sich zu diesem Zeitpunkt als Mieterin<br />

im Haus des Bf. auf, der in einer separaten Wohnung<br />

mit seiner langjährigen Partnerin U. und ihrem gemeinsamen<br />

Sohn D. zusammenlebte. Im ersten Lebensjahr<br />

von K. kümmerten sich die Kindeseltern abwechselnd<br />

um das Kind und nahmen nacheinander Karenzurlaub.<br />

Anfang Jänner 2002 zog die Mutter von K. aus ihrer<br />

Wohnung aus. In der Folge beantragte der Bf. beim BG<br />

Mattighofen gemäß § 176 ABGB die Übertragung des<br />

alleinigen Sorgerechts mit der Begründung, er und U.<br />

hätten sich bisher hauptsächlich um das Kind gekümmert,<br />

die leibliche Mutter sei dazu nicht in der Lage.<br />

Am 12.3.2002 hielt das BG Mattighofen eine mündliche<br />

Verhandlung ab, bei der die Eltern einvernehmlich<br />

der Einholung der Meinung eines Kinderpsychiaters zu<br />

der Frage zustimmten, wem die alleinige Obsorge eingeräumt<br />

werden solle. Sie einigten sich ferner darauf, dass<br />

K. bis zu einer endgültigen Entscheidung mit beiden<br />

Elternteilen jeweils eine halbe Woche verbringen würde.<br />

Am 8.7.2002 kam es zu einer weiteren mündlichen<br />

Verhandlung, bei der die Ergebnisse der kinderpsychiatrischen<br />

Expertise diskutiert wurden, derzufolge die Mutter<br />

unreif und derzeit nicht in der Lage sei, sich um das<br />

Kind zu kümmern. Der Vertreter des Jugendamts widersprach<br />

dieser Einschätzung. Das BG Mattighofen holte<br />

daraufhin die Meinung einer Kinderpsychologin ein.<br />

Diese kam zu dem Schluss, die Mutter würde weder mangelnde<br />

Reife noch emotionale Instabilität aufweisen<br />

und könne für das Kind Sorge tragen. Der Bf. beantragte<br />

sodann erfolgreich die Einholung eines Obergutachtens.<br />

Dr. B. vertrat darin die Ansicht, dass das Kindeswohl<br />

durch den Verbleib des Sorgerechts bei der Mutter<br />

nicht gefährdet sei. Von der ihm eingeräumten Möglichkeit,<br />

zum Obergutachten Stellung zu nehmen, machte<br />

der Bf. keinen Gebrauch, stellte jedoch den Antrag, es in<br />

einer mündlichen Verhandlung zu erörtern.<br />

Mit Beschluss vom 4.12.2002 lehnte das BG Mattighofen<br />

den Antrag des Bf. auf Übertragung des alleinigen<br />

Sorgerechts ab. § 166 ABGB zufolge sei mit der Obsorge<br />

für das uneheliche Kind die Mutter allein betraut.<br />

Ein Entzug des Sorgerechts komme nur dann in Frage,<br />

wenn das Kindeswohl gefährdet sei. Davon könne im<br />

vorliegenden Fall angesichts des eingeholten zweiten<br />

und dritten Gutachtens sowie der positiven Stellungnahme<br />

des Jugendamts jedoch keine Rede sein. Von der<br />

Abhaltung einer weiteren mündlichen Verhandlung sei<br />

abgesehen worden, da das Obergutachten schlüssig und<br />

überzeugend gewesen sei und eine zusätzliche Verhandlung<br />

das Sorgerechtsverfahren nur verzögert hätte.<br />

Der Bf. rief daraufhin das LG Ried an und brachte vor,<br />

die §§ 166 und 176 ABGB seien diskriminierend, könne<br />

der Mutter eines unehelich geborenen Kindes das alleinige<br />

Sorgerecht doch nur unter der Voraussetzung entzogen<br />

werden, dass sie dessen Wohl gefährde. Bei einem<br />

ehelichen Kind würde den Eltern hingegen auch im<br />

Fall der Trennung oder der Scheidung die gemeinsame<br />

Österreichisches Institut für <strong>Menschenrechte</strong><br />

© <strong>Jan</strong> <strong>Sramek</strong> <strong>Verlag</strong>

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